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Schweizerische Bundesversammlung,

Die gesetzgebenden Räthe der Eidgenossenschaft sind am 5. Dezember 1892 zur ordentlichen Wintersession zusammengetreten.

Als neue Mitglieder sind erschienen: a. im N a t i o n a l r a t h e : Herr W i d m e r , Franz Xaver, von Obersiggenthal, in Rieden (Aargau) 5 b. im S tä n d e r a t h e: Herr L u r a t i , Giovanni, von und in Lugano (Tessin); ,, f i è r i di er, Marc, von und in Chêne-Bourg (Genf); ,, B i n d e r , Eberhardt, von und in Genf.

Im N a t i o n a l r a t h e eröffnete Herr Vicepräsident F o r r e r, der an Stelle des erkrankten Herrn Präsidenten Brosi den Vorsitz fuhrt, die Session mit folgender Ansprache: Meine Herren Ì Seit unserer letzten Zusammenkunft hat der Tod unsere Reihen heimgesucht und uns innerhalb der letztverflossenen drei Wochen zwei Kollegen, beide im besten Mannesalter, auf der Höhe ihrer Thätigkeit stehend, entrissen. Leer treffen wir bei unserm heutigen Zusammentritt dort oben und hier in der Mitte zwei Plätze, welche lange Jahre hindurch von ein und denselben lieben Kollegen besetzt waren.

Wir trauern um den Hingang von Viktor de C h a s t o n a y , aus dem Kanton Wallis, und von Hans R i n i k e r , aus dem Kanton Aargau.

Lassen Sie Ihren Vorsitzenden derselben in einigen Zügen gedenken, welche zugleich den bescheidenen Tribut der Freundschaft bedeuten sollen, mit der die Dahingeschiedenen den Sprechenden beehrt haben.

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Viktor de Chastonay ist zu Siders im Jahre 1843 geboren.

Er durchlief die Unterrichtsanstaltèa seines Heimatkantons, zuletzt die Rechtsschule in Sitten, stets mit Auszeichnung und stets der Ersten Einer. Nach rühmlich bestandener Notariats- und Anwaltsprüfung und kurzer Vorbereitung in der Praxis begann Chastonay bereits 1865 selbständig den Beruf eines Rechtsanwaltes und ist demselben bis zu seinem Tode treu geblieben. War er ja doch ein geborner Anwalt und besaß er doch alle hiezu erforderlichen Eigenschaften in besonderem Maße: scharfen Verstand und trockenen Witz, praktischen Sinn und Leutseligkeit, Gewissenhaftigkeit und Rechtschaffenheit. Er war bald und blieb stets stark beschäftigt.

Beinahe kein wichtiger Rechtsstreit im Kanton Wallis, in welchem er nicht als Parteianwalt mitgewirkt! Wie oft sahen wir Chastonay dort oben nach beendigter Sitzung fleißig und ruhig an seinen Berufsgeschäften arbeiten.

Sehr bald trat Chastonay auch in's öffentliche Leben ein. Mehr als zwei Jahrzehnte leistete er seiner Heimatgemeinde als deren Vorsteher wesentliche Dienste. Nicht lange ließ die Wahl in den Großen Rath auf sich warten, dem er bis zu seinem Ende ununterbrochen angehörte und dessen Vorsitzender er vier Jahre lang gewesen ist. Schon 1875 entsandte ihn das Oberwallis in unsere Behörde. Stets hat er an unserm Tagewerk fleißig und ohne großes Geräusch mitgearbeitet. Oft Vorsitzender von Ausschüssen, sehr oft Berichterstatter französischer Zunge, hat er seine Aufgabe stets gewissenhaft erfüllt.

Chastonay gehörte der katholisch-konservativen Partei an und stand stets unentwegt zu seiner Ueberzeuguug. Sein ruhiges, freundliches, verbindliches Wesen machte ihn unter uns allbeliebt. Er besaß hier keine persönlichen Gegner, dagegen in allen Lagern viele persönliche Freunde.

Er wohnte der letzten Session bei, fühlte sich aber unwohl.

Ein heimtückisches Nierenleiden hatte ihn ergriffen. Die Badekur in Tarasp brachte die gehoffte Heilung nicht. Am 15. November wurde Chaslonay von seinen Leiden, die er mit großer Ergebenheit trug, erlöst. Dem vorzeitig Todtgesagten kam der bekannte Volksglaube leider nicht zu gute. An seiner Bestattung nahmen, als unsere abgeordneten Vertreter, die Herren Thélin und Aehy Theil.

Ein wesentlich anderes und doch wiederum sehr ähnliches Bild -- ähnlich mit Bezug auf getreue
Pflichterfüllung -- bietet uns das Leben von H a n s R i n i k e r .

Derselbe war geboren auf Habsburg im Jahre 1840. Er besuchte die Bezirksschule in Brugg, hierauf die Akademie in Neuenburg und bildete sich sodann am eidgenössischen Polytechnikum zum Forstmann aus.

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Lange Jahre war Riniker Oberförster seines Heimatkantons.

Diese dort sehr wichtige Amtsstelle versah er mit. großer Liebe zum Beruf und mit Auszeichnung. Riniker besaß entschiedene Neigung und Anlagen zu wissenschaftlicher Thätigkeit und erhielt dazu, Flur und Forst beruflich durchwandernd, herrliche, beneidenswerthe Anregung. Den Gesetzen der Natur nachforschend, fleißig die einschlagenden wissenschaftlichen Werke studirend, mit Emsigkeit das in Natur und Litteratur Gefundene zusammenstellend, erregte er durch seine Publikationen über verschiedene naturwissenschaftliche Gegenstände, insbesondere über die Entstehung der Hagelwetter, die Aufmerksamkeit der gelehrten Kreise, auch im Ausland.

Vom nämlichen Ausgangspunkt wandte er sich mit Vorliebe dem gewerblichen Bildungswesen zu und stand während der letzten Jahre in den vordersten Reihen derer, welche sich mit Erfolg der Hebung von Gewerbe und gewerblicher Kunst widmen. Und wenn einst unser Ehrgeiz, die Schweiz in dieser Beziehung auf die Stufe unserer nächsten Nachbarn an der Nordgrenze zu heben, seine Befriedigung finden wird, so wollen wir dabei der unermüdlichen Initiative von Hans Riniker gedenken.

Die geschilderte berufliche und wissenschaftliche Thätigkeit hat unsere oberste Vollziehungsbehörde veranlaßt, den Verstorbeneu in den eidgenössischen Schulrath zu berufen.

Der Verstorbene war auch ein eifriger Wehrmann. Zuerst Artillerieoffizier, wurde er nach der Neuorganisation in den Generalstab berufen, avancirte dort bis zum Oberstlieutenant und wurde vor nicht langer Zeit als eidgenössischer Oberst an die Spitze einer zürcherischen Irifanteriebrigade gestellt.

Auch Riniker nahm, wie Chastonay, am öffentlichen Leben lebhaften Antheil. Er war Mitglied des aargauischen Verfassungsrathes und beschäftigte sich in dieser -Behörde hauptsächlich mit der Rekonstruktion der finanziellen Verhältnisse seines Heimatkantons. 1888 wurde er in die aargauische Regierung berufen und bekleidete von da an bis zu seinem Tode die Stelle des aargauischen Finanzdirektors.

Riuiker gehörte seit 1878 unserer Behörde an. Seine lebhafte Bethätigung an unseren Geschäften, vornehmlich auf militärischem, technischem und gewerblichem Gebiet, ist jedem von uns in zu frischer Erinnerung, als daß ich darüber weitere Worte an Sie richten wollte.

Der Verstorbene gehörte der radikal-demokratischen Partei an und vertrat seine politische Ueberzeugung draußen im Volk und hier im Saal mit Eifer und Einfluß.

565 Letztes Frühjahr erlitt er eine Beinverstauchung. Daraus entwickelte sich unglücklicherweise eine Krankheit der Blutgefässe, so daß Riniker unserer Sommersession nicht beiwohnen konnte. Doch wurde er, zur Freude seiner Angehörigen und Freunde, wieder hergestellt: nur scheinbar. Es entwickelte sich eine Krankheit des Magens. Trotzdem erfüllte er seine Berufspflichten. Noch vor vierzehn Tagen sah ich ihn in Winterthur, wie er die angehende Wehrmannschaft musterte; noch letzte Woche sprach er mit gewohnter Lebhaftigkeit im Großen Rathe; noch letzten Dienstag reiste er zu militärischem Rapport nach Zürich. Allein seine Tage waren gezählt. In der Nacht vom Freitag auf den Samstag machte der Durchbruch eines Magengeschwüres dem überaus thäligen Leben ein Ende. Und heute haben sie ihn in Aarau der Erde übergeben.

Die gesetzliche Pflicht, die Session heute zu eröffnen, verhinderte uns leider daran, dem Kollegen in größerer Anzahl die letzte Ehre zu erweisen, und wir mußten uns darauf beschränken, eine Abordnung, bestehend aus den Herren v. Steiger und Pestalozzi an das Grab zu entsenden.

Meine Herren ! In Siders und in Aarau trauern zwei Familien, eine jede um den Verlust des heißgeliebten treubesorgten Familienhauptes. Ich spreche denselben hiemit in Ihrem und in meinem Namen öffentlich innigstes Beileid aus.

Wir, die Mitglieder der Bundesversammlung, trauern um den Verlust hochgeachteter Kollegen und Freunde.

Das Vaterland trauert um den Verlust zweier Söhne, welche es treu geliebt und ihm hingebungsvoll gedient haben.

Sie ruhen im Frieden ! Ich lade Sie ein, sich zum Andenken an Chastonay und Riniker von Ihren Sitzen zu erheben.

I m S t ä n d e r a t h e gedachte Herr Präsident S c h a 11 e r beider Eröffnung der Sitzung ebenfalls der verstorbenen Kollegen des National rathes.

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