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Bundesrathsbeschluß in

Sachen des Rekurses des Hrn. Joseph Maria Durrer, in Wylen, bei Sarnen, betreffend Verfassungsverlezung.

(Vom 15. Mai 1871.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h hat

in Sache.... des Hrn. Joseph Maria Durrer, in Wylen, bei Sarnen, Kts. Unterwal.den ob dem Wald, betreffend Verfassungsverlezung .

nach angehortem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben : L Mit Eingabe vom 20. Dezember 1870 erhob Ramens des Joseph Maria Durrer Hr. Fürsprecher K. Desehwanden in Stans beim Bundesrathe folgende Besehwerde: Der Rekurrent, J. M. Durrer, habe am 25. April 1869 nach der .Landsgemeinde ein anonymes Schreiben, welches e... von der Bost in tarnen empsangen , und in welchem verschiedene Persönlichkeiten --- namentlich Beamte -- theils injurixt, theils lächerlich gemacht seien, in einem an das Vostbüxeau anstoßenden Gastzimmer vorgelegen.

Jn Folge dessen haben 13 Einwohner von Sarnen am 3. Mai gl. J.

bei der Regierung von Unterwalden o. d. W. Klage erhoben, worauf

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dieselbe (nachdem einzelne befangene Mitglieder sich rekustrt haben) Beschluss vom 5. Mai 1869 eine Untersuchung eingeleitet habe.

mit

Aus Grund dieser Untersuchung sei Durrer wea^n Veröffentlichung eines Bamphletes por das Bolizeigericht des Kantons Obwalden zitirx worden. Er habe jedoch dessen Kompetenz bestritten, weil Jujurienklagen dem Eivilgerichte zugewiesen seien. Das Bolizeigericht habe dann auch mit Entscheid vom 5. Juli sieh inkompetent erklärt.

Hiegegen habe der .^taatsanwalt . die Appellation an das OberBericht von Oswalden e.rgrissen. Dieses Gericht habe nun mit Entscheid vom 7. August .l 869 das Bolizeigericht als kompetent erklärt, weil, wenn auch Ehrenverlezungen naeh Art. 59 und 63 der Verfassung und Art. 1, Ziff. 5 de^ Gesezes über das Strasrechtsverfahxen von^ dem Zivi.lriehter abzuwandeln seien, doch im vorliegenden Falle nicht um eine direkte Jnjurie durch den Verfasser oder Urheber des Bamphlets sieh handle, sondern um Verbreitung desselben, wodurch Ausregung und Skandal entstanden , eine Handlung , die nach Art. 62 der Kantonsversassung dur.h den .^olizeiriehter zu beurtheilen sei.

Das Bolizeigericht habe dann wirklieh den Hrn.

Durrer am 24. August 1869 des Versuches der Provokation und Ruhestörung schuldig erklärt und zu einer Geldbusse von Fr. 31 und zur Bezahlung der Kosten verurtheilt.

Durch dieses Urtheil, sowie durch den Entscheid des Obergeriehtes vom 7. August 1869 sei die obwaldisehe Kantonsversassung. sowie die Bundesverfassung verlebt worden. Es habe sich um Verfolgung eiuer Ehrenkränkung .--... einher Jnjnrie -- gehandelt, denn das Vacuili gehore ebensalls unter diesen Begriff. Laut Art. 59, Lut. c der Verfafsnng von Obwalden, sowie nach Art. 5 des Gesezes über das Strafxechtsversahren salle aber die Behandlung der ,,Ehrenverlezungen in Wort und ....^christ^ in die Kompetenz der zivilen Gerichte. Dabei komme nichts darauf an, ob es sich um Urheberschaft oder um Verbreitung einer Juiurie handle ^ man könne sür die Verbreitung nicht einen eigenen Gerichtsstand anweisen.

Das ^..bergerieht des Kantons Unterwalden o. d. W. ^ habe freilich zur Unterstüzung seines Entscheides das sragliehe Vergehen als Brovo^ kation und Ruhestoruug bezeichnet. Es sei aber zu bemerken, dass das Vergehen bis zu jenem Entscheide nie als Ruhestorung .e. ausgesasst, sondern dass Durrer. bis zu diesem Zeitpunkte immer nur wegen Ver.^ breitung eines Bas.^uills gerichtlich versolgt worden sei. Troz des Ramenswechsels bleibe der Thatbestand derselbe, nämlich eine Jnjurie.

Bei dem Erscheinen von Basa^uillen trete. immer eine gewisse Aufregung ein.

230 Joseph .Maria Durrer sei somit seinem durch den Art. 8 der Ka^tonsversassung und durch den Art. 53 der Bundesversassun^ garantirti natürlichen Richter entzogen worden.

Zudem enthalte das ganze Brozessversahren eine Anzahl von gesezwidrigen Unregelmässigkeite.^. Eine Amtsehrenperlezung liege nicht por; ^omit sei kein Grund vorhanden, gegen Durrer in der Form des Stre.sprofesses vorzugehen. Es sei desshalb ^as auf dem unrichtigen Rechtswege erlassene Urtheil laut Art. 10 des Strasprozessgesezes von Obwalden zu verwerfen. Ferner fei der Regierungsrath laut Art. 54, Absaz 2 der Verfafsung von Obwalden bei feiner Erkanntniss vom 5. Mai 1869 nicht ......schlusssähig gewesen. Dann habe die Justizkommission aus ihrer Mitte.

einen Verhorrichter für den Fall bezeichnet, während ihr drittes Mitglied ohnehin Staatsanwalt und im Prozesse thätig gewesen sei. Dies stehe^ im Widerspruche mit Art. 12 und 15 des Strasreehtsversahrens und

mit Art. 48 und 53 der kantonalen Verfassung. Endlich sei lant Art. 62 der gleichen Verfassung und laut Art. l 19 des Strafrechtsversahrens der Entscheid des ..^olizeigerichtes.vom 5. Juli nicht appel-

label, uud auch das Obergerieht bei seinem Entscheide rechtsw.dr.g ^esezt gewesen, da Hr. Landschreiber Gasser, der am 5. Mai der Jnsti^ kommission als Aktuar gedient, bei jener Verhandlung des Ob..rgeri^ sogar als Präsident Theil genommen habe.

Die Besehwerde sehioss mit dem Gesuche, es mochte der Entscheid des Obergeriehtes des Kantons Unterwalden o. d. W. vom 7. August 1869, sowie das Urtheil des Bolizeigerichtes vom 24. gleichen Monates

als nichtig erklärt werden.

ll. Die Regierung von Unterwalden o. d. W. trug in ihrer Antwort vom 28. April .^871 aus Abweisung der Besehwerde an und.

machte wesentlich Folgendes geltend : Während den ersten Monaten des Jahres .18^9 seien verschiedene Bamphlete in Form von Jnseraten, Briesen und Vlakaten ausgetaueht,.

durch welche die öffentliche Stimmung, besonders in Sarneu, in bedeutlicher Weise aufgeregt worden sei. Man habe allgemein den ^eknrrenten Durrer und seine Brüder als deren Urheber bezeichnet. Als nun am Tage der Landsgemeinde von J. M. Durrer selbst ein solches Base.nill produ^rt worden, so haben die Behorden einschreiten müssen..

Die Handlungsweise des J. M. Dnrrer .^..alif^ire sich allerdings nicht als eine Amtse^renverlezung ; es habe daher aus diesem Grunde keine Versolgung im ^trasprozesse eintreten konnen. Eben so wenig aber sei sie bloss eine Jnjurie , sondern sie erseheine als ossent^iehe Ruhestorung, indem die Absicht des Urhebers und des Verbreiters jenes Vas.^uills die Anregung zum Zorn, die Erregung allgemeinen Aergers und die Brovol.ation zum Streit gewesen sei. Dieses Vergehen gehore

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vor den ordentlichen Strafriehter, zumal kein Gesez dasselbe diesem Gerichtsstande entziehe, wie denn überhaupt in gemischten oder zweifelhaften Fragen das strafgerichtliche Forum dem zivilgerichtlichen vorgehe.

Es habe daher die Justi^.kommission den Fall an das Bolizeigericht weisen müssen, und es sei derselbe von Anfang an und in allen Stadien des Brousses als Vergehen der Störung des össentlichen Friedens behandelt worden.

Was die weitern Einwürfe des Rekurrenten gegeu das Verfahren anbelange, so sei den drei nicht im Ausstande befindliehen Mitgliedern

des Regierungsrathes perfassungsmässig die Besugniss zum Untersuch^ zugestanden. Ferner sei weder in der Verfassung , noch in dem obwaldischen Gesez über das Strasrechtsversahren eine Bestimmung enthalten, dass der Verhörrichter und der Staatsanwalt nicht Mitglieder der Justizkommission oder des Regierungsrathes sein können.

Die Zuständigkeit des Obergerichtes anbelangend, so sei zu beachten, da^

ein Kompetenzkonflikt zwischen Bolizeigerieht und Eivilgerieht bestanden

habe, der von dem Obergerichte zu lösen gewesen sei, da die Untergerichte der Kontrole und Weisung desselben unterstellt seien (Art. 56 Lnt. a der Verfassung von Obwalden). Zudem seien laut ^ 1 0 3 der Zivilpro^essordnung Entscheide über zerstörliche Einreden appellabel, sofern der Vrozess überhaupt appellabel sei, was hier angenommen werden müsse. Das Obergerieht sei richtig besezt gewesen, indem gegen Hrn.

Gasser kein Ausstandsgrnnd vorgelegen (Art. 8, Ziff. 1-3 der Strasprozessordnung und Art. 4, Lnt. a-t der Zivilprozessordnung). zudem sei laut der leztzitirten Gesezesstelle eine Nichtigkeitsklage verwirkt, da Durrer den Ausstand des Hrn. Gasser nicht verlangt habe.

Sehliesslieh bemerkte die Regierung von Obwalden, Rekurrent hätte.

vorher die kantonalen Jnftanzen passiren sollen, bevor er wegen Rechtsverlezung an die Buudesbehörden sich wenden könne, die keine Appellations- oder Kassationsbehorden seien. J. M. Durrer habe jedoch bei dem Kassationsgerieht von Obwalden keine Beschwerde gegen den Entscheid des .^bergerichts vom 7. August 186.) erhoben und eben so wenig eine Appellation gegen das Strafurtheil vom 24. August erklärt, somit die beiden Entscheide anerkannt.

J n Erwägung: 1) Die Beschwerde richtet sich gegen Verlegungen der Bundesverfassung, der Kantonspersassung und verschiedene kantonale Geseze.

2) Was die behauptete Verlegung von Vorsehristen der Bundesversassung betritt, so beruft sich Rel.urrent aus die Art. 5 uud 53. Diese Artikel gewähren dem Bürger allerdings deu ...^ehuz der verfassungsmassigen Rechte, daher darf Niemand seinem versassungsmässigen Ge...iehtsstand endogen uud vor ein Ausnahmsgericht gestellt werden.

..^2.

3) Von einem .^lusnahmsgericht kann aber hier keine R.ede. sein, ..... es sich einzig darum handelt, welches von zwei ...erfassungs^emass aufgestellten Gerichten znr Beurteilung des Straffalles zuständig sei.

Erhängt dieses von der rechtlichen Ratur der eingeklagten Handlung ab. Diese. zu bestimmen ist aber nicht Sache des Bundesrathes, son.^ dern der zuständigen kantonalen Behörden.

4^ Soweit die Beschwerde gegen Verlegung kantonaler Verfassung Bestimmungen. gerichtet ist, so ist ausfallend, dass Rekux^ent von dem Rechte der Weiterziehung an obere gerichtliche Jnstanzen keinen Gebrauch gemacht hat. Jndess ist daran zu erinnern, dass Beschwerden gegen die Vexsassungsmässigkeit von Entscheiden oder Verfügungen kantonaler Behorden naeh konstanter ....undesrechtlieher Vrax^is zuerst v.or die oberste ^antonsbehorde gebracht werden müssen, ehe eine solche bei den Bundes

Chorden zulässig ist (vide Ullmex, Bd.. l, Rr. 355. und Bd. II, ^r. 861, S. 166).

5) Was endlich die Auslegung und Anwendung blosser kantonaler Geseze betrifft, so fallen diese ganz in den Bereich der kantonalen Souveränität. Eine Einmischung des Bundesrathes würde sich^ erst in dem Falle rechtfertigen, wenn dadurch Bundesvorschriften verlezt würden. es ist^ dieses jedoch hier nicht der Fall ;

b e s ch l o s se n : ^ 1. Es sei die Be^.hwerd... im Sinne der Erwägungen als un.begründet abgewiesen.

2. Sei dieser Besehluss der Regierung des h. Standes Obwalden, sowie dem Hrn. Fürspreeher K. Deschwanden in Stans als Anwalt und zuhanden des Rekurrenten, .^rn. Jos. Maria Durrex in W.^len bei tarnen, unter Rüksendung der Akten mitzutheilen.

Be^rn, den^15. Mai. 1871.

Jm Ramen des sehweizerisehen Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i ^ e n t :

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft :

Schiel

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Bundesrathsbeschluß in

Sachen des Rekurses des Hrn. Tobias Schmidheine, von Balgach, betreffend Gerichtsstand.

(Vom 17. Juni 1872.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h

hat in Sachen des Hrn. Tobias S e h m i d h e i n e , von Balgach,

Kts. St. Gallen, wohnhast in WädenschweiI, Kts. Zürich, betreffend Gerichtsstand .

nach angehortem Berichte des Justiz und Bolizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sieh ergeben: I. Jm September 1871 kanste der Rekurrent von Baptist Rustaller in der Snmmel.., Gemeinde Vsäfsikon, Kts. Schwyz, ein Quantum Obst. Als er dieses Obst bei dem Verkäufer abholen wollte, verweigerte der lettere die .Ablieferung, weil der Kaufpreis nicht vollständig bezahlt worden sei. S.hmidheine deponirte daher einen Betrag von Fr. 50 auf dem Bezirtsamte der Hose, woraus .der Verkauser von diesem Amte angewiesen wurde, die Lieferung des Obstes zu vollziehen.

II. Jm Oktober daraus erhob Schmidheine por dem Kreisgerichte

Pfäffikon gegen Rnstaller eine Eivilklag... mit dem Reehtsbegehren, dass

die deponirten Fr. 50 ihm wieder aushin zu geben seien. Mit Urtheil vom 11. Oktober 1871 wies jedoch das Gericht diese Klage ab, weil

Bundesblatt.Jahrg. XXIV. Bd.III.

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07.09.1872

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