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Bericht de...

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung über das Begnadigungsgesuch von Johannes Eugster, von Wald

(Appenzell A. Rh.).

(Vom 21. Juni 1872.)

Tit. l Mit Urtheii des Bezirksgerichtes Sargans (St. Gallen) vom 29.

Januar a. c. wurde J o h a n n E n g s t e r von Wald (Appenzell U R.), wegen fahrlässiger Verschuldung des Zusammenstosses zweier Eisenbahn-

zi.ge, in Anwendung von Art. 67 des Bundesgesezes über das Bundesstrafreeht, zu drei Monaten Gesängniss und zu einer Geldbusse von Fr.

300 verurtheilt.

Der Vorsall, auf welchen dieses Urtheil sich bezieht, ereignete sieh am 8. Dezember 1871 aus der Linie Zürich-Chur zwischen Mols und Unterterzen, und fand statt zwischen dem von Ehur kommenden Schnellzuge .....r. 86 und dem in entgegensetzter Richtung gehenden Güterzug

Rr. 83^.

Der leztere Zug war mit einer bedeutenden Verspätung in Wesen eingetroffen.

Laut dem Fahrtenplan sollte dieser Zug aus der Station Unterterzen mit einem von Ehur kommenden Güterzuge (Rr. 86^), und dann auf der Station Mels mit dem erwähnten ........ehnel.lzuge Nr. 86 kreuzen. Damit nun die beiden von Ehur kommenden Züge keine zu.

grosse Verspätung erleiden, bestimmte Eugster, damaliger Vorstand auf

749 ...^ex Bahnstation Weesen, eine Verlegung der Kreuzung und telegraphirte zu diesem Ende nach Wal.leustadt und .^argans, dass die Kreuzung mit dem Güterzuge Rr. 86^ statt in Unterterzen ans der, Weesen näher gelegenen Station Mnrg, und diejenige mit dem Schnellzuge Rr. ....6 aus der Station Walleustadt stattsiude. Etwas später liess er den Güterzug Rr.

83^ vou Weesen abgehen uud entfernte sich hierauf vom Stationsgebäude.

Kurze Zeit hernach kehrte er wieder ^dorthin zurük, und erhielt nun von dem Einnehmer und Telegraphisten Hübscher die ...lnzeige, dass die Depesche nach Wallenstadt dort verspätet angekommen sei, ^vesshalb der von Ehur kommende Güterzug Rr. 86^ von der Verlegung der Kreuzung nicht mehr habe verständigt werden konnen. Engster telegraphirte daher nach Wal.leustadt, es solle der Schnellzug den Güterzug .^r. 86^ in Unterterzen passtren und den Güterzug Rr. 83^ in Mnrg krenzen. Die

Kreuzung der beiden Güter^üge finde in Murg statt.

Zn dieser Zeit stund der Güterzug ^r. 83^ bereits in Murg, um

dort nach der in Weeseu erhaltenen Jnstruktion zu kreuzen. Der von Ehur kommende Güterzug stund seinerseits in Unterterzen und wartete^ nach der gewohnlichen ^ahrordnung auf dieser Station der Kreuzung. Beide Züge kouuten sich gegenseitig sehen. Das personal des in Murg stehenden Zuges gab nun dem andern Güterzuge durch einen Bahnangestellten die Raehrieht, dass die Kreuzung aus Murg verlegt worden sei, und es fand hieraus die Kreuzuug zwischen den beiden Güterzügen in Murg statt.

Der Güterzug Rr. 83^ sezte dann den Weg nach Wallenstadt sort, um dort nach der erhaltenen Jnstruktion auch mit ^ dem Schnell^uge zu kreuzen. Der Schnellzug hatte jedoch in ^olge des lezten .Telegramms die Station Wallenstadt bereits verlassen und stiess dann in der oben bezeichneten Gegend aus den il^m entgegen kommenden Gütexzug.

Durch diesen Zusammenstoss erhielten acht Personen mehr oder weniger bedeutende Verlegungen , und wurden zusammen 42.) Tage arbeitsuusähig gemacht. ferner ist der Schaden, welchen die Vereinigten Schwei^erbahnen an Material, Waaren und Ar^tkosten erlitten, aus ^r.

20,800. 43 beziffert.

Jn ^olge dessen wurde gegen Engster wegen fahrlässiger Gesährdung des Eisenbahnbetriebes eine Strafuntersuchung erosfnet, deren Behandlung und Aburtheilung den Gerichten des Kantons ...^t. Gallen übertragen wurde.

Bei der gerichtlichen Verhandlung trug die Verteidigung auf Freisprechung des Eugster an, da ihn kein Verschulden tresse. Rach dem Ergebniss der Untersuchung sei die erste Depesche, womit die Verlegung der Kreuzungen nach Murg und Wallenstadt angeordnet worden, am leztern Orte angelangt, als der Gütexzug Rr. 8l.^ noch dort gestanden

750 fei.. es sei nicht ermittelt, ans weichen Gründen diese Depesche nicht^ abgenommen und dem Zugführer nicht znr Kenntniss gebracht worden sei. Wie dem aber anch sei, immerhin habe Engster jene erste Depesche nach Wallenstadt und diejenige nach Sargans noch rechtzeitig abgegeben.

Eugster habe auch den Güterz..g in Weesen erst abgehen lassen, als der Telegraphist Hübscher ihm berichtet , dass die Depeschen von den .^ta^ tionen Sargans und Wallenstadt als richtig verstanden beantwortet worden seien. Wenn die Ursache jenes Znsammenstosses in einer Verspätung des Telegrammi nach Wallenstadt liege , so trage hieran der Telegraphist und nicht Engster die Schuld. Sei aber diese Depesche rechtzeitig eingelaugt , so konue nur der ^tationsverwalter in Wallenstadt verantwortlich gemacht werden. Jedensalls könne Engster für das eigenmächtige Vorgehen des Dienstpersonaies aus ^den in Mnrg und Unterterzen stehenden Güterzügen, woraus allein das Unglük entstanden sei, nicht haftbar sein.

Das Bezirksgericht in Sargans verwars jedoch diese Verteidigung gründe und erl.larte ^ in seinem Urtheile^ vom 2..). Januar 1872 den Joh. Engster einer Fahrlässigkeit schuldig, weil er den Güterzug vo^ Weesen habe abgehen lassen, bevor er überzeugt gewesen, dass die Verlegung der Kreuzung durchweg korrekt angeordnet und verstanden wor.^ den sei. Das betreffende Urtheil ist in Rechtskrast erwachsen, indem

Eugster die Appellation hiegegen nicht ergriff. Dagegen wurde die

Strase bis heute noch nicht vollzogen.

Mit Eingabe vom 19. März 1872 richtete nun Hr. Advokat Good, Sohn , in Mels, Samens des Joh. Eugster, ein ..Begnadigungsgesuch an die Bundesversammlung. Zur Unterstützung desselben wurde in erster Linie die Richtigkeit des Urtheiles über die ..^ehuldsrage angesochten und dann noch geltend gemacht . Eugster sei zur Zeit jeues Borfalles bedenklich krank gewesen . es konne ihm daher eine allsällige ^orglosigkeit nicht angerechnet werden, deren folgen übrigens von dem Stellvertreter Hübseher durch ein rechtzeitiges Eingreisen , wozu derselbe verpflichtet gewesen wäre, hätten verhindert werden können. Dass Eugster tro^ seiner Krankheit den Dienst verrichtet habe, ^euge von seinem Dienstbeflissenst. Jm Uebrigen wurden günstige Zeugnisse der Direktion der Vereinigten Schweizerbahnen und des ..^elegrapheninspektorat^ in Zürich , unter welchem Eugster gegenwärtig als Telegraphenausseher in Brunnen (...^chu...^) steht, über dessen Verhalten produzirt. Endlich sei Engster ein mittelloser Familienvater und es würden durch den Vollzug der Strafe hauptsächlich die Frau und Kinder zu leiden haben.

Dieses Begnadigungsgesuch wurde der Regierung des Kantons St. Gallen zum Berichte übermalt , welche mit Schreiben vom 22.

7.^1 ^April a. c. erklärte, dass fie uach Vrüsuug der Verhältnisse zu einer Empfehlung des Gestes sich keineswegs bewogen finden konne. gleich-

zeitig übermittelte sie ein bezügliches Gutachten der dortigen Staatsanwaltschast, die sich wie solgt aussprach : Auf die Frage der Schuld konne man nicht mehr eintreten. Es konne übrigens diesssalls auch kein Zweife.l erhoben werden . indem Eugfter bei der Verlegung der Kreuzung die erste hiebei zu beobachteude Regel, nämlich sich zu versichern , dass sie. von dem andern Bahnzug .

richtig verstauden worden sei, ausser Acht gelassen und nachher die eutstandene Verwirrung in einer Weise zu heben versucht habe, wodurch Alles dem Zusa.l^ in^d.^ Hände gegeben worden sei. Zudem tresse den Eugster noch der Vorwurs der Säumuiss, indem er von Rapperschwyl aus vou der Verspätung des Güter.^uges Rr. 8...^ rechtzeitig in Kenntniss gesezt worden, seine Anordnungen jedoch erst getroffen habe , als es zu spät gewesen sei.

Die Ursache der dem Engster zur Last sollenden Fahrlässigkeit liege in seiner Reigung zum Trunke. Derselbe habe znr Zeit des fraglichen Unsalles neben der Gelbsucht, an der Säuserdhserasie, dem Vorboten des delirmm. treme..^. gelitten. Es sei daher auch begreiflich, dass in dem Zeugnisse der Bahndirektion erklärt werde , es habe sich in den legten Jahren etwelche Abnahme im srühern Diensteifer des Eugster ..^^ Uebrigens seien alle in dem Begnadigungsgesuch geltend gemachten Umstände schon vor dem Gericht vorgebracht worden, und es habe dieses die mildernden Verhältnisse im Urtheile in Berüksiehtigung gezogen.

Dieses Urtheil konne nicht als ein hartes bezeichnet werden. Die ^taatsanwaltschast sei in Verlegenheit, jezt schon, vor Antritt der Strafe, einen Strasuachlass .^u befürworten, weil ein solcher einer willkürliehen

Abänderung des richterlichen Urtheiles gleichkäme. Es mochte vielmehr

korrekter sein, wenn die exekutive Behörde die Vollmacht erhielte,

bei

Wohlverhalten des Sträflings die Gefängnissstrase bis auf die Halste

nachzulassen. Wolle man endlich die Familie des Verurtheilteu berüksichtigen, so dürste von der Geldbusse Umgang genommen werden.

Wir uusererseits schlössen uns der Ansicht der Regierung von St.

Gallen an und finden ebenfalls, es sei dem Gesuche des Vetenten nicht zu entsprechen und ^war wesentlich mit Rüksicht aus die grosse Gefahr, die jedes Versänmniss im Eisenbahndienft für das Leben und Eigene thum Anderer haben kann. Eugfter konnte in seiner ^tellnug diese Gefahr ganz wohl und viel besser ermessen, als andere Funktionäre in untergeordneten Stellungen. Es erscheint daher wirklieh als ein strafbares Versäumniss , dass er drei Eisenbahnzüge , die theils einander

752 folgten, theils sich kreuzten, nicht einer grössern Ausmexksamkeit würdigt..^ als er es gethan hat. Unter solchen Umständen finden wir einen Straf-^ nachlass nicht am Blaze.

Wir benuzen diesen Anlass, Sie, Hochachtung zu versichern.

Tit., unserer

vollkommensten

Bern, den 21. Juni 1872.

Jm Ramen des schweiz. Bundesrathes,

Der B u n d e s p r ä s i d e n t : .^elti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft :

Schiel ^

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06.07.1872

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