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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs des Johann Locher, Bierbrauer in Appenzell, betreffend Anwendung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs.

(Vom 17. Mai 1892.)

Der schweizerische Bundesrath hat

iu Sachen des Rekurses des Herrn Johann Locher, Bierbrauer in Appenzell, Namens der Konkursverwaltung im Konkurse des Franz Anton Rempfler in Brüllisau, betreffend die Anwendung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs; auf das Gutachten des eidgenössischen Rathes für Schuldbetreibung und Konkurs und den gleichlautenden Antrag des Justizund Polizeidepartementes ; nach Feststellung folgender aktenmäßigen Thatsachen: I. Im Konkurse des Franz Anton Rempfler in Brüllisau hat das Konkursamt Appenzell bei der Aufnahme des Inventars unter Anderem auch eine Kuh als unpfändbar erklärt. Die erste Gläubigerversammlung vom 19. Februar wurde mit ihrem Rekurse von der kantonalen Aufsichtsbehörde abgewiesen. Die Konkursverwaltung gelangt nun Namens der Gläubiger des Gemeinschuldners an den Bundesrath und begründet die Entbehrlichkeit der Kuh im Sinne von Art. 92, Absatz 4, des Bundesgesetzes in folgender Weise : Kurz nach Aufnahme des Inventars starb Gemeinschuldner und die Gläubiger zahlten sofort Fr. 80 zur Bestreitung der Beerdigungskosten an die Wittwe. Außerdem wurde derselben ein Betrag von Fr. 203, der ihr seitens eines Sterbefallvereins zukam,

151 nach Art. 92, Abs. 9, des Bundesgesetzes unbeanstandet zur Verfügung gestellt, sowie ein wöchentlicher Unterhaltsbeitrag von Fr. 10, das nöthige Mehl und die nöthige Milch. Die Familie Rempfler müßte die Kuh nach Schluß des Konkursverfahrens sofort veräußern, da die Familie weder Stallung noch Grund und Boden mehr besitzt, und somit die Kuh nicht mehr im Sinne von Art. 92, Abs. 4, der Familie die nöthige Milch liefern kann. Es könne deßhalb die Milchkuh nicht als unentbehrlich betrachtet werden.

II. Die Standeskommission als Aufsichtsbehörde wollte Art. 92, Abs. 4, des Bundesgesetzes für diese Familie in vollem Wortlaute angewendet wissen, in Erwägung, daß dieselbe aus einer "Wittwe mit 6 unerzogenen Kindern bestehe; in E r w ä g u n g : Der Bundesrath hat nicht zu untersuchen, ob die angefochtene Verfügung den Verhältnissen angemessen, d. h. ob die unpfändbar erklärte Kuh gemäß der Vorschrift von Art. 92, Ziff. 4, des Bundesgesetzes für die Ernährung des Schuldners und seiner Familie thatsächlich unentbehrlich ist. Er hat sich mit der vorliegenden Beschwerde nur insofern zu befassen, als den kantoaalen Behörden eine Gesetzwidrigkeit, eine falsche Auslegung des Gesetzes zur Last gelegt wird ; eine solche läge vor, wenn die kantonalen Behörden dem Worte ,,unentbehrlich* einen anderen Sinn beigelegt hätten, als der Gesetzgeber gewollt hatte, wenn sie die Unentbehrlichkeit als vorhanden angenommen hätten, trotz gewissen Umständen, welche sie nicht nur im speziellen Falle, sondern in allen gleichartigen Fällen begrifflich ausschließen.

Die Rekurrentin vertritt nun in der That die Ansicht, die Unentbehrlichkeit im Sinne von Art. 92, Ziff. 4, des Bundesgesetzes liege nicht vor: 1. weil dem Schuldner andere Zuwendungen aus der Masse gemacht worden seien-, 2. weil der Schuldner die Milchkuh aller Voraussicht nach nicht werde behalten können, sondern sie werde veräußern müssen.

Was den ersten Einwand anbetrifft, mag es richtig sein, daß bei dem Vorhandensein anderweitiger dauernder Einnahmsquellen eine Kuh nicht mehr als unentbehrlich gelten könnte. Die von der Rekurrentin angeführten Zuwendungen bilden aber keine dauernden Einnahmequellen. Die Bestreitung der Beerdigungskosten sichert die Existenz der Familie so wenig als der nur während der Dauer des Konkursverfahrens entrichtete Unterhaltsbeitrag; beides

152 sind übrigens Verwaltungsausgaben der Masse, zu denen die Konkursverwaltung gegebenen Falles auf dem Beschwerdewege hätte gezwungen werden können. Der vom Sterbefallverein bezogene Betrag endlich bildete als einmaliger Kapitalbetrag auch keine dauernde Einnahmequelle, zumal er seiner Bestimmung nach gar nicht aufgebraucht werden sollte.

Ebenso unerheblich ist der zweite Einwand. Mag auch für den Gesetzgeber der Gesichtspunkt leitend gewesen sein, der Schuldner solle wo möglich die ihm belassenen Sachen -- Kleider, Betten, Hausgeräthe, Werkzeuge, Thiere -- io natura für seineu Unterhalt verwenden, so ist dies doch kein Grund, mit dem Schuldner gerade in den Fällen strenger zu verfahren, wo seine Lage thatsächlich noch schlimmer, nämlich so verzweifelt ist, daß er seinen nächsten Lebensunterhalt nur noch mit der Veräußerung jener letzten Habe erkaufen kann, die nach der Absicht des Gesetzgebers ihm, wo immer möglich, den ordentlichen Weg des wirtschaftlichen Aufschwungs erschließen sollte, beschlossen: 1. Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

2. Mittheilung an die Standeskommission des Kantons Appenzell I.-Rh. als kantonaler Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkui-ssachen, sowie an Herrn Joh. Locher, Bierbrauer in Appenzell, als dem Vertreter der Konkursverwaltung.

B e r n , den 17. Mai 1892.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Vizepräsident: Schenk.

Der Stellvertreter des ei dg. Kanzlers : Schatzmann.

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Bundesrathsbeschluß über den Rekurs des Johann Locher, Bierbrauer in Appenzell, betreffend Anwendung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs. (Vom 17.

Mai 1892.)

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