01.053 Botschaft über das Fakultativprotokoll von 2000 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten vom 5. September 2001

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen mit dieser Botschaft den Entwurf eines Bundesbeschlusses betreffend das Fakultativprotokoll von 2000 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

5. September 2001

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates

11614

Der Bundespräsident: Moritz Leuenberger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2001-0645

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Übersicht Mit dieser Botschaft unterbreitet der Bundesrat den eidgenössischen Räten das Fakultativprotokoll vom 25. Mai 2000 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Kinderrechtekonvention) betreffend Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten zur Genehmigung. Das Fakultativprotokoll wurde im Rahmen der UNO ausgearbeitet und ergänzt die Kinderrechtekonvention (KRK) ­ namentlich Artikel 38 ­ im Bereich Kindersoldaten. Artikel 38 KRK sieht für die Rekrutierung und die unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten ein Mindestalter von 15 Jahren vor und stellt damit gerade in der Extremsituation von bewaffneten Konflikten eine Ausnahme von dem in der Kinderrechtekonvention statuierten Grundsatz dar, dass jeder Person bis zu ihrem vollendeten 18. Lebensjahr ein besonderer Kinderschutz zukommt. Das vorliegende Fakultativprotokoll verbessert den Schutz der Kinder in bewaffneten Konflikten in wesentlichen Punkten: Es hebt das Mindestalter für die obligatorische Rekrutierung und die unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten auf 18 Jahre an. Es verpflichtet die Vertragsstaaten, das Mindestalter für die Rekrutierung von Freiwilligen durch staatliche Streitkräfte auf mindestens 16 Jahre zu erhöhen und in einer verbindlichen Erklärung darzulegen, welches Mindestalter für diese Rekrutierungsform auf ihrem Territorium gilt. Ferner müssen sie alle durchführbaren Massnahmen treffen, damit bewaffnete Gruppen unter keinen Umständen Personen unter 18 Jahren rekrutieren oder in Feindseligkeiten einsetzen. Es nimmt schliesslich die Vertragsstaaten in die Pflicht, Massnahmen für die Demobilisierung, Rehabilitation und die soziale Wiedereingliederung von Kindern, die als Soldaten an bewaffneten Konflikten beteiligt waren, zu ergreifen. Damit leistet es einen bedeutenden Beitrag zu einem rechtlichen und tatsächlichen Schutz der Kinder als schwächste Glieder der Gesellschaft in bewaffneten Konflikten.

Die schweizerische Rechtsordnung genügt den Anforderungen des Fakultativprotokolls. Das Parlament hat bereits im Rahmen der kürzlich erfolgten Ratifikation des IAO-Übereinkommens Nr. 182, welches ein Mindestalter von 18 Jahren für die obligatorische Rekrutierung vorsieht, die entsprechenden notwendigen Änderungen im schweizerischen Recht vorgenommen.

Bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde muss die Schweiz
nach Artikel 3 Absatz 2 des Fakultativprotokolls eine verbindliche Erklärung abgeben, in der sie das Mindestalter für die Rekrutierung von Freiwilligen durch staatliche Streitkräfte und allenfalls die Sicherungsmassnahmen zur Einhaltung dieser Verpflichtung angibt.

Der Bundesrat beabsichtigt, über das im Fakultativprotokoll vorgesehene Mindestalter von 16 Jahren hinauszugehen und ein Verbot der Rekrutierung von Freiwilligen unter 18 Jahren durch staatliche Streitkräfte in der Schweiz zu erklären. Damit wäre die Rekrutierung von Kindern in der Schweiz generell verboten. Dieser Schritt würde Anpassungen auf Verordnungsebene bedingen.

Die Ratifikation des Fakultativprotokolls wird keine voraussehbaren direkten finanziellen Folgen für Bund und Kantone haben. Im Falle einer Zunahme von Asylgesuchen von Kindern, die als Soldaten an bewaffneten Konflikten beteiligt waren, könnte auf Grund allfälliger Rehabilitations- und Resozialisierungsmassnahmen ein

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finanzieller Mehraufwand für Bund und Kantone entstehen. Während der bewaffneten Konflikte in Ruanda, Bosnien-Herzegowina und Kongo wurden nur wenige Asylgesuche von Kindern, die ehemalige Soldaten waren, festgestellt. In Zukunft ist jedoch eine derartige Entwicklung nicht völlig auszuschliessen.

80 Staaten haben bis Anfang Juni 2001 das Fakultativprotokoll unterzeichnet und bereits vier Staaten haben es ratifiziert. Die Schweiz, die massgeblich an der Ausarbeitung des Fakultativprotokolls beteiligt war, unterzeichnete es am 7. September 2000 anlässlich des Millenniumsgipfels in New York. Die Ratifikation des Fakultativprotokolls ist ein vordringliches Anliegen der schweizerischen Menschenrechtsund humanitären Völkerrechtspolitik.

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Botschaft 1

Allgemeiner Teil

1.1

Einleitung

In den letzten Jahrzehnten sind immer mehr Kinder Opfer bewaffneter Konflikte geworden, sei es als zivile Zielscheiben oder als Täter. Gemäss UNICEF wurden in der Dekade 1986­1996 ungefähr zwei Millionen Kinder in bewaffneten Konflikten getötet und sechs Millionen verwundet. Über eine Million Kinder sind verwaist. Die UNO schätzt, dass heute ca. 300 000 Kinder unter Waffen stehen, etwa 50 000 mehr als noch vor vier Jahren1. Von dieser Problematik sind vor allem Afrika, Lateinamerika und Südasien betroffen. Aber auch in den erst kürzlich beendeten bewaffneten Konflikten auf dem Balkan sind Kindersoldaten in Feindseligkeiten eingesetzt worden. Hinter diesen Zahlen stehen die erschütternden Kriegserlebnisse von Kindersoldaten, wie beispielsweise der Verlust von Familienangehörigen, die Unterbrechung der Ausbildung, das Erfahren körperlicher Leiden und sexueller Ausbeutung sowie der damit verbundenen Gefahr der Ansteckung mit der Immunschwächekrankheit HIV/AIDS2.

Die Ursachen für diese erschreckenden Zahlen liegen in der starken Zunahme von materiell oder ethnisch motivierten nicht internationalen Konflikten, welche die Zivilbevölkerung sowie die staatlichen und sozialen Einrichtungen stark in Mitleidenschaft ziehen. Als neue Konfliktparteien treten neben den regulären Streitkräften auch nicht staatliche bewaffnete Gruppen auf, die oft nur lose Führungs- und Organisationsstrukturen aufweisen und sich dem humanitären Völkerrecht nicht verpflichtet fühlen. Schliesslich ist die Entwicklung von leichten und effizienteren Handfeuerwaffen zu erwähnen, welche den Einsatz von Kindern erst erleichtert3.

Kinder werden den Erwachsenen für einen militärischen Einsatz häufig vorgezogen.

Sie sind eher verfügbar, können sich weniger als Erwachsene gegen eine illegale Rekrutierung wehren und sind physisch und emotional leichter einzuschüchtern oder zu motivieren. Auf Grund ihres jugendlichen Alters und ihrer Unerfahrenheit unterliegen sie rasch einer falschen Einschätzung der Gefahren und der Leiden, die sie oft unbewusst mitverursachen. Sie sind zum Teil wesentlich skrupelloser, weil ihr Wertesystem noch nicht gefestigt ist und sie vielfach Gewalt bis hin zur Tötung als gängige Konfliktlösungsstrategie erfahren haben. Zu den Gruppen, aus denen am 1 2

3

Vgl. Bericht des UNO-Generalsekretärs vom 19. Juli 2000, UN-Doc. A/55/163 ­ S/2000/712, Ziff. 1­5.

Beispiele physischer und psychischer Verletzungen sind in folgenden Werken zu finden: I. Cohn und G.S. Goodwin-Gill, «Child Soldiers: The Role of Children in Armed Conflict», London: Oxford University Press 1994, S. 138­147; K. Hedlund Thulin (Ed.), «Children in armed conflict - Background document to the Plan of Action concerning Children in Armed Conflict», Institut Henry-Dunant, Genf 1995, S. 35­41; Graça Machel, Expertenbericht «Impact des conflits armés sur les enfants» in: UN-Doc. A/51/306, Ziff. 162­165 (im Folgenden zitiert als «Machel-Bericht»); R. Brett und M. McCallin, «Children - The invisible soldiers», Rädda Barnen (Swedish Save the Children), Stockholm 1996, S. 171­181; Human Rights Watch/Africa und Human Rights Watch Children's Rights Project, «Easy prey - Child soldiers in Liberia», Human Rights Watch, New York/Washington/Los Angeles/London/Brussels 1994, S. 35­38.

Siehe Machel-Bericht, a.a.O., Ziff. 22 ff.

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häufigsten rekrutiert wird, zählen Kinder ohne Familienbindung oder Erwachsenenbegleitung (Strassenkinder, Flüchtlingskinder) sowie Kinder aus ärmeren Schichten, deren Familien nicht genügend Einfluss besitzen, um sich gegen eine Rekrutierung zu wehren. Das normale Umfeld der Kinder ist in den meisten Fällen massiv bedroht oder gar zerstört. Die Familienstrukturen sind inexistent, Schulen geschlossen oder ausgebrannt. Meist treiben pure Not und massive Ängste die Kinder in die Hände militärischer Organisationen. Der Dienst in der Armee oder in bewaffneten Gruppen erscheint zunächst als sicherer im Vergleich zum bedrohten Dasein im heimischen Umfeld. Die militärische Organisation eröffnet die Hoffnung auf eine Grundversorgung an Lebensmitteln, Medikamenten und Kleidung. Sie bietet eine - wenn auch zweifelhafte - Solidarität und Geborgenheit und eröffnet die Perspektive, Rachegefühle für erlittenes Unrecht, Vertreibung und Gewalt befriedigen zu können. Oft führen auch religiöse oder politisch-kulturelle Gründe zum Anschluss von Kindern an bewaffnete Gruppen. Aber auch der Druck Gleichaltriger oder einfach das verlockende Abenteuer spielt eine Rolle4.

Die Auswirkungen bewaffneter Auseinandersetzungen hinterlassen bei Kindern, die sich in der labilen Phase der Persönlichkeitsbildung befinden, grössere Spuren als bei Erwachsenen. Bereits in Friedenszeiten sind sie auf den Schutz der Familie, der Gesellschaft und des Rechtsstaates angewiesen. Dieses Schutzbedürfnis ist in Kriegssituationen grösser und kann oft gerade dann überhaupt nicht oder nur in einem geringen Ausmass erfüllt werden. Dies kann längerfristige negative Auswirkungen auf ihre Entwicklung und ­ als Folge davon ­ für den Frieden und die Stabilität der nächsten Generationen haben. Viele Konflikte dauern länger als ein Jahrzehnt, weshalb ganze Generationen in diesen Ländern kein Leben ohne Krieg kennen und nur auf ein Leben als Kämpfer vorbereitet sind. Sie befinden sich zumeist in einem Land, das noch ärmer ist als vor dem Konflikt, in dem sämtliche soziale und rechtsstaatliche Strukturen zerstört wurden und das den Jugendlichen keine Perspektive für eine sozio-ökonomische Entwicklung, ein geordnetes und harmonisches Leben unter menschenwürdigen Bedingungen aufzeigen kann. Entsprechend erweisen sich die Wiedereingliederung der ehemaligen
Kindersoldaten und der Wiederaufbau dieser Länder als äusserst schwierig.

Die Lösung des Problems der Kindersoldaten stellt eine Herausforderung für die Staatengemeinschaft dar. Sie erfordert neue globale Ansätze und Methoden internationaler Zusammenarbeit. Neben der Entwicklungshilfe gehören dazu alle Arten von Interventionen zum Schutz von Individuen wie die Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofes, die Bemühungen zur besseren Verbreitung und Durchsetzung des humanitären Völkerrechts, die Massnahmen zur besseren Kontrolle des Handels mit kleinen und leichten Waffen und als weitere wichtige Massnahme das Verbot, Kinder zu rekrutieren und in Feindseligkeiten einzusetzen.

4

Zum Ganzen Machel-Bericht, a.a.O., Ziff. 36 ff.; Graça Machel, «Etude Machel 1996­2000», S. 9 ff.; I. Cohn und G.S. Goodwin-Gill, a.a.O., S. 23 ff.

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1.2

Das internationale normative Umfeld

Kinder gehören zu den Schwächsten in der Gesellschaft und sind deshalb in besonderem Mass Angriffen auf ihre physische und psychische Integrität ausgesetzt. In der Staatengemeinschaft hat sich allerdings erst spät die Erkenntnis durchgesetzt, dass Kinder deshalb auch völkerrechtlich eines besonderen Schutzes bedürfen. Zwischen der ersten formellen Anerkennung der besonderen Schutzbedürfnisse der Kinder im internationalen Recht durch die Versammlung des Völkerbundes von 19245 und der Verabschiedung des Fakultativprotokolls betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten am 25. Mai 2000 sind einige Bestimmungen im humanitären Völkerrecht und im Bereich der Menschenrechte geschaffen worden, welche ausdrücklich Kinder in bewaffneten Konflikten schützen6.

Die Genfer Abkommen zum Schutz der Kriegsopfer von 19497 (nachfolgend Genfer Abkommen von 1949) enthalten zahlreiche Bestimmungen, die auf die besondere Schutzbedürftigkeit des Kindes eingehen8, kennen aber keine Regelung des Mindestalters für Rekrutierung oder Teilnahme an Feindseligkeiten. Eine solche Bestimmung konnte erst in die Zusatzprotokolle vom 8. Juni 1977 aufgenommen werden, was damals einen bedeutenden Schritt in der Weiterentwicklung des Kinderschutzes des IV. Genfer Abkommens darstellte9. So verbieten beide Zusatzprotokolle explizit die Rekrutierung von Kindern unter 15 Jahren. Nach Artikel 77 des ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen von 1949 (nachfolgend Zusatzprotokoll I/ZP I) müssen die Konfliktparteien zudem «alle praktisch durchführbaren Massnahmen treffen, damit Kinder unter fünfzehn Jahren nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen»10. Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe c des zweiten Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen von 1949 (nachfolgend Zusatzprotokoll 5

6

7

8 9

10

Siehe Genfer Erklärung der «Save the Children International Union», welche am 16. Sept. 1924 von der Versammlung des Völkerbundes verabschiedet wurde; zum Text vgl. Geraldine van Bueren, International Documents on Children, Dordrecht usw. 1993, S. 3 ff.

Für eine Übersicht über die internationalen Bemühungen zur Förderung des Schutzes des Kindes siehe Botschaft betreffend den Beitritt der Schweiz zum Übereinkommen von 1989 über die Rechte des Kindes (nachfolgend Botschaft KRK), BBl 1994 V 4 ff.

Genfer Abkommen vom 12. Aug. 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde, SR 0.518.12; Genfer Abkommen vom 12. Aug. 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See, SR 0.518.23; Genfer Abkommen vom 12. Aug. 1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen, SR 0.518.42; Genfer Abkommen vom 12. Aug. 1949 über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten, SR 0.518.51.

Siehe hierzu Botschaft KRK, BBl 1994 V 67 FN 240.

Art. 24 des IV. Genfer Abkommens sieht soziale Massnahmen für die infolge Krieg verwaisten oder von ihren Familien getrennten Kinder unter 15 Jahren sowie für die erleichterte Identifikation aller Kinder unter 12 Jahren vor; die Situation der Kinder in bewaffneten Konflikten ist Gegenstand weiterer Bestimmungen des IV. Genfer Abkommens: namentlich Art. 14 (Sicherheits- und Sanitätszonen), Art. 17 (Evakuierung aus einer belagerten oder eingekreisten Zone), Art. 23 (Freier Durchgang für Sendungen von Medikamenten und Sanitätsmaterial, unentbehrlichen Lebensmitteln und Kleidern), Art. 38 (Vorzugsbehandlung in gleichem Ausmass wie die Angehörigen des betreffenden Staates), Art. 50 (Förderung von Pflege- und Erziehungseinrichtungen für Kinder in besetzten Gebieten), Art. 51 (Verbot von Zwangsarbeit für Personen unter 18 Jahren in besetzten Gebieten) und Art. 68 (Verbot der Todesstrafe gegen geschützte Personen unter 18 Jahren).

Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen von 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte, SR 0.518.521.

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II/ZP II)11 sieht insofern einen weiteren Schutz in nicht internationalen bewaffneten Konflikten vor, als er neben der unmittelbaren auch die mittelbare Teilnahme von Personen unter 15 Jahren an internen Feindseligkeiten verbietet und auch für bestimmte nicht staatliche bewaffnete Gruppen rechtsverbindlich ist12. Die Aufnahme eines Verbots der Rekrutierung von Personen unter 18 Jahren wurde bereits bei der Ausarbeitung des Zusatzprotokolls I an der Diplomatischen Konferenz über die Neubestätigung und Weiterentwicklung des in bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären Völkerrechts von 1974 bis 1977 (CDDH)13 vorgeschlagen. Dieser Vorschlag konnte sich zwar nicht durchsetzen; es wurde ihm aber insofern Rechnung getragen, als man sich auf die Aufnahme eines weiteren Satzes in Artikel 77 Absatz 2 einigte, der den Konfliktparteien vorschreibt, bei der Altersgruppe der 15- bis 18Jährigen sich zuerst um die Rekrutierung der Älteren zu bemühen14.

Die Gelegenheit einer weiteren Verbesserung des Kinderschutzes in Bezug auf die Rekrutierung und Teilnahme an Feindseligkeiten wurde bei der Ausarbeitung des Übereinkommens über die Rechte des Kindes von 198915 nicht genutzt. Artikel 38 KRK gibt lediglich den in den Zusatzprotokollen zu den Genfer Abkommen von 1949 festgesetzten Standard wieder. Er bildet somit eine Ausnahme von dem in Artikel 1 KRK festgehaltenen Grundsatz, dass jeder Person bis zum vollendeten 18. Lebensjahr ein besonderer Kindesschutz zukommt, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt. Auch die Verpflichtung nach Artikel 38 Absatz 2, die unmittelbare Teilnahme von Kindern unter 15 Jahren an Feindseligkeiten mit allen durchführbaren Massnahmen zu verhindern, entspricht im Wesentlichen Artikel 77 Absatz 2 ZP I. Die Bestimmung geht jedoch weniger weit als die entsprechende Regelung im Zusatzprotokoll II, da sie eine unverbindlichere Formulierung enthält und nur die unmittelbare Teilnahme an bewaffneten Konflikten verbietet16. Die Regelung des Mindestalters für die Rekrutierung sowie die Erwähnung des Grundsatzes, in der Altersgruppe der 15- bis 18-Jährigen zunächst die Älteren zu rekrutieren, entspricht ebenfalls der Normierung im Zusatzprotokoll I17. Artikel 38 KRK geht insofern weiter, als er die Geltung der letzteren Regelung auf nicht
internationale bewaffnete Konflikte ausdehnt. Eine weitere Verbesserung des Schutzes des Kindes in bewaffneten Konflikten konnte unter den gegebenen Umständen nicht erreicht werden und blieb somit Gegenstand der Rechtsfortentwicklung.

Die Problematik der Kindersoldaten hat auch im Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (nachfolgend Römer Statut) ihren Niederschlag gefunden, welches die Schweiz am 18. Juli 1998 unterzeichnet hat. Das Statut qualifiziert die Zwangsverpflichtung von Kindern unter 15 Jahren durch nationale Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen, deren Eingliederung darin oder deren Verwendung zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten in internationalen und nicht internationalen bewaffneten 11 12

13 14 15 16 17

Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen von 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte, SR 0.518.522.

Ann Sheppard, «Child Soldiers: Is the Optional Protocol Evidence of an Emerging Consensus?», in: The international Journal of Children's Rights, Band 8, Nr. 1, 2000, S. 41.

Im Folgenden mit der gebräuchlichen französischen Abkürzung als CDDH bezeichnet.

Akten CDDH, Genf, 1974 ­1977, Bern, EDA, 1978, Akte III S. 314.

SR 0.107.

Ann Sheppard, a.a.O., S. 43.

Art. 77 Abs. 2 ZP I.

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Konflikten als Kriegsverbrechen18. Mit der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Rekrutierenden wird dem besagten Normgehalt zweifellos zu einer grösseren universalen Durchsetzung verholfen.

Ein weiterer wichtiger Schritt wurde 1999 mit der Annahme des Übereinkommens Nr. 182 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über das Verbot und unverzügliche Massnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit vollzogen. Als erstes internationales Übereinkommen erhöht es das Mindestalter für die obligatorische Rekrutierung von 15 auf 18 Jahre19. Die Schweiz hat das Übereinkommen am 28. Juni 2000 ratifiziert. Es ist für unser Land am 28. Juni 2001 in Kraft getreten.

Die weitestgehende Bestimmung enthält die im November 1999 in Kraft getretene Afrikanische Charta über die Rechte und das Wohlergehen der Kinder. Artikel XXII verpflichtet die Vertragsstaaten, alle notwendigen Massnahmen zu treffen, um die Beteiligung von Kindern an Feindseligkeiten sowie deren Rekrutierung zu unterbinden. Sie sieht ein Verbot der obligatorischen und freiwilligen Rekrutierung sowie von der unmittelbaren Teilnahme an internationalen und nicht internationalen bewaffneten Konflikten von Personen unter 18 Jahren vor20.

1.3

Der Werdegang des Fakultativprotokolls

Artikel 38 KRK sieht für die Rekrutierung und die unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten ein Mindestalter von nur 15 Jahren vor. Bei Verabschiedung des Übereinkommens in der Kommission für Menschenrechte kritisierten zahlreiche Delegationen, darunter auch die Schweiz, das in dieser Bestimmung vorgesehene tiefe Mindestalter. Der Ausschuss für die Rechte des Kindes beschäftigte sich in seinen ersten Sitzungen mit dem Thema und schlug unter anderem die Redaktion eines Zusatzprotokolls zur Kinderrechtekonvention vor, das Kinder in bewaffneten Konflikten besser schützen sollte21. Die UNO-Weltkonferenz für Menschenrechte 1993 in Wien bat den Ausschuss denn auch in ihrer Schlusserklärung ausdrücklich, die Frage der Erhöhung der Altersgrenze für den Einzug in die Armee zu prüfen22. Noch im gleichen Jahr beauftragte die UNO-Generalversammlung die ehemalige Bildungsministerin von Mosambik, Frau Graça Machel, die Situation der Kinder in bewaffneten Konflikten und insbesondere die Schutzbestimmungen des internationalen Rechts über deren Beteiligung an Konflikten zu prüfen und der Versammlung entsprechende Empfehlungen vorzulegen23.

Die UNO-Kommission für Menschenrechte setzte schliesslich am 9. März 1994 eine Arbeitsgruppe ein, die ein Fakultativprotokoll zum Übereinkommen auf der Grundlage eines Vorentwurfs des Ausschusses für die Rechte des Kindes für einen besse18

19 20 21 22 23

Art. 8 Abs. 2 Bst. b Ziff. xxvi (Kriegsverbrechen in internationalen bewaffneten Konflikten) und Art. 8 Abs. 2 Bst. c Ziff. vi (Kriegsverbrechen in Konflikten nicht internationalen Charakters) des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs von 1998 (BBl 2001 596).

Art. 1­3 des IAO-Übereinkommens (Nr. 182) über die schlimmsten Formen der Kinderarbeit, SR 0.822.728.2; siehe auch BBl 2000 355f.

AU-Doc. CAB/LEG/153/rev. 2, Art. 2.

UN-Doc. CRC/C/16, Anhang VII; vgl. auch E/CN.4/1994/91.

UN-Doc. A/Conf.157/23, Kap. II Ziff. 50.

UN-Doc. A/C.3/48/L.40.

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ren Schutz der Kinder in bewaffneten Konflikten ausarbeiten sollte24. 1995 empfahl die 26. Internationale Konferenz des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds in Genf den Konfliktparteien, von der Rekrutierung von Personen unter 18 Jahren abzusehen und alle durchführbaren Massnahmen zu treffen, um deren Teilnahme an bewaffneten Konflikten zu vermeiden25.

Im August 1996 präsentierte Frau Machel ihren Bericht über die Auswirkungen der bewaffneten Konflikte auf Kinder26 der UNO-Generalversammlung. Sie vertrat darin die Auffassung, dass das Mindestalter für Rekrutierung und Teilnahme an Feindseligkeiten im Fakultativprotokoll auf 18 Jahre anzuheben sei. Die UNOGeneralversammlung empfahl daraufhin die Ernennung eines Sonderbeauftragten des Generalsekretärs, der die Auswirkungen bewaffneter Konflikte auf Kinder weiter untersuchen und als moralische Instanz die Interessen der Kinder in bewaffneten Konflikten vertreten sollte. Seit September 1997 ist Herr Olara Otunnu, Uganda, im Auftrag des UNO-Generalsekretärs in dieser Funktion tätig. Er hat sich sehr für ein Fakultativprotokoll mit einem hohen Schutzstandard eingesetzt. 1999 hat die UNOGeneralversammlung der Verlängerung seines Mandats um weitere drei Jahre bis November 2003 zugestimmt.

Die Verhandlungen über das Fakultativprotokoll gestalteten sich dennoch schwierig.

Insbesondere in der Frage des Mindestalters für die Rekrutierung und Teilnahme an Feindseligkeiten konnte bis 1998 kein Konsens gefunden werden. Der UNOGeneralsekretär setzte mit dem Entscheid, das Mindestalter für die Teilnahme an friedenserhaltenden Operationen auf 18 Jahre zu erhöhen, ein wichtiges Signal, mit dem er die Position derjenigen Staaten unterstützte, die sich für ein Fakultativprotokoll mit einem hohen Schutzstandard einsetzten27. In dieser heiklen Phase wurde eine Koalition bestehend aus namhaften Nichtregierungsorganisationen gegründet, mit dem Ziel, die Thematik der Kindersoldaten an die Öffentlichkeit zu tragen und somit den Druck auf die Staaten zum Abschluss des Fakultativprotokolls zu erhöhen. Zu diesem Zweck hatte die «Koalition zum Stopp des Einsatzes von Kindersoldaten» 1999 drei Regionalkonferenzen einberufen (Maputo/Montevideo/Berlin), welche die Schweiz mit einem bedeutenden finanziellen Beitrag unterstützte und an denen sie aktiv mitwirkte.

An der
27. Internationalen Konferenz des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds vom November 1999 bekräftigten die Mitglieder im Aktionsplan 2000-2003 die Empfehlung der 26. Internationalen Konferenz, von der Rekrutierung von Personen unter 18 Jahren und von deren Einsatz in Feindseligkeiten abzusehen28.

In der sechsten Session der Arbeitsgruppe im Januar 2000 in Genf konnten sich die Delegationen schliesslich auf einen Kompromisstext einigen. Nach der Menschenrechtskommission und dem Wirtschafts- und Sozialrat verabschiedete die Generalversammlung der UNO das Fakultativprotokoll am 25. Mai 200029. Seit seiner 24 25 26 27 28

29

UN-Doc. E/CN.4/RES/1994/91.

26. Internationale Konferenz des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds, Resolution 2, C, Bst. d.

Siehe UN-Doc. A/51/306 und Add. 1.

UN-Press Release SG/SM/6777 PKO/79 vom 29. Okt. 1998.

27. Internationale Konferenz des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds, Anhang 2 zur Resolution 1, «Plan d'action pour les années 2000-2003», «Mesures proposées», Ziff. 1 Bst. f).

UN-Doc. A/RES/54/263.

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Erstauflage zur Unterzeichnung anlässlich der Sondersession der UNO-Generalversammlung über «Frauen 2000» am 5. Juni 2000 konnte das Fakultativprotokoll einen beachtlichen Erfolg verzeichnen: Bis Anfang Juni 2001 haben es bereits 80 Staaten unterzeichnet und vier Staaten (Andorra, Bangladesch, Kanada und Sri Lanka) ratifiziert. Die Schweiz unterzeichnete es am 7. September 2000 anlässlich des Millenniumsgipfels in New York. Der Bundesrat räumt der Ratifikation des Fakultativprotokolls hohe Priorität ein.

1.4

Schweizerische Zielsetzungen bezüglich des Fakultativprotokolls

Die Schweiz sieht sich, auf Grund ihrer humanitären Tradition und als Vertrags- und Depositarstaat der Genfer Abkommen von 1949 und der Zusatzprotokolle von 1977, zur Förderung der Einhaltung und der Weiterentwicklung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts besonders verpflichtet. Sie hatte sich im Hinblick auf die Ausarbeitung des Fakultativprotokolls zum Ziel gesetzt, ein generelles Verbot der Rekrutierung und der Teilnahme von Kindern an Feindseligkeiten durchzusetzen. Ihre mit dem Schlagwort «straight 18» zusammengefasste Position, welche sich mit derjenigen von anderen Staaten und der Nichtregierungsorganisation «Koalition zum Stopp des Einsatzes von Kindersoldaten» deckte, beinhaltete folgende Eckpunkte: ­

Das Mindestalter für die mittel- und unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten sollte auf 18 Jahre erhöht werden.

­

Das Mindestalter für die obligatorische Rekrutierung und die Rekrutierung von Freiwilligen sollte auf 18 Jahre erhöht werden.

­

Nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen sollte untersagt werden, Personen unter 18 Jahren unter Zwang, obligatorisch oder freiwillig zu rekrutieren oder in Feindseligkeiten einzusetzen.

Die Schweiz hat während des ganzen Prozesses der Ausarbeitung des Fakultativprotokolls eine sehr aktive Rolle gespielt. Sie hat zuletzt auch dazu beigetragen, dass ein für alle Staaten annehmbarer Kompromiss gefunden werden konnte.

2

Besonderer Teil: Inhalt und Anwendungsbereich des Fakultativprotokolls

2.1

Inhalt des Fakultativprotokolls

Das Fakultativprotokoll umfasst 13 Artikel, von denen die ersten acht materiellrechtlicher Natur sind. Es reflektiert die internationale Rechtsfortentwicklung30 und erhöht den in Artikel 38 KRK vorgesehenen Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten. Das Fakultativprotokoll hebt das Mindestalter für die obligatorische Re-

30

IAO-Übereinkommen Nr. 182 über das Verbot und unverzügliche Massnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit von 1999 und die Afrikanische Charta über die Rechte und das Wohlergehen der Kinder von 1990.

6318

krutierung31 und die unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten auf 18 Jahre an. Es verpflichtet die Vertragsstaaten, das Mindestalter für die Rekrutierung von Freiwilligen durch staatliche Streitkräfte auf mindestens 16 Jahre zu erhöhen und in einer verbindlichen Erklärung darzulegen, welches Mindestalter für diese Rekrutierungsform auf ihrem Territorium gilt. Ferner müssen sie alle durchführbaren Massnahmen treffen, damit bewaffnete Gruppen unter keinen Umständen Personen unter 18 Jahren rekrutieren oder in Feindseligkeiten einsetzen. Es nimmt die Vertragsstaaten in die Pflicht, Massnahmen für die Demobilisierung, Rehabilitation und die soziale Wiedereingliederung von Kindern, die als Soldaten an bewaffneten Konflikten beteiligt waren, zu ergreifen. Es fordert ferner technische Zusammenarbeit und finanzielle Hilfe, um die Ursachen für den Zulauf von Kindern zu militärischen Organisationen zu beheben. Schliesslich hält das Fakultativprotokoll fest, dass die Bestimmungen nicht so ausgelegt werden dürfen, dass sie die Anwendung anderer, zur Verwirklichung des Kindesschutzes besser geeigneter Normen des nationalen oder internationalen Rechts ausschliessen32.

2.2

Verpflichtungen der Vertragsstaaten im Einzelnen

2.2.1

Mindestalter für die unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten (Art. 1)

Nach Artikel 1 treffen die Vertragsstaaten alle durchführbaren Massnahmen, um sicherzustellen, dass Angehörige ihrer Streitkräfte, die das 18. Altersjahr nicht vollendet haben, nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen.

Die Erhöhung der Alterslimite für die unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten von 15 auf 18 Jahre stellt eine klare Verbesserung des Kindesschutzes im internationalen Recht dar. Personen unter 18 Jahren sollen vor den schlimmsten Auswirkungen der bewaffneten Konflikte bewahrt werden. Ihnen soll der namentlich im IV. Genfer Abkommen und in den Zusatzprotokollen definierte «Schutz der Zivilbevölkerung» zukommen, der den Zivilpersonen so lange gewährt wird, als sie nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen33. Da Artikel 1 eine unmittelbare Teilnahme von Kindern an Feindseligkeiten nicht mehr zulässt, kommt nun allen Kindern dieser besondere «Schutz der Zivilbevölkerung» zu34.

Aus praktischer Sicht wird dieser neue Standard viel dazu beitragen, zumindest die Teilnahme von Kindern unter 15 Jahren an bewaffneten Konflikten zu verhindern.

Militärische Führer haben sich in der Vergangenheit oft auf das nur schwer widerlegbare Argument gestützt, dass Kindersoldaten in ihren Reihen - über die meistens 31

32 33 34

In der mit Deutschland und Österreich bereinigten deutschen Übersetzung des Fakultativprotokolls wird in Anlehnung an das Zusatzprotokoll I sowie an die Kinderrechtekonvention an Stelle des Ausdrucks «rekrutieren» das Wort «einziehen» verwendet.

Der Sinngehalt der beiden Begriffe ist in diesem Kontext der gleiche. In dieser Botschaft wird der erstgenannte Begriff verwendet, da dieser in der Schweiz üblicherweise gebraucht wird.

Art. 5 des Fakultativprotokolls.

Vgl. insbesondere Art. 51 Zusatzprotokoll I und Art. 13 Zusatzprotokoll II.

IKRK, «Protocole facultatif à la Convention des Nations Unies relative aux droits de l'enfant concernant l'implication d'enfants dans les conflits armés: Argumentaire du Comité international de la Croix-Rouge», 27. Okt. 1997, in: Revue internationale de la Croix-Rouge no 829, 31. März 1998, S. 113­132 (nachfolgend «Argumentaire»), Ziff. 6 f.

6319

keine Ausweispapiere oder Geburtsurkunden existierten - 15 Jahre alt seien und nur auf Grund der misslichen Lebensbedingungen jünger aussähen. Dieser Missbrauch von Kindern unter 15 Jahren wird mit der Erhöhung auf 18 Jahre angesichts des nun bedeutenden Altersunterschieds nicht mehr möglich sein35.

Der Begriff «Feindseligkeiten» wird bereits in Artikel 38 Absatz 2 KRK und in den Zusatzprotokollen zu den Genfer Abkommen von 1949 verwendet. In bewaffneten Konflikten36 wechseln in der Regel Perioden der Feindseligkeiten mit solchen der Waffenruhe ab37. Unter «Feindseligkeiten» sind Kriegshandlungen zu verstehen, die von ihrer Natur her dazu bestimmt sind, konkret die Personen und das Material der feindlichen Kriegspartei während eines bewaffneten Konflikts zu schädigen38. An der CDDH wurde die Ansicht geäussert, dass der Begriff auch die Vorbereitungshandlungen vor dem Kampf und den Ab- bzw. Rückzug nach dem Kampf beinhalte39. Im Rahmen der Diskussion über den Schutz von Personen, die an Feindseligkeiten teilgenommen haben40, wurde ferner betont, dass dieser Begriff nicht nur die Zeit umfasst, während der sich die Person einer Waffe bedient, sondern auch jene, während der sie die Waffe auf sich trägt. Als Feindseligkeiten sollen auch Handlungen gelten, die mit Schädigungsabsicht, aber ohne Gebrauch einer Waffe gegenüber Personal und Material der feindlichen Streitkräfte begangen werden41.

Während der Ausarbeitung des Fakultativprotokolls waren neben der Festsetzung des Mindestalters auch die Verbindlichkeit der Altersregelungen sowie die Frage der unmittelbaren oder mittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten umstritten. Im Hinblick auf eine Konsensfindung einigten sich die Staaten schliesslich auf eine Lösung, die gewisse Schwachstellen enthält. Die erste bezieht sich auf die Formulierung der Verpflichtung, die den Vertragsstaaten auferlegt wird. Sie schreibt eher ein Verhalten als ein Resultat vor. So müssen die Vertragsstaaten «alle durchführbaren Massnahmen treffen, um sicherzustellen», dass Kinder nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen. Diese Formulierung entspricht derjenigen von Artikel 77 Absatz 2 ZP I. Im Englischen heisst es «take all feasible measures» und im Französischen «prennent toutes les mesures possibles dans la pratique». Die Formulierung gewährt den Vertragsstaaten einen
gewissen, wenn auch relativ kleinen Ermessensspielraum, welcher insbesondere in der französischen Version deutlich wird. So entscheiden die Vertragsstaaten, welche Massnahmen angesichts der Umstände im Rahmen des praktisch Durchführbaren liegen.

35 36

37 38

39 40 41

Ann Sheppard, a.a.O., S. 48 f.

Mit «bewaffneten Konflikten» werden Situationen bezeichnet, in denen das humanitäre Völkerrecht anwendbar ist. Weder die Genfer Abkommen von 1949 noch ihre beiden Zusatzprotokolle sehen eine Definition der «bewaffneten Konflikte» vor. Das IKRK vertritt die Auffassung, dass der Begriff kein rechtlicher Fachausdruck sei, sondern einen faktischen Zustand beschreibe («Commentaire ­ La Convention de Genève relative à la protection des personnes civiles en temps de guerre» [nachfolgend: «Commentaire de la IVe Convention de Genève»], publiziert unter der Leitung von Jean S. Pictet, Genf, IKRK 1956, S. 40 ff., S. 515 f.; IKRK, «Argumentaire», a.a.O., Ziff. 35).

IKRK, «Argumentaire», a.a.O., Ziff. 85 ff.

Actes XIV, CDDH/III/SR.2, S. 14­15; «Commentaire des Protocoles additionnels du 8 juin 1977 aux Conventions de Genève du 12 août 1949» (nachfolgend «Commentaire des Protocoles additionnels»), Edit. und Koord. durch Y. Sandoz, C. Swinarski, B. Zimmermann, Genf 1987, Ziff. 1679).

«Commentaire des Protocoles additionnels», a.a.O., Ziff. 1679.

Art. 45 Zusatzprotokoll I.

Siehe «Commentaire des Protocoles additionnels», a.a.O., Ziff. 1943.

6320

Ferner verbietet das Fakultativprotokoll nur die unmittelbare Teilnahme der Kinder an Feindseligkeiten. Es ist somit weiterhin erlaubt, (freiwillig rekrutierte42) Kinder ab 16 Jahren mittelbar in Kampfhandlungen einzusetzen. Wie bereits erwähnt, ist somit die Schutzwirkung dieser Bestimmung schwächer als diejenige des Zusatzprotokolls II, welche sowohl die unmittelbare als auch die mittelbare Teilnahme verbietet. Die Abgrenzung zwischen den beiden Formen der Teilnahme an Feindseligkeiten ist schwer zu definieren und in der Praxis nicht immer durchführbar bzw.

nicht für alle Konfliktparteien erkennbar. Die im Fakultativprotokoll verwendete Formulierung wurde aus Artikel 38 Absatz 2 KRK und Artikel 77 Absatz 2 ZP I übernommen, weshalb die damaligen Beweggründe auch für die vorliegende Bestimmung Geltung haben. Die Absicht der Autoren des Zusatzprotokolls I war es, Kinder unter 15 Jahren vom Kampfgeschehen fern zu halten43. In diesem Sinne sollte der Begriff «unmittelbare Teilnahme» weit ausgelegt werden. Das IKRK vertritt die Auffassung, dass die Unmittelbarkeit einer Teilnahme an Feindseligkeiten jedenfalls dann gegeben ist, wenn die Handlung der fraglichen Person in einem adäquaten Kausalzusammenhang mit dem der Ausrüstung oder dem Personal der feindlichen Streitkräfte zugefügten Schaden steht44. Es ist anzunehmen, dass auch das neue Fakultativprotokoll die Aufgaben der rekrutierten freiwilligen Kindersoldaten als Köche, Haushaltsgehilfen oder Proviantträger zulässt45.

2.2.2

Mindestalter für die obligatorische Rekrutierung (Art. 2)

Die Erhöhung des Mindestalters von 15 auf 18 Jahre für die obligatorische Rekrutierung in staatliche Streitkräfte stellt eine klare Verbesserung gegenüber Artikel 38 KRK dar. Der in Artikel 38 Absatz 3 KRK und Artikel 77 Absatz 2 ZP I vorgesehene Schutz, bei Kindern zwischen 15 und 18 Jahren vorrangig die jeweils ältesten einzuziehen, erwies sich in der Praxis als ungenügend. Das Verbot der obligatorischen Rekrutierung von Kindern ist ein wichtiges Korrelat zum Verbot der unmittelbaren Teilnahme von Kindern an Feindseligkeiten. Wo auch immer Kinder rekrutiert werden und eine militärische Ausbildung erhalten, ist die Versuchung gross, sich ihre militärischen Kenntnisse zu Nutze zu machen und sie in Feindseligkeiten einzusetzen. Der Sinngehalt des Verbots der obligatorischen Rekrutierung von Kindern ist somit vor allem präventiver Natur.

Der Begriff «Rekrutierung» ist im internationalen Recht nicht weiter definiert. Seine Bedeutung in diesem Kontext kann von seinem allgemeinen Sinngehalt abgeleitet werden. Darunter ist die funktionale Eingliederung einer Person in eine militärische 42 43 44 45

Siehe Art. 2 des Fakultativprotokolls.

«Commentaire des Protocoles additionnels», a.a.O., Ziff. 3187.

IKRK, «Argumentaire», a.a.O., Ziff. 29.

Siehe «Commentaire des Protocoles additionnels», a.a.O., Ziff. 3187. Im Römer Statut wurde in Art. 8 Abs. 2 Bst. b Ziff. xxvi die Formulierung «ihre Verwendung zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten» gewählt. Sie soll neben der unmittelbaren Teilnahme an Kampfhandlungen auch die Teilnahme an weitergehenden militärischen Aktivitäten umfassen, wie Spionage, Sabotage oder den Einsatz von Kindern als Köder. Einzig die Aktivitäten, die keinen direkten Bezug zu den Feindseligkeiten haben, wie Haushaltsarbeiten oder Lebensmitteltransporte hinter der Front, werden von dieser Formulierung nicht erfasst (Michael Cottier, in: O. Triffterer [ed.], Commentary on the Rome Statute [1999], Art. 8, Ziff. 232).

6321

Organisationsstruktur wie beispielsweise in die Streitkräfte oder in bewaffnete Gruppen zu verstehen. Als «rekrutiert» gilt eine Person, die ein militärisches Ausbildungsprogramm absolviert. Um eine Rekrutierung handelt es sich aber auch, wenn die Person ohne vorangehende Aushebung oder Ausbildung direkt in die Gruppe eingegliedert wird. Eine direkte Teilnahme an Feindseligkeiten ist nicht vorausgesetzt. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Person eine Waffe trägt. Orientierungs- bzw. Werbeanlässe oder vordienstliche zeitlich beschränkte Kurse fallen nicht darunter, sofern die Teilnehmer an diesen Veranstaltungen nicht in eine militärische Organisationsstruktur funktional eingegliedert werden46. Obligatorisch ist eine Rekrutierung dann, wenn sie auf Grund einer gesetzlichen Pflicht erfolgt. Davon abzugrenzen ist die Zwangsrekrutierung, welche auf keiner rechtlichen Grundlage beruht. Diese ist im internationalen Recht unabhängig vom Alter des Rekrutierten verboten.

2.2.3

Mindestalter für die Rekrutierung von Freiwilligen (Art. 3)

Diese Bestimmung sieht vor, dass die Vertragsstaaten das Mindestalter für die Rekrutierung von Freiwilligen durch staatliche Streitkräfte gegenüber dem in Artikel 38 Absatz 3 KRK genannten Alter von 15 Jahren im Ergebnis um mindestens ein Jahr anheben müssen. Jeder Vertragsstaat hinterlegt beim UNO-Generalsekretär bei Ratifikation oder Beitritt zum Fakultativprotokoll eine verbindliche Erklärung über das Mindestalter für die Rekrutierung von Freiwilligen durch staatliche Streitkräfte unter Angabe der Sicherungsmassnahmen, die eine Rekrutierung ohne Zwang oder Nötigung gewährleisten sollen. Das in der Erklärung erwähnte Mindestrekrutierungsalter und die Sicherungsmassnahmen können jederzeit durch Notifikation beim UNO-Generalsekretär verschärft werden. Die Verpflichtung zur Anhebung des Mindestalters findet keine Anwendung auf Schulen, die von den Streitkräften der Vertragsstaaten betrieben oder von ihnen kontrolliert werden.

Die Festlegung des Mindestalters für die Rekrutierung von Freiwilligen war während der Verhandlungen sehr umstritten. Viele Staaten befürworteten ein Mindestalter von 18 Jahren aus folgenden Gründen: Sie bezweifelten, dass Personen unter 18 Jahren die notwendige Reife aufweisen, um die Tragweite und Folgen einer freiwilligen Rekrutierung abschätzen zu können. Sie waren auch der Ansicht, dass die Festsetzung eines Mindestalters unter 18 Jahren in bedeutendem Masse die Durchsetzung des Verbots der unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten und der obligatorischen Rekrutierung von Kindern untergräbt. Zum einen werden die Kinder durch die nationalen Streitkräfte oft in Umständen rekrutiert, die an der Freiwilligkeit zweifeln lassen. Ein Beweis der Unfreiwilligkeit ist in den meisten Fällen jedoch schwer zu erbringen. Zum andern werden freiwillig rekrutierte Kindersoldaten bereits während der Ausbildung, insbesondere aber in militärischen Einsätzen demselben Risiko ausgesetzt wie erwachsene Kombattanten; sie halten sich in militärischen Anlagen oder in der Nähe von Kombattanten auf, welche als militärisches Ziel gelten und demzufolge bekämpft werden dürfen. Ferner werden die nationalen Streitkräfte in Situationen, in denen die letzten Kräfte mobilisiert werden müssen, eher versucht sein, sich die bereits vorhandenen militärischen Kenntnisse der frei46

Vgl. auch Michael Cottier, a.a.O., Art. 8, Ziff. 227 ff.

6322

willig rekrutierten Kindersoldaten zu Nutze zu machen und diese in Feindseligkeiten einzusetzen. Mit der Festlegung des Mindestalters auf 18 Jahre soll auch verhindert werden, dass Kinder durch äussere Umstände wie Armut, Hunger oder Leben in ständiger Gefahr zum Eintritt in eine militärische Organisation verleitet werden47.

Andere Staaten setzten sich für eine tiefere Alterslimite für die Rekrutierung von Freiwilligen mit dem Argument ein, dass nur damit genügend Anwärter gefunden werden könnten, die den Anforderungen der nationalen Streitkräfte gewachsen wären. Es liege auch nahe, dass das Rekrutierungsalter tiefer als das Mindestalter für die Teilnahme an Feindseligkeiten angesetzt werde, weil der dazwischen liegende Zeitraum für die militärische Ausbildung der Rekruten gebraucht werde48. Als weiteres Argument für ein Rekrutierungsalter ab 16 Jahren wurde angeführt, dass die Jugendlichen die Möglichkeit des Eintritts in die Armee in dem Alter haben sollten, in dem sie üblicherweise ihre Berufswahl treffen49. Einige Staaten machten ferner darauf aufmerksam, dass sowohl der Militärdienst als auch die Militärschulen wichtige soziale Faktoren in Ländern mit hoher Jugendarbeitslosigkeit seien, da sie vielen Jugendlichen oft die einzige Möglichkeit böten, einer Beschäftigung nachzugehen bzw. eine höhere Ausbildung zu erlangen50.

Schliesslich haben sich die Staaten auf das neue Mindestalter von 16 Jahren für die Rekrutierung von Freiwilligen geeinigt, was durchaus eine Verbesserung des Kindesschutzes darstellt. Den Vertragsstaaten steht es zudem frei, das Mindestalter höher anzusetzen.

«Freiwillig» im Sinne dieser Bestimmung ist eine Rekrutierung, wenn sich die Person aus freiem Willen der Armee anschliesst. Daran ändert sich nichts, wenn die Einwilligung zur Rekrutierung auf Grund äusserer misslicher Lebensumstände oder attraktiver Versprechungen seitens der Armee erfolgt, sofern Sicherungsmassnahmen beachtet werden. Nicht darunter fällt hingegen, wenn ein Kind durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit durch die Armee zur Rekrutierung genötigt wird. Ebenso kann die auf Grund einer rechtlichen Pflicht erfolgte Rekrutierung nicht als freiwillig gelten.

Die Sicherungsmassnahmen für die Rekrutierung von Freiwilligen unter 18 Jahren,
namentlich die Zustimmung der Eltern oder des Vormunds der rekrutierungswilligen Person in Kenntnis der Sachlage, die umfassende Aufklärung über die mit dem Militärdienst verbundenen Pflichten und der verlässliche Altersnachweis vor Aufnahme in den staatlichen Militärdienst, sollen die Freiwilligkeit der Rekrutierung gewährleisten. Deren praktische Umsetzung könnte sich aber in von Kriegen zerstörten Ländern als schwierig erweisen. So sind viele Kinder in bewaffneten Konflikten auf sich allein gestellt, haben keinen Kontakt zu ihren Eltern oder zu ihrem staatlichen Vormund. Ferner wird es in verschiedenen Ländern kaum möglich sein, einen verlässlichen Altersnachweis zu erbringen, weil dort ein Verfahren der Geburtenregistrierung nicht existiert oder nicht mehr angewendet wird.

Während der Ausarbeitung des Fakultativprotokolls war deutlich geworden, dass in zahlreichen Ländern auf Sekundar- und Hochschulstufe von den Streitkräften geleitete Schulen oder Lehrgänge bestehen, die ein hauptsächlich oder überwiegend 47 48 49 50

UN-Doc. E/CN.4/1997/96 Ziff. 26.

UN-Doc. E/CN.4/1997/96 Ziff. 31.

UN-Doc. E/CN.4/1994/WG.13/2/Add.3, Ziff. 4.

UN-Doc. E/CN.4/1998/102, Ziff. 30 und 40.

6323

ziviles Studienprogramm anbieten. Die Arbeitsgruppe hat sich von Beginn weg bemüht, in diesem Bereich eine konsensfähige Ausnahmeregelung von der Alterslimite für die Rekrutierung von Freiwilligen zu formulieren, wobei die Schwierigkeit darin bestand, eine zufrieden stellende Definition des militärischen oder zivilen Charakters solcher Schulen bzw. des noch erlaubten militärischen Gehalts des Ausbildungsprogramms zu finden51. Die Ausnahmeregelung in Artikel 3 Absatz 5 nimmt Bezug auf die Artikel 28 und 29 KRK, die das Recht auf Bildung und die Bildungsziele regeln. Daraus lässt sich ableiten, dass nur diejenigen Militärschulen unter diese Ausnahme fallen, welche namentlich die Entfaltung der Persönlichkeit, Begabung und Fähigkeit des Kindes, die Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten, die Achtung vor den Eltern, vor der eigenen kulturellen Identität und Sprache sowie vor anderen Kulturen, die Vorbereitung auf ein verantwortungsvolles Leben in einer freien, toleranten Gesellschaft und die Achtung vor der natürlichen Umwelt vermitteln und somit einen überwiegend zivilen Charakter aufweisen. Da diese Schulen von den Streitkräften betrieben werden dürfen, müssen die Vertragsstaaten auf eine strikte Trennung zwischen Schülern und Soldaten achten, damit die Schulkinder nicht für Mitglieder der staatlichen Streitkräfte und somit für mögliche legitime militärische Ziele gehalten werden. Die Rekrutenschule im schweizerischen System erfüllt diese umfassenden Bildungsziele in verschiedener Hinsicht nicht und fällt deshalb nicht unter diese Ausnahmeregelung.

2.2.4

Bewaffnete Gruppen (Art. 4)

Angesichts der Tatsache, dass 1997 die meisten Konflikte nicht internationalen Charakter aufwiesen und eine bedeutende Zahl von Kindern durch nichtstaatliche bewaffnete Gruppen rekrutiert wurden52, waren sich fast alle Staaten einig, eine Bestimmung über bewaffnete Gruppen in das Fakultativprotokoll aufzunehmen. Nur wenige Staaten lehnten es ab, interne Konflikte zu einer Angelegenheit der Staatengemeinschaft zu machen, und beriefen sich systematisch darauf, dass nichtstaatliche bewaffnete Gruppen keine Subjekte des Völkerrechts sein könnten. Während es sich von selbst versteht, dass das Fakultativprotokoll für die Vertragsparteien rechtsverbindlich ist, wurde lange darüber beraten, wie bewaffnete Gruppen in die Pflicht genommen werden könnten.

Die Frage der Rechtsverbindlichkeit humanitärer Normen für nichtstaatliche bewaffnete Gruppen ist in der Geschichte des humanitären Völkerrechts nicht neu. Sie stellte sich namentlich bei der Ausarbeitung des gemeinsamen Artikels 3 zu den Genfer Abkommen von 1949. Die Diplomatische Konferenz von 1949 löste sie dadurch, dass sie angesichts des unbestrittenen grundlegenden humanitären Schutzinhaltes die Auffassung vertrat, die Verpflichtung des Staates binde grundsätzlich nicht nur die Regierung, sondern darüber hinaus sämtliche Behörden und sogar Privatpersonen, die sich im betreffenden Staatsgebiet befinden, einschliesslich der Auf-

51 52

Siehe Art. 2 Abs. 4 des Entwurfs im Anhang des UN-Doc. E/CN.4/1996/102.

So berichtete der Ausschuss für die Rechte des Kindes in der dritten Session der Arbeitsgruppe 1997, dass in gegenwärtig 28 nicht internationalen Konflikten nichtstaatliche bewaffnete Gruppen in grossem Ausmass Kinder unmittelbar und mittelbar in Feindseligkeiten einsetzten (UN-Doc. E/CN.4/1997/96 Ziff. 45).

6324

ständischen53. Im gemeinsamen Artikel 3 zu den Genfer Abkommen von 1949 wird der Ausdruck «jede der am Konflikt beteiligten Parteien» ohne weitere Präzisierung verwendet. Daraus ist abzuleiten, dass diese Bestimmung auch in den Fällen anwendbar ist, in denen keine staatliche Streitkraft Konfliktpartei ist, sondern sich nur bewaffnete Gruppen gegenüberstehen54. Dieser Ansatz wurde im Zusatzprotokoll II übernommen, wenn auch nicht mit der gleichen Tragweite. Das Zusatzprotokoll II findet Anwendung auf bewaffnete Konflikte zwischen Streitkräften einer Hohen Vertragspartei und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Staatsgebietes ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen55.

Im Fakultativprotokoll wurde ein anderer Lösungsansatz verfolgt. So wurde der Besorgnis einiger Staaten in Bezug auf die Einhaltung des klassischen Rechtsgrundsatzes Rechnung getragen, dass in Menschenrechtsinstrumenten nur Vertragsstaaten verpflichtet werden können, während nichtstaatliche bewaffnete Gruppen durch nationale Bestimmungen ins Recht zu fassen sind56. Dennoch hält das Fakultativprotokoll in Absatz 1 fest, dass bewaffnete Gruppen, welche sich von den staatlichen Streitkräften unterscheiden, unter keinen Umständen Personen unter 18 Jahren rekrutieren oder in Feindseligkeiten einsetzen sollen. Mit der vorsichtigen Wortwahl («sollen») kommt zum Ausdruck, dass die bewaffneten Gruppen nur indirekt, d.h.

über die in Artikel 4 Absatz 2 vorgesehenen nationalen Strafbestimmungen, verpflichtet werden57. Die Wendung «unter keinen Umständen» schliesst alle Rekrutierungsformen mit ein, d.h. die obligatorische, die freiwillige und auch diejenige unter Zwang. Ferner wird der Einsatz der Kinder nicht weiter spezifiziert, weshalb sowohl die unmittelbare als auch die mittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten untersagt werden58.

Nach Absatz 2 müssen die Vertragsstaaten alle durchführbaren Massnahmen treffen, um eine Rekrutierung von Kindern oder deren Einsatz in Feindseligkeiten durch bewaffnete Gruppen zu verhindern bzw. solche Praktiken zu kriminalisieren. Die offene Formulierung verpflichtet auch die an keinem Konflikt beteiligten Vertragsstaaten,
die Rekrutierung von Kindern auf ihrem Territorium durch bewaffnete Gruppen zu kriminalisieren. Es bleibt abzuwarten, inwieweit nationale strafrechtliche Bestimmungen das Handeln nichtstaatlicher bewaffneter Gruppen in von Konflikten heimgesuchten Ländern zu beeinflussen vermögen, zumal diese auf Grund ihrer Gewaltakte gegen Regierungstruppen ohnehin schon mit strengsten Strafen rechnen müssen. Ferner ist in Zeiten interner Konflikte die Regierung oft nicht mehr im Stande, das nationale Recht wirksam durchzusetzen. Immerhin müssen bewaffnete Gruppen bei Verstoss gegen das Fakultativprotokoll mit Strafverfolgungen nach dem Konflikt rechnen.

53 54 55 56

57 58

Botschaft zu den Zusatzprotokollen zu den Genfer Abkommen, BBl 1981 I 1027; vgl.

auch «Commentaire de la IVe Convention de Genève», a.a.O., S. 40 ff.

«Commentaire des Protocoles additionnels», a.a.O., Ziff. 1373­1374.

Art. 1 Abs. 1 Zusatzprotokoll II.

Daniel Helle, «Optional Protocol on the Involvement of Children in Armed Conflict to the Convention on the Rights of the Child», in: International Review of the Red Cross, Nr. 839, S. 806 f.

Siehe UN-Doc. E/CN.4/2000/74 Ziff. 35 ff., Ziff. 108 und Add. Art. 4.

Helle Daniel, a.a.O., S. 806 f.

6325

Als eine weitere Massnahme im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 ist die systematische Ausübung politischen Drucks der Staatengemeinschaft auf bewaffnete Gruppen in Betracht zu ziehen59. Vereinzelte bewaffnete Gruppen sind nämlich durchaus daran interessiert, durch einseitige Verbindlichkeitserklärungen von gewissen internationalen Rechtsinstrumenten positive Publizität und internationale Anerkennung zu erlangen60.

Das Fakultativprotokoll sieht für bewaffnete Gruppen strengere Bestimmungen vor als für die Vertragsstaaten. So wird den bewaffneten Gruppen die Rekrutierung von Freiwilligen unter 18 Jahren untersagt, während die staatlichen Streitkräfte Freiwillige ab 16 Jahren rekrutieren dürfen. Als Begründung dieser ungleichen Verpflichtungen wurde während der Verhandlungen angeführt, dass staatliche Streitkräfte eher Gewähr dafür bieten, ihre Angehörigen unter 18 Jahren von Feindseligkeiten fernzuhalten. Viele Staaten und das IKRK wiesen hingegen auf den im humanitären Völkerrecht wichtigen Grundsatz hin, dass allen Kriegsparteien gleiche Pflichten aufzuerlegen sind. Diese Prämisse gilt auch als wichtigstes Argument, um bewaffnete Gruppen zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts zu bewegen. Diese ungleiche Regelung könnte von den bewaffneten Gruppen als ungerecht empfunden werden, weshalb die moralische Überzeugungskraft und damit die Durchsetzbarkeit der Norm als eher gering einzustufen ist.

Absatz 3 sieht vor, dass Artikel 4 die Rechtsstellung der am bewaffneten Konflikt beteiligten Parteien unberührt lässt. Derselbe Grundsatz findet sich im gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Abkommen von 1949 in Bezug auf nicht internationale Konflikte und in Artikel 4 ZP I61. Damit sollte den Bedenken einiger Staaten Rechnung getragen werden, dass die Anwendung des Fakultativprotokolls in nicht internationalen Konflikten als eine implizite Anerkennung der gegnerischen Partei als Aufständische, Kriegführende oder sogar als Staat ausgelegt würde62.

2.2.5

Umsetzungsmassnahmen (Art. 6)

Mit Artikel 6 Absatz 1 verpflichten sich die Vertragsstaaten, alle erforderlichen rechtlichen, administrativen und sonstigen Massnahmen zu treffen, um den wirksamen Vollzug und die Durchsetzung des Fakultativprotokolls in ihren Hoheitsgebieten sicherzustellen. Die wichtigsten Aspekte des Vollzugs werden im Fakultativprotokoll speziell erwähnt, so beispielsweise in Artikel 4 Absatz 2 die rechtlichen Massnahmen zur Durchsetzung des Mindestrekrutierungsalters von 18 Jahren bei bewaffneten Gruppen, in Artikel 6 Absatz 2 die Pflicht zur Bekanntmachung des 59 60

61

62

Siehe Ziff. 2.2.5 für allfällige weitere Massnahmen.

So ist es dem Sonderbeauftragten des UNO-Generalsekretärs für Kinder und bewaffnete Konflikte gelungen, die FARC in Kolumbien zu einer verbindlichen einseitigen Erklärung zu bewegen, Kindersoldaten unter 15 Jahren zu demobilisieren (Presse-Communiqué HR/4471 vom 5. Mai 2000 des Sonderbeauftragten des UNO-Generalsekretärs für Kinder und bewaffnete Konflikte; vgl. auch UN-Doc.

E/CN.4/1997/96 Ziff. 35; Cohn und Goodwin-Gill, a.a.O., N. 9 ad 76; Ann Sheppard, a.a.O., S. 53).

Diese Bestimmung ist nicht explizit ins Zusatzprotokoll II aufgenommen worden; sie gilt aber für dieses implizit, da es gemäss Art. 1 ZP II den gemeinsamen Art. 3 der Genfer Abkommen von 1949 ergänzt.

Vgl. UN-Doc. E/CN.4/1997/96, Ziff. 115.

6326

Fakultativprotokolls bei Erwachsenen und Kindern und in Artikel 6 Absatz 3 die Massnahmen zur Demobilisierung, Rehabilitation und sozialen Wiedereingliederung von Kindersoldaten.

Besondere Massnahmen der Öffentlichkeitsarbeit im Sinne von Artikel 6 Absatz 2 rechtfertigen sich vor allem durch den spezifischen Adressatenkreis, der durch die ordentliche Publikationspraxis bei Übereinkommen und Gesetzen in der Regel kaum erreicht werden kann. Die Sensibilisierung der Erwachsenen und insbesondere der Kinder für die Gefahren einer Rekrutierung von Kindern und deren Teilnahme an Feindseligkeiten soll insbesondere die Rekrutierung von Freiwilligen erschweren.

Sie soll aber auch dazu beitragen, den öffentlichen Druck auf diejenigen Vertragsstaaten oder bewaffneten Gruppen zu erhöhen, die gegen das Fakultativprotokoll verstossen.

Gestützt auf Absatz 3 ergreifen die Vertragsstaaten alle durchführbaren Massnahmen, um sicherzustellen, dass die in ihrem Zuständigkeitsbereich befindlichen Personen, die unter Missachtung dieses Protokolls rekrutiert oder in Feindseligkeiten eingesetzt wurden, demobilisiert oder auf andere Weise aus dem Militärdienst entlassen werden. Sie gewähren diesen Personen bei Bedarf jede geeignete Hilfe für ihre physische und psychische Rehabilitation und soziale Wiedereingliederung. Diese Bestimmung soll den sozialen Rahmen gewährleisten, ohne den ein Verbot der Rekrutierung und Teilnahme von Kindern an Feindseligkeiten auf Dauer nicht durchsetzbar ist. Adressat dieser Pflichten ist der Vertragsstaat, in dessen Zuständigkeitsbereich sich die Personen befinden. Somit dürften auch jene Vertragsstaaten dieser Pflicht unterliegen, die ehemaligen Kindersoldaten unmittelbar nach ihrer Demobilisierung Zuflucht gewähren oder sie aufnehmen.

Die Vertragsstaaten haben bei der praktischen Umsetzung von Artikel 6 einen grossen Gestaltungsspielraum. So können sie als weitere Massnahmen beispielsweise die Einführung oder die Verbesserung des Geburtenregistraturverfahrens, die Erleichterung des Zugangs für Kinder zu Bildung und Arbeit, die Stärkung der Gemeinschaftswerte oder die Förderung der Familienzusammenführung in Betracht ziehen63.

2.2.6

Internationale Kooperation (Art. 7)

Artikel 7 sieht die Zusammenarbeit der Vertragsstaaten beim Vollzug dieses Fakultativprotokolls vor, insbesondere bei der Prävention sowie der Rehabilitation und sozialen Wiedereingliederung der Opfer. Die technische Zusammenarbeit und finanzielle Hilfe soll im Einvernehmen mit anderen betroffenen Staaten und mit den zuständigen internationalen Organisationen erfolgen. Vertragsstaaten, die dazu in der Lage sind, gewähren diese Hilfe im Rahmen bestehender mehrseitiger, zweiseitiger oder sonstiger Programme oder durch einen nach den Regeln der UNO-Generalversammlung zu schaffenden freiwilligen Fonds. Dieser Bestimmung liegt die Tatsache zu Grunde, dass viele Entwicklungsländer ohne die Hilfe der restlichen Staatengemeinschaft das Fakultativprotokoll kaum umsetzen können.

63

Siehe Ann Sheppard, a.a.O., S. 45.

6327

2.3

Das internationale Kontrollverfahren (Art. 8)

Als Kontrollmechanismus zur Einhaltung dieses Fakultativprotokolls ist ein Berichterstattungsverfahren vorgesehen. Jeder Vertragsstaat muss dem in Artikel 43 KRK vorgesehenen Ausschuss für die Rechte des Kindes64 zwei Jahre nach Inkrafttreten des Fakultativprotokolls in seinem Land einen Grundlagenbericht vorlegen, der umfassende Angaben über die Massnahmen enthält, die er zur Durchführung des Fakultativprotokolls ergriffen hat. Die weitere Berichterstattung zur Umsetzung dieses Fakultativprotokolls ist in den alle fünf Jahre zu verfassenden Staatenbericht zur Kinderrechtekonvention zu integrieren. Die Vertragsstaaten, welche die Kinderrechtekonvention unterzeichnet, aber nicht ratifiziert haben65, legen einen eigenständigen Bericht vor.

In der Frage der Kompetenzen des Ausschusses sieht das Fakultativprotokoll einzig vor, dass dieser jeden Vertragsstaat um weitere Angaben über die Durchführung des Fakultativprotokolls ersuchen kann. Das Unterlassen der Aufzählung weiterer Kompetenzen ist jedoch nicht als qualifiziertes Schweigen zu interpretieren. Da der Ausschuss bereits auf Grund von Artikel 38 KRK für die Thematik «Kindersoldaten» zuständig ist und der zweite Staatenbericht betreffend das Fakultativprotokoll in den Staatenbericht zur Kinderrechtekonvention integriert wird, sollten dem Ausschuss bei der Überprüfung der Umsetzung des Fakultativprotokolls die in der Kinderrechtekonvention vorgesehenen Kompetenzen zukommen. Eine explizite Aufzählung der Kompetenzen im Fakultativprotokoll wurde offenbar nicht als notwendig erachtet.

So kann der Ausschuss den Vertragsstaaten Vorschläge und allgemeine Empfehlungen übermitteln und der UNO-Generalversammlung - mit den entsprechenden Bemerkungen des betreffenden Staates - vorlegen. Der Ausschuss kann des Weiteren die Sonderorganisationen der UNO, das UNO-Kinderhilfswerk (UNICEF) und andere zuständige Stellen einladen, sachkundige Stellungnahmen zur Durchführung des Fakultativprotokolls abzugeben. Analog zu den Kontrollmechanismen anderer universeller Übereinkommen im Menschenrechtsbereich hat der Ausschuss für die Rechte des Kindes jedoch keine Kompetenz, Vertragsstaaten wegen allfälliger Verletzung des Fakultativprotokolls formell zu verurteilen. Der Ausschuss hat auch keine Befugnis, Staatenbeschwerden oder sogar individuelle Mitteilungen über die Nichteinhaltung der staatlichen Verpflichtungen entgegenzunehmen.

2.4

Schlussbestimmungen (Art. 9­12)

Das Fakultativprotokoll steht allen Staaten zum Beitritt offen, die Vertragsstaaten der Kinderrechtekonvention sind oder diese unterzeichnet haben (Art. 9 Abs. 1). Die Ratifikations- oder Beitrittsurkunden werden beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegt (Art. 9 Abs. 2). Das Fakultativprotokoll tritt drei Monate nach Hinterlegung der zehnten Ratifikations- oder Beitrittsurkunde in Kraft. Für jeden 64

65

Der Ausschuss für die Rechte des Kindes besteht aus zehn Sachverständigen, die ihre Funktionen in persönlicher Eigenschaft wahrnehmen, aber von den Vertragsstaaten zur Wahl vorgeschlagen und gewählt werden. Der Ausschuss tritt in der Regel einmal jährlich zusammen.

Diese Regelung ist zurzeit nur für die Vereinigten Staaten von Bedeutung, welche die Kinderrechtekonvention zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert haben. Neben den Vereinigten Staaten ist einzig Somalia nicht Vertragsstaat der Kinderrechtekonvention.

6328

Staat, der das Fakultativprotokoll nach seinem Inkrafttreten ratifiziert oder ihm beitritt, tritt es einen Monat nach Hinterlegung seiner eigenen Ratifikations- oder Beitrittsurkunde in Kraft (Art. 10). Das Fakultativprotokoll kann gekündigt werden (Art. 11). Eine solche Kündigung wird ein Jahr nach der entsprechenden Notifikation beim UNO-Generalsekretär wirksam. Ist jedoch bei Ablauf dieses Jahres der kündigende Vertragsstaat in einen bewaffneten Konflikt verwickelt, so wird die Kündigung erst nach Ende des bewaffneten Konflikts wirksam.

Eine weitere Bestimmung regelt das Verfahren zur Änderung des Übereinkommenstextes (Art. 12). Eine solche Änderung tritt in Kraft, wenn sie von der Generalversammlung der Vereinten Nationen gebilligt und von einer Zweidrittelmehrheit der Vertragsstaaten angenommen worden ist. Sie ist allerdings nur für jene Vertragsstaaten verbindlich, welche die Änderung angenommen haben.

Das Fakultativprotokoll enthält keine Bestimmung über Vorbehalte. In Anwendung des Völkervertragsrechts sind Vorbehalte zugelassen, soweit sie mit Sinn und Zweck des Fakultativprotokolls vereinbar sind. Sie können jederzeit zurückgezogen werden.

3

Das Fakultativprotokoll und die schweizerische Rechtsordnung

3.1

Art der völkerrechtlichen Verpflichtungen: direkt oder nicht direkt anwendbare Bestimmungen

Das Fakultativprotokoll wird wie alle internationalen Abkommen Bestandteil der schweizerischen Rechtsordnung, sobald es für die Schweiz in Kraft getreten ist. Soweit Bestimmungen eines internationalen Rechtsinstrumentes direkt anwendbar sind, können die daraus fliessenden Rechte von diesem Zeitpunkt an vor den schweizerischen Behörden geltend gemacht werden. Als direkt anwendbar gelten jene Bestimmungen, die - im Gesamtzusammenhang sowie im Lichte von Gegenstand und Zweck des Fakultativprotokolls betrachtet - voraussetzungslos und genügend bestimmt sind, um auf einen konkreten Sachverhalt angewendet zu werden und Grundlage für einen Entscheid bilden zu können. Es wird Sache der rechtsanwendenden Behörden sein, im konkreten Fall über die Justiziabilität der einzelnen Bestimmungen des Fakultativprotokolls zu entscheiden.

Das Fakultativprotokoll enthält Normen - beispielsweise die verschiedenen staatlichen Schutz-, Beistands- und Förderungspflichten in den Artikeln 6 und 7 -, die zu wenig bestimmt sind, um einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch zu begründen.

Diese Pflichten werden aber dennoch Teil der objektiven Rechtsordnung. Die Behörden sind auch zur Umsetzung der weniger präzisen Bestimmungen verpflichtet.

Andere Bestimmungen scheinen durchaus so bestimmt, dass sie ohne weiteres als Grundlage für einen konkreten Entscheid dienen könnten. Zwar richten sie sich nach ihrem Wortlaut primär an die Gesetzgeber der Vertragsstaaten, doch überlassen sie diesen wenig Gestaltungsspielraum, weshalb eine direkte Anwendbarkeit dieser Bestimmungen nicht von vornherein auszuschliessen ist66. In Betracht zu ziehen wären

66

Vgl. hierzu Kälin/Malinverni/Nowak, «Die Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte», 2. Aufl. 1997, S. 71 ff.

6329

namentlich die Verbote der obligatorischen und freiwilligen Rekrutierung und der unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten in den Artikeln 1­3.

Die Vertragsstaaten sind dem Ausschuss für die Rechte des Kindes Rechenschaft schuldig darüber, ob ihre Rechtsordnung und ihre Politik allen - sowohl den direkt als auch den nicht direkt anwendbaren - Verpflichtungen aus dem Fakultativprotokoll genügen. Alle Bestimmungen des Fakultativprotokolls sind im Weiteren für die völkerrechtskonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts von Bedeutung.

3.2

Mindestalter für die Rekrutierung oder für die Teilnahme an Feindseligkeiten

Im Folgenden wird die Kompatibilität der Bestimmungen des Fakultativprotokolls mit denjenigen des innerstaatlichen Rechts geprüft.

3.2.1

Obligatorische Rekrutierung

Eine obligatorische Rekrutierung von Kindern kennt die schweizerische Gesetzgebung nicht. Die Stellungspflicht der wehrpflichtigen Schweizer enthält einerseits die Meldepflicht zur Aufnahme in die Militärkontrolle (Art. 7 des Militärgesetzes/ MG)67 und andererseits die Pflicht zur Teilnahme an der Aushebung (Art. 8 MG).

Beide Pflichten beginnen indes erst ab dem Anfang des Jahres, in dem der Militärdienstpflichtige das 19. Altersjahr vollendet. Die Militärdienstpflicht, d.h. die Pflicht, Militärdienst zu leisten, beginnt nach Artikel 13 Absatz 1 MG sogar erst ab Anfang des Jahres, in dem der Betroffene das 20. Altersjahr vollendet. Ab diesem Zeitpunkt ist in der Regel auch die Rekrutenschule zu absolvieren (Art. 49 Abs. 1 MG). Mit dem Fakultativprotokoll nicht vereinbar wäre hingegen die frühere Regelung von Artikel 82 MG, wonach der Bundesrat im Landesverteidigungsfall das Alter für die Stellungspflicht bis auf das 18. Altersjahr herabsetzen kann. Die Bestimmung wurde aber vom Parlament bereits am 24. März 2000 im Rahmen der Ratifikation des IAO-Übereinkommens Nr. 182 geändert, damit sie mit dem Mindestalter von 18 Jahren für die obligatorische Rekrutierung übereinstimmt. Die Änderung ist seit dem 1. Mai 2001 in Kraft. Somit sind die schweizerischen Bestimmungen mit Artikel 2 des Fakultativprotokolls kompatibel.

3.2.2

Rekrutierung von Freiwilligen

Nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung über die Aushebung der Stellungspflichtigen (VAS)68 können sich junge Schweizer freiwillig bereits im 17. oder 18. Altersjahr ausheben lassen und in der Folge die Rekrutenschule vorzeitig im 18. Altersjahr absolvieren (Art. 60 Abs. 3 der Verordnung über die Dauer der Militärdienstpflicht, die Ausbildungsdienste sowie die Beförderungen und Mutationen in der Armee [ADV]69). Schweizerinnen, die sich freiwillig zum Militärdienst 67 68 69

SR 510.10.

SR 511.11.

SR 512.21.

6330

angemeldet haben, können vom 18. Altersjahr an ausgehoben werden (Art. 5 Abs. 1 Bst. d VAS). Weitere Personen können der Armee vom Anfang des Jahres an, in dem sie das 18. Altersjahr vollenden, zugeteilt oder zugewiesen werden (Art. 11 Abs. 1 ADV).

Nicht unter den Begriff der «freiwilligen Rekrutierung» im Sinne von Artikel 3 des Fakultativprotokolls fallen der Orientierungsanlass vor der Aushebung sowie die freiwilligen vor- und ausserdienstlichen Kurse ohne Anrechnung an die Dienstpflicht. Unter den vordienstlichen Kursen sind die fliegerische Vorschulung sowie die Funker-, Pionier- oder Jungschützenkurse zu verstehen, die vor der Aushebung besucht, aber nicht an den Militärdienst angerechnet werden.

Die schweizerische Gesetzgebung ist somit auch mit dem in Artikel 3 des Fakultativprotokolls vorgesehenen Mindestalter von 16 Jahren für die Rekrutierung von Freiwilligen vereinbar.

3.2.3

Die Erklärung der Schweiz betreffend das Mindestalter von 18 Jahren für die Rekrutierung von Freiwilligen

Bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde muss der Vertragsstaat nach Artikel 3 Absatz 2 des Fakultativprotokolls eine Erklärung abgeben, in der er das Mindestalter für die Rekrutierung von Freiwilligen durch staatliche Streitkräfte und die Sicherungsmassnahmen zur Einhaltung dieser Verpflichtung angibt. Der Bundesrat beabsichtigt, in dieser Erklärung die Schweiz zu verpflichten, das Mindestalter für die Rekrutierung von Freiwilligen auf 18 Jahre anzuheben. Neben den bereits unter Ziffer 2.2.3 angeführten materiell-rechtlichen Erwägungen sprechen gewichtige politische Gründe sowie die Wahrung der Glaubwürdigkeit unseres Landes dafür, dass die Schweiz ihre während der Ausarbeitung des Fakultativprotokolls mit Überzeugung eingenommene Haltung «straight 18» auch im innerstaatlichen Recht umsetzt.

Aber auch die Schweizer Armee hat Interesse daran, dass keine unreifen Jugendlichen rekrutiert werden oder die Rekrutenschule absolvieren. So können Personen unter 18 Jahren zum Teil noch nicht im erforderlichen Ausmass die Konsequenzen ihrer Einteilung ersehen. Diesen Problemen soll im Rahmen der Armee XXI entgegengewirkt werden. So soll z.B. zwischen dem Zeitpunkt der Rekrutierung und der Rekrutenschule weniger Zeit als bis anhin (ein bis zwei Jahre) verstreichen. Damit lönnte die Rekrutenschule sofort nach der Rekrutierung mit zurückgelegtem 18. Altersjahr absolviert werden. Mit der Rekrutierung von Personen nach Erreichen ihrer Volljährigkeit und damit der rechtlichen Mündigkeit wird zudem sichergestellt, dass alle Angehörigen der Armee dem militärischen Straf- und Disziplinarrecht unterstellt sind. Der Bundesrat möchte mit dieser verbindlichen Erklärung aber auch ein politisches Zeichen an die Staatengemeinschaft aussenden, nämlich dass es ein wichtiges Anliegen ist, den Schutz der Kinder in diesem Bereich konsequent zu verwirklichen.

Die Anhebung des freiwilligen Rekrutierungsalters auf 18 Jahre würde die Jugendlichen insofern treffen, als sie sich nicht mehr bereits im 17. oder 18. Lebensjahr der Aushebung unterziehen oder die Rekrutenschule absolvieren könnten. In den Jahren 1997-1999 machten jährlich etwa 360-400 Stellungspflichtige (ca. 1,5%) von dieser Möglichkeit Gebrauch. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Etablierung 6331

eines weltweiten Verbots der Rekrutierung von Kindern aus den oben genannten Gründen diese Flexibilitätseinbusse betreffend den Zeitpunkt der Rekrutierung oder des Absolvierens des Militärdienstes aufwiegt. Er beabsichtigt deshalb, die notwendigen Anpassungen auf Verordnungsebene vorzunehmen70. Künftig sollen nur noch volljährige Personen ausgehoben werden und in der Armee Dienst leisten.

Bei Anhebung des Mindestalters für die Rekrutierung von Freiwilligen auf 18 Jahre besteht nach Artikel 3 Absatz 3 des Fakultativprotokolls für den Vertragsstaat keine Verpflichtung mehr, einschlägige Sicherheitsmassnahmen zum Schutze des Kindes zu treffen.

3.2.4

Inhalt der Erklärung nach Artikel 3

Die Schweiz wird sich in ihrer Erklärung verpflichten, das Mindestalter für die Rekrutierung von Freiwilligen durch staatliche Streitkräfte in der Schweiz auf 18 Jahre anzuheben. Als Nachweis des Alters des Rekruten sind nur amtliche Urkunden wie die Geburtsurkunde oder der Pass zugelassen. Die Schweiz kennt keine Schulen im Sinne von Artikel 3 Absatz 5 des Fakultativprotokolls, die von der Schweizer Armee geführt werden bzw. unter deren Aufsicht stehen.

3.3

Strafbarkeit der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindern

3.3.1

Erfassung durch das schweizerische Strafrecht

Das Fakultativprotokoll verpflichtet in Artikel 4 Absatz 2 die Vertragsparteien, strafrechtliche Massnahmen zu treffen, um die Rekrutierung von Kindern und deren Einsatz in Feindseligkeiten durch nichtstaatliche bewaffnete Gruppen in ihrem Herrschaftsgebiet zu kriminalisieren. Es stellt sich die Frage, wie weit das geltende schweizerische Strafrecht dieser Bestimmung des Fakultativprotokolls bereits entspricht.

Nach Artikel 271 StGB71 wird mit Gefängnis und in schweren Fällen mit Zuchthaus bestraft, wer auf schweizerischem Gebiet ohne Bewilligung für einen fremden Staat Handlungen vornimmt, die einer Behörde oder einem Beamten zukommen (Ziff. 1 Abs. 1). Strafbar sind auch Handlungen, welche für eine ausländische Partei oder eine andere Organisation des Auslandes vorgenommen werden (Ziff. 1 Abs. 2). Vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte des 2. Absatzes in Ziffer 172 ist in Lehre und Rechtsprechung nicht restlos geklärt, wie weit der Anwendungsbereich dieser Strafnorm reicht. Das Bundesgericht hat zur Auslegung des Begriffs «andere Organisation des Auslandes» seine Definition der «anderen Organisation» in Artikel 272 StGB (politischer Nachrichtendienst) beigezogen73. Es versteht darunter einen 70 71 72

73

Namentlich Art. 5 Abs. 1 Bst. c und d VAS, Art. 11 Abs. 1 und Art. 60 Abs. 3 ADV.

Verbotene Handlungen für einen fremden Staat.

Das Schweizerische Bundesgericht hatte es im Fall Vitianu abgelehnt, eine Handlung zu Gunsten der (alleinherrschenden) Kommunistischen Partei Rumäniens unter Art. 271 zu subsumieren, worauf der Gesetzgeber im Jahre 1950 Abs. 2 einführte.

BGE vom 9. Sept. 1977 i.S. J.C.A. (Semaine judiciaire 1978, S. 360).

6332

Zusammenschluss mehrerer Personen, die gemeinsam ein politisches Ziel verfolgen, auch wenn die Vereinigung nur lose ist, keine Statuten und keine eigentlichen Organe besitzt74. Es kann hier offen gelassen werden, ob angesichts des Titels von Art. 271 (Verbotene Handlungen für einen fremden Staat) die Organisation parastaatlichen Charakter aufweisen oder im Streben nach Macht und Unabhängigkeit einen Staat bekämpfen muss75. Selbst bei Heranziehen einer solchen Einschränkung fallen bewaffnete Gruppen, welche im Sinne des Fakultativprotokolls Rekrutierungen in der Schweiz vornehmen, unter Artikel 271. Die Strafnorm ist auch auf internationale Organisationen anwendbar. Bei Anwendbarkeit von Artikel 271 ist des Weiteren zu prüfen, ob die für die bewaffnete Gruppe ausgeführten Aktivitäten Handlungen darstellen, «die einer Behörde oder einem Beamten zukommen». Es sollen hoheitliche Handlungen erfasst werden; dabei genügt, dass die Handlungen ihrer Natur nach amtlichen Charakter aufweisen76. Werden für eine bewaffnete Gruppe Kinder unter 18 Jahren in der Schweiz rekrutiert, so ist von einer amtsähnlichen Handlung auszugehen, womit die Strafbarkeit nach Artikel 271 zu bejahen ist. Im Einzelfall muss hingegen geprüft werden, ob Kampagnen, an denen Personen unter 18 Jahren unmissverständlich aufgefordert werden, sich für den Einsatz in bewaffneten Konflikten zu melden, bereits als Rekrutierungen und damit als amtsähnliche Handlungen im Sinne von Artikel 271 zu qualifizieren sind.

Artikel 129 StGB (Gefährdung des Lebens) bestraft die unmittelbare Gefährdung einzelner Personen. Diese Strafbestimmung kann auf den Einsatz eines Kindessoldaten in Feindseligkeiten Anwendung finden. Dagegen erfasst sie die blosse Rekrutierung von Personen nicht, weil allein dadurch in der Regel noch keine unmittelbare Gefährdung verursacht wird.

Die Verbrechen und Vergehen gegen die Freiheit (Art. 180 ff. StGB) erfassen Rekrutierungen, die unter Zwang erfolgen77. Es ist bei diesen Delikten in der Regel der Nachweis erforderlich, dass die Freiheitsbeschränkung gegen den Willen des Opfers geschah. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass sich strafbar macht, wer ein Kind gegen seinen Willen rekrutiert und in Feindseligkeiten einsetzt78.

Die Straftatbestände nach den Artikeln 299 und 300 StGB (Verletzung fremder Gebietshoheit;
Feindseligkeiten gegen einen Kriegführenden oder fremde Truppen) vermögen die vom Fakultativprotokoll geforderte Strafbarkeit teilweise abzudecken.

Erfasst werden Handlungen, mit denen vom Gebiet der Schweiz aus mit Gewalt die staatliche Ordnung eines fremden Staates gestört werden soll. Dies kann der Fall sein, wenn Kinder in der Schweiz durch Gruppierungen für den bewaffneten Einsatz im Ausland rekrutiert werden.

Besondere Beachtung verdient Artikel 109 des Militärstrafgesetzes (MStG). Nach dieser Bestimmung wird bestraft, wer den Vorschriften internationaler Abkommen über Kriegführung sowie über den Schutz von Personen und Gütern zuwiderhandelt oder andere anerkannte Gesetze und Gebräuche des Krieges verletzt. Auch Zivilpersonen unterstehen gegebenenfalls dieser Vorschrift (Art. 2 Ziff. 9 MStG). Artikel 74 75 76 77 78

BGE 82 IV 163 E. 4a; 80 IV 86.

Eine solche Auslegung wird verschiedentlich vorgeschlagen: vgl. G. Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, BT II, Bern 1995, § 44 N 15; BGE 61 1413.

BGE 80 IV 86.

Diesfalls ist auch Strafbarkeit nach Art. 271 Ziff. 2 und 3 StGB in Betracht zu ziehen.

Der Täter macht sich gegebenenfalls der Drohung (Art. 180), der Nötigung (Art. 181) oder der Freiheitsberaubung und Entführung (Art. 183) strafbar.

6333

109 MStG bezieht sich auf Abkommen und Völkergewohnheitsrecht, welche Bestimmungen zum Schutz von Personen in bewaffneten Konflikten enthalten. Das Fakultativprotokoll ist sowohl in Friedenszeiten als auch in bewaffneten Konflikten anwendbar. Für die Tatbestände des Fakultativprotokolls, die in Friedenszeiten Geltung haben, ist die Anwendbarkeit von Artikel 109 MStG grundsätzlich auszuschliessen. Ferner gilt es bei einer allfälligen Anwendung von Artikel 109 MStG in Zusammenhang mit Artikel 4 des Fakultativprotokolls zu beachten, dass die bewaffneten Gruppen nur indirekt, d.h. über die in Artikel 4 Absatz 2 vorgesehenen nationalen Strafbestimmungen, ins Recht genommen werden79.

Im Militärstrafgesetz finden sich des Weiteren Strafbestimmungen, die den oben erwähnten Strafnormen des Strafgesetzbuches nachgebildet sind und deshalb je nach Sachlage bei Rekrutierungen in der Schweiz Anwendung finden können80. Es fehlt im Militärstrafgesetz jedoch eine mit Artikel 271 StGB vergleichbare Norm. Nach Artikel 7 MStG bleiben aber die dem Militärstrafrecht unterstehenden Personen für Handlungen, die im MStG nicht ausdrücklich unter Strafe gestellt werden, dem zivilen Strafrecht unterworfen.

Der nur schwer vorstellbare Fall der Rekrutierung von Kindern und deren Einsatz in Feindseligkeiten durch schweizerische bewaffnete Gruppen in der Schweiz hätte unter anderem zur Folge, dass - für Kinder bis 15 Jahren - das zweite Zusatzprotokoll von 1977 zu den Genfer Abkommen von 1949 Anwendung fände. Des Weiteren würde ein solches Vorgehen ungeachtet des Alters des Rekrutierten insbesondere unter die Strafbestimmungen des 12. und 13. Titels des StGB («Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Frieden» bzw. «Verbrechen und Vergehen gegen die Landesverteidigung») fallen, namentlich unter Artikel 260 (Landfriedensbruch), Artikel 265 (Hochverrat), Artikel 266 (Angriff auf die Unabhängigkeit) oder Artikel 275 (Angriff auf die verfassungsmässige Ordnung). Auch in diesem Kontext können Strafbestimmungen zum Schutz von Leib und Leben sowie der Freiheit zur Anwendung kommen.

3.3.2

Zusammenfassung

Zusammenfassend ergibt sich, dass das schweizerische Strafrecht das Rekrutieren eines Kindes für bewaffnete Gruppen oder dessen Einsatz in Feindseligkeiten bereits heute unter Strafe stellt; die Schaffung einer neuen Strafnorm, welche das entsprechende Verhalten mit Strafe belegt, erscheint daher nicht als notwendig. Im Vordergrund der anwendbaren Strafbestimmungen steht Artikel 271 StGB, welcher verbotene Handlungen für einen fremden Staat oder für eine Organisation des Auslandes unter Strafe stellt. Entsprechende Aktivitäten schweizerischer bewaffneter Gruppen würden namentlich von den übrigen Strafbestimmungen des 12. und 13. Titels des StGB erfasst.

79 80

Siehe Ziff. 2.2.4.

Art. 92, 149, 150 und 151a MStG.

6334

3.4

Umsetzungsmassnahmen

In der Schweiz sind die administrativen Voraussetzungen bereits gegeben, damit das Fakultativprotokoll umgesetzt werden kann. Mit Inkrafttreten des Fakultativprotokolls wird es in der Amtlichen Sammlung publiziert. Damit die Kinder tatsächlich Kenntnis von dessen Grundsätzen nehmen können, werden allerdings andere Massnahmen erforderlich sein, die vor allem die kantonalen Schulbehörden betreffen.

Auch Nichtregierungsorganisationen, die sich spezifisch mit den Rechten des Kindes befassen, werden hier eine besondere Rolle spielen. Die Schweizer Armee wird den Inhalt dieses Fakultativprotokolls in die Ausbildung der Angehörigen der Armee in geeigneter Form einbeziehen müssen. Wie die staatlichen Behörden solche Öffentlichkeitsarbeit weiter unterstützen können, wird zu gegebener Zeit zu entscheiden sein. Eine Koordination zwischen der Öffentlichkeitsarbeit zur Bekanntmachung der Kinderrechtekonvention und des Fakultativprotokolls erscheint nahe liegend und sinnvoll.

Artikel 6 Absatz 3 verpflichtet die Vertragsstaaten, den ehemaligen Kindersoldaten nötigenfalls Hilfe für die physische und psychische Rehabilitation und soziale Wiedereingliederung zu gewähren. Es erscheint angesichts der heutigen europapolitischen Lage wenig wahrscheinlich, dass die Schweiz in einen bewaffneten Konflikt involviert und mit der Problematik der Kindersoldaten in grösserem Ausmass auf ihrem Territorium konfrontiert sein wird. Die Schweiz verfügt bereits heute über ein soziales Netz, welches ehemaligen Kindersoldaten Hilfe gewähren könnte. Zu denken sind insbesondere an die Fürsorgeinstitutionen im Rahmen des Vormundschaftsrechts, an die soziale Fürsorge sowie an die Vorkehrungen des Opferhilfegesetzes. Der Bundesrat ist überzeugt, dass die Infrastruktur vorhanden ist, um bei Bedarf spezifische Massnahmen innert nützlicher Frist treffen zu können.

Die Pflicht zur Demobilisierung, Rehabilitation und sozialen Wiedereingliederung könnte für die Schweiz eher bei der Aufnahme von ausländischen schutzbedürftigen Kindern, die bis vor kurzem noch Kindersoldaten waren, aktuell werden. Die rechtliche Grundlage für ihre Anwesenheit in der Schweiz ist im Asylgesetz81 geregelt.

Es verleiht das Aufenthaltsrecht in der Schweiz den anerkannten Flüchtlingen, denen Asyl gewährt wurde (Art. 2 AsylG), den Asylsuchenden während des Asylverfahrens
(Art. 42 AsylG) und den Schutzbedürftigen für die Dauer einer schweren allgemeinen Gefährdung (internationale und nicht internationale bewaffnete Konflikte sowie Situationen allgemeiner Gewalt; Art. 4 AsylG). All diese Personen befinden sich - wenn sie sich auf Schweizer Territorium aufhalten - im schweizerischen Zuständigkeitsbereich, weshalb unser Land Massnahmen insbesondere für die psychische und physische Rehabilitation sowie ­ soweit es sich auf Grund der Dauer des Aufenthaltes als sinnvoll erweist ­ für die soziale Integration ergreifen muss.

Da es sich bisher eher um Einzelfälle handelte, sind bei gleich bleibender Situation mit der heutigen Infrastruktur die Voraussetzungen gegeben, damit die Schweiz dieser Pflicht nachkommen kann. In diesem Bereich wird insbesondere das Bundesamt für Flüchtlinge gefordert sein.

81

SR 142.31.

6335

3.5

Die schweizerischen Bemühungen zu Gunsten von Kindersoldaten im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit

Das Fakultativprotokoll hält in Artikel 7 fest, dass die Vertragsstaaten bei seiner Umsetzung, insbesondere bei der Prävention sowie Rehabilitation und sozialen Wiedereingliederung von Kindersoldaten, zusammenarbeiten sollen. Diese Bestimmung beruht auf der Erkenntnis, dass das Fakultativprotokoll gerade in Gebieten, in denen Kindersoldaten rekrutiert werden und zum Einsatz gelangen, nicht ohne die Hilfe der entwickelten Länder und internationalen Organisationen umgesetzt werden kann.

Viele Programme der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe (DEZA) zielen auf die Verbesserung der Lebensumstände und der Ausbildung des Kindes und seines Umfeldes ab und weisen somit indirekt kindersoldatenspezifische Aspekte auf. Die DEZA leistet finanzielle Beiträge an im Krisengebiet ansässige und auch an schweizerische Nichtregierungsorganisationen, die Programme und Projekte zu Gunsten der Kinder in der Dritten Welt durchführen. Sie bemüht sich ferner, Massnahmen zur Verbesserung der Ernährung und Erziehung der Kinder in ihre Strategien und Aktionen in den Schwerpunktländern ihrer Entwicklungszusammenarbeit aufzunehmen. Zudem sind die Kinder oft integrierender Bestandteil von globalen Programmen der Entwicklungszusammenarbeit. Als Beispiel sei das Nothilfe- und Entwicklungsprogramm der DEZA in Ruanda angeführt, welches unter anderem versucht, mit Massnahmen der Demobilisierung und Resozialisierung vor allem den kriegsgeschädigten Kindern zu helfen. Ähnliche Programme werden für Länder wie Afghanistan, Sri Lanka, Sierra Leone oder Kolumbien in Erwägung gezogen. Die DEZA beabsichtigt, diese Hilfe grundsätzlich im selben Mass weiterzuführen und in Zukunft den Bedürfnissen der Kinder in bewaffneten Konflikten noch mehr Beachtung zu schenken.

Im Jahr 2000 gab die DEZA über 1 Mia. Franken aus öffentlichen Mitteln aus; vom Gesamtbetrag von 262,2 Mio. Franken für die humanitäre Hilfe kam ein grosser Teil den Kindern zugute. Andere Programme der DEZA konzentrierten sich auf die nachhaltige Entwicklung und hatten deshalb direkte und indirekte positive Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Kinder. Im Rahmen der multilateralen Zusammenarbeit leistete die Schweiz namhafte Beiträge an internationale Organisationen, die sich auf die Hilfe für Kinder spezialisiert haben. UNICEF und der Sonderbeauftragte
des UNO-Generalsekretärs im Bereich Kinder und bewaffnete Konflikte waren in diesem Zusammenhang bevorzugte Partner der Schweiz. Unser Land unterstützte UNICEF im Jahr 2000 mit 17 Mio. Franken und den Sonderbeauftragten des UNO-Generalsekretärs für Kinder und bewaffnete Konflikte mit 150 000 Franken.

4

Finanzielle und personelle Auswirkungen der Ratifikation

Laut Artikel 43 Absätze 11 und 12 KRK werden die Kosten des Ausschusses für die Rechte des Kindes, der die Umsetzung der Kinderrechtekonvention durch die Vertragsstaaten überprüfen soll, vom allgemeinen Budget der Vereinten Nationen getragen. Durch die in Artikel 8 des Fakultativprotokolls vorgesehene obligatorische Be6336

richterstattung der Vertragsstaaten erwächst dem Ausschuss ein Mehraufwand. Es darf davon ausgegangen werden, dass die zusätzlichen Kosten ebenfalls vom allgemeinen Budget der Vereinten Nationen übernommen werden. Obwohl die Schweiz nicht Mitglied der UNO ist, trägt sie bereits heute an deren allgemeinen Verwaltungskosten mit. Die schweizerische Ratifikation dieses Fakultativprotokolls verursacht in dieser Hinsicht somit keine zusätzlichen Kosten.

Nach Artikel 6 Absatz 3 des Fakultativprotokolls hat die Schweiz bei Personen, die sich auf ihrem Hoheitsgebiet aufhalten, jede geeignete Unterstützung zur physischen wie auch psychischen Rehabilitation und zur sozialen Wiedereingliederung zu gewährleisten. Für diese neue Verpflichtung ist die Infrastruktur grundsätzlich vorhanden. Bei einer Zunahme von Asylgesuchen von Kindern, die als Soldaten an bewaffneten Konflikten beteiligt waren, könnte ein finanzieller Mehraufwand für Bund und Kantone entstehen. Während der bewaffneten Konflikte in Ruanda, BosnienHerzegowina und Kongo wurden wenige Asylgesuche solcher Kinder festgestellt. In Zukunft ist eine derartige Entwicklung jedoch nicht völlig auszuschliessen. Die weiteren Verpflichtungen des Fakultativprotokolls werden keine direkten finanziellen Folgen für den Bund und die Kantone haben. Der Mehraufwand für den Bund (insbesondere Berichterstattung an den Ausschuss, Strafverfolgung im Falle der Rekrutierung von Kindern durch bewaffnete Gruppen und internationale Kooperation) wird im Rahmen des geltenden Finanzplans und des aktuellen Personalbestandes aufzufangen sein.

5

Legislaturplanung

Das Hinwirken der Schweiz auf die Verabschiedung des Fakultativprotokolls auf internationaler Ebene ist im Bericht über die Legislaturplanung 1999-2003 vom 1. März 2000 vorgesehen. Da es im Zeitpunkt des Erstellens der Legislaturplanung nicht vorhersehbar war, wann das Fakultativprotokoll verabschiedet würde, konnte die Ratifikation des Fakultativprotokolls nicht in die Zielplanung aufgenommen werden82.

6

Verfassungsmässigkeit

Die Verfassungsmässigkeit des Bundesbeschlusses zur Ratifikation des Fakultativprotokolls beruht auf Artikel 54 Absatz 1 BV, welcher den Bund ermächtigt, völkerrechtliche Verträge abzuschliessen. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV zuständig, die Ratifikation gutzuheissen.

Laut Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV werden völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum unterstellt, wenn sie unbefristet und unkündbar sind, den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen oder eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbeiführen. Das Fakultativprotokoll ist kündbar (Art. 11) und impliziert keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation.

Es stellt sich einzig die Frage, ob die Ratifikation eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbeiführt. Nach konstanter Praxis des Bundesrates unterliegen dem fa82

BBl 2000 2276, 2283, R 4.

6337

kultativen Referendum nur diejenigen Verträge zwingend, die Einheitsrecht enthalten, das im Wesentlichen direkt anwendbar ist, und ein bestimmtes, genau umschriebenes Rechtsgut genügend umfassend regeln, d.h. jenen Mindestumfang aufweisen, der auch nach landesrechtlichen Massstäben die Schaffung eines separaten Gesetzes als sinnvoll erscheinen liesse83. Das Parlament hat die Praxis des Bundesrates präzisiert und entschieden, dass in Einzelfällen - wegen der Bedeutung und der Art der Bestimmungen oder weil internationale Kontrollorgane geschaffen werden - auch dann eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung vorliegen kann, wenn die betreffenden internationalen Normen nicht zahlreich sind84. Der Begriff der «Rechtsvereinheitlichung» kann sich nur auf einzelne Normen beziehen, wenn diese von grundlegender Bedeutung sind85.

Mit der verbindlichen Festlegung eines Mindestalters für die freiwillige und obligatorische Rekrutierung durch staatliche Streitkräfte und durch nichtstaatliche bewaffnete Gruppen bewirkt das Fakultativprotokoll eine Rechtsvereinheitlichung. Die Auswirkungen auf die Schweiz sind jedoch nicht erheblich: Die Rechtsvereinheitlichung schafft im Bereich der Rekrutierung durch Streitkräfte keine neuen Rechte oder Pflichten von besonderer Tragweite oder von grundlegender Bedeutung. Zudem ist ein grosser Teil der Bestimmungen des Fakultativprotokolls nicht direkt anwendbar, sondern legt vielmehr programmatische Grundsätze fest, an denen sich die Politik der Vertragsstaaten orientieren soll. Einigen Bestimmungen des Fakultativprotokolls kann allerdings die direkte Anwendbarkeit nicht zum Vornherein abgesprochen werden. Diese Bestimmungen sind für die Schweiz jedoch nicht neu. Sie hat bereits im Zusammenhang mit der Ratifikation des IAO-Übereinkommens Nr. 182 die nötige Änderung des Militärstrafrechts hinsichtlich der obligatorischen Rekrutierung vorgenommen86. Die Bestimmungen des Fakultativprotokolls bekräftigen daher die Anwendung bereits geltenden schweizerischen Rechts. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Fakultativprotokoll keine multilaterale Rechtsvereinheitlichung bewirkt, welche die Voraussetzungen von Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV erfüllt.

Der zur Genehmigung unterbreitete Bundesbeschluss unterliegt somit nicht dem fakultativen Staatsvertragsreferendum.

83 84 85 86

BBl 1988 II 912; 1990 III 948; 1992 III 324.

BBl 1990 III 948 mit Hinweisen.

So wurde das Zusatzprotokoll Nr. 6 zur EMRK, das sich auf das Verbot der Todesstrafe beschränkte, dem fakultativen Staatsvertragsreferendum unterstellt.

Art. 82 MG; vgl. BBl 2000 330 f., 382.

6338