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Schweizerisches Bundesblatt.

44. Jahrgang. I.

Nr. 6.

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10. Februar 1892.

Bericht der

Kommission des Nationalrathes, betreffend die Verwendung des Alkoholzehntels der Jahre 1889 und 1890.

(Vom 29. Januar 1892.)

Herr Präsident l Meine Herren !

Die Bundesverfassung bestimmt in Art. 32bis, vom 25. Oktober 1885: Von den Quoten des Reingewinns aus dem Alkoholmonopol, welche an die Kantone vertheilt werden, sollen die Kantone alljährlich wenigstens 10% zur B e k ä m p f u n g des A l k o h o l i s m u s i n s e i n e n U r s a c h e n u n d W i r k u n g e n verwenden.

Der. Bundesrath hat in seinem Entwurfe zu einem Bundesgesetz betreffend gebrannte Wasser, vom 8. Oktober 1886, dazu folgende Ausführungsbestimmung vorgeschlagen (Art. 19): Sollte ein Kanton der im letzten Satze ... enthaltenen Bestimmung nicht nachkommen, so hat der Bundesrath das Recht, den nicht verwendeten Betrag bei der nächsten Zahlung zurückzuhalten.

Die Bundesversammlung wollte jedoch nicht so weit gehen und dem Bundesrathe nicht die Rolle polizeilicher Bevormundung der Kantone zuweisen. Sie milderte daher die Bestimmung dahin, daß die Kantonsregierungen über die .Verwendung der zur Bekämpfung des Alkoholismus bestimmten 10 °/o der Einnahmen Bundesblatt. 44. Jahrg. Bd. I.

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jedes Jahr an den Bundesrath Bericht zu erstatten haben, und die bezüglichen Berichte der Bundesversammlung gedruckt vorzulegen seien.

Diese Bestimmung bildet nunmehr den Art. 13 des Bundesgesetzes betreffend gebrannte Wasser, vom 23. Dezember 1886.

Es wird damit hauptsächlich bezweckt, daß der Gegenstand niemals aus den Traktanden der Bundesversammlung falle, sondern von dieser von Zeit zu Zeit besprochen werden müsse. Allerdings fehlt in dieser Fassung die genauere Umschreibung der Befugnisse der Bundesversammlung.

In Nachachtung obiger Vorschrift hat nun der Bundesrath die Berichte der Kantone über die Verwendung des Alkoholzehntels in den Jahren 1889 und 1890 gesammelt und mit Botschaft vom 23. Oktober 1891 der Bundesversammlung gedruckt vorgelegt. Er schließt seine Vorlage mit folgenden Worten : Die nächste, die Berichte a l l e r Kantone umfassende Vorlage werden wir mit u n s e r n B e m e r k u n g e n über die bis dorthin zur Erscheinung gelangten Verwendungsarten begleiten.

In Bezug auf die dermalige Vorlage dagegen glauben wir uns auf den Antrag beschränken zu sollen, Sie möchten von derselben Vormerkung nehmen.

Der Ständerath, der in dieser Angelegenheit die Priorität erhielt, hat darüber am 22. Januar d. J. berathen und folgenden B e s c h l u ß gefaßt: Von der Berichterstattung des Bundesrathes vom 23. Oktober v. J., betreffend die Berichte der Kantone über die Verwendung des Alkoholzehntels, wird Vormerk zu Protokoll genommen; dagegen wird der Bundesrath eingeladen, bei Vorlage der Berichte für das Jahr 1891 sich darüber auszusprechen, ob die von den Kantonen angeordnete Verwendung des Alkoholzehntels mit dem Sinn und Geiste des Gesetzes im Einklang stehe.

Ihre Kommission hält es nun zunächst für angemessen, Ihnen einen kurzen Ueberblick über die verschiedenen zu Tage getretenen Verwendungsarten des Alkoholzehntels in den Kantonen zu geben.

Dabei muß aber von vornherein bemerkt werden, daß einige kantonale Berichte in Bezug auf Genauigkeit viel zu wünschen übrig lassen, so daß es geradezu unmöglich ist, ein richtiges Bild herzustellen. Es wird die Aufgabe des Bundesrathes sein, dafür zu sorgen, daß diesem Mangel abgeholfen werde, und die Berichterstattung in Zukunft eine vollständige und genaue sei. · Die folgenden Mittheilungen machen also keinen Anspruch auf vollkommene Richtigkeit.

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Für den Alkoholzehntel waren im Jahre 1889 zu verwenden: Von 9 Nicht-Ohmgeldkantonen . . . Fr. 88,456 4 frühern Ohmgeldkantonen . . ,, 8,122 zusammen von 13 Kantonen Fr. 96,578 und im Jahre 1890: von 9 Nicht-Ohmgeldkantonen . . . Fr. 188,911 ,, 11 frühem Ohmgeldkantonen . . ,, 83,667 zusammen von 20 Kantonen

Fr. 272,578

Dies gibt eine Gesammtsumme von Fr. 369,156 für Zwecke, die den meisten kantonalen Verwaltungen bisher fern gelegen und ihnen nun von Bundes wegen auferlegt waren.

Es ist daher nicht zu verwundern, wenn manche Kantone über die Verwendung dieser bedeutenden Summen in Verlegenheit kamen, sich nicht gleich zurechtfanden und Beträge für Zwecke aufwandten, die sie heute wohl selbst nicht mehr als dem Geiste des Gesetzes entsprechend ansehen würden. Dies konnte um so eher geschehen, als das Gesetz keinerlei sichere Wegleitung gibt. Man darf wohl gestehen, daß die Sache den 25 Kantonsregierungen zu neu war, um sofort gründlich studirt zu werden. Acht Kantone haben sogar entweder den ganzen Betrag ihres Alkoholzehntels oder einen großem Theil desselben einstweilen bei Seite gelegt, um über dessen beste Verwendung vorerst eingehende Studien zu machen.

Die Summe dieser noch o h n e b e s o n d e r e B e s t i m m u n g reservirte Beträge beläuft sich auf Fr. 129,875 35% der Gesammtsumme, so daß nur Fr. 2 3 9 , 2 8 1 65 °/o zu w i r k l i c h e r V e r w e n d u n g gelangten.

Was die wirklieh verwendeten Fr. 239,281 selbst betrifft, so sind wieder Fr. 91,552 25 °/o des Alkoholzehntels als F o n d s für b e s t i m m t e Z w e c k e kapitalisirt worden, nämlich: Für Anstalten für jugendliche Verbrecher . . Fr. 31,211 ,, ,, zur Irren Versorgung . . . . ,, 21,809 ,, ,, ,, Kinderversorgung . . . . ,, 18,233 ,, ,, ,, Armenversorgung . . . . ,, 10,650 ,, Zwangsarbeitsanstalten ,, 9.649 An l a u f e n d e A u s g a b e n wurden n u r F r . 1 4 7 , 7 2 9 = 40 °/o des ganzen Alkoholzehntels.gewendet. Wie sich dieselben auf die verschiedenen Zwecke vertheilen, das mit Sicherheit anzugeben, ist, wie bereits bemerkt, in Folge der lückenhaften Berichterstattung nicht möglich.

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Dagegen kann in groben Zügen und prozentual angenähert angedeutet werden, wie die überhaupt zu bestimmter Verwendung gekommenen Summen mit Einschluß der kapitalisirten (zusammen obige Fr. 239,281) sich auf größere Gruppen vertheilen. Eine dafür unternommene Zusammenstellung ergibt Folgendes: 1. Für Bekämpfung der Wirkungen des Alkoholismus etwa 44- °/o, nämlich : für Versorgung von T r i n k e r n , für Versorgung von I r r e n , wobei 1 /4 der für die Irrenversorgung überhaupt verwendeten Summe in Anrechnung gebracht ist, für Versorgung von j u g e n d l i c h e n V e r b r e c h e r n , wobei 2/3 der diesem Zweck gewidmeten Summe hieher gerechnet ist.

für Versorgung von l i e d e r l i c h e n L e u t e n in Arbeitshäusern, für Beiträge an V e r e i n e zur Bekämpfung der Trunksucht.

2. Für die V e r p f l e g u n g von K i n d e r n , die ebensowohl der Bekämpfung der Ursachen als der Wirkungen des Alkoholismus dient, etwa 22 °/o, und zwar: für V e r s o r g u n g von armen, verwahrlosten oder schwachsinnigen Kindern, für bessere E r n ä h r u n g von Kindern in Ferienkolonien oder durch Verabfolgung von Nahrung.

3. Für die V e r p f l e g u n g von A r m e n , die ebenfalls, wenigstens zum Theil, als Bekämpfung der Ursachen und der Wirkungen des Alkoholismus gelten kann, etwa 13 °/o, nämlich : für Nat u r a l v e r p f l e g u n g armer Durchreisender, für Beiträge an A r m e n k a s s e n , für Unterstützung von F a m i l i e n versorgter Trinker.

4. Für Krankenzwecke, die mit dem Alkoholismus einen entferntem Zusammenhang haben, etwa 11 °/o, nämlich: für K r a n k e n h ä u s e r im Allgemeinen, für Versorgung von E p i l e p t i s c h e n , für Versorgung von I r r e n (unter Anrechnung von 3,'* des für Irrenversorgung Verwendeten).

5. Für Verschiedenes, das mit dem Alkoholismus nur einen sehr entfernten Zusammenhang haben dürfte, etwa 10 °/o, nämlich :

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Dazu ist auch zu rechnen der Betrag, den ein Kanton für Anschaffung von R e b e n d ü n g e r , sowie der, den ein anderer Kanton für den Bau eines S c h u l h a u s e s ausgegeben hat.

Muß nun wohl anerkannt werden, daß der größere Theil, d. h.

etwa 80 °/o, der verwendeten Summe dein Sinne und Geiste des Gesetzes entsprechen dürfte, so läßt sich dies doch von dem a ndern Theile nicht unbedingt behaupten, und es liegt in der Stellung der Bundesversammlung, sich darüber auszusprechen. Da jedoch der Bundesrath hierüber noch keine Bemerkungen gemacht hat, auch die Befugnisse der Bundesversammlung, wie bereits erwähnt, in dieser Beziehung gesetzlich nicht umschrieben sind, so glaubt Ihre Kommission, sich für dieses erste Mal ebenfalls besonderer kritischer Bemerkungen enthalten zu sollen, indem sie dem Bundesrathe die ihm zukommende Initiative überläßt, die er überdies in dem oben angeführten Schlußsatze seines Berichtes für die nächste Berichterstattung in bestimmte Aussicht stellt.

Die Kommission erachtet es aber immerhin für angemessen, darauf aufmerksam zu machen, daß bis jetzt v i e l zu w e n i g für die Bekämpfung des Alkoholismus in seinen Ursachen geschehen ist. Ganz besonders möchte sie auf einen Zweck hinweisen, der gauss wesentlich dieser Bekämpfung dient. Wir meinen die V e r b e s s e r u n g d e r V o l k s e r n ä h r u n g . Es ist schon mehrfach nachgewiesen worden, zuletzt noch in einem Aufsatze des Herrn Fabrikinspektors Dr. 8 o h u l e r , wie mangelhaft und unzweckmäßig sich ein großer Theil unseres Volkes nährt, und wie daraus viele Uebel stammen, die wir in dessen Lebensführung und in dessen gesundheitlichen Zuständen beklagen. Gewiß kann da geholfen werden durch Belehrung und Uebung, durch Wort, Beispiel und Anleitung in den Schulen, in Koch- und Haushaltungskursen, durch Volksküchen, durch Ernährung armer Schulkinder und ähnliche Einrichtungen. Gewiß entspringt aus der schlechten und unzweckmäßigen Volksernährung eine hauptsächliche Quelle für das Bedürfniß nach Alkohol. Wer zu seiner Tagesarbeit richtig genährt ist, hat nicht nöthig, eine künstliche Kräftebelebung im Alkohol zu suchen.

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Desgleichen sind auch u n g e n ü g e n d e Wohnverhältnisse Ursachen des Alkoholismus. Wer ein wohnliches Heim hai, bedarf nicht des Ganges zum Wirthshause.

An diesen beiden Mißständen die bessernde und helfende Hand anlegen, heißt dem Alkohol seine stärksten Waffen entwinden.

Höchst bemerkenswerte Winke gibt auch eine an Ihre Kommission gelangte, sehr zu verdankende Eingabe von Herrn L. L. R o c h a t in Genf, Ehrenpräsident des Vereins vom blauen Kreuz, der ich übrigens die Notiz entnehme, daß dieser Verein keine Geldbeiträge aus dem Alkoholzehntel wünscht, sondern sich mit seiner propagandistischen Thätigkeit begnügt.

Wie Sie dem Berichte des Bundesrathes entnehmen, werden fünf Kantone: Bern, Luzern, Uri, Freiburg und Solothurn, erst für das Jahr 1891 ihren Alkoholzehntel zu verwenden haben, andere haben einen größern oder kleinern Theil ihres bisher empfangenen Antheils reservirt, so daß man noch nicht im Stande ist, einen vollständigen Ueberblick über die Sachlage zu gewinnen.

Ihre Kommission ist nun mit dem Bundesrathe und dern Ständerathe der Ansicht, daß die Bundesversammlung sich zwar, wie bereits erwähnt, im gegenwärtigen Zeitpunkte noch nicht wohl über die Verwendungen der Kantone aussprechen könne, daß dies aber bei Anlaß der nächsten Berichterstattung unbedingt geschehen müsse. Die vorliegende Frage ist für unser Volk von der g r ö ß t e n W i c h t i g k e i t . Die Absicht des Gesetzgebers, sowohl der Behörden als des Volkes, ging bei der Bestimmung des Alkoholzehntels dahin, daß die Trunksucht in ihren Ursachen und Wirkungen zu b e k ä m p f e n sei, und der Kampf mit allen geeigneten M i t t e l n geführt werden solle.

Im Jahre 1889 waren es Fr. 96,578, im Jahre 1890 waren «s Fr. 272,578, im Jahre 1891 werden es Fr. 601,333 sein, die hiefür bestimmt sind, ungerechnet die noch in Reserve liegenden Fr. 129,875. Das sind große Summen, für die wir v e r a n t w o r t l i c h sind. Die Bundesversammlung hat darüber die gesetzliche Aufsicht; sie soll diese üben und rechtzeitig dafür sorgen, daß die Gelder nicht in unzulänglicher oder ungeeigneter Weise verwendet werden, damit das auch wirklich erreicht werde, was die Bundesverfassung und das Gesetz wollen. Wir müssen von Anfang an zum Rechten sehen, damit sich nicht Mißbräuche einschleichen, die später nicht mehr oder nur schwer
abzustellen sind.

Wenn Ihnen demnach die Kommission schließlich den Antrag stellt, d e m B e s c h l ü s s e d e s S t ä n d e r a t h e s b e i z u s t i m m e n , so wünscht sie zugleich, daß dei- Bundesrath in seiner nächsten

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Vorlage der kantonalen Berichte sich nicht nur über die Art der Verwendung des Alkoholzehntels ausspreche, sondern sich auch von den Kantonen genauen Bericht über den Betrag der Summen erstatten lasse, die für die einzelnen Zwecke ausgegeben wurden, und ebenso darüber, welche Höhe die Beträge erreicht haben, die aus dem Alkoholzehntel von den Kantonen entweder für bestimmte Fonds oder einstweilen ohne nähere Bestimmung angesammelt oder bei Seite gelegt worden sind.

· B e r n , den 29. Januar 1892.

Im N a m e n der Kommission: H. Kinkelin, Berichterstatter.

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Bericht der Kommission des Nationalrathes, betreffend die Verwendung des Alkoholzehntels der Jahre 1889 und 1890. (Vom 29. Januar 1892.)

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