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Schweizerische Bundesversammlung,

Die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft sind am 5. Juni zur ordentlichen Sommersession zusammengetreten.

Neugewähltes Mitglied : Ständerat.

Herr U s t e r i , Paul, von und in Zürich.

Im N a t i o n a l r a t eröffnete der abtretende Präsident, Herr R. Geilinger, die Session mit folgenden Worten : Meine Herren Nationalräte !

Seit der letzten Session hat die Bundesversammlung drei Mitglieder durch den Tod verloren.

Herr Nationalrat Henri S c h a l l e r ist 72 Jahre alt in Friburg gestorben. Nach einer sorgfältigen Erziehung im elterlichen Hause bildete er sich in Freiburg, Würzburg, Heidelberg und Paris zum Juristen aus. 1855 wurde er Kantonsgerichtsschreiber, 1857 Statthalter im Sensebezirk, 1858 Staatsrat, in welcher Stellung er bis zum Hinschied, 42 Jahre, wirkte. "Seine Thätigkeit war glücklich und fruchtbringend, a sagt einfach, aber wahr und vielsagend ein Nachruf. Von 1870 an war Herr Schauer Mitglied und 1892 Präsident des Ständerats ; 1896 trat er, nicht ohne Bedauern von seinen langjährigen Kollegen Abschied nehmend, in den Nationalrat über. Vornehm freundliches Wesen, Neigung zur Selbständigkeit, große Erfahrung im Verwaltungswesen, volle Hingabe an die Aufgabe zeichneten auch hier den Staatsmann aus. Noch sei gedacht seiner Leistungen als Schriftsteller. Die Werke, auf gewissenhafte Studien gestutzt, bilden wertvolle Beiträge zur Schweizergeschichte.

Dem freiburgischen Staatsrate folgte bald der waadtländische Adolf J o r d a n - M a r t i n , Nationalrat. Er ist 1845 zu Granges geboren, besuchte die öffentlichen Schulen, bildete sich beruflich in Zürich und Nancy zum Förster aus. Bereits 1871 wurde er Bezirksförster und 1879 Kantonsförster. Frühzeitig entwickelte sich in

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ihm auch der Sinn für das öffentliche Leben. Regen Anteil nimmt er an den kantonalen Angelegenheiten; er wird 1881 Staatsrat.

1881 als Mitglied des Nationalrates gewählt, tritt er schon 1883 zurück, infolge des Erlasses eines Gesetzes betreffend die Unvereinbarkeit von Amtsstellen; 1888 aber wird er Ständerat und 1895 dessen Präsident; 1896 kehrt er in den Nationalrat zurück. Er war Infanterieoberst. Auf kantonalem und eidgenössischem Boden hat Jordan-Martin eine leitende Stelle eingenommen trotz seiner Zurückhaltung. Schöne natürliche Anlagen, unermüdlicher Fleiß, Pflichttreue, reiche Kenntnisse und Erfahrungen sicherten ihm den Erfolg und den Ruf eines wahren Vertrauensmannes, als welcher r auch in der deutschen Schweiz wohl bekannt und geschätzt war.

Auch der Ständerat ist von Verlusten nicht verschont geblieben; das zürcherische Mitglied, Othmar B lu m e r, ist gestorben, im Alter von 52 Jahren. Glarus, seine Vaterstadt, verließ er frühzeitig, um in Winterthur die Industrieschule zu besuchen, und die kaufmännische Lehre zu bestehen in einem großen Fabrikationsgeschäfte, von welchem er nach mehrjährigem Aufenthalt im Auslande an leitende Stellung zurückgerufen wurde. Bald zählte er zu den hervorragendsten Vertretern von Handel und Industrie ; denn trotz gewaltiger Arbeitslast im engern Berufe, wirkte er mit Hingebung und Aufopferung bei einer ganzen Reihe von öffentlichen Unternehmungen. Daneben war er mit Leib und Seele Soldat, zuletzt Oberstbrigadier. Und auch an der Politik nahm er lebhaftesten Anteil. 1872--1887 war er Kantonsrat und 1890 wurde er als Ständerat gewählt. Neben außergewöhnlichem fachmännischem Können, das er stets bereitwillig der Allgemeinheit zur Verfügung hielt, zeichnete ihn rasche Auffassungs- und Darstellungsgabe auch auf andern Gebieten, insbesondere im öffentlichen Leben aus, für welches er denn auch ebenso erfolgreich wie anregend wirkte.

Wir werden den verblichenen Kollegen ein freundliches dankbares Andenken bewahren. Ich lade Sie ein, sich zu ihren Ehren :zu erheben.

Même Herren !

Hat der Tod in den wenigen Wochen seit der letzten Session reiche Ernte gehalten, so hat die Bundesversammlung auch einen Verlust anderer Art, der schmerzlich berührt, zu beklagen : durch die Volksabstimmung vom 20. Mai ist der von den Räten fast einstimmig beschlossene Entwurf für ein Gesetz betreffend K r a n k e n - ,

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T n t'ai 1- und M i l i t är V e r s i c h e r u n g verworfen worden; die große Mehrheit der Stimmherechtigten ist denjenigen, welchen es bei den Wahlen in die verschiedensten Behörden seit Jahren das Vertrauen geschenkt hat, nicht, sie ist andern Räten gefolgt.

Leider erscheinen die Beweggründe dazu und die Kampfmittel, die gewirkt haben in einem Lichte, welches ein so in das Mark des Volkslehens, in die Quelle des Elendes dringender Gegenstand nicht erträgt. Nicht der Freiheit geraubt werden sollten die Bürger ; den Ärmsten unter ihnen wollte man auch im Unglück die persönlich und ökonomische Selhständigkeit sichern. Nicht ein unerschwinglicher Abzug vom kärglichen Taglohn war beabsichtigt, wie manche, die anderseits dem Volke Genuß- und Festsucht vorwerfen, erklärten, nein, die Sorge in gesunden Tagen für die kranken. Nicht der eine sollte zu gunsten des andern benachteiligt werden, jeder hätte nach Verhältnis beigetragen. An den Vorwurf des Mißbrauches zu Partei/Zwecken sei mit Rücksicht auf die Natur der Sache nur erinnert. So herrscht eine Strömung, die eine grundsätzliche Lösung auszuschließen scheint. Ein rechtes Werk aber kann nur von Grund aus errichtet werden ; halbe Maßnahmen unterbinden große Gedanken.

Neben andern gewichtigen Vorteilen haben benachbarte Großstaaten denjenigen der Volksversicherung erfaßt. Unser Land wird gezwungen sein, dem Beispiel zu folgen, will es nicht wirtschaftlich allgemein zurückbleiben. Die große Frage aber bleibt bei der geschaffenen Sachlage offener als je: wann, wie?!

Im S t ä n d e r a t hielt Herr Präsident Robert bei der Eröffnung der Session folgende Ansprache : Geehrte Herren Koller/en !

Als wir uns am 31. März abbin trennten, war der Kampf über das Kranken- und Unfallversicherungsgesetz auf der ganzen Linie im vollen Gange, und schon damals gab sich keiner mehr unter uns allzu großen Hoffnungen betreffend das Schlußresultat der Abstimmung hin.

Am 20. Mai hat sich das Schweizervolk ausgesprochen und sein Urteil ist deutlich und klar.

Mit einer Mehrheit von 194,300 Stimmen (341,254 Nein gegen 146,954 Ja) hat es das Werk verworfen, welches ihm von den eidgenössischen Räten vorgelegt wurde und welches diese nach

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langer und mühsamer Arbeit in guten Treuen ihm glaubten empfehlen zu dürfen, das sie auch selber mit allen gegen eine Stimme angenommen hatten.

Die Volksmehrheit war in allen Kantonen, mit Ausnahme eines einzigen, verneinend.

Muß man nun deshalb die Flinte ins Korn werfen und an eine gänzliche Uneinigkeit zwischen Volk und Behörden denken?

Ich glaube es nicht. Das Spiel unserer demokratischen Institution ist heutzutage so gut geordnet, daß das Volk im allgemeinen die von seinen Geselzgebern ausgearbeiteten Gesetze als solche prüft, unbekümmert um alles Geschrei, das sich drum herum erhebt; an einem Tage nimmt es mit ungeheurer Mehrheit den Rückkauf der Eisenbahnen an, am folgenden Tage verwirft es mit gleicher Wucht ein kompliziertes Gesetz über die Versicherung; bei solchem Vorgehen denkt es, mit wenigen Ausnahmen, gar nicht daran, seinem Entscheide den Charakter einer Feindseligkeit gegen seine Vertreter zu geben. Es gebraucht einfach sein Recht im vollen Bewußtsein seiner Kraft, wohl wissend, daß es der Souverän ist.

Der Gesetzgeber aber, welcher auch seine Verantwortlichkeit hat, hat die Pflicht, inmitten dieser sich kreuzenden Meinungen sich zu orientieren, die schwachen Punkte aufzusuchen, unter so vielen Kritiken, welche im Verlaufe einer Referendumsperiode zu Tage treten, die Wahrheit herauszufinden. Diese Aufgabe ist um so verwickelter, als ein jeder in dieses Nachforschen hinein mehr oder weniger bewußt seine eigenen Vorurteile bringt ; die Meinung, welche ich hier äußere, meine Herren, hat also nicht mehr als eine andere den Anspruch auf volle Richtigkeit, dagegen hat sie das Verdienst, absolut aufrichtig zu sein, sie spiegelt meine innersten Gefühle wieder.

Das Versicherungsgesetz berührt allzu viele öffentliche und private Interessen, um nicht naturgemäß auf viel Zweifel und Mißtrauen zu stoßen.

Es wird sehr schwierig sein, diese verschiedenen Interessen zu vereinigen, es wird vielleicht unmöglich sein, dies zu thun, wenn man nicht in die ganze finanzielle Seite des zukünftigen Entwurfes mehr Klarheit hineinbringen kann.

Das Versicherungsgesetz ist unglücklicherweise in einem Augenblick gekommen, wo andere wichtige Fragen, die ebenfalls große finanzielle Opfer erfordern, in Untersuchung oder erst halb ausgeführt sind, und so hat das Schweizervolk, welches seine Finanzen in gutem Zustande bewahren will, denjenigen willig Gehör

272 geschenkt, welche ihm zuriefen, man gehe unbesonnene Verpflichtungen ein, und man betrete den Weg der Abenteuer.

Um unabhängig und stark zu bleiben, müssen vrir mit eifersüchtiger Sorge über die Finanzlage unseres Landes wachen. Wir wollen daher in Zukunft etwas mehr auf die Meinung derer hören, welche die großen Aufgaben eine nach der andern, aber niemals alle gleichzeitig lösen wollen.

Anderseits, meine Herren, glaube ich nicht, daß die Schweiz der Bewegung fernzubleiben gedenkt, welche die Menschheit zu einer immer wirksameren Besserung des Loses der Niedrigen und Schwachen hinzieht. Im Gegenteil will die Schweiz, ihrer Mission bewußt, an jedem guten Werke mithelfen, welches das Leben unserer am ungünstigsten gestellten Mitmenschen erträglicher ?AI machen strebt. Sie v'h'd die Lösung der Aufgabe zu finden wissen, welche nach dem Votum vom 20. Mai ihrer Prüfung fernerhin unterstellt bleibt. Diesbezüglich mag es gut sein, daran zu erinnern, daß es in einem demokratischen Staate oft Pflicht eines republikanischen Magistraten ist, den Weg zu weisen, ohne sieh allzu enge an das zu klammern, was man als die durchschnittliche öffentliche Meinung bezeichnen könnte.

In erster Linie wird die Militärversicherung, welche wohl oder übel das Schicksal des allgemeinen Versicherungsgesetzes teilen mußte, wieder aufgenommen und in kurzem zu gutem Ende geführt werden müssen, denn sie ist der einzige Teil des Entwurfes, odor nicht bemängelt wurde.

Zum Schlösse, geehrte Herren, noch eine kurze Feststellung.

Der Grundsatz der Volksversicherung war am 26. Oktober 1890 durch einen enthusiastischen Volksentscheid mit 191,028 Stimmen Mehrheit (283,228 Ja, 92,200 Nein) in die Bundesverfassung eingeführt worden.

Das Referendum gegen das Ausführungsgesetz dieses neuen Grundsatzes vereinigte 117,461 Stimmen.

Das Gesetz selbst ist, \vie ich es im Anfang sagte, mit einer Mehrheit von 194,300 Stimmen unterlegen.

Ich schließe daraus, daß, wenn man einen neuen Artikel in dio Verfassung unseres Landes einführen will, es logisch wäre, die praktische Tragweite des Yerfassungsartikels, welchen man dem Volke empfiehlt, wenigstens annähernd festzustellen und dem Volke kundzuthun. So würde man in Zukunft auf der einen wie auf der andern Seite manches Mißverständnis vermeiden: dies wäre klar und republikanisch.

273 Inzwischen stehen zahlreiche andere wichtige Aufgaben auf unserer Tagesordnung; wir gehen, geehrte Herren Kollegen, ans Werk mit dem aufrichtigen Willen und Wunsche, dieselben zu gutem Ende zu führen und sie .zum Wohle des Vaterlandes ausfallen zu sehen.

Hochgeachtete Herren Kollegen!

Seit unsrer letzten Session hat der Tod uns eines Kollegen beraubt, der einen hervorragenden Platz in diesem Rate einnahm, den ein jeder von uns schätzte und mit welchem eine schöne Zahl von Mitgliedern dieser Versammlung durch enge Bande der Liebe und Freundschaft verbunden war. Herr Othmar Blumer von Rorbas, dessen Gesundheit seit mehr als einem Jahre ernstlich erschüttert war, sah sich gezwungen, vom verflossenen Dezember an unsern Beratungen fernzubleiben ; von einem leider erfolglosen Aufenthalt in Egypten zurückgekehrt, ist er im schönsten Mannesalter am 25. April abbin im Schöße seiner tieftrauernden Familie dahingeschieden. Seine Beerdigung fand Samstag, 28. April, in Rorbas-Freienstein statt, inmitten großer, von allen Seiten herbeigeströmter Scharen der Bevölkerung und in Anwesenheit zahlreicher Mitglieder der eidgenössischen Behörden ; die gesetzgebenden Räte des Landes waren bei der Trauerfeier officiell vertreten.

Othmar Blumer wurde am 10. August 1848 in GHarus geboren.

Nachdem er die dortigen Schulen bis zum Alter von 16 Jahren besucht hatte, verweilte er einige Zeit an der Akademie von Neueuburg, welche er verließ, um sich definitiv den Geschäften zu widmen; ohnehin gehörte er ja einer Familie von Industriellen und Handelsleuten an. Sein Vater that ihn nach Winterthur in die Lehre ; dort gewann der Jüngling rasch das volle Vertrauen seiner Prinzipale, welche ihn nach Manchester und nach Havre als ihren Vertreter sandten; nach seiner Rückkehr nahmen sie ihn als Teilhaber auf. Unter der einsichtigen und energischen Einwirkung dieses jungen Chefs nahm das Haus, nachdem es im Laufe der Jahre verschiedene Umwandlungen durchgemacht, einen herrlichen Aufschwung: die Spinnerei in Rorbas-Freienstein beschäftigt eine sehr große Anzahl von Arbeitern ; sie nimmt in der industriellen Welt einen flotten Rang ein und zeugt von den bemerkenswerten Talenten und Fähigkeiten ihres hauptsächlichsten Leiters.

Obwohl Othmar Blumer keineswegs ein Politiker im engern Sinne dieses Wortes war, so trieb ihn dennoch seine Vaterlands-

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liebe zu den öffentlichen Geschäften, und zweimal nahm er das Mandat eines zürcherischen Kantonsrates an, zuerst von 1872 bis 1875 und hernach von 1878 bis 1887 ; im Jahre 1874 wurde er zürn Mitglied des Handelsgerichts seines Kantons gewählt.

Mehr als die Politik zog ihn das Militärwesen an ; sein energischer, resoluter und entschlossener Charakter Tand in den militärischen Fragen ein äußerst günstiges Arbeitsfeld ; er widmete sich diesem Gebiete mit freudigem Eifer und patriotischer Hingebung. Er machte daselbst eine prächtige Carriere, die ihm auch die schönsten Erinnerungen zurückließ ; als Beweis dafür nennen wir die dem General Herzog- gewidmete, fesselnde Broschüre, welche er 1891 als Oberstlietenant der Kavallerie unter dein Titel "Erinnerungen an die Grenzbesetzung von 1870--1871a veröffentlichte. Es waren dies die Aufzeichnungen eines einfachen Dragonerlieutenants ; denn Othmar Blumer hat seinen ganzen Dienst in der Kavallerie gethan, welcher er nach seiner eigenen Aussage von ganzem Herzen zugethan war. Im Jahre 1891 wurde er zum Kavallerieoberst befördert, 1892 ward er Chef der VI. Kavalleriebrigade; dies war der Gipfelpunkt seiner militärischen Laufbahn, aber auch ihr Ende, denn als er im Jahre 1893 das Kommando der XI. Infanteriebrigade erhielt, unter Umständen, auf welche zurückzukommen nicht nötig ist, da war seine ganze Liehe und Hingebung nicht mehr dabei, und er nahm schon 1895 seinen definitiven Abschied.

In den letzten Lebensjahren widmete Othmar Blumer seine Thätigkeit gleichzeitig seinem Geschäfte und der eidgenössischen Politik. Im Jahre 1890 in den Ständerat gewählt, that er sich in diesem Rate bald durch eine sehr rege Beteiligung an allen Beratungen über kommerzielle und industrielle Geschäfte hervor.

Im Juni 1893 finden wir ihn als Präsident der Zolltaritkommission ; seit 1894 Mitglied der mit der Prüfung der Schaffung einer schweizerischen Nationalbank betrauten Kommission, wahrte er energisch seinen von demjenigen der Mehrheit abweichenden Standpunkt und behielt sein Interesse für diese wichtige Frage noch zu einer Zeit bei, wo sein Gesundheitszustand ihm Schonung hätte gebieten sollen. Vom 7. Dezember 1896 bis zum 8. Juni 1897 stand er unserm Rate als Präsident vor; in allen Stellungen, welche unser Kollege bekleidete, zeichnete er sich durch klaren Geist, lebhafte
Intelligenz, Pünktlichkeit und ein bemerkenswertes Rednertalent aus.

Was aber Othmar Blumer vor allem charakterisierte, das war sein gerades Wesen, seine Artigkeit und Liebenswürdigkeit, sein wohlwollender Sinn, seine Herzensgüte: er war ein Edelmann im

275 besten Sinne des Wortes; so hat denn auch eine ihm nahestehende Zeitung, in welcher man oft seine Ansichten über die ökonomischen Tagesfragen niedergelegt fand, von ihm sagen dürfen : mehr noch als sein Talent, hat sein Charakter Othmar Blumer zum hervorragenden Manne gestempelt.

Der allzufrühe Tod unsers Othmar Blumer ist ein empfindlicher Verlust für seinen Kanton sowohl, wie auch für das gesamte schweizerische Vaterland.

Verehrteste Herren Kollegen !

In Freiburg starb Freitag den 18. Mai Herr Nationalrat Heinrich Schaller nach langer Krankheit. Von ganzem Herzen teilt der Stäuderat, dessen ältestes Mitglied Herr Schaller während langer Zeit war, das allgemeine Bedauern über den Hinscheid dieses verehrten Magistraten. Sein Begräbnis fand Montag den 21. Mai im Münster in Freiburg statt, im Beisein einer andächtigen Menge, sowie der Delegationen der eidgenössischen Räte und mehrerer Kantone.

Heinrich-Schauer wurde am 8. Oktober 1828 in Versailles geboren als Sohn des Herrn Jean von Schaller, welcher später Generalinspektor der f'reiburgischen Milizen und Staatsrat von Freiburg ward. Nach brillanten Rechtsstudien in Freiburg, Würzburg, Heidelberg und Paris kehrte Heinrich Schaller in sein Vaterland zurück, um daselbst die Praxis des Rechts auszuüben ; aber schon am 20. Dezember 1855 wurde der junge Mann zum Gerichtsschreiber des Kantonsgerichts ernannt; am 28. Juni 1857 berief ihn der Staatsrat an die Stelle eines Regierungsstatthalters des Sensebezirks, am 15. Oktober des gleichen Jahres wählte ihn der deutsche Sensebezirk als Mitglied des Großen Rates, in welchem er diesen Wahlkreis ununterbrochen bis zu seinem Tode repräsentierte. Am 11. Mai 1858 wurde er Staatsrat, und auch in dieser Behörde wirkte er bis an sein Lebensende ; er stand nacheinander den Departementen des Kultus, des Innern, des öffentlichen Unterrichts und der Polizei vor; 1881 und 1893 präsidierte er den freiburgischen Staatsrat.

Am 16. Februar 1870 wurde Schauer in den Ständerat gewählt, in weichern er bis zum 25. Oktober 1896 saß, und wo er vom 7. Juni 1892 bis 5. Juni 1893 die Stelle eines Präsidenten bekleidete.

Bei den allgemeinen Wahlen vom Oktober 1896 trat Herr Schaller in den Nationalrat über, als Vertreter des XXI. eidgenös-

276 siechen Wahlkreises ; im Jahr 1899 wiedergewählt, saß er iu diesem Rate bis zu seinem Tode, aber ohne darin je die lebhafte Thätigkeit zu entwickeln, welche wir ihn im Ständerat entfalten sahen, wo er als arbeitsfreudiger, erfahrener und feingebildeter Mann hochgeschätzt war, wo er sich so recht heimisch fühlte und wo sein Wort oft von maßgebender Wirkung gewesen ist.

In einem Lande, wo die Meinungen so scharf markiert sind wie in Freiburg, ist das von den Zeitungen der Opposition über einen Magistraten gefällte Urteil oft ein Prüfstein. In dieser Beziehung konstatieren wir mit Befriedigung die Äußerungen des Hauptorgans der Freiburger Liberalen, welches mit größtem Lobe die administrativen Talente Schallers, sowie seine feurige Vaterlandsliebe und seine unwandelbare Ergebenheit an den teuren Heimatkanton hervorhebt.

Heinrich Schaller war ein glänzender Redner. Er sprach gerne an den Festen seines Volkes, und er that es stets in packender Weise, dank seiner tiefen Bildung und seinen ausgedehnten Kenntnissen in der vaterländischen Geschichte ; er war einer der Ehrenpräsidenten des eidgenössischen Schützenfestes von 1881.

Die Geschichte und das Militärwesen zogen ihn lebhaft an; wie oft sahen ihn nicht unsere jungen Soldaten, sogar noch in vorgerücktem Alter, wie er mit den Truppen während der großen Herbstmanöver das Land durchlief, um sich mit eigenen Augen vom Grade der Ausbildung unserer Milizen zu überzeugen !

Seine Arbeiten : Geschichte der Schweizertruppen in französischen Diensten unter Napoleon I., Erinnerungen eines freiburgischen Offiziers (1798--1848, Jean von Schaller), Geschichte der päpstlichen Schweizergarde, welche successive von 1882 bis 1897 erschienen, und von denen die beiden ersten zwei Auflagen erlebten, sind von bleibendem Wert und werden noch häufig konsultiert werden.

Herr Schaller war ein Mann von vollendeter Artigkeit und von größter Liebenswürdigkeit, ein feiner Sprecher, besonders wenn er das Gebiet der Geschichte betrat; er hinterläßt in den eidgenössischen Räten zahlreiche Freunde und das Andenken eines erw leuchteten und wohlwollenden Magistraten.

ö Verehrte Herren Kollegen !

Mit aufrichtigem Schmerze muß ich den zwei vorausgegangeneu Nekrologen noch einen dritten beifügen, denjenigen für unsern

277 einstigen Kollegen und Präsidenten, Herrn Adolf Jordan-Martin, Nationalrat, welcher Sonntag den 27. Mai abhin den Angriffen einer Krankheit erlegen ist, deren Fortschreiten wir leider im Verlaufe der letzten Jahre von Session zu Session wahrnehmen konnten.

Seine Beerdigung fand am 29. Mai in Lausanne statt, inmitten der Sympathiebezeugungen der ganzen Bevölkerung.

Jordan wurde am 16. Juli 1845 in Granges bei Payerne geboren. Er besuchte die städtischen Schulen von Moudon, dann das eidgenössische Polytechnikum und trat hernach in die Forstschule von Nancy über; im Jahre 1866 war er bereits diplomierter Förster.

Von 1871 bis 1879 ist er Kreisförster des Broyebezirkes, am 11. November 1879 wird er zum Generalinspektor der Wälder des Kantons Waadt befördert; dies waren vielleicht seine schönsten Lebensjahre, jedenfalls haben wir selber ihn wiederholt sagen hören, daß dort das wahre Glück liegt. Und wie sollte dies uns wundern : Sohn eines Landwirtes, kannte Jordan die Natur gar gut, ebenso sehr und mehr noch als andere wußte er ihre herrlichen Reize zu schätzen.

Aber Jordan hatte noch andere Neigungen ; die Politik zog ihn an, und er zögerte nicht, mit seiner ganzen Lebhaftigkeit sich ihr hinzugeben.

Am 30. Oktober 1881 ward er vom XLVI. eidgenössischen Wahlkreis (waadtländischer Nordkreis) in den Nationalrat gewählt; bald aber mußte er dieses Mandat niederlegen, da er sich in die Bestimmungen des Gesetzes von 1883 über die Unvereinbarkeit von Ämtern einbezogen sah.

Am 13. November 1883 wird er in den Staatsrat seines Kantons gewählt ; er übernimmt daselbst die Direktion der öffentlichen Bauten, welcher er den Stempel großer und fruchtbarer Thätigkeit aufdrückt. Er präsidierte den Waadtländer Staatsrat in den Jahren 1885, 1893 und 1900.

Im Juni 1888 kehrt er in die eidgenössischen Räte zurück, und zwar als Abgeordneter in den Ständerat, wo er bis 1896 saß; er stand an der Spitze dieses Rates vom 4. Juni 1895 bis 1. Juni 1896.

Am 25. Oktober 1896 tritt er neuerdings in den Nationalrat ein, als Vertreter des XLVI. Wahlkreises.

. Er hat eifrig an der Fusion der Suisse Occidentale mit der Jura-Bern-Luzern-Bahn mitgewirkt, ferner am Rückkauf der schweiBundesblatt. 52. Jahrg. Bd. III.

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278 zerischen Eisenbahnen, an dem großen Werke der Durchbohrung des Simplons ; bis zu seinem Tode saß er im Verwaltungsrate der Jura-Simplon-Bahn.

Wenige Männer haben, seit Ruchonnet, in unsern Tagen im Kanton Waadt einen so großen und so bleibenden Einfluß ausgeübt, wie er.

Im Militär hat Jordan-Martin die ganze Stufenleiter des Dienstes erstiegen : wir linden ihn nacheinander als Kommandant des Infanteriebataillons Nr. 4 des Auszugs, als Chef des AuszügerInfanterieregiments Nr. II, und zuletzt als Oberst, Chef der II. Infanteriebrigade der Landwehr.

In allen Stellungen, welche er einnahm, wurde Jordan-Martin geschätzt als eine große Arbeitskraft, als ein ehrenhafter, gewissenhafter, umsichtiger und energischer Chef. In den eidgenössischen Räten genoß er sehr großes Zutrauen ; es ist mir wohl gestattet, heute zu sagen, daß mehr als einmal seine Kollegen beider Räte ihre Blicke auf ihn geworfen hatten, um ihn in die höchste Behörde des Landes zu berufen; nur specielle Verhältnisse bewirkten, daß es anders ward.

Noch lange wird man sich, im Volke wie in den Behörden, welchen er angehörte, dieser offenen und loyalen Gesichts/üge erinnern, welche die Aufrichtigkeit \\-iederspiegelten und Zutrauen einflößten.

In Ihrer aller Namen, meine Herren, entbiete ich in tiefer Ehrfurcht unsern letzten Gruß dem Andenken unseres verblichenen, tief betrauerten Kollegen Adolf Jordan-Martin.

Indem ich heute in Ihrem Namen den so tief beklagten Kollegen ein letztes Lebewohl zurufe, fordere ich Sie, meine Herren, auf, zu Ehren ihres Andenkens sich von Ihren Sitzen zu erheben.

Die Neubestellung der Bureaux ergab folgendes Resultat: Nationalrat.

Präsident: Herr B u h l r n a n n , Fritz, von und in Großhöchstetten (Bern), bisheriger Vizepräsident.

Vizepräsident: ,, A d o r , Gustav, von Genf, in Cologny.

279 Stimmenzähler: Herr ,, ,, ,,

A b e g g , Johann Jakob, von und in Küsnach.

P a i l l a r d , Emile, von Ste.Croix, in Yverdon.

S t a u b , Josef Othmar, von und in Goßau.

Zi m m er m an n , Johann, von Lyß, in Aarberg.

Ständerat.

Präsident :

Herr L e u m a n n, Georg, von Mattwil, in Frauenfeld, bisheriger Vizepräsident.

Vizepräsident: ,, R ei c h i i n, Karl, von und in Schwyz.

Stimmenzähler : ., A m m an n, Albort, von und in Schaffhausen.

,, D ä h l e r , Edmund, von und in Appenzell.

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Aus den Verhandlungen des Schweiz. Bundesrates.

(Vom 29. Mai 1900.)

Es werden folgende Bundesbeiträge bewilligt: Dem Kanton 8t. Gallen an die Kosten der Güterzusammenlegung, verbunden mit Weganlagen und Kanalisation einer Fläche von rund 400 ha. im Simmigebiet, Gemeinde Garns, 40 °/o, im .Maximum Fr. 84,400.

Dem Kanton T e s s i n zu Händen des Konsortiums Rusca an , die Kosten der planmäßigen Urbarisierung von cirka 6 ha. des Maggiadeltas bei Locamo, 20 °/o, im Maximum Fr. 1900.

Herr Major P. T s c h u d i in Sehwanden (Glarus) wird auf :sein Gesuch vom Kommando des Schützenbataillons Nr. 8 entlassen und nach Art. 58 der Militärorganisation zur Disposition gestellt.

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1900

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23

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06.06.1900

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