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Bundesratsbeschluß über

die. Beschwerde der Frau Emma Seiler, Zürich III, betreffend Verweigerung einer Wirtschaftsbewilligung.

(Vom 6. April 1900).

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t

hat über die Beschwerde der Frau Emma S e i l e r , Zürich III, betreffend Verweigerung einer Wirtschaftsbewilligung.

aui den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Das zürcherisehe Gesetz betreffend das Wirtschaftsgewerbe und den Kleinverkauf von geistigen Getränken, vom 31. Mai 1896, bestimmt in § l : Wer gewerbsmäßig Gästo über Nacht beherbergen oder Speise und Getränke zum Genüsse an Ort und Stelle verabreichen oder den Kleinverkauf geistiger Getränke betreiben will, bedarf hierfür eines staatlichen Patentes. Die Ausübung dieser Gewerbe unterliegt der Aufsicht des Staates und einer besondern Abgabe.

Unter dem Titel : ,,a. Gemeinsame Bestimmungen", wird sodann über die Verweigerung von Wirtschaftspatenten festgesetzt:

469 § 7. Wer wegen eines Verbrechens gegen die Sittlichkeit bestraft worden ist, kann niemals ein Patent erhalten ; wer wegen anderer gemeiner Verbrechen bestraft worden ist, ist während zehn Jahren, von Erstehung der Strafe an gerechnet, von der Erleilung eines Patentes ausgeschlossen, ferner wer durch gerichtliches Urteil im Aktivbürgerrecht eingestellt ist, für die Dauer der Einstellung.

§ 8. Das Patent soll überdies verweigert werden, wenn die Persönlichkeit des Bewerbers auch sonst keine Gewähr für die ordentliche und ehrbare Betreibung des Berufes bietet, was insbesondere dann anzunehmen ist: a. Wenn der Bewerber oder die mit ihm in gemeinschaftlicher Haushaltung lebenden Personen in sittenpolizeilicher Beziehung .übel beleumdet sind ; b. wenn der Bewerber durch früheren gerichtlichen Entscheid des Rechtes zur Betreibung einer Wirtschaft verlustig erklärt worden war; c. wenn der Bewerber wegen der Übertretung von Vorschriften betreffend die Lebensmittel- oder die Wirtschaftspolizei wiederholt bestraft worden ist.

§ 9. Ein Patent wird auch dann nicht erteilt, wenn der Bewerber bloß zur Umgehung des Gesetzes von einem Dritten vorgeschoben ist, welchem das Patent für seine Person verweigert werden müßte.

In den ,,Besondern Bestimmungen mit Bezug auf Patente für Gasthöfe und Speisewirtschaften" sagt § 16: Für Gasthöfe und Speisewirtschaflen ist, abgesehen von den allgemeinen Ausschließungsgründen, das Patent zu verweigern : a. Bewerbern, gegen welche in den letzten fünf Jahren infolge Konkurses oder fruchtloser Pfändung Verlustscheine herausgekommen sind, sofern nicht der Nachweis erbracht ist, daß dieselbe durch Zahlung, Nachlaß oder Verzicht der Gläubiger hinfällig geworden sind; b. den Ehefrauen, deren Männer nach den Bestimmungen von §§ 7 bis 8 a und b von der Patenterteilung ausgeschlossen sind, sofern sie mit ihnen in gemeinschaftlicher Haushaltung leben; c. wenn die Lokalitäten den durch Verordnung des Regierungsrates aufgestellten Anforderungen oder den durch die Gemeindebehörden erlassenen weitern Vorschriften nicht entsprechen.

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Gemäß § 4 dieses Gesetzes wird jedes Wirtschaftspalent für eine bestimmte Lokalität erteilt; es begründet indessen nur ein persönliches, kein dingliches Recht.

' n .

a. Gegen die Verfügung der Finanzdirektion, durch welche den 13. Januar 1900 ihr Gesuch um Erteilung eines Wirtschaftspatentes auf das Lokal' zur Tramwaystation, Badenerstraße 169, in Zürich III, abgewiesen worden war, mit der Begründung, daß die Bewerberin als vorgeschobene Person ihres im Konkurse befindlichen Ehemannes- erscheine, reichte Frau Emma Seiler beim Regierungsrate des Kantons Zürich Beschwerde ein. Sie führte aus : Wenn man es als ausgeschlossen hätte erklären wollen, daß an Ehefrauen von Konkursiten oder Ausgepfändeten Wirtschaftspatente erteilt werden, so hätte man dies in § 16, litt. &, ausdrücklich gesagt, d. h. man hätte dort nicht nur § 7 und § 8, a und &, sondern auch § 16, litt, a, citiert; denn dort gerade wäre der beste Anlaß hierzu gewesen ; dort untersuchte der Gesetzgeber die Fälle, in denen durch den Ausschluß des Ehemannes auch die Frau mitbetroffen werden soll. Die Bestimmung betreffend den Ausschluß des konkursiten oder ausgpfändeten Ehemannes geht unmittelbar voraus. In diesem Zusammenhange mußte der Gesetzgeber unwillkürlich auch an die Ehefrauen von Konkursiten und Ausgepfändeten denken: und doch hat er in § 16, litt, ö, gerade diesen Fall nicht erwähnt, während er die übrigen nicht etwa bloß in einer allgemeinen Klausel, sondern unter Hinweis auf ganz bestimmte andere Gesetzesvorschriften erwähnte. Der Gesetzgeber hat also diesen Fall nicht etwa vergessen oder stillschweigend in § 9 untergebracht, sondern ganz bestimmt nicht gewollt. Wenn dieser Fall in § 9 Inbegriffen ist, so natürlich auch die Fälle des § 16, litt. b. Es lag aber für den Gesetzgeber absolut kein Grund vor, Ehefrauen von Ausgepfändeten oder Konkursiten auszuschließen.

Wenn er in den Fällen von §§ 7 und 8, a und &, die Frau mit dem Manne leiden läßt, so hat das seinen guten Grund : ist der Ehemann sittlich anrüchig und wohnt mit der Frau zusammen, so kann er in gleicher Weise durch sein Gebaren der Sittlichkeit schaden, wie wenn er selbst Patentinhaber wäre. Ganz anders im Falle des Konkurses oder der Auspfändung. Hier tritt die Frau an Stelle des Mannes ; sie ist weder Konkursit noch Ausgepfändete, hat vielleicht sogar ein großes Vermögen und kann in jeder Beziehung zahlungsfähig sein. Erhält sie das Patent, so ist sie nach Art. 35

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des Obligationenrechts haftbar für alle Schulden, die im Wirtschaftsgewerbe kontrahiert werden ; sie haftet mit ihrem ganzen Vermögen. Ist sie gar, wie im vorliegenden Falle, im Handelsregister eingetragen, so unterliegt sie der strengen Konkursbetreibung. Also liegt kein Grund vor, die Frau vom Patent auszuschließen. Der § 9 ist nicht anwendbar ; denn wer selbst wirton will, ist nicht vorgeschoben ; und wenn man § 9 auch in diesem Fall anwenden wollte, so wäre er, so interpretiert, einfach bundesrechtswidrig; denn man wird doch im Ernste nicht behaupten wollen, daß das öffentliche Wohl es erfordere, die solvente Frau vom Wirtschaftsgewerbe auszuschließen, weil zufällig deren Ehemann insolvent ist.

b. Durch Schlußnahme vom 17. Februar 1900 wies der Regierungsrat des Kantons Zürich, nach Einsicht eines Berichtes der Finanzdirektion und eines Antrages der verordneten Rekurskommission, die Beschwerde als unbegründet ab. Der Bericht der Finanzdirektion sprach sich dahin aus: Das zürcherische Wirtschaftsgesetz enthält keine Bestimmung, welche allgemein die Ehefrauen von Ausgepfändeten und Konkursiten vom Betrieb des Wirtschaftsgewerbes, also auch vom Erwerb eines Wirtschaftspatentes, ausschließt. Die Finanzdirektion hat in einer ganzen Reihe von Fällen Patente erteilt an Ehefrauen, deren Ehemänner ausgepfändet oder im Konkurse waren. Sie hielt sich dazu berechtigt: 1. Wenn die Ehefrau bereits im Besitze eines Patentes war, als sie den insolventen Mann heiratete, oder als der Ehemann fallii wurde.

2. Wenn der Nachweis geleistet wurde, daß der insolvente Ehemann als Arbeiter oder Angestellter in einem fremden Geschäfte, d. h. in einem solchen, das nicht der Ehefrau gehört, thätig sei.

3. Wenn die Ehefrau den Nachweis leistete, daß sie für die Schulden ihres insolventen Mannes, der keine weitere Geschäftsstellung hatte, aufkomme.

Ê'Sliiliï Ergab sich aber aus den Berichten der begutachtenden Behörden und den übrigen Akten, daß keine der eben erwähnten Bedingungen zutraf, die Ehefrau sich vielmehr nur deshalb um ·ein Patent bewarb, weil der Mann laut § 16, a, ein Patent nicht erhalten konnte, also versucht werden sollte, die lästige Bestimmung dieses Paragraphen zu umgehen, so nahm die Finanzdirektiou an, auf eine solche Patentbewerbung sei § 9 anwendbar ; die Frau sei von dem Manne zur Umgehung des Gesetzes vorgeschoben. Diese

472 Annahme drängte sich namentlich dann auf, wenn bisher der Mann eine "Wirtschaft betrieben hatte, gegen seine weitere Patentierung infolge von herausgekommenen Verlustscheinen Einsprachen erhoben wurden, die er weder beseitigen konnte noch wollte, und nun die Frau auf dem Plan erschien, ohne ihrerseits die Gläubiger zu befriedigen. Mit dieser Auslegung glaubte die Finanzdirektion dem Sinne des Gesetzes gemäß gehandelt zu haben. Sie wird in dieser Ansicht wesentlich unterstützt durch die Ausführung, welche sich in dem das Gesetz beleuchtenden Berichte der kantonsrätlichen Kommission findet, wo es heißt (Amtsbl. 1896, Textteil 408) : ,,Es soll auch nicht vorkommen, daß ein in Konkurs geratener Wirt, ohne zu versuchen, sich mit seinen Gläubigern abzufinden, einfach das Patent auf die Ehefrau übertragen läßt, die dann, scheinbar an Stelle des Mannes und zum Hohn auf dessen Gläubiger, fröhlich weiter wirtet.10 Allerdings spricht der Bericht hier nur von der Verhinderung der Patentübertragung von einem Konkursiten auf dessen Ehefrau ; aber es widerspricht dem Sinne dieser Stelle nicht, wenn hinzugefügt wird: der Konkursit oder Ausgepfändete soll auch nicht einfach die Frau als Patentbewerberin vorschieben können, ohne einen Versuch zu machen, seine Gläubiger zu befriedigen. Wollte man nach Ansicht der Beschwerdeführerin verfahren und den § 9 auf solche Fälle nicht anwendbar erklären, so wäre auch § 16, a, thatsächlich aufgehoben; wem gestützt auf letztere Bestimmung ein Patent verweigert würde, der brauchte einfach seine Ehefrau oder eine andere Person nominell als Patentbewerberin auftreten zu lassen und das Geschäft könnte weiter betrieben werden. Das hat der Gesetzgeber nicht gewollt ; ob er mit der Bestimmung von § 9, so interpretiert, wie es seitens der Finanzdirektion geschieht, etwas festgesetzt hat, was der Bundesverfassung widerspricht, ist sehr zu bezweifeln, muß aber bei der Entscheidung des vorliegenden Rekurses nicht besonders untersucht werden. Immerhin darf jetzt schon darauf hingewiesen werden, daß der Begriff des öffentlichen Wohles einen weitern Inhalt besitzt, als Beschwerdeführerin anzunehmen scheint; offenbar leidet das öffentliche Wohl nicht nur durch Gefährdung der Gesundheit und Sittlichkeit, sondern auch durch Beeinträchtigung der rechtlich begründeten Interessen.

Obschon nun
die Ausführungen der Beschwerdeführerin au r den ersten Blick recht bestechend erscheinen, halten sie doch einenähern Prüfung nicht Stand und verlieren namentlich im vorliegenf den Falle ihre Beweiskraft. Allerdings ist Frau Seiler nicht ausgepfändet und nicht Konkursitin, sie ist sogar als Inhaberin eines

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Zirnmereigeschäftes und einer Liegenschaftsagentur im Handelsregister eingetragen. Aber als sie ihren Ehemann zum Prokuristen wählte, sollte doch offenbar nur der Form und des Buchstabens des Gesetzes wegen eine Änderung im Geschäftsbetriebe erfolgen. Darin aber, bemerkt das städtische Polizeiamt, liegt gerade die Gefahr für das Publikum. Der Ehemann handelt nach außen selbständig, giebt sich als Hauseigentümer, bestellt .Wein, Spirituosen etc., wenn es aber ans Zahlen geht, verschanzt sich der Prokurist hinter seine Ehefrau. Solche Machinationen zu vermeiden, ist die Tendenz des Wirtschaftsgesetzes. Der Ehemann Seiler besaß für das Jahr 1899 ein Wirtschaftspatent und übte dasselbe auch aus, bis der Konkurs ausbrach. Mit der Eintragung seiner Frau in das Handelsregister, welche übrigens erst am 8. Dezember 1899 erfolgte, sollte die prekäre Situation verschleiert und die Möglichkeit für den Fortbetrieb der Wirtschaft gegeben werden, für welche am 7. Dezember 1899 die Ehefrau sich um ein Patent beworben hatte.

Wenn in e i n e m Fall § 9 anwendbar ist, so ist es im vorliegenden. Der Ehemann Seiler hätte das Patent nicht erhalten können, da er im Konkurse war, "auch die Gemeinde- und Staatssteuer für das Jahr 1899 noch schuldet; die Patentbewerbung seiner Frau bezweckte die Umgehung des § 16, a, des Wirtschaftsgesetzes.

Die Auffassung des Verhältnisses von § 16 ö zu § 9 ist unrichtig; §166 soll vielmehr bestimmen, daß die daselbst genannten, mit ihren Ehemännern zusammenlebenden Ehefrauen unter allen Umständen von der Patentbewerbung auszuschließen sind, während für die Frauen von Ausgepfändeten und Konkursiten dies nur erfolgen soll, wenn sie als von ihren Männern zur Patentbewerbung vorgeschoben erscheinen. § 9 ist demnach ganz wohl in Verbindung mit § 16a anwendbar; er spricht allgemein von der Umgehung des Gesetzes, kann also auf alle Fälle Anwendung finden, in denen es sich um solche Umgehung handelt.

DI.

Gegen diese Schlußnahme reichte Frau Emma Seiler den 22. Februar 1900 staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesrate ein. Sie stellt das Rechtsbegehren, es sei der Regierungsrat des Kantons Zürich anzuweisen, ihr das nachgesuchte Wirtschaftspatent zu erteilen. Zur Begründung wird, im Anschluß an bereits Vorgebrachtes, noch ausgeführt: Der regierungsrätliche Entscheid giebt zu, daß der Ausschluß von Ehefrauen von Konkursiten und Ausgepfändeten nicht im Ge-

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setze enthalten, behauptet aber, daß derselbe in gewissen Fällen zulässig sei, nämlich dann, wenn die Ehefrau als im Sinne des § 9 vorgeschobene Person erscheine. Was aber über diesen Begriff des Vorgeschobenseins vorgebracht wird, ist unstichhaltig; eine derartige Interpretation des § 9 widerspricht dem Art. 31 der Bundesverfassung, insofern als das öffentliche Wohl eine solche Auslegung nicht erfordert. Es bezweckt § 16, litt, a, nur, dem Wirte das Patent zu entziehen vom Momente seiner Insolvenz an, damit er nicht weitere Gläubiger schädige ; so aber, wie die Finanzdirektion interpretiert, wäre diese Bestimmung auch noch ein Schuldeintreibungsmittel, ein Zwangsmittel gegen die Frau, die Schulden ihres Mannes zu bezahlen. Das ist aber nicht der Zweck der Wirtschaftsgesetzgebuhg : Schulden einzutreiben von einem Nichttchuldner, Da die Finanzdirektion den ganzen Zweck des § 16« verkennt, so sind auch die von ihr gezogenen Schlüsse unzutreffend, so z. B. der Satz : bei Nichtanwendbarkeit des § 9 auf § 16« wäre letzterer im Effekte aufgehoben. Durch § 16« wird dem berechtigten Interesse entgegengekommen, daß ein insolventer Mann keine weitern Schulden als Wirt machen kann; aber ein berechtigtes öffentliches Interesse dafür, daß eine Frau bereits bestehende Schulden ihres Ehemannes bezahle, existiert nicht. Im weitern ist die Eintragung der Frau Seiler im Handelsregister nichts weniger als bloße Formsache; infolge dieses Rechtsaktes haftet ja gerade die Frau, und nicht der insolvente Mann, für alle aus dem Geschäftsbetriebe herrührenden Schulden. Die Behauptung, es handle sich um Machinationen, wird als unbegründet zurückgewiesen; der Ehemann Seiler ist Prokurist für das Zimmereigeschäft und die Liegenschaftsagentur; was er als solcher vorkehrt, verbindet die solvente Ehefrau. Wer Wein, Spirituosen etc.

liefert, wird sich nicht an den insolventen Ehemann, sondern an die zahlungsfähige Wirtschaftsinhaberin wenden. Der Ehemann betreibt übrigens das Zimmereigeschäft und will sich nicht selbst mit dem Wirten befassen; auch früher, als er noch Besitzer des Patentes war, ließ er die Frau wirten. Staats- und Gemeindesteuer schuldet Seiler pro 1899 nicht, da' er kein Vermögen besaß ; die betreffenden Steuerzettel stützen sich auf die früher erfolgten Taxationen auf Fr. 10,000 Vermögen ; mit dem Konkurse ist auch seine Steuerpflicht dahingefallen.

IV.

Der Regierungsrat des Kantons Zürich beantragt in seiner Vernehmlassung vom 8. März 1900 Abweisung der Beschwerde;

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er verweist auf die Begründung seiner Schlußnahme vom 17. Februar d. J. und führt.im weitem aus: Das Wirtschaftsgewerbe wurde schon seit langer Zeit nicht als ein freies Gewerbe betrachtet. Der schlimme Einfluß, den eine Überzahl von Wirtschaften auf einen großen Teil der Bevölkerung ausübte, veranlaßte zunächst Maßregeln, welche die Zahl derselben zu derjenigen der Bevölkerung in ein dem Bedürfnis entsprechendes Verhältnis setzen sollte. Durch bau- und gesundheitspolizeiliche Vorschriften sollte im fernem dafür Gewähr geboten werden, daß die Wirtshausbesucher vor direkter Schädigung ihrer Gesundheit bewahrt bleiben. Endlich sollte durch angemessene Kontrolle des Wirtschaftspersonals und des Wirtschaftsbetriebes ermöglicht werden, daß das sittliche und ökonomische Wohl des Volkes nicht Schaden leide. So hat auch der Kanton Zürich in sein Gesetz vom Jahre 1896 mehrere Bestimmungen aufgenommen, welche eine Verbesserung des Wirtepersonals bezwecken. Durch die öffentliche Ausschreibung der Patentbewerbungen mit Einspracherecht wollte der Gesetzgeber die Bevölkerung direkt zur Mitarbeit an der Lösung dieser Aufgabe heranziehen ; die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, daß er damit einem Wunsche des Volkes und einem Bedürfnisse entgegenkam.

Das Hauptgewicht legte man hierbei allerdings auf die sittliche Qualität der Patentbewerber. ,,Aber", sagt die Weisung an das Volk, ,,er wollte auch das ökonomische Moment berücksichtigt wissen. Gewiß geht es nicht an, einen Ausweis über die nötigen Betriebsmittel zur Führung einer Wirtschaft zu verlangen, dagegen soll doch das Wirtschaftsgewerbe nicht das Versuchsfeld für alle möglichen verkrachten Existenzen bilden können. Zu einer soliden Wirtschaftsführung gehört etwas mehr, als ein guter Leumund nach § 97 des Gemeindegesetzes ; mit leeren Händen und vielen Schulden kann man die Gäste nicht ordentlich bedienen; soll der Wein gut und real sein, muß ihn der Wirt am rechten Ort kaufen können; er darf nicht im Keller oder auf dem Estrich wachsen.

Es liegt durchaus im Interesse des Publikums, wenn die Wirte entweder aus eigenen Mitteln einen rechten Betrieb führen können, oder doch hierfür den nötigen Kredit besitzen." Aus diesen Gründen wurde die Bestimmung des § 16 a in das Gesetz aufgenommen.

Die Beschwerdeführerin führt mit Recht aus, daß der Zweck dieser
Vorschrift der Schutz des Publikums gegen die Ausbeutung durch insolvente Wirte sei. Die zürcherische Finanzdirektion hat diese Vorschrift niemals anders aufgefaßt; es wird deshalb mit Unrecht behauptet, sie verkenne den ganzen Zweck des § 16«.

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Indem die Beschwerdeführerin die Vorschrift von § 16« als richtig anerkennt, giebt sie selbst zu, daß dieselbe dem Art. 31 der Bundesverfassung nicht widerstreite, sondern in der That eine von der Sorge um das öffentliche Wohl diktierte Maßregel sei. Auch der vom Regierungsrate in Anwendung gebrachte § 9 des Gesetzes beruht auf derselben Grundlage. Die regierungsrätlicho Interpretation desselben widerspricht dem Art. 31 der Bundesverfassung nicht. Der § 9 findet sich unter denjenigen Bestimmungen, welche auf alle Arten von Wirtschaftspatenten Anwendung finden sollen.

Wenn aus Rücksicht auf das öffentliche Wohl einer Person das nachgesuchte Wirtschaftspatent verweigert werden muß, so soll sich dieselbe nicht indirekt die Ausübung des Wirteberufes sichern können dadurch, daß sie eine andere Person als Patentbewerberin vorschiebt. Das ist der Sinn dieser Gesetzesvorschrift. Nun ist zuzugeben, daß nicht leicht eine allgemeine Formel aufgestellt werden kann, welche für jeden Fall in zutreffender Weise festsetzt, ob der Patentbewerber die von einem Nichtpatentberechtigteri zur Umgehung des Gesetzes vorgeschobene Person sei. Immerhin wird eine solche Umgehung befürchtet werden müssen, wo die Vorteile, die aus dem Patente erwachsen, nicht ausschließlich oder vorzugsweise dem Patentbewerber, sondern mit ihm der vorgeschobenen Person zu gute kommen. Im übrigen sind aber die den Einzelfall charakterisierenden Umstände in Berücksichtigung zu ziehen. Im Falle Seiler trifft nun alles zu, was die Annahme rechtfertigt, Frau Seiler sei nur zur Umgehung des Gesetzes als Patentbewerberin vorgeschoben. Der Ehemann Seiler war Patentinhaber bis zum Ausbruche seines Konkurses, gegen Ende 1899.

Als Konkursit konnte er für das Jahr 1900 ein Patent nicht erhalten, darum schob er die Frau vor, die nominell als Geschäftsinhaberin figuriert und den Ehemann als ,,Prokuristen"' angestellt hat. Wenn behauptet wird, der Ehemann Seiler wolle nicht wirten, so ist das nur so zu verstehen, daß er möglicherweise über Tag sich nicht mit der Bedienung der Gäste befassen wird ; dagegen wird er den Verkehr mit den Lieferanten besorgen, als ,,Prokurist11, der unter Umständen auch so handelt, wie wenn er sich nicht im Zustande der Insolvenz befände. Dies sollte vermieden werden. Seiler hat die Steuern nicht infolge des Konkurses, sondern
schon vorher bei ihrer Fälligkeit nicht bezahlt.

Rechtlich wird in der Beschwerdeschrift behauptet, daß § 9 des Wirtschaftsgesetzes auf die Ehefrauen von Konkursiten und Ausgepfändeten nicht Anwendung finden dürfe, da das ,,öffentliche Wohltt eine solche Interpretation nicht erfordere. Es wurde dem

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gegenüber schon darauf hingewiesen, daß die angefochtene Interpretation nur die Konsequenz aus dem nicht angefochtenen § 16« zieht. Letztere Bestimmung anbelangend, -wird anerkannt, daß es im Interesse des öffentlichen Wohles liege, Konkursiten und Ausgepfändete vom Wirteberuf auszuschließen ; es wird in diesem Ausschlüsse keine Verletzung von Art. 31 der Bundesverfassung erblickt. Nun aber soll nach Ansicht der Beschwerdeführerin die Sachlage sich sofort ändern, wenn der Konkursit seine Frau als Patentbewerberin auftreten läßt, auch in den Fällen, wo aus den Umständen geschlossen werden muß, daß die Frau nur zur Umgehung des Gesetzes vorgeschoben ist. Die Beschwerdeführerin übersieht, daß in diesem Falle die Sache nur formell eine andere, thatsächlich aber durchaus die gleiche ist; auf das thatsächliche Verhältnis aber kommt es an. § 9 ist demnach auf die Ehefrauen von Konkursiten und Ausgepfändeten anwendbar, sofern sie als von letzteren vorgeschobene Personen erscheinen ; in dieser Anwendung von § 9 liegt keine Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Die Bestimmung in § 16 des zürcherischen Wirtschaftsgesetzes vom 31. Mai 1896, wonach das Patent für den Betrieb eines Gasthofes zu verweigern ist : a. Bewerbern, gegen welche in den letzten fünf Jahren infolge Konkurses oder fruchtloser Pfändung Verlustscheine herausgekommen sind, sofern nicht der Beweis erbracht ist, daß dieselben durch Zahlung, Nachlaß oder Verzicht der Gläubiger hinfällig geworden sind, kann nicht mit Berufung auf den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit angefochten werden ; der Bundesrat hat vielmehr eine derartige'Bestimmung in konstanter Praxis als bundesrechtlich zulässig erklärt (vgl. von Salis, Bundesrecht, II, Nr. 651, 661, 662; Entscheid des Bundesrates vom 27. Januar 1891, in Sachen Frau Weber-Frey, Bundesbl. 1891, I, 212/213). Der Ehemann der Beschwerdeführerin, der bis zu seinem Ende des Jahres 1899 erfolgten Konkurse das Patent zum Betriebe der Wirtschaft zur Tramstation, Badenerstraße 169, in Zürich III besaß, konnte daher auf weitere Erteilung eines solchen für das Jahr 1900 keinen Anspruch erheben. Aber auch in der Verweigerung der Patenterteilung an die Ehefrau dieses Konkursiten kann eine Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung nicht erblickt werden. Das zürcherische Gesetz vom

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31. Mai 1896 enthält allerdings keine Specialbestimmung, durch welche die Ehefrauen von Konkursiten und Ausgepfändeten vom Betriebe einer Wirtschaft ausgeschlossen werden, und die Finanzdirektion des Kantons Zürich legt selbst dar, daß in einer ganzen Reihe solcher Fälle Patente erteilt wurden, dies jedoch nur unter folgenden Bedingungen: 1. daß die Ehefrau bereits im Besitze eines Patentes war, als der Ehemann fallii wurde ; 2. daß der Nachweis erbracht wurde, daß der insolvente Ehemann als Arbeiter oder Angestellter in einem fremden Geschäfte thätig sei; 3. dass die Ehefrau den Beweis leistete, sie werde für die Schulden ihres insolventen Mannes, der keine weitere Geschäftsstellung hatte, aufkommen.

Diesen Bedingungen entsprach das Patentgesuch der Frau Emma Seiler nicht ; der Regierungsrat des Kantons Zürich erachtet es vielmehr als außer Zweifel stehend, daß die Beschwerdeführerin als, im Sinne des § 9 des Wirtschaftsgesetzes, vorgeschobene Person das bisher von ihrem Ehemanne besessene Wirtschaftspatent für die Zukunft zu erlangen suche. Die zur Begründung dieser Auffassung gemachten Ausführungen können nicht als haltlose bezeichnet werden : der Ehemann Seiler besaß bisher das Patent ; er geriet in einer Zeit in Konkurs, als er sich um Erneuerung desselben bewerben mußte ; er wurde von der Ehefrau als Prokurist ins Handelsregister eingetragen, wird also auch künftighin nicht etwa in einem ändern Geschäfte, sondern in dem von ihm früher betriebenen thätig sein etc. Die Schlußnahme der kantonalen Behörde entbehrt demnach nicht objektiver Begründung. Die Beschwerdeführerin verlegt denn auch das Hauptgewicht auf die Beweisführung für die Behauptung, die Interpretation der §§ 9 und 16, a, deren Verfassungsmäßigkeit im übrigen nicht in Zweifel gezogen wird, sei eine unzutreffende. Demgegenüber ist in erster Linie wiederholt festzustellen, daß der Bundesrat nicht zu entscheiden hat, ob eine Gesetzesauslegung einer kantonalen Behörde, der eine Willkürhandlung nicht nachgewiesen werden kann, eine richtige, in jeder Beziehung juristisch unanfechtbare sei, (vgl. Entscheid des Bundesrates vom 13. März 1900 in Sachen Katharina Herrmann-Feusi, Bundesbl. 1900, I, 1057/1058); sodann läßt sich aber auch die den §§ 16, a, und 9 gegebene Auslegung wohl rechtfertigen. Einmal befindet sich § 9 unter den allgemeinen Bestimmungen, ist also auf alle im Wirtschaftsgesetze vom 31. Mai

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1896 normierten Fälle der Patentverweigerung anwendbar ; fernerhin werden in § 16, welcher die besondern Bestimmungen in Bezug auf Patente von Gasthöfen und Speisewirtschaften enthält, diese speciellen Ausschließungsgründe aufgezählt ,,abgesehen von den allgemeinen Ausschließungsgründen"1 ; zu den letztern gehört aber der in § 9 angeführte : die offenbare Absicht, eine Bestimmung des Gesetzes zu umgehen.

Demnach wird e r k a n n t : Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 6. April 1900.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Häuser.

Der Kanzler der-Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde der Frau Emma Seiler, Zürich III, betreffend Verweigerung einer Wirtschaftsbewilligung. (Vom 6. April 1900).

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