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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreuend die Frage der Aufstellung einer eidgenössischen Rechnungskamme.

(Vom 10. Dezember 1900.)

Tit.

Schon anläßlich der Prüfung von Staatsrechnung und Geschäftsbericht des Jahres 1875 ist seitens der Bundesversammlung am 5. Juli 1876 folgendes Postulat angenommen worden: ,,Der Bundesrat wird eingeladen, zu untersuchen, ob in Anwendung von Art. 85 (Ziffer 4 und 11) der Bundesverfassung die Aufstellung eines eidgenössischen Rechnungshofes zu beschließen und im bejahendem Falle, welche Befugnisse und Verrichtungen demselben zu übertragen seien."

In der Botschaft an die Bundesversammlung betreuend das Budget für das Jahr 1877, vom 18. November 1876, spricht sieh der Bundesrat -- indem er gleichzeitig zum Zwecke genauer Kontrollierung der Ausgabekredite vor der Auszahlung durch die Bundeskasse und behufs letztinstanzlicher Revision der Rechnungen ein besonderes Kontrollbureau kreiert -- beim dritten Abschnitt der Ausgaben, Abteilung Finanzen, diesbezüglich wie folgt aus : ,,Die Ausdehnung, welche das Finanzverwaltungs- und Kontrollwesen genommen hat, nötigt uns, in diesem Administrationszweige eine Änderung vorzunehmen und Verwaltung und Kontrolle völlig

880 voneinander zu trennen, d. h. sie voneinander unabhängig zu machen "Wir glauben in dieser Richtung auch den Intentionen der hohen Bundesversammlung entgegenzukommen, welche, indem sie den Bundesrat durch ein Postulat vom 5. Juli 1876 (II, 383) zur Begutachtung der Frage über Errichtung eines Rechnungshofes beauftragte, die Absicht kundgab, das Kontrollwesen des Bundes in einer Weise zu organisieren, welche dem heutigen Umfang der Verwaltung entspricht. In Gründung eines von der übrigen Finanzverwaltung völlig unabhängigen Kontrollbureaus, welches seine Funktionen mit künftigein Jahr beginnen soll, wird (1er Frage über Aufstellung eines Rechnungshofes nicht vorgegriffen. Wenn auch dieses Institut, worüber wir uns nähere Berichterstattung vorbehalten, zu stände kommt, so müßte gleichwohl noch ein Kontrollbureau dem Finanzdepartement zugeteilt bleiben, um die administrative Rechnungsrevision zu besorgen, die uns unentbehrlich erscheint" Infolge dieser Unabhängigmachung dei- Kontrolle von der Verwaltung mußte der Bundesrat auch eine Änderung des ,,Reglements über die Organisation der Finanzverwaltung vom 31. Christmonat 1861 vornehmen. So entstund denn das heute noch in Kraft bestellende ,,Reglement über die Organisation der Finanzverwaltung und die Einrichtung und Führung des eidgenössisch eu Kassen- und Rechnungswesens vom 19. Hornung 18771'', welches den Geschäftskreis des Kontrollbureaus wie folgt feststellte:

IV. Kontrollbureau.

,,Art. 15. In den Geschäftskreis des Kontrollbureaus füllt: «. Das Sekretariat des Finanzdepartements, soweit es die Finanzkontrolle betrifft ; b. die tägliche Veritikatio der Eintragungen in das Kassabuch der Staatskasse und die Behändigung der darauf bezüglichen Mandate ; c. die Kontrollierung der Kredite auf Grund der von den l)epartementen und der Bundeskanzlei aufgestellten Zahlungsmandate ; d. die Prüfung sämtlicher Monats- und Jahresrechnungen ; ') Bis Ende 1876 waren Finanzverwaltungs- und Kontrollwesen vereinigt, unter der Leitung des Departementssekretärs des Finanzdepartements.

«81 e. die zeitweilige Zählung der Titel, Wertschriften und Kautionen aller Art. -- Die Zählung wird vom Vorstand des Finanzdepartements angeordnet ; /'. die zeitweilige Inspektion der Bundeskasse, sämtlicher eidgenössischen Hauptzoll- und Kreispostkassen, sowie der Kassen der Pulververwaltung und der übrigen im Art. 3 hiervor genannten Anstalten. -- Die Inspektion wird vom Vorstand des Finanzdepartements angeordnet;
Über die nach Vorschrift von litt, e, f und
Art. 19. Die Prüfung der Monatsrechnungen erstreckt sich nicht bloß auf den arithmetischen, sondern auch auf den materiellen Teil derselben."

Bei Anlaß der Prüfung der Staatsrechnung von 187(5 wurde unterm 23. Juni 1877 ein weiteres Postulat folgenden Inhalts genehmigt : ,,In Gewärtigung der in Aussicht gestellten Vorlagen über die am 5. Juli 1876 erheblich erklärte Motion betreffend die Errichtung eines eidgenössischen Rechnungshofes ist der Bundesrat eingeladen, in Erwägung zu wehen, ob nicht die Kompetenzen des von ihm als Abteilung des Finanzdepartements eingerichteten Kontrollbureaus in dem Sinne zu erweitern seien, daß diese Kontrolle sich über alle Verwaltungen des Bundes erstrecke.u Die beiden Postulate blieben vorderhand unerledigt, wohl aber wurde der eidgenössische Rechnungshof anläßlich der Debatten betreffend die Herstellung des finanziellen Gleichgewichtes im Jahre 1878 durch die Bundesversammlung neuerdings in den Bereich ihrer Diskussion gezogen.

Nachdem der Nationalrat beschlossen hatte, die Aufstellung eines Rechnungshofes in die Reihe seiner Postulate aufzunehmen, beschloß dagegen der Ständerat, nach Einsichtnahme des Nachtragsberichtes seiner Kommission vom 22. Januar 1878, dem Postulate für Aufstellung eines Rechnungshofes nicht beizustimmen, weil darin eine Komplizierung unseres Staatshaushaltes und eine Verminderung der Verantwortlichkeit der Beamten erblickt werden müsse.

Bundesblatt. 52. Jahrg. Bd. IV.

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882 Durch Bundesbeschluß vom '21. Februar 1878 CA. S. n. F.

III, 335) wurde in Übereinstimmung mit den Anträgen des Ständerates die Frage der Aufstellung eines Rechnungshofes fallen gelassen.

Obwohl nun damit der eidgenössische Rechnungshof als beseitigt butte betrachtet werden können, beschäftigte sich der Bundesrat neuerdings mit dieser Frage, als er mittelst Botschaft vom 25). November 1881 sich über die Regelung der Kompetenzen des Kontrollbureaus des Finanzdepartements und die Reorganisation des Finanzdepartements verbreitete, aber mir um zu dem gleichen Schlüsse zu gelangen, daß ein Rechnungshof, wie er in Nachbarländern bestehe, für unsere Verhältnisse nicht passe. Mit besonderer Betonung wurde darauf hingewiesen, daß in denjenigen Staaten, welche einen Rechnungshof als konstitutionelle oder gesetzliche Institution besitzen, die Parlamente die Prüfung des öffentlichen Rechnungswesens im eigentlichen Sinne nicht selbst besorgen und daß dort somit die Institution eines Rechnungshofes als Revisionsbehörde die bei uns verfassungsmäßig eingeführte Rechnungsprüfung durch die Bundesversammlung selbst naturgemäß zu vertreten habe, und daß bei einer Verschärfung der bestehenden Kontrollvorschriften, verbunden mit einer gesetzlichen Reorganisation des Finanzdepartements, wir wohl darauf verzichten können, unter Beschneidung der Kompetenzen des Bundesrates und der Bundesversammlung eine ziemlieh einschneidende Revision der Bundesverfassung anzustreben.

So entschied denn auch die Bundesversammlung und daraufhin erfolgte die Revision des Bundesgesetzes betreffend die Reorganisation des Finanzdepartements, die Besoldungen und Kautionen seiner Beamten und Angestellten vom 11. Dezember 1882 und die definitive Organisation der Finanzkontrolle. Die Aufgabe derselbe umschreibt Art.. l des genannten Gesetzes wie folgt: "Zum Zwecke der Kontrollierung der gesamten Finanzverwaltung des Bundes wird als besondere Abteihing des Finanzdepartements ein Kontrollbureau errichtet, bestehend aus einem Chef nebst der nötigen Anzahl von Revisoren und Revisionsgehülfen.

Die nähern Bestimmungen hierüber erläßt der Bundesrat."

Mit Beginn der 1890er Jahre ist die Frage der Errichtung einer eidgenössischen Rechnungskammer von neuem aufgetaucht.

Die erste diesbezügliche Anregung finden wir in den ,,Notizen der Kommission des Nationalrates für Prüfung der Staatsrechnung pro 1889 zu Händen des eidgenössischen Finanzdepartements", wo es unter ander heißt:

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"Das Rechnungswesen hat einen Umfang erreicht, welches (lie Frage nahe legt, ob nicht auch eine von der Verwaltung unabhängige Finanzkontrolle einzuführen sei und ständige Organe zur Mitwirkung bei der Aufsicht durch die Bundesversammlung bestellt werden sollen."

Im Bericht der Kommission des Nationalrates Über die Geschäftsführung des Bundesrates während des Jahres 1891 wurde diesem Wunsche weiterer Ausdruck gegeben, immerhin unter Hinweisung darauf, daß eine Reform in der Wirksamkeit der Finanzkontrolle im angedeuteten Sinne eine Änderung oder Ergänzung der Bestimmungen der Bundesverfassung in Art. 85, Ziffer 10, und Art. 102, Ziffern 14 und 15, bedingen würde.

Bei der Behandlung der Postulate zur Staatsrechnung pro 1893 wurde die Schaffung eines eidgenössischen Rechnungshofes im Nationalrat wieder in Diskussion gezogen, diesmal unter Betonung der geänderten Verhältnisse infolge des großartig zunehmenden Umfanges des Bundesbudgets seit der Ablehnung der von der Verwaltung unabhängigen Kontrollstelle im Dezember 1892 In der Junisession 1895 nahmen die Anregungen und Wünsche früherer Jahre dann greifbare Gestalt an, indem die Dundesversammlung unterm 28. Juni 1893 ein Postulat betreffend Errichtung einer eidgenössischen Rechnungskammer aufgestellt und dem Bundesrat zur Prüfung und Berichterstattung zugewiesen hat.

Nach einläßlicher Prüfung des Postulats beehrt sich der Bundesnil, Ihnen darüber folgenden Bericht zu erstatten : Wenn der Bundesrat seit der Genehmigung des Règlements über die Organisation der Finanzverwaltung und die Einrichtung und Führung des eidgenössischen Kassen- und Rechnungswesens vom 19. Februar 1877 keine eigentliche Revision der Kompetenzen der Finanzkontrolle vorgenommen hat, au welcher er nach Art. l des citierten Gesetzes vom 11. Dezember18822 berechtig!gewesenu wäre, s u i s t gleichwohl diese Kontrolle durch Verfügungen verbessert und dem vermehrtenBundesbudgett angepaßt worden.

Insbesondere in das abgelaufene Jahrzehnt fallen eine ganze Reihe von Erlassenzurr Verschärfung der Kontrollo im allgemeinen und im speciellen, wie zum Beispiel betreffs der Überwachung der Budgetkredite, der Kassen- und Inventarrevisionen und dos Geschäftsgebarens in den verschiedenen Verwaltungszweigen den Bundes, welche RechnungzuI stellen haben, so daß die gegen-

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wärtige Kontrolle der schweizerischen Finanzverwaltung - ausgenommen die Kontrollierung der direkt dem Finanzdepartement unterstellten Geschäftszweige und die Visakontrolle -- von denjenigen anderer Staaten sich, unserer Verfassungsverhältnisse wegen.

nur in der Form, nicht aber im Zweck unterscheidet.

Es haben diese Erlasse wiederholt den ausdrücklichen Beifall der Staatsrechnungsprüfungskommissiouen gefunden.

Auch existiert bereits seit Jahresfrist der gedruckte Vorentwurf eines Regulativs für die eidgenössische Finanzkontrolle, in welchen» diese verschiedenen Neuerungen, soweit sie sich als praktisch bewährt haben, sowie noch weiter gehende Vorschriften enthalten sind, alles in der Absicht, eine richtige Kontrollieruug der ganzen Bundesverwaltung durchzuführen.

Ferner wollen wir noch folgenden Vorschlages in Art. 1(5'''" erwähnen, den der Bundesrat in seinem Gesetzesentwurf betreffend Revision des Gesetzes Über den Geschäftsverkehr zwischen dem Nationalrate und dem Ständerate etc., vom 30. März 1899, macht: Art. Iß"'8.

a. Budgets, Nachtragskreditbegehren und Staatsrechuungeri einer Amtsperiode sind der gleichen Kommission zur Prüfung und Berichterstattung zuzuweisen.

Im Laufe einer Amtsperiode austretende Mitglieder sind sofort zu ersetzen ; entstehen derartige Lücken zwischen zwei Sessionen, so kann die Ersatzwahl durch den Präsidenten des betreffenden Rates vorgenommen werden.

b. Die zur Prüfung der Budgets, Nachtragskreditbegehreu und Staatsrechnungen bestellten Kommissionen bezeichnen aus ihrer Mitte eine Delegation von fünf Mitgliedern, wovon drei aus der nationalrätlichen und zwei aus der ständerätlichen Kommission.

c. Dieser Delegation liegt die nähere Prüfung und Überwachung des gesamten Staatshaushaltes ob.

Sie versammelt sich mindestens einmal vierteljährlich, im übrigen nach Bedürfnis.

Sie hat das unbedingte und jederzeitige Recht der Einsichtnahme in das Rechnungswesen der verschiedenen Departemente und Verwaltungszweige.

Insbesondere ist derselben auch seitens der Finanzkontrolle jeder mögliche Aufschluß zu erteilen und es sind der Delegation

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zu diesem Zwecke alle Protokolle und Censuren, alle Korrespondenzen zwischen dem Finanzdepartement und den übrigen Departementen bezw. der Bundeskanzlei und dem Bundesgericht, un
alle Bundesratsbeschlüsse, welche sich auf die Überwachung der Budgetkredite und den Staatshaushalt im allgemeinen beziehen, zu Disposition zu stellen.

d. In ähnlicher Weise ist eine Delegation seitens der beiden Kommissionen für Prüfung von Budget und Rechnung der Alkoholverwaltung zu bestellen, welcher die Alkoholverwaltung gedruckte Quartalberichte über den ganzen Geschäftsgang vorzulegen hat.

e. Es steht den beiden Räten die Befugnis zu, auch noch andere Kommissionen für die ganze Dauer einer Legislaturperiode zu bestellen.

Aus den beiden vorerwähnten Gitaten, nämlich dem Entwurf "Regulativ für die Finanzkontrolle" und den ,,Vorschlägen zum Gesetzesentwurf betreuend den Geschäftsverkehr zwischen dem Nationalrat und dem Ständerat", dürfte zur Genüge hervorgehen, wie sehr der ßundesrat darauf hält: daß in) Rechnungswesen der ßundesverwaltung in allen Zweigen Ordnung herrscht und den bestellenden Gesetzen und Vorschriften genau nachgelebt wird, daß den kontrollierenden Organen zur Erfüllung ihrer Aufgabe alle nötigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, und daß der eidgenössische Staatshaushalt in zweckmäßiger und erschöpfender Weise kontrolliert wird, ohne daß es dabei nötig ist, aus dem Rahmen der Bundesverfassung herauszutreten.

Bevor wir jedoch unsern abschließenden Antrag formulieren, wollen wir hier noch eine kurze Schilderung von den Einrichtungen and Befugnissen der Rechnungshöfe auswärtiger Staaten, speciell derjenigen von Frankreich, England, Belgien, Italien, Elsaß-Lothringen und Preußen, deren Institutionen im Finanzwesen wir einem genauen Studium unterworfen haben, gehen.

Kontrollierung der Rechnungen in Frankreich.

In Frankreich wird die Kontrollierung der Ausgaben durch den R e c h n u n g s h o f ( C o u r dos c o m p t e s ) ausgeübt und in gewisser Hinsieht durch die D i r e k t i o n der S t a a t s g e l d e r A-er w a l t u n g ( D i r e c t i o n du m o u v e m e n t g é n é r a l d e s f o n ds).

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Die Hauptaufgabe des Rechnungshofes besteht in der Prüfung und Beschlußfassung (jugement) über die Rechnungen der Rechnungsleger der öffentlichen Verwaltung. Je nach dem Befund wird diesen D é c h a r g e e r t e i l t o d e r s i e w e r d e n e r k a n n t o d e r b e l a s t e t . In letzterem Falle werden die Rechnungsleger gehalten, gemäß den gesetzlichen Vorschriften dein Staatsschatz die unrichtig verausgabten oder ungedeckten Beträge einzubezahlen.

Gegenüber den die Ausgaben anweisenden Behörden (ordonnateurs) übt der Rechnungshof keine Jurisdiktion aus und darf er sich eine solche überhaupt nicht zumessen (Art. 18 des Organisationsgesetzes vom 18. September 1807).

Wenn indessen der Rechnungshof bei der Revision der Belege der Rechnungsleger Unregelmäßigkeiten aufdeckt, welche den die Zahlung anweisenden Behörden zur Last zu schreiben sind, so hat er dem Parlament davon Kenntnis zu geben.

Diese Unregelmäßigkeiten oder sonst Übertretungen von Gesetzen und Reglementen betreffend die Staatsrechnungen sind in den Beilagen zu den A11 g e in e i n e n B e m e r k u n g e n ( D é c l a r a t i o n s g é n é r a l e s } , welche im Jahre 1822 für die Rechnungsablage der Minister vorgeschrieben wurden, aufgeführt.

Der Rechnungshof übergiebt im fernem jedes Jahr dem Staatschef einen Rapport, enthaltend: ,, D a s a l l g e m e i n e E r g e b n i s s e i n e r K o n t r o l l e und seine A n s i e h ton übe r R e f o r m e n und Verbesserungen in den v e r s c h i e d e n e n Teilen d e s Rechnungswesens."

Die in diesem Rapport enthaltenen Bemerkungen werden sodann den zuständigen Dienststellen mitgeteilt, und nachdem letztere ihre Antworten dem Finanzministerium haben zugehen lassen, wird das Ganze gedruckt und sowohl der Deputiertenkammer als dem Senat ausgeteilt.

Die Übertretungen von Gesetzen und Reglementen, aui welche der Rechnungshof das Parlament aufmerksam macht, betreffen gewöhnlich Kreditübortragungen und zwar solche von einem Kapitel auf das andere oder von einem Rechnungsjahr oder Budget auf das andere, oder endlich betreffen sie Kreditüberschreitungen.

Der Rechnungshof hat nicht darüber nachzuforschen, ob die von den Ministern zur Zahlung angewiesenen Ausgaben begründet seien oder nicht; er untersucht nicht, ob dieselben zweckmäßigöder übertrieben seien; er beschränkt sich darauf, festzustellen,

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ob eine Ausgabe auf dem richtigen Kapitel verrechnet ist und ob dieses Kapitel nicht überschritten wurde.

Dem Rechnungshof obliegt also nicht die Kontrollierung über die zweckmäßige Verwendung der Staatsgelder. Einzig dein Parlament steht es zu, sich zu überzeugen, ob die Staatsgolder im besten Interesse des Landes verwendet wurden.

Aber dieso Abnahme der Rechnungen eines Vervvultungsjahres durch das Parlament, das heißt die Prüfung und Genehmigung derselben, erfolgt erst nach Ablauf von mehreren Jahren. Ans der nachfolgenden Zusammenstellung, welche wir, wie die vorstehenden Erörterungen, einem der französischen Kammer im Jahre 1895 vorgelegten offiziellen Bericht entnehmen, geht am besten hervor, wie mangelhaft in Frankreich die Kontrollierung der Hinnahmen und Ausgaben gestaltet ist.

Verwaltungsjahr.

Abnahme und Genehmigung der Rechnungen.

!8()7 20. Mai 1874.

J.8IÌ8 -1869 . . . . 1 6 . November uiid 2 7 . Dezember .1875.

1870 5. August 1882.

1871--1872 . . . . 30. Juli, 1., 11., 14. August 1885.

1873--1874 . . . .

1875 22. Juli 1887.

187H--1877 . . . . 6., 13.. 20., 2 7 . März 1890.

1878-1879 . . . .

1880 27. Juni 1890.

1881--1882 . . . . 7., 14., 2 1 . Juni 1891.

1883 1884 23. Mai 1895.

1885 21. August 1895.

Seither hat sich das Verhältnis nicht geändert, und die. Klagen hören nicht auf über die bedauerliehe Verzögerung der Rechnungsprüfung. Herr Boulanger, der erste Präsident des Rechnungshofes*., hai diesen Zustand wie folgt gekennzeichnet: ,,Zur Stunde sind wir dahin gelangt, dem Parlament die Rechnungen eines vor 10 Jahren aufgestellten Budgets zur Beratung -m unterbreiten.

Welche Wirksamkeit kann eine unter diesen Umstünden ausgeübte Kontrolle haben '? Indessen ist für die Sicherheit des öffentlichen Kredites die Kontrollierung der Finanzen eine gebieterische Notwendigkeit, und giebt es kein Volk, das .sich derselben entsehlagen hätte. England z. B. erledigt seine Budgets 15 Monate nach Ablauf einer Rechnungsperiode. Wie sollten Gesetzesvorschläge zur Regelung des Budgets, welches in diesem Augenblick nicht mehr gilt, den Stützpunkt zur Kontrollierung unserer Finanzen bilden ?"·

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In seiner Abhandlung ü b e r die Finanz wissenS c h a f t verurteilt Herr LeroyBeaulieu diesen Zustand noch strenger mit den Worten : "Diese Rückstände und diese Sorglosigkeit, welche sich seit zehn Jahren verschlimmert haben, sind eine Schande und eine wunde Stelle für die französischen Finanzen Mit dem Ausdruck Sorglosigkeit wollte Herr Leroy-Beaulieu die Leichtfertigkeit kritisieren, mit welcher das Parlament oft, manchmal in einer einzigen Sitzung, ohne irgendwelche Bemerkung, K) bis 12 Milliarden Ausgaben erledigte. Die Rechnungen 1871, 1872, 1873 und 1874 sind in einigen Stunden, einzig unter Verlesung der Artikel des Gesetzesentwurfes, abgethan worden, ohne daß ein Redner das Wort ergriffen hätte. Es handelte sieh ja mir um die Kleinigkeit von 12 Milliarden, 403 Millionen und 225,374 Franken.

Der Bericht, dem wir diese Angaben entnehmen, sagt, w i r g l a u b e n n i c h t , d a ß oi n s o l c h e r Z u s t a n d b e i i r g e n d einer andern europäischen N a t i o n zu f i n d e n wäre.

Diese Verzögerungen in der Abnahme und Beschlußfassung über die Staatsrechnungen fallen zum Teil zu Lasten der Deputiertenkammer, welche offenbar gar kein Interesse mehr zeigt für Abrechnungen, die zehn Jahre nach den wirklich erfolgten Einnahmen lind Ausgaben abgelegt werden, und welche nicht daran denkt, eine Bemerkung oder eine Kritik anzubringen ; es würde dies nichts mehr bedeuten als die Arbeit eines Altertumsforschers.

Der Senat seinerseits, welchem diese Rechnungen übermittelt, werden, beeilt sich für deren Prüfung auch nicht und behält sie oftmals bei zwei Jahren zurück, bevor er sie behandelt, wie dies im Jahre 1893 geschehen ist.

Die Verantwortlichkeit für diese Rückstände fallt aber auch zum Teil dem Rechnungshof und seiner langsamen Arbeit zur Last, die von der Kammer ernannte Rechnungskommission muß warten, bis sie im Besitze des offiziellen Rapportes des Rechnungshofes ist, um mit der Prüfung des Gesetzesentwurfes betreffend die Genehmigung der Rechnungen eines Verwaltungsjahres beginnen zu können. Nun aber wird dieser Rapport, welcher gleichzeitig mit den A l l g e m e i n e n B e m e r k u n g e n ( D é c l a r a t i o n s g é n é r a l e s ) erscheinen sollte, erst einige Monate später dem Präsident der Republik übergeben. An dem Rückstand sind sodann die verschiedenen öffentlichen
Verwaltungen schuld, welchen obgenannter Rapport samt den A l l g e m e i n e n B e m e r k u n g e n ( D é c l a r a t i o n s g é n é r a l e s ) mitgeteilt werden muß, damit sie

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ihre Aufschlüsse anbringen können. Viele dieser Verwaltungen warten monatelang, bevor sie ihre Antworten einsenden, einiger sogar antworten gar nicht. Daher rühren die nicht enden wollenden Rückstände.

Was die D i r e k t i o n der S t a a t s g e l d e r ve r w a l t u n g ( D i r e c t i o n d u Mouvementgénéral des Fondsanbetrifft,t, welche dein Finanzministerium unterstellt ist, beschränkt sie sich darauf, die durch das Budget bewilligten Kredite, sowie die Nachtragskredite einzutragen. Sie visiert die ihr zugehendministste riellen Anweisungen zur Zahlung, was ihr gestattet, den Stand der Budgetkredite zu übersehen ; keine ministerielle Zahlungsanweisung kann daher honoriert werden ohne das Visum der Direktion der Staatsgelderverwaltung (Direction du Mouvement général des Fonds). Sie kann sich auf diese Weise versichern.

ob eiZahlungsanweisungung sich auf einen regelmäßig eröffneten Kredit bezieht und ob dieselbe sich im Rahmen dieses Kredites bewegt. Ihr Hauptaugenmerk besteht erreicht zu werden, wenn man die in den Rapporten des Rechnungshofes enthaltenen Bemerkungen sieht. Dio Direktion der Staatsgelderverwaltung (Direction du Mouvement général des F o n d i s t i s l nicht im Falle, sich über die Nützlichkeit der Ausgaben und über die zweckmäßige oder unzweckmäßige Verwendung der StaatsBeidauszusprechen.en.

Im i'ernern bestehen F i n a n z i n s p e k t o r e n , welche Kontrollbeamte des Finanzministeriums sind. Diese Inspektoren nehmen die Kassenverifikationen vor und haben die Aufgabe, die Geschicklichkeit und Intelligenz der Einnehmer zu würdigen, bei .Bedarf das Personal zu vermehren oder zu vermindern und in den verschiedenen Dienstzweigen Verbesserungen anzuordnen. Dieser Inspektionsdienst übt in den Grenzen seiner Befugnisse eine wirkliche und wirksame Kontrolle aus und gelangt öfters dazu, Mißbrauche und Unregelmäßigkeiten zu entdecken, welche der Rechnungshof nicht erkennen kann.

Die Schlußfolgerung aus unserm vorstehenden Bericht über die Rechnungskontrolle in Frankreich ergibt sich von selbst.

Der Rechnungshof übt ohne Zweifel eine Kontrolle Über die Rechnungen aus ; er kontrolliert die Rechnungsleger, aber seine Kontrolle ist gleich Null in Bezug auf die die Ausgaben anweisenden Behörden. In der Amtsgebarung der Rechnungsführer wird man einen Irrtum von einem Rappen rügen ; hingegen steht

d

890 die Amtsführung der anweisenden Behörde, welche über die Kredite verfügt, dieselben richtig oder unrichtig verwendet, welche die Avisgaben veranlaßt, außerhalb der Revisionskompetenz des Rechnungshofes. Die Kontrollo wird zudem durch den Rechnungshof mit einer solchen Langsamkeit ausgeübt, daß sie nur zu ölt unwirksam wird. Ist das.Budget einmal durch die Kammern bewilligt, so haben letztere damit alles aus den Hunden gegeben ; sie können die Verwendung der Staatsgelder, die bewilligt wurden, nicht selbst verfolgen. Um zu wissen, in welchem Maße ihre Beschlüsse befolgt oder umgangen worden sind, müssen die Kammern warten, bis ihnen die Rechnungen unterbreitet werden, und sie erhalten dieselben erst naeh Mitteilung derselben an die verschiedenen Verwaltungszweige und nach Beantwortung der gemachten Bemerkungen. Alles dies verursacht solche Verzögerungen, daß in Frankreich die Kontrolle der Ausgaben in Wirklichkeit nur auf dem Papier existiert und dein gänzlichen Mangel einer Kontrolle gleichkommt. Man beklagt sieh über diesen Zustand und verlangt, daß da Abhülfe geschaffen werde. ,,D äs m u ß a n d e r n w e r d e n " sagte Herr Paul Deschanel, Präsident der Deputiertenkammer.

"Man sollte alle Jahre, sagt Herr Leroy-Beaulien, in einer höhern Prüfungskommission Abgeordnete des Rechnungshofes, der Inspektion der Finanzen und einige Mitglieder dor beiden Kammern vereinigen mit dem Auftrag, einen Bericht über die finanzielle Verwaltung des Landes vorzulegen: dadurch würde man sowohl die Kontrolle wirksamer gestalten, als auch die Reformen begreiflicher machen.a Die Kontrollierung der Einnahmen und Ausgaben, wie sie in Frankreich mit dem System eines Rechnungshofes organisiert ist, wird allgemein als mangelhaft anerkannt, und man sucht schon lange nach Mitteln, dieselbe ernsthafter und wirksamer gestalten zu können.

Kontrollierung der Rechnungen in England.

In England besteht eine gesetzliche Kontrolle, welche wirksam nur guten Ordnung in den Finanzen dieses Landes beiträgt. Vorerst muß erwähnt werden, daß die strenge Einhaltung des Budgets in England als eine Hauptforderung gilt und daß man vorzieht, eine, wenn auch nützliche, Ausgabe zu verschieben, als dieselbe verspätet in das Budget aufzunehmen. Doshalb werden Nachtragskredite auch nur für ausnahmsweise und sehr seltene Fälle eröffnet, im allgemeinen nur für die Ministerien des Krieges und der Marine.

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Das Kontrollsystem in England besteht aus zwei Abteilungen; nämlich d e m A u d i t o f f i c e o d e r A u d i t a n d E x c h e q u e r D e p a r t m e n t und dem parlamentarischen Ausschuß für die öffentlichen Rechnungen, C o m m i t tee of p u b l i c accounts Der A u d i t o f f i c e besitzt ungefähr ähnliche Befugnisse wie ein Rechnungshof; er kontrolliert und prüft die Rechnungen eines jeden Finanzjahres, aber mit großer Beschleunigung; nachher übermittelt er die Rechnungen mit einem Bericht dem parlamentarischem Ausschuß. Dieser, eine ständige Organisation, hat zu unbeschränkter Untersuchung Vollmacht, er entscheidet über alle vom Généralcontrôleur aufgeworfenen prinzipiellen und Detailfragen und bezeichnet oder schlägt die Reformen vor, welche er in der Rechnungsführung und in der Finanzgebarung des Landes als notwendig erachtet.

Dieser Ausschuß, welcher jährlich bei Beginn der Session ernannt wird, läßt vor ihm alle Hauptbuchhalter erscheinen, dio Mitglieder des Schatzamtes und überhaupt alle Personen, deren Zeugnis zu vernehmen er als nützlich erachtet. Kr läßt sich alle Schriftstücke und Dokumente vorlegen, welche ihn in die Lago setzen, die Ausführung des Budgets zu verfolgen und sich zu vergewissern, daß die verlangten Reformen durchgeführt wurden.

Dieser Ausschuß gleicht ziemlich einer Vereinigung von Geschäftsleuten, welche die Verwaltung des öffentlichen Vermögens überwacht, wie wenn sie ihr Privatvermögen überwachen würde oder dasjenige einer Gesellschaft, deren Leiter sie "wäre. Das Charakteristische iu seiner Thätigkeit -- was zugleich ein Zeichen des Geistes der öffentlichen Meinung in England bildet - ist die Thal sache, daß der Ausschuß in seiner Mitte immer Mitglieder der Opposition zählt und daß der Präsident, welcher die Verhandlungen leitet und der einen ausschlaggebenden Einfluß besitzt, stets ein Mitglied der Opposition ist.

Die Schnelligkeit bildet einen der Vorteile der in England üblichen Kontrollmethode. So soll die Verifikation der Rechnungen durch den Général-Contrôleur am 31. Januar dos Jahres beendigt sein, das demjenigen folgt, in welchem das Finanzjahr sein Ende erreicht hat (31. Januar 1895 für die Rechnungen von 1893/1894).

Vierzehn Tage nachher werden der Kammer die Rechnungen und der Bericht des A u d i t O f f i c e vorgelegt. Ende des nächstfolgenden
Juli (Juli 1895 für die Rechnungen von 1893/1894) hat der parlamentarische Ausschuß meistens seine Arbeiten beendigt und es bleibt nur noch die Beratung und Beschlußfassung durch

892 das Parlament übrig. Die Rechnungen eines Budgets sind stets fünfzehn oder sechzehn Monate nach Schluß des Finanzjahres definitiv geregelt.

Dies ist in wenigen Zügen die Organisation der Rechnungskontolle in England (siehe die Abhandlung des Herrn Victor Marce, Rat beim Rechnungshof in Frankreich, In vérification l'apurement des comptes en Angleterre").

Kontrollierung der Rechnungen in Italien.

Auch in Italien besteht ein Rechnungshof. Derselbe übt die vorgängige Kontrolle der Ausgaben aus, bei den Zahlungs-Anweisungen, sowie bei allen Beschlüssen der Regierung, welche Veranlassung zu einer Ausgabe geben könnten. Das KomptabilitätsGesetz vom 17. Februar 1884 spricht sich wie folgt aus: ,,Jede von einem Minister unterzeichnete Anweisung wird dem Rechnungshof übermittelt, welcher dieselbe bucht und visiert, nachdem er sich davon überzeugt hat, daß diese Anweisung kein Gesetz verletzt und der Betrag den verfügbaren Kredit nicht überschreitet.c'" Die einen halten diese Einmischung des Rechnungahofes in
In der That, wenn zwischen dem eine Ausgabe zur Zahlung anweisenden Minister und dem die vorgängige Kontrolle ausübenden Rechnungshof Anstände entstehen und der Minister giebt nach, so ist dessen Verantwortlichkeit durch den Entscheid des nicht vom Parlament abhängigen Rechnungshofes gedeckt. Es kann auch vorkommen, daß ein Minister nicht nachgieb und sich über den Entscheid des Rechnungshofes hinwegsetzt, trotz dem Fehlen des Visums des letztern.

Neben der vorgängigen Kontrolle der Zahlungsanweisungen übt der Rechnungshof im weitern die n a c h t r ä g l i c h e Kontrollierung der Rechnungen aus, wenn dieselben abgeschlossen und zur Prüfung bereit sind.

Ferner besitzt in Italien die Leitung der Staatsbuchhaltung ziemlich ausgedehnte Kontrollbefugnisse, herrührend von der dem

«9« Minister des Schatzamtes übertragenen Oberaufsicht über die Chel'h der Buchhaltungen der verschiedenen Ministerien.

Daher läßt dieser Leiter der Buchhaltung in allen Verwaltungszweigen Kassenund Bücheruntersuchungen vornehmen und beruft die Buchhaltungschefs der Ministerien zu sich, wenn er es für nötig erachtet, von ihnen Aufschluß zu verlangen oder ihnen Weisungen zu erteilou.

Man kann daher behaupten, daß der Leiter der Staatshuchhaltung in der Lage ist, alle Akten, durch welche die Minister die Ausgaben des Staates in Anspruch nehmen, zu kontrollieren und dio Oberaufsicht über deren Verwaltungen auszuüben.

Kontrollierung der Rechnungen in Belgien.

Wie in Frankreich und in Italien, besteht auch in Belgien eil» Rechnungshof. Was denselben aber besonders charakterisiert, int, daß er, gleich demjenigen Italiens, vor allem aus darüber a« wachen hat, daß vor der Auszahlung kein Budgetansatz des Staatesund der Provinzen überschritten wird. Dieser Rechnungshof besteht aus einem Präsidenten, sechs Räten und einem Sekretär, alle sechs Jahre durch die Repräsentantenkammer gewählt, welche sie auch wieder abberufen kann.

Es ist also eine Art Kommission, hervorgegangen aus dem Parlament; er hat eher die Eigenschaft eines Hülfsdienstes der Kammern als diejenige einer besondern Behörde, wie dor französische Rechnungshof.

Auf koinè Anweisung kann von der Staatskasse Zahlung g«leistet werden ohne das Visuni des Rechnungshofes. Dieses System der vorgängigen Visakontrolle hat gleich wie in Italien seine Vorteile und seine Nachteile, wie auch seine Befürworter und HCÌUC Gegner. Die erstem behaupten, daß, wenn dieses Verfahren in gewissen Fällen für die Minister auch hindernd sei, so hüten sich unter andern Umständen diese hohen Funktionäre, Entscheide 7.11 treffen, welche man von ihrem Wohlwollen erwartet.

Die Gegner ihrerseits sagen, daß allemal unliebsame Verzögerungen entstehen, wenn sich zwischen dem Rechnungshof und der Verwaltung Meinungsverschiedenheiten bilden. Deshalb sind diese Verzögerungen in der Vollziehung der Ausgaben nicht nur bedauerlich im Interesse einer prompten Besorgung des Dienstes, sondern sie sind auch den Interessen des Staatsschatzes direkt

894 nachteilig. Es ist vorgekommen, daß gewisse Gläubiger infolge des ihnen durch dieses Verfahren entstandenen Schadens sich an die Gerichte gewandt und Entschädigungen erhalten haben. Ferner ist, auch vorgekommen, daß die Regierung, welche leben und dio eingegangenen Verpflichtungen halten muß, die Zahlungen von Ausgaben verfügt hat, für welche der Rechnungshof sich weigerte, die Anweisungen 7,11 visieren.

Der Rechnungshof, als eine Kommission der Repräsentantenkammer angesehen, hat die gleichen Rechte wie ein Mitglied einer Kommission, nämlich sich alle die Einnahmen und Ausgaben betreffenden Aufschlüsse und Aufklärungen mitteilen, sämtliche .Belege vorlegen und alle Rechnungsführer, Beamten oder andere Personen vor ihm erscheinen an lassen, deren Vernehmlassung ihm nützlich erscheint. Er hat das Recht, den Ministern Vorstellungen zu machen über die Art und Weise, wie die Projekte für öffentliche Bauten studiert worden sind, über die Ausführung der Verträge und abgeschlossenen Geschäfte, über die Rückstände in der Honorierung gewisser Ausgaben, über die den Unternehmern bewilligten Entschädigungen etc..

Seine Thätigkeit, namentlich in Verbindung mit der vorgängigen Kontrolle, äußert sich indessen nicht, ohne hie und dit die Verantwortlichkeit der Minister zu vermindern und deren- Kompetenzen zu beeinträchtigen.

Was die Genehmigung der Rechnung eines Finanzjahres durch die endgültige Abstimmung des Parlaments anbetrifft, so erfolgt dieselbe im allgemeinen in der Repräsentantenkammer ein Jahr nachdem diese Behörde in den Besitz des Berichtes des Rechnungs-hofes gelang! ist: d i e Abstimmung i m Senat erfolgt einige Der Zeitraum zwischen dem Abschluß des Rechnungsjahres und der definitiven Genehmigung der Staatsrechnung durch die Kammern beträgt in Belgien gewöhnlich drei und sogar vier Jahre.

Kontrollierung der Rechnungen in Elsass-Lothringen und Preussen.

Die Kontrolle über den Landeshaushalt von Elsaß-Lothringen wird dem Reichsgesetz vom 11. Februar 1875 zufolge von der

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preußischen Oberrechnungskammer unter der Benennung ,,Rechnungshof des Deutschen Reiches" ausgeübt.1) Einrichtung und Befugnisse der Oberrechnungskammer sind nach dem gegenwärtig in Kraft bestehenden preußischen Gesetz vom 27. März 1872, dem königl. Regulativ hierzu vom 22. September 1873 und der -- freilich vielfach durchlöcherten -- königl.

Instruktion für die Oberrechnungskammer vom 18. Dezember 1824 im wesentlichen folgende: 1. Die Oberrechnungskammer steht unmittelbar unter dem Könige: sie ist den Ministern gegenüber eine selbständige Behörde.

2. Dio Oberrechnungskammer besteht, aus einem Chef-Präsidenton und der erforderlichen Anzahl von Direktoren, Räten, Revisoren, Kalkulatoren und Kanzleisekretären. Chef, Direktoren und Räte ernennt der König, und zwar den erstem auf den Vorschlag desGesamtministeriums die Direktoren und Räte auf den Vorschlug des Chef-Präsidenten der Oberrechnungskammer unter Gegenzeichen nung des Vorsitzenden des Ministeriums. Die übrigen Beamten ernennt der Chef-Präsident der Oberrechnungskammer Das Revisionspersonal ist der Regel nach aus bewährten Rechnungsbeamten der Provinzialbehörden zu entnehmen, die Anstellung erfolgt jedoch erst nach Ableistung eines Probedienstes von höchstens 6 Monaten.

3. Präsident, Direktoren und Räte bilden das eigentliche Kollegium der Oberrechnungskammer.

Das übrige Personal besorgt die Prüfung der Rechnungen im Detail.

4. Die Geschäfte der Oberrechnungskammer werden unter der obersten Leitung des Präsidenten in verschiedenen Abteilungen ') Der KUaß-Lothringische Landeshaushalt zahlt an die Ausgaben des Rechnungshofes des Deutschen Reiches bei einem Ausgabenbudget von rund Alk. 55,000,00!) einen Jahresbeitrag von Mk. 42,013. (Siehe Budgets bis 1896.)

Dieser Beitrag ist wie folgt berechnet: Für 6 Revisoren ]e Mk 4200 An Wohruingsgeldzuschiissen (1 X #00 Mk., ttx660Mk.)

Zu Unterstützungen für 6 Bureaubeamtc Zu Gescliäftsbedürfnissen, Reisekosten etc.

. . . .

Zur mietweisen Beschaffung der Reschäftslokale . . .

,, 26,200.

.

4,8ÜO.

,, 460.

1,266.

» 1,537. --

Zusammen

Mk. 42,013.--

H 96

und Revisionsbureaux bearbeitet. Jedes Revisionsbureau besteh) aus einem Rate als Vorstand und in der Regel aus fünf Revisionsbeamten. Fünf bis sechs Revisionsbureaux bilden eine Abteilung, welche von einem Direktor geleitet wird.

5. Die Oberrechnungskammer hat zur Aufgabe: u) Die Kontrolle des gesamten Staatshaushaltes durch Prüfung und Feststellung der Rechnungen über Einnahmen und Ausgaben von Staatsgeldern, über Zugang und Abgang von Produkten, Materialien, Vorräten und sonstigem Staatseigentum und über die Vorwaltung der Staatsschulden zu führen; b) die Bemerkungen über die Ergebnisse der Rechnungsrevision zu verfassen und ; behufs Vorlage au den Landtag (bezw.

Landesausschuß), dem Staatsministerium zuzustellen. (Siehe Ziffer 16.)

Die Revisionsprotokolle stehen den Kammern nicht nur Verfügung. (Siehe Ziffer 18.)

Den Geschäftsbericht für den König zu verfassen. (Siehe Ziffer 19.)

6. Eine Mitwirkung bei der Aufstellung des Budgets hat die Oberrechnungskammer nicht. Von dem gesetzlich bewilligten Staatshaushaltsbudget und den Anlagen dazu erhält die Oberrechungskammer Mitteilung und es werden die entsprechenden Teile derselben den Beamten der einzelnen Revisionsbureaux zugestellt.

7. Damit die Revision der Rechnungen ihren Zweck erfülle, ein Urteil über die geführte Verwaltung zu gewähren, darf die Oberrechnungskammer nicht auf eine bloß formelle und kalkulatorische Prüfung beschränkt sein, sondern sie muß sich gleichzeitig davon überzeugen, ob die zur Nachachtung bekannt gegebenen allgemeinen Verwaltungsgrundsätz festgehalten, die einzelnen Verwaltungen nach den bestehenden Gesetzen, Verordnungen, Instruktionen und Budgets gewissenhaft geführt, Einnahmen und Ausgaben gehörig nachgewiesen und die den Verwaltungen bewilligten Summen bestimmungsgemäß verwendet werden, oder ob davon abgewichen wurde; ob das Staatseinkommen innerhalb den gesetzliehen Bestimmungen so ergiebig als möglich gemacht und ob bei Verwendung der Ausgaben zweckmäßig und mit möglichster Sparsamkeit 7,11 Werke gegangen worden sei, oder ob dio Einnahmen ohne Druck vermehrt und die Ausgaben vermindert hätten werden können.

897 8. Der Revision der Oberrechnungskammer unterliegen sämtliche Rechnungen des Staatshaushaltes -- die Kredite zu geheimen Ausgaben ausgenommen --- und die Rechnungen derjenigen Institute, Anstalten, Stiftungen und Fonds, welche durch Staatsbebehürden verwaltet werden, gleichviel oh sie Zuschüsse vom Staat erhalten oder nicht.

Indessen ist die Oberrechnungskammer berechtigt, Rechnungen von untergeordneter Bedeutung *) von ihrer regelmäßigen Prüfung auszuschließen und die Revision, sowie die Dechargierung derselben den Verwaltungsbehörden zu überlassen. Die Oberrechnungskammer soll jedoch von Zeit zu Zeit dergleichen Rechnungen und Nachweisungen einfordern, um sich zu überzeugen, daß die Verwaltung der Kredite, worüber sie geführt werden, vorschriftsmäßig erfolgt. Über die von der regelmäßigen Prüfung der Oberrechnungskammer ausgeschlossenen Rechnungen ist dem Landtag mittelst eines besonderen Verzeichnisses Kenntis zu geben.

9. Die Rechnungen der Bureaukasse der Oberrechnungskammer werden vom Chef-Präsidenten derselben revidiert. Damit aber letzterer sich nicht selbst dechargiere und jeder Kontrolle entziehe, d. h. damit die Rechnungen der Oberrechnungskammer nicht einzig von der die Zahlungen anweisenden Stelle geprüft, werden, sondern auch eine von der Oberrechnungskammer unabhängige Kontrolle passieren müssen, sind diese Rechnungen mit den Revisionsbemerkungen des Chef-Präsidenten den beiden Hänser des Landtages zur Prüfung und Décharge vorzulegen.

10. Die Revision der Rechnungen geschieht im Wohnsitze dei- Oberrechnungskammer -- in Potsdam -- zu welchem die gehörig belegten Rechnungen an dieselbe gelangen müssen.

Dem Chef-Präsidenten steht es jedoch frei, Delegierte an Ort und Stelle abzuordnen in allen Fällen, wo es notwendig wird, so zum Zwecke der Erörterung von Bedenken und Erinnerungen gegen die Rechnungen, oder zur Informationseinziehung über die Einzel') Hierzu gehören beispielsweise: Die Rechnungen über die Extrakassenfonds bei den Strafanstalten und Gefängnissen, welche für jeden einzelnen Gefangenen den ihm gebührenden Verdienstanteil als Einnahme und die Ausgaben für die Extrabeköstigung, Aushändigung des Überschusses bei der Entlassung etc. ergeben.

Die Rechnungen der Krankenkassen für die bei Regiebauten beschäftigten Arbeiter.

Die Nachweise über die Bewegungen in den Bureau-MaterialrechBungen etc.

Bundesblatt.

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898 beiten der Verwaltung, oder zu außerordentlichen Kassen- und Magazin-Revisionen.

11. Die Termine zur Einsendung der seitens der Verwaltungen abzulegenden Rechnungen und die Fristen zur Erledigung der dagegen aufgestellten Erinnerungen werden von der Oberrechnungskammer bestimmt.1) Dies ist um so notwendiger, als die Obliegenheiten der letztern mit größter Regelmäßigkeit erfüllt werden müssen, wenn dio Bemerkungen au der allgemeinen Rechnung über den Staatshaushalt eines jeden Jahres zur gehörigen Zeit den Häusern des Landtages (bezw. dem Landesausschuss) vorgelegt werden sollen. Die Rechnungen umfassen ein volles Vorwaltungsj ah r.

12. Die Oberrechnungskammer erteilt den rechnungslegenden Beamten, wenn sie ihren Verbindlichkeiten vollständig genügt und die aufgestellten Erinnerungen erledigt haben, Rechnungsdecharge.

Bestehen gebliebene Meinungsverschiedenheiten zwischen der Oberrechnungskammer und den Verwaltungen bilden, wenn sie vom Ministerium auch nicht gehoben werden können, den Gegenstand von Bemerkungen, welche dem Landtage, beziehungsweise Landesausschuß oder dem König, je nach der Natur der Anstände, vorzulegen sind. (Siehe Ziffer l B und 19.)

13. Die Rechnungen und Belege sind vor der Einsendung an die Oberrechnungskammer sowohl in kalkulatorischer als in formeller und materieller Hinsicht durch die zuständigen Verwaltungsbehörden einer Vorprüfung (Abnahme) zu unterziehen und mit den nötigen Erläuterungen und Bemerkungen, sowie den etwa noch fehlenden Bescheinigungen zu versehen. Das Über die Abnahme der Rechnung aufgenommene Revisionsprotokoll ist mit der Rechnung an die Oberrechnungskammer zu senden.

*) Das Budgetjahr für Elsaß-Lothringen beginnt mit dem 1. April und schließt mit dem 31. März jeden Jahres. Die Rechnungen über ein abgelaufene Budgetjahr sind in der Zeit vom Juni bis Ende März des Folgejahres -- also für das Budgetjahr 1890/97 vom Juni 1897 bis Marx 1898 -- an den Rechnungshof einzureichen.

Das Geschäftsjahr des Rechnungshofes währt vom 1. Oktober bis 30. September für die Revision und im folgenden Geschäftsjahr müssen die Erinnerungen erledigt und die Entlastung -- Décharge -- erteilt sein.

Dem Landesausschuß wird indessen seitens des Ministeriums nach Schluß des Rechnungsjahres in der nächsten Session eine Übersicht der Einnahmen und Ausgaben mit einer
Zusammenstellung der Budgetüberschreitungen und außerbudgetmäßigen Ausgaben mit ihrer Begründung und mit dem Ersuchen auf nachträgliche Genehmigung der Budgetüberschreitungen und außerbudgetmäßigen Ausgaben vorgelegt, vorbehaltlich der bei der Prüfung der Rechnungen sich etwa ergebenden Erinnerungen.

899 14. Dem Landtage wird, nach Artikel 104 der Verfassungsurkunde, seitens des Staatsministeriums nur die gedruckte allgemeine Rechnung über den Staatshaushalt jedes Jahres, nebst de» dazu gehörigen Specialrechnungen und den Bemerkungen der Oberrechnungskammer, zur Entlastung vorgelegt, die Rechnungen der Kassen und die Belege dazu dagegen nicht. -- Eine bestimmte Frist für die Einreichung der Bemerkungen der Oherrechnungskamirier ist nirgends festgesetzt. In der Regel gehen sie kurz vor oder nach Ablauf des zweiten Geschäftsjahres der Oberrechnungskammer beim Ministerium üur Rückäußerung ein und werden dann, eventuell nach Modifikation, in naher Zeit dem Ministerium mit den bescheinigten Rechnungen zugestellt. ') 15. Eine Nachweisung und Begründung der Uudgetühorschreitungeti und der außerbudgetmäßigen Ausgaben ist jedesmal im nächsten Jahre, nachdem sie entstanden sind, den Häusern des Landtages zur nachträglichen Genehmigung vorzulegen. Die Erinnerungen der Rechnungsprüfung werden durch diese Genehmigung nicht berührt.

16. Die von der Oberrechnungskammer unter selbständiger, unbedingter Verantwortlichkeit aufzustellenden Bemerkungen für den Landtag- (beziehungsweise Landesausschuß) müssen ergeben: *) In Elsaß-Lothringen sind die definitiven Bemerkungen des Rechnungshofes über den Landeshaushalt eingegangen: Für das Budgetjahr 1887/88 am 24. April 1891 1888/89 am 16. Januar 1893 1889/90 am 11. März 1893 1890/91 am 22. März 1894 1891/92 am 28. März 1895 1892/93 am 24. April 1896 1893/94 am 28. April 1897 Die allgemeine Rechnung ist dem Landesausschul.i zur Erteilung der Entlastung vorgelegt worden: Für das Budgetjahr 1887/88 am 21. Januar 18Ü2 1888,89 am 17. Februar 1898 1889.90 am 24. Januar 1894 1890/91 am 23. Januar 1895 1.891/92 am 24. Januar 1896 1892/98 am 18. Januar 1897 1893/94 am 23. Januar 1898 Der Druck der allgemeinen Rechnung erfolgt in der Regel schon im Mai-Juni; die Vorlegung an den Landesausschuß geschieht immer erst nach Eröffnung der Session, welche in der Regel von Mitte Januar bis Marx dauert (siehe Ziffer 15).

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1. üb die in der Rechnung aufgeführten Beträge iu Einnahme und Ausgabe mit denjenigen übereinstimmen, welche in den von der Oberrechmingskammer revidierten Kassenrechnungeu iu Einnahme und Ausgabe nachgewiesen sind (also die Bescheinigung der kalkulatorischen Übereinstimmung der gedruckten Rechnung mit den revidierten Kassenreehnungen und Belegen); 2. ob und inwieweit, bei der Vereinnahmung und Erhebung, bei der Verausgabung oder Verwendung von Staatsgeldern, oder bei der Erwerbung, Benützung oder Veräußerung von Staatseigentum Abweichungen von den Bestimmungen des gesetzlich festgestellten Haushaltungs-Budgets, oder der von der Landesvertretung genehmigten Titel der Spécial-Budgets, oder von den mit den einzelnen Positionen des Budgets verbundenen Bemerkungen, oder von den Bestimmungen der auf die Staatseinnahmen und Staatsausgaben, oder auf die Erwerbung, Benützung oder Veräußerung von Staatseigentum bezüglichen Gesetzen stattgefunden haben, inbesondere 3. zu welchen Budgetüberschreitungen, sowie zu welchen aulierbugetmäßigen Ausgaben die Genehmigung des Landtages noch nicht beigebracht ist. ') 17. Mit der Aufstellung der Bemerkungen fui1 den Landtag ist die Aufgabe der Oberrechnungskammer, für die Zwecke der Landesvertvetung mitzuwirken, als abgeschlossen zu betrachten.

Sie kann sich weder an den Erläuterungen ihrer Bemerkungen im Landtage beteiligen, noch mit demselben in unmittelbare Beziehung treten.

18. Hinsichtlich der Entlastung der Rechnungen durch die gesetzgebende Versammlung bestimmt die Verfassung, daß über die Verwendung aller Einnahmen das Staatsministerium dem Landtage zur Entlastung alljährlich Rechnung zu legen habe.

Über die Form dev Rechnung ist nichts bestimmt: dieselbe hat. sich, so wie gesehen, entwickelt im Einverständnis der gesetzgebenden Faktoren. Ebensowenig ist irgend etwas besonderes bestimmt ilber Pflichten und Befugnisse der Rechnungsprüfung.

Indessen können für letztere keine anderen Momente in Krage ') Hier handelt es sich um solche Mehrausgaben gegen die iu den einzelnen Titeln etc. des Budgets festgesetzten Beträge, sowie um solche Ausgaben, für welche das Budget kein Deckungsmittel enthält, die bei der Prüfung der Rechnungen als solche sich erst herausstellen (vergleiche Ziffer 11, Anmerkung l, Absatz 3, und Ziffer 15.).

901 kommen, als die Durchsicht der gedruckten allgemeinen Rechnung nebst Specialrechnungen und die Prüfung der "Bemerkungen" der Oberrechnungskammer, indem dem Landtage bei der Prüfung der Verwaltung der Einnahmen und Ausgaben des Staates sonstiges Revisionsrnaterial behufs Erteilung der Entlastung der Regierung von der Rechnung nicht vorgelegt wird. In welcher Art die gesetzgebenden Faktoren zu den Bemerkungen der Oberrechnungskammer Stellung nehmen, 1 ) ist ihnen überlassen. Hat die Oberrechnungskammer keine Erinnerungen zu stellen, so entfallen solche nach für die Landesvertretung 19. Nach Ablauf eines jeden Geschäftsjahres erstattet die Oberrechnungskammer dem Könige einen konfidentiellen Bericht 11 heidi e Ergebnisse ihrer Geschäftsthätigkeit welchem zugleich ihre gutachtlichen Vorschläge beizufügen sind, ob und inwieweit nach den aus den Rechnungen sich ergebenden Resultaten der Verwaltung zur Beförderung der Staatszwecke im Wege der Gesetzgebung oder der Verordnung Verbesserungen notwendig oder ratsain erscheinen.

Im speciellen hat der Geschäftsbericht namentlich folgende Gegenstände zu enthalten : (t. Mängel in der Verwaltung, wie: Abweichungen von Gesetzen und Vorschriften ; //. Auslegung der Gesetze durch die Verwaltungsbehörden, womit die Oberrechnungskammer sich nicht einverstanden erklärt; c. Angabe derjenigen Rechnungen, welche die Verwaltungsbehörden revidieren und dechargieren (Ziffer 8, Absatz 2) : d. Verzeichnis derjenigen Fälle, wo an Ort und Stelle Rechnungs-, Kassen- und Magazinrevisionen vorgenommen wurden (Ziffer 10); <>. sonstige wichtige Gegenstände ; /'. Bemerkungen über das Budget, wie: Mängel am Budget welche bei der Revision der Rechnungen bemerkbar wurden : ' > Wie dur gedruckte Sitzungsbericht des Landesa ausschusses vom '24. März 1897 ergiebt, ist z. B. die Behandlung der Bemerkungen des Rechungshofes über den Landeshaushalt vou Elsaß-Lothringen für das Budgetjahr 1892/93 ganz im Sinne der Regierung und in sehr einfacher Weist: geschehen, indem die Kommission, nach Kenntnisnahme von der allgemeinen Rechnung und den Specialrechnungen, gegen die speciellen Revisionsbemerkunge des Rechnungshofes nichts zu erinnern fand und die Erteilung der Entlastung beantragte, was vom Landesausschuß ohne Diskussion beschlossen wurde.

902

ff. Anführung der Gründe, welche Veranlassung zu Mindereinnahmen oder Mehrausgaben gegen das Budget ergeben haben, und freimütige Äußerungen darüber : ob und was deshalb den Verwaltungsbehörden etwa zur Last fällt, und welche Gattungen von Einnahmen und Ausgaben es hauptsächlich sind, bei denen sich Mangel an reger umsichtiger Verwaltung oder Unwirtschaftlichkeit bemerkbar macht;.

Vorschläge zu Verbesserungen und zur Abstellung irgend eines Mangels oder Mißbrauches.

Mit wichtigen Gegenständen ist nicht zuzuwarten bis zur Erstattung des Geschäftsberichtes : solche sind vielmehr jedesmal, so wie sich Veranlassung dazu bietet, vorzubringen

Schlussfolgerung Die vergleichende Prüfung über die in verschiedenen Staaten Europas in Kraft bestehende Kontrollierung der Finanzen, die wir soeben vorgenommen haben, gestattet uns, die Schlußfolgerungen leicht zu ziehen : Wir haben nun in der That gesehen, daß die Schaffung eines Rechnungshofes nicht notwendigerweise eine Garantie bietet für die schnelle und peinliche Kontrollierung der Finanzverwaltung eines Landes. Will man eine wirklich ernsthafte Kontrolle, so muß dieselbe so organisiert sein, daß sie die Ausführung dos Budgets und die Verwendung der bewilligten Gelder von nahem verfolgen kann und eine rasche und vollständige Prüfung aller Verhandlungen in Einnahmen und Ausgaben eines Finanzjahres gestattet, was in verschiedenen Ländern, mit einein Rechnungshof, nicht der Fall ist. Für eine gute Kontrollierung ist es unumgänglich notwendig, daß zwischen dein Abschluß und der Prüfung und Abnahme der Rechnungen eines Finanzjahres nur ein sehr kurzer Zeitraum verflossen sei. Eine Kontrollierung der Finanzen verliert allen Wert und jede Wirksamkeit, wenn sie erst zwei oder mehrere Jahre nach dem geschehenen Abschluß erfolgt, wie dies in Frankreich und in andern Ländern der Fall ist. Im fernem bedingt eine gute Kontrolle, daß sie die vorgängige Prüfung dei" anzuweisenden Ausgaben vornehmen kann. Eine derartige Kontrolle und Prüfung bildet gleichzeitig die beste und sicherste Grundlage einer richtigen Budgetierung. Wir sind daher überzeugt, daß ein Rechnungshof, sei derselbe eine zwischen die Legislative und Exekutive gestellte specielle und selbständige Be-

903 horde, oder ein von den Kammern errichtetes Hülfsorgan zur Überwachung der Staatsausgaben, kein besseres Resultat erzielen wird als dasjenige, welches wir leicht und ohne Mehrkosten erlangen können, wen wir die beim Finanzdepartement schon bestehende vorgängige Kontrollierung der Ausgaben vervollkommnen und wenn wir die den eidg. Räten zustehende Kontrollbefugnis vervollstädigen und stärken.

Durch (Schaffung eines Rechnungshofes wurden wir nur unsere Einrichtungen komplizieren mit einem neuen Amt. und einem neuen Räderwerk, welche sehr viel kosten würden, ohne die Garantien der Kontrolle zu vermehren in Bezug auf Schnelligkeit und auf gewissenhafte Prüfung. Wir fügen bei, daß, wenn sich die Einrichtung eines Rechnungshofes erklären läßt in einem Lande mit einer großen Staatsschuld, einem Budget von mehreren Hundert .Millionen und mit verwickelten Budgetverhältnissen dies nicht der Fall ist und als unnützer Luxus betrachtet werden müßte in einem kleinen Lande wie das unsrige mit einem Budget von Fr. 106,000,000 und seiner einfachen und übersichtlichen Bundesverwaltung.

> Es-giebt übrigens eine entscheidende Bestimmung, welche die eidgenössischen Kate, wie sie es schon gethan haben, veranlassen sollte, die Absicht, einen Rechnungshof einzuführen, zurückzu w eisen.

Artikel der Bundesverfassung hat dea eidgenössischen Katen die Befugnis auferlegt, die Staatsrechnungen zu prüfen, zu diskutieren und zu genehmigen, und es scheint uns, daß sie nicht das Recht hüben, sich dieses verfassungsmäßigen Vorrechtes zu begehen und dessen Ausführung einer außerparlamentarischen Kommission, einem Rechnungshof, anzuvertrauen. Sie sollen im Gegenteil darauf eifersüchtig sein, diese erste verfassungsmäßige Pflicht seihst au erfüllen, sich durch eine ernsthafte Prüfung zu versichern, daß das von ihnen bewilligte Budget eine genaue und treue. Ausführung erfahren hat und daß die budgetierten (leider ihrem AVillen gemäß und im besten Interesse des Landes verwendet worden sind.

Wenn diese Prüfung heutzutage infolge des Anwachsens des Budgets größere Anstrengung und Zeitaufwand erfordert als früher, so sollten die eidgenössischen Räte sich diese Anstrengung auferlegen und zur Kontrollierung der Rechnungen die notwendige Zeit opfern. Sie brauchen dazu einfach nach unserm Vorschlag zum Gesetz über den Geschäftsverkehr zwischen den beiden Räten zu beschließen, daß eine ständige Kommission selbst, oder eine

904 Delegation derselben, beauftragt werde, quartalweise alle Rechnungsbelege zu prüfen und dadurch aus nächster Nähe die Verwendung der Budgetkredite zu verfolgen. Die Kontrolle einer parlamentarischen Kommission, ausgeübt unter neuen Verhältnissen, in Verbindung mit einer alle Verwaltungszweige beschlagenden vollständigeren und strengeren Kontrolle, welche wie auf dem Finanzdepartement zu organisieren vorschlagen, wird sicher von größerer Wirksamkeit sein als die langsame, unvollständige und sehr kostspielige Kontrollierung durch einen Rechnungshof.

Wir beehren uns daher, der hohen Bundesversammlung zu beantragen, sie wolle beschließen, dem Postulat vom 28. Juni 1895 betreffend die Aufstellung einer Rechnungskammer keine Folge zu gehen.

B e r n , den l (t. Dezember 1900.

Im Namen des Schweiz. Hundesrates, *

B er B u n d e s p r ä s i d e n t :

Hauser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

Beilage: Entwurf Regulativ für die eidgenössische Finanzkontrolle.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die Frage der Aufstellung einer eidgenössischen Rechnungskammer. (Vom 10. Dezember 1900.)

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1900

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50

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12.12.1900

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879-904

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