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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde des Honoré Roche, von Vienne (Département Isère), Schneiders, in Genf, gegen die Verordnung des Staatsrats des Kantons Genf, vom 31. Oktober 1899, betreffend Verbot des Vertriebs von sog. Schneeballgutscheinen und -coupons.

(Vom 19. Juni 19000

Der schweizerische Bundes rat,

hat über die Beschwerde des H o n o r é R o c h e , von Vienne (Département Isère), Schneiders, in Genf, gegen die Verordnung des Staatsrats des Kantons Genf, vom 31. Oktober 1899. betreffend Verbot des Vertriebs von sog. Schneeballgutscheinen und -coupons ; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt.

A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Durch Erlaß einer Verordnung vom 31. Oktober 1899 verbot der Staatsrat des Kantons Genf, gestützt auf Art. 385, §§ 22 und 31 des Strafgesetzbuches, unter Androhung von Polizeistrafen und schwererer Strafe bei Delikten, die Ausgabe, den Verkauf und das Hausieren mit Gutscheinen nach dem sog. Schneeballsystem.

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u: Gegen die Verordnung erhebt Honoré Roche, von Vienne (Frankreich, Dép. Isère), Schneider, in Genf, Inhaber des Hauses ,,A l'étudiant11, mit Eingabe vom 7. November 1899 die staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesrat und stellt den Antrag, es möge die Verordnung vom 31. Oktober 1899 als in Widerspruch mit Art. 31 der Bundesverfassung stehend aufgehoben werden.

Der Beschwerdeführer bringt vor : Das Schneeballsystem, wie es vom Beschwerdeführer betrieben wird, besteht nach der Erklärung, die auf jedem Bon gedruckt ist, in folgendem : Man kauft einen Gutschein zu Fr. 2 und verpflichtet sich, die fünf demselben beigegebenen Coupons zu Fr. 2 zu verkaufen. Sind dieselben verkauft, so schickt man dem Haus ,,A Fetudiant" die genauen Namen und Adressen der Käufer unter gleichzeitiger Bezeichnung der verkauften Nummern. Das Haus wird jedem der Käufer gegen Nachnahme von Fr. 5 einen neuen mit 5 Coupons zu Fr. 2 versehenen Gutschein übersenden. Anstatt 5 Coupons zu Fr. 2 kann man aueh 10 Coupons zu Fr. l haben.

Wenn die 5 Nachnahmen eingegangen sind, d. h. 14 Tage nach ihrer Aufgabe auf die Post, erhält der Inhaber des Gutscheines sofort die von ihm gewünschten Waren im Werte von Fr. 60 für einen Gutschein von Fr. 2 oder Waren im Werte von Fr. 30 für einen Gutschein von Fr. 1. Selbstverständlich muß der Inhaber des Gutscheins beim Verkauf der 5 Coupons seine Käufer von den Bedingungen des Handels unterrichten, so daß keine Unklarkeit darüber besteht und die Bedingungen von beiden Seiten genau eingehalten werden. Für Fr. 60 Kommission setzt also eine einzige Person Waren im Werte von Fr. 360 ab. Da jeder Gutschein das Versprechen eines Kaufes für Fr. 60 bedeutet, so haben die 5 folgenden Personen nur die 5 Coupons zu placieren, um selbst ein Recht auf Bezug von Waren im Werte von Fr. 60 resp. Fr. 30 zu bekommen. Nach dem gleichen Verfahren gehen die Käufer der neuen Coupons vor.

Auf diese Weise bekommt also derjenige, der Fr. 12 für den Ankauf eines mit 5 Coupons versehenen Gutscheins ausgegeben hat (2 + 2 X 5 oder 2 + 10 X 1) bei Verkauf der 5 Coupons à Fr. 2, Fr. 10 seiner Auslagen zurück und erhält für die bei ihm verbleibenden Fr. 2 Auslagen, wenn jeder der Käufer der Coupons ebenfalls einen Gutschein à Fr. 10 kauft, das Recht zum Bezüge von Kleidern nach seiner Wahl beim Hause Röche in der Höhe von Fr. 60. Anstatt einen Gutschein à Fr. 2 und 5 Coupons

481 à Fr. 2 (oder 10 à Fr. l zu kaufen), kann man auch einen Gutschein à Fr. l mit 5 Coupons à Fr. l kaufen 5 sind die 5 Coupons vom ersten Verkäufer wieder verkauft, und von deren Käufern je l Gutschein à Fr. 5 gekauft worden, so erhält der erste Käufer für den auf ihm verbleibenden Einen Franken Waren im Betrag von Fr. 30.

Für den Fall, daß der Inhaber eines Gutscheins keinen Coupon oder nicht alle fünf Coupons verkaufen kann, wird in der auf dem Gutschein beigedruckten Erklärung als Vertragsbedingung festgesetzt : Der Inhaber eines Gutscheines, der nicht alle 5 Coupons placieren kann, erhält immerhin ein Recht auf Fr. 12 Waren für jeden verkauften Coupon zu Fr. 2 oder Fr. 6 Waren für jeden verkauften Coupon zu Fr. 1. Dabei wird wohlverstanden auch jeder nichtverkaufto Coupon in Waren zurückbezahlt, aber auf die folgende Art : Da jeder Gutschein das Versprechen eines Kaufes von Waren im Betrage von Fr. 60 bedeutet, und da die Kommission dem Verkäufer schon vorausbezahlt worden ist, so kann der Coupon nur zurückbezahlt werden, wenn der Inhaber diejenige Quantität Waren nimmt, zu deren Kauf er sich verpflichtet hat, also Waren im Betrage von Fr. 60 für 5 Coupons zu Fr. 2 und Waren im Betrage von Fr. 30 für 5 Coupons zu Fr. l ; andernfalls ist der Wert der Coupons verloren, da die Summe als Arrha betrachtet wird.

Jeder, der einen Gutschein kauft, verpflichtet sich ohne irgend welches Klagrecht, unter den vorstehenden Bedingungen.

Nach den hier abgegebenen klaren Bedingungen kann also von einem Überlisten oder einer Betrügerei des Publikums keine Rede sein ; es steht dem Käufer eines Coupons oder eines Gutscheins jederzeit frei, die ihm gebotenen Vorteile des Schneeballsystems ganz oder zum Teil zu benützen. Hat er Fr. l bezahlt für einen Coupon und Fr. 5 als Arrha für einen Gutschein mit 5 Coupons à Fr. 1), so hat er immer ein Recht auf Fr. 30 Waren unter der Bedingung, daß er Fr. 24 nachzahlt : er hat also immer die Möglichkeit, einen Vertrag unter den sonst üblichen Bedingungen abzuschließen. Wenn der Beschwerdeführer bei dieser Art von Verträgen seine Rechnung findet, so darf er auch das Publikum für die von ihm gemachte Reklame belohnen. Daß ein Verkäufer mit seinem Käufer besondere Bedingungen vereinbart über die gegenseitigen Leistungen, ist nicht gesetzwidrig, so lange diese Bedingungen es selbst nicht sind, und thatsächlich hat sich bisher noch niemand über das Haus Röche beklagt.

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III.

Der Staatsrat des Kantons Genf stellt in seiner Veraehmlassung vom 1. Dezember 1899 den Antrag auf Abweisung der Beschwerde und führt aus : Es ist vor einigen Monaten zur Kenntnis des genferischen Justiz- und Polizeidepartementes gekommen, daß gewisse Geschäftshäuser in Genf Gutscheine nach dem Schneeballsystem in den Handel gebracht haben. Diese Häuser sind hauptsächlichHonoro Röche, der heutige Beschwerdeführer, und das Haus Charles Gros & Cie., Uhrenfabrik. Alle Firmen offerieren durch das Schneeballsystom ihren Kunden gegen Bezahlung von Fr. l Waaren im Werte von Fr. 30. Thatsächlich aber hat ein solches Haus, wenn es die Waren liefert, Fr.'31 erhalten: Fr. l für den Gutschein des ersten Käufers, Fr. 5 für die 5 Coupons desselben, und 5 X Fr- 5 durch die Nachnahmen von Seiten jedes einzelnen Käufers dieser fünf Coupons.

Es hat nun nicht lange gedauert, so liefen aus allen Teilen der Schweiz beim Justiz- und Polizeidepartement des Kantons Genf, wie übrigens bei den Regierungen fast aller Kantone, Klagen von Leuten ein, welche durch die Versprechungen der das Schneeballsystem betreibenden Häuser getäuscht worden waren. Die betreffenden Schreiben sind der Antwort des Staatsratcs beigelegt.

Es wird von diesen Leuten sowohl darüber geklagt, daß ihnen keine Waren geliefert worden seien, trotzdem sie ihre fünf Coupons verkauft und die Adressen der Käufer an das Geschäftshaus Charles Gros eingeschickt hätten, als auch darüber, daß sie nun noch Fr. 24 ausgeben sollen, um überhaupt das Recht zum Bezüge von Waren zu haben. Gegen den Beschwerdeführer speciell ist zwar noch nicht Klage geführt worden ; dies ist aber nur eine Folge der wenig umfangreichen Geschäftsverbindungen des Hauses Röche und der kurzen Zeitdauer, die ihm blieb, um seine Schnceballcoupons an den Mann zu bringen.

Der Grund, warum der Staatsrat das Schneeballsystem auf die eingelaufenen Klagen hin verbot, ist die ökonomische Gefahr, die es in sich schließt.

Der besondere Charakter dieses Handels liegt darin, daß das Haus keine Waren liefert, bevor es nicht Bezahlung in bar erhalten hat, und daß dabei die Zahl der interessierten Personen in einer Progression wächst, deren Zähler fünf ist. Danach ist bei der 1. Operation l Person, bei der 2. Operation 5 Personen, bei der 3. Operation 25 Personen,

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bei bei bei bei

der der der der

4.

5.

6.

7.

Operation 125 Operation 625 Operation 3,125 Operation 15,625

Personen, Personen, Personen, Personen beteiligt, u. s. w.

Der rechtliche Charakter des Systems beruht auf einem Kaufvertrag unter Suspensivbedingung, welch letztere darin besteht, daß der Verkäufer zur Lieferung der Waren nur dann verpflichtet ist, wenn der Käufer eines Gutscheins mit 5 Coupons diese 5 Coupons placiert, resp. dem Geschäfte 5 neue Kunden zugeführt haben wird ; bei Nichterfüllung dieser Bedingung verliert der Käufer den Preis der von ihm nicht abgesetzten Coupons, als ,,Arrhaa, wie der Beschwerdeführer sagt. Daneben ist aber der Vertrag im höchsten Grade auch ein Spielvertrag, ebenfalls eine Folge der Unbestimmtheit der Leistung des Verkäufers. Diese Leistung ist unbestimmt, weil sich der Käufer nicht Rechenschaft giebt über die Schwierigkeit, die er haben wird, die 5 Coupons zu placieren. Zuerst wird er annehmen, daß es schon genüge, die 5 Coupons zu verkaufen, um ein Recht auf die Lieferung der Waren zu erhalten ; er vergißt, daß seine fünf Käufer selbst noch je einen Gutschein mit 5 Coupons nehmen müssen. Er nimmt aber außerdem an, daß ihm die Placierung der 5 Coupons leicht sein werde und denkt nicht daran, daß neben ihm tausend andere die nämliche Spekulation vorhaben, und er daher die Coupons nicht abbringen wird; würde doch beispielsweise für eine Stadt von 3125 Einwohnern ein sechsmaliger Wiederverkauf der Schneeballcoupons durch die jeweiligen Käufer genügen, um die ganze Stadt in den Besitz von Coupons zu setzen, die dann keiner mehr abbrigen könnte. Das Schneeballsystem führt also notwendigerweise dazu, daß entweder die letzten Käufer von Gutscheinen die Coupons nicht mehr absetzen können, oder daß das Haus, welches Gutscheine verkauft, seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann ; dies letztere ist heute der Fall beim Hause Charles Gros & Cie in Genf, wie ein Cirkular besagt, das es vor kurzem verschickt hat.

Das Schneeballsystem ist aber von noch einem Gesichtspunkt aus gefährlich : es wendet sich ausschließlich an die ,,kleinen Leute", die für wenig Geld ein gutes Geschäft zu machen hoffen, an Leichtgläubige, die unfähig sind, sich über den Charakter des Unternehmens und die Bedingungen des Vertrages Rechenschaft zu geben. Es ist also der sogenannte ,,kleine Mann", der durch das Schneeballsystem geschädigt wird.

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Endlich ist festzustellen, daß entgegen der Behauptung des Rekurrenten der Käufer eines Coupons auf demselben die Vertragsbedingungen nicht klar und vollständig aufgezeichnet findet.

Der Coupon sagt: Der Inhaber dieses Coupons erhält gegen Bezahlung eines Einzugsmandates von Fr. 5 einen besonderen mit 5 neuen Coupons versehenen Gutschein. Er muß diese Coupons zu Fr. l per Stück auf seine eigene Rechnung verkaufen. Wenn seine Käufer die auf dem Gutschein angegebenen Bedingungen erfüllt haben, so erhält der Inhaber des Gutscheins vom Hause ,,A l'étudiant"1 ohne jede weitere Zahlung Waren im Betrage von Fr. 30. Der Coupon sagt also nicht, welches die Bedingungen sind, und der Käufer kennt sie erst, wenn er die Fr. 5 für den Gutschein bezahlt, also im ganzen Fr. 6 ausgegeben hat.

Mit diesen Thatsachen erscheint das Verbot des Staatsrates vom 31. Oktober 1899 vom Standpunkt der Bundesverfassung aus gerechtfertigt. Was die rechtlichen Ausführungen des Rekurrenten in dieser Hinsicht betrifft, so genügt bei der Erhebung staatsrechtlicher Beschwerden die bloße Behauptung der Verfassungswidrigkeit nicht; es muß der strikte Beweis für die Behauptung erbracht werden. Die Verordnung des Staatsrates ist gerechtfertigt, weil, solange kein Bundesgesete über die polizeiliche Regelung des Handels und Gewerbes existiert, die Kantoue in der Normierung dieser Materie, sei es auf dem Gesetzes-, sei es auf dem Vorordnungswege, frei sind. Sie können insbesondere jeden Handel, der ihnen vorn ökonomischen Standpunkt aus gefährlich erscheint, verbieten, sofern dieses Verbot nur nichts dem Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit Zuwiderlaufendes enthält. Die Verordnung des Staatsrates vom 31. Oktober 1899 enthält aber nichts der Handels- und Gewerbefreiheit Zuwiderlaufendes. Wenn der Bundesrat sich bisher noch nicht über das Schneeballsystem auszusprechen hatte, so können in Ermangelung einer solchen Entscheidung die von ihm in Sachen des Verkaufs von Prämienobligationen aufgestellten Grundsätze angerufen worden, da Analogien in der Lieferung von Titeln mit Coupons bestehen. So hat der Bundesrat in seinem Beschluß über die Beschwerde des Alois Bernhard am 9. Juni 1892 (Bundesbl. 1892, IU, 915--922) festgesetzt, daß die Kantone den Vertrieb von Losen einer strengen Kontrolle unterstollen und sogar ^gewisse, besonders zu
Prellereien Anlaß bietende Formen des Handels mit Prämienwerten geradezu verbieten und unter Strafe stellen11 können. Gestutzt auf die gleichen Erwägungen hat der Bundesrat die Beschwerde des Crédit d'Epargne am 8. Oktober 1897 abgewiesen, weil dessen Lose eine

455 für das Publikum sehr unvorteilhafte Anlage darstellten und eine wirkliche Gefahr für diejenigen Bevölkerungsklassen bildeten, die nicht im stände sind, den wahren Wert solcher Operationen zu erkennen. Die ganz gleiche ökonomische Gefahr droht dem Publikum durch das Schneeballsystem. Es war ein rasches Eingreifen des Staatsrates geboten, weil bei längerem Zuwarten die Zahl der Betrogenen gewachsen wäre. Das gleiche Verbot ist übrigens von der Mehrzahl der schweizerischen Kantone getroffen worden und diejenigen, welche kein direktes Verbot erließen, haben wenigstens das Publikum vor den Gefahren des Unternehmens gewarnt oder das Hausieren mit Schneeballlosen verboten.

IV.

Der Beschwerdeführer repliziert am 19. Dezember 1899: Das Haus Röche verspricht nicht Waren im Werte von Fr. 30 gegen Bezahlung von Fr. i ; das wäre ein betrügerischer Handel.

Röche eröffnet vielmehr jedem Käufer eines Gutscheins, der für Fr. 30 Waren zu kaufen verspricht und Fr. 5 als Arrha zahlt, die Möglichkeit, dem Hause die Fr. 30 so zuzuweisen, daß er ihm fünf neue Kunden zuführt. Und wenn mm die fünf neuen Kunden je selbst für Fr. 5 einen Gutschein gekauft haben, so hat das Haus nicht Fr. 31 eingenommen, sondern bloß Fr. 25.

Wenn das Schnceballsystem zu Klagen Anlaß gegeben hat, so \var das deshalb, weil es auf eine unrichtige, jedenfalls aber auf eine andere Art gehandhabt wurde, als es durch den Beschwerdeführer geschieht. Das ist der Grund, warum gegen den heutigen Beschwerdeführer keine einzige Klage eingelaufen ist ; diese Thatsaehe läßt sich nicht einfach damit abthun, daß man sagt, er habe sein Geschäft noch nicht lange genug betrieben.

Daneben ist darauf hinzuweisen, daß zwischen dem vom Rekurrenten und andern Genfer Handelshäusern befolgten Schneeballsystem fundamentale Verschiedenheiten bestehen. Die eine Verschiedenheit besteht darin, daß solche Häuser, wie dies z. B. Charles Gros & Cie.

that, Luxusgegenstände von vielleicht geringem Werte, wie Regulateure, Kukuk- und andere Uhren, Bijouterien u. s. w. verkaufen, von denen nach kurzer Zeit die Haushaltungen überschwemmt sind, und die niemand mehr gebrauchen kann, während das Haus Honoré Roche Kleider und Tuch verkauft, Artikel, deren man stets bedarf.

Die andere Verschiedenheit liegt darin, daß solche Häuser die Lieferung der versprochenen Waren verweigerten, nachdem schon ein Gutschein bezahlt war, während Röche immer liefert. Der vom

486 Staatsrat mit Recht gegen das Haus Charles Gros & Cie. erhobene Vorwurf, daß dasselbe die von ihm versprochenen Waren nicht habe liefern können, trifft den Rekurrenten nicht.

Was eine weitere Einwendung des Staatsrates betrifft, so ist sicher, daß Millionäre sich nicht des Schneeballsystems bedienen werden, um sich Anzüge zu verschaffen ; aber dies ist noch kein Grund, das Schneeballsystem zu verbieten, da das Publikum weder geprellt noch betrogen wird.

Was der Staatsrat in rechtlicher Beziehung über den von Honoré Roche mit seinen Kunden verabredeten Vertrag sagt, der als ein Kaufvertrag unter Suspensivbedingung und als ein Spielvertrag bezeichnet wird, ist unrichtig; weder das eine noch das andere Element findet sich in den nach dein Schneeballsystem abgeschlossenen Verträgen, ganz abgesehen davon, daß es Rodio jedem Kunden freistellt, durch Nachzahlung von Fr. 24 den Vertrag nach dem Schneeballsystem in einen gewöhnlichen Kaufvertrag umzuwandeln.

Was die Verfassungsmäßigkeit der Verordnung betrifft, so ist noch folgendes zu sagen : Es ist bereits in der Beschwerdeschrift vom 7. November 1890 dargethan worden, daß das Schneeballsystem nichts der öffentlichen Ordnung Zuwiderlaufendes enthält, daß daher das Verbot Art. 31 der B.-V. verletzt. Eine Analogie mit Lotterien liegt nicht vor, weil das Element des Spieles beim Schneeballsystem fehlt; mit den Entscheidungen, die der Bundcsrat in Lotteriebeschwerden getroffen hat, wird daher gegen das Schneeballsystem nichts bewiesen. Außerdem aber hat der Bundcsrat in dem vom Staatsrat angeführten Beschlüsse vom 7. Juni 1892 in Sachen Alois Beruhard ausdrücklich erklärt: ,,Muß aber Art. 31 der B.-V. zur Anwendung gebracht werden, dann ist sofort klar, daß der Inhalt der (angefochtenen) Bekanntmachung über die in litt, c des genannton Artikels erwähnten Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben hinausgeht und den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit selbst beeinträchtigt"' : aus diesem Grunde wurde die Beschwerde für begründet erklärt.

o Neben der Bundesverfassung verletzt aber die Verordnung vom 31. Oktober 1899 die Verfassung des Kantons Genf. Dieselbe bestimmt in Art. 86 : ,,Der Staatsrat erläßt Polizeiverordnungen innert den durch das Gesetz bestimmten Schranken." Nun ist die angefochtene Verordnung keine Polizeiverordnung; wenn aber der Staatsrat diese Verfassungsbestimmung nicht für sich anrufen kann,

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so fehlte ihm die Kompetenz zum Erlasse der Verordnung vom 31. Oktober 1899, denn weder ein kantonales noch ein eidgenössisches Gesetz gab dem Staatsrat eine solche. Zudem aber gewährleistet Art. 9 der genferischen Verfassung speciell noch die Handels- und Gewerbefreiheit, indem sie festsetzt: Den Bürgern ist das Recht der freien Niederlassung gewährleistet. Ebenso wird ihnen die Gewerbefreiheit gewährleistet unter den Einschränkungen, welche das Gesetz im öffentlichen Interesse treffen kann. -- Wenn man also auch zugeben wollte -- was aber der Rekurrent bestreitet -- daß die Handels- und Gewerbefreiheit durch Erlaß eines Verbots des Schneeballsystemes eingeschränkt werden könne, so könnte dieses Verbot nur auf dem Wege des Erlasses eines Gesetzes geschehen.

Der Staatsrat hat es unterlassen, die Verfassungsmäßigkeit seines Verbotes in diesem Punkte zu berühren ; was er bewiesen hat, ist nur das, daß das Schneeballsystem, wenn es von gewissenlosen Personen betrieben wird, gefährlich werden kann. Dies ist aber bei jeder Art von Handel und Gewerbe der Fall, und die Unehrlichen möaen durch den Strafrichter verfolgt werden.

V.

In der Duplik vorn 9. Januar 1900 hält der Staatsrat des Kantons Genf seine in der Beschwerdebeantwortung gemachten Ausführungen aufrecht und fügt bei : Es bestehen keine grundsätzlichen Verschiedenheiten in dem System, wie es von Honoré Roche betrieben wird gegenüber den Systemen der Charles Gros & Cie. und anderer. Wenn einzelne Details verschieden sind, so ist die Hauptsache doch bei allen die, daß neue Kunden durch die bisherigen vermittelst Verkaufs von Gutscheinen und Coupons herangezogen werden sollen; in diesem Verkaufe liegt aber das Spielmoment und die ökonomische Gefahr.

Die Stellung der Verordnung vom 31. Oktober 1899 gegenüber Art. 31 der B.-V. ist bereits hinreichend dargethan. Ihre Verfassungsmäßigkeit gegenüber der genferischen Verfassung steht außer Zweifel, da sie offenbar eine Polizeiverordnung ist, wie ja auch ihr Titel lautet: ,,Verordnung betreffend das Verbot etc.eZum Erlasse einer solchen Verordnung ist der Staatsrat befugt.

Es ist einerseits, wie sich das Strafgesetz, Art. 385, § 31 ausdrückt, eine Verordnung über die Ausübung eines Gewerbes, andererseits, nach § 22 eodem eine Verordnung über Kauf und

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Verkauf von beweglichen Sachen. Es ist eine gewöhnliche Polizeiverordnung wie die Verordnung über Hypnotismusversamrnlungen oder über den Verkauf von Confettis. Sie gründet sich im übrigen auf das Strafgesetzbuch, das dem Staatsrat erlaubt, Verordnungen in allen Gebieten zu erlassen, die in Art. 385 berührt sind. Hier kann auch auf die ^Allgemeine Klausel11 des Strafgesetzbuches verwiesen werden, welche lautet: Der Staatsrat wird beauftragt, die Gesetze und Verordnungen betreffend die im vorliegenden Strafgesetzbuch behandelten Materien zu erlassen. Damit ist seine Kompetenz gegeben.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Die Legitimation des Beschwerdeführers, der französischer Staatsbürger ist, zur Erhebung einer staatsrechtlichen Beschwerde vor dem Bundesrat gründet sich auf Art. l des Vertrages über die Niederlassung der Schweizer in Frankreich und der Franzosen in der Schweiz, vom 22. Februar 1882, wonach ,,die Franzosen in jedem Kanton der Eidgenossenschaft in Bezug auf ihre Personen und ihr Eigentum auf dem nämlichen Fuße und auf die gleiche Weise zu behandeln (sind), wie es die Angehörigen der andern Kantone sind oder es noch werden sollten. Jede Art von Gewerbe und Handel, welche den Angehörigen der verschiedenen Kantone erlaubt ist, wird es auf gleiche Weise auch den Franzosen sein, und zwar ohne daß ihnen eine pekuniäre oder sonstige Mehrleistung iiberbunden werden darf. Diese Gleichstellung bezieht sich nach der stetsfort beobachteten Praxis des Bundesrates auf die ganzo Rechtsstellung der Ausländer und bedingt damit ihre Gleichbehandlung mit den Kantonsbürgern auch in der Gesetzgebung und dem Verfahren ; wenn sie daher in ihrem Handel und ihrem Gewerbe beeinträchtigt werden, steht ihnen auch das Recht zur Erhebung der staatsrechtlichen Besehwerde gleich den Burgern des Landes zu.

(Art. 190 und 178 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893.) (Bundesratsbeschluß vom 27. Februar 1900 i. S. G. Guglielmi und Michele Perini; Bundcsbl.

1900, I. 615.)

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IL Der Beschwerdeführer verlangt die Aufhebung der Verordnung des Staatsrates des Kantons Genf vom 31. Oktober 1899, welche den Vertrieb von sogenannten Schneeballgutscheinen und -coupons verbietet und stützt seine rechtliche Begründung auf zwei Punkte : die Verordnung des Staatsrates sei verfassungswidrig, erstens, wie er in der Beschwerdeschrift vom 7. November 1899 ausführt, weil ein solches Verbot die in Art. 31 B.-V. gewährleistete Handelsund Gewerbefreiheit in unzulässiger Weise einschränke, sodann, wie er in der Replik vorbringt, weil nach Maßgabe von Art. 9 der Genfer Verfassung Verfügungen, welche die Handels- und Gewerbefreiheit einschränken, nur auf'dem Wege eines Gesetzes erlassen werden können, daher der Staatsrat keine Kompetenz zum Erlasse seiner Verordnung gehabt habe.

Art. 189 des zitierten Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechspttege umschreibt den Kompetenzkreis des Bundesrates in staatsrechtlichen Streitigkeiten mit den folgenden Worten : ,,Der Beurteilung des Bundesrates oder der Bundesversammlung sind unterstellt die Beschwerden, welche sich auf die nachstehenden Bestimmungen der Bundesverfassung oder die e n t s p r e c h e n den Bestimmungen der Kantonsverfassungen beziehen: . . .

3) Artikel 31 der Bundesverfassung betreffend die Handels- und Gewerbefreiheit"1. Auf Grund dieser Bestimmung nimmt der Bundesrat die Kompetenz für sich in Anspruch, das vorliegende Rechtsbegehren zu entscheiden, und zwar sowohl hinsichtlich des ersten, formellen, wie auch hinsichtlich des zweiten, materiellen Beschwerdegrundes. Der Bundesrat hat in Beziehung auf den formellen Grund der Verletzung der Genfer Verfassung nicht zu entscheiden, ob die Genfer Regierung das verfassungsmäßig garantierte Verhältnis der öffentlichen Gewalten durch den Erlaß der Verordnung verletzt hat; vielmehr enthält die Genfer Verfassung, indem sie den Satz aufstellt, daß die Handels- und Gewerbefreiheit nur durch Gesetz beschränkt werden kann, eine Erhöhung der in der Bundesverfassung aufgestellten Garantie. Über die Garantie des Individualrechtes der Handels- und Gewerbefreiheit ist der Bundesrat zu entscheiden befugt, sei sie in der Bundesverfassung oder in einer Kantonsverfassung enthalten. Deshalb ist der Bundesrat auch zuständig zum Entscheide darüber, ob die Handels- und Gewerbefreiheit durch den Erlaß des Genfer Staatsrates in einer nach Genfer Verfassungsrecht unzulässigen Weise durch eine bloße Verordnung, statt durch ein Gesetz beschränkt worden ist.

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III.

Der Staatsrat von Genf verneint, daß seine Verordnung betreffend das Verbot des Vertriebes von Schneeballgutscheinen und -coupons vom 31. Oktober 1899 nach Art. 9 der Genfer Verfassung einen formell unzulässigen Eingriff in die Handels- und Gewerhefreiheit bedeute; sein Verbot sei eine Polizeiverordnung, welche die Handelsfreiheit nicht einschränke, und für welche daher Art. 9 der Genfer Verfassung nicht gelte ; seine Kompetenz fuße auf Art. 8(> der Genfer Verfassung, wonach der Staatsrat die Polizeiverordnungen innert den gesetzlich bestimmten Schranken zu erlassen hat, und auf der ihm in der ,,allgemeinen Klausel11 des Strafgesetzbuches des Kantons Genf- übertragenen Befugnis, Verordnungen über alle im Strafgesetze behandelten Materien zu erlassen. Als thatsächliche Grundlage seines Verbotes macht der Staatsrat geltend, es werde beim Schneeballsystem das Publikum durch betrügerische Versprechungen zürn Abschluß von Verträgen verleitet, die seitens der Handelshäuser, welche die Gutscheine und Coupons verkaufen, nicht eingehalten wurden ; es werde ferner das Publikum dadurch getäuscht, daß die Vertragsbedingungen selbst absichtlich unklar und ungenau abgefaßt seien und daß auf diese Weise eine Bedingung in dieselbe aufgenommen werde, die den Vertrag zu einem Spielvertrag stemple ; außerdem mache das hohe Risiko gegenüber der geringen Gewinnaussicht das Geschäft zu einem unvorteilhaften.

Damit spricht der Staatsrat aus, daß er sein Verbot gegen Prellerei und Betrügerei richten wolle, die mit dem Schneeballsystem gegenüber dem Publikum getrieben werde.

Es ist zu untersuchen, ob der Staatsrat hierzu auf dem bloßen Verordnungswege zuständig war.

Das Genfer Strafgesetzbuch (Code pénal vom 21. Oktober 1874) enthält in seinem dritten Buche die Bestimmungen über die Polizeiübertretungen. Es steht bezüglich Einteilung der strafbaren Handlungen auf dem Boden des französischen Rechtes, indem es (in Art. 1) Verbrechen (crimes), Vergehen (délits) und Übertretungen (contraventions) unterscheidet. Bezüglich der Polizeiübertretungen werden im Gesetze selbst Thatbestände nur selten aufgestellt, sondern es wird an der Spitze des Art. 385 nur die Strafsanktion aufgeführt und dann unter 39 Ziffern die einzelnen strafbaren Hand · hingen, meistens durch Verweis auf die die Materie beherrschenden Specialnormen, und gewöhnlich mit der Formel : Es sind straffällig diejenigen, die den Gesetzen und Verordnungen über zuwidergehandelt haben.

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Unter Ziffer 22 heißt es: Diejenigen, die den Gesetzen und Verordnungen über die Trödler, den K a u f und V e r k a u f von b e w e g l i c h e n G e g e n s t ä n d e n , und über die Geldverleiher zuwidergehandelt haben ; unter Ziffer 31 : Diejenigen, die den Gesetzen und Verordnungen über die H a u s i e r e r , die umherziehenden Kaufleute, die Standkrämer und ü b e r h a u p t den G e s e t z e n u n d V e r o r d n u n g e n ü b e r d i e A u s ü b u n g eines G e w e r b e s zuwidergehandelt haben. Am Schlüsse des Gesetzes, vor den Übergangsbestimmungen, ist dann dem Regierungsrat ganz allgemein folgende Befugnis gegeben: Der Staatsrat erläßt die G e s e t z e und V e r o r d n u n g e n , welche dio im Strafgesetz berührten Materien betreffen. Dem Regierungsrate wird hiermit sogar die Kompetenz zum Erlaß von Polizeigesetzen gegeben.

Das System des Genfer Strafrechtes ist also so beschaffen, daß es für große Kategorien des Polizeiunrechtes nur einen mit einer Strafsanktion versehenen allgemeinen Rahmen schafft, dessen thatbestandlicher Inhalt sich erst ans den Ausführungsgesetzen und Verordnungen des Regierungsrates ergiebt. Der Rahmen des Gesetzes ist aber doch so bestimmt umschrieben, daß die einzelnen Materien, in welchen der Regierungsrat zu legiferieren hat, genau abgegrenzt sind. Daraus ist der weitere Schluß zu ziehen, daß, soweit dieser Rahmen reicht, Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit im Gesetze selbst vorgesehen, also schon durch das Gesetz selbst bestimmt sind, denn unter ^Gesetzen und Verordnungen, welche sich beziehen auf Kauf und Verkauf beweglicher Sachen, auf das Hausiergewerbe, oder überhaupt auf die Ausübung eines Gewerbes", sind doch offenbar Gesetze verstanden, welche vom polizeilichen Gesichtspunkte aus die Regulierung der Handelsund Gewerbefreiheit anstreben. Die Strafsanktion ist auch ganz allgemein im Eingang des Art. 385 gegeben.

Der angefochtene Erlaß des Regierungsrates des Kantons Genf ist nun nichts anderes, als eine Ausführung des Strafgesetzbuches; er fällt unter die ,,Gesetze und Verordnungen, welche die im Strafgesetzbuch berührten Materien betreffen". Das ergiebt sich deutlich aus Art. 2 des Erlasses, in welchem gesagt ist: Die Zuwiderhandelnden werden mit Polizeistrafen belegt. Damit ist Bezug genommen auf die Strafsanktion im Eingang von
Art. 385 des Strafgesetzes.

Art. 9 der Genfer Verfassung ist nun aber so aufzufassen, daß eine Beschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit nur durch Gesetz, d. h. auf einer gesetzlichen Grundlage, eingeführt werden kann. Besagter Art. 9 ist mit Bezug auf die Handels- und Gewerbefreiheit &o zu lesen : ,,Die Handelsfreiheit ist allen Bürgern

492 unter den Einschränkungen gewährleistet, welche das Gesetz im öffentlichen Interesse macht.u Das Strafgesetz bedroht nun mit Strafe alle diejenigen Widerhandlungen, welche gegen die Gesetze und Verordnungen über Verkauf und Kauf, über den Hausierhandel, überhaupt über die Ausübung eines Gewerbes geschehen und überläßt dem Staatsrat die nähere Ausführung dieser Gesetze und Verordnungen ; die Beschränkung selbst, die Strafe ist im Strafgesetz enthalten ; der Staatsrat führt nur das Strafgesetz aus, \venn er in einer der darin bezeichneten Materie ein Verbot mit Polizeistrafen aufstellt.

Aus diesen Ausführungen geht hervor, daß die in der Genfer Verfassung gegebene vermehrte formelle Garantie der Handelsund Gewerbefreiheit durch das Vorgehen der Kegierung nicht verletzt ist.

IV.

Ist nun die Maßnahme des Staatsrates im Wesen des Handels nach dem Schneeballsystem begründet? Wenn nicht, so ist sie in der That, wie der Rekurrent ausführt, als unzulässige Einschränkung der Handelsfreiheit auf dem Wege der staatsrechtlichen Beschwerde vor dem .Hundesrat anfechtbar. Nun hat aber der Bundesrat bereits in Suchen Charles Gros & Cie. contra Bern vom 19. Juni 1900 (ßundesblatt vom 27. Juni 1900) ausgesprochen, daß, ganz abgesehen davon, ob die seitens vieler Privatpersonen eingelaufenen Klagen begründet seien oder nicht, der Vertrieb von Schnceballgutscheinen und -coupons thalsächlich in Prellerei des Publikums ausarte. Der durch das Schneeballsystem für den Käufer eines Gutscheines in Aussicht gestellte Vorteil, durch Bezahlung von Einem Franken Waren im Werte von Fr. 30 zu bekommen, soll so gewonnen werden, daß sich der Käufer eines Gutscheines verpflichtet, dem Haus ,,A l'étudiant" neue Kunden dadurch zuzuführen, daß weitere Personen zum Kaufe von Schneeballcoupons und -gutscheinen veranlaßt werden. Die Erfüllung dieser Vertragsbedingung wird nun aber bei der mit dem Schneeballsystem eintretenden Progression im Anwachsen der Kundschaft für alle Käufer von Gutscheinen in einem bestimmten /eitpunkt zu einer unmöglichen, nämlich von dem Augenblick an, wo die sämtlichen kauffähigen Einwohner einer Ortschaft, einer Gemeinde, eines Bezirkes, mit Coupons versehen sind. Alle diejenigen, die ihre Coupons zuletzt gekauft haben, können dieselben nun nicht mehr absetzen, und sind um das von ihnen ausgelegte Geld betrogen : die Voraussetzung, unter

493 der sie. zur Eingehung eines Vertrages verlockt wurden, es sei die Leistung, zu der sie sich im Vertrage verpflichtet haben (d. h. das Absetzen der Coupons), eine mögliche Leistung, ist falsch. Das den Kunden heute auf das Verbot des Staatsrates hin eingeräumte Recht, durch Bezahlung von Fr. 24 Waren im Werte von Fr. 30 zu beziehen, giebt den Kunden nicht das, was sie bei Anwendung von Fleiß und einiger Gewandtheit erwarten zu können glaubten und glauben durften. Prellerei ist solange vorhanden, als der Beschwerdeführer nicht allen denen, welche keine Käufer für ihre Coupons mehr finden k o n n t e n , die eingezahlten Fr.- 6 zurückgegeben hat ; dazu aber hat er kein Anerbieten gemacht. Es steht also die Verordnung vom 31. Oktober 1899, die das Schneeballsystem verbietet, auch mit Art. 31 der Bundesverfassung nicht im Widerspruch.

Es mag übrigens noch bemerkt werden, daß, wie aus einem Urteil des Civilgerichtes von Lille (vgl. Semaine judiciaire 1900, p. 270 ff.) hervorgeht, auch in Frankreich die Geschäfte nach dem Schneeballsystem als den guten Sitten und ehrbarer Kaufmannsart widersprechende aufgefaßt und civilrechtlich nichtig erklärt worden sind (,,que de tels résultats sont contraires à la moralité des opérations commerciales et de nature à nuire aux négociants honnêtes qui se contentent de prélever un bénéfice légitime sur les marchandises vendues que le contrat doit donc être déclaré nul comme contraire à la morale et à l'ordre public").

D e m n a c h w i r d er k a n n t : Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Bern!, den 19. Juni 1900.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Häuser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

Bundesblatt.

52. Jahrg. Bd. III.

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des Honoré Roche, von Vienne (Département Isère), Schneiders, in Genf, gegen die Verordnung des Staatsrats des Kantons Genf, vom 31. Oktober 1899, betreffend Verbot des Vertriebs von sog. Schneeballgutscheinen ...

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26

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27.06.1900

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479-493

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