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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs von Th. Gerster-Bussinger in Gelterkinden, betreffend die Anwendung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs.

(Vom 29. April 1892.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s rat h hat

in Sachen des Rekurses des Herrn Th. Gerster-Bussinger in Gelterkinden, betreffend die Anwendung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs ; auf das Gutachten des eidgenössischen Rathes für Schuldbetreibung und Konkurs und den gleichlautenden Antrag des Justiz
Der § 9, Abs. l, des basellandschaftlichen Einführungsgesetzes zum Betreibungsgesetze bestimmt: ,,Zur gewerbsmäßigen Besorgung von Schuldbetreibungsgeschäften, wozu das gewerbsmäßige Ankaufen von Forderungen ebenfalls gerechnet wird, sind nur die auf Grund des Gesetzes vom 8. April 1878 patentirten Personen berechtigt."

Der Regierungsrath des Kantons Basel-Landschaft faßte am 27. Januar 1892 zur Ausführung der obigen Bestimmung einen Beschluß, dessen Ziffer l folgendermaßen lautet :

931 ,,Die Betreibungsbeamten werden angewiesen, wenn BetreiT)ungsbegehren, Begehren um Fortsetzung der Betreibung und Ver-werthungsbegehren nicht vom Gläubiger selbst, sondern von einem Vertreter des letztern gestellt werden, diesem Begebren nur Folge zu geben, wenn dasselbe von einem patentirten Geschäftsmann ausgeht oder wenn die Besorgung nicht den Charakter einer gewerbsmäßigen hat.

,,Wird das Begehren von einem Cessionär gestellt, der kein Patent besitzt, so ist dasselbe ebenfalls zurückzuweisen, sobald angenommen werden kann, der betreffende Cessionär betreibe den Ankauf von Forderungen gewerbsmäßig.

,,Ist der Betreibungsbeamte in Zweifel, ob bei einem Nichtgeschäftsmann gewerbsmäßige Besorgung von Betreibuogsgeschäften vorliege, so hat er die Weisung der Aufsichtsbehörde einzuholen.

Ebenso hat er Anzeige zu machen, wenn ihm Thatsachen zur Kenntniß kommen, welche die Absicht, das Gesetz zu umgehen, erkennen lassen.tt II.

Mit Zuschrift vom 3. Februar 1892 erhob Herr Th. Gerster Bussinger in Gelterkinden beim Bundesrathe Beschwerde gegen obigen Beschluß der Regierung von Baselland und gegen dessen Anwendung auf seine Person.

Der Beschwerdeführer bringt namentlich Folgendes vor: Er betrieb früher den Beruf eines Geschäftsmannes. Anfangs 1890 wurde er zum Mitglied des Obergerichtes gewählt. Dieses ist Aufsichtsbehörde über die Geschäftsmänner. Mit Rücksicht hierauf verzichtete der Rekurrent auf das Patent eines Geschäftsmannes und ließ seine Firma im Handelsregister streichen, indem er nunmehr seine geschäftliche Thätigkeit auf den Ankauf von Forderungstiteln und deren Inkasso beschränkte. Diese Thätigkeit soll ihm nun durch den angeführten Regierungsbeschluß verunmöglicht werden.

Dieser Regierungsbeschluß ist aber nach Ansicht des Rekurrenten ungesetzlich, und zwar aus folgenden Gründen: 1. Er steht im Widerspruch zu Art. 31 der Bundesverfassung, der die Freiheit des Handels und der Gewerbe gewährleistet.

Denn er verhindert die Bürger, sich zur Verwerthung ihrer Guthaben dahin zu weaden, wo sie sie am billigsten absetzen können.

So berechnete Rekurrent für Handschriften 2 °/o, für andere Forderungen 3 °/o, während die patentirten Geschäftsleute 5 bis 10 °/o berechnen. So wird das Volk um bedeutende Summen gebracht

932 und im Widerspruch zu Art. 27 B.-Gr. thatsächlich gezwungen,,y sich eines berufsmäßigen Vertreters zu bedienen.

2. Der Cessionär ist kein Vertreter im Sinne des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung (Art. 27), sondern selbst Gläubiger.

3. Der Rekurrent bestreitet, daß er sein Geschäft gewerbsmäßig betreibe. Zu einem gewerbsmäßigen Betriebe gehört nach seiner Ansicht, daß der Betreffende sich zur Ausübung eines bestimmten Berufs öffentlich bekenne, dafür Inserate mache, sich in dieser Eigenschaft in's Handelsregister eintragen lasse und daß er ausdrücklich für Dritte und in deren Namen die Geschäfte besorge.

Das a,lles trifft bei ihm nicht zu. Er hat seine Firmatafel entfernt, sich im Handelsregister streichen lassen und inserirt nicht, sondern betreibt sein Geschäft nur nebenbei, um seine Kapitalien nutztragender anlegen zu können. Auch die Banken und Sparkassen kaufen gewerbsmäßig Forderungen au, ohne dafür patentirt zu sein.

4. Rekurrent wäre genöthigt, auch für die vor dem Inkrafttreten des Binfuhrungsgeset7.es erworbenen Forderungen sich der patentirten Geschäftsleute zu bedienen, wodurch er eine bedeutende Einbuße erleiden würde.

Aus allen diesen Gründen ersucht Rekurrent um Aufhebung des fraglichen regierungsräthlichen Beschlusses.

III.

Die Regierung von Baselland, zur Vevnehmlassung aufgefordert, bemerkte in ihrer Zuschrift vom 27. Februar im Wesentlichen Folgendes : Die Unterstellung der Personen, die gewerbsmäßig Forderungen ankaufen, unter das Gesetz betreffend die Patentirung der Geschäftsmänner ist vom Gesetzgeber aus verschiedenen Gründen verfügt worden. Einmal wäre, wie die Erfahrung gelehrt hat, ohne diese Maßregel die Vorschrift, daß nur die patentirten Geschäftsmänner für Dritte Schuldbetreibungsgeschäfte besorgen dürfen, durch fingirte Cessionen umgangen worden. Sodann hat man gefunden, das gewerbsmäßige Ankaufen von Forderungen sei ein Gewerbe, das wie die gewerbsmäßige Besorgung von Schuldbetreibungen für Dritte einer Kontrole unterstellt werden müsse.

Wenn die Festsetzung, daß das gewerbsmäßige Ankaufen von Forderungen einer Kontrole unterstellt sein soll, mit dem Art. 31 der Bundesverfassung im Widerspruch steht, so ist auch die Bestimmung des Betreibungsgesetzes unhaltbar, daß die Kantone berechtigt sind, die gewerbsmäßige Besorgung von Schuldbetreibungs-

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geschäften zu einem Beruf zu machen, dessen Ausübung von gewissen Bedingungen abhängig gemacht wird.

Was der Rekurrent mit seinem Rekurse bezweckt, ist, daß er sein Geschäftsbüreau fortführen und daneben gleichwohl in der Aufsichtsbehörde über die Geschäftsmänner sitzen könnte.

Es ist nicht richtig, daß Rekurrent das Ankaufen von Forderungen nicht gewerbsmäßig betreibe. Offenbar kommt es hiebei nicht darauf an, ob er eine Firmatafel hält, im Handelsregister eingetragen ist und inserirt, sondern einzig darauf, ob das Geschäft in großem Umfange betrieben wird. Daß aber Rekurrent Forderungen in großer Zahl ankaufe, vermag er nicht zu bestreiten; in E r w ä g u n g : 1. Dem Beschwerdeführer ist darin beizustimmen, daß das gewerbsmäßige Ankaufen von Forderungen nicht ein und dasselbe ist, wie die ,,gewerbsmäßige Vertretung11 der Gläubiger, zu deren Organisation laut, Art. 27, Abs. l, des Betreibungsgesetzes die Kantone befugt sind. Mag auch in manchen Fällen die Cession nur eine flngirte sein und thatsächlich blos ein Inkassomaudat vorliegen, so kommt es doch auch vor, daß Forderungen wirklich mit einem gewissen Abzüge definitiv abgetreten werden, so daß mit der Abtretung die Gefahr auf den Cessionär übergeht, ein Vertretungsverhall niß somit weder formell noch thatsäehlich besteht.

Welches von beiden zutrifft, müßte in jedem einzelnen Falle erst noch ermittelt werden. Das Recht zum Erlaß von Bestimmungen, welche unterschiedslos jede Art von gewerbsmäßigem Ankaufe von Forderungen treffen, kann daher aus Art. 27, Abs. l, B.-Gr. nicht gefolgert werden.

2. Dieses Recht steht aber den Kantonen auf Grund des Art. 31, litt, e, der Bundesverfassung zu. Denn das gewerbsmäßige Ankaufen von Forderungen, und zwar namentlich dann, wenn es sich um wirkliche, nicht blos fingirte Abtretungen handelt, ist ein Gewerbe, bezüglich dessen eine staatliche Kontrole durchaus gerechtfertigt erscheint. Und wenn, wie im vorliegenden Falle, diese Kontrole darin besteht, daß für die Ausübung des Berufes ein Patent zu erwerben, eine Kaution zu leisten ist und gewisse Bücher geführt werden müssen, so sind das lauter Bedingungen, von denen sich nicht behaupten läßt, daß sie den Grundsatz der Handelsund Gewerbefreiheit selbst beeinträchtigen ; sie machen die Ausübung des genannten Gewerbes keineswegs unmöglich, sondern sollen nur das Publikum, das mit jenen Berufsleuteo verkehrt, vor Schädigung oder Ausbeutung schützen.

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Der Kanton Basel-Landschaft war somit berechtigt, die Ausübung des fraglichen Berufs an die Erfüllung -der genannten Bedingungen zu knüpfen und zur Sanktion dieser Vorschrift Zuwiderhandlungen strafrechtlich zu ahnden.

3. Im vorliegenden Falle aber handelt es sich nicht um eine strafrechtliche Sanktion, sondern um eine Verfugung des Regierungsrathes, wodurch die Betreibungsbeamten angewiesen wurden, die von nicht patentirten gewerbsmäßigen Cessionären eingereichten Betreibungshegehren zurückzuweisen. Solche Cessionäre aber, mögen sie nun patentirt oder nicht patentirt, straffällig oder nicht straffällig sein, sind durch die Cession zu rechtmäßigen Inhabern der Forderung, d. h. zu Gläubigern geworden; jedenfalls stünde es nicht den Administrativbehörden, sondern einzig den Civilgerichten zu, ihnen diese Eigenschaft abzusprechen ; denn es handelt sich da um eine Frage des Privatrechts, für deren Lösung öffentlich-rechtliche Vorschriften in keiner Weise maßgebend sein können.

Durch die Verfügung des Regierungsrathes werden somit Gläubiger verhindert, für eine ihnen zustehende Forderung selber Betreibung anzuheben ; sie werden geradezu gezwungen, sieh hiefür der Vermittlung eines Dritten zu bedienen.

Eine solche Verfügung ist, als in direktem Widerspruch mit Art. 27, Abs. 2, B. G. stehend, unzuläßig; sie bildet eine Rechtsverweigerung, beschlossen: Der Rekurs wird begründet erklärt und der Beschluß des Regierungsrathes von Baselland, wonach die von gewerbsmäßig, handelnden, nicht patentirten Cessionären eingereichten Betreibungsbegehren zurückzuweisen sind, aufgehoben.

B e r n , den 29. April 1892.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Hauser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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