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Kreisschreiben des

Bnndesrâtes an sämtliche Kantonsregierungen betreffend die Unfallversicherung.

(Vom 30. November

19170

Getreue, liebe Eidgenossen!

Da die Vorbereitungen für die Betriebseröifnung der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt in Luzern ihrer Beendigung entgegengehen, haben wir, um der arbeitenden Bevölkerung der Schweiz die Vorteile der staatlichen Unfallversicherung nicht länger als nötig vorzuenthalten, im Einverständnis mit der Anstalt trotz der Ungunst der Zeit mit Beschluss vom heutigen Tage als Zeitpunkt dee vollen Inkrafttretens des Bundesgesetzes über die Kranken- und Unfallversicherung vom 13, Juni 1911 und damit der Betriebseröffnung der Anstalt den 1. April 1918 festgesetzt. Vom Inkrafttreten bleiben einzig noch ausgeschlossen die Bestimmungen über die freiwillige Versicherung, da die Anstalt wünscht, diesen Versicherungszweig erst nach Eröffnung der obligatorischen Versicherung zu organisieren.

Pur die Durchführung der Unfallversicherung stellt das Bundesgesetz nach verschiedenen Richtungen hin auf die Mitwirkung der Kantone ab. Auf die wesentlichsten ihnen obliegenden Erlasse und Verfügungen haben wir bereits in unserem Kreisschreiben vom 15. April 1913 aufmerksam gemacht. Die darin enthaltenen Hinweise sind in der Folge gemäss dem Portschreiten der Organisation der Anstalt ergänzt worden. Von Zeit zu Zeit hat sich unser Volkswirtschaftsdepartement nach dem Stand der für die Durchführung des Gesetzes erforderlichen Vorarbeiten in den Kantonen erkundigt, und auch die Anstalt hat sich, wie sie uns mitteilt, wiederholt direkt mit den Kautonsregierungen in Verbindung gesetzt. Die im Hinblick auf die Betriebseröffnung der Anstalt vorgenommene Zusammenstellung der eingegangenen kantonalen Erlasse und Verfügungen hat nun aber erzeigt, dass diese noch nicht vollzählig sind, sei es, dass dem einen oder andern Kanton die Notwendigkeit der Massnahme selbst entgangen ist, sei es, dass nur die Mitteilung von ihrer Vornahme au uns bis zur Stunde übersehen worden ist. Wir beehren uns deshalb, Ihnen die den Kantonen obliegende Mitwirkung beim Vollzug des Gesetzes neuerdings in Erinnerung zu rufen und Sie zu

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bitten, durch ungesäumte Vornahme der noch ausstehenden Massnahmen die geordnete Durchführung der staatlichen Unfallversicherung eichern zu helfen. Auch dort, wo die Maßnahmenzwar getroffen, uns aber noch nicht unterbreitet worden sind, bitten wir um deren Bekanntgabe.

1. Der wichtigste und für die Betriebseröffnung der Anstalt unerlässliche kantonale Erlass ist die Bezeichnung des kantonalen Versicherungsgerichtes und die Festsetzung des vor ihm geltenden Verfahrens (Art. 120 und 121 KUVG). Hinsichtlich der Bezeichnung des Gerichtes sind noch zwei Kantone im Rückstand. Waa das Verfahren betrifft, so haben verschiedene kantonale Erlasse dessen Festsetzung einem besonderen Dekret oder Reglement vorbehalten, das uns aber noch nicht zur Genehmigung eingereicht worden ist. Zwei Kantone haben die Genehmigung zwar nachgesucht, aber noch nicht erwirkt, da sie es unterlassen haben, die verlangten Abänderungen vorzunehmen.

Da das Bundesgesetz auch hinsichtlich der Unfallversicherung schon heute in Kraft steht, soweit es sich um Massnahmen aur Vorbereitung der Versicherung handelt, ist es nicht ausgeschlossen, dass die unter Umstanden schon vor Beginn des Betriebsjahres geschuldeten Prämien (Art. 110, Absatz 2, KUVG) vor dem 1. April 1918 eingefordert werden und dass aus den bezüglichen Forderungen schon bald Streitigkeiten entstehen, die vor das kantonale Versicherungsgericht gehören. Sicher aber besteht rom 1. April 1918 an jederzeit die Möglichkeit und die Wahrscheinlichkeit der Anrufung des kantonalen Versicherungsgerichtes zur Beurteilung von Streitigkeiten über Versicherungsleistungen der Anstatt. Wir ersuchen deshalb diejenigen Kantone, die mit der Vollziehung der Art. 120 und 121 KUVG noch im Rückstande sind, unbedingt bis zum 1. März 1918 die Bezeichnung des Gerichtes und die Festsetzung des Verfahrens, sowie die Einholung der bundesrätlichen Genehmigung vornehmen zu wollen.

Im ferneren laden wir alle Kantone ein, die zur Bereitstellung des Gerichtes allfällig noch erforderlichen Massnahmen, wie Wahlen, Einrichtung der Gerichtskanzlei usw., rechtzeitig genug zu treffen, dass das Gericht vom 1. März 1918 an zu funktionieren bereit sein wird.

2. Gemäss Art. 25 KUVG haben die Kantonsregierungen ein Schiedsgericht zur Beurteilung von Streitigkeiten zwischen anerkannten Krankenkassen und Ärzten oder
Apothekern zu bezeichnen und das Verfahren zu bestimmen. Die bezüglichen Erlasse sind uns von den Kantonsregierungen mit Ausnahme von dreien zugestellt worden. Nun findet aber Art. 25 KUVG gemas»

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Art. 73 KU VG sinngemasse Anwendung auch auf die Erledigung Ton Streitigkeiten zwischen der schweizerischen Unfallversicherungsanstalt in Luzern und Ärzten oder Apothekern. Und da gemass Art. 25, Absatz 3, KUVG darauf Bedacht zu nehmen ist, dass beide Parteien eine Vertretung von gleicher Zahl erhalten, haben wir bereite in unserem Kreisschreiben vom 3. September 1915 darauf hingewiesen, dass für die Erledigung von Streitigkeiten zwischen der Anstalt und Ärzten oder Apothekern nicht das für die Krankenversicherung bezeichnete Schiedsgericht zuständig sein wird, sondern dass ein besonderes Schiedsgericht einzusetzen ist, in dem der Anstalt die ihr gebührende Vertretung eingeräumt wird, wobei wir bemerkten, dass als Vertreter der Anstalt auch eigene Beamte derselben, bzw. Mitglieder ihrer Organe, zuzulassen seien. Wir haben die Kantoneregierungen eingeladen, uns die Bezeichnung dieser Schiedsgerichte bis am 31. März 1916 vorzulegen. Dieser Einladung haben eine Anzahl von Kantonsregierungen bis heute nicht Folge geleistet. Wir ersuchen diese, das Versäumte vor dem 1. März 1918 nachzuholen.

3. Art. 22 KUVG macht den Kantonsregierungen zur Pflicht, nach Anhörung von Vertretern der Kassen, sowie der Berufsverbände der Ärzte nnd der Apotheker, die Tarife der ärztlichen Leistungen und der Arzneien festzusetzen. Diese für die Krankenversicherung geltende Bestimmung ist von den meisten Kantonen vollzogen worden. Gemäss Art. 73 KUV& findet sie sinngemäss auch auf die Unfallversicherung Anwendung; es müssen also auch Kahm en tarif e für die von der Anstalt zu leistende Krankenpflege aufgestellt werden, wobei zuvor die Anstalt und die Berufsverbände der Ärzte und Apotheker anzuhören sind. Auch auf diesen Punkt haben wir in unserem Kreisschreiben vom 3. September 1915 hingewiesen mit der Einladung an die Kantonsregierungen, IMS die bezüglichen Tarife bis 31. März 1916 vorzulegen. Nun ist ein von der Anstalt im Einvernehmen mit den kantonalen Ärztegesellschaften ausgearbeiteter einheitlicher Entwurf eines Tarifes der ärztlichen Leistungen von sämtlichen Kantonsregierungen gutgeheissen worden. Einige derselben haben aber dabei übersehen, dass es sich nicht um einen Vertrag handelt, der gemäss Art. 22, Absatz 2, KUVG- der Genehmigung durch die Kantonsregierung unterliegt, sondern um die Schaffung der Grundlage
eines Vertrages gemäss Art. 22, Absatz l, KUVG, und sie haben deshalb, anstatt den Entwurf als kantonalen Tarif zu erklären, ihm lediglich die Genehmigung erteilt. Da in der Sache selbst die Zustimmung der Kautousregierungen vorliegt, so ist nur noch formell die gesetzesgemässe Behandlung dadurch nachzuholen,

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dass der in Frage stehende Entwurf durch einen Beschluss der Kantonsregierung zum Tarif der ärztlichen Leistungen für die Unfallversicherung im Sinne von Art. 22 und 73 KUVG erklärt wird.

Was insbesondere die Spitalbehandlung betrifft, die im erwähnten Tarifentwurf nicht geordnet ist, ao hat die Anstalt einen Zusatztarif vorgeschlagen, der aber erst von wenigen Kantonen erlassen worden ist. Wir ersuchen diejenigen Kantonsregierungen, die sich damit noch nicht befasst haben, einen Zusatztarif vor dem 1. März 1918 aufzustellen.

4. Gemäss Art. 69, Absatz 2, KüV& kann eine Unfallmeldung, wenn der Betriebsinhaber die Ausstellung der Bescheinigung verweigert, unentgeltlich bei der Ortsbehörde zur Weiterleitung an die Anstalt angebracht werden. In ihrem Schreiben vom 1. Juli 1917 an die Kantonsregierungen hat die Anstalt auf die Bedeutung dieser Bestimmung hingewiesen und den Vorschlag gemacht, es möchten die G-emeindekanzleien, bzw. die Gemeindeschreiber als die zuständige Lokalbehörde im Sinne von Art. 69, Absatz 2, KUVG- bezeichnet werden. Während mehrere Kantonsregierungon die Bezeichnung der Lokalbehörde, zumeist geroäss dem Antrage der Anstalt, vorgenommen haben, steht die Mitteilung dieser Massnahme von Seiten anderer Kantonsregierungen noch aus. Wir ersuchen diese, die Bezeichnung noch vor dem 1. März 1918 vorzunehmen.

5. Art. 71, Absatz l, KUVG ermächtigt die Anstalt, für die Feststellung von Tatbestand, Ursachen und Folgen eines Unfalles die kantonalen Behörden in Anspruch zu. nehmen. Mehrere Kantonsregierungen haben die Behörde, die im Sinne dieser Bestimmung der Anstalt zur Verfügung zu stellen ist, bereits bezeichnet.

Wir ersuchen die übrigen um Vornahme dieser Bezeichnung vor dem 1. März 1918.

Wir benutzen diesen Anlass, Sie, getreue, liebe Eidgenosse^, samt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 30. November 1917.

Im Narnen des Schweiz. Bundesrates, Der Bunde spräsident:

Schnlthess.

Der Kauzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

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Kreisschreiben des Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen betreffend die Unfallversicherung. (Vom 30. November 1917.)

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