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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde des Giovanni Guglielmi, von Oleggio, und des Michele Perini, von Massiole, Italien, betreffend Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit (Verweigerung der Erteilung von Hausierpatenten).

(Vom 27. Februar 1900.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t

hat über die Beschwerde des Giovanni G u g l i e l m i , von Oleggio, und des Michele P e r i n i, von Massiole, Italien, betreffend Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit (Verweigerung der Erteilung von Hausierpatenten), auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Mit Eingabe vom 16. September 1899 beschwerte sich Advokat H. Hartmann in St. Gallen Namens Giovanni G u g l i e l m i , von Oleggio, und Michele P e r i n i, von Massiole, Italien, gegen zwei Bescheide der kantonalen Polizeidirektion vom 5. und 7. September 1899 beim Regierungsrat des Kantons T h u r g a u . Durch die angefochtenen Schlußnahmen wurde den bisher mit Schirm- und Wirkwaren im Kanton hausierenden Italienern die weitere Verabfolgung von Hausierpatenten verweigert, weil beide keinen that-

616 sächlichen Wohnsitz in der Schweiz hätten, da ihre Familien sich in Italien befinden, und ·weil außerdem die Gültigkeit des von Perini deponierten Passes mit dem Tage der ßescheiderteilung ablief. Die Beschwerdeführer erblicken in dieser Patentverweigerung eine Verletzung des italienisch-schweizerischen Staatsvertrages, laut welchem die Italiener in der Schweiz den Schweizerbürgern gleich zu behandeln seien.

Der Regierungsrat des Kantons Thurgau wies die Beschwerden durch Beschluß vom 22. September 1899 als unbegründet ab, von folgenden Erwägungen ausgehend: Die Bestimmung des § 12, a, des thurgauischen Hausiergesetzes, lautend : ,,Das Patent wird nur solchen Personen erteilt, die in der Schweiz Niederlassung und thatsächlichen Wohnsitz haben"1, gilt für allo Hausierpatentbewerber, Schweizer wie Ausländer. Wenn sie auch auf die Italiener angewendet wird, so liegt hierin keine ausnahmsweise Behandlung der Italiener und daher auch keine Verletzung des angeführten Staatsvertrages. Niederlassung und thatsächlicher Wohnsitz sind nach dem thurgauischen Hausiergesetze zwei verschiedene Requisite, welche beide vorhanden sein müssen, wenn ein Hausierpatent soll erteilt werden können. Es hat auch der Bundesrat in seinem Geschäftsberichte über das Jahr 1898 ausdrücklich erklärt, es könne die Erteilung eines Hausierpatentes an die Voraussetzung geknüpft werden, daß der Bewerber in der Schweiz seinen festen Wohnsitz habe. Während nun jemand gleichzeitig an mehreren Orten das formelle Recht der Niederlassung erwerben und ausüben kann, selbst wenn er an einem ganz anderen Orte als an demjenigen der Niederlassung sich aufhält, so kann dagegen jemand nur an e i n e m Orte seinen thatsächlichen Wohnsitz haben. Speciell ein Familienhaupt hat seinen thatsächlichen Wohnsitz an dem Orte, wo die Familie sich befindet, und wohin das Familienhaupt regelmäßig, wenn auch nur für kürzere Zeit, zurückzukehren pflegt. Nach anderen Merkmalen ließe sich der Unterschied zwischen Niederlassung und thatsächlichem Wohnsitz, speciell aber der Begriff des thatsächlichen Wohnsitzes eines Familienhauptes, gar nicht bestimmen. Wenn in der regierungsrätlichen Botschaft zum neuen Hausiergesetze bei Beleuchtung des Requisites des thatsächlichen Wohnsitzes der Hausierer nur auf die Steuerpflicht hingewiesen ist, so erklärt sich dies
dadurch, daß in einer Botschaft an das Volk nur die am meisten in die Augen springenden Folgen gesetzlicher Neuerungen, zu welchen die Steuerpflicht der Hausierer allerdings auch gehört, hervorgehoben, aber nicht erschöpfende Begriffsdefinitionen gegeben werden können.

617 Weil nun im vorliegenden Falle die Familien --- Ehefrau und allfällige unmündige Kinder--'der Rekurrenten nicht in der Schweiz, sondern in Italien sich aufhalten, wohin die Beschwerdeführer regelmäßig zurückzukehren pflegen, so sind sie thatsächlich nicht in der Schweiz, sondern in Italien wohnhaft, und kann ihnen deshalb ein Hausierpatent nicht verabfolgt werden; ganz abgesehen davon, daß Perini bis zur Stunde noch keinen neuen gültigen Paß beigebracht hat.

II.

Gegen diese Schlußnahme erhoben 6-uglielnii und Perini die staatsrechtliche Beschwerde sowohl beim Bundesrat als beim schweizerischen Bundesgericht. In der dem Bundesrate den G. November 1899 eingereichten Rekursschrift wird zur Begründung des Antrages auf Aufhebung des Regierungsratsbeschlusses vom 22. September 1899 und Erteilung der verlangten Hausierpatente angeführt : Die Beschwerdeführer Guglielmi und Perini sind Hausierer von Beruf. Beide bezahlen seit 1896 in Amrisweil, wo sie sich niedergelassen haben, ihre Steuern und den Mietzins ; sie sind laut eingelegtem Leumundszeugnisse der Municipalität Amrisweil thatsächlich in dieser Ortschaft des Kantons Thurgau wohnhaft. Von dort aus vertreiben sie ihre Schirm- und Wirkwaren ausschließlich schweizerischen Fabrikates. Ihr letztes Hausierpatent datiert aus diesem Frühjahre. Dasjenige des Perini ist ausgestellt und gültig für die Zeit vom 21. Februar bis zum 22. Mai, das des Guglielmi für das Vierteljahr 27. März bis 28. Juni 1899. Beide Patente sind also unter der Herrschaft des neuen Gesetzes betreffend das Markt- und Hausierwesen, vom 3. Oktober 1898, ausgestellt worden.

In seiner Botschaft vom 29. Oktober 1898 hat der Regierungsrat geltend gemacht: ,,Gerne 'hätte man bei Revision des Gesetzes einen Damm gegen die Überschwemmung des Kantons mit fremden Hausierern errichtet, ohne den eigenen Landesangehörigen den Hausiererwerb allzusehr zu erschweren. Allein Staats vertrage j speciell die Niederlassungsverträge -- mit einziger Ausnahme desjenigen zwischen der Schweiz und Österreich-Ungarn -- verpflichten uns, die in der Schweiz sich aufhaltenden Ausländer bezüglich des Hausierhandels gleich zu behandeln wie die eigenen Landcsangehörigen. Solange diese Staatsverträge, welche nur durch die eidgenössischen Behörden gekündet oder abgeändert werden können, in Kraft bestehen, ist ein Ausschluß oder auch eine bloße Mehr

618 belastung der fremden Hausierer rechtlich unzulässig. Der kantonale Gesetzgeber muß sich ' deshalb darauf beschränken, durch Maßnahmen, welche den Einheimischen wie den Fremden gleich treffen, dem zu üppig wuchernden Hausierwesen entgegenzutreten.

Der vorliegende Gesetzesentwurf enthält gegenüber dem bisherigen Gesetze folgende wesentliche Abänderungen: ,,Paragraph '12 setzt in litt, u bis e die persönlichen Eigenschaften fest, welche der Bewerber um ein Hausierpatent besitzen muß. Neu ist hierbei die Bestimmung, daß das Patent nur solchen Personen erteilt wird, welche in der Schweiz Niederlassung und thatsächlichen Wohnsitz haben. Es hat dies zur Folge, daß jeder Hausierer nicht etwa bloß die Formalität des Niederlassungserwerbes zu erfüllen, sondern auch an seinem Niederlassungsorte alle Steuern wie ein seßhafter Handelstreibender zu entrichten hat.1' In diesem Passus der Weisung an das Volk liegt eine Interpretation des § 12, a, mit welcher auch die Thatsache der Ausfertigung von Patenten an die Beschwerdeführer noch in diesem Frühjahr, also nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes, aufs beste harmoniert.

Der Regierungsrat des Kantons Thurgau stützt sich in seinem abweisenden Boscheide im wesentlichen darauf, daß § 12, a, von den Hausierern nicht nur Niederlassung, sondern auch thatsächlichen Wohnsitz verlange, welch letzteres Requisit den Potenten mangle. Der thatsächliche Wohnsitz in der Schweiz setze auch voraus, daß die Familie eines Patentbewerbers ebenfalls in unserm Lande ansässig sei. Gegen diese Auffassung ist folgendes einzuwenden: In erster Linie ist zugestanden, daß der Besuch der Familie seitens der Beschwerdeführer nur für kurze Zeit geschieht.

Die Rekurrenten halten sich mit vielen ändern ihrer Landsleute und Berufsgenossen das ganze Jahr, mit Ausnahme einiger Wochen, im Kanton Thurgau auf; sie wohnen thatsächlich in Amrisweil, wo sie ihre Wohnung gemietet haben. Wäre dies nicht zuzugestehen, so müßten sie an einem ändern Orte, also in Italien bei ihren Familien, thatsächlich wohnen. Mit einer solchen Auffassungstimmt aber der Begriff ^thatsächlich'1 in keiner Weise. Die Definition desselben hat der Regierungsrat, wie bereits angedeutet, in seiner Weisung an das Volk selbst gegeben : es müsse jeder Hausierer nicht etwa bloß die Formalität des Niederlassungserwerbes erfüllen,
sondern auch an seinem Niederlassungsorte alle Steuern, gleich wie ein seßhafter Handelstreibender, entrichten.

Hätte man weiter gehen wollen in dem von der Regierung nun angestrebten einschränkenden Sinne, so wäre dem gar nichts entgegengestanden mit Bezug auf die Annahme des Gesetzes, da ja

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die Ausländer nicht stimmen konnten, und die Einheimischen aus einer so engen Bestimmung nur Nutzen hätten ersehen müssen.

Man hat aber nichts Derartiges zur Empfehlung der Gesetzesvorlage aufgeführt, weil man selber damals noch nicht an eine solche Praxis dachte. Das bezeugt auch die Thatsache, daß die gleichen heute abgewesenen Familienväter noch unter der Herrschaft des neuen Gesetzes nach Wunsch vierteljährige Patente erhalten haben.

Aber auch von allgemeinen Gesichtspunkten aus läßt sich die Interpretation des Begriffes ,,tatsächlicher Wohnsitz", wie sie in der angefochtenen Schlußnahme versucht wird, nicht rechtfertigen.

Die bundesgerichtliche Praxis spricht sich über den Begriff des ,,festen Wohnsitzes10 im Sinne des Art. 59 der Bundesverfassung deutlich dahin aus, daß darunter verstanden werde der dauernde Aufenthalt, d. h. der Aufenthalt mit der Absicht, an einem bestimmten Orte auf die Dauer zu wohnen, dort den Mittelpunkt der bürgerlichen Existenz und Thätigkeit zu begründen (Amtliche Sammlung der Entscheidungen, XXI, Seite 944, Erwägung 3 ; X, Seite 32, Erwägung 2; X, Seite 203). Speciell das letztgenannte Urteil hebt hervor, daß zum festen Domizil gehöre ein Aufenthalt als dauernder Mittelpunkt der bürgerlichen und der geschäftlichen Existenz der Person. Eine bloß vorübergehende kürzere oder längere Anwesenheit an einem Orte, ohne Niederlassungs- noch Aufenthaltsbewilligling, kann den gesetzlichen Wohnsitz nicht begründen ; dagegen gelten neben der Hinterlegung der Ausweispapiere als Merkmale des Wohnsitzes auch: die Bezahlung der Steuern, der Betrieb eines Geschäftes, die Benutzung der Schule durch die Kinder etc. Alle bundesgerichtlichen Entscheide sprechen sodann immer nur von ,,jemand", von ,,einer Person" ; keines erwähnt als zum Erfordernis des festen Wohnsitzes gehörend, d.iß Frau und Kinder an diesem Mittelpunkte der bürgerlichen und geschäftlichen Existenz sich befinden. Selbstverständlich, da das Wesentliche dieses Requisites ein ausgesprochen ökonomisches Moment ist. Wo man steuert und Mietzins zahlt und verdient, und wo man dies dauernd thut, da ist der feste Wohnsitz einer Person. Alle diese Voraussetzungen des bundesgerichtlich statuierten Wohnsitzbegriffes erfüllen die Beschwerdeführer.

Das thurgauische Hausiergesetz verlangt jedoch nicht diesen ,,festen", sondern
nur den ,,tatsächlichen" Wohnsitz. Daß es hierzu nicht etwa mehr als zur Begründung des festen Wohnsitzes braucht, springt in die Augen. Der Unterschied ist auch schon im Entscheide des Bundesgerichtes (A. S. XXIV, I, 675) fest-

620 gestellt worden in dein Satze: ,,Nun genügt es zur Begründung eines neuen Domizils nicht, daß eine Person den faktischen Wohnort vom frühern Wohnsitz an einen anderen Ort verlegt, sondern es muß nach Vorschrift, von Art. 3, Abs. l, des Bundesgesetzes über die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter die Absicht dazu kommen, im neuen Aufenthaltsort dauernd zu verbleiben "· Hier wird also der faktische Wohnsitz dem festen,, als vorübergehender, nicht auf die Dauer berechneter, gegenübergestellt. Wollte man demgemäß im vorliegenden Rokursfalle einen festen Wohnsitz der Boschwerdeführer in Amrisweil bestreiten, so müßte doch sicherlich ein thatsächlicher im Sinne des eben genannten Bundesgesetzes zugestanden werden.

Die Behauptung, es gehöre zum Begriffe des thatsächlichcn Wohnsitzes eines Familienvaters, daß die Familie, Frau und Kinder, das Jahr hindurch bei ihm wohnen, ist also eine mit der Auffassung des Bundesgerichtes und allgemeinen Begriffen nicht übereinstimmende, willkürliche.

In Berücksichtigung darf auch noch die Definition des Wohnsitzes durch das Bundesgesetz betreffend die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter vom 25. Juni 1891 gezogen werden ; wenn es sich auch vorliegend nicht um einen solchen, sondern um einen mehr staatsrechtlichen, polizeigeset/Jichen Wohnsitz handelt. Art. 3 bestimmt: ,,Der Wohnsitz im Sinne dieses Gesetzes beündet sich an dem Orte, wo jemand mit der Absicht, dauernd zu verbleiben, wohnt. . . Der einmal gegründete Wohnsitz einer Person dauert bis zum Erwerb eines neuen Wohnsitzes fort . . . Niemand hat an zwei oder mehreren Orten zugleich seinen Wohnsitz."- Art. 4 : ,,Als Wohnsitz der Ehefrau gilt der Wohnsitz des Ehemannes. Als Wohnsitz der in elterlicher Gewalt befindlichen Kinder gilt der Wohnsitz des Inhabers der elterlichen Gewalt."· Bei Berücksichtigung derartiger Bestimmungen ist es doch fast unmöglich, daß ein Polizeigesetz, in direkter Umkehrung civilrechtlicher Grundsätze, den Wohnsitz des Ehemannes dahin verlegt, wo Frau und Kinder wohnen ; vielmehr sollte nach Analogie des Bundesrechtes auch für kantonale Gesetze de)1 Wohnsitz durch den dauernden Aufenthalt und Geschäftsbetrieb des Familienhauptes begründet werden. An dieser Notwendigkeit ändert die Beifügung ,,thatsächlich11 des thurgauischen
Hausiergesetzes nichts.

In der Auslegung des § 12, a, durch den Regierungsbeschluß vom 22. September 1899 liegt eine Verletzung der in Art. 4 und 31 der Bundesverfassung garantierten Rechte, welche nach

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dem Niederlassungsvertrage zwischen der Schweiz und Italien auch von den Italienern in ganz gleichem Maße wie von den Schweizerbürgern in Anspruch genommen werden können. Der Beschluß bedeutet eine berufliche Beeinträchtigung und Rechtsschmälerung einer bestimmten Klasse von Niedergelassenen, der verheirateten italienischen Hausierer. Er stellt den ledigen italienischen Hausierer verhältnismäßig besser als den verheirateten und verkümmert in dieser Weise dem Letztern sein gleiches Recht auf Ausübung seines Gewerbes; ja, der Hausierhandel wird durch diese Art der Rechtsanwendung dem mit Frau und Kindern bedachten italienischen Hausierer, der aus ökonomischen Gründen seine Familie in Italien zu lassen gezwungen ist, im Kanton Thurgau thatsächlich unmöglich gemacht und somit das Recht der Gewerbefreiheit verletzt.

III.

Der Regierungsrat des Kantons Thurgau beschränkt sich in seiner Vernehmlassung vom 25. November 1899 auf die Anbringung folgender Gegenbemerkungen : Die Thatsache, daß Italiener, welche im Kanton Thurgau hausierten, in ihrer Heimat eine Familie im engern Sinne, Frau und unmündige Kinder besaßen, war der Regierung zur Zeit des Erlasses der erläuternden Botschaft zum Hausiergesetze, ja noch mehrere Monate nachdem dasselbe schon in Kraft getreten war, unbekannt. Unter der Herrschaft des alten Gesetzes hatten Ausländer lediglich genügende Legitimationspapiere über Heimat, Alter und Leumund beizubringen. Von italienischen Patentbewerbern wurde in der Regel ein Paß deponiert, der, wie nachträglich zur Kenntnis der Regierung gekommen, immer auf den Namen dos Patentbewerbers allein lautete, auch wenn derselbe verheiratet war. Dieses Verfahren dauerte auch nach Inkrafttreten des neuen Hausiergesetzes noch eine Zeit lang fort, bis das kantonale Polizoidcpartcment durch den in Frauenfeld niedergelassenen und wohnhaften Schirmfabrikanten Fanelli darauf aufmerksam gemacht wurde, daß unter den italienischen Hausierern eine Anzahl solcher sich befinde, welche in Italien Frau und Kinder besilzon, somit thatsächlich nicht in der Schweiz wohnhaft seien und nach dem neuen Gesetze keinen Anspruch auf Erteilung eines Hausierpatentes haben. Erst von dieser Denunziation an verlangte das Polizeidepartement von allen Patentbewerbern, deren thatsächlic.he Seßhaftigkeit in der Schweiz nicht notorisch war, einen Ausweis darüber, daß sie entweder alleinstehend, oder samt ihrer Familie

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in der Schweiz niedergelassen seien. Aus dieser Entwicklung der Dinge erklärt es sich, daß in der Botschaft an das Volk, die übrigens nicht etwa einen erschöpfenden Kommentar zu dem Gesetze bildet, der Begriff des thatsächlichen Wohnsitzes verheirateter Hausierer nicht besonders erörtet wurde und daß den beiden Rekurrenten noch in den Monaten Februar und März 1899 Hausierpatente ausgestellt wurden.

In rechtlicher Beziehung wird auf die Motivierung des angefochtenen Entscheides verwiesen. Wenn das thurgauische Hausiergesetz in § 12, litt, a, Niederlassung und thatsächlichen Wohnsitz als selbständige Requisite für die Erlangung eines Hausierpatentes aufstellen durfte, so müssen auch die beiden Requisite nach selbständigen Merkmalen bestimmt werden. Die Regierung kann nicht zugestehen, daß die Bezahlung von Mietzins und Steuern an einem Orte zur Begründung des thatsächlichen Wohnsitzes genüge ; denn es könnte jemand, nur um der ökonomischen Vorteile des thatsächlichen Wohnsitzes teilhaftig zu werden, in einer thurgauischen Gemeinde Mietzins und Steuern bezahlen, während er persönlich sich in Deutschland oder Italien aufhält.

Solches kommt namentlich bei alleinstehenden, hinsichtlich ihres thatsächlichen Wohnsitzes schwer zu kontrollierenden Personen jetzt schon nicht selten vor und würde, wenn die vorliegende Beschwerde geschützt würde, in Zukunft noch viel häufiger eintreten.

Die Regierung anerkennt die bundesgerichtliche Deflnierung des Wohnsitzes und ist weit davon entfernt, etwa im Widerspruch mit den allgemeinen eivilrechtlichen Anschauungen den Satz aufzustellen : ,,Der Wohnsitz des Ehemannes ist da, wo Frau und Kinder das ganze Jahr hindurch wohnen."· Aber sie stellt sich auf den Standpunkt : der Umstand, daß Frau und Kinder das Jahr hindurch an einem Orte wohnen, an welchen auch der Ehemann, wenn auch nur für kürzere Zeit, regelmäßig zurückzukehren pflegt, ist ein im allgemeinen -- besondere Ausnahniefälle vorbehalten -- untrügliches Indicium für die Thatsache, daß der Mann den Mittelpunkt seiner bürgerlichen und familiären Verhältnisse an dem Orte hat und haben will, an welchem seine Familie sich aufhält, selbst wenn er den Mittelpunkt seiner geschäftlichen Thätigkeit anderwärts haben sollte. Für die Beurteilung des thatsächlichen Wohnsitzes sind aber im Sinne des thurgauischen Hausiergesetzes
nicht allein die geschäftlichen, sondern in erster Linie die allgemeinen bürgerlichen und familiären Verhältnisse eines Menschen entscheidend. Von diesem Gesichtspunkte aus unterliegt trotz der Thatsache, daß die Rekurrenten in Amrisweil Mietzins

623 und Steuern bezahlten und in der Schweiz hausierten, keinem Zweifel, daß sie ihren thatsächlichen Wohnsitz nicht in der Schweiz, sondern in Italien haben. Die Bestimmung des § 12, litt, a, wird nicht nur auf Ausländer, sondern auch auf Schweizerbürger, die ihren thatsächlichen Wohnsitz außerhalb der Schweiz haben, angewendet. Es kann also in dieser G-esetzesanwendung weder eine Verletzung der Gleichheit vor dem Gesetze, noch eine Nichtachtung des italienisch-schweizerischen Staats ver träges erblickt werden. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

IV.

Nach stattgefundenem Meinungsaustausch über die Kompetenzfrage überwies das schweizerische Bundesgericht durch Schlußnahme vom 13. Dezember 1899 die auch bei ihm angehobene Beschwerde gemäß Art. 194 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege dem Bundesrate zu endgültiger Beurteilung, .von der Erwägung ausgehend : Die Beschwerde richtet sieh gegen die Verweigerung von Hausierpatenten, und der Antrag ·der Bekurrenten bezweckt nichts anderes, als daß die Regierung des Kantons Thurgau angehalten werde, ihnen die verlangten Patente zu erteilen. Sie bezieht sich also auf eine die Ausübung von Handel und Gewerbe betreffende Verfügung des thurgauischen Regierungsrates, und als Hauptbeschwerdepunkt stellt sich die behauptete Verletzung der Grundsätze der Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 31 der Bundesverfassung) dar. Den anderen Beschwerdegründen kommt daneben eine selbständige Bedeutung nicht zu. Wenn die Rekurrenten den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz, bezw. die vertraglich zugesicherte Garantie der Gleichbehandlung der Italiener mit den Schweizerbürgern, als verletzt bezeichnen, so werden hieraus doch nicht selbständige Begehren hergeleitet, sondern fragt es sich in concreto nur, wie weit die aus jenen Normen fließenden Rechte auf dem speciellen Gebiete der Ausübung von Handel und Gewerbe, bezw. der Erteilung von Hausierpatenten, reichen. Die Fragen betreffend Verletzung des Art. 4 der Bundesverfassung und des Niederlassuugsvertrages mit Italien stellen sich danach als bloße Präjudizialfragen dar, die nach bekanntem Grundsatz von derjenigen Behörde zu entscheiden sind, die gemäß dem aus der Fassung und der Tendenz des Petitums sich ergebenden rechtlichen Grundcharakter der Beschwerde darüber zu befinden hat. Dies ist aber im vorliegenden Falle zweifellos der Bundesrat, eventuell die Bundesversammlung (vergi, auch den letzten Absatz von Art. 189 des Organisationsgesetzes).

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B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: I.

Gemäß Art. l des Niederlassung'«- und Konsularvertrages zwischen der Schweiz und Italien vom 22. Juli 1868 werden die Italiener in jedem Kantone der schweizerischen Eidgenossenschaft hinsichtlich ihrer Person und ihres Eigentums auf dem nämlichen Fuße und auf die gleiche Weise aufgenommen und behandelt, wie die Angehörigen der ändern Kantone jetzt oder in Zukunft gehalten werden. Insbesondere können sie in jedem Teile unseres Staatsgebietes frei eintreten, reisen, sich aufhalten und niederlassen, ohne daß sie wegen Pässen, Aufenthaltsbewilligungen und Ermächtigung zur Ausübung ihres Gewerbes irgend einer Abgabe, Last oder Bedingung unterworfen wären, denen die Landesangehörigen selbst nicht unterworfen sind. Wie der Bundesrat stets anerkannt hat, bezieht sich diese garantierte Gleichbehandlung auf die ganze Rechtsstellung solcher Ausländer ; sie giebt ihnen das Recht darauf, daß sie auch in Gesetzgebung und Verfahren den Schweizerbürgern anderer Kantone gleichgehalten werden müssen ; so steht ihnen namentlich, soweit ihre Person, ihr Eigentum oder die Ausübung ihres Gewerbes in Betracht kommt, das Beschwerderecht und die Berufung auf Art. 31 der Bundesverfassung zu (vgl. Blumer-Morel, Schweizerisches Bunclesstaatsrecht, II. Auflage, Band III, S. 175 ff. und 464; Entscheidung des Bundesrates vom 10. Oktober 1899 in Sachen Molinari und Genossen gegen Graubünden betr. Holzausfuhr; Bundesbl.-1899, V, 26 ff.).

U.

Das Polizeidepartement des Kantons Thurgau hat im Jahre 1896 an das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement die Anfrage gerichtet, ob ein neues thurgauisches Gesetz über Markt- und Hausierverkehr die Bestimmung aufnehmen könne, daß Hausierpatente nur an solche Personen erteilt werden, welche in der Schweiz Niederlassung und seit einem Jahre thatsächlichen Wohnsitz haben. Gleich wie auf eine ähnliche Anfrage von Apponiseli A.-Rh. (Bundesbl. 1896, II, 39) wurde geantwortet, daß eine solche Bestimmung den Staaten gegenüber, mit welchen die Schweiz Niederlassungsverträge abgeschlossen hat, unzulässig sei (Bundesbl.

1897, I, 388, Geschäftsbericht für 1896).

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in.

Das nach dieser Auskunfterteilung erlassene Gesetz betreffend das Markt- und Hausierwesen vom 3. Oktober 1898 stellt in § 12, litt, a, die Bestimmung auf, daß Hausierpatente für den Kanton Thurgau u. a. nur an solche Personen erteilt werden, die in der Schweiz Niederlassung und thatsächlichen Wohnsitz haben. Die ursprünglich beabsichtigte Befristung des thatsächlichen Wohnens auf die Zeitdauer mindestens eines Jahres ist also vom thurgauischen Gesetzgeber fallen gelassen worden. Hingegen giebt die Regierung des Kantons Thurgau im vorliegenden Falle dieser Gesetzesbestimmung die Auslegung : aus dem Umstände, daß die Beschwerdeführer ihre Familien, Ehefrau und unmündige Kinder, in Italien wohnen lassen und jeweilen, wenn auch nur für kürzere Zeit, dorthin selber -zurückkehren, müsse darauf geschlossen werden, daß von einem ,,thatsächlichen Wohnsitze"- des Guglielmi und des Perini in der Schweiz nicht gesprochen werden könne und denselben deshalb die Erteilung eines Hausierpatentes zu verweigern sei. Diese Auslegung des Begriffes ,,thatsächlicher Wohnsitz0' und die daraus gezogene Folgerung der Hausierpatentvcrweigerung wird von den Beschwerdeführern angefochten.

Die Regierung des Kantons Thurgau bestreitet den letztern weder in ihrer Beschlußfassung, noch in der Vernehmlassung auf die Beschwerde vom 6. November 1898 das Requisit der Niederlassung in der Schweiz ; nach dem Wortlaut ihrer Argumentation scheint diese vielmehr als vorliegend erachtet zu werden, gegründet auf die unbestrittene Thatsache, daß beide Beschwerdeführer seil Jahren in Amrisweil, wo sie Niederlassung genommen haben, Steuern und Mietzins bezahlen und von dieser Ortschaft aus ihren Handel betreiben.

Die nebenbei angebrachte Bemerkung im abweisenden Regierungsratsbeschlusse, Perini habe bis zur Stunde noch keinen neuen gültigen Paß beigebracht, wird im Beschwerdeverfahren vor dem ßundesrato von der Rekursbeklagten nicht wiederholt; es ist demnach Verzicht auf diese Begründung der Patentverweigerung anzunehmen.

IV.

Zu prüfen ist vom Bundesrat einzig die unter den Parteien streitige Frage, ob die Interpretation des Begriffes ,,thatsächlieher Wohnsitz" durch den angefochtenen Regierungsratsbeschluß und die daran geknüpfte Verweigerung der Erteilung von Hausierpatenten, einer Prüfung auf ihre bundesrechtliche Zulässigkeit Bundesblatt. 52. Jahrg. Bd. I.

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626 Stand halten könne. Bei dieser Prüfung ist vorerst grundsätzlich festzustellen : Wie der Bundesrat in konstanter Praxis anerkannt hat, steht den Kantonen das Recht zu, über die Ausübung des Hausiorgewerbes Verfügungen zu treffen; dieselben dürfen jedoch den Grundsatz des Art. 31 der Bundesverfassung selbst nicht beeinträchtigen.

So steht es ihnen insbesondere zu, den Gewerbebetrieb im Umherziehen einer besondern Steuorautlage und besondern polizeilichen Vorschriften zum Schütze der öffentlichen Sicherheit, sowie zur Verhütung gewerbsmäßiger Prellerei des Publikums, /.u unterstellen (Salis, Bundesrecht, II, Nr. 610 ff'.; Entscheidungen des Bundesrates in Sachen Berger vom 17. Oktober 1893, Bundes!)]. 1893, IV, 435, in Sachen Huldreich Graf vom 5. Februar 1895, Bundcsbl. 1895, I, 224 ff. u. a. m.). Stetsfort ist dagegen vom Bundesrate daran festgehalten worden, daß sich weder ein grundsätzliches Verbot des Hausierhandels angesichts der Bestimmung des Art. 31 der neuen Bundesverfassung rechtfertigen lasse (Salis, Bundesrecht, II, Nr. 610), noch eine Rückkehr auf den Standpunkt der Bundesverfassung von 1848, welche in Art. 41, Ziffer 4, nur den im Kanton Niedergelassenen, freilich unter Gleichstellung mit den Bürgern des Niederlassungskantons, die freie Gewerbeausübung zusicherte. Denn diesem System gegenüber gewährleistet Art. 31 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 die Handels- und GewerbelVeiheit als ein jedem Schweizer zustehendes Grundrecht, Handel und Gewerbe im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft, nicht nur in dem Kantone oder den Kantonen, wo er niedergelassen ist, auszuüben (Bundesbl. 1895, I, 225, Erwägung 2, in Sachen Huldreich Graf). Und speciell mit Bezug auf den Hausierhandel wurde festgehalten, daß der Vorsuch, den Hausierhändler zu nötigen, in jedem Kantone, den er betreten will, um seinen Handel zu treiben, vorerst die Niederlassung zu erwerben, eine Aufhebung des Hausierhandels selbst und eine Beeinträchtigung der Handelsfreiheit wäre, welche über das hinausgeht, was den Kantonen betreffs Ausübung von Handel und Gewerbe zu verfügen gestattet ist (Bundesbl. 1876, ÏÏ, 579; Salis, Bundesrecht, II, Nr. 611).

Sollte der angefochtene Regierungsratsbeschlnß den Zweck haben, in Mißachtung dieser bundesreehtlichen Grundsätze eine sogenannte Eindämmung des Hausierhandels zu versuchen,
so könnte ihm seitens der Bundesbehörden kein Schutz gewährt werden ; es ist schon ausgeführt worden, daß die dem Schweizerbürger gegen eine solche Verfassungsverletzung zustehenden Beschwerderechte!

auch den Angehörigen italienischer Nation zustehen.

627 V.

Die Interpretation des Begriffs ,,thatsächlicher Wohnsitz" durch den Regierungsratsbeschluß vom 22. September 1899 entbehrt nun -aber, ganz abgesehen von obigen grundsätzlichen Feststollungen, jeder Begründung, sowohl nach allgemeinen Rechtsanschauungen, als nach dessen Definition in den Bundesgesetzen und Entscheidungen der Bundesbehörden; daß etwa die Polizeigesetzgebung des Kantons Thurgau die angefochtene Interpretation erheische und damit der Beschluß aus kantonalem Recht begründet werden könne, ist von der Regierung nicht einmal behauptet worden.

Dieselbe muß also als objektiver Begründung entbehrend erachtet und demnach die Schlußnahme vom 22. September 1899 als willkürlich aufgehoben werden.

Sowohl nach allgemeiner Rechtsauffassung, als namentlich im Sinne der Bundesgesetzgebung und der Praxis des Bundesgerichtes bei Auslegung der Art. 59 (ordentlicher Gerichtsstand des aufrechtstehenden Schweizerbürgers) und Art. 46, Absatz 2, der Bundesverfassung (Schutz vor Doppelbesteuerung) wird unter ,,Wohnsitz" ein faktisches Verhältnis verstanden, welches da vorhanden ist, wo jemand in der Absicht, dauernd zu verbleiben, sich aufhält (vgl.

Bundesgesetz vom 25. Juni 1891 betreffend die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter, Art. 3, und die Entscheidungen des Bundesgerichtes in den Fragen des civilrechtlichen und des Steuerwohnsitzes ; insbesondere diejenigen in Sachen Gaßmann, A. S., IV, Nr. 88, 525, und in Sachen Ackermann A. S., X, 452, Erwägung 2; vgl. ferner K. A. Brodtbeck, Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichtes, I, 59 ff; derselbe, Bundesrecht in Doppelbesteuerungssachen, 95.) In dieser Definition ist bereits die Erwägung mitberücksichtigt, daß der bloße Erwerb der sogenannten Niederlassung an einem Orte noch nicht einen Wohnsitz im rechtlichen Sinne begründet, sofern dazu nicht noch die Thatsache der Wohnsitznahme an jenem Orte kommt.

Allerdings ist damit nicht ausgeschlossen, daß dieser besonderen Erwägung in Fällen, wo auf diese Seite des Begriffes das Hauptgewicht gelegt werden will, durch Beifügung einer Eigenschaftsbezeichnung, wie ,,thatsächlich", auch besonderer Nachdruck verliehen wird. Dies wollte nun auch der thurgauische Gesetzgeber, und zwar zu dem Zwecke, welcher in der Botschaft des Regiegungsrates, die den 29. Oktober 1898
dem Volke die Annahm«
628 orwerbos zu erfüllen, sondern auch an seinein Niedorlassungsorto alle Steuern wie ein seßhafter Handelstreibender zu entrichten hat.

Diese Interpretation wurde dem Gesetze in der Ausführung dtw Regierangsrates selber, und zwar gerade die Person der heutigen Beschwerdeführer betreffend, gegeben, welch letztere unbestrittcnc-rmaßen in der thurgauisehen Ortschaft Amrisweil Niederlassung erworben, eine Wohnung gemietet, die Steuern bezahlt und seit dem Jahre 1896 von diesem Mittelpunkte ihrer geschäftlichen Thätigkeit aus ihre Schirm- und Wirkwaren, ausschließlich schweizerischen Fabrikats, vortrieben haben. Erst auf die Denunziation eines Konkurrenton hin wurde vom Resierunaisratc die angefochtene O O o Einschränkung des Begriffes ,,thatsächlicher AVohnsit/^ versuche und durch den Hinweis auf die Thatsache begründet, daß die Hoschwerdeführcv ihre Familien in Italien zurückgelassen hahen und jährlich einmal für kurze Zeit bei denselben Besuch abstatten.

Diese Interpretation findet aber nicht nur in der kantonalen oder der Bundesgcsetzgebung und bundcsrechtlichen Spruchpraxis keine Stüt/,0, sondern sie wird geradezu durch dieselbe ausgeschlossen.

Es mag, unter nochmaliger Verweisung auf die oben gegebene, eine Einschränkung im Sinne des Regierungshcschlusses vom 22. September 1899 nicht /nlasseude Begriffsbestimmung des ,,Wohnsitzes11, noch ganz besonders auf Art. 4 des ßundesgesoteos betreffend die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter hingewiesen werden. Nicht mit Unrecht haben die Beschwerdeführer geltend gemacht, daß nicht ersichtlich sei, warum der AVohnsitz .des Familienvaters im Hausierpolizeirochte von anderen Gesichtspunkten aus als im Givilrechte bestimmt werden solle ; das letztere aber setzt fest: als Wohnsitz der Ehefrau gilt der Wohnsitz des Ehemannes ; als Wohnsitz der in elterlicher Gewalt stehenden Kinder gilt der Wohnsitz des Inhabers der elterlichen Gewalt. Es mag richtig sein, daß unter Umständen der Aufenthalt der Familie in civil- oder steuerrechtlicher Hinsicht die Vermutung rechtfertigt, daß auch der anderwärts sich aufhaltende Ehegatte an jenem Orte sein Reclitsdomizil habe ; eine solche Vermutung kann aber in einem Falle wie dem vorliegenden nicht ausschlaggebend sein, wo es sich nicht um die Eruierung des Rcchtsdomiziles, sondern einzig um
die Voraussetzung des ,,thytsächlichena Wohnsitzes einer Person handelt. Diese Bedingung thatsächlichen Wohnens in der Schweiz haben aber die Beschwerdeführer seit Jahren erfüllt, und es kann ihnen deshalb die Erneuerung des bishin erteilten Hausierpatentes ans gesetzlichen Gründen nicht verweigert werden.

629 Demnach wird er ka nnt: Die Beschwerde wird als begründet erklärt und der Regierungsrat des Kantons Thurgau eingeladen, den Beschwerdeführern Giovanni Guglielmi und Michele Perini die verlangten.

Hausierbewilligungen zu erteilen.

B e r n , den 27. Februar 1900.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, D e r Bundespräsident:

Hanser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde des Giovanni Guglielmi, von Oleggio, und des Michele Perini, von Massiole, Italien, betreffend Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit (Verweigerung der Erteilung von Hausierpatenten). (Vom 27. Februar 1900....

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1900

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

10

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

07.03.1900

Date Data Seite

615-629

Page Pagina Ref. No

10 019 112

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