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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs von Adolf Saxer, IL Stimmenzähler, und Kornel Wili, II. Sekretär des Wahlbüreau bei den Gemeinderathswahlen vom 7. Juni 1891 in Altwis (Kanton Luzern), gegen den Regierungsbeschluß vom 29. Juli 1891 betreffend die Wahlverhandlung der Gemeinde Altwis vom genannten Tage.

(Vom 16. Januar 1892.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r ath hat in Sachen des Rekurses von Adolf Saxer, II. Stimmenzähler, und Kornel Wili, II. Sekretär des Wahlbüreau bei den Gemeinderathswahlen vom 7. Juni 1891 in Altwis (Kanton Luzern), gegen den Regierungsbeschluß vom 29. Juli 1891 betreffend die Wahlverhandlung der Gemeinde Altwis vom genannten Tage; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmäßiger Sachverhältnisse: I.

Am 7. Juni 1891 fanden in Altwis, wie überall im Kanton Luxern, die Gemeinderathswahlen statt, wobei das bereinigte Stimmregister 100 stimmfähige Bürger aufwies. Von den ausgetheilten und eingelangten 91 Stimmen erhielten die bisherigen Gemeinderathsmitglieder Bernhard Höltschi und Johann Wili 85 Stimmen, weßhalb Beide als gewählt und sodann Ersterer als Gemeindeammann, Letzterer als Verwalter bezeichnet wurde.

432 Dagegen standen sich in diesem ersten Wahlgang als Kampfkandidaten gegenüber Waisenvogt und Präsident Josef Bberli und Xaxer Höltschi. Eberli erhielt 46, Xaver Höltschi 44 Stimmen.

Das Wahlverbal bemerkt, daß 3 Stimmzettel ungültig waren. Bei 88 gültigen Stimmzetteln stellte sich demnach das absolute Mehr auf 45. Eberli wurde vom Wahlbüreau als gewählt erklärt, Diese Erklärung ging indessen nur von der (konservativen) Mehrheit des Bureau aus; denn die (liberale) Minderheit desselben-- die beiden hierortigen Rekurrenten -- weigerte sich, die Richtigkeit des Verbais anzuerkennen, und erhob mit Eingabe vom 9. Juni beim luzernischen Regierungsrathe gegen die Wahlverhandlung vom .7. Juni eine Kassationsbeschwerde.

In einem zweiten Wahlgange wurde als Suppléant des Gemeinderathes bei einem absoluten Mehr von 44 Stimmen mit 46 Stimmen gewählt der konservative Kandidat Josef Hartmann.

Der Regierungsrath wies unter'm 29. Juli 1891 das Kassationsbegehren ab, unter Hinweis auf §§ 219 und 259 des luzernischen Organisationsgesetzes.

Aus dem regierungsräthlichen Entscheide ergibt sich bezüglich der Stimmenzahl, daß im Wahl verbal sich insofern ein Irrthum eingeschlichen hatte, daß nicht drei ungültige, beziehungsweise, wie das Verbal sich ausdrückt, ,,verlorene" Stimmen abgegeben, sondern drei v e r e i n z e l t e Stimmen eingelegt wurden, welche für die Kandidaten Bberli und Höltschi nicht in Betracht kamen, ohne indessen ungültig zu sein. Es hatten also 91 (nicht 88) Bürger gültig gestimmt; das absolute Mehr betrug 46; Eberli war mit 46 Stimmen gewählt worden, während Xaxer Höltschi urn zwei Stimmen unter dein absoluten Mehr blieb.

II.

Mit Schriftsatz vom September 1891 (in Bern angelangt den 14. September) rekurrirten die beiden Mitglieder der Minderheit des Wahlbüreau von Altwis gegen den Regierungsbeschluß vom 29. Juli an den Bundesrath. Sie verlangen : Der Bundesrath möge verfügen : Nicht Josef Eberli, sondern Xaver Höltschi sei am 7. Juni zum Gemeinderath gewählt worden, und zwar aus folgenden Gründen : 1. weil zwei Bürger mitgestimmt haben, die nicht stimmberechtigt waren; 2. weil dem Kandidaten Eberli eine Stimme zugezählt wurde, die ihm nicht gehört; 3. weil dem Kandidaten Xaver Höltschi eine Stimme aberkannt wurde, auf die er Anspruch hat.

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Eventuell verlangen die Rekurrenten : Der Bundesrath möge erklären, Eberli sei nicht gewählt und es habe eine Neuwahl stattzufinden.

Der wesentliche, hier in Betracht kommende Inhalt der Rekursschrift ist folgender: Bei der Abstimmung vom 7. Juni 1891 waren drei Mitglieder und ein Suppléant des Gemeinderathes von Altwis zu wählen.

Stimmende waren 91. Laut Verbal wurden drei Stimmzettel als ungültig erklärt. Bei 88 gültigen Stimmen stellte sich daher das absolute Mehr auf 45.

a. Es standen auf dem Stimmregister und betheiligten sich unbestrittenermaßen an der Wahl zwei nicht stimmberechtigte Bürger, nämlich : J o h a n n S c h ö n e n b e r g von Altwis, Schmiedgeselle in Inwil (Kanton Luzern), und J o s e f M ü l l e r von Oberkirch, Knecht bei Heinrich Bütler in Aesch (Kanton Luzern).

1) J. S c h ö n e n b e r g hat am 25. Januar 1891 seine Schmiede in Altwis verlassen, nachdem er dieselbe, zunächst für l 1/2 Jahr, laut schriftlichem Miethvertrag vom 9. Juni 1890 dem Johann Haller, Schmied von Reinach, Kanton Aargau, verpachtet hatte. Er begab sich als Schmiedgeselle zu Fridolin Ineichen, Schmied, in Inwil, bei welchem er seither arbeitet.

Das bezeugen schriftlich der Miether der Schmiede selbst und ein Nachbar desselben.

Fridolin Ineichen, der Schmiedmeister von Inwil, bescheinigt durch eine schriftliche Erklärung vom 1. September 1891, daß J. Schönenberg seit 24. Januar d. J. als Schmiedgehülfe bei ihm arbeitet.

Demnach hat Schönenberg nicht, wie es § 88 der Luzerner Kantonsverfassung für Gemeindewahlen verlangt, bis zum 7. Juni 1891 (dem Wahltage) in der Gemeinde Altwis gewohnt; er ist also an diesem Tage dort nicht stimmberechtigt gewesen.

2") J o s e f M ü l l e r war Knecht bei Schmied Schönenberg in Altwis; er verließ die Gemeinde im Mai, nachdem er vom 12.

April bis 1. Mai in ärztlicher Behandlung gestanden hatte, und siedelte in die Nachbargemeinde Aeseh über.

Diese Thatsachen sind durch schriftliche Zeugnisse erhärtet.

Zudem liegt eine amtliche Bescheinigung vor, daß Müller in Altwis niemalsSchriften hinterlegt hat.

Bundesblatt. 44. Jahrg. Bd. I.

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b. Die konservative Mehrheit des Wahlbüreau hat einen Stimmzettel, der also lautete: ,,Pfister Höltschi Vater, ansonst die bisherigen, Suppléant Hartmann", dem liberalen Kandidaten Xaver Höltschi aberkannt, dagegen dem unbestrittenen liberalen Kandidaten Bernhard Höltschi und dem konservativen Kampfkandidaten Josef Eberli zugerechnet, während es hinwieder diese Zuzählung bei dem unbestrittenen konservativen Kandidaten Johann Wili unterließ.

Mit ,,Pfister Höltschi Vater" war aber, für Jedermann in Altwis sofort erkennbar, der liberale Kandidat Xaver Höltschi gemeint. Das Bureau klammerte sich an die Thatsache an, daß derselbe seine Bäckerei seinem Sohne abgetreten hat, der zufällig auch ,,Vater" ist.

Vor dem 7. Juni war der Kandidat Höltschi dutzendmal als ,,Pfister Holtschi Vater" an's Bureau gerufen worden. ,,Am 7. Juni 1891, als das politische Schicksal der Gemeinde Altwis auf dem Spiele stand, erinnerte man sich als rettenden Engels jenes Kindes.ct Die Rekurrenten verweisen sodann auf einen regierungsräthlichen Entscheid vom September 1879 betreffend die Bannwartenwahl in Kottwil, wo die Regierung sich kompetent erachtete, gegenüber der Mehrheit des Wahlbiireau Stimmkarten, die auf ,,Trüßel, Vater" lauteten, dem bisherigen Bannwart Jakob Trüßel zuzurechnen, obschon derselbe, wie das Wahlbiireau seinen Entscheid motivirte, drei Söhne hatte, von denen der eine, mit gleichem Vornamen, Vater von unerzogenen Kindern war. Umgekehrt, sagen die Rekurrenten, habe der Regierungsrath 1887 diese Kompetenz, sich nicht zugeschrieben, als eine konservative Wahl in Weggis angefochten war. Wieder umgekehrt aber sei vom Großen Rathe 1889 anläßlich einer Großrathswahl im Schicksalskreise Littau entschieden worden.

Welchem von den bisherigen drei Gemeinderathsmitgliedern der Bürger, welcher auf seinen Zettel schrieb: ,,Pfister Holtschi Vater, ansonst die bisherigen, Suppléant Hartmann", seine Stimme entziehen wollte, läßt sich nicht konstatireu, die Stimme ist also keinem derselben zuzuzählen, wenn auch sehr wahrscheinlich ist, daß nur dem konservativen Kandidaten Eberli, dem Gegenkandidaten Xaver Höltschi's, die Stimme entzogen werden wollte.

Wenn dem Josef Eberli die Stimme dieses Bürgers abgezogen und dem Xaver Höltschi zugezählt wird, wenn ferner dem Erstem die zwei Stimmen von J. Schönenberg und J. Muller, welche nicht stimmberechtigt waren, abgezogen werden, so ergeben sich

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tur J. Eberli 43 Stimmen, ,, X. Höltschi 45 ,, Es ist somit, wenn das absolute Mehr nach dem Wahlverbal mit 45 angenommen wird, X. Höltschi gewählt, eventuell ist keine Wahl zu Stande gekommen.

III.

Der Regierungsrath des Kantons Luzern entgegnete in einer Zuschrift an das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement vom 16. Oktober 1891 im Wesentlichen was folgt: i. Betreffend

die Stimmberechtigung von Johann Schönenberg und Josef Müller.

a. J o h a n n S c h ö n e u b e r g,

Durch den Mietvertrag vom 9. Juni 1890 ist keineswegs bewiesen, daß J. Schönenberg auch seinen Wohnsitz außer die Gemeinde Altwis verlegt hat.

Der Dienstherr Fridolin Ineichen, Schmied in Inwil, ein politischer Parteigenosse der Beschwerdeführer, erklärte unterm 15. Juni 1891 wörtlich: ,,Unterzeichneter bescheint hiernit, daß Schönenherg, Johann, Schmied, von und in Altwis, nur vorübergehend hier arbeitete und in Inwil keinen gesetzlichen Wohnsitz hat." In gleichem Sinne sprach sich gegenüber dem Regierungsrathe auch der Gemeine!erath von Inwil in einem amtlichen Zeugnisse aus, das zugleich erklärt, Schönenherg stehe nicht auf dem Stimmregister von Inwil.

Bei dieser Sachlage hat dei- Regierungsrath den Privatzeugnissen, die von den Rekurrenten produzirt werden, keine Bedeutung beigemessen.

Allerdings liegt heute bei den Akten eine vom 1. September datirende Bescheinigung des Fridolin Ineichen, Schmied in Inwil, welche mit der Erklärung desselben Bürgers vom 15. Juni im Widerspruche steht. Allein der Regierungsrath nimmt an, das frühere Zeugniß sei ohne Kenntniß des Rekursvorhabens der Herren Wili und Saxer ausgestellt worden, das letzte aber mit Kenntniß desselben.

Hat Schönenberg in Inwil nur vorübergehend gearbeitet, so hat er sein Domizil in Altwis nicht verloren und war bei den Gemeinderathswahlen hier stimmberechtigt.

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b. Josef M ü l l e r stand bei Familie Schönenberg, Schmieds, in Altwis im Dienste, erkrankte und wurde entlassen. Er nahm nun hei Melchior Höltschi in Altwis Wohnung. Wieder genesen, ging er auf Taglohn aus, und da kam es vor, daß er die Märchen der winzigen Gemeinde Altwis überschritt und in der angrenzenden Gemeinde Aesch Arbeit fand ; er taglöhnerte nur vorübergehend dort, z. B. bei Heinrich Bütler, wie dieser selbst bezeugt; der Gemeinderath von Aesch erklärt, seines Wissens habe in den zwei letzten Jahren Müller nie in Aeseh gewohnt.

Gegenüber diesen Erklärungen können die von den Rekurrenten beigebrachten Zeugnisse von Bürgern aus Altwis, dahin lautend, daß Müller seit Mai 1891 fortwährend bei Heinrich Bütler in Inwil arbeite und daß er dort wohne, nicht in Betracht fallen ; ebenso wenig Gewicht hat die von den Rekurrenten vorgelegte Bescheinigung des Gemeindeammanns von Altwis, Müller habe dort keine Schriften hinterlegt, indem ein Taglöhner hiezu nicht verpflichtet ist.

Vor dem Regierungsrathe machten die Rekurrenten noch geltend, Müller habe Armenunterstützung genossen und sich insolvent erklärt. Vor dem Bundesrathe wird dieser Punkt nicht mehr hervorgehoben. Wahr ist. daß Müller ärztlich behandelt wurde und vier Wochen lang die Arztkosten unbezahlt ließ. Allein deßwegen wird im Kanton Luzern ein aufrechtstehender, ehrenwerther Bürger des Stimmrechts nicht verlustig erklärt. ,,Solche Härten sind der luzernischen Stimmrechtspraxis unbekannt, ihre Erfindung blieb den Beschwerdeführern vorbehalten. u Schönenberg und Müller waren somit am 7. Juni in Altwis stimmberechtigt.

Gesetzt aber auch der Fall, daß sie dies nicht gewesen wären, fährt der Regierungsrath in seinen Erörterungen fort, so könnte ihre Theilnahme an der Wahlverhandlung in Altwis doch nicht mehr im Sinne der Ungültigerklärung dieser letztem geltend gemacht werden; denn die Anfechtung der Stimmberechtigung von Schönenberg und Müller ist v e r s p ä t e t .

Das Stimmregister von Altwis lag vor dem 7. Juni während der gesetzlichen Frist zur Einsicht der Bürger auf. Der Rekurrent Wili hat das Stimmregister untersucht und am 2. Juni die Auftragung von vier Bürgern beim Regierungsrathe verlaugt. In drei Fällen wurde seinem Begehreu entsprochen, in einem Falle stand er selbst von demselben wieder ab. Hat Wili Auftragungen verlangen können, so wäre es ihm auch möglich gewesen, die Abtragung von Schönenberg und Müller zu verlangen. ,,Wenn er es

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damals nicht gethan hat, so ist nunmehr die Stimmrechtsanfeclitung eben verspätet."

S. Betreffend

den Stimmzettel: ,,Pfister Höltschi Vater, ansonst die bisherigen, Suppléant Hartmann".]

Der Große Rath des Kautons Luzern hat im verflossenen Monat Mai gegenober einer Kassationsbeschwerde betreffend die liberalen Großrathswahlen in Escholzmatt erkannt, die mit ,,Die bisherigen" überschtiebenen Stimmzettel seien gültig und den bisherigen Großrathsmitgliedern des Kreises zuzurechnen.

Was damals zu Gunsten der Liberalen und nach ihrem Verlangen zuläßig erklärt wurde, kann nun nicht plötzlich zu Ungunsten ihrer Gegner unzuläßig sein.

Der Wähler von Altwis, der die mehrerwähnte Stimmkarte schrieb, hat in erkennbarer Weise zu verstehen gegeben, daß seine Stimme zugezählt werden solle den Herren Pfister Höltschi, Vater; sodann den bisherigen Gemeinderäthen B. Höltschi, Gemeindeammann ; .T. Wili, Verwalter ; J. Eberli, Präsident; endlich Suppléant Hartmann.

Somit hat der Wähler fünf Kandidaten gestimmt, während nur vier zu wählen waren. Nach § 80 des luzernischen Organisationsgesetzes mußte der hinterste (letzte) Naine, Suppléant Hartmann, wegfallen. Dagegen hatte Präsident Eberli eine gültige Stimme erhalten.

Das Wahlverbal ist dahin zu berichtigen, daß der liberale Kandidat X. Höltschi statt 44 Stimmen deren 45 erhalten hat, sofern der fragliche Stimmzettel wirklich Herrn X. Höltschi zugezählt werden darf. Dies kann jedoch zweifelhaft erscheinen, nicht aus der dem regierungsräthliehen Entscheide ganz fremden Erwägung: es gebe zwei Poster Höltschi, die beide Vater seien, sondern weil der liberale Kandidat X. Höltschi gar nicht Pfister sein soll, vielmehr das Bäckereigewerbe in Altwis von einem andern Bürger Namens Höltschi ausgeübt wird. Diese Fra.ge ist indessen vom Regierungsrathe nicht entschieden worden, weil sie für das Wahlresultat bedeutungslos war.

Was die Rekurrenten in Betreff der Kompetenz des Wahlbüreau zur Klassifikation der Stimmkarlen und der bezüglichen Praxis des Regierungsrathes sagen, gehört nicht zur Sache; sie

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geben übrigens auch hier die tatsächlichen Verhältnisse ganz entstellt wieder: ,,sie verschweigen, daß der Regierungsrath auch imFalle Weggis keineswegs eine unbeschränkte Kompetenz des Wahlbüreau's zur Klassifikation der Stimmzettel festgestellt hat, daß im Falle Littau die streitigen Stimmzettel gerade so taxirt worden wie in anderen Fällen zu Gunsten liberaler Kandidaten, und daß im Falle Kottwil die Ungültigerklärung von 14 Stimmzetteln laut Motiv l des betreffenden Entscheides als eine bloße Chikane des Wahlbüreau's augesehen werden muss", in E r w ä g u n g : 1. Die vom Regierungsrathe des Kantons Luzern erhobene formelle Einwendung, die Beschwerde der Rekurrenten sei, insoweit sie die Stimmberechtigung der Bürger Schönenberg und Müller anficht, verspätet und könne aus diesem Grunde nicht mehr gehört werden, erscheint nicht als zutreffend.

Wie der Bundesrath schon in vielen Fällen festgestellt hat, ist die Auslegung und Anwendung des kantonalen Rechts bei kantonalen Wahlen und Abstimmungen wie auf andern kantonalen Gebieten Sache der Kantonsbehörden. Die Aufgabe der Bundesbehörden aber ist es, gegebenen Falles dafür zu sorgen, daß das einmal festgestellte kantonale Recht in Nachachtung des in Art. 4 der Bundesverfassung niedergelegten Grundsatzes der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze überall und gegenüber Jedermann gleichmäßig angewendet werde.

Da es sich im Rekursfalle um eine Beschwerde gegen die Gültigkeit einer kantonalen Wahl irn Sinne des Art. 59, Ziff. 9, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege handelt, über welche Frage der Bundesrath auf Grundlage aller einschlägigen Bestimmungen des Bundesrechts und des kantonalen Verfassungsrechts zu urtheilen hat, so kommt dem Bundesrathe auch die Prüfung der Frage zu, ob nach den im Kanton Luzern geltenden gesetzlichen oder gewohnheitsrechtlichen Bestimmungen die Einrede des Regierungsrathes gegenüber den Rekurrenten eine Verletzung des angeführten Verfassungsgrundsatzes in sich schließe.

In dieser Beziehung verweist der Bundesrath auf seine einschlägigen Ausführungen unter Ziff. II, Nr. 2, der Erwägungen in dem Rekursfalle betreffend die Gemeinderathswahlen von Schwarzenberg.

In jenem Falle hat der Regierungsrath durch Entscheidung vom 13. Juni 1891 dem M. Zurkirchen, Sektionschef in Schwarzenberg, eröffnet,
sein am Tage vor der dortigen Fortsetzungswahl vom 14. Juni eingereichtes Gesuch um Abtragung von sechs Bürgern vom Stimmregister der Gemeinde Schwarzenberg könne nach der Wahl

439 als Kassationsgrund geltend gemacht werden, und sodann durch Beschluß vom 25. Juli eine von anderen Bürgern erhobene bezügliche Kassationsbeschwerde, gestützt auf § 259, Abs. 3, und § 219 des Organisationsgesetzes, in materielle Behandlung gezogen und als begründet erklärt.

Wenn der Regierungsrath im vorliegenden Falle sagt: Da einer der Rekurrenten schon vor der Wahl Auftragungen auf das Stimmregister verlangt liât, hätte er gleichzeitig auch die Abtragung von Schönenberg und Müller verlangen können, so mag dies thatsächlich richtig sein, rechtlich erheblich aber ist es nicht, weil es nach der luzernischen Gesetzgebung (Organisationsgesetz vom 7. Juni 1866) für die Kassation einer Wahl gar nicht darauf ankommt, ob die Nichtstimmberechtigung eines auf dem Stimmregister stehenden Wählers schon vor der Wahl zur Sprache gebracht worden ist oder hätte zur Sprache gebracht werden können.

Demgemäß ist der von den Rekurrenten als Kassationsklägern beim Regierungsrathe geltend gemachte Kassationsgrund nach Gesetz und Praxis des Kantons Luzern nicht als verspätet angebracht zu betrachten.

2. Was nun aber in materieller Hinsicht die von den Rekurrenten angefochtene Stimmberechtigung des J. Schönenberg und des J. Müller anbelangt, so erscheint die regierungsräthliche Schlußnahme nach Maßgabe der auf die Wohnsitzverhältnisse der beiden Bürger bezüglichen Akten als wohl begründet.

Der Kegieruogsrath war, auf Grundlage der ihm vorliegenden Beweisstücke, berechtigt, anzunehmen, daß weder beim einen noch beim andern von einer wirklichen Verlegung des Wohnsitzes die Rede sein könne.

Den Aufenthalt Schönenbergs in Inwil stellten die in dieser Hinsicht maßgebenden Urkunden, das Zeugniß des Frid. Ineichen von Inwil vom 15. Juni und die Bescheinigung des dortigen Gemeinderathes, als einen nur vorübergehenden dar, und es mußte diese Annahme in den ökonomischen Verhältnissen des Schönenberg, d. h. in dem Umstände, daß die ihm als Miteigentümer angehörende Schmiede in Altwis nur auf kurze Zeit vermiethet worden war, eine Stutze finden.

J. Müller hält sich, wie von den Rekurrenten Kugegeben wird, erst seit dem Monat Mai 1891 nicht mehr ununterbrochen in Altwis auf; es ist aber von ihnen nicht nachgewiesen worden, daß er von da an anderswo sich dauernd aufgehalten und in solchen Verhältnissen sich befunden habe, die auf den Erwerb eines Wohnsitzes in einer andern Gemeinde schließen lassen, wohl aber mußte

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der Regierungsrath nach den auch in diesem Falle maßgebenden Erklärungen des angeblichen Dienstherrn des Müller, Heinrich Bütler in Aesch, sowie des dortigen Gemeinderathes annehmen, daß Müllet in Aesch keineswegs seinen Wohnsitz aufgeschlagen habe.

Bei Schönenberg wie bei Müller war daher der Schluß gerechtfertigt, ihr bisheriges Domizil in Altwis habe am 7. Juni noch fortgedauert und sie seien an jenem Tage in Altwis stimmberechtigt gewesen.

3. Da nach dem berichtigten Wahlverbal die Zahl der gültigen Stimmen 91, das absolute Mehr also 46 betrug, und Herr Waisenvogt Jos. Eberli 46 Stimmen erhalten hat, sofern ihm auch die Stimme des Bürgers zugezählt wird, der seinen Stimmzettel mit den Worten ,,Pfister Höltschi Vater, ansonst die bisherigen, Suppléant Hartmann" überschrieb, so bleibt noch die Frage zu erörtern übrig, ob das Wahlbüreau oder der Regierungsrath mit dieser Zuzählung einen, konstitutionelles Recht verletzenden Akt begangen habe.

Diese Frage ist zu verneinen. Der Regierungarath hat an der Hand des Gesetzes und der Praxis nachgewiesen, daß die fragliche Stimmkarte mit vollem Rechte dem bisherigen Gemeinderathe Eberli zugezählt wurde.

Der Gegenkandidat des Herrn Eberli aber hat das absolute Mehr nicht erreicht, auch wenn ihm die betreffende Stimme zugezählt wird ; es kann daher jede weitere Erörterung der von den Rekurrenten diesfalls gegenüber der Verfügung des Wahlbüreau's angebrachten Bemerkungen als belanglos unterbleiben, beschlossen: Ì. Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

2. Dieser Beschluß ist der h. Regierung des Kantons Luzern, sowie den Rekurrenten mitzutheilen.

B e r n , den 16. Januar 1892.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d esp r ä s i d e n t : Häuser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft ; Ringier.

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Bundesrathsbeschluß über den Rekurs von Adolf Saxer, II. Stimmenzähler, und Kornel Wili, II. Sekretär des Wahlbüreau bei den Gemeinderathswahlen vom 7. Juni 1891 in Altwis (Kanton Luzern), gegen den Regierungsbeschluß vom 29. Juli 1891 betreffend die...

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27.01.1892

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