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Bundesrathsbeschluß im

Sachen des Rekurses der Frau Elisa Kuller, geb. Nigg, in Rorschach, betreffend Gerichtsstand der Betreibung.

(Vom 2l. Juni 1872.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h hat

in Sachen der Frau Elisa M ü l l e r , geb. Rigg, in Rorschach, Kts. St. Gallen, betreffend Gerichtsstand der Betreibung ; nach angehortem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements unb nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben :

L Jm Jahr 1869 fiel der damals in Jgis, Kts. Granbünden, wohnhaft gewesene Salomon Müller von Wülflingen, Kts. Zürich (Ehemann der Rekurrentin), in Konkurs, wobei mehrere Gläubiger zu Verlust kamen.

.Später zog die Familie Müller nach Rorsehach, wo die Ehefrau.

Müller gemeiuschastlich mit ihren Geschwistern in Folge Ablebens ihrer

Mntter Anna Ehristina Rigg, die in Maienseld, Kts. Graubünden, wohnhaft war, eine Erbschast machte. Diese Erbschaft bestand wesentlich in Grundeigenthum, das in der Gemeinde Maienseld liegt.

Jn Folge dessen erwlrkte Buchhändler H i ss in Ehur, welcher im Konkurse des Ehemannes Müller zu Verlust gekommen war, am 17. Mai 1870 durch das Kreisamt Maienseld einen Sequester auf

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den Erbantheil der Frau Müller, geb. Nigg, und es folgen im Oktober 1871 noch drei andere Gläubiger des Ehemanns Müller mit gleichen Sequestern.

.IL Jnzwifchen wurde am 1..). April 1871 das den Geschwistern Nigg angefallene Heimwesen pon dem von ihnen bestellten Kurator.

.Hrn. Ratsherr Anton Büfch in Maienseld, an Joh. Jakob Rigg, Stationsverwalter in Horn . Kts. Thurgau , verkauft. Dieser verpflichtete sich in den. betreffenden Kaufsakte, die Kaussnmme au die Erbmasse auszubezahlen, und bestellte einen Bürgen und Selbstzahler in der Verson des Weibels Christian Rigg in Maienfeld, welcher in dem Bürgsehein gleichfalls anerkannte, dass das Recht aus die Kaussumme der Erbmasse vorbehalten sei.

Znr Versallzeit zahlte jedoch der Kaiser, Joh. Jakob Rigg, die Kaussumme nicht an den Kurator der Erbmasse, dagegen legte ex diesem eine Bescheinigung vor, dass er unterm 1. Dezember l 871 das

Erbbetresfuiss der Elisa Müller, geb. R.gg, ihrem Schuzvogte, Hrn.

Albert Eurti in Rorschach, mit Fr. 1240. 05 nebst Zinsen feit April 1871 ausbezahlt habe. Hierauf sah sieh der Massaverwalter Büsch veranlagt, mit Pfandbot vom 8. Januar l 872 den Bü.gen und Selbstzahler, Christian Rigg, für die gleiche Summe zu betreiben.

.l.IL Mit Eingabe an den B..ndesr..th vom 23. Januar 1872 führte nun Hr. Fürspreeher Hoffmann in St. Gallen, Rame..s der Frau Elisa Müller, geb. Nigg, sollende Beschwerde : Rach dem Rechte des Kantons Graubünden stehe dem Bürgen,

. Christian Rigg, keinerlei Mittel zur Zahlungsverweigerung zu Gebot.

Natürlich werde derselbe nach geleisteter Zahlung auf den Hauptschuldner, Joh. Jakob Rigg, und dieser auf die Rekurrenliu zurükgreifeu. Auf Diesem Wege wolle das Vermögen der leztern in deu Kautou GrauBünden gezogen werden, wo die Konkursgläubiger ihres Mannes aus dasselbe zu greifen beabsichtigen. Hierin liege aber eine Umgehung des Art. 50 der.Buudesverfassuug. Elisa Müller, geb. Rigg, habe nämlich die gesezliche Niederlassung in Rorschach. Sie sei serrer mit Zustimmuug ihres Mannes vom dorligeu Waiseuamte unter Vormundschaft gestellt wordeu, und es sei gegenüber ihrem Manne die GüterTrennung vollzogen. Jn Folge dessen xepxäsentixe sie eine selbstständige, von derjenigen ihres Ehemannes vollig getrennte, rechtliche Bersouliehkeit . und konne, als ausreehtstehende Bürgerin, sür Ansprachen, welche gegen sie erhoben werden wollen, nur vor dem Gerichtsstande ihres Wohnortes belangt werden.

Uebrigens sei nach dem Verkaufe des fraglichen Heimwesens jedem der Erben sein Antheil aus dem Erlose in einem Theilungskte ausBemittelt und zugeschrieben worden. Jn Folge dessen sei der Schuz-

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Hr. Fürsprecher Hofsmann s.hloss mit dem Gesuche, es mochte erkannt werden, dass Frau Elisa Müller, geb. R.gg, von den Konkursgläubigern ihres .Mannes nur an ihrem Wohns^e belaugt werden konne ^ ferner mochte die gegen den Bürgen Ehristian Rigg angehobene Betreibung kassirt, eventuell in dem Falle, dass der ledere ^ur Zahlung angehalten werden könnte, verfügt werden, dass auf den daherigen B.^ trag keinerlei Arrest u. dgl. gelegt und keine Betreibung erhoben werden dürfe.

.lV. Mit einer nachträglichen Eingabe vom 6. Februar 1872 theilte Hr. Fürsprecher Hoffmann noch mit, dass seit der Einreichung des Rekurses der Käufer des fraglichen Heimwesens den auf seinen Bürgen betriebenen Betrag bei dem ..^tadtvogteiamte Maienseld auf Recht hin deponirt habe. Dagegen habe nun Hr. .^....chhändler ^.i^ in Ehnr für seine Konknrssordern..g ans den Erbtl.e.l der Frau Müller,

geb. Riga., in Maienseld die Betreibung angehoben. Diese Betreibung

sei aus den bereits in der ersten Eingabe angeführten Gründen unstatt^ hast . es werde daher das Gesuch gestellt, dieselbe aufzuheben.

V. Mit Schreiben vom 24. A.^ril sandle die . Regierung von Graubünden die nachfolgenden Antworten ein : A. Antwort des Massaknrators, Hr... Auton Büsch, mit Eingabe

vom 1^. Marz 1872:

Unterm 12. April 1871 sei bei einer Versammlung der Erben der Elastina R.gg die Veräußerung des fraglichen Heimweseus beschloffen und ihm die fernere Liquidation der Erbschast übertragen wordeu. .Run sei ihm, als Massakurator, schon am 17. Mai 1870 und neuerdings im Oktober 1871 vom .^reisamte Maienseld bei personlicher Verantwortung befohleu worden, dafür zu sorgen, dass das Erbbetresf..iss des ^alomon Müller nicht zum Rachtheile derjenigen, von^ welchen ^ diese Befehle, resp. Arreste erwirkt worden, in dritte

Hände gelange. Am 1.). April 1871 habe einer der Miterben, Hr.

Joh. Jakob Rigg, die Liegenschasten gekanft und sei dadurch schuldig gewordeu, aus 1. Rovember 1871 die .^aufrestanz mit ^r. 6185. .)^ zu bezahlen. Als der Versalltag gekommen, habe ihn jedoch derselbe ersucht, den Zahlungstermin ans 1. Dezember 1871 hinauszuschieben, was ihm gestattet worden sei. Am 2.). Rovember sei dann aber die ^chuzvogtsehast über die Frau Müller verhäugt und dann ihr Betresfniß an sie direkt bezahlt worden. Da in dieser Weise der Hauptschuldner

240 ^ene Arreste zu umgehen versucht, so habe er (Büsch) fich als verpflichtet betrachtet, den betreffenden Betrag bei dem Bürgen und Selbstzahle...

flüssig zu machen. Er habe nm so mehr im Sinne jener Befehle gehandelt, als der Hauptschuldner und dessen Bürge sich verpflichtet gehabt, nur an ihn zu zahlen, und somit einzig dnrch die Zahlung an ihn haben befreit werden konnen.

Diese Pflicht des Käufers ^ und des Bürgen, an ihn zu zahlen, habe durch die Schu^bevogtung der ^rau Müller und durch die Gütertrennung zwischen den Eheleuten Müller nicht geändert werden konneu. Zudem sei die .^chu^evo^ng erst nach jenen Befehlen, nämlich erst am 2..). .November 1871 erfolgt und publiât worden.

B. Ueber^ die in Maieuseld gegen Salomon Müller geführte vom 24. Februar 1872 folgende Aufschlüsse :

Betreibung gab der Gantrichter des dortigen Kreises mit Schreiben

Am 10. November 1871 habe Hr. Handelsmann J.^Laeri in

Maienseld für einen Betrag von Fr. 130. 29 Rp. bei ihm das ^chäzuugsbegehren gegen Müller gestellt.

Zwei weitere Betreibungen seien am

16. gleichen Monates von Georg Büseh und J. B. Rigg in Maienseld,

von ersterm sür eine Forderung von ^r. 223 und von lezterm sür eine Forderung pon Fr. 44 ^ verlangt worden. Da die Betenteu sich hiebet aus einen kreisamtlichen Semester aus einen dem Schuldner ange.^ fallenen Erbtheil aus der Erbmasse Rigg gestüzt haben, so habe er ihnen entsprochen und sodau.^ am 14. Dezember 1871 die S.h.^ung vorgenommen.

Am 19. Januar 1872 sei ihm ein weiteres Schäz..ugsbegehren von Hrn. L. Hi^ in Ehur sür eine Forderung von ^r. 1900 eingelangt. ^alomon Müller hal..e jedoch das daherige Vfandbo^ bestritten, wesshalb Hr. L. Hi^ ein Gantgericht verlangt habe, von welchem der Schuldner am .^. Februar 1872 i..... coutum^.^^m ^..r Zahlung verurtheilt worden sei. Die Absendung des Urtheiles sei indessen nach Einlangung des Rekurses verschoben worden.

Diesen Eroberungen fügte der Gantrichter noch bei, er habe die erwähnten Betreibungen erst augehoben, nachdem er bei dem Kreisamte Maiensel^ sich erkundigt, ob das Betreibungsversahren ^.läss^ sei.

Seine Einsrage sei bejaht worden, weil Müller und ^eine ^rau Konknrsiten seien, somit aus Vermogen derselben rechtsgültig ein Arrest habe gelegt werden konnen.

C.

Hr. Advokat J. L. Eaflisch in Ehnr gab Ramens des Hrn.

.L. Hi^ daselbst und der übrigen betreibenden Gläubiger des Ehe-

maunes Müller eine vom 28. ^ebruar 1872 datirte Antwort ein, in welcher aus die Abweisung des Rekurses geschlossen wurde, gestüzt

aus folgende rechtliche Gesichtspunkte :

^

241 Rach graubündischem Rechte, weiches hier massgebend sei, sei die fragliehe Erbschaft dem Ehemann Müller und nicht seiner Frau zugefallen .^ die lettere habe mit Bezug auf iene Erbschaft keine Dis..

positionsrechte erworben . ferner sei nach ^graubündischem Rechte nicht nur Salomon Müller Konkursit, sondern es sei auch dessen Ehefrau als Konknrsitin zu betrachten. Run a^...lisizire sich der im Mai 1870 von Hrn. Hit^ ausgewirkte, am 24. Januar 1872 erneuerte Befehl,

sowie die von den übrigen Konkursglänbigern des Müller im Oktober

1871 erwirkten Befehle als formliche Arreste. Dieselben seien, weil gegen einen Falliten gerichtet, zulässig gewesen. Durch diese Arreste sei nach Art. 29 der Eivilprozessordnung des Kautons Graubünden, sowie nach ^ 4 des Schuldbetreibungsgese^es ein fornai arresti sür den Schuldentrieb begründet worden. Uebrigens hätte Salomon Müller, resp. dessen Ehesrau, gegen das eingeschlagene Verfahren zunächst die im graubüudisehen Geseze porgesehenen Rechtsmittel zu ergreifen und zu erschopsen, bevor ein Rekurs an die Buudesbehorden erhoben werden konnte.

Die im Kanton St. Gallen vorgenommene Gütertrennung uud^ die Bevormundung der ^rau Elisa Müller berühren die graubündischen Behorden nicht. Diese Massnahmen haben auch an den durch die Arreste begründeten Rechtsverhältnissen nichts ändern kennen, weil, abgesehen davon, dass jene Arreste der Zeit nach der Gütertrennung und Bevormundung vorausgegangen, das ganze jez.ge und zukünftige Vermogen der ^rau sur alle vor der Gütertrennung von dem Ehemanne kontrahirten Schulden haste. Uebrigens sei es unrichtig, dass die einzelnen Erben für ihre Erbbetrefsnisse an ^en Däuser des fragliehen Heimwesens angewiesen worden seien. Dieser habe laut Kaufpertrag nur an den Massakurator rechtsgültig zahlen konnen.

Jn E r w ä g u n g : 1) Anf den Art. 50 der Bundesverfassung kann sich nur der ausrecht stehende Schuldner mit festem Wohnsiz berufen, der verlangen darf, dass er sür persönliche Forderungen vor dem Richter seines Wohnortes gesucht und dass nicht anderwärts Arreste auf seiu Vermogen gelegt werben. Bestimmungen kantonaler Geseze über den Gerichtsstand des Arrestes, insoweit sie mit Art. 50 drr Bundesverfassung im Widerspruche stehen, haben im interkantonalen Rechtsverkehr keine verbind-

liche Kraft.

2) Dagegen liegt es nicht im Zweke des zitirten Art. 50, den Gläubiger in einen rechtlosen Zustand zn versehen. Jst der Schuldner insolvent, so kann der Gläubiger die weitere Exekution des erhobenen Reehtstriebes da verlangen, wo der Schuldner Vermogen besizt, zumal wenn die Forderung liquid und unbestritten ist, wie im vorliegenden Falle, wo e ni gerichtliches Konkursverfahren die Zahlnngsunfähigl^eit des Schuldners und die Rechtmässigkeit der Forderungen hergestellt hat.

Es wird also keine streitige Sache dem natürlichen Richter entzogen.

422 3) Die Erbschast ist im Kauton Graubüuden angesallen und nach dortigen Gesezen zur Vertheilung gekommen, nach welchen de.. Theil, welcher derRekurrentin angewiesen wurde, in die Dispofitionsbesugniss des konknrsirten Ehemannes überging uud sür dessen Schulden zu hasten hat.

Wenn dann spater die ^rau Müller an ihrem Riederlassungsorte im Kanton St. Galleu unter .^ormuudschaft gestellt und die Gütertrennung gegenüber ihrem Manne vollzogen wurde, so ist sie allerdings von diesem Zeitpunkte an in eine von derjenigen ihres Mannes getrennte rechtliche Stellung getreten. Dieses Verhältniss ist aber erst e.ugetreten, nachdem die graubündnersehen Kreditoren durch Arrestl^g..ug ...nd Betreibung bereits bestimmte Rechtsansprüche an das dor.. liegende Vermogen erworben hatten. Es kann also die erst na.htraglich ver^ hängte Bevormundung und Gütertrennung keine rükwirkeude Krast aus bereits gegründete Rechtsverhältnisse ausüben.

4) Endlich kommt. noch der besonders zu beachtende Umstand hinzu, dass der Miterbe uud Kaufer, Joh. Jakob Rig^ ans 1. ^ovember l 871 die versprochene Kauss^ahlung hätte leisten sollen, dass ihm aber aus sein besonderes Verlangeu eine Hinausschiebuug des Zahlungstermins aus 1. Dezember bewilligt wurde. .....un sällt aber gerade in diese Zwischenzeit die Bevormundung der Rekurrentin, so dass der Käufer dann am besagteu Tage die Bescheinigung vorweisen konnte, er habe den der Elisa Müller treffenden Theil direkt an deren Vogt bezahlt. Mit diesen Vorkehren hat mau offenbar bezwekt, eine Aenderung in der .Rechtsstellung der Parteien zu bewirken ; b e sch.l o s s e n : 1. Es sei der Rekurs als unbegründet abgewiesen.

2. Dieser Beschluß ist der Regieruug des Kautons ^ Graubünden zuhanden des Gautrichteramtes in Jenins, des .^rn. Advokaten Eaflisch in Ehur, als Anwalt der Reknrsbeklagten .^it^ und Konsorten, und des Hrn. Anton Büsch in Maienseld, Liquidators der Masse von J. und Ehristian Rigg einerseits, und andererseits dem .^rn. Fürsprecher Hoffmann in .^t. Gallen, als Anwalt und zuhandeu der Rekurre^tiu, ^rau

Elisa Müller, geb. Rigg, in Rorschach, unter Rüksendung der ulkten

mitzutheilen.

B e r n , den 21. Juni 1872.

Jm Ramen des schweizerischen Bundesrathes,

Der B u n d e s p r ä s i d eut: .^elti.

Der Kanzler der Eidgeuo^sensehast :

Schiel

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Bundesrathsbeschluß im Sachen des Rekurses der Frau Elisa Müller, geb. Rigg, in Rorschach, betreffend Gerichtsstand der Betreibung. (Vom 21. Juni 1872.)

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07.09.1872

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