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Bundesratsbeschluss

^

über

die B e s c h w e r d e des Herrn Paul S c h m i d t in Basel betreffend Schliessung der Bahnhofbuchhandlung Frauenfeld an Sonn- und Feiertagen.

(Vom 16. Oktober 1917.)

Der schweizerische Bundesrat hat « nach Einsicht 1. einer Beschwerde des Herrn Paul Schmidt in Basel vom 18. Mai 1917 gegen einen Entscheid des Regierungsrates des Kantons Thurgau vom 11. Mai 1917 ; 2. der Vernehmlassung des Regierungsrates des Kantons Thurgau vom 8. Juni 1917 ; 3. einer Eingabe der Generaldirektion der schweizerischen Bundesbahnen vom 4. August 1917, gestützt auf folgende Tatsachen: 1. Herr Paul Schmidt in Basel reichte dem Bundesrate unterm 18. Mai 1917 eine Beschwerde gegen einen Entscheid des Regierungsrates des Kantons Thurgau vom 11. gleichen Monats ein, in der er im wesentlichen ausführt, er sei durch eine vom Regierungsrat bestätigte Verfügung des Polizeidepartements des Kantons Thurgau als Eigentümer der Bahnhofbuchhandlung in Frauenfeld dazu angehalten worden, diese am Pfingstsonntag zu.

schliessen, da sie dem thurgauischen Ruhetagsgesetz unterstehe und ein Bedürfnis für eine Sonderbehandlung der Bahnhofbuchhandlung nicht vorliege. Die Beschwerde gründe sieh auf Art. 26 der Bundesverfassung, gemäss welchem die Gesetzgebung über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen Bundessache sei. Die kantonalen Gesetze und Verordnungen fanden demnach auf den Eisenbahnbetrieb und die Führung der auf Bahnhöfen ausgeübten

322 notwendigen oder doch verkehrsüblichen Nebenbetriebe der Eisenbahnen, wie z. B. auf Bahnhofbuchhandlungen, keine Anwendung.

Schon in seinem Rekurse vom 5. Mai an den Regierungsrat des Kantons Thurgau, auf den verwiesen werde, habe der Rekurrent ausgeführt, dass sich der Eisenbahnbetrieb nicht bloss auf die Beförderung von Personen und Gütern, sondern auf alle Veranstaltungen erstrecke, welche dazu bestimmt seien, den Reisenden unter anderem Erfrischungen, Nahrangsmittel und Lesestoff zu verschaffen. Die Bahnhofbuchhandlung sei ausschliesslich für die Bedürfnisse der Reisenden bestimmt. Sie sei nach den Anforderungen des Reiseverkehrs eingerichtet und werde von den Reisenden lebhaft benützt. Es werde kaum bestritten werden können, dass für die Reisenden ein wirkliches Bedürfnis bestehe, durch Lesen von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern die Zeit der Reise anregend und fruchtbringend zu gestalten. Vielmehr sprächen alle Gründe, die dafür geltend gemacht worden seien, die Bahnhofwirtschaften als Betriebseinrichtungen der Bahnen anzuerkennen, auch für eine* ahnliche Behandlung der Bahnhofbuchhandlungen.

Die Verfügung des Polizeidepartements des Kantons Thurgau komme somit einem ungerechtfertigten Eingriff in die Rechtssphäre des Rekurrenten gleich, da auf seine Bahnhofbuchhandlung ein Gesetz angewendet werde, dem sie nicht unterstehe. Die Aufrechterhaltung der in Frage stehenden Verfügung habe aber auch eine Beeinträchtigung der Interessen des Bahnbetriebes zur Folge, indem damit der Bahnverwaltung die Möglichkeit genommen werde, ihre Reisenden an Feiertagen mit Lesestoff zu versehen.

Dieser Auffassung entspreche denn auch die Praxis in anderen Kantonen. In Graubünden, St. Galleu, Zürich, Basel, Genf, Waadt usw. erhebe der Kanton keinen Anspruch darauf, sein Ruhetagsgesetz auf die Bahnhof buchhandlungen zur Anwendung zu bringen.

Ahnlich sei von den Bundesbehörden in der Angelegenheit der Anwendung des bernischen Wirtschaftsgesetzes auf die Bahnhofrestauration Bern entschieden worden, und die Praxis deutscher Behörden und Gerichte entspreche ebenfalls der Meinung des Rekurrenten.

In seinem Rekursentscheid vom 2. Dezember 1910 betreffend das Coiffeurgeschäft im Bahnhof Basel habe sich der Bundesrat dahin geäussert, dass die auf Bahnhöfen ausgeübten Nebenbetriebe zum Bahnbetriebe gehören,
soweit sich der Nebenbetrieb als notwendige oder doch sehr zweckmässige Ergänzung des Bahnbetriebes darstelle, der letzterem wesentliche Dienste zu leisten vermöge und deshalb mit ihm eng verbunden sei.

Einen solchen Nebenbetrieb stelle auch die Babnhofbuchhandlung

323 in Frauenfeld dar, die an Feiertagen von den Reisenden und nicht etwa von der dortigen Einwohnerschaft lebhaft benützt werde. Der Beschwerdeführer müsse deshalb beantragen, es sei die angefochtene Verfügung des Polizeidepartementes des Kantons Thurgau vom 3, Mai 1917 und der bestätigende Rekursentscheid des thurgauischen Regierungsrates vom 11. Mai 1917 als aufgehoben zu erklären, es seien die bezahlten Kosten im Betrage von Fr. 11. 70 zurückzuerstatten, und es sei festzustellen, dass der Betrieb der Bahnhofbuchhandlung Frauenfeld nicht unter die Bestimmungen des thurgauischen Sonntagspolizeigesetzes falle.

2. Zur Vernehinlassung über die Beschwerde des Herrn Schmidt eingeladen, machte der Regierangsrat des Kantons Thurgau unterm S.Juni folgendes geltend: Nachdem die Vertreterin des Rekurrenten, Frau Surbeok in Frauenfeld, wegen Übertretung von § l, lit. &, des thurgauischen Sonntagspolizeigeeetzes durch Offenhalten der Buchhandlung auf dem Bahnhof Frauenfeld an einem hohen Festtage polizeilich gebüsst und die gegen das Busserkenntnis erhobene Einsprache vom Polizeirichter, d. h. der Gerichtskommission E'rauenfeld, als unbegründet abgewiesen worden sei, habe der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 30. März 1917 vom kantonalen Polizeidepartement einen Entscheid darüber verlangt, ob es nicht möglich sei, die Bewilligung zu erhalten, an hohen Feiertagen die Bahnhofbuchhandlung in Frauenfeld ofFen zu halten. Das Departement habe ihm den Bescheid gegeben, dass das Gesetz über die Polizei an Sonn- und Festtagen unter andcrrn das öfinen der Handelsund Kaufläden an den hohen Fest- und Kommunionstagen bei «iner Busse von Fr. l bis 50 verbiete. Eine Ausnahme von dieser Gesetzesbestimmung könne selbstverständlich ihm gegenüber nicht bewilligt werden. Die gegen diesen Bescheid geführte Beschwerde habe der Regierungsrat aus formellen und materiellen Gründen abgewiesen.

Unterm 2. Mai dieses Jahres habe der Rekurrent beim Polizeidepartement neuerdings angefragt, ob die Bahnhofbuchhandlung in Frauenfeld am Auffahrtstage und am Pfìngstsonntag offen gehalten werden dürfe. Mit Bezug auf den Auffahrtstag sei die Anfrage bejaht, bezüglich des Pflngstsonntages dagegen verneint worden. Der Rekurrent habe sich gegen diesen Bescheid abermals beim Regierungsrate beschwert. Er habe Aufhebung desselben verlangt und Feststellung, dass der Betrieb der Bahnhofbuchhandlung in Franenfeld nicht unter die Bestimmungen des thurgauischen Sonntagspolizeigesetzes falle. Auf die Beschwerde

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sei im Hinblick auf die zwingenden Vorschriften des kantonalen Sonntagspolizeigesetzes und den Umstand, dass ein Bedürfnis für die verlangte Ausnahmestellung der Bahnhofbuchhandlungen im Kanton Thurgau überhaupt nicht vorliege, nicht eingetreten worden.

Nach den Bestimmungen des thurgauischen Sonntagspolizeigesetzes, § l, lit. ô und #, sei das Öffnen der Handels- und Kaufläden an den hohen Fest- und Kommunionstagen gänzlich, an den gewöhnlichen Sonntagen während des Gottesdienstes beider Konfessionen am Vormittag untersagt. Unter diese Bestimmungen falle unzweifelhaft auch das Geschäft des Rekurrenten, die Bahnhofbuchhandlung in Frauenfeld. Die blosse Tatsache, dass dieselbe auf Gebiet der Bundesbahnen sich befinde, stelle noch keineswegs einen Zusammenhang mit dem Bahnbetrieb her. Es könne auch die fragliehe Buchhandlung als solche nicht als eine zum Eisenbahnbetrieb gehörige Einrichtung angesehen werden.

Niemand werde ernstlich behaupten wollen, dass die Gelegenheit zum Kaufe von Zeitungen und Büchern, zumal auf blossen Durchgangsstationen wie Frauenfeld, für einen richtigen Eisenbahnbetrieb gefordert werden müsse und überhaupt ein unbedingtes Bedürfnis für das reisende Publikum sei. Wohl gerade deshalb habe weder die Aufsichtsbehörde von den Eisenbahnen verlangt, dass sie in den Bahnhöfen Buchhandlungen (Zeitungskiosks) errichten sollen, noch hätten die Eisenbahnverwaltungen von sieb aus dafür gesorgt. Der Privatinitiative allein sei es überlassen, den Reisenden Gelegenheit zum Kaufe von Lesestoff zu schaffen ; hinter dem behaupteten Bedürfnis stecke aber nichts anderes als das Verlangen nach materiellem Gewinn. Wolle man gegenüber den Bahnhofbuchhandlungen das Eisenbahnrecht des Bundes zur Anwendung bringen und das kantonale Recht ausschalten, so seien die gleichartigen Geschäfte auf dem Platze Frauenfeld ganz wesentlich benachteiligt, da diese nach dem thurgauischen Gesetze ihre Verkaufsläden an hohen Festtagen und an gewöhnlichen Sonntagen während des Gottesdienstes eben geschlossen halten müssten. Aus diesem Grunde werde nachgewiesenermassen die Bahnhofbuehhandlung in Frauenfeld an den genannten Tagen von den Einwohnern Frauenfelds weit mehr benützt, als von den Reisenden der durchgehenden Eisenbahnzüge. Es müsse auch darauf hingewiesen werden, dass im Bahnhofkiosk Frauenfeld nicht nur
Zeitungen und Bücher, sondern Viktualien, Ansichtskarten u. a. m. verkauft würden.

Der Regierungsrat halte die Beschwerde des Rekurrenten für völlig unbegründet und beantrage daher, es sei der Rekurs abzuweisen.

325 3. Auch der Bundesbahnverwaltung wurde vom Eisenbahndepartement Gelegenheit geboten, sich über die Beschwerde des Herrn Schmidt auszusprechen. In ihrem Berichte vom 4. August 1917 stellte die Generaldirektion der schweizerischen Bundesbahnen vorerst auf folgende Äusserungen der Kreisdirektion IV in St. Gallen ab: ,,Schon seit Jahren waren die Bahnhofbuchhandlungen in Romanshorn und Arbon an allen Sonn- und Festtagen geöffnet.

Das von der thurgauischen Regierung angerufene Sonntagspolizeigesetz ist also früher nur auf die Bahnhofbuchhandlung in Frauenfeld angewendet worden. Erstmals für den Pfingstsonntag d. J.

sind dann auch die Inhaber der Kioske in Arbon und Romanshorn von der Kantonspolizei auf das Sonntagspolizeigesetz aufmerksam gemacht, und es ist ihnen das Offenhalten der Bahnhofbuchhandlung an diesem Tage verboten worden.

Was nun die Bedürfnisfrage anbelangt, 60 muss ein solches doch wohl anerkannt werden, denn es hat sich ergeben, dass der Umsatz der Bahnhofbuchhandluug in Frauenfeld an den Festtagen ungefähr doppelt so gross ist, als an dea Wochentagen, und dass auch in Romanshorn an Festtagen bedeutend mehr Zeitungen verkauft werden als an gewöhnlichen Sonn- und Wochentagen.

Diese Erscheinung rührt unseres Erachtens nicht daher, dass die Bahnhofbuchhandlungen an Festtagen in stark vermehrtem Masse von den die Bahn nicht benutzenden Einwohnern in Anspruch genommen werden, sondern sie ist auf den in der Ostschweiz herrschenden sehr grossen Reiseverkehr an hohen Feiertagen zurückKiiführen. Dass besonders in der heutigen Zeit viele Leute das Bedürfnis empfinden, sich auch an hohen Feiertagen über die Ereignisse auf dem laufenden zu halten, ist leicht verständlich.

Die Befriedigung dieses geistigen Bedürfnisses darf nach den heu-' tigen Anschauungen einer Unterbrechung durch das Reisen ebensowenig unterworfen werden als die Aufnahme leiblicher Nahrung; dio Bahnhofbuchhandlungeu gehören zu den Reiseanstalten wie die Bahnhofwirtschaften. Hierfür spricht auch die ausserordentliche Entwicklung, welche diese Anstalten in den letzten 20 Jahren bei uns erfahren haben.

Dass sich auch die einheimische, die Bahn nicht benutzende Bevölkerung des Kioskes bedient, darf unseres Erachtens kein Grund dafür sein, dem reisenden Publikum die Gelegenheit, sich Zeitungen oder sonstige Reiselektüre zu verschaffen, zu nehmen.

Der Bahnhofvorstaud in Frauenfeld bezeichnet übrigens die Angabe der thurgauischen Regierung, dass der Kiosk in Frauenfeld

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von den Einwohnern mehr in Anspruch genommen werde als vom reisenden Publikum, als nicht zutrefiend. Frauenfeld ist Militärplatz, wodurch die Zahl der Reisenden an Sonn- und hauptsächlich an Festtagen erheblich erhöht wird."

Diese Ausführungen, fügt die Generaldirektion bei, müssten, soweit sie dio Bedürfnisfrage behandeln, als zutreffend bezeichnet werden. Im Interesse des Reiseverkehrs, für dessen Hebung nach dem Kriege schon jetzt alle Anstrengungen gemacht würden, liege es, dass überall gleich verfahren werde, und dass das Offenhalten der Bahnhofbuchhandlungen, das allerorts einem Bedürfnis entspreche, nicht von der kantonalen Gesetzgebung abhängig sei.

Der in Romansborn dio Schweiz betretende Reisende müsse von unserem Verkehrswesen einen sonderbaren Eindruck bekommen, wenn er sich im Babnhof Romanshorn mit Lesestoff versehen wolle, jedoch die Antwort erhalte, die Bahnhofbuchhandlung sei .

geschlossen, er müsse sich bis Winterthur gedulden ; dort werde sie, weil im Kanton Zürich gelegen, geöffnet sein. Vielfach hänge das Offenhalten dieser Geschäfte nicht so sehr von der kantonalen Gesetzgebung als vielmehr von deren mehr oder weniger strengen Handhabung durch die Polizeiorgane ab. Dass sogar im nämlichen Kanton nicht überall gleich verfahren werde, ergebe sich aus dem Berichte der Kreisdirektion IV. Bei der grossen Entwicklung, die zu gewöhnlichen Zeiten der Reiseverkehr in der Schweiz genommen habe, dürfe wohl nicht länger bestritten werden, dasa der Bahnhofbuchhandel, insbesondere der Zeitungsverkauf, eine Zugehör zum Bahnbetrieb bilde.

Aus folgenden Gründen: Nach dem thurgauischen Gesetz vom 26. September 1855 ,,über die Polizei an Sonn- und Festtagen" ist das Offenhalten der Handels- und Kaufläden an don hohen Fest- und Kommunionstagen verboten; an gewöhnlichen Sonntagen sollen derartige Geschäfte am Vormittag, während des Gottesdienstes beider Konfessionen, ebenfalls geschlossen bleiben. Diesen Vorschriften sollen nun nach den Verfügungen der kantonalen Polizeibehörden auch die Bahnhofbuchhandlungen im Kanton Thurgau und insbesondere diejenige in Frauenfeld unterstellt werden, Der Beschwerdeführer seinerseits bestreitet die Anwendbarkeit der in Frage kommenden Bestimmungen des kantonalen Ruhetagsgesetzes auf die Bahnhofbuchhandlung Frauenfeld, indem er die Meinung vertritt, sein Geschäft bilde einen Nebenbetrieb der Bahn, auf den das erwähnte Gesetz ni chi angewendet werden dürfe.

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Für die Beurteilung der Streitfrage ist davon auszugehen, dass gemäss Artikel 26 der Bundesverfassung die Gesetzgebung Über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen Sache des Bundes ist. Ergibt sich somit aus der Prüfung des vorliegenden Streitfalles, dass die Bahnhofbuchhatvdlung Frauenfeld als Nebenbetrieb zum Eisenbahnbetrieb gehört, so können kantonale gesetzliche Vorschriften, die im Widerspruch mit bundesgesetzlichen Bestimmungen oder mit den Interessen des Eisenbahnbetriebes stehen, auf dieses Geschäft keine Anwendung finden. Dabei ist hervorzuheben, dass sieh in den ähnlichen Fällen, die bisher von der Bundesbehörde zu entscheiden waren, die Praxis herausgebildet hat, dass nicht ein jeder auch so loser Zusammenhang zwischen dem Nebenbetriebe und dem Bahnbetrieb für die Einbeziehung des Nebengeschäftes in den Eisenbahnbetrieb entscheidend sein kann; es soll vielmehr ein billiges Abwägen der Interessen des Eisenbahnbetriebes gegenüber den Interessen des Kantons an der Durchführung seiner ruhetagspolizeilichen Vorschriften stattfinden (Bundesblatt 1910, V, 703).

Prüft man nun das Verhältnis zwischen den Bahnhofbuchhandlungen und dem Bahnbetrieb, so ergibt sich, dass der Zusammenhang zwischen dem Hauptbetrieb und dem Nebenbetrieb ein sehr enger ist. Die Bahnhofbuchhandluûg ist allmählich für den Eisenbahnbetrieb eine ebenso notwendige Einrichtung geworden, wie die Bahnhofwirtschaft. Unrichtig ist die Auffassung des Regierungsrates des Kantons Thurgau, es bleibe der Privatinitiative allein überlassen, den Reisenden Gelegenheit zum Kaufe von Lesestoff zu verschaffen, so dass hinter dem behaupteten Bedürfnis nichts anderes als das Verlangen nach materiellem Gewinn stecke. Allerdings ist der Bahnhofbuchhandel ursprünglich aus der Privatinitiative hervorgegangen (vgl. Roll, Encyklopädie des Eisenbahnwesens, zweite Auflage, Band I, 8. 405).

Die Bahnverwaltungen mussten sich jedoch bald davon überzeugen, dass es in ihrem eigenen Interesse liege, dafür zu sorgen, dass den Reisenden gute und reichhaltige Lektüre zur Verfügung stehe.

Sie fanden sich daher frühzeitig veranlasst, Vorschriften über den Vertrieb der Reiselektüre aufzustellen, und denselben enger zu überwachen. Dabei wurde der Bahnhofbuchhandel sozusagen durchwegs verpachtet, und zwar nicht eine einzelne Buchhandlung für sich allein, sondern
die Buchhandlungen eines grösseren Bahngebietes vereint. Bei den schweizerischen Bundesbahnen ist der Bahnhofbuchhaudel zurzeit nach Kreisen organisiert und verpachtet. Massgebend für die Beziehungen zwischen der Bahnverwaltung und den Bahnhofbuchhandlungen, sowie für den Vertrieb

328 der Reiselektüre, ist das von der Verwaltung aufgestellte Pflichtenheft, das einen integrierenden Bestandteil eines jeden Vertrages betreifend den Buchhandel und den Zeitungsverkauf auf den Bahnhöfen und Stationen bildet. Aus den verschiedenen Bestimmungen dieses Pfliebtenheftes ist namentlich hervorzuheben, dass die Bahnverwaltung sich sowohl in bezug auf die Einrichtung der Verkaufslokalitäten als auf den feilzubietenden Lesestoff, den Vertrieb des letztern und die Anstellung des Personals der Bahnhofbuchhandlungen den nötigen Einfluss vorbehält, um den Reisenden die Anschaffung von guter Reiselektüre aller Art zu gewöhnlichen Preisen möglichst zu erleichtern. Wenn nötig, können die Preise, die für das ganze Bundesbahnnetz möglichst einheitlich zu gestalten sind, von der Bahnverwaltung festgesetzt werden.

Schriften und Bilder unsittlichen Inhalts dürfen weder aufgelegt noch verkauft werden, und os steht der Bahnverwaltung überdies das Recht zu, je nach den Umständen auch andere Schriften und Bilder vom Verkaufe auszuschliessen, In bezug auf das Offenhalten der Bahnhofbuchhandlungen enthält Artikel 5 des Pfliohtenheftes folgende Vorschrift: ,,Die Zeiten, während welcher die V erkaufsstände offen gehalten werden, sind tunlichst den Bedürfnissen des Reiseverkehrs anzupassen und durch geeigneten Anschlag vom Pächter bekanntzugeben. Die Kreisdirektionen sind berechtigt, diese Zeiten nach ihrem Ermessen zu andern," Aus den vorstehenden Angaben ergibt eich, dass sich die Bahnverwaltung mit der Entwicklung des Reiseverkehrs und im Interesse desselben veranlasst sah, für die Führung der Bahnhofbuchhandlungen ähnliche Befugnisse auszuüben wie beim Betrieb der Bahnhofwirtschaften, 'und dass insbesondere für das Offenhalten der Verfcaufsstände schon langst der Grundsatz gilt, dass vor allem die Bedürfnisse des Reiseverkehrs zu berücksichtigen sind. Es kann daher ein enger Zusammenhang zwischen dem Betriebe der Transportanstalt und der Führung der Bahnhofbuchhandlungen nicht in Abrede gestellt werden.

Eine ähnliche Entwicklung hat der Bahnhofbuchhandel namentlich in Deutschland genommen, wo schon vor Jahren das Bestreben sich geltend machte, denselben, als zum Eisenbahnbetrieb gehörend, den Bestimmungen der Gewerbeverordnung zu entziehen. Es kam denn auch tatsachlich wiederholt zu gerichtlichen
Entscheidungen, die den Bahnhofbuchhaüdel als einen Bestandteil des eigentlichen Bahnbetriebes erklärten.

Was nun insbesondere den Betrieb der Bahnhofbuchhandlung in Frauenfeld anbelangt, so muss den bezüglichen Ausführungen

32» der Bundesbahnverwaltung beigepflichtet werden. Über die Bedürfnisfrage ist die Bahnverwaltung am besten in der Lage, sich ein richtiges Urteil zu bilden. Sie, bzw. ihr Pächter, würde die Verkaufsstelle kaum an hohen kirchlichen Festtagen und während des Gottesdienstes an gewöhnlichen Sonntagen offen halten wollen, wenn kein Bedürfnis hierfür vorhanden wäre. Der hauptsächlichste Einwand des Regierungsrates bezieht sich übrigens nicht direkt auf die ßedürfnisfrage, die allerdings im Bescheid an den Re* kurrenten vom 11. Mai 1917 verneint wurde, sondern die Kantonsregierung betont, dass durch das Offenhalten der Bahnhofbuchhandlung an den in Frage kommenden Tagen und Stunden gleichartige Geschäfte in Frauenfeld, die geschlossen bleiben müssen, benachteiligt würden, da die Bahnhofbuchhandlung zu dieser Zeit weit mehr von den Einwohnern von Frauenfeld als von den Reisenden der durchgehenden Züge benutzt werde. Dagegen, dass diejenigen Einwohner von Frauenfeld, mit Einsehlnss der Militärpersonen -- Frauenfeld ist eidgenössischer Waffenplatz --, die an hohen kirchlichen Festtagen oder an gewöhnlichen Sonntagen während des Gottesdienstes verreisen, sich gleich wie dio Durchreisenden im Bahohof mit Reiselektüre versehen können, ist jedenfalls nichts einzuwenden. Es sollen alle Reisenden, auch die einheimischen, während der Fahrt, die Annehmlichkeiten, die das moderne Reisen bietet, geniessen können. Zu diesen gehört wohl in erster Linie die Befriedigung der geistigen Bedürfnisse. Dass im übrigen eine wesentliche Anzahl von zu Hause bleibenden Einwohnern von Frauenfeld die Gelegenheit benützen, um sich an gewöhnlichen Sonntagen, während des Gottesdienstes beider Konfessionen, und an hohen kirchlichen Festtagen auf dem Bahnhofe Lesestoff zu verschaffen, ist nicht fiehr wahrscheinlich. Es dürfte wohl in Frauenfeld, wie in anderen schweizerischen Ortschaften von gleicher Bedeutung, der Nummernverkauf von einzelnen Zeitschriften und Zeitungen eine ganz untergeordnete Bolle spielen, da sich sozusagen jeder Bürger als Abonnent eine oder mehrere Zeitungen halt. Es scheint diese Auffassung auch diejenige des Verkehrsvcreins von Frauenfeld zu sein, der .auf Befragen dem Beschwerdeführer gegenüber mit Zuschrift vom 24. September feststellte, ,,dass die Bahnhof buchhandlung in Frauenfeld sich auch an Sonn- und
Feiertagen eines lebhaften Zuspruches erfreut"1. Dies sei in besonderem Masse der Fall, führt der Verkehrsverein weiter aus, seitens der R e i s e n d e n und der D u r c h r e i s e n d e n , die, wie übrigens auch die einheimische Bevölkerung, das Schliessen der Verkaufsstelle im Bahnhofe schon oft unangenehm empfunden hätten. Es falle in Frauenfeld allgemein Bundesblatt 69. Jahrg. Bd. IV.

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auf, dass die dortige Bahnhofbuchhandlung, die keinerlei Störung der Sonntagsruhe veranlasse, au einzelnen Festtagen geschlossen bleibe, während dies auf anderen Bahnhöfen nicht der Fall sei.

Es darf nach dem Gesagten wohl behauptet werden, das» das Interesse der Transportanstalt am Offenhalten der Bahnhofbuchhandlung in Frauenfeld während der hohen kirchlichen Festtage und des Gottesdienstes an gewöhnlichen Sonntagen weit gröeser ist, als dasjenige der Kantonsregierung an der ausnahmslosen Anwendung ihrer aus dem Jahre 1855 datierenden sonntagspolizeilichen Vorschriften. Das Offenhalten der Bahnhofbuchhandlung hat demnach ausschliesslich nach den Interessen und Bedürfnissen des Bahnbetriebes zu erfolgen, und es müssen hierbei die kantonalen ruhetagspolizeilichen Vorschriften ausser Botracht fallen. Erachtet es aber die Kantonsregierung dennoch als dringend wünschenswert, dass den zu Hause bleibenden Einwohnern von Frauenfeld das Einkaufen von Zeitungen und Zeitschriften in der kritischen Zeit vorenthalten bleibe, so mag sie von sich aus die nötigen polizeilichen Massnahmen treffen, um der Umgehung der kantonalen Vorschriften betreffend die Sonutagspolizei durch Nichtreisende zu begegnen. Der Bahnverwaltuiig, btw. dem Pächter der Bahnhofbuchhandlung kann jedenfalls nicht zugemutet werden, sich darüber zu vergewissern, ob jeder Einheimische, der sich an Tagen oder Stunden, wo die übrigen Buchhandlungen geschlossen sind, Lesestoff verschaffen will, wirklich verreist oder nicht.

Am Schlüsse seiner Eingabe verlangt der Beschwerdeführer noch die Rückerstattung der ,,bezahlten Kosten von Fr. 11. 10^.

Auf dieses Begehren kann nicht eingetreten werden. Es handelt sich dabei weder um Parteikosten noch um eine Busse. Wie sich aus den Akten (Beschluss des Regierungsrates vom 11. Mai 1917) ergibt, setzt sich der Betrag von Fr. 11. 70 aus folgenden Taxen zusammen: Beschlussestaxe . . . . Fr. 10. -- Expedition ,, --. 90 Stempelgebühren . . . .

,, --.60 Stempel ,, --. 20 Total Fr. 11. 70 Es handelt sich da um Kanzlei- und Stempelgebühren, die nach kantonalen Normen für alle derartigen Eingaben zu entrichten sind und deren Rückerstattung nicht in Frage kommen kann,

beschlossen :

331 Die Beschwerde des Herrn Paul Schmidt in Basel vom 18, Mai 1917 gegen die Verfügung des Polizeidepartements des Kantons Thurgau vom 3. Mai und gegen den diese Verfügung bestätigenden Entscheid des Regierungsrates vom 11. Mai wird unter Aufhebung der Beschlüsse der genannten kantonalen Behörden gutgeheissen.

B e r n , den 16. Oktober 1917.

Im Namen dea Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Schulthess.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Schatzmann.

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Kreisschreiben des

Bandesrates an sämtliche Kantonsregierungen betreffend den zweiten Wahlgang für die Erneuerungswahlen in den Nationalrat.

(Vom 20. Oktober 1917.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Damit die Beteiligung der Wehrmänner auch bei dem zweiten Wahlgang für die Nationalrats- und Ständeratswahlen ohne allzugrosse Schwierigkeiten gesichert werden kann, ist es un erlässlich : 1. dass die Regierungen der Kantone, in welchen ein zweiter Wahlgang stattfindet, die ihnen gemäße Ziffer 12 des Bundesratsbeschlusses vom 5. September 1917 am 27./28. Oktober zu-

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des Herrn Paul Schmidt in Basel betreffend Schliessung der Bahnhofbuchhandlung Frauenfeld an Sonn- und Feiertagen. (Vom 16.

Oktober 1917.)

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1917

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24.10.1917

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