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Schweizerisches Bundesblatt

..^V. Jahrgang. LL.

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6.Juli 1872.

Bundesratbsbeschluß in

Sachen des Rekurses des Hrn. Julius Wyler von Oberendingen, betreffend Doppelbesteurung.

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(Vom 8. April 1871.)

schweizerische

Bundesrath

hat

in Sachen des Hrn. J u l i u s W y l e r , Handelsmannes, von Ober- Endingen, kts. Aargau, wohnhast in Luzern, betreffend Doppelbesteurung .

nach angehortem Berichte des Justiz- und Volizeidepartements und nach Einsieht der Akten, woraus sich ergeben : L Gegen Ende des Jahres 1855 nahm Rekurrent die Riederlassuug in der Stadt Luzern. Bei diesem .Anlasse stellten er und sein Bruder Sigmund Whler , zu Gunsten der Vorsteherschast von Ober..

Endingen, folgende Erklärung aus: ,,Die Unterzeichneten geben andurch die Verpflichtung , zu alleu Zeiten und unter allen Umständen , wo dieselben sieh aueh aushalten oder niederlassen, ohne irgend welche Einwendung die Gemeindesteuern, welchen Ramen sie auch tragen mogen, wie jeder hier wohnende Eorporationsgenosse, zu bezahlen."

1L Gestüzt auf diese Urkunde klagte die Vorsteherschaft der Gemeinde Ober-Endingen am 17. September 186.) vor dem Bezirksgerichte Luzeru gegen den Rekurrenten folgende Steuersorderungen ein :

BundesbIatt. Jahrg. XXI^. Bd. It.

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7l0 a. Antheil an die Abbezahlnng der Gemeinde-

schulden .

.

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. Fr. 109. .l 2 Rp.

Zins und Martins . . . .

, , 2 9 . 43 ,, b. Rükständige Steuerschuld laut Erstanzenrodel des Säkelamtsverwalters Hrn. Groner^. ,,

c. Armensteuer pro 1866 .

.

Armen- und Eultnssteuer pro 1867 Gleiches p r o 1868 . . .

.

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94. 12

^

21. 88 ^ 25. 21 20. 40

Sa. Fr. 300. 16 Rp., nebst Fr. 9. 85 Rp. für Betreibungskosten und Bortoauslagen.

111. Hr. Julius W.^ler anerkannte jedoch nur die Armenstener, und bestritt die übrigen Forderungen, indem er behauptete, dass der erwähnte Verpfiichtungsakt von Anfang an ungültig gewesen sei. Derselbe sei den Brüdern W.^ler abgenothigt worden, indem man ihnen die nothigen Ausweisschriften so lauge verweigert habe,^ bis er von ihnen unterzeichnet worden sei. Da er, Hr. Julius W^le... , erwiesenermassen die Gemeinde- und Eultnssteuern in Luzern bezahle , so könne er im Aargau zu denselben .Leistungen nicht angehalten werden.

Mit Unheil vom 4. Februar 1870 wies das Bezirksgericht von Lnzern die Klage der Gemeinde Ober-Endingen ab, weil die .^tenern nicht Gegenstand von privatreehtlichen Vertragsverpflichtnngen sein können.

Ueberdies scheine der fragliche Akt in der Voraussezung ausgestellt worden zn sein, dass die Herren W^ler anderwärts dieselben Steuern nicht bezahlen müssen, wäl.rend der Beklagte nachweise, dass er in Luzern die Bolizeisteuern bezahlen müsse und diese Steuer Alles enthalte, mas die klägeriseh.. Forderung , soweit s.e von Hrn. W..ler nicht anerkannt werde, in sich begreife, somit eine unzulässige Doppelbesteurung einge-

klagt sei.

1V. Die Vorsteherschast von Endingen appellile an das Ob^rgeriet des Kantous Lnzern. welches am 6. Juli 1870 den Hrn. W.^l.er

grunds.^lich znr Bezahlung der eingeklagten Steuern schuldig erklärte, und nnr die Restanz laut dem Gronerischen Rodel ausnahm, weil dieser Betrag nicht als bewiesen erscheine.

Den Hauptentscheid stüzte das Gericht aus folgende^Erwägunge.. : Die Einrede der Doppelbesteurung sei unbegründet. Die ^ur

bundesräthlichen Eognition gelangten ^älle von Doppelbestenrung , bei welchen ein Niedergelassener der Steuerhoheit zweier Kautone habe unterworsen werden wollen, seien nämlich mit dem vorliegenden Falle nicht analog , denn in diesem werde nur die luzernische .Steuerhoheit ange-

rnfen, hingegen die Pflicht des Hrn. Jnlins W^ler, an die öffentlichen Ausgaben einer aar^auisehen Gemeinde

beizutragen , nicht

aus das

7.11 .^aarganisehe Gesez , sondern ans ein spezielles Versprechen desselben gegründet. Ebenso unterscheide sich diese Verpflichtung wesentlich von einem unerlaubten Stenervertrage zwischen einer .gemeinde und einem Steuerpflichtigen. Ein Versprechen solcher Art, durch welches ein Bürger

freiwillig zu Geldleistungen an eine Gemeinde sich verpflichte, zu welchen

er gesezlich nicht angehalten werden konnte, ^sei ein^privatrechtlich erlaubter und sogar ehrenvoller Willensakt . es sei daher mit der Aeeeptation des fraglichen Versprechens ein verbindlicher Vertrag entstanden.

Die hiegegen geltend gemachte Einrede der Erpressung sei unbegründet, indem ein Beweis hiefür nicht erbracht und eine Drohung, wie sie behauptet werd^e, nicht geeignet sei, einen Zwang auszuüben, .da dem Hrn.

W^ler der Rekursweg au die höheren Verwaltungsinstanzen und nöthigenfalls an die Bnndesbehorden ossen gestanden wäre. Endlich ..konne ^ Hr. W.^ler au^h mit seiner ^erst in der Duplik erhobenen Einrede, dass er bei der Ausstellung jenes Aktes noch minderjährig gewesen sei, nicht gehört werden, indem diese Einrede ua.h ^ 9.) des luzernischen Eivil.Rechtsversahrens verspätet angebracht uud zudem nicht erwiesen sei.

V. Mit Eingabe vom 13. Dezember 1870 erhob nnn Hr. Julius W^ler gegen dieses Urtheil bei .dem Bundesrathe Beschwerde, und stellte das Gesuch um Anfhebnng desselben, indem er geltend machte: Die Annahme, dass die Ausstellung der fraglichen .^erpflichtungsurkunde ein freier Willensakt gewesen, sei eine irrige. Wenn nämlich ein aargauischer Jsraelit noch im .Jahre 1855 ausserhalb den Gemeinden Endiugeu und Lengnau sich habe niederlassen wollen , so habe er nach ^ 61 des aargauischen Gesezes über das Riederlass^.ngswesen vom

7. .^ai 1846 hiezu einer besondern Bewilligung der Regierung be-

durst, welche Bewilligung er nur ans eine ausdrükliche ^Empsehlung^ der israelitischen Vorsteherschast seiner Gemeinde erhalten . habe. Eine^ solche sei aber, wie allgemein bekannt, nur .erhältlich gewesen, wenn der Betretende sieh verpflichtet habe , an seine Heimatsgemeinde, troz der Niederlassung an einem andern Orte, auch künstig die Steuern leisten zu wollen. Es sei begreiflieh, .dass gegen eine Weigerung von Seite der Vorsteherschast , eine solche Empsehlung auszustelleu, kein Rekursweg osfen gestanden, denn es konne Niemand zu einer Empsehlung ge-^ zwungen werden. --- Der fragliche Verpflichtnngsakt sei daher , al.^ durch einen Zwang entstanden, rechtlich ungültig, zumal der Rekurrent bei der Unterzeichnung desselben noch minderjährig gewesen sei. Er ^sei

die Folge der damaligen staatlichen Stelluug der Juden ; durch die seither ersolgte Emanzipation der leztern seien auch die vorher unter jenen drükenden Zuständen erzwungenen Verpflichtungen als ausgehoben zu betrachten. Jedensalls könne die dem össeutlichen Rechte entgegenstehende ^teuerverpflichtung nicht zu Recht bestehen. Es liege auch wirklieh eine Doppelbesteuerung vor, die nach dem eidgenössischen Rechte

unzulässig sei.

712 V.l.. Jn ihrer Antwort vom 21. Dezember 1870 beantragte di..^ .Regierung von L..zern, gestüzt ans die Motivirung des obergericht^iche^ Urtheiles, die Abweisung der Rekursbeschwerde, indem die Einrede, dass die betreffende Verpflichtungsurkunde durch Erpressung entstanden sei, als eine rein eivilrechtliche, nicht in die Eognition der Bundesbehorden falle, und indem von einer nach dem Bundesweite unzulässigen Doppelbesteurung nicht die Rede sein könne.

Jn

Erwägung:

^ 1) Rekurrent wird nicht durch die Steüergeseze zweier Kantone in Mitleidenschaft gezogen, da die Forderung der Vorherrschaft von Ober.Endingen aus eine Erklärung , welche er znr Zeit ausgestellt hat , stch gründet , 2) es kann .jedermann zur Bezahlung einer ^Richtsehuld sich verpflichten, also anch zn Beitragsleistnngen ansteuern, die er sonst nicht ^u bezahlen brauchte ; 3) wenn gegenüber einer solchen eingegangenen Verpflichtung Ein-

reden , betreffend ^wang, Minderjährigkeit u. drgl., geltend gemacht

werden wollen , so fällt die Brüfung derselben der richterlichen Beurtheilung anheim, wie bei jedem andern privatrechtlichen Verpfliehtungsakt ;

4) R^knrrent hat über die Rechtsverbindlichkeit des in Frage stehenden Aktes den Vrozess vor zwei Jnstanzen bestanden und seine Einreden geltend gemacht , welche aber vom Ri.hter verworfen worden

sind ;

5) unter diesen Umständen ist eine Einmischung der Bundesbehorden, sei es des Bundesrathes oder des Bundesgerichtes, in dieses

^ur blossen Zivilstreitigkeit gewordene Rechtsverhältniss unzulässig .

beschlossen:

1. Es sei der Rekurs als unbegründet abgewiesen.

2. Sei dieser Beschluss der Regierung des Kantons .^ern für ^ich und zuhanden des dortigen Obergerichts, sowie dem.Hrn. Fürsprecher .J. Ant. Lingg in Luzern, zuhanden des Rekurrenten Julius Wyler dagelbst, unter Rü^sendnng der Akten mitzntheilen.

Also beschlossen, Bern, den 8. April 1871.

Jm Ramen des schweizerischen Bundesrathes Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft :

Schiel.

713

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des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung über den Rekurs des Hrn. .J. Rudolf von Bergen, Stud. juris, in Bern.

(Vom 10. April 1872.)

Tit. l J. Rudolf von B e r g e n , Stud. juris, in Bern, rekurrirte un-

term ^. März abhin gegen ein Urtheil des Amtsgerichtes Oberhasle vom 25. September 187l, bestätigt vom bernischen Appellations- und Kassationshose am 25. Januar, im Vaterschaftsprozesse einer A n n..

Otth, von Jnnertkirehen, gegen den Rekurrenten, indem lezterer den Gexichtsstand Oberhasle ablehnen und Belangung vor dem Richter des Amtsbezirks Bern glaubte prätendiren zu konnen, weil hier der Art. 50 der Bundesversassung entscheiden müsse und keineswegs das bernische Gesez, welches allerdings der Klägerin sreistellen würde, den Beklagten entweder vor dem Richter ihres Heimatortes oder vor demjenigen des Wohnortes des Beklagten zu belangen.

^ Unsererseits haben wir am 30. März den Rekurrenten abgewiesen, weil der zitirte Art. 50 der Bundesverfassung sich nnr auf interkantonale Rechtsverhältnisse beziehe, während die Organisation der Rechtspflege im Jnnern der Kantone Sache der Kantone sei.

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Bundesrathsbeschluß in Sachen des Rekurses des Hrn. Julius Wyler, von Oberendingen, betreffend Doppelbesteurung. (Vom 8. April 1871.)

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