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Bericht

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das Entschädigungsbegehren der Witwe Martig-Golay in Sentier.

(Vom 15. Dezember 1900.)

Tit.

Mit Eingabe vom 22. November 1900 rekurriert dio Frau Witwe Martig-Golay in Sentier gegen unsere Schlußnahme vom 5. Oktober 1900, wodurch dieselbe mit ihrem Begehren um Entschädigung wegen des Todes ihres Adoptivsohnes Auguste Martin, der sich sein Lungenleiden im Militärdienste zugezogen haben soll, abgewiesen worden ist.

Wir beehren uns, Ihnen anmit Bericht und Antrag zu unterbreiten.

Am 23. Juni 1898 meldete Herr Dr. Yersin in Sentier, der Infanteriesoldat Auguste M a r t i n in Sentier, der am 11. Juni 1898 aus der Infanterierekrutenschule in Lausanne entlassen worden war, sei an Tuberkulose der Lungen erkrankt. Bemerkt; war, daß die Tuberkulose schon vor dem Dienst bestanden haben müsse.

Martin hustete damals schon und war während des Dienstes zweimal wegen ,,Bronchite" und ,,Husten" behandelt worden. Er hatte sich aber geweigert, im Krankenzimmer zu bleiben, um den Dienst nicht nachholen zu müssen.

Es handelte sich bei A. Martin um eine vordienstlich schon bestehende Krankheit. Da aber die Möglichkeit einer dienstlichen Verschlimmerung vorlag, wurde Martin zur Behandlung auf Bundes-

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kosten in den Kantonsspital Lausanne gewiesen, \vo er zunächst vom 27. Juni bis 15. September 1898 blieb, an welchem Tage er, auf Anraten des behandelnden Arztes, Prof. Cérenville, und mit schließlicher Zustimmung des Oberfeldarztes, nach Sentier 7,u seinen Verwandten aufs Land übersiedelte. Am 10. Dezember 1898 kehrte Martin auf den Rat des Dr. Yersin wieder in das Kantonsspital Lausanne zurück. Am 1. Februar 1899 starb Martin daselbst. Martin hatte für die Zeit seines ersten Aufenthaltes im Spital Sold, erhalten, für den Aufenthalt in Sentier an Spitalgeldäquivalent und Sold waren ihm Fr. 210. 50 ausbezahlt worden.

Der Spitalsold für den zweiten Spitalaufenthalt wurde den Erben ausbezahlt.

Auf Grund dieses Sachverhaltes stellt Frau Witwe MartigOJolay in Sentier Entschädigungsansprüche. Da Martin an einer internen Krankheit gestorben ist, konnte es sich nur darum handeln, ob auf Grund des Pensionsgesetzes der Frau Witwe Martig eine Entschädigung gebühre oder nicht.

Es geht aus vorstehenden Ausführungen hervor, daß A. Martin schon krank zur Rekrutenschule einrückte ; in keiner Weise ist aber bewiesen, daß der Militärdienst sein Leiden in rascherem Tempo verschlimmerte, als dies im Civilleben der Fall gewesen \vare. Außer den beiden Krankmeldungen befand er sich nach den eigenen Aussagen seines Adoptivbruders im Dienste völlig wohl. Nach der Auffassung des Oberfeldarztes ist nicht daran zu zweifeln, daß auch ohne den Militärdienst die Lungentuberkulose, an der Martin schon einige Wochen vor seinem Diensteintritte litt, einen raschen und fatalen Verlauf genommen hätte.

Der Möglichkeit, daß der Militärdienst eine Beschleunigung des Krankheitsverlaiifes verschuldet haben könnte, hat der Bund genügend Rechnung getragen, indem er die Kosten der Verpflegung und Beerdigung Martins übernahm.

Wenn schon von diesem Gesichtspunkt aus die Ansprüche der Witwe Martig sich als unbegründet erwiesen, so ist dies noch mehr der Fall nach den Bestimmungen des Pensionsgesetzes.

Nach Art. 3 desselben sind entschädigungsberechtigt: c. die Eltern.

Nun ist aber Frau Martig nicht die Muttor Martins, sondern, wie sie sich nennt, sa mère adoptive; wer die Eltern Martins waren, und in welchem Verwandtschaftsverhältnis dieser zu Frau Witwe Martig stand, geht aus den Akten nicht hervor. Jedenfalls kann Frau Martig auf die
Thatsache, daß sie den Auguste Martin erzogen habe, keinen Entschädigungsanspruch gründen, denn das Pensionsgesetz kennt keine entschädigungsberechtigten .,Pflegeelternc', Es

99S ist aber des fernem zu betonen, daß das waadtländische Recht das Institut der Adoption nicht kennt (Huber, Schweiz. Privatrecht, Bd. I, S. 410) ; wenn also auch zwischen der Ansprecherin und dem gestorbenen A. Martin ein thatsächliches Pflegekindschaftsverhältnis wirklich bestanden hat, so konnte dasselbe nach der kantonalen Gesetzgebung von keiner rechtlichen Bedeutung sein.

Aber selbst wenn Frau Martig die wirkliche Mutter des Martin wäre, müßte sie auf Grund der Art. 2 und 4 des Pensionsgesetzes abgewiesen werden. Nach Art. 2 haben die Hinterlassenen eines im Militärdienst oder an den Folgen des Militärdienstes verstorbenen Soldaten nur dann Anspruch auf Entschädigung, wenn ihr Lebensunterhalt ganz oder teilweise durch den Erwerb des Verstorbenen bedingt war. Nun hat aber Martin, wie aus den Briefen des Paul Martig hervorgeht, dem Letzteren nur Kosten verursacht ; er mußte noch unterhalten werden. Nach Art. 4 anerkennt der Bund auch keine Entschädigungspflicht, wo der Lebensunterhalt, sei es des Invaliden oder der Hinterlassenen, in keiner Weise beeinträchtigt wird.

Auch dies trifft zu. Da Martin nur Kosten verursacht hat.

in der Zeit vor seiner Krankheit aber noch nichts erworben hatte, und da sowohl Witwe Martig als Paul Martig nicht bedürftig sind, greifen auch Kommiserationsgründe nicht Platz.

Auf Grund dieser Ausführungen beantragen wir Union, es sei das Entschädigungsbegehren der Frau Witwe Martig-Golay in Sentier abzuweisen.

B e r n , den 15. Dezember 1900.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Hauser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bericht Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das Entschädigungsbegehren der Witwe Martig-Golay in Sentier. (Vom 15. Dezember 1900.)

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