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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde des Louis-Alfred Jaquet, Agenten in Bellinzona, gegen das Verbot des Verkaufes von Prämienobligationen im Kanton Tessin.

(Vom 31. Juli 1900.)

Der schweizerische Bundesrat hat über die Beschwerde des Louis-Alfred J a q u e t , Agenten in Bellinzona, gegen das Verbot des Verkaufes von Prämienobligation im Kanton Tessin ; auf den Antrag des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Mit Eingabe vom 28. Mai 1900 beschwert sich Louis-Alfred Jaquet über eine ihm vom Staatsrat des Kantons Tessin am 27. oder 28. Mai 1900 mündlich eröffnete Verfügung, wonach ihm die Ausstellung eines Hausierpatentes für den Vertrieb von Prämienobligationen im Kanton Tessin verweigert wurde. Er stellt das Bundesblatt. 52. Jahrg. Bd. III.

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782 Rechtsbegehren, es möge der Staatsrat des Kantons Tessin zur Ausstellung eines solchen Patentes veranlaßt werden, und bringt zur Begründung vor : Rekurrent ist Agent einer Bank in Bern, für die er PrämienObligationen im Kanton Tessin absetzen soll. Dies Gewerbe hat er seiner Zeit auch im Kanton Genf ausgeübt, wofür ihm von der kantonalen genferischen Centralpolizeidirektion unterm 21. Dezember 1899 eine Erklärung des folgenden'Inhaltes ausgestellt wurde : In Beantwortung Ihres Schreibens vom 18. dieses, in welchem Sie uns anfragen, ob der Vertrieb von Prämienwerton in Genf gestattet sei, teilen wir Ihnen mit, daß der Vertrieb dieser Werte nicht verboten ist. Um auch im Kanton Tessin sein Gewerbe betreiben zu können, wandte er sich an die kompetenten tessinischen Kehörden mit dem Gesuche um Erteilung eines Patentes für den Vertrieb von Prämienobligationen. Man wies ihn an den Vorsteher der Justizdirektion, von dort an den Staatsrat des Kantons. Ein diesbezügliches Gesuch beim Staatsrat blieb vorerst unbeantwortet; als Rekurrent dann persönlich hinging, um sich eine Antwort y.u holen, wurde ihm mündlich eröffnet, sein Handel mit Prämienobligationen sei frei, der Staatsrat könne ihm aber keine Bewilligung ciusstellen und verbiete ihm, in den Zeitungen anzuzeigen, daß er für den Vertrieb von Prämienobligationen ermächtigt sei. Später wandte sich Rekurrent nochmals an die Justizdirektion und stollto ein Gesuch um Ausstellung einer gleichen Erklärung wie die, welche ihm in Genf ausgehändigt worden sei; aber auch dien wurde ihm verweigert.

Wenn nun Rekurrent im Kanton herumreist, um seine Obligationen abzusetzen, so sieht er sich mangels oiner Ermächtigung oder einer Erlaubnis von der Polizei angehalten. So ist er schon seit acht Tagen in der Ausübung seines Berufes behindert und durch den bösen Willen der tessinischon Behörden zur Unthütigkeit verurteilt, was ihm bei seiner Armut um so drückender ist, als er in teuren Hotels leben muß.

n.

Auf die Mitteilung der Beschwerde antwortet der Staatsrat des Kantons Tessin den 12. Juni 1900, die Abweisung des Rekurrenten beantragend : Louis Jaquet hat den Staatsrat unterm 23. Mai 1900 um Ausstellung einer Bewilligung ersucht, Prämienobligationen als Agent einer bernischen Bank im Kanton Tessin absetzen zu dürfen. Vom

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Staatsrat über die Art dieses Geschäftes eingezogene Erkundigungen «i-gaben, daß es sich um den Verkauf von Wertpapieren auf monatliche Abzahlung hin handle, wobei die Titel selbst erst nach Ablauf der Abzahlungsfrist in das Eigentum des Enverbers übergehen sollten. Die Abzahlungen sind jedoch so hoch berechnet, ·daß der Käufer nach Ablauf der gesetzten Frist die Obligationen weit über ihren reellen Wert bezahlt hat. So werden nach dem von Jaquet eingereichten Prospekt beispielsweise Obligationen im Handelswerte von Fr. 200 nach Abschluß der auf ein Jahr verteilten Abzahlungen mit cirka Fr. 300 bezahlt.

Der Staatsrat hielt es daher für seine Pflicht, seinerseits keineswegs zur Erleichterung solcher auf die Schädigung des tessinischen Publikums gerichteter Praktiken beizutragen und stellte deswegen auch keine Ermächtigung oder Erlaubnis aus, die im entferntesten dahin hätte gedeutet werden können, als ob der Staatsrat diesen ·Geschäftszweig der Berner Bank geprüft und demselben seine Genehmigung erteilt hätte. Da aber Art. 31 der Bundesverfassung die Handels- und Gewerbefreiheit gewährleistet, so erschien es nicht statthaft, die Abwicklung solcher Geschäfte im Kanton Tessin direkt zu verbieten. Aus diesem Grunde wurde dem Gesuchsteller mündlich eröffnet, daß der Staatsrat in Nachachtung des obgenannten Grundsatzes der Bundesverfassung seinen Geschäftsbetrieb nicht direkt verbieten könne, daß er sich aber auch nicht für verpflichtet halte, dem Petenten irgend welchen schriftlichen Ausweis zuzustellen ; ein solcher sei auch überflüssig. Für den Bescheid des Staatsrates war einzig maßgebend der Gedanke, daß jede diesem Geschäftsreisenden zugestellte Erklärung unzweifelhaft «ine Erleichterung und Vermehrung seiner Geschäftsaufträge beim tessinisehen Publikum zur Folge gehabt hätte.

III.

Mit Schreiben vom 21. Juni ersuchte das eidgenössische Justizdepartement den tessinischen Staatsrat um ergänzende Auskunft über folgende zwei Punkte : 1. ob Agenten, die sich in der Weise Jaquets im Kanton Tessin mit dem Vertrieb von Prämienobligationen befassen, nicht unter das tessinische Hausiergesetz vom 21. November 1879 und die Vollziehungsverordnung vom 13. Dezember 1879/15. Dezember 1880 gestellt und ihnen danach kein Hausierpatent -ausgehändigt werde;

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2. ob eine Erklärung, analog der vom Staatsrat dos Kantons Genf ausgestellten, vom Staatsrat oder andern tessinischen Behörden überhaupt nicht abgegeben werde.

Der Staatsrat beantwortete das Schreiben am 25. Juni 1900 dahin : Falls Jaquet sein Gewerbe im Kanton Tessin betreiben will, ist auf ihn das tessinische Gesetz über den Hausierhandel anwendbar. Bis jetzt ist der Staatsrat noch nie in die Lage gekommen, ein solches Patent auszustellen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil von keinem Handelsagenten je ein solches verlangt worden ist. Überhaupt sind nach dem Wissen des Staatsrates noch niemals Prämienobligationen in der Art und Weise abgesetzt worden, wie es Louis Jaquet thut.

Auch eine Erklärung, wie die an Jaquet von Genf ausgestellte, ist vom Staatsrat nach seinem Erinnern nie abgegehen worden.

IV.

Das tessinische Hausiergesetz vom 21. November 1879 bestimmt in Art. 9 : II Consiglio di Stato potrà interdire intieramente ogni professione ambulante, il cui esercizio degeneri in mendicità, in frode che incommodi il pubblico, o che sia contrario alla inoralo.

In seiner Vernehmlassung vom 16 Juli 1000 auf eine Ergänzungsanfrage des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements sprach sich der Staatsrat des Kantons Tessin mit Bezug auf diese Gesetzesbestimmung folgendermaßen aus: In thatsächlicher Richtung muß noch festgestellt werden, daß seitens des Jaquet keine Amtsstclle um Ausstellung eines Hausierpatentes angegangen worden ist. Derselbe hat sich vielmehr darauf beschränkt, vom Staatsrate eine Erklärung zu verlangen, daß er zum Vertrieb von PrämienObligationen im Kantono ermächtigt sei ; diese Erklärung sollte im Sinne der von Genf ausgestellten abgefaßt sein. Solange nun nicht durch Entscheid des Bundesrates, in Anwendung des Grundsatzes des Art. 31 der Bundesverfassung über die Handels- und Gewerbefreiheit, der Staatsrat zur Ausstellung einer solchen Erklärung eingeladen wird, hält derselbe sich nicht verpflichtet, irgend eine solche Erklärung abzugeben, oder ein Hausierpatent zum Betriebe des vom Rekurrenten ausgeübten Gewerbes auszustellen. Die kantonale Regierung stützt sich bei dieser Stellungnahme auf den obgenannten Art. 9 des Hausiergesetzes von 1879, von der Ansicht ausgehend, es seien die von Jaquet auf Rechnung der Berner Obligationenbank praktizierten Geschäfte betrügerische, infolge des,

785 hohen und wucherischen Gewinnes beim Verkaufe der Obligationen das Publikum schädigende.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: In Art. 9 des tessinischen Hausiergesetzes vom 21. November 1879 wird dem Staatsrate die Befugnis eingeräumt, jedwedes Hausiergewerbe vollständig zu untersagen, dessen Ausübung in Bettelei oder Betrug des Publikums ausartet, oder welches der guten Sitte zuwiderläuft. In Anwendung dieser Bestimmung verweigert der Staatsrat des Kantons Tessin dem Beschwerdeführer, Agenten einer Prämienlosbank, die Ausstellung eines Hausierpatentes sowohl, als die Abgabe einer Erklärung, wonach es ihm erlaubt sein solle, im Kanton Tessin seine Prämienlose abzusetzen ; der hohe und wucherische Gewinn beim Verkaufe der Prämienobligationen dieses Agenten charakterisieren dessen Geschäftsgebahren als betrügerisches. Diese Stellungnahme der Regierung des Kantons Tessin erscheint nach Maßgabe der kantonalen Gesetzesvorschrift als unanfechtbar; sie widerspricht aber auch nicht dem Bundesrechte.

Schon in seiner Entscheidung vom 17. Mai 1895 in Sachen Alois Bernhard (ßundesbl. 1895, III, S. 4} hat der Bundesrat festgestellt, daß die Unterstellung des Prämienloshandels unter ein kantonales Lotterieverboi dann nicht zu beanstanden ist, wenn der Vertrieb von Anleihenslosen im jeweiligen Fall dem Einsatze in eine Lotterie gleichkommt. Ferner hat er in Sachen der Genossenschaft Crédit à l'épargne den 8. Oktober 1897 es als bundesrechtlich zulässig erklärt, daß die Kantone gewisse Arten von Geschäften in Prämienobligationen verbieten, die sich zwar nicht direkt als Lotterie qualifizieren, aber doch zu einer Übervorteilung des Publikums Anlaß bieten können. An dieser Rechtsauffassung wurde im Entscheide vom 30. Mai 1899 in Sachen Joh. Frick (Bundesbl. 1899, III, 1017 ff., und 1900, I, 818/819) voll und ganz festgehalten, da es nicht Sache des Bundesrates, als Schützer eines verfassungsmäßigen Handels- und Gewerbebetriebes, sein könne, einen Geschäftsbetrieb im Gegensatze zu der kantonalen Gesetzgebung zu schützen, der den Hang zu einem arbeitslosen Gewinn verbreitet, dem wahren Gewerbefleiß hinderlich ist und die Bloralität, sowie die häuslichen Verhältnisse derjenigen Bürger gefährdet, die sich einer solchen Spielsucht hingeben. Es liegen

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keine Gründe vor, von dieser Stellungnahme, die auch in den eidgenössischen Räten keine Anfechtung, sondern Unterstützung gefunden hat, im vorliegenden Falle abzugehen.

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 31. Juli 1900.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates,, Der Vizepräsident:

Brenner.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft t Ringier.

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des Louis-Alfred Jaquet, Agenten in Bellinzona, gegen das Verbot des Verkaufes von Prämienobligationen im Kanton Tessin. (Vom 31. Juli 1900.)

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