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Schweizerisches Bundesblatt

XXIV. Jahrgang. II.

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Nr. 27.

15. Juni 1872.

Bundesratbsbeschluß in

Sachen des Rekurses des Niklaus Lüthi in Häfelfingen, betreffend Verfassungsverlezung.

(Vom 18. März 1872.)

Der schweizerische Bundesrath hat .n Sachen des Riklaus .Lüthi, in Häfelstngen,. Kts. BaselLandschaft, und M i t h a f t e n , betreffend Verfassungsverlezung , nach angehortem Berichte des Justiz- und Bolizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sieh ergeben: I. Jm Jahr 1869 wur-e im Kanton Basel-Landschast eine Strafuntersu.huug geführt betresfeud Untersehlaguug von Seide durch die Bandweber. Die Untersuehuug war pon Hrn. Statthalter Brodbeck in Sissaeh eingeleitet worden. Jn der Folge sah sich jedoch .die Regieruug von Basel-Landsehast veranlasse, einen besondern Untersuchungsrichter für diese Angelegeuheit in der Berson des alt Regierungsrathes Schaub in Sissach zu bestellen, welchen sie, als er nach kurzer Zeit an das Krankenbett gefesselt wurde, durch Hrn. Tsehudin, Geschäftsmann in Sissach., ersehe.

II. Nach beendigter Voruntersuchung wurden im Ganzen 22 Versonen dem Strafgerichte überwiesen. Unter denselben befanden sich namentlich :

Bundesblalt. Jahrg. XXIV. Bd. II.

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550 .^iklaus Lüthi aus Himmelsgrund , Gemeinde Häselfingen. dessen Tochter Elisabeth, verheiratete Bürgin, Gottsried Rechner, Lumpensammler, in .Läuselfingen, und Frau Rebiker, wohnhast in Häselfingen, die ersten drei der Hehlerei, Frau Rebiker der Unterschlagung beklagt.

Als nun der Bxozess ...m 14. Dezember 1870 vor dem KriminalBerichte des Kantons Basel-.Landschast zur Verhandlung kam, fochten

die Vertheidiger der .angeklagten in erster Linie die Gültigkeit der Vor-

nntersuchung an und verlangten die Rükweisung der Akten an den Regierungsrath, weil durch die Bestellung eines ausserordentlichen Untersuehnngsrichters den Angeklagten ihr verfassungsmäßiger Richter entzogen worden sei. Allein das Gerieht verwarf diese Einrede und schritt zur .Hauptperhandlung und zum Urtheile, durch weiches die genannten vier Angeklagten schuldig erklärt und zu korrektionellen Strasen verfällt wurden.

III.

Am 23. Juni 1871 gelangte der Brozess vor das Obergerieht von Basel-Landschast, vor welchem wiederum die gleiche EinSprache gegen die Gültigkeit der Voruntersuchung erhoben wurde. Allein das Obergericht erklärte diese Einsprache ebenfalls als ^ unbegründet, weil die Aufstellung eines besondern Voruntersuehungsrichters nothi^ gewesen fei, indem ohne diese Massregel die ordentlichen Geschäste de.....

Statthalters in Sissach hätten leiden müssen, da die weitverzweigte

Anklage die hochste Aufmerksamkeit und die Tätigkeit des Beamten in vollem Masse in Anspruch genommen habe; übrigens sei Hr. Statt.halter Brodbeck mit der Abnahme des Geschäftes einverstanden gewesen, und es seien hiegegen weder von der Staatsanwaltschast, noeh im Stadium der Voruntersuchung von den Beklagten selbst Einwendungen erhoben worden.

Das Obergericht bestätigte daher das erstinstanzliche Urtheil.

IV.

Samens der genannten vier Verurtheilten erhob nun Herr

Fürspreeher E. A. Bruhin .n Basel mit Eingabe vom 7. Juli 1871 .beim Bundesrathe Beschwerde wegen Versassungsverlezung. Der Bundesrath verwies jedoch mit Beschlüssen vom 12. und 28. Juli 1871 den Detenten an den .Landrath von Basel-Landschast, welcher in erster .Linie berufen sei, über die Handhabung der Versassung zu wachen.

Allein der Landrath erklärte am 4. Dezember gleichen Jahres, dass ihm keine Kompetenz zustehe gegenüber einem gerichtlichen Urtheile.

V. Hr. Bruhin erneuerte hierauf seine Beschwerde bei dem Bundesrathe, zu deren Begründung er wesentlich Folgendes geltend machte : Der ^ 8 der Verfassung des Kantons Basel-Landsehast s.hüze Jedermann bei seinem ordentlichen Richter und perbiete ausdrüklich die

551 ^..fstellung ausserordentlicher Gerichte für einzelne Fälle oder Zeiten.

ferner werden in ^ 8 des Bezirksverwaltungsgesezes des Kantons Basel-Landsehaft von 1864, sowie in dem Geseze üb..r Organisation der Strafrechtspflege und in der Strasprozessordnnng die Bezirksstatthalter als die ordentlichen Voruntersuchungsrichter bezeichnet. Run liege der Ort, wo die eingeklagten Vergehen verübt worden sein sollen, im Bezirke Sissach und es seien beinahe alle Angeschuldigten in diesem Bezirke wohnhast. Die Führung der Voruntersuchung sei hiernach dem Statthalter von Sissach obgelegen. Diesem ihrem ordentlichen Richter seien die Angeschuldigten entzogen worden, somit sei die Verfassung verlebt.

Die Regierung sei nicht befugt, nach Belieben an der Stelle des ordentlichen Beamten einen ausserordentlichen auszustellen, ausser in den gesezlieh bezeichneten Fällen. Es liege jedoch keiner dieser Fälle vor.

Das Obergericht vermöge zur Entschuldigung jener Massregel nicht Gründe des Rechts , sondern blosse Eonvenienzrüksichten anzuführen.

Der Umstand, dass die Beklagten nicht schon bei der Voruntersuchung Einsprache erhoben, sei unerheblich.

Da hiernach die Voruntersuchung von einem unzuständigen Beamten geführt worden, so sei sie als nicht geschehen zu betrachten und demnach das daraus gebaute Versahren nichtig.

Hr. Fürspreeher Bruhin fchloss dahex mit dem Gesuche, es möchte das ganze Strafversahren, vorder Ernennung des Hrn. Schaub zum außerordentlichen Untersuchungsrichter an, ausgehoben werden.

VL Jn ihrer Antwort vom 31. Januar 1872 trug die Regierung des .Kantons Basel-Landschaft auf Abweisung der Beschwerde an, aus folgenden Gründen : Der ^ 8 der kantonalen Verfassung spreche ausdrüklieh nur vom Richter und von den Gerichten. Die Statthalter aber seien keine richterlichen, sondern Vexwaltungsbeamte. Es sei ihnen zwar die ^ühxnng der Voruntersuchung in ^trasfällen zugewiesen ; aber hiermit seien sie nicht zu richterlichen Funktionen berufen. Sie fällen keine Urtheile und seien nicht einmal kompetent, die ^rage der Ueberweisung eines Angeschuldigten an den .^trafrichter zu entscheiden. Diese Stellung

der Statthalterämtex folge auch aus ^ 1 8 des Gesezes über die Bezirksverwaltung, wonach sie der Disziplinargewalt des Regierungsrathes, nicht derjenigen des Obergerichtes, unterstellt seien.

Wenn aber auch der ^ 8 der Verfassung auf den Fall Anwendung fände, so konnte doch von einer Verlegung dieser Bestimmung nicht die Rede sein. Es sei immer das Statthalteramt Sissach gewesen, welches die fragliehe Untersuchung geführt habe, ob nun Hr. Statthalter Brod-

552 beck in Berson oder ein Stellvertreter desselben in Funktion gewesen.

Zur Bestellung eines Stellvertreters sei die Regierung befugt gewesen, indem der in ^ 16 des Gesezes über die Be^irksverwaltnng vorgesehene

Fall der Verhinderung des Statthalters vorgelegen sei. Uebrigens

glaube die Regierung, dass die Bundesbehorden mit der Frage, ob hier die Voraussezungen vorhanden gewesen, unter welchen ein Stellvertreter habe. ernannt werden dürfen, sich nicht zn beschäftigen haben.

VH. Das Obergericht des Kantons Basel^andschast erklärte in einer Eingabe vom 16. Februar 1872, dass es den Ausführungen der Regierung sieh anschliesse.

J n Erwägung: 1. Von einer ..^erlezuue. des Art. 8 der Verfassung des Kautons Basel^Landschaft kann keine Rede sein , weil keine ansserordentli.hen Gerichte zur Behandlung des Strafsalles gegen die Angeklagten aufgestellt wurden, sondern die ordentlichen persassuugsmässigen Gerichte funktionirt haben.

2. Wenn auch der Statthalter als der ordentliche Beamte zur Führung der Voruntersuchung in ^trasfällen ausgestellt ist, so ist doch nirgends untersagt und liegt auch in der Ratur der Sache, dass, wenn der ordentliche Beamte wegen Gesehästsüberhäufung oder aus .ludern

Gründen nicht alle Gessaste selbst besorgen kann, ^ie zuständige Be.^

horde besugt ist, einen Stellvertreter zu bezeichnen, dem alle oder einzel.ne Geschäfte übertragen werden konnen^

b e schl o s s e n : 1.

Es sei der Rekurs als unbegründet abgewiesen.

2. ^ei dieser Beschluß der Regierung des Kantons Basel-Landschast, sowie dem Hrn. ^ürspreeh E. A. Brnhin in Basel zuhanden der Rekurrenten, unter Rükschluss der Akten, mitzutheilen.

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Also beschlossen, B e r n , den 18. März 1872.

Jm Ramen des schweiz. Buudesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

.^e.lti.

Der Kanter der Eidgenossenschaft :

Schi^.

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15.06.1872

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