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Bundesratbsbeschluß

^ Sachen des Rekurses des Hrn. Friedrich Curti, von Rappersweil, betreffend Gerichtsstand.

(Vom 30. März 1872.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h hat in Sachen des Hrn. F r i e d r i c h E u r t i von Rappersweil, Kts. St.

Gallen, wohnhaft in der Stadt St. Gallen, betreffend Gerichtsstand ;

nach angehortem Berichte des Jnstiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sieh ergeben : .I. Mit Urtheil des Bundesgerichtes vom 1. Juli 1871 wurde der Rekurrent von seiner Ehesrau Vauline Eurti , verwittwete Stetter, geschieden. Jn Folge dessen fand zwischen ihm und dem Schuzvogte der Leztern , Hrn. Thoma, vor dem Vermittleramte von St. Gallen eine Verhandlung statt bezüglich der Rükerstattung des Frauengutes und der Bezahlung einer Alimentation an Frau und Binder sür die Zeit der Dauer des Brousses im Betrage von 1000 Frs. Hr. Eurti bestritt ..die Alimentationsforderung und anerkannte auch vom Frauengut 2000 Frs. weniger als gefordert wurde.

Hr. Thoma sah sich desshalb veranlagt , diese beiden Beträge vor dem Bezirksgerichte St. Gallen einzuklagen , vor welchem Hr. Eurti eine Eompetenzeinrede erhob und geltend machte, dass bezüglich der Alimentationsforder.mg gemäss Art. 4 des Nachtrages zu dem Bundesgeseze

554 über die gemischten Ehen, vom 3.^ Februar 1862, einzig das BundesBericht zu urtheilen zustandig sei.

II. Diese Einrede wurde jedoch vom Bezirksgerichte von St.

Gallen mit Urtheil vom 21. Rovember 1871 abgewiesen , und das

Kantonsgericht bestätigte am 9. Februar 1872 diesen Entscheid gestüzt

daraus , dass die in Art. 4 des angerufenen Bundesgesezes sestgesezte bundesgerichtliche Jurisdiktion in aeeessorischen Fragen nur für diejenigen Fälle vorgesehen sei, wo solche gleichzeitig mit der Hauptsache anhängig gemacht werden .; im Spezialsall sei aber von den Parteien eine Klage über aeeessorische Fragen vor dem Bundesgerichte nicht gestellt und von diesem auch nicht behandelt worden, weswegen dieselbe nachher von den kantonalen Gerichten behandelt werden könne.

......L Mit Eingabe vom 22. Februar 1872 rekurrirte nun Hr.

Fürsprecher Thuli in St. Gallen, Ramens des Friedrich Eurti, au den Bundesrath .und machte geltend : Das Bundesgericht habe in den Brozessen über Scheidung von gemischten Ehen nicht ....los über die Hauptklage z.. entscheiden, sondern

es sei auch das einzig kompetente Gericht sür die Benrtheilnng der ökonomischen^ Folgen einer Ehescheidung. Dies ergebe sich schon aus dem allgemeinen Reehtsgrundsaze , dass die Nebensache der Hauptsache

folge, und namentlich aus den diessälligen Vorschriften der Bundesgesezgebung selbst. Gemäss Art. 3, 5 und 6 der Verordnung betreffend

das Verfahren im Ehescheidungsprozesse vom 5. Juli 1^62 sei der Jnstruktionsrichter angewiesen , von A m t e s w e g e n die Beweise rük.

sichtlich der Aeeessorien zu sammeln, und gemäss Art. 4 des Bundesgesezes vom 3. Februar 1862 habe das Bnndesgericht entweder selbst über jene ae..essorischen fragen zu entscheiden oder. den Entscheid hierüber von A m t e s w e g e n an die kantonalen Gerichte zu überweisen.

Das Bundesgerieht sei also gesezlich verpflichtet, das Eine oder Andere zu thnn, selbst wenn die Barteien keine Anträge gestellt hätten.

Die Entschädigungsklage der ^rau E.^rti sei offenbar ein Aeeesforium der Scheidungsklage, und da eine Delegation der Gerichtsbarkeit hierüber an die .^t. Gallischen Gerichte nieht stattgesunden habe , so

müsse dieser Theil der Klage vor dem Bundesgericht anhängig gemacht werden.

Jm Weitern bezog sich Hr. Fürsprecher Thuli auf die in Ullmer's staatsrechtlicher Bra^s Bd. II., .^r. 1024, 1026 und 1031 ange.führten Entscheide, nnd schloss mit dem Gesuche, es mochte das Urtheil des ^t.. Galligen Kantonsgeriehtes vom .^. Februar 1872 aufgehoben werden.

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1V. Jn seiner Antwort vom 7. März 1872 trug Hr. Advokat

^. Hoffmann in St. Gallen , Ramens der Frau Bauline Eurti, auf die Abweisung der Rekursbeschwerde an unter folgender Begründung : Es sei in dem Bundesgeseze. vom 3. Februar 1862 nicht vorgeschrieben, dass auch ^die Ansprüche, welche als Folgen der Ehescheidung erhoben werden, vor dem Bundesgerichte eingeklagt und mit der Scheidungsklage kumulirt werden m ü s s e ü. Allerdings k o n n e n die Barteien dieses thun , und nur der ^all sei in Art. 4 des Bundesgeseze....

vorgesehen , wo die Barteien selbst solche Klagen mit der Scheidungsklage verbinden. Gesehehe dieses nicht, so konne auch keine Delegation eintreten und es seien die Barteien durch keine bundesgesezliche Vor^christ gehemmt , aus der Scheidung abgeleitete .Ansprüche separat vor.

den kantonalen Gerichten auszutragen. ^ Der Anschauung des Rekurrenten stehe auch die Brax^is des

Bun-

desgerichtes selbst entgegen , da dieses einzig die ^rage it^er die Zu-

.theilung der Kinder , ohne bezügliche Anträge der Barteien , an di...

Hand genommen habe. . Dafür sprechen aber Gründe des öffentlichen Jnteresses.

Endlich .^ualisizire sieh die Klage der Frau Eurti betreffend Ali.mentation nicht als Aeeessorium der Scheidungsklage. Sie werde auf die Thatsache gestüzt, dass Hr. Eurti während der Dauer des Brozesses ^on dem Vermögen der Klägerin und von demjenigen ihrer Kinder die Zinsen bezogen, dagegen an deren Unterhalt nichts geleistet habe. Run verlange ^rau Eurti Ersaz für den von ihr gemachten Aufwand. Dieses Begehren stehe mit der Scheidung der Ehe nicht in eausalem Zusammenhange, somit finde derart. 4 des zitirten Bundesgesezes auf die Klage..

^icht .Anwendung.

Jn

Erwägung:

1) Es unterliegt keinem Zweifel, dass das Bundesgericht bei gemischten Ehen nicht nur über die Frage der Ehescheidung selbst zu urtheilen hat , sondern auch zuständig ist , über die vermogensrechtliehen Folgen der Ehescheidung Versügungen zu treffen.

2) Diese Eompetenz ist dem Bundesgerieht in dem Rachtragsgesez schränkung , dass in Beziehung aus die leztern Fragen das Gesez des.oom 3. Februar 1862 ausdrüklieh gewahrt, immerhin aber mit der Ein-

jenigen Kantons anzuwenden sei , dessen Gerichtsbarkeit der Ehemann unterworfen ist. Will das Bundesgericht über die aeeessorisehen Fragen.

nicht selbst urtheilen, so kann es die Entscheidung den kantonalen Gerichten zuweisen.

3) Es fragt sieh nun , ob in dem Falle , wo das Bundesgericht.

uber diese Rebenpunkte nicht selbst geurtheilt und auch kein kantonale.^

556 Bericht delegirt hat, die leztern dennoch zuständig seien, auf Grund de....

bundesgerichtliehenSeheidungsurtheiles die aeeessorisehen Fragen zu regeln.

Es muss dieses beiaht werden, weil die kantonalen Geriehte die nalürlichen Richter zur Regelung dieser .....ebenpnnkte sind , wenn die Barteien diese Frage nicht mit der Hauptsache beim Bundesgerieht zur BeHandlung gebracht, oder das Bundesgerieht es nicht angezeigt gefunden hat , e.^ of..iclo auch diese Bunkte durch den Jnstrnktionsrichter untersuchen zu lassen und selbst zu beurteilen.

4) Auf diesen Standpunkt hat sieh das Bundesgericht bei Behandlung dieser Ehescheidung offenbar gestellt , wenn es die aeeessorisehen Fragen ganz bei Seite liess , weil ,,weder von dem einen no^ dem andern Theile eine Entschädigungssorderung gestellt wurdet Eine Delegation fand es ebenfalls nicht am Blaze, da die Barteien diese Fragen ganz unberührt liessen. Es konnte deshalb den Barteien süglieh überlassen , diese Ansprüche getrennt vor den kantonalen Gerichten ..uszn^ tragen, was durch keine bundesgesezliche Vorschrift untersagt ist ,

b e s eh l o s s e n : 1.

Es sei der Rekurs als unbegründet abgewiesen.

^2. Sei^ dieser Beschluss dem Herrn Fürsprecher Thnli in St..

Gallen zuhanden des Rekurrenten Friedrieh Eurti daselbst, und der Regiernng des Kantons St. Gallen für sich und zuhanden der Reknrsbe.klagten unter Rüksehluss der Akten mittheilen.

Also beschlossen, Bern, den 30. März 1872.

Jm Ramen des sehweiz. Bundesrathes^.

Der Bundespräsident: .^lti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Schieb.

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15.06.1872

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