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Bericht des

Bundesrates an die Kommission der eidgenössischen Räte über die Revision des Art. 66 des Bundesstrafrechtes vom 4. Hornung 1853 betreffend die Bestrafung der Handlungen, durch welche die Benutzung der Telegraphenanstalt zu ihren Zwecken gehindert oder gestört wird.

(Vom 21. September 1900.)

Tit.

Die h. Bundesversammlung ist in die Beratung des Gesetzesentwurfes betreffend die elektrischen Schwach- und Starkstromanlagen eingetreten, welchen der Bundesrat ihr mit Botschaft vom 5. Juni 1899 vorgelegt hat, und die Kommission des Nationalrates hat bereits am 23. Mai 1900 ihre Anträge zu diesem Entwürfe formuliert. Dabei finden sich als Art. 55 u. ff. auch Strafbestimmungen gegen Beschädigungen und Gefährdungen von elektrischen Anlagen, welche gewisse, dem Bundesrechte unterworfene Thatumstände als förmliche Verbrechen oder Vergehen deklarieren und sich demnach als Abänderungen resp. Ergänzungen des Art. 06 des Bundesstrafrechtes vom Jahre 1853 darstellen. Die iu Art. 58 des Gesetzesentwurfes enthaltenen Strafvorschriften sind dagegen bloss polizeilicher Natur.

Seitens des Bundesanwaltes ist nun aus andern, der Gerichtspraxis entnommenen Gründen die Revision dieses Teiles des Bundesstrafrechtes in Vorschlag gebracht worden. Er bemerkt hierüber in einem dein Justiz- und Polizeidepartement erstatteten Gutachten :

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,,Der Art. 66 des Bundesstrafrechtes vom Jahre 1853 bedroht mit Strafe nur die Hinderung oder Störung der Benutzung d e r T e l e g r a p h e n a n s t a l t . Der Gesetzgeber war damals mit Rücksicht auf den Stand der Technik noch gar nicht in der Lage, in seine Erlasse Störungen des Telephonbetriebes oder anderer elektrischer Anlagen einzubeziehen. Die Behörden haben seither die Lücke wenigstens dadurch ausgefüllt, daß der Telephonbetrieb in allen Teilen rechtlich gleich gestellt wurde dem Telegraphenverkehr, und diese Ausdehnung ist auch in der strafgerichtlichen Praxis anerkannt worden, trotzdem ernste juristische Bedenken sehr nahe gelegen hätten.

Eine entsprechende Gesetzesänderung wird aber noch weiter dadurch wünschbar gemacht, daß die Begriffsbestimmungen des Art. 66 des Strafrechtes keineswegs in allen Beziehungen glückliche sind. Sie lauten: , ^Art. 66. Handlungen, durch welche die Benutzung der Telegraphenanstalt zu ihren Zwecken gehindert oder gestört wird (Wegnahme, Zerstörung oder Beschädigung der Drahtleitung oder der Apparate oder der sonstigen Zugehören, die Verbindung fremdartiger Gegenstände mit Drahtleitung, die Verhinderung der Telegraphenangestellten · in ihrem Dienste u. s. w.) werden mit Gefängnis bis auf ein Jahr, verbunden mit einer Geldbuße, und wenn infolge der gestörten Benutzung der Anstalt ein Mensch bedeutend verletzt oder sonst ein erheblicher Schaden gestiftet worden ist, mit Zuchthaus bis auf 3 Jahre bestraft.

Demnach wird nicht unterschieden zwischen fahrlässigen und absichtlichen Störungen, was in der Praxis zu verschiedenartiger Auslegung geführt hat. In einem Specialfall vom Jahre 1895 entschied der Bundesrat, gestützt auf ein Gutachten der Bundesanwaltschaft, daß auch fahrlässige Störung des Telephonbetriebes unter diese Strafandrohung falle (Bundesbl. 1896, Bd. II, S. '272, Sì-, 9). In jüngster /eit aber gab ein neues Vorkommnis Veranlassung zu wiederholter Prüfung der Verhältnisse;, und gelangte die Bundesanwaltschaft und in Zustimmung zu ihrem Antrag auch der Bundesrat zu dem Schlüsse, daß Art. (>f> cit. nur absichtliche Störungen unter Strafe stelle, mit Rücksicht auf die Vorschriften der Art. 11 und 12 des allgemeinen Teiles des Gesetzes, naoli welchen Fahrlässigkeit nur dann geahndet werden soll, wenn der besondere Teil es vorschreibt (Entscheid des Bundesratos in Sachen Jakob Meier von Marbach vom 5. Januar 1900).

Bundesblatt. 52. Jahrg. Bd. IV.

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Das Gesetz vom Jahr 1853 enthält sodann in Art. 06 eino, Strafbestimmung, welche unmöglich auf die Fälle bloß fahrlässiger Störung des Betriebes von Telegraph und Telephon paßt, indem auch hier kategorisch Anwendung von Gefängnis, verbunden mit Geldbuße, verlangt wird. In den beiden oben citierten typischen Fällen bestand das Vergehen lediglich darin, daß jemand durch unvorsichtiges Entladen einer Schußwaffe einen Telephondraht entzwei geschnitten hatte. Welcher Richter hätte Hand dazu bieten können, wegen eines solchen Vorfalles sonst unbescholtene Männer zu Gefängnisstrafe zu verurteilen, resp. hätte da nicht dio Bundesversammlung eine derartige Strafe aufgehoben, weil das Gesetz im Widerspruch steht mit dem ungeschriebenen Rechte der Anpassung der Strafe an Art und Charakter der Rechtsverletzung !

Das im Falle von 1895 urteilende kantonale Gericht hat denn auch den damals Über wiesen en von der Anklage aus Art. 6(5 des Bundesstrafrechtes freigesprochen und ihn lediglich wegen unbefugten Schießens polizeilich geahndet.ü "Wir wollen nicht unterlassen, auch diese Gründe zur Revision des Art. 66 des Bundesstrafrechtes der h. Bundesversammlung zur Würdigung zu unterbreiten. Im übrigen aber schließen wir uns den Vorschlägen der nationalrätlichen Kommission bezüglich der Formulierung neuer Strafbestimmungen gegen Störungen und Schädigungen von elektrischen Anlagen an in der folgenden Fassung, die nur in einzelnen Punkten von derjenigen der nationalrätlichen Kornmission abweicht, und zwar: a. bezüglich Art. 55 a und b durch ErweiterungO des ThatO bestandes mit Einsetzung der Worte ,,oder Unterlassung", mit llücksicht darauf, daß die geltende Rechtswissenschaft diese beiden Begriffe in Gegensatz stellt; b. bei Art. 55 a und 56 Streichung der Androhung von Arbeitshaus, weil diese Strafart dem geltenden Bundesstrafrecht, allgemeiner Teil, nicht bekannt ist; c. bei Art. 5(5 durch Einschiebung der Worte ,,oder eiuor bestehenden Anlage unberechtigterweise elektrischer Strom entzogen wirda.

Der letztere Passus enthält den Versuch, die so schwierige Frage zu lösen, wie die unberechtigte Aneignung elektrischer Kraft strafrechtlich geahndet werden könne. Bekanntlich setzt die ganze moderne Gesetzgebung für den Begriff des Diebstahls die Aneignung einer fremden S a c h e voraus, dagegen steht in der Naturwissenschaft noch keineswegs fest, was der elektrische Strom

75 eigentlich sei, ob ein bloßer Zustand, eine ,,unkörperliche" Sache, eine Energie in Form einer nur unter bestimmten Bedingungen ·wirksam werdenden Naturkraft u. s. w. Die Gerichtspraxis hat vergeblich versucht, das bestehende Strafrecht auf die durch unberechtigten Anschluß an eine fremde Stromleitung oder an einen fremden Accumulato!- begangene Nutzbarmachung von elektrischem Strom anzuwenden, vergi, speciell die eingehenden Erwägungen des freisprechenden Urteils der vereinigten Strafsenate des deutschen Reichsgerichtes vom \. Mai 1899 (Sammlung der Entscheidungen in Strafsachen Bd. XXXII, S. 165 ff.). Wenn jemand, der durch vertraglich stipulierten Anschluß mit einem Elektricitätswerk verbunden ist, von dem er gegen Entgelt eine bestimmte Menge Strom bezieht, sich unberechtigterweise ein Plus dieser Kraft ohne Bezahlung verschafft, dann wird der Richter ohne Bedenken wegen Betrug strafen können und auch der Entscheid über Civilansprüche wegen Schädigung durch Stromentzug wird dem geltenden Obligationenrecht ohne weiteres entnommen werden können.

Anders aber im Strafrecht, wenn kein Kontrakt verletzt wird.

Hierfür soll Strafe aus der angeführten Fassung von Art. 56 des Entwurfes und /war gleichviel, ob der Stromentzug aus Eigennutz oder in Schädigungsabsicht erfolgt, eintreten.

Wir legen daher folgende Formulierung der Art. 55 ff. in Abänderung unserer Botschaft vom 5. Juni 1899 vor: ,,Art. 55. Gegen Beschädigung und Gefährdung von elektrischen Anlagen gelten folgende Vorschriften : a. wer durch irgend eine Handlung o d e r U n t e r l a s s u n g absichtlich eine elektrische Anlage beschädigt und dadurch Personen oder Sachen einer erheblichen Gefahr aussetzt, wird mit Gefängnis, und, wenn eine Person bedeutend verletzt oder sonst ein beträchtlicher Schaden verursacht worden ist, mit Zuchthaus bestraft ; b. wer leichtsinniger- oder fahrlässigerweise durch irgend eine Handlung o d e r U n t e r l a s s u n g oder durch Nichterfüllung einer ihm obliegenden Dienstpflicht eine solche erhebliche Gefahr herbeiführt, ist mit Geldbuße oder Gefängnis bis auf ein Jahr, und wenn ein beträchtlicher Schaden entstanden ist, mit Geldbuße oder mit Gefängnis bis auf drei Jahre zu belegen. In beiden Fallen kann mit der Gefängnisstrafe Geldbuße verbunden werden.

Art. 56. Handlungen, durch welche die Benutzung der Telegraphen- oder Telephonanstalt oder der Starkstromanlagen zu

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ihren Zwecken gehindert oder gestört oder einer bestehenden A n l a g e u n b e r e c h t i g t e r w e i s e elektrischer S t r o m e n t z o g e n w i r d (Wegnahme, Zerstörung oder Beschädigung der Drahtleitung oder der Apparate oder der sonstigen Zubehör die Verbindung fremdartiger Gegenstände mit der Drahtleitung, die Verhinderung der Telegraphen- und Telephonangestellten in ihrem Dienste u. s. w.), werden mit Geldbuße oder mit Gefängnis bis auf ein Jahr, und wenn infolge der gestörten Benutzung der Anstalt eine Person bedeutend verletzt oder sonst ein erheblicher Schaden gestiftet worden ist, mit Geldbuße oder Gefängnis oder Zuchthaus bis auf drei Jahre bestraft. Mit der Freiheitsstrafe kann auch Geldbuße verbunden werden.

Art. 57. Die strafrechtliche Verfolgung der in den Art. 55 und 56 bezeichneten Verbrechen und Vergehen findet gemäß den Vorschriften des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht vom 4. Februar 1853 statt. Dessen Vorschriften sind auch mit Bezug auf die Verjährung maßgebend.

Art. 58. Wer Weisungen des Starkstrominspektorates, die auf Grund der vom Bundesrate gemäß Art. 2bis dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften erteilt werden, nicht befolgt, kann vom Bundesrate mit einer Buße bis auf Fr. 3000 bestraft werden.

Vorbehalten bleiben außerdem die Strafbestimmungen des Art. 55.

VIII. Schlussbestimmungen Art. 59. Das Bundesgesetz betreifend die Erstellung von Telegraphen- und Telephonlinien vom 26. Juni 1889 und d e r Art. 66 des B u n d e s s t r a fr e c h t e s vom 4. H o r n u n g 1853 wird mit dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Gesetzes aufgehoben. a B e r n , den 21. September 1900.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Hauser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

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