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Bundesratsbeschluß betreffend

die Beschwerde des J. Goßweiler und Konsorten, Milchlieferanten, betreffend Beschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit (Vorschriften über Milchverkauf in der Stadt Zürich).

(Vom 19. Juni 1900.)

Der schweizerische Bundes rat hat über die Beschwerde des J. G o ß w e i l e r und K o n s o r t e n , Milchlieferanten, betreffend Beschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit (Vorschriften über Milchverkauf in der Stadt Zürich) ; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt.

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

In Anwendung des § 6 der Verordnung betreffend den Verkehr mit Milch und Milchprodukten, vom 5. Dezember 1898, wurden für die Stadt Zürich eine Anzahl besonderer Vorschriften über Aufbewahrung, Transport und Verkauf von Milch erlassen.

Sie sind als Verordnung unter dem Titel ,,Vorschriften für den Milchverkehr". vom Großen Stadtrate am 30. September 1899 erlassen und darauf gemäß § 19 des Zuteilungsgesetzes, unter AnBundesblatt. 52. Jahrg. Bd. III.

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Setzung der Frist für das Verlangen nach Gemeindeabstimmung., veröffentlicht worden ; ein Verlangen nach einer Volksabstimmunglief nicht ein.

Den 8. November 1899 suchte der Stadtrat Zürich beim Regierungsrate die Genehmigung der Verordnung nach, damit dieselbe auf 1. Januar 1900 in Kraft gesetzt werden könne.

In einer den 16. Oktober 1899 eingegangenen Eingabe hatten 22 Milchlieferanten gegen Art. 3 der ,,Vorschriften über den Milchverkehr a beim Regierungsrate Beschwerde eingelegt; dio angefochtene Bestimmung lautet: Es dürfen keine übelriechenden oder in Gärung befindlichen Stoffe (Schweinefutter u. dgl.) mitgeführt werden. Zur Begründung dieses Verbotes führte der Stadtrat aus : Im höchsten Grade unappetitlich ist die Gepflogenheit einer Anzahl von Milchverkäufern, auf ihren Fuhrwerken neben den Milchgefäßen Gefäße für Schweinefutter zu führen. Ob leer oder gefüllt, diese Gefäße stinken; sie enthalten Fäulniskeime, deren Übertragung auf die Milch schädlich wirkt. Das gleichzeitige Hantieren mit Milch- und Schweinefuttergefäßen verhindert die beim Milchverkauf gebotene Reinlichkeit; das Gebot der Gesundheitspflege, mit diesem Unfug zu brechen, wird mir wirksam, wenn das Mitführen von Schweinefutter und Gefäßen für solches den Milchverkäufern verboten wird. Daß dadurch landwirtschaftliche Interessen oder der freie Verkehr in unzulässiger Weise beeinträchtigt werden, ist nicht glaubhaft, liei der Beratung im Großen Stadtrato hat keine einzige Stimme sich namens der Landwirtschaft gegen das Verbot erhohen. Die Maßregel trifft auch nur eine kleine Minderzahl von Milchlieferanten ; von den 555 derselben führen nur 41 zugleich Schweinefutter mit. Der Uequemlichkeit dieser geringen Zahl von Interessenten zuliehe darf man aber nicht einen offenbar ogesundheitswidrigen und ekelhaften O Übelstand, der in keiner andern, auf Gesundheit und Sauberkeit haltenden Stadt zu treffen ist, fortdauern lassen. Eine Beschwerde gegen eine den 9. Februar 1887 vom Zürcher Stadtrate erlassene ähnliche Bestimmung hat der Regierungsrat den 12. November 1887 allerdings als begründet erklärt, aber nur aus formellen Gründen, da die Verordnung nicht der regierungsrätlichen Genehmigung unterbreitet worden war; der Regierungsrat hatte also keine Gelegenheit, sich materiell über die Frage auszusprechen, ob auf Milchfuhrwerken Gefäße, welche übelriechende Stoffe enthalten,, mitgeführt werden dürfen.

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Die Direktion des Gesundheitswesens beantragte dem Regierungsrate, dem Art. 3 der ,,Vorschriften" die Genehmigung zu erteilen und damit den Rekurs der 22 Milchhändler abzuweisen.

Die Gründe, welche der Stadtrat Zürich für die Aufstellung des Verbotes vorbringe, seien zutreffend. Das Schweinefutter stammt aus Gasthöfen, Kostgebereien, aus dem Waisenhaus, dem Pfrundhaus, dem Biirgerasyl etc. Es besteht aus Suppen, Fleischresten, Küchenabfällen (Kartoffeln, Gemüse), und wird wöchentlich gegen Bezahlung von den Milchhändlera ein- bis zweimal abgeholt. Die hierfür bestimmten leeren Gefäße, welche morgens mit der Milch zur Stadt gebracht werden, stinken gewöhnlich noch mehr als die gefüllten, welche nach Hause geführt werden. In Milch- und Brotverkaufslokalen werden keine Artikel geduldet, welche auf die Nahrungsmittel schädlich oder unappetitlich einwirken ; es soll auch nicht gestattet sein, auf den Milchfuhrwerken stinkende und in Gärung übergegangene Stoffe herumzuführen. Solange dieser Mißbrauch besteht, wird es unmöglich sein, für die Milchfuhrwerke diejenige Reinlichkeit zu verlangen, welche der Transport eines so leicht der Verderbnis unterworfenen Lebensmittels erfordert.

Die Milchhändler haben vielfach auch die Gewohnheit, für ihren eigenen Haushalt, für denjenigen der Nachbarn oder für Viktualienhändler ihres Dorfes regelmäßig Fleisch, Brot, Spezereien etc. nach Hause zu fuhren ; auf dasselbe Fuhrwerk gehört kein Sehweinefutter.

Durch Schlußnahme vom 2. Dezember 1899 verfügte der Regierungsrat des Kantons Zürich : I. Den vom Großen Stadtrat der Stadt Zürich aufgestellten .,Vorschriften für den Milchverkauf", vom 30. September 1899, wird auf Zusehen hin die Genehmigung erteilt, immerhin in der Meinung, daß auch für diese Specialverordnung den Interessenten gemäß § 32 der Verordnung betreffend die örtlichen Gesundheitsbehörden, vom 25. Juli / 24. August 1883, das ßekursrecht gegen Verfügungen des städtischen Gesundheitsamtes gewahrt ist.

II. Die Einsprache des Herrn J. Goßweiler, Landwirt, in Seebach, und Mitpetenten, gegen das Verbot des Mitführens übelriechender oder in Gärung befindlicher Stoße (Schweinefutter und dergleichen) auf den Milchfuhrwerken (Art. 3 der citierten Vorschriften) wird als unbegründet abgewiesen.

II.

Gegen diese Schlußnahme erhob irn Namen von dreiundzwanzig Auftraggebern Landwirt J. Goßweiler in Seebach den 22./29. De-

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zember 1899 die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Handels- und Grewerbefreiheit. Er stellt das Begehren, es sei das angefochtene Verbot vom Bundesrate aufzuheben, eventuell doch so weit, als durch dasselbe verhindert werden wolle, auf den Milchwagen auch Speiseabfalle nach Hause zu führen. Zur Begründung wird angeführt: Der bloße Betrieb der Landwirtschaft reicht nicht mehr aus zu Bestreitung der Steuern, Zinse, Kosten und des Lebensunterhaltes. Der Landwirt ist genötigt, noch andere Erwerbszweige in den Bereich seiner Thätigkeit au ziehen; einen solchen Zweig bildet die Schweinezucht, deren Betrieb aber nur lohnend ist, wenn die Fütterung der Tiere nicht hoch zu stehen kommt; ein Mittel zu solcher Verbilliguug bildet der Bezug von Speiseabfällen aus den Gasthöfen etc. Die Abfälle müssen alle zwei Tage abgeholt werden, und zwar, der Entfernung wegen, mittelst Fuhrwerks.

Blüßte man ausschließlich zu diesem Zwecke nach diesen Abfällen fahren, so wäre die Rendite fraglich; jedenfalls würde sie auf ein Minimum herabsinken. Die unterzeichneten Beschwerdeführer und noch viele andere Milchproduzenten in der Entfernung von l bis 8 Stunden von Zürich, die täglich Milch in die Stadt führen, befassen sich seit vielen Jahren mit dem Bezug von Speiseabfällen.

Im Jahre 1887 hat auch der Regierungsrat diesen Erwerbszweig durch Gutheißung eines gegen das Verbot gerichteten Rekurses geschützt; was damals richtig war, ist es heute noch.

Das jetzige Verbot wird mit sanitätspolizeilichen Gründen zu rechtfertigen gesucht. Es giebt nun Leute, welche der Meinung sind, es sei für die Gesundheitsverhältnisse von Zürich gefährlicher, wenn die Speiseabfalle, welche jetzt ziemlich regelmäßig abgeholt werden, tagelang in den Grasthöfen liegen bleiben und diese, namentlich im Sommer, verpesten. Aber angenommen, es treffen die sanitätspolizeilichen Erwägungen dort zu, wo die Speiseabfälle bei der Milch placiert werden, so kann dagegen dann keine Rede von einer solchen Gefahr sein, wenn die Milch vorerst an die Kunden abgegeben wird, und die Abfälle erst nachher bezogen und in besondern Gefallen nach Hause geführt werden. Es ist unerfindlich, wie man dazu kommen kann, zu verbieten, daß diese Gefäße auf den Milch wagen geladen werden ; es fehlt nur noch, daß mau den Gebrauch der Milchwagen zum Transport von
Speiseresten überhaupt verbietet. Ganz gleichzustellen ist aber einem solchen Verbot dasjenige des Transportes von Speiscabfallen n a c h dem Verkauf der Milch, wann also die letztere

449 mit denselben nicht mehr in Berührung kommt. Ein solches Verbot ist nicht mehr durch gesundheitspolizeiliche Gründe zu rechtfertigen, sondern enthält eine unzulässige Beschränkung des Einzelnen in der Benützung seines Eigentums und dem Betriebe seines Gewerbes, die absolut keinen Zweck hat. Ob das Verbot viele oder nur einen Einzigen schädige, ist rechtlich ganz gleichgültig, wenn die Maßregel an sich verfassungswidrig ist. Übrigens sei bemerkt, daß eben leider in Zürich nicht mehr als für die aufgeführten Abnehmer Speiseabfälle erhältlich sind, sonst würden sich gewiß auch mehr Bezüger einfinden. Und für diese handelt es sich nicht nur um eine bloße ,,Bequemlichkeit'11, sondern um materiellen Vor- oder Nachteil : es ist gewiß nicht gleichgültig, ob man mit einem Wagen Milch nach Zürich führen und auf dem Rückwege etwas anderes mit nach Hause nehmen kann, oder ob man die Fahrt zum selben Zwecke zweimal machen muß. Letzteres wäre aber der Fall, wenn das angefochtene Verbot aufrecht erhalten bliebe. Ein gemeinsamer Bezug, an den man allfällig denken könnte, um die Härten des Verbotes zu mildern, ist wegen der verschiedenen Wohnorte der Bezüger und der verschiedenen Interessen derselben nicht möglich.

Die Beschwerdeführer sind damit einverstanden, daß die Polizei auf größte Reinlichkeit der Milchfuhrwerke und der Gefäße halte ; auch soll ihr freistehen^ im einzelnen Falle sich davon zu überzeugen, ob die Speiseabfälle übel riechen oder in Gärung übergegangen seien ; was aber darüber hinausgeht, berührt ein Gebiet, auf dem die Behörden weder etwas zu gestatten, noch 2.11 verbieten haben.

III.

Der Regierungsrat des Kantons Zürich beantragt in seiner Vernehmlassimg vom 1. Februar 1900 Abweisung der Beschwerde, unter folgender Begründung: Die angefochtene Bestimmung hat zur formellen Grundlage die kantonale Verordnung betreffend den Verkehr mit Milch und Milchprodukten, vom 5. Degember 1898, insbesondere § 6 derselben, lautend : Die örtlichen Gesundheitsbehörden sind ferner berechtigt, über Aufbewahrung, Transport und Verkauf von Milch speeielle Vorschriften zu erlassen, welche indessen der Genehmigung des Regierungsrates bedürfen. In Ausführung dieses § 6 hat der Stadtrat Zürich den 30. September 1899 die Verordnung mit der Bestimmung über das Abführen von Schweinefutter er-

450 lassen; dieso erhielt den 2. Dezember 189S) die vorgesehene regierungsrätliche Genehmigung.

Die angefochtene Bestimmung ist lediglich eine Polizeiverschrift, welche für eines der wichtigsten und subtil zu behandelnden Nahrungsmittel im Interesse der Konsumenten aufgestellt wurde.

Das Gewerbe der Schweinemästerei wird in keiner Weise beeinträchtigt; niemand hindert die Landwirte in Seebach etc., so viel Schweine zu halten, als sie wollen, und die Abfälle aus den Gasthöfen der Stadt als Futter für dieselben heimzuführen ; nur sollen sie das nicht auf Wagen thun, welche zum Transport der Milch dienen. Ähnliche Bestimmungen enthält die Verordnung betreffend den Verkauf von Brot, vom 19. Dezember 1895 ; so in § 6 : Der Kontrolle sind unterstellt die Lokalitäten, in denen die Zubereitung und der Verkauf des Broies stattfindet, sowie die linden Verschleiß desselben bestimmten Transportmittel ; und in § 4 : Verkaufsmittel, welche auf das Brot schädlich oder unappetitlich einwirken, dürfen in Verkaufslokalen nicht gehalten werden. Nie sind von irgend welcher Seite diese Vorschriften als Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung angefochten worden. Schweinemast und Schweinehaltung überhaupt, als Nebengewerbe des Landwirtschaftsbetriebes der Rekurrenten, sind übrigens durchaus nicht abhängig von dem Bezug der Speiseabfälle aus der Stadt; die große Mehrzahl der Landwirte des Kantons ist von diesem Bezüge ausgeschlossen; das Gewerbe der Landwirtschaft in Seebach etc. kann aber keine besondere Vergünstigung beanspruchen, insbesondere nicht, wenn solche nur auf Kosten dur sanitarischen Interessen der Milchkonsumenten erfolgen würde.

Die Verfassung des Kautons Zürich setzt allerdings fest, dass die Ausübung jeder Berufsart in Kunst und Wissenschaft, Handel und Gewerbe frei sei ; vorbehalten aber sind die gesetzlichen und polizeilichen Vorschriften, welche das öffentliche Wohl erfordert.

Es steht nun fest, daß die Milch ein außerordentlich geeigneter Nährboden für die Bakterien, insbesondere diejenigen der Fäulnis ist ; ebenso weiß man, daß Milch durch Vermittlung der Luft sehr laicht Gerüche von in der Nähe befindlichen Stoffen aufnimmt.

Solche Schädlichkeiten linden sich auf den Fuhrwerken der Landwirte, sobald gestattet ist, die leeren oder gefüllten Gefäße für die Abfälle mitzuführen. Die leeren
Gel'äße, welche morgens mit der Milch zur Stadt gebracht werden, riechen gewöhnlich noch übler als die gefüllten, welche nach Hause geführt werden. Solange dieser Mißbrauch besteht, ist es ganz unmöglich, für die Wagon

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·diejenige Reinlichkeit zu verlangen, welche der Transport eines der Verderbnis so leicht ausgesetzten Nahrungsmittels, \vie die Milch es ist, erfordert. Die Landwirte beziehen für den Liter Milch in der Stadt 20 Rappen; sie sind somit wesentlich besser gestellt als diejenigen, welche in den äußern Bezirken des Kantons wohnen, ihre Milch au Sennereien u. dgl. abgeben und hierfür 14 Rappen und noch weniger per Liter erhalten. Auch die BeM'ohner der Stadt Zürich sind berechtigt, die Abgabe dieses besonders für die Kinder wichtigen Nahrungsmittels in einer Weise zu verlangen, daß jede sanitäre Gefährdung für sie ausgeschlossen erseheint. Von einer Beschränkung des Einzelnen in der Benutzung seines Fuhrwerkes kann im Ernste nicht gesprochen werden ; es ist den Landwirten nach wie vor gestattet, ihre Wagen zum Transport von Gemüse, Eiern, Brot, Fleisch etc. zu benützen.

Daß übrigens das Verfahren der Beschwerde führenden Landwirte von den eigenen Standesgenossen verurteilt wird, ist aus dem offiziellen Organ des Schweiz. Bauernbundes, Nr. l, vom 5. Januar 1900, das zu den Akten gelegt wird, ersichtlich.

Einern Gesuche der Beschwerdeführer, die Ausführung des angefochtenen Verbotes bis zum Entscheide des Bundesrates zu sistieren, kam der Regierungsrat des Kantons Zürich von sich aus nach.

IV.

a. Mit Eingabe vom 25./31. Januar 1900 unterstützte die ,., Gesellschaft vereinigter Landwirte und Milchhändler von Zürich und Umgebung" die Beschwerde von J. Goßweiler und Konsorten; sie teilte folgenden, an der Generalversammlung vom 23. Januar 1900 einstimmig gefaßten Beschluß mit: Der Rekurs der Milchhändler sei in der Weise zu unterstützen, daß die Verordnung des Großen Stadtrates dahin abgeändert werden möchte : 1. daß auf dem Hinweg auf den Milchwagen nur leere, ä u ß e r s t r e i n l i c h g e h a l t e n e Gefäße für Aufnahme von Sclnveinefutter mitgenommen werden dürfen ; 2. während dem Milchabgeben an die Konsumenten dürfen auf den Milchwagen k e i n e mit Schweinefutter gefüllten Gefäße sich befinden ; 3. dagegen soll es gestattet sein, nach Beendigung des Milchverkaufes Gefäße mit Schweinefutter aufzuladen und abzuführen.

452 Die angeführte Gesellschaft ist der Ansicht, wenn der Bundesrat seinen Entscheid in diesem Sinne fällen würde, wäre damit den Landwirten und Milchhändlern geholfen und auch in samtarischer Beziehung allen nötigen Anforderungen Genüge geleistet.

b. Der Regierungsrat erwiderte den 17. Februar 1900 auf diese Eingabe : Die vorgeschlagene Regelung hilft dem Übelstande nicht ab, den Art. 3 der fl Vorschriften für den Milchverkehra beseitigen will. Daß es äußerst schwer halten würde, die Durchführung der vorgeschlagenen Bestimmungen zu kontrollieren, leuchtet ohne weiteres ein; es müßte jedem Milchwagen schon von Hause aus ein Organ der Sanitätspolizei zur Seite gestellt werden, sonst wären die Schweinefuttergefäße nach wie vor nichts weniger als ,,äußerst reinlich"1 ; die Vorschrift, daß nicht während des Milchabgebons an die Konsumenten, sondern erst nach Leerung der Milchgefäße die Aufnahme von Schweinefutter erfolgen dürfe, wird stets umgangen werden können. Aber selbst wenn die Bestimmungen^ wie sie nun angedeutet werden, durchführbar wären, müßte dagegen Stellung genommen werden. Denn die sanitarisch einzigrichtige Lösung ist diejenige, daß auf Milchfuhrwerken weder gefüllte, noch leere Schweinefuttergefäße Platz finden dürfen ; es wird auf die Begründung der Beschwerdebeantwortung, sowie die in Kopie eingegebene Vernehmlassung der stadtzürcherischen Gesundheitsbehörde vom 15. Januar 1900, auf die sich jene stützt, verwiesen. Zu bemerken ist übrigens, daß die Intervenientin, so breit auch ihr Name angelegt ist, nur eine kleine Vereinigung von cirkei 30 Interessenten darstellt.

V.

Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement übermittelte; nach Schluß des Schriftenwechsels, den 13. März 1900, dem schweizerischen Gesundheitsamte die Frage zur Begutachtimg, ob im Mitführen von gefüllten oder leeren Sehweinefuttergefäßen auf Milchwagen eine den öffentlichen Gesundheitsverhältnissen einer Stadt nachteilige Art des Gewerbebetriebes der Milchlieferanten erblickt werden müsse, beziehungsweise ob die angefochtene Verordnungsbestimmung als sanitätspolizeilich notwendige Maßregel erachtet werden könne ; auch die Eventualfrage wurde der Beurteilung dieses Amtes unterstellt, ob die Vorschläge in der Eingabe der ^Gesellschaft vereinigter Landwirte und Milchhändler von Zürich"durchführbar seien und praktisch zu dem gewünschten sanitätspolizeilichen Ziele führen.

453 la seiner Vernehmlassimg vom 21. Mai 1900 kam das schweizerische Gesundheitsamt zu folgenden Schlüssen: I. Vor allem muß gesagt werden, daß die Milch, dieses so außerordentlich wichtige Nahrungsmittel, namentlich für die Kinder, sehr leicht dem Verderben ausgesetzt ist. Der Grund hierfür liegt einerseits in ihrer Zusammensetzung, anderseits in dem Umstand, daß die Milch außerordentlich schwer var Verunreinigungen zu bewahren ist, welche in Form von Staub aus der Luft, von unreinen Händen der damit manipulierenden Personen, von unsaubern Gefäßen, vom Euter der Milchtiere etc. hineingelangen und nicht selten zu wertvermindernden oder zu gesundheitsschädlichen Veränderungen der Milch führen. Diese letztern werden namentlich durch gärungserregende oder zersetzende Bakterien erzeugt, welche namentlich in unreinlichen Lokalen oder von in der Nähe befindlichen Gärungsherden aus gar leicht in die Milch gelangen und sich dort vermehren. Überhaupt ist die Milch ein günstiger Nährboden für allerhand Keime, darunter auch eine Reihe von Krankheitserregern (Typhus- und Cholerabacillen, Pneumoniekokken, Eiterkokken etc.) ; auch hat sie eine ausgesprochene Tendenz, Riechstoffe aller Art aufzunehmen und zu binden, wodurch sie mindestens ihren Wohlgeschmack verliert und nicht selten übelriechend wird.

Es ist nach dem Gesagten ohne weiteres klar, daß nicht nur bei dem Melkgeschäft, sondern ganz besonders bei der nachherigen Behandlung und überhaupt bei dem ganzen Verkehr mit der Milch die größte Sorgfalt und Reinlichkeit beobachtet werden muß, wenn die Milch gut bleiben und vor schädlichen Veränderungen bewahrt werden soll. Die Behörden haben also alle Ursache, den Verkehr mit Milch genau zu überwachen und eingehende Vorschriften hierüber aufzustellen, die sich nicht nur auf die Zusammensetzung der Milch (Gehalt an Fett, Casei'n etc.), sondern auch auf die Aufbewahrung«- und Verkehrsräume, auf die Aufbewahrung^- undTransportgefäße und die Haltung des Milchviehs erstrecken.

Was nun speciell den Milchtransport anbetrifft, so kann es keinem Zweifel unterliegen, daß das Mitführen von übelriechenden oder in Gärung befindlichen Stoffen auf den Milchwagen eine vom hygieinischen Standpunkt aus verwerfliche Art des Gewerbebetriebes der Milchlieferanten darstellt. Daß Schweinefuttergefäße, gefüllt oder leer, übelriechend
sind und Gärungsei reger in Masse enthalten, dürfte unbestritten sein. Eine gründliche Reinigung dieser aus Holz bestehenden Gefäße findet erfahrungsgemäß nicht statt und ist überhaupt schwer durchführbar. Zudem wird beim Aufund Abladen der gefüllten Gefäße, sowie beim Transport in der

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Regel von dein in Zersetzung befindlichen Inhalte verschüttet, damit der Wagen verunreinigt und, wenn derselbe nicht jedesmal gründlich gereinigt wird, eine neue Quelle für allfällige Verunreinigungen der Milch durch Gärungserreger geschaffen. Das Verbot, zugleich mit den Milchgefässen auch gefüllte oder leere Schweinefuttergefäße auf den Milchwagen zu transportieren, ist somit eine sanitätspolizeilich wohlbegründete Maßregel.

Übrigens bestehen in verschiedenen Schweizerstädten und Kautonen seit Jahren Vorschriften betreffend den Milchtransport, die ebenso weit gehen wie die angefochtene. So bestimmt Waadt, arrêté concernant le transport et la vento du lait et du beurre, du 1er septembre 1892: Le transport du lait destiné à être consommé on nature doit être effectué dans des conditions telles que tout risque de corruption ou de contamination soie absolument écarté. Il est spécialement interdit do transporter des débris do cuisine (lavures, etc.) sur les chars servant au transport du lait.

(Art. 1). Die baselstädtische Verordnung betreffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen, vom 19. Mai 1894, enthält in § 10, Absatz 5, folgende Vorschrift: Ebenso müssen die für den Trausport der Milch dienenden Fuhrwerke reinlich gehalten und dürfen nicht auch für Beförderung übelriechender Gegenstände, Abfallstoffe u. dgl. verwendet worden.

Die Verordnung der Stadt Bern betreffend den Milchtransport, von 1887/88, vorbietet nur das Mitfuhren übelriechender oder in Gärung befindlicher Stoffe, wie Schweinefutter u. dgl., gleichzeitig mit Milch haltenden Gefäßen auf den Milchwagen. Die strengem Vorschriften von Basel, Waadt und Zürich sind aber vorzuziehen.

II. Die Vorschläge des Vereins vereinigter Landwirte und Milchhändler von Zürich und Umgehung sind nicht konsequent durchführbar und führen nicht zu dem gewollten sanitätspolizeiliehen Ziele. Das gründliche Reinigen der Schweinefutterkübel ist eine sehr schwierige und umständliche Sache und wird deshalb gar nicht oder höchstens ganz kurze Zeit durchgeführt werden.

Zudem findet beim Rücktransport der Ablalle, wie schon bemerkt, sehr häufig eine Verunreinigung der Milchwagen und der Außenseite der Milchgefäße statt; auch ist es nicht wünschbar, daß die gleiche Person einmal mit den Milchgefäßen und dorn Milchverkauf zu thun
hat und dann wiederum mit den Schweinefutterkübeln hantiert. Und schließlich spricht namentlich gegen diese Ordnung der Angelegenheit der Umstand, daß die vorgeschlagenen Bestimmungen -- wenigstens zum Teil -- mit Leichtigkeit umgangen werden können. Aus diesem Grunde haben Baselstadt und Waadt

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schon vor acht und sechs Jahren den gleichen Standpunkt eingenommen, den die Zürcher Behörden jetzt einnehmen und der als der sanitätspolizeilich allein richtige erklärt werden muß.

B.

in rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: In feststehender Praxis hat es der Bundesrat als unzweifelhaft zu den legislativen Befugnissen der Kantone gehörend erklärt, wie auf andern Gebieten, so auch auf demjenigen der Lebensmittelpolizci beschränkende Vorschriften zu erlassen ; sobald diesen Vorschriften ein wirkliches öffentliches Interesse zu Grunde liegt, das sie vor unbefangener Prüfung zu rechtfertigen vermag, genießen sie bundesrechtlichen Schutz. Als ein solches Interesse erscheint der Schutz der Konsumenten von Lebens- und Genußmitteln in sanitätspolizeilieher Beziehung, der Schutz vor verdorbenen und gesundheitsschädlichen Stoffen. (Vgl. v. Salis, Bundesrecht II, Nr. 550, 554--558, 560; Bundesbl. 1895, II, 148; Entscheidungen des Bundesrates in Sachen Gosch-Nehlsen vom 3. Juli 1899, Bundesbl.

1899, IV, 112 ff., und 1900, I, 819/820, und insbesondere in Sachen des Verbandes schweizerischer Kochfettfabrikanten, vom 27. Oktober 1899, Bundesbl. 1899, V, 96/97, und 1900, I, 740 ff.)

Durch die Kantonsbehörde ist nachgewiesen und vom schweizerischen Gesundheitsamte in ausführlichem Gutachten bestätigt worden, daß das Mitführen von übelriechenden oder in Gärungbefindlichen Stoffen auf Milchwagen eine vom hygieinischen Standpunkte aus verwerfliche Art des Gewerbebetriebes der Milchlieferanten darstellt. Schweinefuttergefäße, gefüllt oder leer, sind übelriechend und enthalten zahlreiche Grärungskeime; eine gründliche Reinigung der aus Holz bestehenden Gefäße findet erfahrungsgemäß nicht statt und ist überhaupt praktisch schwer ausführbar ; beim Auf- und Abladen, sowie beim Transporte wird der in Gärung befindliche Inhalt leicht verschüttet und bildet so, wenn der Milchwagen nicht nach jeder Fahrt gründlich gereinigt wird, einen neuen Herd von Gärungserregern.

Der angefochtene Art. 3 der zürcherischen ,,Vorschriften über den Milchverkehr tt , der über die Sanktion eines diese sanitarischen Übelstände hebenden Verbotes - nicht hinausgeht, kann deshalb nicht mit Berufung auf Art. 31 der Bundesverfassung, welcher in litt, e ausdrücklich die ,,Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben1-' vorbehält, angefochten werden.

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Aus diesen Erörterungen ergiebt sich aber auch, daß das Verbot des bloßen Heimführens des Schweinefutters auf den Milchwagen nach beendigtem Milchverkauf sanitätspolizeilich zulässig ist, womit sich auch die Abweisung des eventuellen Begehrens der Rekurrenten rechtfertigt. Damit ist auch die Eingabe des Vereins vereinigter Landwirte und Milchhiindler von Zürich und Umgebung erledigt.

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 19. Juni 1900.

Ini Namen des schweif. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Hauser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Eingier.

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Bundesratsbeschluß betreffend die Beschwerde des J. Goßweiler und Konsorten, Milchlieferanten, betreffend Beschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit (Vorschriften über Milchverkauf in der Stadt Zürich). (Vom 19. Juni 1900.)

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