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Bundesrats eschluß über

die

Beschwerde der Familie Eberle, Wursthändlers, in Riedern, Gemeinde Mörschwil (Kanton St. Gallen), wegen unschicklicher

Beerdigung.

(Vom 29. März 1900.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über die Beschwerde der Familie E b e r l e , Wursthändlers, in Riedern, Gemeinde Mörschwil (Kanton St. Gallen), wegen unschicklicher Beerdigung ; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt.

A.

in thatsächlicher Beziehung wird festgestellt: L

Joseph Eberle, Wursthändler, in Riedern, Gemeinde Mörschwil (Kanton St. Gallen), ist am 5. Dezember 1899 plötzlich gestorben, ohne seinen kirchlichen Verpflichtungen als Katholik nachkommen zu können. In Mörschwil ist es Übung, daß bei Winterszeit die Beerdigungen jeweils morgens 8 Uhr stattfinden; die Familie Eberle setzte daher in der Todesanzeige, welche die Beerdigung auf den 7. Dezember ansagte, den Weggang vom Trauerhause auf 71/2 Uhr an, so daß die Beerdigung auf dem im Dorfe Mörschwil bei der Kirche gelegenen Friedhofe auf 8 Uhr entfallen wäre.

Am Tage des Ablebens Eberles eröffnete der Dorfgeistliche den

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Hinterlassenen, daß er eine Beerdigung nach kirchlicher Vorschrift nicht vornehmen könne; er werde übrigens noch höheren Ortes anfragen. Am folgenden Tage begab sich Witwe Ebeiie zum Pfarrer, um den definitiven Bescheid zu holen, der auf Verweigerung der kirchlichen Beerdigung lautete. Der Pfarrer gab aber gleichzeitig der Witwe Eberle den Rat, die Beerdigung eine halbe Stunde früher anzusetzen, damit es weniger auffalle, da um diese Zeit der Gottesdienst beginnt. Die Witwe Eberle erklärte sich damit einverstanden. Als zur bestimmten Zeit der Leichenzug sich der Kirche näherte, begann es, zur Messe zu läuten. Das Meßgeläute besteht aus drei Glocken, während das einem Erwachsenen zukommende übliche Grabgeläute aus den drei Meßglocken und der vierten großen Glocke der Kirche besteht. Pfarrer und Meßmer deponierten bei der durch das Bezirksamt Rorschach geführten polizeiliehen Untersuchung, daß das Läuten angedauert habe, bis der Sarg versenkt worden sei ; Witwe Eberle sagt aus, daß das Läuten aufhörte, bevor sich der Leichenzug ganz um die Kirche, die mitten im Friedhof liegt, herumbewegt habe.

Unterm 14. und 30. Dezember 1899 beschwerten sich die Hinterlassenen des Eberle beim Regierungsrat des Kantons St. Gallen darüber, daß dem Verstorbenen das gesetzlich vorgeschriebene Grabgeläute an seiner Beerdigung arn 7. Dezember 1899 vorenthalten worden sei; sie verlangten, daß der Leichnam ausgegraben und dann wiederum unter dem Geläute aller Glocken beerdigt werde, wie es in Mörschwil Übung sei.

Der Regierungsrat des Kantons St. Gallen erklärte mit Beschluß vom 30. Januar 1900 die Beschwerde für begründet und erteilte dem Gemeinderat von Mörschwil wegen Nichtbeachtung von Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung und Art. 22 der St. Gallischen Vollzugsverordnimg zum Gesetz über das bürgerliche Begräbniswesen, vom 22. Oktober 1873, eine Rüge, unter Androhung gesetzlicher Strafeinleitung im Wiederholungsfalle.

In den Motiven des Beschlusses führt der Regierungsrat aus : Art. 53, Abs. 2, der Bundesverfassung lautet: ,,Die Verfügung über die Begräbnisplätze steht den bürgerlichen Behörden zu. Sie haben dafür zu sorgen, daß jeder Verstorbene schicklich beerdigt werden kann." Und Art. 22 der citierten st. gallischen Vollzugsverordnung zum Begräbnisgesetz bestimmt: ,,Alle Leichen sollen unter Glockengeläute
beerdigt werden."1 Nach dieser Bestimmung soll also jeder Leiche das besondere Geläute zu teil werden, wie solches vorgeschrieben ist. Im vorliegenden Falle scheint nun

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beim Pfarramte und bei dem für die gesetzesgemäße Handhabung der Vorschriften über das Begräbniswesen verantwortlichen Gemeindei'at Mörschwil die Auffassung obgewaltet zu haben, mit der Verweigerung der kirchlichen Beerdigung falle auch das Leichengeläute dahin. Um aber dem Buchstaben des Gesetzes gerecht zu werden, genüge es, die Leiche zu einer Zeit zu beerdigen, in welcher zu ändern Zwecken, hier also für die Messe sowieso geläutet werde. Diese Auffassung ist eine irrtümliche und verstößt gegen die genannte Vollzugsverordnung und gegen die Bundesverfassung. Denn es mußte als eine Unschicklichkeit empfunden werden, daß das als ein Requisit des bürgerlichen Begräbnisses postulierte Grabgeläute durch ein ganz ändern Zwecken dienendes Geläute ersetzt wurde. Wenn somit das vom Gemeinderat von Mörschwil eingeschlagene Verfahren als ein den bestehenden Vorschriften widersprechendes gerügt werden muß, so erscheint es andererseits doch gerechtfertigt, seitens der Oberbehörde von weitern Maßnahmen -- Exhumation der Leiche und nachträgliche Vornahme des vorgeschriebenen Glockengeläutes -- Umgang zu nehmen.

Dieses erstere deswegen, weil der Leichnam im übrigen vorschriftsgemäß, d. h. in gesetzlicher Reihenfolge beerdigt worden ist, letzteres mit Rücksicht auf die anfängliche Zustimmung der Hinterlassenen des Verstorbenen zu der vorgenommenen Bestattungsweise, sowie auf den Umstand, daß nach Sinn und Geist der Verfassungsund Verordnungsvorschriften unter dem als Requisit einer schicklichen Beerdigung vorgeschriebenen Grabgeläute nur ein Geläute zu verstehen ist, welches im Zusammenhang mit einer wirklich vor sich gehenden Beerdigung stattfindet, den erwähnten Bestimmungen daher in concreto nicht mehr nachgelebt werden kann.

Endlich ist auch darauf Rücksicht zu nehmen, daß" nach der Aktenlage die Nichtbeachtung der Vorschriften weniger einer böswilligen Absicht als einer irrtümlichen Rechtsauffassung zuzuschreiben ist.

II.

Mit Eingabe vom 10. Februar 1900 beschwert sich die Familie Eberle gegen den Beschluß des Regierungsrates von St. Gallen beim Bundesrat und stellt das Rechtsbegehren, es sei der zuständigen Behörde die Weisung zu erteilen, daß der Leichnam des Joseph Eberle ausgegraben und unter dem Geläute aller Glocken wiederum beerdigt werde, wie es in Mörschwil üblich sei.

Die Beschwerdeführer bestreiten in thatsächlicher Beziehung, daß das Grabgeläute gedauert habe, bis die Leiche ins Grab ver-

432 senkt worden sei; das Läuten habe schon aufgehört, bevor noch ·der Kirchhof betreten wurde. Aus mehreren Gemeinden des Kantons St. Gallen wird Klage geführt wegen Nichtbeobachtung von Art. 53 der Bundesverfassung, und es ist daher dem Aufsehen der Bundesbehörden zu rufen.

In rechtlicher Beziehung beschränken sich die Beschwerdeführer auf die Erklärung, daß sie ihr Rechtsbcgehren auf Art. 53, Abs. 2, der Bundesverfassung und Art. 22 der Vollziehungsverordnung zum st. gallischen Begräbnisgesetz vom 22. Oktober 1873 stützen ; sie fügen bei, dasselbe sei gerechtfertigt im Interesse des konfessionellen Friedens.

III.

Der Regierungsrat des Kantons St. Gallen beantragt unterm 20. Februar 1900 Abweisung der Beschwerde.

Es ist nicht richtig, daß aus mehreren Gemeinden des Kantons St. Gallen Klagen geführt werden wegen Mißachtung des Art. 53 der Bundesverfassung und daß deswegen die Bundesbehörden zum Aufsehen gemahnt werden müssen. Seit dem Jahre 1891, in welchem die Regierung die Exhumation einer nicht in der vorgeschriebenen Reihenfolge beerdigten Leiche anordnete (s. Amtsbericht des Regierungsrats über das Jahr 1891, S. 26, 27), ist ihm bis auf den nun vorliegenden Fall keine Klage wegen Mißachtung der kantonalen oder eidgenössischen Bestattungsvorschrifteri zugekommen. Eine Mitteilung, die jüngst durch die Presse ging, wonach in der st. gallischen Ortschaft Unterterzen, Gemeinde Quarten, bei einer Beerdigung das Geläute verweigert worden sein soll, hat sich nach den vom Ressortdepartement sofort eingezogenen amtlichen Erkundigungen als unrichtig herausgestellt.

Was den Beerdigungsfall Eberle anbetrifft, so ist der Klage der Familie Eberle sofort Folge gegeben und Untersuchung des Falles durch das zuständige Bezirksamt angeordnet worden. Nachdem nun aber laut Beschluß des Regierungsrates vom 30. Januar 1900 dem Gemeinderat von Mörschwil eine Rüge erteilt und im Wiederholungsfall Strafeinleitung angedroht worden ist, so ist nicht einzusehen, warum ,,im Interesse des konfessionellen Friedens"1 die Grabesruhe des Verstorbenen wieder gestört werden soll, da derselbe doch in der gesetzlichen Reihenfolge begraben und schließlich auch unter Glockengeläute, allerdings nicht unter dem ortsüblichen, begraben worden ist. Wäre die Leiche nicht in der ordentlichen Gräberreihe beerdigt, so hätte der Regierungsrat

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keinen Augenblick gezögert, die Exhumation anzuordnen. So wie die Verhältnisse aber liegen, ist diese außerordentliche Maßregel keineswegs gerechtfertigt. Die Abweisung der Beschwerdeführer ist um so mehr geboten, als der Bundesrat in seiner bisherigen Praxis, und zwar in gravierenderen Fällen als der vorliegende, sich nie zu Maßnahmen veranlaßt sah, wie sie von den Rekurrenten verlangt werden (vgl. Salis, schweizerisches Bundesrecht II, Nr. 738, 739», 740, 741).

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Art. 53 der Bundesverfassung überbindet den bürgerlichen Behörden die Pflicht, dafür zu sorgen, daß jeder schicklich beerdigt werden kann. Zu den Erfordernissen einer schicklichen Beerdigung gehört, wie der Bundesrat in konstanter Praxis angenommen hat, daß die Beerdigung überall da unter dem üblichen Glockengeläute geschieht, wo das Beerdigungsgeläute lokale oder kantonale Sitte und Brauch ist (Salis II, Nr. 734, 737, 741, Bundesrat i. S. Samuel Bill, vom 24. August 1897, Bundesbl. 1897, IV, 98 5 Bundesrat i. S. Jean Werro, vom 20. Juni 1898, Bundesbl.

1898, III, 861). Da nun im Kanton St. Gallen kraft Art. 22 der Vollzugsverordnung zum Begräbnisgesetz vom 22. Oktober 1873 bisher bei jedem Begräbnis geläutet worden ist, so hat sich der Gemeinderat von Mörschwil, wie der Regierungsrat von St. Gallen in seinem Beschluß vom 30. Januar 1900 mit Recht angenommen hat, einer Verletzung von Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung schuldig gemacht, indem er bei der Beerdigung des Joseph Eberle am 7. Dezember 1899 das Grabgeläute verweigerte. Diese Verletzung könne, so behaupten nun die Beschwerdeführer vor dem Bundesrat, nur damit gut gemacht werden, daß das zur schicklichen Beerdigung gehörige Grabgeläute nachgeholt, d. h. die Leiche wieder ausgegraben und unter dem üblichen Glockengeläute wieder begraben werde. Der Regierungsrat des Kantons St. Gallen glaubt, es sei Art. 53 der Bundesverfassung durch die dem fehlbaren Gemeinderat laut Regierungsratsbeschluß vom 30. Januar 1900 erteilte Rüge Genüge gethan.

Nach der in Ausführung von Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung befolgten Rekurspraxis hat der Bundesrat die Exhumation von Leichen seit dem Jahre 1874 ein einziges Mal von einer Kantonsregierung verlangt, im Falle Joseph Maria Schallberger,

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der sich in seiner Zelle im Untersuchungsgefängnis zu Staus erhängt hatte, und dessen Leichnam im Friedhof zu Stans abseits von der regelmäßigen Gräberreihe begraben worden war (Bundesrat vom 11. Januar 1895, Bundesbl. 1895, I, 62J; in einem ändern Falle, Charles Magnin in Almagell (Wallis), ordnete die Kantonsregierung auf eine beim Bundesrat erhobene Beschwerde, ohne die Entscheidung der Bundesbehörde abzuwarten, von sich aus die Ausgrabung einer Leiche an, weil dieselbe außerhalb des Kirchhofes beigesetzt worden war (Bundesbl. 1897, I, 390).

Die Exhumation, die an sich dem Pietätsgefühl gegenüber den Toten widerstrebt und das menschliche Gefühl stößt, rechtfertigte sich in den beiden Fällen nur aus dem Umstand, daß durch die Verletzung der Bundesverfassungsbestimmungen ein thatsächlicher Zustand geschaffen worden war, der dadurch, daß er fortdauernd jedermann sichtbar war, stetsfort die Unschicklichkeit jener Beerdigung vor Augen rief, und damit zu immer erneutem Ärgernis Anlaß geben mußte. Von alldem kann aber im Falle der Beerdigung des Josef Eberle nicht die Rede sein; hier besteht kein bleibendes äußeres Merkmal dafür, daß am 7. Dezember 1899 eine im Sinne der Bundesverfassung unschickliche Beerdigung vorgenommen worden ist, es handelt sich bloß um eine die Beerdigung begleitende Handlung, um eine bloße Form, wegen deren Nichtbeachtung Beschwerde geführt wird, und es ist zweifelhaft, ob der dem Akte gebührende Ernst gewahrt bliebe, wenn nur um der Beobachtung dieser Form willen die Ausgrabung und Wiederbestattung der Leiche erfolgte. Es hat daher der Bundesrat auch in allen Fällen, wo wegen ungerechtfertigter Verweigerung des Grabgeläutes bei ihm Beschwerde geführt worden war, nie die Ausgrabung einer Leiche angeordnet, sondern immer nur einen Tadel gegenüber der fehlbaren Kantons- oder Gemeindebehörde ausgesprochen, verbunden mit der Aufforderung an die Kantonsregierung, in ihrem Gebiet dafür besorgt zu sein, daß sich der Fall nicht wiederholen könne (Salis 738, 739«, 74l; Buridesrat in Sachen Samuel Bill, vom 24. August 1897 ; in Sachen Jean Werro, vom 20. Juni 1898, und in Sachen Margarethe Staudenmann, vom 20. Juni 1898, Bundesbl. 1898, III, 874). Nachdem der Regiernngsrat von St. Gallen von sich aus dem fehlharen Gemeinderat von Mörschwil eine Rüge erteilt, hat der Bundesrat keine
Veranlassung, weitere Maßregeln zu treffen.

Wenn schließlich die Beschwerdeführer behaupten, daß im Kanton St. Gallen mehrfache Verletzungen von Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung vorgekommen seien, so haben dieselben

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doch keinen bestimmten Fall namhaft gemacht, der dem Bundesrate Veranlassung zum Einschreiten geben würde. Zudem bestreitet der Regierungsrat, daß irgend eine Thatsache vorliege, die zu einer Beschwerde hätte Anlaß geben können.

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Bern, den 29. März 1900.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Hauser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft i Ringier.

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde der Familie Eberle, Wursthändlers, in Riedern, Gemeinde Mörschwil (Kanton St. Gallen), wegen unschicklicher Beerdigung. (Vom 29.

März 1900.)

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