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Bundesratbsbeschluß in

Sachen des Hrn. Paul Fossa, Zolleinnehmer in Fornasette, betretend Gerichtsstand.

(Vom 3. April 1872.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h hat

in Sachen des Hrn. Baul F o s s a , eidgenossischer Zolleinnehmex in Fornasette, Kts. Hessin, betreffend Gerichtsstand; nach angehortem Berichte des Justiz- und Volizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sieh ergeben : I. Jm Februar 1865 starb in Ehur Hr. P. Theodosius Florentini, Generalvikar des Bisehofs von Ehur. Zur Liquidation des Raehlasses wurde aus Verlangen der Erben von dem Kreisgerichte Chur der Schuldenruf bewilligt und eine besondere Liquidationskommission eingesezt.

Mit Vertrag vom 23. September 1865 traten jedoch die Erben alle ihre Reehte an diese Verlassensehast der Kongregation der Sehwestern zum hl. Kreuz ab, wogegen diese Kongregation alle Verbindliehkeiten und Verpflichtungen übernahm , welche gemäss den Bestimmungen des kantonalen Erbgesezes den Eedenten als Erben obgelegen hätten.

Die Frau Oberin der erwähnten Kongregation übertrug am gleichen Tage die Verwaltung dieser Verlassenschast an eine neue Kommission,

581 ^oraus die gerichtlich bestellten Liquidatoren mit Erklärung vom 1. Ok^ ^ber 1865 ihr Mandat niederlegten.

Il. Am 6. April 1870 erhob nun der Rekurrent, Hr. B. Fossa, bei dem Vexmittleramte Ehur eine Klage gegen ,,die Theodosianische Masse^, resp. gegen die Kongregation der Schwestern vom hl. Kreuz zu Jngenbohl, Kantons Schw^z, um Anerkennung und Bezahlung einer Forderung von Fr. 70,000 sammt Verzugszinsen.

Der Repräsentant der beklagten Kongregation bestritt jedoch die Zuständigkeit der Gerichte des .Kantons Graubünden, worans Hr. Fossa bei der Regierung dieses Kantons das Gesuch stellte, sie mochte ihn bei dem graubündnerischen Gerichtsstand schüzen. Allein die Regierung wies ihn mit Entscheid vom 20. September 1870 ab, weil der Art. 27 dex Zivilprozessordnung des Kantons Graubünden, wonach sür Streitigkeiten über Erbsehasten und Vermächtnisse . sowie sür Klagen von Erbschastsgläubigern gegen die Erbmasse der Gerichtsstand der Erbschaft angewiesen sei, hier keine Anwendung mehr finde, indem dieser spezielle Gerichtsstand ans die Dauer der Masse beschränkt sei. Jn Folge des Eesstonsvertrages vom 23. September 1865 und in Folge der sofortigen Vollziehung desselben habe die Theodosianische Erbmasse zu e^.istiren aufgeholt, wesshalb nun jede Zivilklage nach Vorschrist der Bundesund der Kantonspersassung , sowie gemäs.. Art. 20 der Zipilprozessordnung des Kantons Graubünden bei dem ordentlichen Gerichtsstande am Wohnorte der beklagten Bartei , also zu Jngenbohl im Kanton Schwyz, angebracht werden müsse.

lll.

Jn einer Eingabe vom 1. März 1871 rekurrirte Hr. Fürsprecher Easlisch in Ehnr, Ramens des Hrn. V. Fossa, an den Bundesrath und stellte das Gesuch, es mochte^ der erwähnte Entscheid der Regierung von Graubünden ausgehoben und erkannt werden, dass die Kongregation der Schwestern zum hl. Kreuz den graubündnerisehen Gerichtsstand anzuerkennen haben.

Zur Begründung dieses Gesuches machte Hr. Fürsprecher Easlisch wesentlich folgendes gelten^ :

Mit dem Eessionsvertrag vom 23. September 1865 sei die Erbschaft des P. Theodosius von den Erben angetreten worden ^Art. 4^, Absaz 2 des Brivatrechtes des Kantons Graubünden). Run sei sür .-^ Forderungen gegen P. Theodosius, resp. gegen dessen Rechtsnachsolger, im Momente des Todes des Erstern ein sür alle Male ein kornm heredit^s in Ehnr begründet worden, und die Erben seien in Folge des An-

trittes der Erbschaft pflichtig, diesen Gerichtsstand anzuerkennen (Art. 27

der Zivil-Vro^ess-^rdnnng). Vor diesem Gerichtsstande konnte der ..^rbschastsgläubiger die Jutestaterben auch heute uoch belangen , denn es bestehe immer noch eine Theodosianis^he Erbmasse. Die Aussassung de..

Bundesblal.... .^ahrg. XXIV. Bd. II.

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582 Regierung nämlich, als ob in dem zitirten Art. 27 der ^ipilproz.^ssordnung unter dem Ausdruke .,Erbmasse" eine Erbschaft verstanden sei, die noch unter gerichtlicher Liquidation stehe, sei unrichtig. Dieser Ausdruk habe im graubündnerischen Rechte nicht den Sinn der hered^ j.^ens des römischen Rechts. vielmehr bedeute er überhaupt die permögensrechtliche Person des Erblassers. . Die Erbmasse werde durch die Erben gebildet, an welche die Vermogenssphäre des Erblassers sich an-

schiiesse (Art. 476, Absaz 1 und Art. 477 des Brivatrechtes des Kan-

tons Graubünden,., und sie bestehe fort, bis alle Schulden der Erbschaft bezahlt seien.

Was aber gegenüber den Jntestaterben des P. Theodosius gelte, müsse aneh gelten gegenüber der Kongregation der Schwestern zum hl.

Kreuz, deun die Abtretung der Verlassenschaft an die Kongregation begründe eine Universalsueeession , und es sei daher die Kongregation in die ganz gleiche Lage getreten, in welcher die Erben sich besunden.

Aus den Art. 50 der Bnndesversassung könne dieselbe sich nicht berufen, zumal der Eessionsvertrag vom 23. September 1865 ein freiwilliger Akt sei und überhin ein Geschäft mter tertio.^, wodurch das ein-

mal begründete Forum zum Rachtheil der Erbschaftsgläubiger nicht habe verändert werden konnen.

Was endlich die Kompetenz des Bundesrathes anbelange, so konne.

diese nicht fraglich sein, da es sich um Remedur einer irrigen Anwen.^ dung einer Bundesvorschrist handle.

lV.

Jn einem spätern Schreiben vom 16. März 1871 sügte Hr.

Fürsprecher Eaflisch noch be., dass d.e Kongregation der Schwestern zum hl. Kreuz den Hrn. Foffa auf dem Wege des Brovokationsversahrens zu zwingen snehe , seine Ansprüche in ^chw^ geltend zu machen. Hr.

Eaflisch stellte daher das weitere Gesuch um Sistirung des Provocations-

versahrens. Mit Besehlnss^vom 20. März 187l lnd hieraus derBun-

desrath die Regierung von Schw.^ ein, für die Suspension des Versahrens besorgt zu sein.

V. Jn seiner Antwort vom 17. Jnni 1871 machte der Vertreter der Kongregation der Schwestern zum hl. Kreu... , Hr. Dr. Hilti in Ehur, in erster .Linie geltend, dass Hr. .^ossa am 3. Juni 1871, also

seit der Einziehung des Rekurses, die Kongregation für die gleiche

Forderung vor das Vermittleramt Jngenbohl habe zitiren lasse.. , und dass er durch einen Bevollmächtigten bei einer ..Verhandlung vor diesem Amte mitgewirkt habe, ohne den Gerichtsstand von Ehnr vorzubehalten.

Hiedureh habe Hr. Foffa den Gerichtsstand des ^Kantons Schw....z saktisch anerkannt, und es sei somit die Streitfrage erledigt.

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Herr Dr. Hilti liess steh indessen eventuell au.^ auf die Hauptsache ^n, und machte in dieser Hinsicht geltend : Der Reknrrent habe sich in seinem Raisonnemente in einen Widerspruch verwikelt. Er konne .nicht die Kongregation belangen und dennoch behaupten , dass der Eessionsvertrag ihm gegenüber ohne Wirkung sei.

Wenn heute noeh eine Theodosianische Erbmasse bestehe, so möge er diese belangen , nicht aber die Kongregation , weil diese nicht die Erbmasse un^ nicht die natürliche Erbin sei. Wolle er dagegen die Kongregation belangen^, so konne er dieses nur unter Anerkennung des Eessionsvertrages. Durch diesen Vertrag sei aber die Mass.. an eine dritte ausrechtstehende Berson übergegangen, und diese sei gemäss Art. 50 der Bundesverfassung für personliche. Ansprachen an ihrem ordentlichen Wohnsize zu suchen.

Uebrigeus habe gemäss Art. 478 und 479 des Zivilgesezbuches von Graubünden die Erb- und Li.^uidationsmasse mit dem Antritt der Erbschaft durch die Erben, als eine selbstständige juristische Berson zu e^istiren ausgehort, und es seie.^ die Erben p e r s o n l i c h für die Va ssiven verantwortlich geworden. Hätte Hr. Fossa diese Aenderung sich nicht gesal.len lassen wollen , so hätte er gemäss Art. 480 und 481 des zitirten Gesezbuches hiegegen sich verwahren und die Fortsezuug des .Lie.nidationsversahrens verlangen sollen, was er aber nicht gethan habe.

Endlich sei die Kongregation nicht aus dem Wege der Erbschaft in den Besiz jener Verlassenschaft gekommen, sondern in Folge eines Vertrages unter Lebenden, welcher zudem nicht einmal mit der .Li.^uidationskommission abgeschlossen worden sei, sondern vielmehr mit den Erben selbst. Es konne also die beklagte Kongregation mit der ehemaligen Erbmasse nicht so identisch geworden sein, dass sogar das Forum der Erbmasse aus sie übergehen würde.

^VI.

Mit Beschluss vom 28. Juni 1871 erklärte der Bundesrath,

dass dieser Rekurs faktisch als erledigt zu betrachten sei, weit der Ge-

genstand desselben durch die Anhängigmachung der Klage an dem Wohnorte der Beklagten von dem Rekurrenten selbst beseitigt worden sei.

Hr. B. Fossa kam jedoch mit Eingaben vom 30. Juni und 11.

Juli 1871 um Revision dieses Beschlusses ein, gestüzt auf folgende

Anbringen : Am 18. März 1871 habe das Bezirksgericht vonSchw^ einBrovokationsdekret erlassen , durch welches er unter Androhung des Verluftes seines Klagerechtes pflichtig erklärt worden sei, innert einer Roth^ frist von 12 Wochen seine Klage in Schw^ anzuheben. Da er nur im Zweifel gestanden sei, ob der .^istirungsbeschluss des Bundesrathes

584 .oom 20. März 18^1 auch aus diese Frist Bezug habe, so habe er. um jedenfalls gegen die Einrede der Klagverwirknng gesichert zu sein, seine .Klage vor Ablauf jener Frist in Schw.^ angehoben. Er habe sich je-

doch hiebei seine Rechte stets gewahrt, und es habe auch das Bezirks-

Bericht von Schw...z, vor welchem am 1. Juli 1871 in dieser Angelegenheit verhandelt worden , bei Anlass einer Porsrage betretend Ko^.

stensicherung anerkannt, dass den Parteien in keiner Weise benommen fei, weitere Vorfragen zu stellen. Es könne ihm also aus der An^ängigmachung der Klage in Schwpz kein Präjudiz erwachsen.

Vl... Herr Dr. Hilti bestritt mit Antwort vom 30. August 1871 die Zulässigkeit einer Revision des Beschlusses vom 28. Juni 1871.

indem derselbe eine r.^s jndicata begründe.

Zudem habe der Kläger den Gerichtsstand von Schwr^ freiwillig gewählt. Hätte Hr. Fossa diesen Gerichtsstand nicht anerkennen wollen, so hätte er das Provokationsdekret an die schw^erische Oberbehor.de (Art. 343 der Zivil-Prozes^Ordnung des Kantons ^chw..^ oder inner der Provokationssrist von 12 Wochen au den Bundesrath reknrriren können. Er habe weder das Eine noch das Andere gethan. Die bei dem Vermittleramte brieflich und telegraphisch angebrachten Klauseln .können in der Sache nichts ändern, zumal Hr. ^ossa vor dem BezirksBerichte selbst keine Einsprache gegen den Gerichtsstand erhoben und eine bezügliche Vorsrage sich nicht vorbehalten habe. Da nun das von ihm freiwillig angerufene Gericht die Sache an Hand genommen, so sei der Gerichtsstand von Sehwv.z gemäss Art. 20 des zitirten Gesezes des ^Kantons Schw.^ definitiv konstituirt worden.

J n Erwägung: 1) Abgesehen von der Frage, ob Rekurr^nt durch die bei den Geziehten des Kantons ^chw^z gethanen Schritte den dortigen Gerichtsstand sür seine Forderungsklage an die Kongregation der .Schwestern .^um hl. Kreuz in Jngenbohl anerkannt habe, ist dieses Forum zur materiellen Beurteilung dieses Rechtsstreites nach Vorschrist des Art. ^0 der Bundesverfassung zuständig, weil die ausrechtstehende Beklagte ihren rechtlichen Wohns^ im Kanton Schw.^ hat.

2) . So lange die Theodosianische Erbmasse noch unvertheilt unter der Aussicht der Behörden und Liquidatoren in Ehur lag, mussten Ansprachen au dieselbe beim dortigen Gerichtsstand gemacht werden. ^obald aber die Erben aus den Stand des amtlich bewilligten henelicium inventarii hin die Erbschaft mit Aktiven und Passiven angetreten und dieselbe wieder dnrch einen Eesstousvertrag an Dritte abgetreten hatten, l,.örte die ursprüngliche Massa ausrechtlich zu e^istiren, und wnrde auch das ^ornm für Geltendmaehnng des ans diesem Vertrag und nicht aus erbrechtlichen Gründen belangbaren Schuldners geändert.

^5 ..^ 3) Die Berufung daraus, dass dieses mter termos abgeschlossene Rechtsgeschäft keine nachtheiligen Rechtswirkungen sür unbetheiligte dritte Ansprecher an die Hinterlassenschaft des P. Theodosius haben konne, ist hier um so weniger von ..Gewicht, weil Rekurrent nicht nur von allen Vorgängen genaue Kenntniss hatte, sondern als bestellter Massakurator, wie durch verschiedene Aktenstüke nachgewiesen wird, wesentlich zum Zustandekommen des Vertrages zwischen den Erben und der Kongregation beigetragen und der Behorde von dem Wegsallen der amtlichen Li.^uidation selbst Kenntniss gegeben hat.

. ^ 4) Wenn Rekurrent, der in nüzlicher Frist keine Forderuug an die Massa des l.^. Theodosius sel. stellte, und auch dermalen weder auf Ungültigkeit des unter Lebenden abgeschlossenen Vertrages klagt, noch aus weitere Liquidation der Massa dringt, sieh nach Versluss mehrerer Jahre berechtigt glaubt, auf Grund, also in Anerkennung des Vertraget vom 23. September 1865, gegen die benannte Kongregation eine Forderungsklage zu stellen, so ist diese bei dem natürlichen Richter der Beklagten und nicht in Ehur anzuheben.

beschlossen : 1.

Es sei der Rekurs als unbegründet abgewiesen.

2. Sei dieser Besehluss der Regierung des Kantons Schw..^ sür sieh und zuhanden der Kongregation der Schwestern zum hl. Kreuz in Jngeubohl, sowie dem Hrn. Fürsprecher Eaflisch in Ehur ^uhauden des Rekurrenten, .^.rn. B. ^osfa, unter Rükschluss der Ulkten mitzutheilen.

Also beschlossen in Bern, den 3. April 1872.

Jm Ramen des schweizerischen Bundesrathes, Der Bundespräsident:

.^elti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft :

Schiel

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Kommissionalbericht über

den Rekurs des Staatsraths von Hessin gegen den ^ntscheid des Bundesrathes vom 22. August 1870,^ betreffend die kosten der Aufbietung einer .Infanteriekompagnie anla^lich des Unfalls der Bande Nathan in Italien.

(^om 9. Februar 1872.)

An den h. .Nationalrath l Mit Eingabe vom 22. Juni 1871 wendet sich der Staatsrai.h von Hessin an die Bundesversammlung mit dem Gesuche , es wolle diese letztere unter Aufhebuug der abweisenden Sehlussnahme des Bundesxathes vom 22. August 1870 versügen, dass die dem Kanton Hessin im Betrage von Fr. 4829. 18 erwachsenen Kosten der Aufbietung einer Jnsanteriekompagnie ...nlasslich des Einsal.ls der Bande Rathan in Jtalien aus Rechnung der Eidgenossenschaft genommen und demnach dem Kanton Hessin rückvergütet werden. Der Bundesrath in einer berichterstattenden Botschaft über dieses Rekursbegehren vom 18. Deeember 1871 sehliesst mit dem wiederholten Ausdrucke seiner Ansieht, dass der Kanton Hessin einen rechtlichen Anspruch auf Rückerstattung der in ^rage liegenden Kostensumme durch die Eidgenossenschaft nicht habe, dass er es jedoeh der hohen Bundesversammlung anheimstelle , zu entscheiden ^ ob ^us andern Gründen dem Kanton Hessin Entschädigung gewährt werden solle.

587 Jhre Kommission, indem fie Jhnen den Antrag bringt, dem Re..^rse in keiner Weise zu entsprechen, beehrt sich, den Thatbestand der Rekursangelegenheit, die Rechtsstandpunkte des xekurrirenden Theils und des Bundesrathes sowie ihre eigenen Erwägungen in ^möglichst gedrängter Kürze auseinander zu se^en.

Jm Monat März 1870 fanden in Bavia und ..^iaeenza Ausstände statt , die .von der konigl. ital. Regierung schnell unterdrückt wurden; eine Anzahl hiebei kompromittier Versonen flüchtete sich unmittelbar nach dem Kanton Tessi... Diese anfänglich in der Zahl von etwa 18, später in den sünf^g, hielten sich in der Rähe von Ungano auf, bis sie am 28. Mai plol^lich verschwanden und unter der Anführung eines gewissen Rathan einen bewaffneten Einsall in Jtalien vom Eollathal aus machten. Je^t bot die Regierung von Tesfin eine Kompagnie Jnfanterie aus zur Bewachung der Grenze und Entwaffnung und Jnteruirnng

allsälligex Flü.htiinge. Der Versuch der Baude Rathan missglückte ; durch die italienischen Truppen zurückgeschlagen, zogen sich ihre Glieder nach dem Kanton Graubünden zurück , wo sie festgenommen und inter^ nirt wurden.

Rach Tessin flüchteten sich nur einige Wenige dieser Bande.

Die von der Regierung ausgebotene Eompagnie wurde don dieser selbst am 13. Juni wieder entlassen. Unterdessen verfügte der Bundesrath zufolge seiner Schlussnahme vom 31. Mai die Abordnung eines Kommiß särs nach dem Tessin und später strafrechtliche Untersuchung.

Die Kosten des Aufgebotes der von Anfang bis Ende im Dienste des Kantons gestandenen Truppen notisieirte die Tessiner Regierung mitschreiben vom 4./l 8. August dem Bundesrathe mit dem Begehren, dass sie durch die Eidgenossenschast vergütet werden .^ dieser beschied dieses Begehren mit Schreiben vom 22. August abschlägig, a. weil der Bundesrath weder die Ausstellung der Truppen perlangt, noch sie nachher in eidgen. Dienst genommen ;

b. weil es jedenfalls Bfli..ht des Kantons Tessiu als Grenzkanton gewesen , von seinem Gebiete aus tendirte volkerrechtswidrige Handlungen gegen den Rachbarstaat zu verhüten resp. zu unterdrücken, und weil c. die Regierung von Tessin durch die Unterlassung rechtzeitiger

Massregeln es sieh selbst zuzusehreiben habe , dass die Ausstellung

. eiuer Kompagnie nothwendig geworden sei.

Dagegen wendet die Regierung von Tessin ein : a. Die internationale und gesammt-schweizerische Bedeutung der Ereiguisse, durch welche die Truppenaufstellung notwendig geworden, machen es dem Bunde zur ..^flicht , die daherigen Kosten zu beWahlen. Die Bedeutung der Ereignisse in beiden Richtungen aber

588 sei vom Bundesrathe selbst anerkannt worden. weil er einen eid.^ gen. Kommissär abgesendet, eidgenössische Untersuchung veranlasst und von sich aus die Schuldigen vom schweizerischen gebiete ausgewiesen habe.

b. Der ..^orwurs , die Ereignisse nicht vorgesehen und die ersorder.^ lichen Massnahmen zu.^ Verhütung des bewaffneten Einsalles in Jtalien unterlassen zu haben. sei nicht begründet, indem die ital.

Regierung und der Bundesrath selbst nicht gewusst , was porgefallen, und weil das e.idgen. Jnsti^ und Volizeidepartement seinerseits die Jnternirung der Flüchtlinge positiv nicht angeordnet gehabt habe.

c. Endlich führt die Regierung von Tesstn an, dass der Bundesrath Schuld trage, dass sie nun ausser Standes fei, die Kosten beim Verursachter derselben, Rathan, zu erheben, weil er unterlassen habe, vor Niederschlagung des Prozesses gegen die Bande Rathan sie zu avertiren.

^ Was nun das erste Argument der Regierung von Hessin betrifft, dass nämlich die internationale und gesammt-schweizerisehe Bedeutung der das Truppenausgebot veranlassenden Ereignisse zur Zahlung der daherigen Kosten die Eidgenossenschaft verpflichte , hat Jhre Kommission zu bemerken : dass es zunächst unzweiselhaste Bflicht eines jeden Grenzkantons ist, von sich aus Grenzpolizei zu handhaben ; zu wachen, dass weder von Aussen her noch nach Bussen die Ordnung getrübt, die Sicherheit gesährdet, der Friede gestört werde und dass der Bnnd das Reeht hat zu fordern , dass der Kanton diese seine Bflicht erfülle und zu diesem Zwecke befugt sei, an Ort und Stelle durch Abgeordnete sieh der kantonalen Vflichtersüllung zu versichern und nothig findende Weisungen zu ertheilen, ohne dass dadurch der Kanton der ihm obliegenden Pflicht entbunden würde, selbst das Erforderliche zu thun.

Anderseits besteht allerdings ebenso unzweifelhast auch eine Bflieht der Eidgenossenschaft, dass sie unter Umständen selbst und zwar von sich aus, und somit auch aus ihre Kosten die zum Grenzschu^e ersorderliehen Massregeln tresse. Es besteht demnach eine Bflieht der Kantone nnd

eine solche der Eidgenossenschaft . die gegenseitige Grenzlinie ist nicht posi..

tiv reglirt, sondern je nach der Beschaffenheit eines konkreten Falles zu bestimmen , aber man darf wohl im Allgemeinen annehmen , dass der Grenzschu^ Sach... des Kantons ist, so lange diesem die Ersüllung dieser

Pflicht nicht unverhältnissmässig beschwerlich sällt und so lange die er-

forderlichen Schu^massregeln nicht eine Ausdehnung erfordern , sür welche nur das unmittelbare Eingreifen des Bundes selbst ausreichend sein kann.

^ ..-. Jm gegebenen Falle beschränkten sich die gxenzsehü^enden Massnahmen aus eine nicht bedeutende Grenzstreke des Kantons Tesstn , es genügte die Aufstellung einer einzigen Compagnie Jnsanteri.e und dauerte diese kaum 14 Tage ., die Kosten belausen sich aus mehr nicht als Fr.

4829. 18 Rp. , -. alles Momente, die an und sür sich schon es

fraglich machen , ob die Eidgenossenschaft wirklich pflichtig fei , diese Kosten ganz oder theilweise aus sich zu nehmen.

Ganz entschieden gelangte aber Jhre Kommission zur Verneinung dieser Bricht , indem sie die Ueberzeugung gewann , dass wirklich die

Sorglosigkeit und Gleichgültigkeit der tessinischen Bolizei es gewesen, die die Ereignisse moglich gemacht hat, in deren Folge die die fraglichen Kosten veranlassende Truppenausstellung als notwendig erschien. Diesfalls hat die Kommission, indem sie nun übergeht zur Beleuchtung des zweiten Argumentes der Tessiner Regierung, in einige Details der einschlägigen Thatsachen einzugehen.

Rachdem das Scheitern der Ausstandsversuche in Vavia und Viaeenza dem Kanton Tessin Flüchtlinge gebracht , deren Zahl anfänglich nur zu 18, später aus 26 angegeben wurde, mahnte das eidgen. Justizund Volizeidepartement die Regierung von^.Tessin , die Flüchtlinge zu überwachen und dafür zu sorgen, dass sie freiwillig von ihrem damaligen Ausenthalte bei Lugano über den Monte Eeneri sich zurückziehen oder den Kanton verlassen. Die Flüchtlinge blieben an ihrem Ausenthaltsorte und die Regierung unterließ, die Jnteruirung zu versügen , selbst Gras Bolognini, der eigentlich als Anführer der in Tesstn vorbereiteten Jnvasion designir^ war , konnte ungestort seine Bläne vorbereiten.

Jn lester Stunde liess die Tessiner Regierung sieh und Andere täuschen durch die Aushändigung eines Reisepasses an Volognini^ vorgeblieh um ins Junere d^r Schweiz sich zu begeben. Unterdessen verdoppelte sich

die Zahl der Flüchtlinge in Tessin . der dortigen Regierung wurde in Folge eiuer Rote der ital. Gesandtschaft vom 18. Mai durch den Bundespräsidenten die vertrauliche Mittheilung gemacht, dass Ausstaudsversuche in den Vroviuzeu Eomo und Veltlin projektirt seien, dass eine

Expedition wie 1848 von Bellinzona ausgehen solle, und dass desswegen

äusserste Wachsamkeit uud besondere Ueberwaehuug der Flüchtlinge einzutreten habe. Die Regierung berichtete, in Bellinzona seien keine Fluchtlinge , von Bewegungen nach Veltlin und Eomo sei keine ^pur, die hoehste Wachsamkeit (..massima, vigilala) ..^erde ^geübt und die Flücht.^ linge in Lugano seien überwacht.

Am 28 Mai zeigt der Buudespräsident der Tessiner Regierung telegraphiseh an, dass die ital. Gesandtschaft Kenntniss gegeben von einem Deplaeement der Flüchtlinge im Tessin . die dasige Bolizeidireetion er-

wiedert am gleichen Tage , dass die sür ital. Flüchtlinge gehaltenen

Personen aufgefordert worden , sieh iu^ Jnnere des Kantous nordlich

590 vom Monte Eeneri zu begeben , dass fast alle aber von Lugano ver^.

schwunden, ohne den Monte Eeneri zu passiven. Die Polizei versolge sie. War diesen amtlichen Berichten zufolge die ma.ssnna vigilane

in der Ueberwachung der Flüchtlinge so erfolglos geblieben , d...ss die Flüchtlinge aus einmal versehwinden konnten, ohne dass man wusste .^ohin , so erging es auch der gegen sie in's Werk gefegten Verfolgung nicht besser, denn auch diese hatte das Rachsehen. Am folgenden Tage,

29. Mai nämlich , berichtete der Vieepräsident des Staatsrathes . dass die aus Lugano verschwundenen Flüchtlinge seit dem vorhergehenden Tage, Rachmittags 2 Uhr, ans dem Berg San Lneio aus der EomerSee-Seite sich befinden und dass in Val Eolla ein mit Säcken, in denen man Waffen vermuthet, beladener Wagen durchgekommen sei.

Am 30. Mai berichtet der gleiche Vizepräsident telegraphiseh . es sei von Borlezza Berieht eingegangen , dass nach einigem Schiessen die.

ital. Flüchtlinge neuerdings auf tessinisches Geltet sich zurückgezogen

haben und dass in ^olge dessen eine Compagnie des Bataillons Rr. 8 unter die Wassen gerufen worden sei, um die Flüchtlinge zu verhaften, zu entwaffnen und nach Bellinzona zu interniren.

Am folgenden Tage, 31.^ Mai, endlich berichtet derselbe Vieepräfident , dass laut Telegramm vom gleichen Morgen die von Rathan befehligte bewaffnete Baude sich am vorhergehenden Abend nach Gera am Eomer^.See gewendet , man halte dafür, sie sei zerstreut und nach Graubünden zurückgesehlagen.

Zur Beurtheilung dieses iu einzelnen markanten Zügen gezeichneten Benehmens der Tessiner Regierung lassen wir zum Sehlnsse das auf die eingehendsten Untersuchungen an Ort und Stelle sieh fussende Urtheil des eidgen. Kommissärs , Herrn Oberst Hess folgen,^ der nnterm 14. Oetober an den Bundesprästdenten sehrieb : "Die Jnvasion Rathan war vor ihrer Ausführung ein offentliehes Geheimniss.

Von Seite der Behorden wurde eingeschritten, aber in einer Weise, dass solche dureh die getroffenen halben Massregeln eher beschleunigt und begünstigt als verhindert wurde.

Die Ausstellung einer Compagnie in Valle Eolla musste von der Regierung von Tessin (post festuin) angeordnet werden, wenn dieselbe sieh dem Bundesrathe gegenüber nieht allzusehr blossstellen wollte.^ Das dritte Argument der Tessiner Regierung, hergeleitet aus der Thatsaehe der vom Bundesrathe angeordneten Wegweisung Rathans und aus der daherigen Unmogliehkeit , sich für die von ihm verschuldeten Kosten der Truppeuaufstellung bei ihm selbst regressiren zu konnen , ist ganz untergeordueter Ratur und kann um so weniger einen Einflnss zu Gunsten des Rekursbegehrens üben, als der Bundesrath seines Amtes

591 ^.handelt .hat und keinerlei Fürsorge dafür auf sich hatte, dass und wie .......esstn sich bei Nathan schadlos machen könne.

Endlich erübrigt noch die Frage zu erörtern, ob und welche ,,andere Motive^ nachdem Ausdrucke des Bundesrathes vorhanden seien, um Tessin gegenüber Gnade für Recht zu halten. Jhre Kommission findet keine solche , denn der Staatsrath selbst weist G n a d e zurück und verlangt R e ch t, und weil es nichts weniger als gerecht wäre, der Tessiner Regierung eine besondere Anerkennung dasür werden zu lassen,

dass in Folge der durch ihre Rachlässigkeit moglich gewordenen Ereig-

nisse der Eidgenossenschaft mehr als Fr. 10,000 an Kommissariats.. und Untersuchungskosten erwachsen sind, und dass es besonderer Verwendung bei der italienischen Regierung bedurste , dass diese dem anfänglichen Gedanken, .^ie Schweizergrenze, besonders die tessinische, zu blo.^uiren,

nicht Folge gegeben hat.

Jhre Kommisston sehliesst demnach mit dem .^ntrage, den Eingangs erwähnten Rekurs des Staatsrathes des Kantons Hessin als unbegründet abzuweisen.

B e r n , 9. Februar

1872.

Ramens der Kommission des Nationalraths, ^...er Berichterstatter :

.^ ^undt.

^ o t e.

Bom Nationalrath angenommen, .^. Februar 1.8..^.

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Bundesrathsbeschluß in Sachen des Hrn. Paul Fossa, Zolleinnehmer in Fornasette, betreffend Gerichtsstand. (Vom 3. April 1872.)

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28

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22.06.1872

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580-591

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