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Schweizerisches Bundesblatt mit schweizerischer Gesetzsammlung,

69. Jahrgang.

Bern, den 25. Juli 1917.

Band III.

Erscheint wöchentlich. Preis 13 Franken im Jahr, 6 Franken im Halbjahr, zuzüglich ,,Nachnahme- and Postbestellungsgebühr".

Einrückungsgebühr : 15 Rappen die Zeile oder deren Raum. -- Anzeigen franko an die Bachdruckerei Stämpfli & de. in Bern.

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Bundesratsbeschluss betreffend

die Beschwerde A. Gertschen, in Naters, gegen die Furkabahn.

(Vom

13. Juli 1917.)

Der schweizerische Bundesrat hat nach Einsicht 1. verschiedener Eingaben des Advokaturbureaus Kluser & Escher, in Brig, namens des Herrn Alfred Gertschen, in Naters; 2. zweier Zuschriften der Furkabahn-Gesellschaft, vom 8. Mai 1915 und vom 12. Mai 1917 ; 3. eines Berichtes und Antrages seines Eisenbahndepartements, gestützt auf folgende Tatsachen: 1. Anlässlich des Baues der Furkabahn stellte Herr Alfred Gertschen, Eigentümer einer Möbelfabrik in Naters, ein Entschädigungsbegehren wegen Verlegung der Furkastrasse bei seiner Liegenschaft, wegen Inkonvenienzen, nicht planmässiger Ausführung der Bahnbaute und Belästigung durch den Bahnbetrieb. Von der Bahngesellschaft abgewiesen, wandte sich Herr Gertschen an die eidgenössische Schätzungskommission und hierauf an das Bundesgericht, um die Einleitung des Enteignungsverfahrens zu erwirken.

Letzteres trat auf seine Beschwerde nicht ein unter Hinweis auf die ständige Praxis, gemäss welcher über Streitigkeiten über die Pflicht des Werkunternehmers zur Einleitung des EnteignungsBundeablatt. 69. Jahrg. Bd. III.

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606 Verfahrens und zur Einberufung der Schätzungskommission nicht das Bundesgericht, sondern der Bundesrat zu entscheiden hat.

Nun stellte das Advokaturbureau 0. Kluser & J. Escher, in Brig, namens des Herrn Gertschen mittels Eingabe vom 23. Dezember 1914 an das Eisenbahndepartement das Gesuch um Einberufung der eidgenössischen Schätzungskommission. Die Prüfung dieses Begehrens durch das Departement ergab, dass von Herrn Gertschen für den Bahnbau weder die Abtretung noch die Einräumung von Rechten verlangt worden war und dass er somit nicht Expropriât sei. Für seine Besitzung hatte die Erstellung der Bahn die Folge gehabt, dass sie nicht mehr, wie früher, unmittelbar an der Furkastrasse lag. Nach dem genehmigten Plane hätte die Verbindung der Liegenschaft mit der korrigierten Furkastrasse durch einen Parallelweg erfolgen sollen. Statt dieses Parallelweges hatte nun die Bahngesellschaft zwei Niveauübergänge erstellt, durch welche die Besitzung des Herrn Gertschen an beiden Enden direkt mit der verlegten Furkastrasse verbunden wurde. Dies bedeutete an und für sich eine erhebliche Verbesserung zugunsten des Beschwerdeführers. Es wurde jedoch festgestellt, dass diese Niveauübergänge mangelhaft ausgeführt worden waren, indem der Wasserabfluss längs dem niedrigen Bahndamm nicht richtig erfolgte.

Anlässlich der Kollaudation der Strecke Brig-Oberwald verlangte daher die Aufsichtsbehörde die Verbesserung dieser Verhältnisse ; ausserdem wurde die Bahn eingeladen, für die dem genehmigten allgemeinen Bauprojekt nicht entsprechenden Bauten bei der Besitzung des Herrn Gertschen eine Planvorlage einzureichen. Bei dieser Sachlage schien es angezeigt, die Erledigung der Vorlage beziehungsweise die Ausführung der verlangten oder. noch zu verlangenden Verbesserungen abzuwarten, um einen Entscheid über die Frage der Einberufung der Schätzungskommission unter Berücksichtigung der endgültigen Verhältnisse treffen zu können.

Mit Zuschrift vom 2. Oktober 1916 kam Herr Gertschen auf die Angelegenheit zurück, indem er geltend machte, dass er die Einberufung der eidgenössischen Schätzungskommission nicht wegen, der Niveauübergänge verlange, sondern wegen der Wertverminderung, die seine Liegenschaft infolge der Erstellung der Bahn erlitten habe. Nachdem die Bauvorlage der Furkabahn für Verbesserungen bei der Besitzung des
Herrn Gertschen von der zuständigen Behörde genehmigt worden war, verlangte der Beschwerdeführer nochmals die Einberufung deï eidgenössischen Schätzungskommission. Dabei führte er aus, dass das Bundesgericht schon wiederholt ähnliche Fälle dahin entschieden habe,,

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dass die Einberufung der eidgenössischen Schätzungskommission auch dann am Platze sei, wenn keine eigentliche Abtretung von Privatrechten stattgefunden habe. Vom Eisenbahndepartement eingeladen, über die ihm durch die endgültigen Verhältnisse entstehenden Nachteile Auskunft zu geben, machte er in einer letzten Eingabe vom 12. April 1917 geltend, er sei durch die Erstellung der Furkabahn unzweifelhaft geschädigt worden. Einmal stehe seine Liegenschaft nicht mehr an der Hauptstrasse. Sodann sei dem Boden vor dem Hause eine solche Gestaltung gegeben worden, dass nun bei Hegen oder Schneeschmelze das Wasser sich vor dem Verkaufslokal sammle und direkt in die Grebäulichkeiten eindringe. Ferner werde letzteren durch Erschütterung, Rauch usw. Schaden zugefügt, was von den Ortsschätzern von Katers in einer Erklärung bestätigt werde. Den Minderwert der Liegenschaft hätten zwei Baumeister auf 20°/0 berechnet.

2. Zur Vernehmlassung über das Begehren um Einberufung der eidgenössischen Schätzungskommission eingeladen, führte die Bahngesellschaft in ihrer Zuschrift vom 12. Mai 1917 im wesentlichen aus, die genehmigte Vorlage für die Verbesserungen bei der Liegenschaft des Beschwerdeführers sei nun ausgeführt, und die Bahnverwaltung werde die nötigen Anordnungen für einen bessern Wasserabfluss ungesäumt treffen.

Von besonderen Inkonvenienzen, die der Liegenschaft des Herrn Gertschen infolge des Betriebes entstünden, könne bei dem geringen Zugsverkehr keine Rede sein. Alle in unmittelbarer Nähe von Strassenbahnen, Eisenbahnen, Werkstätten oder Giessereien gelegenen Wohnhäuser hätten schliesslich unter dem Rauch, dem Lärm und den Erschütterungen zu leiden. Eine Wertverminderung der Liegenschaft oder eine Einbusse der Möbelfabrik in ihrem Verkaufswert sei nicht nachweisbar; die bezüglichen Erklärungen von Experten, die Herr Gertschen vorgelegt habe, könnten nicht ernst genommen werden. Zudem erwachse Herr Gertschen ein gewisser Vorteil aus dem Umstände, dass er seine Wagen auf der nun von der Bahngesellschait als Eigentum beanspruchten alten Strasse, zwischen seiner Liegenschaft und der Bahnlinie, stehen lassen könne. Die Gesellschaft müsse daher die Gewährung einer Entschädigung an Herrn Gertschen ablehnen.

Aus folgenden Gründen: Wie sich aus den Akten ergibt, hatte Herr Gertschen zugestandenermassen keine Privatrechte für den Bahnbau abzutreten.

Seine Entschädigungsforderung begründet er einerseits mit einer

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infolge der Erstellung der Bahnanlage eingetretenen Wertverminderung von 20% auf seiner Liegenschaft und anderseits mit schädlichen Einwirkungen aus dem Bau und Betrieb der Bahn auf seine Gebäulichkeiten (Rauch, Lärm, Erschütterungen und dgl.), also mit Immissionen im Sinne des Art. 684 Z. G. B.

Sowohl für den behaupteten Minderwert seiner Liegenschaft als für die geltend gemachten Inkonvenienzen hat er auf Verlangen des Eisenbahndepartements Erklärungen von Sachverständigen vorgelegt.

Was nun vorerst die Entschädigungsforderung für die Einbusse der Liegenschaft an Verkehrswert anbelangt, so steht fest, dass durch den Bahnbau keine Privatrechte des Beschwerdeführers in Mitleidenschaft gezogen werden. Herr Gertschen führt denn auch den behaupteten Minderwert der Liegenschaft nicht auf die Erstellung der Bahnanlage, sondern auf die im Zusammenhang mit dem Bahnbau erfolgte Verlegung der Furkastrasse zurück. Nun steht dem Besitzer einer anliegenden Liegenschaft kein Privatrecht in bezug auf die Benützung der öffentlichen Strasse zu. Demnach kommt Herrn Gertschen für die Benützung der Furkastrasse bei seiner Liegenschaft eine privilegierte Stellung nicht zu. Sein Recht, die Strasse zu benützen, geht aus dem öffentlichen Charakter derselben hervor und ist nicht ein Ausfluss privatrechtlicher Befugnisse. Es fehlt somit in bezug speziell auf den behaupteten Minderwert der Liegenschaft, soweit derselbe auf die Verlegung der Furkastrasse zurückgeführt wird, dem Entschädigungsbegehren des Herrn Gertschen die notwendige gesetzliche Grundlage. Denn nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Art. l und 3 des Enteignungsgesetzes vom 1. Mai 1850 ist zu einer Entschädigungsforderung, wie auch das Bundesgericht wiederholt erkannt hat (vgl. z. B. B. G. E. XX, 66), stets ein Eingriff in die Privatrechte des die Entschädigung Verlangenden notwendig. Ein blosser faktischer Nachteil genügt zur Begründung einer derartigen Forderung nicht.

Die Forderung für Inkonvenienzen aus dem Bahnbetriebe, die sich als Immissionen im Sinne des Art. 684 Z. G. B. darstellen, könnte dagegen nach der neuesten Rechtssprechung (vgl. insbesondere B. G. E. XL, l, S. 447, in Sachen S. B. B. gegen Hibbert und Genossen) selbständig im Enteignungsverfahren geltend gemacht werden, wenn sich ergeben würde, dass die Einwirkungen aus dem Betriebe des
öffentlichen Werkes das nach der erwähnten Bestimmung des Zivilgesetzbuches zulässige Mass überschreiten.

Auch der Bundesrat hat sich bereits in ähnlichen Fällen (z. B.

609 Entscheid vom 7. Januar 1916 in Sachen 8. B. B. gegen die Erbschaft K. Kracht in Zürich) auf den vom Bundesgerichte eingenommenen Standpunkte gestellt, dass nicht jede, vom Nachbar als nachteilig empfundene Einwirkung den Anspruch auf Entschädigung beziehungsweise auf Einleitung des Schätzungsverfahrens begründen kann, sondern nur ü b e r m ä s s i g e Einwirkungen, d.

h. solche Einwirkungen, welche das Mass des Erträglichen übersteigen. Wären somit im vorliegenden Falle ausserordentliche Einwirkungen aus dem Bau und Betriebe der Bahn auf die Liegenschaft des Herrn Gertschen nachweisbar, so müsste seinem Begehren um Einleitung des Enteignungsverfahrens entsprochen werden. Auf die vom Beschwerdeführer vorgelegte Erklärung von den .,,Ortsexperten der Gemeinde Naterstt kann aber hierbei nicht abgestellt werden, denn diese lautet lediglich dahin, dass Herrn Gertschen ,,durch Verlegung der Kantonsstrasse bei dessen Hause, anlässlich des Baues der Furkabahn, Schaden und Unzukömmlichkeiten erwachsen sind". Worin der Schaden und die Unzukömmlichkeiten bestehen, sagen die Herren Experten mit keinem Worte, und nur aus den verschiedenen Eingaben des Beschwerdeführers ist zu schliessen, dass er sich durch den mangelhaften Wasserablauf, den Rauch, den Lärm und die Erschütterungen durch den Zugsverkehr geschädigt glaubt.

In bezug auf den Wasserablauf berichtet nun das Eisenbahndepartement, dass nach der Ausführung der letzten, von der Aufsichtsbehörde genehmigten Vorlage der Furkabahn die Mängel im Ablauf des Wassers längs des niedrigen Bahndammes behoben sein werden. Über den Schaden, der Herrn Gertschen durch den ungünstigen Wasserablauf vor den Verbesserungsarbeiten entstanden sein könnte, enthalten dessen Zuschriften keinerlei Angaben, obschon das Eisenbahndepartement ihn ersucht hat, seine Entschädigungsforderung zu begründen. Es ist daher anzunehmen, dass dieser Schaden, seiner Geringfügigkeit wegen, überhaupt nicht in Betracht fällt.

Auch die Belästigung durch Lärm, Rauch und Erschütterungen kann bei einem Transportunternehmen wie die Furkabahn nicht als übermässige Immission im Sinne des Art. 684 Z. G. B. betrachtet werden. Vorläufig fahren täglich zwei bis drei Personenzüge in jeder Richtung und wenn sich der Verkehr nach den ersten Betriebsjahren auch intensiver gestalten wird, so wird doch von
einer ungebührlichen Belästigung der Anwohner durch Lärm und Rauch und von der Beeinträchtigung von G ebäulichkeiten durch Erschütterungen im Ernste nie die Rede sein können, hat

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doch das Bundesgericht gerade in dem vom Beschwerdeführerselbst erwähnten Entscheid vom 14. Mai 1914 in Sachen Bundesbahnen gegen Hibbert und Genossen das Bestehen von übermässigen Immissionen durch Lärm, Rauch und Erschütterungen verneint. Und doch handelte es sich hierbei um Liegenschaften in unmittelbarer Nähe von Gütergeleisen der Bundesbahnen in Basel, auf denen ein intensiver Betrieb von morgens 4 Uhr bis Mitternacht herrscht. Die technischen Organe des Eisenbahndepartements stellen denn auch eine besondere Belästigung der Liegenschaft des Herrn Gertschen durch den Bahnbetrieb, gestützt auf ihre Feststellungen, bestimmt in Abrede. Auf diese Erklärung muss in Ermangelung näherer Angaben seitens des Beschwerdeführers und der Experten der Gemeinde Naters, abgestellt werden.

Nach dem Gesagten besteht für Herrn Gertschen keine Aussicht, seine Entschädigungsforderung mit Erfolg vor den Schätzungsbehörden (Schätzungskommission und Bundesgericht) zu vertreten.

Unter diesen Umständen kann der Bahngesellschaft die Übernahme der Kosten und der Umtriebe des Schätzungsverfahrens nicht zugemutet werden, beschlossen: 1. Die Beschwerde des Herrn A. Gertschen auf Einberufung der eidgenössischen Schätzungskommission wird als unbegründet abgewiesen.

2. Die Furkabahn wird bei ihrer, dem Eisenbahndepartement abgegebenen Erklärung vom 9./12. Mai 1917 behaftet, wonach sie dem Herrn A. Gertschen die Aufstellung von Wagen auf der alten Furkastrasse, zwischen seinem Grundstücke und der Bahnlinie, gestattet.

B e r n , den 13. Juli 1917.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Schultliess.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

--(*&**--

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Bundesratsbeschluss betreffend die Beschwerde A. Gertschen, in Naters, gegen die Furkabahn. (Vom 13. Juli 1917.)

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