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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs des Michael Keiser in Dagmersellen (Luzern), betreffend den Entzug der Niederlassung.

(Vom 28. Oktober 1892.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e sr a t h hat

in Sachen des Rekurses von Michael K e i s e r , von Dagmersellen, Pächter auf der Hochwacht, zu Wykon, gegen einen Beschluß des Regierungsrathes des Kantons Luzern, vom 13. April 1892, betreffend Entzug der Niederlassung; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmäßiger Sachverhältnisse: I.

Durch Schlußnahme des Regierungsrathes des Kantons Luzern vom 13. April 1892 ist Michael Keiser von Dagmersellen, Pächter auf der Hochwacht zu Wykon, in Bestätigung eines Erkenntnisses des Gemeinderathes von Wykon vom 24. Februar gleichen Jahres, mit seiner Familie aus dem Gebiete dieser Gemeindefortgeewiesen worden.

Diese Ausweisungsverfügung stützt sich auf Art. 45 der Bundesverfassung, wonach demjenigen die Niederlassung entzogen werden kann, welcher wegen schwerer Vergehen wiederholt gerichtlich bestraft ist, sowie auf das kantonale Gesetz über Fremdenpolizei und Niederlassungswesen und § 9 des luzernischen Organisationsgesetzes.

549 II.

Gegen den regierungsräthlichen Entscheid rekurrirte Michael Keiser mit Eingaben vom 24. und 26. August 1892 an den Bundesrath. Der Beschwerdeführer glaubt, die Berufung auf Art. 45 der Bundesverfassung sei nicht hinreichend, um die Ausweisung zu rechtfertigen. Während seines 2 Va jährigen Aufenthalts in Wykon habe «r -- Keiser -- sich keines Vergehens schuldig gemacht, und diejenigen Vergehen, die er vor seiner Uebersiedelung nach Wykon begangen habe und deren Hauptursache die Armuth gewesen sei, seien nicht schwere Vergehen im Sinne des erwähnten Artikels 45 ·der Bundesverfassung.

III.

Die Regierung des Kantons Luzern beschränkt sich darauf, mit Zuschrift vom 12. September abhin einen vom 8. März 1892 datirten Bericht des Gemeinderathes von Wykon einzubegleiten, aus welchem sich ergibt, daß Michael Keiser und seine Familienangehörigen nicht weniger als 13 Mal wegen Körperverletzung, Diebstahls, Holzfrevels, Sachbeschädigung etc. gerichtlich bestraft worden sind. Laut demselben Bericht betreiben Frau Keiser und ihre Kinder den Bettel professionsmäßig; auch ist die Familie schon wiederholt beim Waisenamt Wykon mit Gesuch um Baarunterstützung eingekommen.

. Der Gemeinderath beruft sich auf § 67 des Gesetzes über Fremdenpolizei und Niederlassungswesen, wonach diejenigen aus der Niederlassungsgemeinde fortgewiesen werden können, welche sich ohne Belästigung der Wohngemeinde nicht durchzubringen vermögen. Ferner bestimmt Art. 62 des Armengesetzes vom 21. November 1889, daß Aufenthalter und Niedergelassene, welche dem Bettlergewerbe nachgehen, aus der Wohngemeinde ausgewiesen werden können ; in Erwägung: 1. Rekurrent bestreitet nicht, daß er wiederholt gerichtlich zu längern Freiheitsstrafen und zeitweiliger Einstellung im Aktivbürgerrecht verurtheilt worden ist. Er glaubt dagegen, daß die Vergehen, wegen welcher ihm jene Strafen auferlegt worden sind, nicht die Ausweisung zu rechtfertigen vermögen, einmal weil sie in die Zeit vor seiner Wohnsitznahme in Wykon fallen, sodann weil sie nicht als schwere Vergehen im Sinne von Artikel 45 der Bundesverfassung betrachtet werden können.

2. Diese Ansicht des Rekurrenten ist eine irrige, denn :

550 a. Es können frühere Strafurtheile gegen einen Niedergelassenen nach bundesrechtlicher Praxis dann geltend gemacht werden, wenn derselbe an seinem neuen Wohnorte sich des Niederlassungsrecht» durch seine Handlungen unwürdig macht. Der Bundesrath hat in einem andern Falle (Bundesblatt 1883, III, 34) entschieden, daß, wenn der polizeiamtliche Nachweis eines unsittlichen Lebenswandels vorliegt, die Kantone, beziehungweise die Gemeindebehörden gegenüber einem Niedergelassenen berechtigt seien, auf Strafurtheile, die der Niederlassung vorausgegangen, zurückzugreifen und dieselben in Verbindung mit der sittenwidrigen Aufführung zur Grundlage eines Ausweisungsbeschlusses zu nehmen, und die Bundesversammlung hat diesen Entscheid bestätigt (Bundesblatt 1883, IV, 741).

Einem unsittlichen Lebenswandel, beziehungsweise einer sittenwidrigen Aufführung, ist ein fortwährend gesetz- und ordnungswidriges Verhalten, wie es nach dem Berichte des Gemeinderathes von Wykon dem Rekurrenten Michael Keiser und seiner Familie zur Last fällt, gleichzustellen.

b. Nach konstanter bundesrechtlicher Praxis müssen Vergehen, wie diejenigen, deren sich der Rekurrent wiederholt schuldig gemacht hat (Körperverletzung, Diebstahl, Holzfrevel, Sachbeschädigung),» als schwere Vergehen im Sinne des Artikels 45 der Bundesverfassung angesehen werden (vgl. v. Salis, Bundesrecht, II, S. 52, Nr. 427).

3. Die Regierung von Luzern hat demnach innerhalb der Schranken ihrer Befugnisse gehandelt, als sie den vom Gemeinderath Wykon gegen den Rekurrenten erlassenen Ausweisungsbefehl bestätigte, beschlossen: 1. Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

2. Dieser Beschluß ist der Regierung von Luzern, sowie dent Rekurrenten schriftlich mitzutheilen.

B e r n , den 28. Oktober 1892.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e a p r e s i d e n t :

Hanser.

Der Kanzler dev Eidgenossenschaft: Ringier.

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