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Aus dru Verhandlungen der Schweiz. Bundesversammlnng.

Die gesezgebenden . Rathe der schweizerischen Eidgenossenschaft sind am 1. Juli 1872 zur ordentlichen Sommersession in der Bundesstadt zusammengetreten.

Dex abtretende Brästdent des Ständerathes, Herr Landammann I)r. Heller aus dem Aargau, hielt folgende Erossnungsrede : ..Meine .Herren Ständeräthe . ^ ,, leserlicher Vorschrift gemäss tritt die schweizerische Bundesverfammlung je am ersten Montag des Heumonats zur ordentlichen Simung zusammen, um die an sie gelangten oder uoeh einlangenden Geschäfte zu exledigen, oder nach Massgabe der Umstände auch anders über deren Behandlung zu versügen.

.,Jeh heisse Sie in der Bundesstadt nach alteidgenossiseher Weise von Herzen willkommen ^ ,,Es ist nicht leere hergebrachte Uebung, es ist Bedürfniss und Bflicht, dass die Vertreter eines Volkes, wenn sie zur Berathung der Angelegenheiten ihres Landes sich versammeln, jeweilen Umschau halten nach den Augurien der Zeit, um in denselben die Offenbarungen einer hohexen Leitung zu lesen und um zugleich das Bewusstsein der Wege und Ziele des Fortschrittes zu gewinnen. dem sich kein Volk entziehen kann, und der so sehr in der Absieht und Rothwe..digkeit des providentiellen Weltlaufes liegt, dass überall und zu allen Zeiten die Gegner ebenso, und oft noch mehr, als die Freunde seiner Forderung dienen.

,,Wir lieben es, unser liebes Vaterland im erhabenen Schoosse der Alpen die Hochburg europäischer Volksfreiheit zu preisen.

..Aber schauen wir hin und vergessen wir es uicht, wie von den Kämmen des Jura bis in Hoch-Rhätien hinaus hunderte, vordem stolzer Burgen in bereits vergessenen Krümmern liegen, weil ihre Herren die Zeichen ihrer Zeit nicht erkannten und sie ost trozig selbst veralteten l .,Aueh unsere Hochburg, troz ihrer Wälle uud Wallgräben, würde demselben Gesehike nicht entgehen, wenn ihre Bewohner die gleiche Sünde am Geist der Zeit begingen.

,,Und welches sind heute die Zeichen der Zeit? Was ist die Losung der heutigen Welt?

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"Wie ein Sturm der Bfingsttage geht der R^s über Länder und..

Meere, über Führer und Volker: Licht, Freiheit und Fortschritt des Geistes l - Humanität und höhere Gesittung der Menschheit vom Anf^ gang bis ^um Riedergaug l - Einigung der Nationen in sich und Krästiguug ihrer Weltstellnng l .-.- Verbrüderung der .Volker im Verkehr zur gemeinsamen Wohlfahrt l --- Verbindung und Assoziation aller gottlichen fräste im Menschen zu Wundern von Schöpfungen jeder ^lrt^ -- Emanzipation der Gegenwart aus den banden veralteter Rechte und überlebter Verhältnisse . - Ueberall Kamps einer neuen Zeit mit der alten Welt, der Zn.^nnft mit der Vergangenheit, des Fortschrittes mit dem Stillstand und dem Rükschritt, ans .Leben und Tod l -.-^ Und im Vorkampfe der Volker steht der verjüngte Reichsadler Barbarossas mit den alten Raben vom neuen .^..sfhäuser diesseits und jenseits der

Alpen l

,,Wie hätte, hochgeachtete Herren Kollegen, in diesen Grnndwellen

und Brandungen der Zeit die Schweiz, die für alle Vnlsschläge des politischen und sozialen Lebens so empfindliche Republik, rnhig und von ihnen unberührt sein könnend

"....'.ach Recht und Volkerpflicht habeu daher auch wir den Rns der Zeit vernommen. Wir haben ihn erwiedert mit dem Versuch^ einer umfassenden fortschrittliehen Bundesrevision, die, zwar nicht angenommen, aber nur wegen Missverständnissen verschoben, zur Stunde noch unerledigt aus der Tagesordnung steht. Mittlerweile haben verschiedene

Kantone gleichwohl das Bedürsniss fortschrittlicher Ausbildung ihrer politischen Verhältnisse anerkannt und dazu einleitende Schritte gethan.

Und in den lezten Tagen hat das .Land die Kunde vernommen : Es fei am Riesenbau des St. Gotthard der erste Hammerschlag gesallen.

,,Hoffen .vir, ^ass alle ^efe Antworten auf den Rnf der Zeit, wie hoffnungsreich begonnen, so anch zum guten Ziele gebracht und zum Glül. des gemeinsamen Vaterlandes gelost werden l Hoffen wir, dass die begonnene Bundesrevision aus dem Wege ihrer weitern Entwiklung keine Rükschritte mache, sondern dass die ihr entgegen stehenden

Schwierigkeiten, durch bundesbrüderliche Verständigung, gerechte Würdi-

gung der Ansichten^ gegenseitiges Zutrauen, im ^inne des Fortschrittes und allgemeiner Wohlsahrt überwunden werden l Hoffen wir, dass. die von einzelnen Kantonen angebahnten Revisionen ihren Versassungen und Gesezgebungen pon jenem vaterländischen Rationalsinne geleitet und getragen werden, der auch die Mitstände zum gleichen Fortschritte hin^ zieht, ^ so dass, wenn Sehasfhausen revidirt, im Lichte seines Fortschrittes auch die Sterne von Wallis^und Aargau mit erglänzen l Hoffen .wir, dass die Oeffnung des Felsenthores dureh den alt^u^ Granit des Gott.hard nicht nur erhöhten Verkehr und Wohlstand, sondern auch mehr

.^09 ..^..icht, freiere Ansichten und sozialere Lebenslust in unsere ...^auen und Thäler sühre l -^ Dann, meine Herren Ständeräthe, hat aueh unser Vaterland, in diesen Tagen von Sturm und Drang, glükliche Anfänge zu grossen, segensreichen Dingen gemacht, und die ..tugurien der Zeit verstanden.

,, Hochgeachtete Herren .Kollegen l Die Traktanden unserer dermaligen Session dürsten uns voraussichtlich nicht zu lange in Anspruch nehmen. Reben dem Geschästsberichte find es in erster .Linie die drei ^..esezesentwürfe über den Bau und Betrieb der E i s e n b a h n e n , die eidgenossischen W a h l e n und A b s t i m m u n g e n , und die W a h l e n in d e n N a t i o n a l r a t h , welche von allgemeinster Bedeutung sind, und im Hinblik aus ihre hoheren nationalen Beziehungen und Bexechtigungen eine sorgfältige Würdigung erfordern.

,,Meine Herren .Kollegen l Jch trete heute von der Leitung Jhrex Verhandlungen zurük. Bevor ich aber diesen Ehrenstuhl Jhrer Behorde verlasse, erlauben Sie meinem Herzen noch einige Worte, die ich Jhnen und Jhrer hohen Behorde nicht schuldig bleiben darf .

,,Man hat^ auch den schweizerischen Ständerath, weil ex in seiner Mehrheit den vom Volk und den Kantonen verworfenen Entwurf der Bundesrevision angenommen hat, ossentlieh des Versuchs der Korruption

beschuldigt. Jch erkläre, dass mein Herz in meinem vierzigjährigen

offentlichen Leben nie von einem tiesern Schmerz getroffen worden ist.

Jch bin den Revisionsverhandlungen Jhrer Kommission, deren Mitglied ich zu sein die Ehre hatte, ich bin auch unausgesezt den Revisionsver. handlangen Jhrer Behorde selbst aufmerksam gefolgt, und ich darf vor meinem Gewissen bezeugen, dass ich weder im Ganzen noch im Einzelnen eine Wahrnehmung gemacht habe, welche Jemand, vor ...nserm Vol... wie vor dem Ausland, zu einer so schweren Zulage berechtigen konnte. Jch lehne dieselbe als unbegründet offentlich und feierlichst von der Behorde ab.

,,.^efsentliche Stimmen von anderer Seite haben dem Ständerath aus der Verwersung der Bundesrevision und den damit zusammenhängenden Bersonaländerungen ^ein Vrognostikon gestellt, dessen Erfüllung zugleich das lezte Verhängn.ss der ..Behorde wäre. Der schweizerische Ständerath hat durch .seine bisherige Haltung niemals zu dergleichen Befürchtungen .^lnlass gegeben . und die Männer, welche auch sortan in der Behorde fizen, werden jederzeit so gute, so einsichtige, in ihren.

Entscheidungen so massvolle, der wahren Jnteressen des Kantonalismus so bewusste Eidgenossen sein, dass es sicherlich verfrüht ist, bereits über die Zukunft der Behorde ^u richten und sie je^t schon vor der Verficht zu verurtheilen.

810 ,,Sehliesslich, hochgeachtete Herren Kollegen, bitte. ich Sie, wieder^ holt meinen herzlichen Dank für die mir so vielfach bewiesene Nachsicht mit meiner Bräsidialleitnng entgegen zu nehmen. Jhre kollegiale Freundsehast wird mir ein unvergeßliches Andenken bleiben.

,,Jeh erkläre hiemit die ordentliche Sommersizung des schwererlschen Ständerathes vom Jahre 1872 für erossnet.^

Die Bestellung der Büreaux^ beider Räthe fand in folgender Weise

statt :

1) R a t i o n a l s t h.

Präsident:

Hexx Charles Fr i d e r ich, Staaatsrath, von und in Gens ; Vizepräsident : ^err Daniel Wirth..Sand , Grossrath und Präsident des .......erwaltungsrathes der Vereinigten Seh.veizer^ bahnen, von und in St. fallen.

Stimmenzählex : Herr Joh.. Baptist G a u d ^ , eidg. Oberstlieutenan.., von und in Rappersweil (St. Gallen) , ,, Charles B a u d , Bataillonskommandant, von

und in Apples (Waadt),

,, ,,

Präsident:

Karl Z ^ r o , Grossrath und Fürsprecher, von und in Thun ^ Ludwig W i r s e h , Landammann, von und in Buoehs (Ridwalden).

2) S t ä n d e r a t h .

Herr Karl^Kappeler, Präsident ^des sehweiz. Schul-

rathes, von Frauenseld, in Zürich , Herr Jnles R o g n i n , Grossrath, von und in .^verdon (Waadt).

Stimmenzähler: Herr Easpar Jean Z u r l i n d e n, ^ürspreeher, von und i.^ Eau^Vives (Gens) ; ,, Heinrich .... t a m m, Staatsanwalt, von Thahnge..., in Sehafshausen.

Vizepräsident:

Jm R a t i o n a l r a t h e ist als neugewähltes Mitglied erschienen: Herr Johannes G e e l , Kantonsrath und ^ürspreeher, von und in Sargans (St. Gallen), gewählt vom .^...^. eidg. Wahlkreise am 2. Juni 1872, in Erseznng des am 19. Februar gleichen Jahres verstorbenen Hrn. Oberst B e r n o l d .

^11 Drei Nationalräthe sind für den Rest der laufenden Amt....pe...i.^de nicht mehr ersezt worden, nämlich die Herren .

.^r. Jule.^ Bietet de la Rive (Genf)^, ^estox.^n den 15. ..l.^rz 1^72, Ludwig W ^ ss (Bern), ,, " 1..). April ,,

Franz Bünzli (Solothurn),

,,

,, 23. ,,

Jm S t ä n d e r a t h e erschienen folgende neue Mitglieder. : Für Glarus: Herr Riklaus ... s eh u d i , Med. Dr. und ^erieht^Präsident, von und in Glarus.

,, St. Gallen: ,, Gustav Adolf S a x ^ e r , Grossrath und Bankdirektor, von und in St. Gallen.

,, Graubünden: ,, Jakob Ulr.ch K ö n z , Alt-Regierun^srath, .^on und in Guarda.

,, Hessin: ^ ,, Baolo M o r d a s i n i , Grossxath und ^ldvo^t, von Eomologno, in .Loearno.

,, Reuenburg: ,, Mareelin J e a n r e n a ud, Alt-Staatsrath, ...on Travers, in Reuenburg.

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