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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung in Sachen des Rekurses des Regierungsrates von Zürich gegen den Beschluß des Bundesrats vom 27. Oktober 1899 über die Beschwerde des Verbandes schweizerischer Kochfettfabrikanten (Präsident: H. Flad in Zürich), betreffend Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit.

(Vom 13. März 1900.)

Tit.

Gegen den Bundesratsentscheid vom 27. Oktober 1899, durch welchen die Beschwerde des Verbandes schweizerischer Kochfettfabrikanten im Sinne der Erwägungen als begründet erklärt und der angefochtene § 21 der zürcherischen Verordnung vom 5. Dezember 1898, betreffend den Verkehr mit Milch und Milchprodukten, als verfassungswidrig aufgehoben wurde, hat der Regierungsrat des Kantons Zürich den 18./21. Dezember 1899 den Rekurs an die Bundesversammlung ergriffen, mit dem Gesuche um Aufhebung unserer Schlußnahme und Bestätigung der angefochtenen Verordnungsbestimmung.

In der Beantwortung dieser Eingabe beantragt der Verband schweizerischer Kochfettfabrikanten den 20./22. Januar 1900 Abweisung der Beschwerde des Regierungsrates. In einem dieser Rekursbeantwortung beigedruckten Gutachten des Herrn Prof.

F. Meili wird in erster Linie dem Regierungsrat des Kantons Zürich die Legitimation zur Beschwerdeführung bei der Bundesversammlung bestritten, mit der Begründung:

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Es handelt sich bei dem angefochtenen § 21 der Verordnung betreffend den Verkehr mit Milch und Milchprodukten um einen Erlaß der gesetzgeberischen Behörde des Kantons Zürich. Das hiesige Gesetz betreffend die öffentliche Gesundheitspflege und die Lebensmittelpolizei, vom 10. Dezember 1876, unterwirft der öffentlichen Kontrolle u. a. auch die Lebensrnittel und es wird in § 2 bestimmt: ,,Soweit diese einzelnen Zweige der öffentlichen Gesundheitspflege nicht bereits geordnet sind, erläßt der Regierungsrat die nötigen Verordnungen. Dieselben unterliegen jedoch, falls sie wichtigern Inhalts und nicht dringlicher Natur sind, der Genehmigung des Kantonsrates.'· Die angefochtene Milchverordnung ist nun in der That vom Kantonsrate ausgegangen. Angesichts dieser Thatsache war der Regierungsrat von Zürich nicht legitimiert, von sich aus gegen den Entscheid des Bundesrats an die Bundesversammlung zu rekurrieren, so wenig als er befugt ist, den Sinn ·der Verordnung authentisch festzustellen. Nachdem die gesetzliche Rekursfrist abgelaufen ist, kann der Rekurs von dem allein kompetenten staatsrechtlichen Organe nicht mehr erhoben werden.

Diese Einrede erscheint uns nicht stichhaltig. In erster Linie ist es unrichtig, wenn behauptet wird, die angefochtene Verordnung sei vom Kantonsrate ausgegangen. Dieselbe wurde vielmehr vom Regierungsrate innert seiner Kompetenz erlassen, vom Kautonsrate nur genehmigt. Aber abgesehen hiervon, erscheint der Regierungsrat als zu Anhebung der staatsrechtlichen Beschwerde kompetentes kantonales Organ, da er von der Kantonsverfassung als ,,vollziehende und verwaltende Kantonalbehürde a bezeichnet wird. (Verfassung des eidg. Standes Zürich, vom 18. April 1869, Art. 37.) Als solcher steht dieser Kantonsbohördc wohl auch das selbständige Beschwerderecht zu Aufrechterhaltung von ihr ausgegangener Verordnungen zu.

In der Sache selbst verweisen wir auf unsere thatsächlichen und rechtlichen Ausführungen im Bundesratsbeschlusse vom 27. Oktober 1899, in extenso abgedruckt in Bundesblatt 1899, V, S. 72 ff., sowie auf die den Mitgliedern der Bundesversammlung gedruckt zugestellte Eingabe der schweizerischen Kochfettfabrikanten vom 20. Januar 1900. Wir glauben nur noch folgendes ergänzen und berichtigen zu sollen : I.

Die in der Rekursschrift des Regierungsrates dos Kantons Zürich erhobenen Einwendungen technischer Natur werden von

742 dem zur Vernehmlassung eingeladenen Präsidenten der Expertenkommission, Herrn Kantonschemiker Dr. F. Schaffer in Bern, in seiner Zuschrift vom 8. Februar 1900 an das eidgenössische Justizdepartement zurückgewiesen. Dem Berichte ist folgendes zu entnehmen : Im allgemeinen muß der Rekursschrift gegenüber, welche sich in Ausfällen gegen die Fragestellung durch das instruierende Justizdepartement und die Fragebeantwortung durch die Experten gefällt, betont werden, daß sich die drei Sachverständigen zur Aufgabe gemacht hatten, in möglichst objektiver Weise vorzugehen.

Deshalb wurden die Gründe sowohl für als auch gegen ein Verbot der Vermischung der Speisefette mit Butter oder Milchfett angeführt. Die Experten würden wohl auch kaum in den Fall gekommen sein, alle für und gegen das Mischverbot sprechenden Gründe aufzuführen, wenn das Gutachten durch die Stellung der Fragen an die Experten von vornherein präjudiziert gewesen wäre.

In der Begründung des Rekursbegehrens ist sodann fast durchwegs das beschränkte Mischung«verbot, von dem im Expertengutachten wiederholt gesprochen wird, mit dem gänzlichen Verbote verwechselt worden. Es wird vollständig übergangen, daß durch Verarbeiten mit Milch oder Rahm bezüglich des Gehaltes der Speisefette an Milch- oder Butterfett genau der gleiche Erfolg erzielt werden kann, wie durch einen geringern (beschränkten) Butterzusatz. Das Expertengutachten hat deutlich hervorgehoben, daß kein Mittel existiert, um zu unterscheiden, ob in einem fertigen Buttersurrogate das darin in nicht zu großer Quantität enthaltene Milchfett von einem Milch- oder Rahm-, oder aber von einem Butterzusatze herstammt. Ein beschränktes Verbot des Butterzusatzes kann also für die Praxis genau dasselbe bedeuten, wie z. B. die durch nachträgliche Interpretation des angefochtenen § 21 durch den Regierungsrat eventuell erteilte Erlaubnis, bei der Herstellung von Speisefetten Milch oder Rahm verwenden zu dürfen. Unter einem beschränkten Verbote des Butter- oder Milchfettzusatzos zu den Speisefetten ist keineswegs einzig die Aufstellung einer genauen, in Prozenten festgestellten obern Grenze für den Gehalt an Butter- oder Milchfett zu verstehen ; gerade Deutschland liefert durch die Einschränkung, die es in § 3, Alinea 2, seines Margarinegesetzes aufgestellt hat, den einfachsten Beweis hierfür.
Die meisten Einzelheiten der Rekursschrift des zürcherischen Regierungsrates sind im Expertengutachten genügend widerlegt.

Es seien nur noch zwei Punkte hervorgehoben :

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a. Sanitätspolizeiliche Gründe für das Misch ver bot. Die Sachverständigen haben nachgewiesen, daß bei Anwendung der für die Butteruntersuchung zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Hülfsmittel die Sicherheit der Lebensmittelkontrolle erst gefährdet würde, wenn Zusätze von cirka 60 % Butterfett zu Margarine oder Kochfett vorkommen würden. Daher kann das absolute Mischverbot die Sicherheit in der Beurteilung durch den Nahrungsmitteltechniker keineswegs erhöhen. Auch darin kann keine Begründungder Behauptung, das Verbot sei aus Gründen der Sanitätspolizei gerechtfertigt, erblickt werden, daß die Experten erklärten, durch ein Verbot des Butterzusatzes würden allerdings die Fabrikanten gezwungen, ausschließlich Rohprodukte von ganz guter Qualität zu verwenden. Denn daraus kann nicht geschlossen werden, es seien bishin in der That gesundheitsschädliche oder auch nur verdorbene Rohmaterialien von den schweizerischen Kochfettfabrikanten verwendet worden. Thatsächlich liegt vielmehr kein einziger Fall vor, in dem letzteres konstatiert worden wäre. Wenn die Rekursschrift endlich darauf hinweist, daß Milch, Brot, Fleisch und Wurstwaren nur als solche und nicht verunreinigt oder verfälscht zu Markt gebracht werden dürfen, so liegt der Widersinn, dieser Exemplifikation auf der Hand ; die aufgeführten Lebensmittel sind eben keine Surrogate, die wie die Butter-, Honig- und Kaffeesurrogate unter der Bezeichnung des Surrogats verkauft werden wollen.

b. Das beschränkte Verbot des Milchfett-, bezw. Butter-Zusatzes. Es war offenbar nicht Sache der Experten, das von ihnen empfohlene beschränkte Mischverbot genau zu präzisieren, d. h.

den Behörden des Kantons Zürich den Weg zu einem solchen vorzuschreiben. Durch eine eingehende Besprechung der gegenwärtig dem Lebensmittelchemiker zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Hülfsmittel zur Untersuchung der Fette wurde gezeigt, daß es nicht möglich ist, den genauen Prozentsatz an Milchfett in der Margarine zu bestimmen. Es wurde einläßlich hervorgehoben, wie die frühere Annahme einer ziemlich konstanten Zusammensetzung des Butterfettes (Milchfettes) sich durch neueste Erfahrungen leider nicht als zutreffend erwiesen habe. Daher mußte auch die in der Berner Verordnung enthaltene Bestimmung, daß Kunstbutter mindestens 20°/o Milchfett enthalten müsse, als undurchführbar,
resp. nicht in allen Fällen durchführbar bezeichnet werden ; weil durch die bestehenden Untersuchungsmethoden ein angeblicher Gehalt von gerade 20°/o nicht mit genügender Genauigkeit ermittelt werden kann. Aus diesem Grunde ist in allen neueren

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Kantonsverordnungen (Luzern, St. Gallen, Glarus, Baselstadt, Graubiinden, Tlmrgau) gar keine Grenze für den Butterzusatz aufgestellt worden. Ebenso wird man auch in Belgien, Frankreich und Dänemark nicht in allen Fällen sicher konstatieren können, ob der nach der dortigen Gesetzgebung im Maximum zu duldende Proxentzusatz an Milchfettin den Buttersurrogaten nicht überschritten sei. In Deutschland ist im Margarinegesetzc vom 15. Juni 1897 auf diese Erfahrung derart Rücksicht genommen worden, daß bei der gewerbsmäßigen Herstellung von Margarine die Verwendung von hundert Gcwichtsteilen Milch oder einer dementsprechendeit Menge Rahm auf hundert Gewichtsteile der nicht der Milch entstammenden Fette gestattet wird. Bei der Kontrolle wird die bedeutende Schwankung des natürlichen Fettgehaltes der Milch und namentlich auch des Rahmes, sowie die ungleichartige Zusammensetzung des Milchfettes in Betracht gezogen werden müssen.

Das beschränkte Mischverbot ist also das nicht scharf begrenzte; es sind für den Milchfcttzusatz gewisse Schranken gegeben, die selbstverständlich enger oder weiter gezogen werden könnten, Auch dürfte im Interesse der Durchführbarkeit freigestellt werden, den Milchfcttzusatz innerhalb der angenommenen Schranken unter Verwendung von Milch oder Rahm oder Butter durchzuführen.

Es wird dem Regierungsrate des Kantons Zürich nicht schwer fallen, nach dem nun einläßlichen Studium der Sachlage eine Redaktion an Stelle der angefochtenen zu linden, mit der dasjenige erreicht werden kann, was in sanitätspolizeilicher Hinsicht wünschbar erscheint, ohne die Interessen eines Industriezweiges und diejenigen der Konsumenten der in Frage stehenden Speisefette mehr zu schädigen, als nötig ist.

II.

Was die rechtlichen Bemängelungen des Bundesratsentscheidcs vorn 27. Oktober 1899 anbelangt, so finden sich neue Gesichtspunkte in der Rekursschrift des Regierungsrates des Kantons -Zürich nicht vor, die nicht bereits durch unsere Begründung des angefochtenen Beschlusses widerlegt 'wären.

Unser Beschluß gründet sich auf die konstante, von der Bundesversammlung ausdrücklich, oder in stillschweigender Genehmigung unserer Geschäftsberichte anerkannte Praxis, wonach die auf dem Gebiete der Lebensmittelpolizei erlassenen kantonalen Verfügungen, welche eine Einschränkung der Handels- und D

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Gewerbefreiheit bedeuten, nicht ohne weiteres, sondern nur dann als bundesrechtlich zulässig erklärt wurden, wenn ihnen ein wirkliches öffentliches Interesse zur Seite ging, das sie vor unbefangener Prüfung zu rechtfertigen vermochte ; wenn insbesondere die aus Gründen der Sanitätspolizei, oder zum Schütze des Publikums vor Täuschung und Übervorteilung im Handel und Verkehr erlassenen Schutzbestimmungen nicht derartige waren, daß sie einem eigentlichen unzulässigen Verbote der Wirkung nach gleichkamen, d. h. einen gewinnbringenden Betrieb des in Frage stehenden Gewerbes vcrunmöglichten. Da im vorliegenden Falle die fachmännische Prüfung der Frage dazu führte, daß das Verbot der Vermischung von Buttersurrogaten mit ausschließlich aus Milch gewonnener Butter weder aus dem Gesichtspunkte der Gesundheitspolizei und Lebensmittelkontrolle, noch aus demjenigen des Schutzes der Konsumenten vor Übervorteilungen und Prellereien gerechtfertigt werden kann, so mußte das Verbot als unzulässige Beschränkung der in Art. 31 der Bundesverfassung grundsätzlich garantierten Handels- und Gewerbefreiheit erklärt und damit aufgehoben werden. Besonders sei darauf hingewiesen, daß es sich nach dem Wortlaute des § 21 der zürcherischen Vorordnung vom 5. Dezember 1898 nicht etwa um eine bloße Einschränkung eines gewissen Gewerbezweiges, sondern geradezu um das gänzliche Verbot einer bestimmten Fabrikationsmethode handelt; wenn die Rekurrentin den Satz aufstellt, daß behördliche Schutzverfügungen so weit gehen können, wo sich sonst kein wirksamer Schutz der beteiligten öffentlichen Interessen erreichen läßt, so mag das mit gewissen Vorbehalten als Bundesrecht anerkannt werden ; je mehr sich aber solche Schutzmaßregeln einem wirklichen Verbote nähern, um so genauer sind die Voraussetzungen desselben, die unabwendbare Notwendigkeit im Interesse der Allgemeinheit, von den Bundesbehörden zu prüfen. Vorliegend handelt es sich um ein gänzliches Verbot; die Voraussetzungen desselben sind aber nicht nur nicht als vorliegend nachgewiesen worden, sondern es haben berufene und unparteiische Fachleute die Notwendigkeit einer solchen Bestimmung geradezu und in einleuchtender Beweisführung verneint.

Die gedruckt in Ihren Händen befindliche Antwort der schweizerischen Kochfettfabrikanten entkräftet verschiedene wiederholte Einwände der
Zürcher Regierung in so eingehendem Maße, daß wir von einer erneuten Rückweisung solcher Behauptungen Umgang nehmen können ; wir fügen diese Rekursbeantwortung auch unserm Berichte bei.

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Wir beantragen Abweisung des Rekurses der Regierung des Kantons Zürich.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 13. März

1900.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Hauser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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