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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs des Charles Kreutz, Gerber und Lederhändler, in Orbe (Waadt), wegen Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung (Handels- und Gewerbefreiheit) durch ein Urtheil des Bezirksgerichts Schwyz vom 25. April 1891 betreffend Uebertretung der schwyzerischen Verordnung über den Markt- und Hausirverkeh und die Ertheilung von Patenten vom 27. Juli 1887.

(Vom 15. Juni 1892.)

Der schweizerische Bundesrath hat in Sachen des Rekurses von Charles K r e u t z , Gerber und Lederhändler, in Orbe (Waadt), wegen Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung (Handels- und Gewerbefreiheit) durch ein Urtheil des Bezirksgerichts Schwyz vom 25. April 1891, betreffend Uebertretung der schwyzerischen Verordnung über den Markt- und Hausirverkehr und die Ertheilung von Patenten vom 27. Juli 1887 ; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmäßiger Sachverhältnisse: I. Die Verordnung des Kantons Schwyz über den Markt- und Hausirverkehr und die Ertheilung von Patenten vom 27. Juli 1887 enthält u. A. folgende Bestimmungen: ,,§ 6. Unter den Begriff des Hausirverkehrs oder des Gewerbebetriebes im Umherziehen fallen nach Maßgabe der nähern Ausführungen der §§ 7, 8, 9, 10 und 11 dieser Verordnung:

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,,1. das Aufsuchen von Bestellungen bei Privaten auf Muster und die Kolportage (§ 7).a ,,§ 7. Für das Aufsuchen von Bestellungen bei Privaten (Nichtgewerbegenossen) auf verkäufliche und nicht verkäufliche Muster und für die sogenannte Kolportage gelten folgende besondere Bestimmungen: 7,1. Unter Nichtgewerbegenossen (Privaten) werden verstanden alle Personen, welche nicht berufsmäßig mit dem betreffenden Artikel Handel treiben. Es sind demnach nicht als Gewerbsgenossen zu betrachten: ,,a. die Handwerks- und Gewerbsleute, welche den betreffenden Handelsartikel bei ihren Arbeiten verbrauchen, für den Wiederverkauf desselben in natura aber kein Verkaufsmagazin oder Waarenlager halten."

II. Der Rekurrent besitzt in Orbe uud Baulmes (Waadt) eine Gerberei und beireibt den Lederhandel. Sein Reisender verfügte sich am 27. Juli 1890 in Brunnen (Schwyz) zu vier Schuhmachern, bei denen er unter Vorzeigung von Mustern Bestellungen von Lederartikeln im Gesammtbetrage von Fr. 1599. 60 entgegennahm, ohne ein schwyzerisches Hausirpatent zu besitzen. Der Rekurrent wurde daher der Uebertretung der Eingangs erwähnten Verordnung angeschuldigt und vom Bezirksamt Schwyz zu Fr. 80 Buße und zu den Kosten verfällt. Er erhob gegen die Bestrafung Einsprache, indem er behauptete, gar nie in Brunnen gewesen zu sein und sieh daher auch keiner Uebertretung schuldig gemacht zu haben. Infolge dessen wurde eine Strafuntersuchung eingeleitet und die Angelegenheit dem Bezirksgerichte Schwyz zur Behandlung überwiesen.

Durch Urtheil vom 25. April 1891 verurtheilte das Gericht den Rekurrenten zu Fr. 80 Buße, eventuell zu 262/8 Tagen Gefängniß, zur Nachbezahlung der Patenttaxe von Fr. 80, sowie zu den Untersuchungs- und Gerichtskosten im Betrage von Fr. 38. 35.

In seinen Entscheidungsgründen führt dasselbe aus: Die heutige Einrede des beklagtischen Vertreters, dahingehend, daß die vorwürfige Verordnung nicht rechtsgültig sei, weil sie · einerseits der Bundesverfassung (Art. 31) widerspreche und anderseits nicht in Gesetzesform erlassen sei, erscheint als unbegründet; denn die Erhebung von Patentgebiühren ist mit dem Grundsätze der Handelsund Gewerbefreiheit, wie der Bundesrath wiederholt entschieden hat, keineswegs unvereinbar. Uebrigens besitzen fast alle Kantone derartige Verordnungen, und zwar haben diese ihrer Natur nach nicht den Charakter eines Gesetzes, sondern lediglich den eines Polizeidekretes.

926 III. Gegen dieses Urtheil ergriff Herr Gh. Boiceau, Advokat, in Lausanne, Namens Gh. Kreutz den staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrath. In dem Rekursmemorial wird geltend gemacht, daß das Urtheil eine Verletzung der in Art. 31 der Bundesverfassung garantirten Handels- und Gewerbefreiheit in sich schließe und gegen die in ähnlichen Fällen eingehaltene bundesräthliche Rekurspraxis verstoße. Nach derselben können die Handelsreisenden nur dann den Hausirern gleichgestellt werden, wenn sie ihre Waaren Privatleuten anbieten; dagegen sind diejenigen Handelsreisenden, welche sich ausschließlich an Gewerbetreibende wenden, den kantonalen Patentvorschriften nicht unterworfen.

Die Polizeiverordnung des Kantons Schwyz stelle zwar grundsätzlich fest, daß das Aufsuchen von Bestellungen bei einem Gewerbegenossen nicht unter den Begriff des Hausirverkehrs falle; dieselbe enthalte aber weitere Bestimmungen, die den Begriff der Gewerbegenossenschaft so eng fassen, dali aus der Kategorie der Gewerbegenossen eine ganze Reihe Gewerbetreibender ausscheidet, deren Beruf im engsten Zusammenhang steht mit dem Gewerbszweig, den der Handelsreisende vertritt.

Der Schuhmacher könne sein Gewerbe nur ausüben, wenn ihm der Gerber seine Produkte liefere. Es handle sich dabei allerdings nicht um ein Angebot an Kaufleute, die sich mit dem Kleinverkauf von Waaren befassen, welche von Dritten fabiizirt werden, aber um ein Angebot an Handwerker, die die bestellte und gelieferte Waare verarbeiten.

Weil eine Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung vorliege, ersucht der Rekurrent den Bundesrath, zu beschließen, es sei die schwyzerische- Verordnung vom 27. Juli 1887 auf ihn nicht anwendbar, und das Urtheil des Bezirksgerichts Schwyz vom 25. April 1891 zu kassiren.

IV. Die Regierung des Kantons Schwyz, welcher die Rekursbeschwerde sammt den Beilagen zur Vernehmlassung mitgetheilt worden war, übermittelte unterm 12./15. April 1892 dem eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement ein Schreiben des Bezirksgerichts Schwyz, d. d. 9. April 1892. In diesem Schreiben stellt das Bezirksgericht seinen Standpunkt fest wie folgt: Der Rekurrent gibt zu, daß sein Reisender unter Vorweisung von Mustern bei einigen Schuhmaohern in Brunnen Bestellungen auf Leder aufgenommen und daß er die Bestellungen ausgeführt hat. Er bestreitet nicht,
daß diese Schuhmacher keine Verkaufsmagazine zum Verkaufe des Leders in natura halten, welche Thatsache übrigens durch die Untersuchung erwiesen ist. Bestritten ist ebenfalls nicht, daß

927 der Reisende, bezw. Vertreter des Charles Kreutz, kein sehwyzerisches Handelspatent besessen hat. Dies sind nun aber die thatsächlichen Voraussetzungen, welche die Bestrafung des Rekurrenten kraft der kantonalen Hausirverordnung, nach den bezüglichen Strafbestimmungen, nothwendig nach sich ziehen mußten. Der Rekurrent beschwert sich daher auch nicht über falsche Anwendung des Gesetzes durch den schwyzerischen Richter. Er behauptet vielmehr nur, daß die Hausirverordnung selbst, also die Gesetzgebung, gegen die verfassungsmäßig garantirte Gewerbefreiheit verstoße.

Das Bezirksgericht bemerkt, es dürfte nicht schwer fallen, diese Behauptung des Rekurrenten zu widerlegen und nachzuweisen, daß der Bundesrath schon wiederholt die angefochtene Bestimmung der schwyzerischen Hausirverordnung (§§ 6 und 7, Ziff. 1) in Rekursentscheiden geschützt hat, so z. B. im Entscheide vom 7. Dezember 1885 in Sachen der Gebrüder Erlanger in Luzern ; indessen glaubt das Gericht, weil es sich im vorliegenden Falle um die Vertretung fiskalischer Interessen des Kantons handle, diesen Nachweis der hohen Regierung überlassen zu dürfen.

Der Regierungsrath des Kantons Schwyz schließt sich indessen in seiner Vernehmlassung einfach den Ausführungen des Bezirksgerichts an und beantragt Abweisung der Rekursbeschwerde ] in Erwägung: 1. Der Bundesrath hat wiederholt, ganz ausdrücklich in den Erwägungen zu seinem Beschlüsse vom 7. Dezember 1885 in der Rekurssache des Hauses Gebrüder Erlanger, Kurzwaarenhandlung in Luzern, die bundesrechtliche Zuläßigkeit der Verordnungen des Kantons Schwyz über den Markt- und Hausirverkehr, von 1878 und 1887, anerkannt, wonach das Aufsuchen von Bestellungen bei Privaten (Nichtgewerbegenossen) dem Hausirverkehr gleichgestellt und daher der Patentpflicht unterstellt ist und wonach unter Nichtgewerbegenossen alle Personen verstanden werden, die nicht berufsmäßig mit dem betreffenden Artikel Handel treiben, d. h. nicht denselben in natura wiederverkaufen.

So hat der Bundesrath z. B. in dem Falle der Gebrüder Erlanger die Rechtsbeständigkeit eines Strafurtheils der Schwyzer Gerichte anerkannt, durch welches der Reisende des genannten Handelshauses gebüßt wurde, weil er, ohne im Besitze eines Hausirpatentes zu sein, Schneiderinnen in Brunnen in deren Wohnung seine Tuchartikel zum Kaufe angetragen hatte.

So wurde desgleichen vom Bundesrathe am 18. November 1890 angenommen, daß Ferdinand Hurni, Handelsmann in Altdorf,

928 mit Recht zur Lösung eines Hausirpatentes angehalten worden sei, da er im Kanton Schwyz bei Wirthen (Hoteliers) auf Spiegel, Thürvorlagen, Glas- und Porzellanwaaren unter Vorweisung von Mustern Bestellungen aufsuchte.

Denn, erklärte der Bundesrath, diese Auslegung und Anwendung der kantonalen Verordnung tritt nicht über das nach litt, c (seit 1885 litt, e) des Artikels 31 der Bundesverfassung den Kantonen vorbehaltene Rechtsgebiet hinaus.

2. Der Kan f on Schwyz steht mit der angeführten einschränkenden Bestimmung des Begriffes von ,,Gewerbegenossen a in der Schweiz einzig da. Alle andern Kantone betrachten als Gewerbegenossen eines Handelsgeschäftes diejenigen, die den Artikel, unverändert oder verarbeitet, berufsmäßig wiederverkaufen oder ihn in ihrem Gewerbe verwenden.

Im gleichen Sinne wird der ,,Gewerbegenosse"' auch in der Vorlage des Bundesrathes vom 29. Mai 1891 und im Beschlüsse des Ständerathes vom 21. Januar 1892 betreffend das zu erlassende Bundesgesetz über die Patentlaxen der Handelsreisenden definirt, während der Nationalrath in seinem Beschlüsse vom 10. Juni 1892 den Begriff noch weiter faßt, indem er als Gewerbegenossen eines Verkäufers denjenigen ansieht, der des betreffenden Artikels zur Ausübung seines Gewerbes bedarf.

Diese Begriffsbestimmung beruht auf dem Gedanken, daß derjenige kein ,,Hausirer" sei, der seine Wnare nicht von Haus zu Haus anbietet, sondern nur Geschäftshäuser besucht, welche dieselbe zu gewerblichen Zwecken beoöthigen.

3. Der vorliegende Rekursfall, verbunden mit einer Reihe gleichartiger neuerlicher, der Bundesbehörde zur Kenntniß gebrachter Fälle der Anwendung der Schwyzer Verordnung, ist geeignet, zu erweisen, daß der Bundesrath mit dem in seinen frühern Entscheidungen dem Kanton Schwyz gemachten Zugeständnisse zu weit gegangen ist.

Die von Schwyz befolgte Praxis belastet und erschwert den Handelsverkehr in der Schweiz seßhafter Geschäftsleute in einer Weise, wie es sich nur gegenüber dem Hausirverkehr, d. h. gegenüber dem Gewerbebetrieb umherziehender, Haus für Haus absuchender und ihre Waare mit sieh führender Leute, rechtfertigen läßt.

Die schwyzerische Praxis läßt sich in der That mit dem Grundsatze der Handels- und Gewerbefreiheit nicht vereinbaren.

In konsequenter Fortbildung muß sie zu folgenden Resultaten führen:

929 Alle Geschäfte, welche einen Handelsartikel zum gewerbsmäßigen Gebrauch, bezw. Verbrauch anschaffen, sind von der Zahl der Gewerbegenossen des Hauses, das den Artikel liefert, ausgeschlossen ; als solche werden blos die Wiederverkäufer des Artikels betrachtet, und diese auch nur dann, wenn sie denselben in natura (unverändert) wiederverkaufen.

Wenn es aber den Kantonen zukommt, den Begriff eines Gewerbegenossen im schwyzerischen Sinne zu bestimmen, so wird es ihnen grundsätzlich auch nicht verwehrt werden können, unter den ,,Wiederverkäuferntt selbst noch fernere Unterscheidungen zu machen und die Gewerbegenossenschaft nur beim Vorhandensein einer Reihe weiterer Voraussetzungen, wie z. B. der Gleichartigkeit im Umfange, in der Betriebsweise des Wiederverkaufs, anzunehmen. Folgerichtig wird die Eigenschaft von ,,Gewerbegenossen" schließlich nur völlig gleichartigen Geschäften zuzugestehen sein, d. h. denjenigen Geschäften, welche ein Handelshaus in der Regel nicht zu besuchen pflegt, weil es Konkurrenzgeschäfte sind.

Ja, die Konsequenz kann noch weiter führen. Wenn Schwyz auf der betretenen Bahn fortschreiten will, so dürfte es am Ende sich entschließen, nicht blos diejenigen Häuser, welche durch Vermittlung von Reisenden im Kanton Bestellungen aufsuchen, sondern auch diejenigen, welche dies mittelst postalischer Zusendungen (Zirkularen, Katalogen, Preiskuranten u. s. w.), kurzum auf dem Wege schriftlicher Korrespondenz thun, als ,,Hausirertt zu behandeln und durch Erhebung von Taxen bei den Käufern zu Lasten ihrer Korrespondenten (Verkäufer) die Gleichmäßigkeit der Behandlung aller dieser sogenannten ,,Hausirgeschäftea zu erzielen suchen.

Eine natürliche Betrachtung der Verhältnisse wird dagegen in dem zwischen dem Rekurrenten und den Schuhmachern in Brunnen vereinbarten Kaufgeschäfte den Geschäftsbetrieb von Gewerbsleuten, die z u r A u s ü b u n g ihres G e w e r b e s auf e i n a n d e r angew i e s e n u n d d a h e r ,, G e w e r b e g e n o s s e n " 1 s i n d , erkennen.

Daß die sehwyzerische Patentgesetzgebung im Keime die vollständige Negation der Handels- und VerkehrsfVeiheit in sich schließt, welche durch die Bundesverfassung von 1848 von Kanton zu Kanton und durch die Verfassung von 1874 als gemeinschvveizerisches Grundrecht auch im Innern der einzelnen Kantone gewährleistet ist,
bedarf nach dem Gesagten keines weitern Nachweises.

Es ist aber angezeigt, ja rechtlich geboten, solchen Richtungen der kantonalen Gesetzgebung von Bundeswegen entgegenzutreten, beschlossen: 1. Der Rekurs ist begründet. Denn die vom Kanton Schwyz vorgenommene Ausdehnung des Begriffes des Hausirverkehrs auf die

930 Aufsuchung von Bestellungen bei solchen Geschäftsleuten, welche den ihnen zum Kauf angetragenen Handelsartikel nicht als solchen (in natura) wiederverkaufen oder die desselben zur Ausübung ihres Gewerbes bedürfen, verträgt sich nicht mit dem Grundsatze der Handels- und Gewerbefreiheit, wie er durch Art. 31 der Bundesverfassung anerkannt ist.

2. Infolge dessen werden die zuständigen Behörden des Kantons Schwyz eingeladen, die kantonale Verordnung über den Markt- und Hausirverkehr und die Ertheilung von Patenten im Sinne vorstehender Erwägungen abzuändern.

3. Das auf Grund dieser Verordnung gegen den Rekurrenten ausgefällte Strafurtheil wird aufgehoben.

4. Mittheilung dieses Beschlusses an die hohe Regierung des Kantons Schwyz und an den Anwalt des Rekurreuten.

B e r n , den 15. Juni 1892.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Hauser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesrathsbeschluß über den Rekurs des Charles Kreutz, Gerber und Lederhändler, in Orbe (Waadt), wegen Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung (Handels- und Gewerbefreiheit) durch ein Urtheil des Bezirksgerichts Schwyz vom 25. April 1891 betreff...

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22.06.1892

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