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Schweizerisches Bundesblatt.

52. Jahrgang. IV.

Nr. 39.

26. September 1900.

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Botschaft

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend den Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika.

(Vom 25. September 1900.)

Tit.

In den Geschäftsberichten unseres Justiz- und Polizeidepartements für die Jahre 1896 und 1898 haben wir Ihnen mitgeteilt, daß mit den Vereinigten Staaten von Amerika Unterhandlungen über den Abschluß eines neuen Auslieferungsvertrages angeknüpft worden sind, durch den die im Vertrage 1850/1855 enthaltenen diesbezüglichen Bestimmungen (Art. XIII bis XVII) erweitert und unserem Auslieferungsgesetze von 1892 möglichst angepaßt werden sollten. Die Verhandlungen haben nun nach mehrjähriger Dauer ihren Abschluß gefunden und zu dem anliegenden, in französicher und englischer Sprache abgefaßten Vertragsentwurfe geführt, der am 14. Mai 1900 von den beidseitigen Delegierten zu. Washington unterzeichnet worden ist.

Dieser Vertragsentwurf unterscheidet sich von den gegenwärtig geltenden Bestimmungen über die Auslieferung von Verbrechern zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika hauptsächlich dadurch, daß die Zahl der Auslieferungsdelikte wesentlich vermehrt worden ist, daß die zur Zeit bestehende Pflicht der Auslieferung der eigenen Staatsangehörigen dahinfällt und daß ein Verfahren für die Erwirkung der provisorischen Verhaftung flüchtiger Verbrecher geschaffen wurde.

Bundesblatt. 52. Jahrg. Bd. IV.

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Zu den einzelnen Artikeln der Übereinkunft haben wir folgendes zu bemerken : In Art. I, welcher im allgemeinen die Verpflichtung der gegenseitigen Auslieferung der von dem Gebiete des einen Staates in das des anderen geflüchteten Verbrecher aufstellt, hat sich die Regierung der Vereinigten Staaten, wie sie in allen ähnlichen mit fremden Staaten abgeschlossenen Verträgen gethan hat, die Prüfung der Schuld der requirierten Person vorbehalten. Daher müssen den amerikanischen Behörden bei der Stellung des Auslieferungsbegehrens alle die Beweisstücke mitgeteilt werden, welche darthun, daß der Verfolgte sich wirklich der ihm zur Last gelegten Strafthatcn schuldig gemacht hat. Dio schweizerische Gesetzgebung kennt eine solche Prüfung der Schuld des vom Ausland requirierten Individuums nicht; nach ihr ist nur die Frage zu prüfen, ob eine Handlung vorliegt, welche sowohl nach dem Recht des Zufluchtsortes als nach demjenigen des ersuchenden Staates strafbar ist und den Thatbestand eines Auslieferungsdelikts enthält. Man begnügt sich deshalb hierseits mit der Vorlage einer Urkunde der zuständigen ausländischen Behörde, aus der der Thatbestand der Deliktshandlung, sowie die darauf anwendbaren Strafbestimmungen des requirierenden Staates hervorgehen (Artikel 15 des Bundesgesetzes über die Auslieferung gegenüber dem Auslande vom 22. Januar 1892). Da indessen diesbezüglich in der Zukunft eine Änderung der gegenwärtig in der Schweiz geltenden gesetzlichen Vorschriften eintreten könnte, wurde im Vertrag gesagt, daß ,,in der Schweiz für die Bewilligung der Auslieferung die zur Zeit des betreffenden Begehrens geltenden Gesetzesbestimmungen" in Betracht kommen sollen.

Durch den -Schlußsatz von Art. I sind die Vertragsstaaten von der Auslieferung der eigenen Staatsangehörigen entbunden.

Die Regierung der Vereinigten Staaten wäre zwar durch ihre Gesetzgebung nicht gehindert, einen amerikanischen Bürger an einen fremden Staat auszuliefern, allein sie thut dies nur, wenn von dem anderen Staate die Gegenseitigkeit beobachtet wird. Auf eine solche Reciprocität kann jedoch die Schweiz in Anbetracht von Art. 2, Absatz l, des Auslieferungsgesetzes von 1892 nicht eintreten und daher wird die Regierung der Vereinigten Staaten die Auslieferung eines Amerikaners, der sich in der Schweiz eines Deliktes schuldig gemacht und sich
nach den Vereinigten Staaten geflüchtet hat, nicht vornehmen. Ein solcher wird straflos ausgehen, denn die Gesetzgebung der Vereinigten Staaten gestattet nicht die Verfolgung einer Person für ein außerhalb des Gebietes der Vereinigten Staaten begangenes Verbrechen oder Vergehen.

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Den Vorschlag unsererseits, an diese Stelle eine Bestimmung aufzunehmen, wonach die Exekutive der Vereinigten Staaten ermächtigt wäre, nach freiem Ermessen ihre eigenen Staatsangehörigen an die Schweiz auszuliefern, während sich die Schweiz verpflichten würde, Schweizerbürger, die nach Verübung eines Verbrechens in den Vereinigten Staaten sich in unser Land geflüchtet haben, wegen desselben strafrechtlich zu verfolgen, hat die amerikanische Regierung nicht angenommen, da nach ihrem Ermessen hierdurch keine volle Reciprocität erzielt würde.

Der Art. II, welcher die einzelnen Auslieferungsdelikte aufführt, enthält eine wesentlich größere Anzahl solcher als der Art. XIV des Vertrages von 1850. Es kann nun danach auch wegen einfachen Diebstahles und Betruges, sowie wegen Hehlerei (Ziffer 7), sofern der verursachte Schaden Fr. 1000 übersteigt, die Auslieferung verlangt werden. Unser Vorschlag, unter jene Delikte auch Erpressung und den Angriff auf die Schamhaftigkeit aufzunehmen, wurde von der amerikanischen Regierung abgelehnt.

In Art. III ist vorgesehen, daß auch wegen Versuches und Teilnahme die Auslieferung begehrt werden kann, wenn sich die That als ein Verbrechen qualifiziert, beziehungsweise als solches bestraft wird.

Der Art. IV (Ausschluß der Aburteilung durch ein Ausnahmegericht) entspricht dem Art. 9 unseres Auslieferungsgesetzes von 1892. Wir wollten auch der Bestimmung von Art. 5 dieses Gesetzes betreffend die Umwandlung der etwa vorgesehenen körperlichen Strafe in Freiheits- oder Geldstrafe im Falle der Auslieferung in den Vertrag Aufnahme verschaffen. Allein die amerikanische Regierung konnte sich nicht dazu verstehen. Sie erklärte, daß körperliche Strafen nur in zwei oder drei Staaten der Union noch zur Anwendung kommen und zwar nicht für solche Delikte, die in dem abzuschließenden Auslieferungsvertrage vorgesehen seien.

Sie wäre übrigens nicht in der Lage, eventuell eine Umwandlung jener Strafen vorzuschreiben. Es könnte dies einzig durch den Gouverneur des betreffenden Staates geschehen. Wir glaubten uns mit dieser Erklärung begnügen zu können.

Der Art. V stellt die Art und Weise fest, in der der Auslieferungsantrag auf dem diplomatischen Wege gestellt werden muß.

Durch Art. VI wird das Begehren um provisorische Verhaftung eines Verfolgten gestattet und das Verfahren geregelt. Es kann danach ein solches Begehren bei den amerikanischen Behörden

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nicht bloß durch einen diplomatischen oder Konsularagenten der Schweiz gestellt werden, sondern auch durch eine andere im Namen des Bundesrates handelnde Person.

Die Art. VII bis XII geben zu keinen besonderen Bemerkungen Anlaß. Sie stehen mit den entsprechenden Bestimmungen unseres Auslieferungsgesetzes im Einklang.

Durch Art. XIII des Vertrages wird die Tragung der entstehenden Auslieferungskosten geregelt. An Stelle der zur Zeit geltenden Bestimmungen hatten wir vorgeschlagen, daß von dem ersuchten Staate auf eine Rückerstattung der Kosten, welche aus der Festnahme und Inhaftbehaltung des Verbrechers, sowie der Untersuchung erwachsen^ verzichtet werde, während die Transportkosten dem requirierenden Staate zur Last fallen würden. Die amerikanische Regierung war jedoch zur Annahme dieses Vorschlages nicht zu bewegen, indem sie davon ausging, daß nach allen ihren bisherigen Auslieferungsverträgen sämtliche Kosten dem requirierenden Staate zur Last fallen und sie dem Senate nicht eine andere Bestimmung unterbreiten könne. Sie machte gegenüber der bisherigen bezüglichen Vorschrift nur das Zugeständnis, daß für die Funktionen derjenigen amerikanischen Magistrate, welche einen fixen Gehalt beziehen und nicht bloß auf Taggelder angewiesen sind, keine Entschädigungen zu entrichten seien.

Gemäß dem Schlußartikel wird der Vertrag 30 Tage nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft treten.

Der Senat der Vereinigten Staaten hat den Vertrag bereits am 5. Juni 1900 ratifiziert. Dabei brachte er jedoch zwei Abänderungen an demselben an, indem er nämlich bestimmte, daß in Art. II, Ziffer 6, statt ,,Unterschlagung seitens öffentlicher Beamter oder angestellter oder besoldeter Personen gesagt werde ,,Unterschlagung seitens öffentlicher Beamter oder a n d e r e r Personen", und daß in Art.IX, welcher die Verfolgung des Ausgelieferten wegen eines andern Deliktes als desjenigen, das den Gegenstand der Auslieferungbewilligung gebildet hat, verbietet, ,,es sei denn, daß der Ausgelieferte hierzu ausdrücklich einwilligt, diese Bestimmung dahin erweitert werde, ,,es sei denn, daß der Ausgelieferte hierzu ausdrücklich in öffentlicher Gerichtssitzung einwilligt, welche Einwilligung in die Gerichtsakten aufgenommen werden soll"1. Wir erklärten uns, nachdem wir durch unsere Gesandtschaft in Washington von diesen nicht wesentlichen Modifikationen Kenntnis erhalten hatten, mit denselben einverstanden, damit das Zustandekommen des Vertrages nicht länger verzögert werde.

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Indem wir Ihnen den letzteren nebst dem erwähnten Beschlüsse des amerikanischen Senates vom 5. Juni 1900 unterbreiten, empfehlen wir Ihnen die Annahme des nebenstehenden Bundesbeschlußentwurfes.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommensten Hochachtung.

B e r n , den 25. September 1900, Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Hanser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: ßingier.

2 Beilagen,

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(Entwurf.)

ßimdesfoeschluß · betreffend

die Ratifikation des mit den Vereinigten Staaten von Amerika abgeschlossenen Auslieferungsvertrages vom 14. Mai 1900.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 25. September 1900, in Anwendung von Art. 85, Ziffer 5, der Bundesverfassung, beschließt: Art. 1. Dem zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika unterrn 14. Mai 1900 abgeschlossenen Auslieferungsvertrage und dem zu demselben vom Senate der Vereinigten Staaten am 5. Juni 1900 gefaßten Beschlüsse wird die Genehmigung erteilt.

Art. 2. Der Bundesrat ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Beilage I.

Auslieferimgsvertrag zwischen

der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika.

Der Bundesrat der schweizerischen Eidgenossenschaft und die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika sind übereingekommen, zur Förderung der Rechtspflege einen neuen Vertrag über die Auslieferung flüchtiger Verbrecher abzuschließen und haben zu diesem Behufe als ihre Bevollmächtigten ernannt: Der Bundesrat der schweizerischen Eidgenossenschaft: Herrn J.B. P i o d a, außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister der Schweiz bei den Vereinigten Staaten, und Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika: Herrn John H a y , Staatssekretär der Vereinigten Staaten, welche, nach gegenseitiger Mitteilung ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten, nachstehende Artikel vereinbart haben : Artikel I.

Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika und der schweizerische Bundesrat verpflichten sich, sich gegenseitig diejenigen Personen auszuliefern, welche eines

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der in Art. II aufgeführten, auf dem Gebiete des einen der beiden Vertragsstaaten begangenen Verbrechens oder Vergehens beschuldigt oder überführt sind und auf dem Gebiete des andern Staates betroffen werden. Vorbehalten bleibt, daß dies von den Vereinigten Staaten nur geschehen soll, ·wenn solche Schuldbeweise vorliegen, daß es sich nach den Gesetzen des Ortes, wo die flüchtige oder verfolgte Person betroffen wird, rechtfertigen würde, dieselbe zu verhaften und vor Gericht zu stellen, wenn das Verbrechen oder Vergehen an diesem Orte begangen worden wäre. In der Schweiz wird die Auslieferung auf Grund- der zur Zeit des betreffenden Auslieferungsbegehrens in diesem Lande geltenden Gesetzgebung bewilligt.

Es soll jedoch keine der beiden Regierungen gehalten sein, ihre eigenen Staatsangehörigen auszuliefern.

Artikel IL.

Die Auslieferung soll für folgende Verbrechen und Vergehen bewilligt werden, sofern dieselben sowohl nach dem Rechte des Zufluchtsortes, als nach dem des ersuchenden Staates strafbar sind : 1. Totschlag, einschließlich Meuchelmord, Elternmord, Kindsmord, Vergiftung und vorsätzliche Tötung.

2. Brandstiftung.

3. Raub, nächtlicher Einbruchsdiebstahl, Einbrechen oder Einsteigen in ein Haus oder in ein Geschäftslokal.

4. Fälschung oder Verfälschung von öffentlichen oder Privaturkunden, betrügerischer Gebrauch gefälschter oder verfälschter Urkunden.

5. Fälschung, Nachmachung oder Veränderung von Münzen, Papiergeld, öffentlichen Schuldtiteln und deren Coupons, von Banknoten, Obligationen und andern Werttiteln oder Kreditpapieren ; Ausgebenoderinverkehrbringen

65 solcher Werteffekten in betrügerischer Absicht; Fälschung oder Verfälschung von öffentlichen Siegeln, Stempeln oder Marken; betrügerischer Gebrauch solcher gefälschten oder verfälschten Gegenstände.

6. Unterschlagung seitens öffentlicher Beamten oder seitens angestellter oder besoldeter Personen zum Nachteil derjenigen, in deren Dienst sie stehen ; einfacher Diebstahl ; betrügerische Erlangung von Geld oder andern Wertgegenständen mittels falscher Vorspiegelungen : Annahme von Geld, Werttiteln oder anderen Vermögensstücken in dem Bewußtsein, daß sie unterschlagen, gestohlen oder auf betrügerische Weise erworben worden sind. Der Geldbetrag oder der Wert der durch diese Deliktshandlungen erworbenen oder erhaltenen Vermögensstücke hat Fr. 1000 zu übersteigen.

7. Betrug oder Vertrauensmißbrauch, begangen durch einen Verwalter, Beauftragten, Bankier, Verwalter des Vermögens eines Dritten, oder durch den Vorstand, ein Mitglied oder einen Beamten einer Gesellschaft oder eines Vereins, wenn der verursachte Schaden Fr. 1000 übersteigt.

8. Meineid, Anstiftung zum Meineide.

9. Menschenraub, Notzucht, Entführung von Minderjährigen, Bigamie, Abtreibung.

10. Vorsätzliche und rechtswidrige Zerstörung oder Beschädigung von Eisenbahnen, wodurch das Leben von Menschen gefährdet wird.

11. Seeräuberei; vorsätzliche Handlungen, welche den Untergang oder die Zerstörung eines Schiffes verursachen.

Artikel III.

Die Auslieferung wird auch wegen Versuchs oder Teilnahme an einem der in Art. II aufgeführten Verbrechen und Vergehen bewilligt, vorausgesetzt, daß ein solcher Versuch oder eine solche Teilnahme in den Vereinigten Staaten als

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Verbrechen (felony) und in der Schweiz mit Todesstrafe,, Zucht- oder Arbeitshaus bestraft wird.

Artikel IV.

Der Ausgelieferte darf nicht vor ein Ausnahmegericht gestellt werden.

Artikel V.

Die Begehren um Auslieferung flüchtiger Verbrecher sind durch den diplomatischen Vertreter oder in dessen Abwesenheit durch einen der Konsularagenten des requirierenden Staates zu stellen.

Wenn die Person, deren Auslieferung verlangt wird, wegen der strafbaren Handlung, die das Auslieferungsbegehren veranlaßt hat, v e r u r t e i l t worden ist, so soll eine authentische Abschrift des ergangenen Gerichtsurteils vorgelegt werden. Ist die betreffende Person eines Verbrechens bloß b e s c h u l d i g t , so sind dem Auslieferungsbegehren gehörig beglaubigte Abschriften des von dem zuständigen Beamten des Landes, wo das Verbrechen begangen wurde, erlassenen Haftbefehles, sowie der Depositionen oder anderen Beweise, auf Grund deren der Haftbefehl ausgestellt worden ist, beizulegen. Diese Urkunden sollen eine genaue Darlegung des dem Verfolgten zur Last gelegten Deliktes, sowie von Ort und Zeit seiner Begehung enthalten. Auch ist denselben eine beglaubigte Abschrift der auf die zur Last gelegten Handlungen anwendbaren Gesetzesbestimmungen, wie sie sich aus Gesetz oder gerichtlichem Entscheide ergeben, sowie die zur Feststellung der Identität der reklamierten Person erforderlichen Belege beizufügen.

Das Auslieferungsverfahren richtet sich nach den Bestimmungen, welche zur Zeit der Stellung des Auslieferungsbegehrens in dem ersuchten Staate gelten.

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Artikel VI.

Wenn die Verhaftung eines Flüchtigen auf telegraphischem Wege oder in anderer Weise gewünscht wird, bevor die ordentlichen Belege vorgelegt worden sind, so hat man sich gemäß dem -in den Vereinigten Staaten geltenden Verfahren an einen Richter oder sonstigen Magistraten zu wenden, der befugt ist,- in Auslieferungsfällen Haftbefehlezu erlassen und unter Eid Klage zu erheben, wie dies durch, die Gesetze der Vereinigten Staaten vorgeschrieben ist.

Um die provisorische Verhaftung eines Flüchtigen in der Schweiz zu erwirken, hat sich der diplomatische Vertreter oder ein Konsularagent der Vereinigten Staaten an den Bundespriisidenten zu wenden, der die nötigen Maßnahmen anordnen wird.

Die provisorische Gefangenhaltung eines Flüchtigen soll aufhören und der Verhaftete auf freien Fuß gesetzt werden,, wenn nicht innerhalb von zwei Monaten, vom Tage der Verhaftung an, das förmliche Auslieferungsbegehren, begleitet von den nötigen Belegen, in der im gegenwärtigen Vertrage vorgeschriebenen Weise gestellt wird.

Artikel VII.

Wegen eines politischen Verbrechens oder Vergehens wird die Auslieferung nicht bewilligt. Auch darf keine Person, die auf Grund dieses Vertrages wegen eines gemeinen Verbrechens ausgeliefert worden ist, wegen eines vor ihrer Auslieferung begangenen politischen Deliktes verfolgt oder bestraft werden.

Sofern in einem speziellen Falle die Frage entsteht, ob die begangene Strafthat politischen Charakter hat oder nicht, so entscheiden hierüber die Behörden des Staates, an welche das Begehren gerichtet worden ist.

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Artikel Vili.

Die Auslieferung wird nicht bewilligt, wenn nach der Gesetzgebung des ersuchten Staates oder nach der des ersuchenden Staates die Verjährung der Strafverfolgung oder der verhängten Strafe eingetreten ist.

Artikel IX.

Keine von einem der Vertragsstaaten an den anderen ausgelieferte Person darf wegen einer anderen, vor der Stellung des Auslieferungsbegehrens begangenen Handlung verfolgt oder bestraft werden, als für die, wegen deren die Auslieferung bewilligt worden ist, es sei denn, daß der Ausgelieferte hierzu ausdrücklich einwilligt, oder daß derselbe während eines Monats nach seiner endgültigen Freilassung von der Möglichkeit, das Gebiet des Staates, welcher seine Auslieferung nachgesucht hat, zu verlassen, keinen Gebrauch gemacht hat.

Der Staat, an welchen eine Person ausgeliefert wurde, ist nicht berechtigt, diese an einen dritten Staat auszuliefern, es sei denn, daß die im Absatz l aufgeführten Bedingungen erfüllt sind.

Artikel X.

Wenn die Person, deren Auslieferung verlangt wird, in dem Staate, in welchen sie sich geflüchtet hat, wegen einer anderen strafbaren Handlung in Untersuchung sich befindet oder verurteilt worden ist, so kann die Auslieferung bis nach Beendigung des Strafverfahrens oder Verbüßung der verhängten Strafe verschoben werden.

Artikel XI.

Wenn die Auslieferung der von einem der beiden Vertragsstaaten reklamierten Person auch von einem oder

69 mehreren anderen Staaten wegen strafbarer Handlungen, welche dieselbe auf deren Gebiet begangen hat, nachgesucht wird, so erhält derjenige Staat den Vorzug, dessen Begehren das Schwerste Verbrechen anführt, falls nicht der ersuchte Staat durch Vertrag verpflichtet ist, einem anderen den Vorzug zu geben.

Sind die Verbrechen gleich schwer, so soll dem zuerst gestellten Begehren entsprochen werden, vorausgesetzt, daß die Regierung, von welcher die Auslieferung verlangt wurde» nicht durch Vertrag gebunden ist, einem anderen Staate den Vorzug zu geben.

Artikel XII.

Alle in Beschlag genommenen Gegenstände, welche zur Zeit der Verhaftung der auszuliefernden Person in deren Besitz waren, sollen bei Vollziehung der Auslieferung mitübergeben werden, und diese Übergabe soll sich nicht bloß auf die Gegenstände, welche durch das zur Last gelegte Delikt erworben ·wurden, sondern auf alle anderen Gegenstände erstrecken, welche zum Beweise der strafbaren Handlung dienen können.

Die Rechte dritter Personen auf die fraglichen Gegenstände sollen indessen gebührend berücksichtigt werden.

Artikel XIII.

Die Kosten, welche durch die Festnahme, Inhaftbchaltung, Untersuchung und Übergabe des Flüchtigen entstehen, fallen dem ersuchenden Staate zur Last. Dieser soll jedoch keinerlei Auslagen zu tragen haben für die Dienstleistungen derjenigen Beamten der angesprochenen Regierung, welche einen festen Gehalt beziehen, und für die · Dienstleistungen derjenigen Beamten, welche nur Gebühren beziehen, sollen keine höheren Gebühren berechnet werden dürfen, als die

70 gewöhnlichen, die den betreffenden Beamten nach den Gesetzen ihres Landes für Amtshandlungen bei der Ausübung des ordentlichen Strafverfahrens zukommen.

Artikel XIV.

Der gegenwärtige Vertrag soll 30 Tage nach Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft treten. Durch ihn werden die Artikel XIII, XIV, XV, XVI und XVII des Vertrages zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 25. November 1850 aufgehoben, und finden diese Artikel nur noch auf die zur Zeit des Inkrafttretens des gegenwärtigen Vertrages bereits anhängigen Auslieferungsbegehren Anwendung.

Die Ratifikationen sollen sobald als möglich in Washington ausgetauscht werden. Nach erfolgter Kündigung dieses Vertrages durch die eine oder andere der vertragschließenden Regierungen bleibt der Vertrag noch sechs Monate, vom Tage der Kündigung an, in Kraft.

Zu Urkund dessen haben die beiderseitigen Bevollmächtigten vorstehende Artikel unterzeichnet und ihre Siegel beigedrückt.

So geschehen zu Washington in doppelter Ausfertigung, in englischer und französischer Sprache, den 14. Mai 1900.

(L. S.) (sig.) J. B. Pioda.

(L. S.) (sig.) John Hay.

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Beilage II.

In seiner Exekutivsession hat der Senat der Vereinigten Staaten am 5. Juni 1900 beschlossen: (mit Zweidrittelsmehrheit dei- anwesenden Senatoren) Der Sonnt erteilt seine Zustimmung zu der Ratifikation des am 14. Mai 1900 zu Washington unterzeichneten Vertrages zwischen den Vereinigten Staaten und der Schweiz betreffend die Auslieferung der Verbrecher unter Anbringung folgender Amendements: In Artikel II, Ziffer 6, fünfte Zeile auf Seite 5, sind die Worte ,,angestellter oder besoldeter zu streichen und an deren Stelle das Wort ,,anderer" zu setzen.

In Artikel IX, erster Absatz, Zeile 18 auf Seite 12, ist den Worten ,,hierzu ausdrücklich einwilligt" beizufügen : "in ö f f e n t l i c h e r Gerichtssitzung, welche Einwilligung in die Gerichtsakten aufgenommen w e r d e n s o 11 .

Dies bezeugt Der Sekretär: (sig.) C h äs. G. B e n n e 11.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend den Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika.

(Vom 25. September 1900.)

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