01.025 Botschaft zur Volksinitiative «Lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter» vom 4. April 2001

Sehr geehrter Herr Präsident, Sehr geehrte Frau Präsidentin, Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen hiermit die Botschaft und den Beschlussentwurf zur Volksinitiative «Lebenslange Verwahrung für extrem gefährliche, nicht therapierbare Sexual- und Gewaltstraftäter» mit dem Antrag, die Volksinitiative Volk und Ständen mit Ablehnungsempfehlung zur Abstimmung zu unterbreiten.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

4. April 2001

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates

11409

Der Bundespräsident: Moritz Leuenberger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2001-0611

3433

Übersicht Die Initiative «Lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter» will für eine Gruppe von Tätern eine Verwahrung mit restriktiven Entlassungsbedingungen einführen. Eine Entlassung soll nur geprüft werden, wenn durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse nachgewiesen ist, dass der Täter geheilt werden kann und künftig für die Allgemeinheit keine Gefahr mehr darstellt. Die Initiative sieht ferner vor, dass Gutachten zur Beurteilung von Sexualund Gewaltstraftätern immer von zwei voneinander unabhängigen Experten zu erstellen sind und die Behörden für Rückfälle entlassener Täter verantwortlich gemacht werden können. Die Initiative ist Ausdruck einer berechtigten Sorge. Die vorgeschlagenen Neuerungen gehen indessen nur unwesentlich über das hinaus, was bereits im geltenden Recht angelegt ist, obwohl der vorgeschlagene neue Verfassungsartikel in einzelnen Bereichen sehr offen formuliert ist und der Auslegung viel Raum lässt.

Die lebenslängliche Verwahrung ist bereits heute im geltenden Recht vorgesehen.

Die Initiative schränkt jedoch die Kategorien von Straftätern, die davon betroffen sein können, ein. Sie zielt zudem in erster Linie auf Delinquenten ab, die eine psychische Störung aufweisen, womit sie auf einen guten Teil der gefährlichen Delinquenten nicht anwendbar ist. Diese Lücke könnte allenfalls durch eine sehr extensive Auslegung geschlossen werden. Ferner sind die Sicherheitsschranken, welche die Initiative für die Entlassung gefährlicher Straftäter vorsieht, zu kompliziert, unzweckmässig und im Ergebnis nicht strenger als diejenigen, welche bereits heute in der Praxis beachtet werden. Zudem kann einzelnen Grundsätzen der EMRK und dem Verhältnismässigkeitsprinzip nur durch eine Auslegung Rechnung getragen werden, die zwar mit dem Initiativtext gerade noch vereinbar ist, jedoch zum Teil dem Willen der Initiantinnen und Initianten widerspricht. Die Initiative wirkt im Weiteren widersprüchlich, indem sie jede vorzeitige Entlassung ausschliesst, gleichzeitig aber die Entlassung von Tätern zulässt, die noch extrem gefährlich sind. Der Ausschluss des Urlaubs, der bei extrem gefährlichen Delinquenten gerechtfertigt ist, erscheint in jenen Fällen fragwürdig, wo beim Täter eine Rückfall- oder Fluchtgefahr ausgeschlossen werden kann. Die geforderte
Verantwortlichkeit der Behörden wird namentlich durch das Strafgesetzbuch und die Verantwortlichkeitsgesetze gewährleistet.

Am 21. September 1998 hat der Bundesrat dem Parlament einen Entwurf zur Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches vorgelegt. Ein zentrales Anliegen dieser Revision ist der Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern. Der Bundesrat hat zu diesem Zweck eine neue Form der lebenslangen Sicherungsverwahrung vorgesehen, die auf alle Täter anwendbar ist, die schwere Straftaten begangen haben und bei denen eine Rückfallgefahr besteht. Im Gegensatz zur Verwahrung der Initiative beschränkt sie sich weder auf Sexual- oder Gewaltdelinquenten noch auf extrem gefährliche Delinquenten noch auf solche, die an einer psychischen Störung leiden. Die Verwahrung des Bundesrates ist ferner in ein Gesamtkonzept von neuen Schutzmassnahmen eingebettet:

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Vorgesehen sind unter anderem gesicherte Einrichtungen für die Behandlung psychisch gestörter gefährlicher Straftäter, strengere Entlassungsvoraussetzungen und eine breitere Abstützung der Prognosen bei allen Tätern, die schwere Straftaten begangen haben. Es besteht daher kein Anlass, einen Gegenvorschlag zur Initiative vorzulegen.

Aus all diesen Gtünden beantragt der Bundesrat, die Volksinitiative Volk und Ständen ohne Gegenvorschlag mit dem Antrag auf Ablehnung zu unterbreiten.

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Botschaft 1

Initiative «Lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter»

1.1

Wortlaut

Die Volksinitiative hat den folgenden Wortlaut: Die Bundesverfassung (vom 29. Mai 1874) wird wie folgt ergänzt: Art. 65bis (neu) Wird ein Sexual- oder Gewaltstraftäter in den Gutachten, die für das Gerichtsurteil nötig sind, als extrem gefährlich erachtet und nicht therapierbar eingestuft, so ist er wegen des hohen Rückfallrisikos bis an sein Lebensende zu verwahren. Frühzeitige Entlassung und Hafturlaub sind ausgeschlossen.

2 Nur wenn durch neue, wissenschaftliche Erkenntnisse erwiesen wird, dass der Täter geheilt werden kann und somit keine Gefahr mehr für die Öffentlichkeit darstellt, können neue Gutachten erstellt werden. Sollte auf Grund dieser neuen Gutachten die Verwahrung aufgehoben werden, so muss die Haftung für einen Rückfall des Täters von der Behörde übernommen werden, die die Verwahrung aufgehoben hat.

3 Alle Gutachten zur Beurteilung der Sexual- und Gewaltstraftäter sind von mindestens zwei voneinander unabhängigen, erfahrenen Fachleuten unter Berücksichtigung aller für die Beurteilung wichtigen Grundlagen zu erstellen.

1

1.2

Zustandekommen

Die Volksinitiative «Lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter» ist am 3. Mai 2000 mit 194 390 gültigen Unterschriften eingereicht worden. Mit Verfügung vom 13. Juni 2000 hat die Bundeskanzlei festgestellt, dass die Initiative gültig zu Stande gekommen ist1.

Die Bundeskanzlei hat die gesetzlichen Formerfordernisse für die Unterschriftenbogen sowie die Übersetzungen der Initiative vor dem Beginn der Unterschriftensammlung geprüft2. In der entsprechenden Verfügung ist zudem die Rückzugsklausel wiedergegeben, die sieben der Urheberinnen und Urheber der Initiative ermächtigt, diese ohne Vorbehalt mit absolutem Mehr zurückzuziehen.

1.3

Ziel der Initiantinnen und Initianten

Die Initiative steht im Zusammenhang mit den seit Anfang der Neunzigerjahre verstärkten Bemühungen, die Allgemeinheit gegen die Rückfallgefahr zu schützen, die von bestimmten Tätern während eines Urlaubes oder nach ihrer Entlassung ausgeht.

Sie will für eine Gruppe sehr gefährlicher Straftäter eine Verwahrung ohne Urlaub und mit eingeschränkten Entlassungsmöglichkeiten einführen. Die Initiantinnen und Initianten befürchten namentlich, dass eine zu häufige Prüfung der Entlassung sol-

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BBl 2000 3336 BBl 1998 4961

3436

cher Straftäter bloss zu einer zu grossen Anzahl von Irrtümern führt. Sie sind der Auffassung, Straftäter würden heute zu rasch und auf der Grundlage ungenügender Gutachten freigelassen. Sie streben daher für die Entlassung strengere Auflagen an, die sie durch den Einbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse schaffen wollen.

1.4

Regeln der Auslegung einer Initiative

Grundsätzlich ist bei der Auslegung des Textes einer Volksinitiative vom Wortlaut auszugehen und nicht vom subjektiven Willen der Initianten. Eine allfällige Begründung des Volksbegehrens und Meinungsäusserungen der Initianten können aber mitberücksichtigt werden. Ebenso können die Umstände, die zu einer Initiative Anlass gegeben haben, für die Auslegung eine Rolle spielen, die Auslegung des Textes selbst erfolgt nach den anerkannten Auslegungsregeln.

1.5

Behandlungsfristen

Die Volksinitiative «Lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter» ist am 3. Mai 2000 eingereicht worden.

Verlangt die Volksinitiative eine Partialrevision der Bundesverfassung und weist sie die Form eines ausgearbeiteten Entwurfs auf, so hat die Bundesversammlung innert 30 Monaten nach deren Einreichung darüber Beschluss zu fassen, ob sie allen gültigen Teilen der Initiative, so wie sie lauten, zustimmt oder nicht (Art. 27 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 23. März 1962 über den Geschäftsverkehr der Bundesversammlung sowie über die Form, die Bekanntmachung und das Inkrafttreten ihrer Erlasse; Geschäftsverkehrsgesetz; RS 171.11). Folglich müssen die beiden Räte die vorliegende Initiative bis zum 3. November 2002 behandeln.

1.6

Anpassung an die neue Bundesverfassung

Nach der Annahme der neuen Bundesverfassung vom 18. April 1999 wird die Volksinitiative «Lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter» nicht mehr die bisherige Nummerierung (Art. 65bis) tragen können, sondern an die neue Bundesverfassung angepasst (Art. 123a) eingeordnet werden müssen. Der Text der Volksinitiative hingegen bedarf im vorliegenden Fall keiner (nach Ziff. III der neuen Bundesverfassung im Rahmen des Gebotenen grundsätzlich möglichen) redaktionellen Anpassung.

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2

Gültigkeit der Initiative

2.1

Einheit der Form

Eine Initiative kann die Form der allgemeinen Anregung oder jene des ausgearbeiteten Entwurfs haben (Art. 139 Abs. 2 und 194 Abs. 3 BV). Nach Artikel 75 Absatz 3 des Bundesgesetzes vom 18. Dezember 1976 über die politischen Rechte (SR 161.1) sind Mischformen nicht zulässig.

Die vorliegende Initiative hat in allen Teilen die Form eines ausgearbeiteten Entwurfes. Die Einheit der Form ist folglich gewahrt.

2.2

Einheit der Materie

Eine Initiative darf nur eine einzige Materie zum Gegenstand haben (Art. 139 Abs. 3 und 194 Abs. 2 BV). Die Einheit der Materie ist gewahrt, wenn zwischen den verschiedenen Teilen der Initiative ein sachlicher Zusammenhang besteht (Art. 75 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte).

Die Volksinitiative «Lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter» hat die lebenslängliche Verwahrung zum zentralen Thema: Die Voraussetzungen für deren Anordnung, den Ausschluss von Urlaub und vorzeitiger Entlassung, die Voraussetzungen, unter welchen eine neue Begutachtung erfolgen kann, die Begutachtung von Sexual- und Gewaltstraftätern sowie die Haftung der Behörde, die die Entlassung von Straftätern aus der Verwahrung angeordnet hat, sofern diese rückfällig werden. Es besteht ohne Zweifel ein sachlicher Zusammenhang zwischen den verschiedenen Teilen der Initiative, so dass die Voraussetzung der Einheit der Materie erfüllt ist.

2.3

Durchführbarkeit

Die Umsetzung der Initiative «Lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter» würde im Rahmen des Straf- und Massnahmenvollzugs erfolgen.

Es wird im Folgenden zu zeigen sein, dass die Umsetzung der Initiative mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist und zu unbilligen Ergebnissen führen kann (vgl.

namentlich Ziff. 3.4 und 3.5). Eigentlich undurchführbar ist sie aber nicht.

2.4

Vereinbarkeit mit zwingendem Völkerrecht

Nach den Artikeln 139 Absatz 3 und 194 Absatz 2 BV darf eine Volksinitiative zwingende Bestimmungen des Völkerrechts (so genanntes jus cogens) nicht verletzen.

Bei zwingendem Völkerrecht handelt es sich um Normen, die auf Grund ihrer Bedeutung für die internationale Rechtsordnung unbedingte Geltung beanspruchen.

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Darunter fallen unter anderem auch die notstandsfesten Garantien der EMRK3 oder des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte4. Die Initiative hat zwar sehr wohl Berührungspunkte zu diesen internationalen Übereinkommen (vgl.

Ziff. 3.9), Konflikte mit den erwähnten Garantien bestehen jedoch nicht.

3

Inhalt der Initiative

3.1

Problem mit gefährlichen Straftätern

Gefährliche Straftäter, namentlich solche, die schwere Sexual- oder Gewaltdelikte begangen haben und bei denen angenommen werden muss, dass sie auch in Zukunft solche Delikte begehen werden, stellen eine kleine Minderheit aller Delinquenten dar; Gewaltdelikte einschliesslich Vergewaltigung und sexuelle Nötigung5 machen zwei Prozent aller Verurteilungen aus, die Delikte gegen die Sittlichkeit weniger als ein Prozent. Eine Studie des Bundesamtes für Statistik zeigt, dass von 322 Straftätern, die während eines Jahres wegen Gewaltdelikten verurteilt wurden, in den folgenden sieben Jahren lediglich drei wegen erneuter Gewaltdelikte verurteilt worden sind. Dabei sind nur sechzehn der erstmaligen Gewalttäter zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt und somit aus dem Verkehr gezogen worden. Zu einer dritten Verurteilung ist es gemäss dieser Studie in keinem der Fälle gekommen6.

Die Problematik dieser Täter liegt jedoch nicht in ihrer Anzahl begründet, sondern ­ wie gerade Ereignisse in der jüngeren Vergangenheit drastisch gezeigt haben ­ in der Schwere der begangenen Delikte und im grossem Leid, das die Täter anderen Personen zufügen. Immer stärker wird deshalb gefordert, es müsse der Schutz der Öffentlichkeit vor solchen Straftätern verbessert werden.

Wie dieses Ziel allerdings erreicht werden kann, ist eine äusserst schwierige Frage.

Denn einerseits steht fest, dass allein aus dem Umstand, dass jemand ein schweres Delikt begangen hat, noch nicht auf eine besondere Wiederholungsgefahr geschlossen werden kann. Auch solche Täter können deshalb wieder einmal entlassen werden, und sie werden sich in den meisten Fällen bewähren. Aber bei allen Entlassungen bleibt ein gewisses Risiko eines Rückfalls bestehen. Zwar wird in der Strafvollzugspraxis versucht, mit psychiatrischen Gutachten dieses Risiko weiter zu minimieren. Aber auch Gutachter, die alle Regeln der beruflichen Sorgfalt beachten, können einen Rückfall nie gänzlich ausschliessen. Mit Blick darauf stellt sich die Frage, ob der Öffentlichkeit dieses Restrisiko zugemutet werden kann. Umgekehrt besteht ebenso die Möglichkeit, dass sich die Gutachter im Urteilszeitpunkt zu Ungunsten des Täters irren, was dafür spricht, diese nicht in einer lebenslangen Verwahrung zu halten, die nicht überprüft werden kann.

Ein weiterer heikler Punkt betrifft die Frage, wer die Verantwortung übernehmen soll, einen Täter auf unbestimmte Zeit zu verwahren. Ist es das Gericht, das im Zeit3 4 5

6

Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten; SR 0.101.

Pakt II; SR 0.103.2. Vgl. Botschaft über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 433 f.

Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben (Art. 111­136 StGB), Raub (Art. 140 StGB), Erpressung (Art. 156 StGB), Drohung (Art. 180 StGB), Nötigung (Art. 181 StGB), Freiheitsberaubung und Entführung (Art. 183, 184 StGB), Geiselnahme (Art. 185 StGB), Vergewaltigung (Art. 190 StGB), sexuelle Nötigung (Art. 189 StGB).

Bundesamt für Statistik, Wiederholte strafrechtliche Verurteilungen, Zur Frage nach kriminellen Karrieren, Bd. 19, Rechtspflege, Bern 1995, S. 24.

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punkt des Urteils darüber befinden muss, ob ein Täter derart gefährlich ist, dass er sein Leben lang verwahrt werden soll, oder muss die Verantwortung von den Vollzugsbehörden beziehungsweise den sie beratenden Fachkommissionen getragen werden?

Namentlich vor dem Hintergrund des Mordfalls am Zollikerberg haben sich die Kantone veranlasst gesehen, ihre Urlaubs- und Entlassungspraxis gegenüber Straftätern, die schwere Delikte begangen haben, zu überprüfen und wenn nötig zu verschärfen.

Sie haben so genannte Fachkommissionen zur Beurteilung von gefährlichen Straftätern eingesetzt, welche den Vollzugsbehörden bei Entscheidungen über den Vollzugsort, die Gewährung von Urlaub oder die bedingte Entlassung beratend zur Seite stehen. Auf Bundesebene wurden verschiedene parlamentarische Vorstösse eingereicht, welche für bestimmte Tätergruppen die Einführung von so genannt «effektiv lebenslänglichen» Freiheitsstrafen und Massnahmen oder unkürzbare Freiheitsstrafen von 30 Jahren («peines incompressibles») verlangen7. Es wurde auch gefordert, ein Täter dürfe nur aus dem Straf- und Massnahmenvollzug entlassen werden, wenn dies in drei übereinstimmenden Gutachten befürwortet werde8.

3.2

Stossrichtung der Initiative

Wie die oben genannten parlamentarischen Vorstösse versucht auch die Initiative den Schutz der Öffentlichkeit vor gefährlichen Straftätern zu verbessern. Die Massnahmen, die sie zu diesem Zweck vorschlägt, sind allerdings nicht in ein Gesamtkonzept eingebettet: Die Initiative übernimmt für eine kleine Tätergruppe eine alte und im geltenden Strafgesetzbuch bereits erfüllte Forderung, die Einführung einer lebenslangen Verwahrung. Sie will eine Entlassung aus der Verwahrung nur zulassen, wenn wissenschaftlich erwiesen ist, dass der Täter von seinem abnormen Verhalten geheilt werden kann. Die Initiative lässt aber offen, was mit behandlungsfähigen Straftätern nach der Entlassung geschehen soll. Schliesslich möchte sie die

7

8

Motion Béguin vom 6.12.1989: Besonders gefährliche Straftäter. Revision des StGB (überwiesen als Postulat). Vgl. AB 1990 S 167; Motion Keller Rudolf vom 29.11.1993: Effektiv lebenslängliche Freiheitsstrafen (überwiesen als Postulat). Vgl. AB 1995/1 N 268; Motion Scherrer Jürg vom 14.12.1993: Verwahrung von Triebtätern (überwiesen als Postulat). Vgl. AB 1994 N 586. Am 4. Oktober 1996 hat Ständerat Thierry Béguin zudem eine Einfache Anfrage zur Änderung des Strafgesetzbuches betreffend besonders gefährliche Straftäter eingereicht (vgl. AB 1996 S 1196).

Der Bundesrat hat in seinen Antworten auf diese Vorstösse darauf hingewiesen, dass bereits das geltende Recht sowohl Freiheitsstrafen wie auch sichernde Massnahmen der Verwahrung vorsieht, die bis ans Lebensende des Verurteilten aufrechterhalten werden können. Im Gegensatz zu den genannten Vorstössen verlangt jedoch das geltende StGB von den Gerichten nicht, dass sie zum Zeitpunkt des Urteils endgültig beurteilen, ob ein Straftäter bis zu seinem Lebensende gefährlich sein wird und daher so lange ­ ohne Überprüfung der Sanktion ­ inhaftiert werden muss. Es ist in der Tat für ein Gericht nicht voraussehbar, wie sich ein Straftäter im Verlauf von 20 oder mehr Jahren entwickeln wird. Aus diesem Grund kann nach geltendem StGB das Gericht zwar eine lebenslange Sanktion verhängen, es ist aber Sache der Vollzugsbehörde, auf Grund des Verhaltens und der Entwicklung des Verurteilten über eine allfällige Entlassung befinden.

3440

Qualität der im Zusammenhang mit einer Verwahrung erstellten Gutachten in der Weise verbessern, dass jeweils zwei Gutachter beigezogen werden9.

3.3

Gegenüberstellung von Initiative und geltendem Recht

Um die Tragweite der Initiative besser sichtbar zu machen, soll sie im Folgenden dem geltenden Recht gegenübergestellt werden.

3.3.1

Die Formen der Verwahrung nach geltendem Recht

Das schweizerische Strafgesetzbuch (StGB, SR 311.0) sieht zwei Formen der Verwahrung vor: die Verwahrung von Gewohnheitsverbrechern nach Artikel 42 StGB und die Verwahrung von geistig Abnormen nach Artikel 43 Ziffer 1 Absatz 2 StGB.

Nach Artikel 30b des Militärstrafgesetzes (SR 321.0) kommen diese Formen der Verwahrung auch im Militärstrafrecht zur Anwendung.

Die Verwahrung von Gewohnheitsverbrechern nach Artikel 42 StGB ist für Täter vorgesehen, die schon wegen zahlreicher Verbrechen oder Vergehen freiheitsentziehende Sanktionen verbüsst haben10. Sie wird an Stelle einer Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe angeordnet. Diese Form der Verwahrung ist zeitlich unbefristet, kann also bis zum Lebensende des Verurteilten dauern. Sie wird aufgehoben, wenn sie nicht mehr notwendig ist, frühestens nach drei Jahren, ausnahmsweise bereits früher11. Eine psychische Störung beim Täter ist keine Voraussetzung für diese Form der Verwahrung.

Die Verwahrung nach Artikel 43 Ziffer 1 Absatz 2 StGB kann gegenüber Straftätern angeordnet werden, die infolge ihres Geisteszustandes die öffentliche Sicherheit in schwer wiegender Weise gefährden12. Sie ist bereits gegenüber Ersttätern möglich, und auch sie kann bis zum Lebensende des Verurteilten dauern. Die verwahrte Person wird entweder definitiv (wenn der Grund der Massnahme weggefallen ist) oder probeweise (wenn der Grund der Massnahme nicht vollständig weggefallen ist) aus der Verwahrung entlassen.

Die Verwahrung von Gewohnheitsverbrechern nach Artikel 42 StGB wird heute immer seltener angeordnet13 und ist im Entwurf des Bundesrates für die Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches nicht mehr vorgesehen14. Im Folgenden wird daher die Verwahrung, wie sie von der Initiative vorgeschlagen wird, in 9

10 11 12 13 14

Vgl. Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Allgemeine Bestimmungen, Einführung und Anwendung des Gesetzes) und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht vom 21. September 1998, BBl 1999 2088 f.

Vgl. die detaillierten Voraussetzungen in Artikel 42 Ziffer 1 StGB.

Vgl. die detaillierten Voraussetzungen in Artikel 42 Ziffern 4 und 5 StGB.

Vgl. die Voraussetzungen in Artikel 43 StGB.

1960: 120 Fälle; 1970: 68 Fälle; 1980: 30 Fälle; 1990: 6 Fälle; 1995: 6 Fälle; 1996: 6 Fälle; 1997: 2 Fälle; 1998: 3 Fälle.

Vgl. Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Allgemeine Bestimmungen, Einführung und Anwendung des Gesetzes) und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht vom 21. September 1998, BBl 1999 1979 ff.

3441

erster Linie der Verwahrung von geistig Abnormen nach Artikel 43 StGB gegenübergestellt, zu der sie gewisse Parallelen hat.

3.3.2

Wortlaut von geltendem Recht und Initiative

Die Verwahrung von geistig Abnormen nach dem Wortlaut von Artikel 43 Ziffer 1 Absatz 2 StGB ist für Täter vorgesehen, die: ­

Verbrechen oder Vergehen begangen haben;

­

infolge ihres Geisteszustandes die öffentliche Sicherheit in schwer wiegender Weise gefährden; und

­

bei denen diese Massnahme notwendig ist, um sie von der Gefährdung anderer abzuhalten15.

Nach der Initiative sollen Täter lebenslang verwahrt werden, die: ­

Sexual- und Gewaltstraftaten begangen haben; und

­

in den gerichtlichen Gutachten als extrem gefährlich und nicht therapierbar eingestuft werden.

3.3.3

Die Anlasstaten

3.3.3.1

Geltendes Recht

Die Verwahrung nach Artikel 43 StGB ist nicht auf Täter beschränkt, die bestimmte Straftaten begangen haben, sondern ist grundsätzlich für alle Verbrechen und Vergehen möglich. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kommt sie bei allen «hochgefährlichen Tätern, die keiner Behandlung zugänglich sind»16, zur Anwendung, aber auch gegenüber Tätern, «bei denen trotz ärztlicher Behandlung oder Pflege ernstlich die Gefahr schwerer Straftaten und vor allem von Gewaltdelikten bleibt, sei es innerhalb oder ausserhalb der Anstalt»17.

3.3.3.2

Initiative

Die mit der Volksinitiative geforderte Verwahrung soll nur gegenüber «Sexual- und Gewaltstraftätern» verhängt werden können. Als «Sexualstraftäter» hat dabei wohl jene Person zu gelten, die eine strafbare Handlung gegen die sexuelle Integrität nach den Artikeln 187­200 StGB begangen hat.

Der Begriff «Gewaltstraftäter» ist demgegenüber ziemlich unbestimmt. Er lässt sich über die gesetzlichen Straftatbestände kaum eingrenzen, weil das Strafgesetzbuch ­ im Gegensatz zu den «Sexualstraftaten» ­ keine eigentlichen «Gewaltstraftaten» kennt. Die Durchsicht von Literatur und Rechtsprechung zum Gewaltbegriff zeigt,

15 16 17

BGE 123 IV 4.

BGE 121 IV 301, 118 IV 113.

BGE 121 IV 301 f.; 123 IV 6; 118 IV 113.

3442

dass es hierfür keine allgemein anerkannte Definition gibt18. Das Strafgesetzbuch enthält zwar eine Reihe von Tatbeständen, die ausdrücklich die Anwendung von Gewalt voraussetzen19. Diese Tatbestände stellen jedoch nur einen Teil der Gewaltstraftaten im Sinne der Initiative dar. Diese will klarerweise auch Straftatbestände erfassen, welche die Anwendung von Gewalt zwar nicht ausdrücklich verlangen, bei denen Gewalt aber wesensimmanent ist20, so z.B. die Delikte gegen Leib und Leben, namentlich die Tötungsdelikte (Art. 111 ff. StGB) und die Körperverletzungsdelikte (Art. 122 ff. StGB) oder die Freiheitsberaubung und die Geiselnahme (Art. 183­185 StGB).

In Artikel 260ter StGB (Kriminelle Organisation) wird der Begriff Gewaltverbrechen verwendet, und Gewalt wird in diesem Zusammenhang als «unmittelbare Einwirkung auf den Körper einer Person» definiert21. In der Volksinitiative «zur Entschädigung der Opfer von Gewaltverbrechen» werden «Gewaltverbrechen» als «vorsätzliche Straftaten gegen Leib und Leben» umschrieben22. Beide Definitionen wären im vorliegenden Kontext jedoch zu eng. Die erste würde Taten wie Raub und Brandstiftung, die zweite namentlich die Delikte gegen die sexuelle Integrität nicht umfassen23.

Bei einer Umsetzung der Volksinitiative auf Gesetzesebene müsste man deshalb einen Katalog der Straftaten schaffen, die als «Gewaltdelikte» gelten und eine Verwahrung rechtfertigen. Dabei müsste berücksichtigt werden, dass nur «extrem gefährliche» Straftäter verwahrt werden sollen.

3.3.3.3

Fazit

Der Anwendungsbereich der Verwahrung muss in Bezug auf die so genannten Gewaltstraftäter noch konkretisiert werden. Da die Verwahrung gemäss der Initiative nur gegenüber bestimmten Sexual- und Gewaltstraftätern angeordnet werden kann, ist ihr Anwendungsbereich in jedem Fall enger als derjenige der Verwahrung im geltenden Recht.

18

19

20 21 22 23

Vgl. Frank Schürmann, Der Begriff der Gewalt im schweizerischen Strafgesetzbuch, Basler Studien zur Rechtswissenschaft, Reihe C: Strafrecht, Basel und Frankfurt am Main 1986.

Raub (Art. 140 StGB), Erpressung (Art. 156 StGB), Nötigung (Art. 181 StGB), Freiheitsberaubung und Entführung (Art. 183 StGB), Sexuelle Nötigung (Art. 189 StGB), Vergewaltigung (Art. 190), Landfriedensbruch (Art. 260 StGB), Hochverrat (Art. 265 StGB), Verbotene Handlungen für einen fremden Staat (Art. 271 StGB), Störung und Hinderung von Wahlen und Abstimmungen (Art. 279 StGB), Eingriffe in das Stimm- und Wahlrecht (Art. 280 StGB), Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 StGB), Verletzung fremder Gebietshoheit (Art. 299 StGB), Befreiung von Gefangenen (Art. 310 StGB) und Meuterei von Gefangenen (Art. 311 StGB). Gewaltanwendung wird auch in anderen Tatbeständen erwähnt, sie betrifft jedoch nicht die Art der Tatbegehung: vgl. z.B. die Artikel 135, 197, 259, 260ter und 275bis StGB.

Auch diese können indessen ohne eigentliche Gewaltanwendung begangen werden, z.B.

durch eine Unterlassung.

Vgl. BBl 1993 III 277. Vgl. Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Auflage, 1997, N. 7 zu Art. 260ter StGB und N. 4 zu Art. 140 StGB.

BBl 1983 III 872.

Im Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991 über die Hilfe an Opfer von Straftaten (Opferhilfegesetz, OHG, SR 312.5) wird der Begriff denn auch nicht mehr verwendet.

Hilfe erhält jede Person, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist (Art. 2 OHG).

3443

3.3.4

Die Gefährlichkeit des Täters

3.3.4.1

Geltendes Recht

In Artikel 43 StGB wird der Täter als Person umschrieben, die infolge ihres Geisteszustandes die öffentliche Sicherheit in schwer wiegender Weise gefährdet. Die Begehung einer schweren Straftat macht einen Täter noch nicht zu einem gefährlichen Straftäter. Die Gefährlichkeit besteht erst dann, wenn mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Täter auch in Zukunft schwere Straftaten (oder mit einer besonderen Intensität mittelschwere Straftaten24) begehen wird.

So kann nach geltendem Recht für eine Verwahrung schon die Möglichkeit genügen, dass ein Täter, der ein Tötungsdelikt begangen hat, weitere Tötungsdelikte begehen wird25.

3.3.4.2

Initiative

Indem sich die Initiative nicht gegen «gefährliche», sondern gegen «extrem gefährliche» Straftäter richtet, muss sowohl die Wahrscheinlichkeit wie auch die Schwere der drohenden Taten besonders gross sein.

So kann nicht jede Sexual- oder Gewaltstraftat als «schwer» eingestuft werden. Taten wie Exhibitionismus (Art. 194 StGB), sexuelle Belästigung (Art. 198 StGB) oder eine leichte Körperverletzung werden eine Verwahrung in keinem Fall rechtfertigen26. Desgleichen wird der untaugliche Versuch eines Raubüberfalles nicht eine Verwahrung nötig machen. Ein Katalog oder eine Umschreibung der «extrem gefährlichen Sexual- und Gewaltstraftaten», die zu einer Verwahrung führen sollen, müsste diesem Aspekt Rechnung tragen. Er dürfte nur Straftaten enthalten, die bereits durch ihre abstrakte Strafdrohung nicht nur als «schwer», sondern dem Wortlaut der Initiative entsprechend als «extrem schwer» eingestuft wurden.

Nach der Initiative muss auch in Bezug auf die Rückfallgefahr eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit gefordert werden. Dies wird im Initiativtext ausdrücklich hervorgehoben, indem festgehalten wird, der Täter müsse «wegen des hohen Rückfallrisikos» verwahrt werden.

3.3.4.3

Fazit

Die Verwahrung gemäss Initiative richtet sich nur gegen Täter, die «extrem gefährlich» sind. Das sind Täter, die z.B. einen Mord, einen Raub oder eine Vergewaltigung begangen haben, durch die jemand sehr schwer geschädigt worden ist und bei

24 25 26

Vgl. Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II, Bern 1996, § 11 N. 130.

BGE 118 IV 108; bei der Gefährdung hochwertiger Rechtsgüter wie Leib und Leben seien an Nähe und Ausmass der Gefahr weniger hohe Anforderungen zu stellen.

Exhibitionismus könnte die Verwahrung höchstens dann rechtfertigen, wenn er mit Gewaltanwendung verbunden ist. Nach Norbert Nedopil (Forensische Psychiatrie, 1996, S. 168) kommt es auch bei Exhibitionismus in «10% bis 30% der Fälle gelegentlich zum Einsatz körperlicher Gewalt».

3444

denen eine hohe Gefahr besteht, dass sie auch in Zukunft Straftaten dieser Schwere begehen werden.

3.3.5

Der psychische Zustand des Täters

3.3.5.1

Geltendes Recht

Gegenüber Tätern, die eine Straftat begangen haben, kann die Verwahrung nach Artikel 43 StGB angeordnet werden, sofern sie eine psychische Störung aufweisen, die mit der begangenen Tat im Zusammenhang steht (und dies auch noch für neue Taten sein kann). Gegen Straftäter ohne psychische Störung kann eine Verwahrung nur im Wiederholungsfall angeordnet werden; sie können als Gewohnheitsverbrecher nach Artikel 42 StGB verwahrt werden.

Die Praxis ging lange Zeit davon aus, dass Gefährlichkeit insbesondere bei Personen mit einer psychischen Störung anzunehmen sei und mit ärztlichen Massstäben gemessen werden könne. Demgegenüber kommen verschiedene neuere Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen psychischer Krankheit und Gefährlichkeit zum Schluss, dass die Gefährlichkeit psychisch kranker Menschen nicht signifikant höher ist als die der seelisch gesunden27. Schwere Straftaten werden von psychisch Kranken nicht häufiger begangen als von anderen Mitgliedern der entsprechenden Bevölkerungsgruppe28. Psychische Krankheit ist somit für sich allein betrachtet nicht mit Gefährlichkeit gleichzusetzen29.

Das geltende Recht weist mithin eine Lücke auf. Ersttäter, bei denen eine hohe Wiederholungsgefahr besteht, die jedoch keine psychische Störung aufweisen, können nicht verwahrt werden. Sie müssen nach einer zeitlich begrenzten Strafe in die Freiheit entlassen werden. Diese Lücke soll mit der neuen Form der Verwahrung nach Artikel 64 E-StGB30 geschlossen werden (vgl. die Ausführungen unter Ziff. 4).

3.3.5.2

Initiative

Die Initiative lehnt sich sehr stark an das geltende Recht an: Auch sie lässt es zu, dass eine Person bereits auf Grund einer einzigen Tat verwahrt werden kann. Nach

27

28

29

30

Heinz Kammeier, Massregelrecht, Kriminalpolitik, Normgenese und systematische Struktur einer schuldunabhängigen Gefahrenabwehr, Berlin 1996, S. 203. Nach Norbert Nedopil müssen bei sexuellen Aggressionsdelikten wie sexuelle Nötigung, Vergewaltigung und sexuell motivierten Tötungsdelikten keine psychiatrisch definierten Störungen des Sexualverhaltens vorliegen (Norbert Nedopil, Forensische Psychiatrie, 1996, S. 168).

Vgl. Wilfried Rasch, Die Prognose im Massregelvollzug als kalkuliertes Risiko, in: Wolfgang Frisch/Thomas Vogt (Hrsg.), Prognoseentscheidungen in der strafrechtlichen Praxis, Baden-Baden 1994, S. 236 ff.

Nicht einmal der jeweils festgestellte Schweregrad der psychischen Störung hat einen Einfluss auf die Zuschreibung von Gefährlichkeit. Vgl. Heinz Kammeier, Massregelrecht, Kriminalpolitik, Normgenese und systematische Struktur einer schuldunabhängigen Gefahrenabwehr, Berlin 1996, S. 203 f., mit Verweisen auf Rechtsprechung und Literatur.

Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Allgemeine Bestimmungen, Einführung und Anwednung des Gesetzes) und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht vom 21. September 1998; BBl 1999 2093 ff.

3445

dem Wortlaut der Initiative muss es sich jedoch um einen «nicht therapierbaren Täter» handeln, der u.a. dann entlassen werden darf, wenn er «geheilt» werden kann.

Die Umschreibung «nicht therapierbar» könnte ­ für sich allein interpretiert ­ auch Täter umfassen, die keine psychische Störung haben, denn auch diese können im herkömmlichen Sinne nicht therapiert werden. Die Voraussetzung aber, dass der Täter nur entlassen werden darf, wenn er geheilt werden kann, kann nur bedeuten, dass der zu verwahrende Täter «krank» sein (resp. eine psychische Störung aufweisen) muss31. Dadurch wird jedoch ein gewichtiger Teil der Täter, gegen die sich die Initiative richtet, gar nicht erfasst (vgl. oben, Ziff. 3.3.5.1).

3.3.5.3

Fazit

Der vorgeschlagene Artikel 65bis BV enthält dieselbe Lücke wie das geltende Recht.

3.3.6

Die fehlende Therapierbarkeit

3.3.6.1

Geltendes Recht

Die Verwahrung nach Artikel 43 StGB kommt nicht nur zur Anwendung bei allen «hochgefährlichen Tätern, die keiner Behandlung zugänglich sind», sondern auch bei Tätern, «bei denen trotz ärztlicher Behandlung oder Pflege ernstlich die Gefahr schwerer Straftaten und vor allem von Gewaltdelikten bleibt, sei es innerhalb oder bei entsprechender Fluchtgefahr ausserhalb der Anstalt»32.

Damit ein Täter als therapierbar gilt, muss er eine psychische Störung aufweisen, die mit der begangenen Straftat in Zusammenhang steht. Es muss eine geeignete Therapie zur Behandlung der psychischen Störung geben, der Täter muss der Behandlung zustimmen, und es muss eine Einrichtung vorhanden sein, in der die Therapie durchgeführt werden kann. Ist eine dieser Voraussetzungen nicht gegeben, so gilt der Täter als nicht therapierbar.

In der Praxis treten u.a. folgende Konstellationen auf, in denen ein Täter als «nicht therapierbar» bezeichnet wird:

31

32

­

Nach dem jeweiligen Stand der psychiatrischen, psycho- und soziotherapeutischen sowie pädagogischen Wissenschaften ist die beim Täter vorhandene Störung generell nicht behandelbar. Nach Auffassung von forensischen Psychiatern gibt es allerdings heute für praktisch jede psychische Störung eine entsprechende Behandlung.

­

Der Täter ist nicht bereit, sich behandeln zu lassen, obwohl an sich eine geeignete Behandlung zur Verfügung stehen würde. Die Einwilligung des Betroffenen ist zwar keine gesetzliche Voraussetzung für eine Behandlung. Für eine sinnvolle Therapie ist indessen die Bereitschaft des Täters notwendig, sich mit seinen Problemen auseinander zu setzen. Die Einweisung in eine Auch nach Artikel 43 StGB können nur Täter mit einer psychischen Störung auf Grund einer einzigen Tat verwahrt werden. Diese Regelung beruht namentlich auf der (fragwürdigen) Annahme, dass bei Ersttätern nur dann eine verlässliche Prognose möglich ist, wenn sie eine psychische Störung haben.

BGE 121 IV 301 f., 123 IV 6; 118 IV 113.

3446

therapeutische Einrichtung setzt daher heute das Einverständnis des Betroffenen in der Regel voraus.

­

Ein Täter wird schliesslich als nicht therapierbar bezeichnet, wenn eine Therapieeinrichtung fehlt, in welcher er behandelt werden kann.

3.3.6.2

Initiative

Der Ausdruck «nicht therapierbar» umfasst alle unter Ziffer 3.3.6.1 beschriebenen Konstellationen.

3.3.6.3

Fazit

Die Initiative enthält mit dem Kriterium der fehlenden Therapierbarkeit keine eigentliche Neuerung. Sie geht im Gegenteil weniger weit als das geltende Recht, das nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts auch die Verwahrung von therapierbaren Straftätern zulässt, wenn diese trotz ärztlicher Behandlung oder Pflege eine ernstliche Gefahr darstellen (vgl. Ziff. 3.3.6.1).

3.3.7

Die Subsidiarität der Verwahrung

3.3.7.1

Geltendes Recht

Die Verwahrung wird nach geltendem Recht nur angeordnet, wenn sie notwendig ist, um den Täter von der Gefährdung anderer abzuhalten. Die Verwahrung ist somit subsidiär, das heisst, sie muss nicht angeordnet werden, wenn die Gefahr auf eine andere Art besser oder ebenso gut gebannt werden kann, z.B. durch eine lange Freiheitsstrafe (allenfalls verbunden mit einer ambulanten Behandlung während des Vollzugs)33.

3.3.7.2

Initiative

Nach dem Wortlaut der Initiative ist die Verwahrung anzuordnen, weil beim Täter eine hohe Rückfallgefahr besteht. Die Initiative geht mithin davon aus, dass nur die Verwahrung geeignet ist, dem Rückfallrisiko eines gefährlichen Straftäters zu begegnen34. Sie wäre ­ nach ihrem Wortlaut ­ problematisch, indem das Gericht bei rückfallgefährdeten Tätern direkt die Verwahrung anordnen muss, auch wenn eine andere Sanktion besser oder gleich gut geeignet wäre, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten.

33 34

BGE 103 IV 141, 101 IV 128.

Vgl. dazu: Bundesamt für Statistik, Wiederholte strafrechtliche Verurteilungen, zur Frage nach kriminellen Karrieren, Bd. 19, Rechtspflege, Bern 1995, S. 24; vgl. auch Bundesamt für Statistik, Strafrechtliche Verurteilung und Rückfallraten, Bd. 19, Rechtspflege, Bern 1997 II, S. 18 Grafik 6, wonach die Wiederverurteilungsrate bei «Gewalt-Straftätern» zwar hoch ist, jedoch nur 5,3% ein zweites Mal wegen Gewaltdelikten verurteilt werden.

3447

3.3.7.3

Fazit

Der Text der Initiative wirkt vor dem Hintergrund des Verhältnismässigkeitsprinzips starr.

3.4

Der Vollzug der Verwahrung

3.4.1

Allgemeines

Die Initiative enthält nur wenige Anhaltspunkte über die Ausgestaltung des Vollzugs der lebenslangen Verwahrung. Sie hält lediglich fest, dass eine «frühzeitige Entlassung» und der «Hafturlaub» ausgeschlossen sein sollen.

Angaben über den Vollzugsort (spezielle Anstalten oder bestehende Gefängnisse), fehlen, ebenso über die Ausgestaltung des Vollzugs (Arbeitspflicht, psychologische Betreuung, Vollzugsplanung etc.).

3.4.2

Der Hafturlaub im Besonderen

3.4.2.1

Geltendes Recht

Das Strafgesetzbuch und die dazugehörenden Verordnungen enthalten keine Vorschriften über den Urlaub. Die Strafvollzugskonkordate haben jedoch in der Praxis bestimmte Formen des Gefangenenurlaubs eingeführt35: ­

Urlaub zur Pflege der Beziehungen zur Aussenwelt;

­

Urlaub zur Vorbereitung der Entlassung;

­

Urlaub aus besonderen Gründen, namentlich zur Verrichtung unaufschiebbarer persönlicher, existenzerhaltender oder rechtlicher Angelegenheiten, für welche die Anwesenheit des Eingewiesenen ausserhalb der Anstalt unerlässlich ist.

Nach den Richtlinien der Strafvollzugskonkordate der Nordwest- und Innerschweiz sowie der Ostschweiz ist ein Urlaub bei «gemeingefährlichen» Straftätern nicht ausgeschlossen. Der Täter ist jedoch allenfalls vorgängig zu begutachten. Der Urlaub kann zudem wenn nötig nur als begleiteter Urlaub gewährt werden.

3.4.2.2

Initiative

Die Initiative schliesst kategorisch jede Form von Urlaub aus, selbst einen Urlaub unter Polizeibewachung. Dies ist sicher dann vertretbar, wenn die Gefahr besteht, dass der Täter während des Urlaubs neue Straftaten begeht.

35

Vgl. die «Richtlinien über die Urlaubsgewährung in den Anstalten Bostadel, Lenzburg und Thorberg» der Konkordatskonferenz über die Planung im Strafvollzugswesen der Nordwest- und Innerschweiz. Die Urlaubsformen werden aufgeteilt in «Sachurlaub» und «Beziehungsurlaub».

3448

3.4.2.3

Fazit

Urlaub sollte gewährt werden können, wenn dies zur Verrichtung unaufschiebbarer persönlicher, existenzerhaltender oder rechtlicher Angelegenheiten unerlässlich ist, sofern die Gefahr einer neuen Straftat ausgeschlossen werden kann. Dieser Gefahr kann unter Umständen mit geeigneten Sicherheitsvorkehren begegnet werden (wenn nötig mit einer engen polizeilichen Überwachung).

Die Regelung, welche die Initiative für die Urlaubsgewährung vorsieht, ist daher nur schwer vereinbar mit dem Verhältnismässigkeitsprinzip.

3.5

Die Beendigung der Verwahrung

3.5.1

Die Höchstdauer der Verwahrung

3.5.1.1

Geltendes Recht

Die Verwahrung von geistig Abnormen wird nach geltendem Recht aufgehoben, wenn ihr Grund weggefallen ist (Art. 43 Ziff. 4 Abs. 1 StGB). Die Verwahrung kann mithin so lange aufrechterhalten werden, als der Verurteilte für die Öffentlichkeit eine Gefahr darstellt, wenn nötig bis zu seinem Lebensende.

3.5.1.2

Initiative

Nach dem Wortlaut der Initiative soll ein extrem gefährlicher Straftäter wenn nötig bis an sein Lebensende verwahrt werden. Die von der Initiative vorgeschlagene Verfassungsbestimmung enthält demnach in Bezug auf die mögliche Dauer der Verwahrung keine Neuerung.

3.5.2

Die Art der Entlassung

3.5.2.1

Geltendes Recht

Das geltende Recht kennt den in der Initiative verwendeten Ausdruck «frühzeitige Entlassung» nicht. Ist der Grund der Massnahme weggefallen, so wird die Massnahme aufgehoben und der Verurteilte definitiv entlassen (Art. 43 Ziff. 4 Abs. 1 StGB). Ist der Grund der Massnahme nicht vollständig weggefallen, so kann die zuständige Behörde eine «probeweise Entlassung» aus der Anstalt anordnen (Art. 43 Ziff. 4 Abs. 2 StGB). Bei diesem Entscheid sind das Sicherheitsinteresse der Öffentlichkeit und das Freiheitsinteresse des Betroffenen gegeneinander abzuwägen. Wenn nötig ist ein psychiatrisches Gutachten einzuholen36. Die zuständige Behörde kann den Entlassenen unter Schutzaufsicht stellen und ihm Weisungen über sein Verhalten während der Probezeit erteilen (Art. 45 Ziff. 2 StGB). Diese Regelung erlaubt es, den Entlassenen solange notwendig zu betreuen und bis zu einem gewissen Grad auch zu überwachen.

36

BGE 121 IV 2.

3449

Im Rahmen der Verwahrung von Gewohnheitsverbrechern ist die so genannte bedingte Entlassung vorgesehen. Sie wird angeordnet, wenn die Verwahrung nicht mehr notwendig ist (Art. 42 Ziff. 4 Abs. 2 StGB).

3.5.2.2

Initiative

Mit dem Ausschluss der «frühzeitigen Entlassung» will die Initiative einerseits die «probeweise Entlassung» des geltenden Rechts aufheben. Sie lässt es andererseits zu, dass Straftäter aus der Verwahrung entlassen werden, obwohl sie noch extrem gefährlich sind.

3.5.2.3

Fazit

Die Initiative setzt im Bereich der Entlassung widersprüchliche Signale.

3.5.3

Die Voraussetzungen für die Entlassung des Täters

3.5.3.1

Geltendes Recht

Die Voraussetzungen für die Aufhebung der Verwahrung sind grundsätzlich das Spiegelbild der Voraussetzungen für deren Anordnung. Der Täter wird nach geltendem Recht aus der Verwahrung entlassen, wenn der Grund der Massnahme weggefallen ist, das heisst dann, wenn sie nicht mehr notwendig ist, um den Täter von der Gefährdung anderer abzuhalten.

3.5.3.2

Initiative

Eine Verwahrung im Sinne der Initiative soll nur dann aufgehoben werden können, «wenn durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse erwiesen wird, dass der Täter geheilt werden kann und somit keine Gefahr mehr für die Öffentlichkeit darstellt».

Weil die Verwahrung gemäss Initiative anzuordnen ist, wenn der Täter «extrem gefährlich» und «nicht therapierbar» ist, muss sie gestützt auf das Verhältnismässigkeitsprinzip ferner aufgehoben werden, wenn diese Voraussetzungen nicht mehr vorliegen, das heisst, wenn der Täter nicht mehr (extrem) gefährlich oder therapierbar ist.

3.5.3.3

Fazit

Sowohl nach geltendem Recht als auch gestützt auf die Initiative wird ein Täter aus der Verwahrung entlassen, wenn die Verwahrung nicht mehr notwendig ist, um ihn an der Begehung schwerer Straftaten zu hindern.

3450

3.5.4

Die Prüfung der Entlassung

3.5.4.1

Geltendes Recht

Nach Artikel 45 StGB prüft die zuständige Behörde von Amtes wegen, ob und wann die bedingte oder probeweise Entlassung anzuordnen ist. Sie hat mindestens einmal jährlich Beschluss zu fassen, bei der Verwahrung nach Artikel 42 erstmals auf das Ende der gesetzlichen Mindestdauer (Art. 45 Ziff. 1 Abs. 2 StGB). In allen Fällen hat sie vor dem Entscheid den zu Entlassenden oder seinen Vertreter anzuhören und von der Anstaltsleitung einen Bericht einzuholen.

3.5.4.2

Initiative

Nach der Initiative soll zuerst «durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse erwiesen» sein, dass der Täter geheilt werden kann und in der Folge keine Gefahr mehr für die Öffentlichkeit besteht. Nur unter diesen Umständen soll der Täter überhaupt begutachtet werden. Damit soll eine neue Sicherheitsschranke für die Entlassung gefährlicher Straftäter geschaffen werden.

Der Begriff «neue wissenschaftliche Erkenntnis» ist sehr komplex. Die Frage, was «wissenschaftlich» und was eine «Erkenntnis» ist, beschäftigt die Philosophie seit der Antike; Wissenschaftstheorie und Erkenntnistheorie sind zu eigenen philosophischen Disziplinen geworden. Beim Ausdruck «neue wissenschaftliche Erkenntnis» denkt man an neue, bahnbrechende Entdeckungen und Theorien, an neuartige Erklärungen für bestimmte Phänomene. Die Initianten verstehen darunter wohl in erster Linie neue Heilverfahren zur Behandlung gefährlicher Täter.

Die Wissenschaft zeichnet sich aber auch durch spezifische Denkweisen und Methoden aus. Eine «Methode» bezeichnet ein planmässiges Verfahren zur Erreichung eines bestimmten Ziels, das heisst den Erkenntnisweg37. Wissenschaft wird daher auch als methodische Erkenntnis bezeichnet, die zwingend, gewiss und allgemeingültig ist38.

Als «neue wissenschaftliche Erkenntnisse» sind mithin alle neuen, durch methodisches Vorgehen erlangten Erkenntnisse zu werten, welche die Gefährlichkeit und die (fehlende) Therapierbarkeit des Täters, die zu seiner Verwahrung geführt haben, betreffen.

3.5.4.3

Fazit

Die Initiative schlägt eine Art zweistufiges Vorgehen vor. Zuerst müssen die Vollzugsbehörden in abstrakter Weise den Stand der Wissenschaft, das heisst namentlich 37

38

Als «wissenschaftliche» Methoden können z.B. das axiomatische, das beobachtende, das experimentierende, das deduktive, das induktive oder das deutende Vorgehen genannt werden.

Karl Jaspers, Philosophie und Wissenschaft, in: Über Bedingungen und Möglichkeiten eines neuen Humanismus. Drei Vorträge, Stuttgart, 1951, S. 6 ff. Diesem Idealbild vermag indessen nur die Mathematik gerecht zu werden. (Vgl. Albert Einstein, Mein Weltbild, hg. von Carl Seelig, Europa Verlag, Zürich, Stuttgart, Wien, 1953, S. 156, und Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Wissenschaft).

3451

der forensischen Psychiatrie erforschen und dann allenfalls eine Begutachtung anordnen. Dieses Verfahren ist viel zu kompliziert und unzweckmässig. Ferner ist es mit dem Verhältnismässigkeitsprinzip nur sehr schwer vereinbar. Um festzustellen, dass ein Täter z.B. in Folge Invalidität oder Senilität nicht mehr gefährlich ist, braucht es in der Regel keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse im engeren Sinne (d.h. keine neuen Heilverfahren), sondern nur neue Gutachten. Dasselbe gilt für die Therapierbarkeit: Um zu erkennen, dass ein Täter therapierbar geworden ist, weil er nun in eine Therapie einwilligt oder weil neu eine geeignete Vollzugseinrichtung zur Verfügung steht, braucht es keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse (im Sinne von neuen Heilverfahren), wenn diese Faktoren für die Anordnung der Verwahrung ausschlaggebend waren.

Das Verhältnismässigkeitsprinzip kann in diesen Fällen nur mit einer weiten Auslegung des Begriffs der Wissenschaftlichkeit gewahrt werden39.

3.6

Die Begutachtung des Täters

3.6.1

Geltendes Recht

Heute trifft der Richter seinen Entscheid über die Anordnung der Verwahrung auf Grund von Gutachten über den körperlichen und geistigen Zustand des Täters und über die Verwahrungs-, Behandlungs- oder Pflegebedürftigkeit (Art. 43 Ziff. 1 Abs. 3 StGB). Das StGB äussert sich nicht zur Anzahl der Gutachten. Grundsätzlich kann eines genügen. Wegen der Schwere des Eingriffs legt das Bundesgericht jedoch besonderes Gewicht auf fundierte und vollständige Gutachten40. Dem Gericht steht es frei, Zusatzgutachten einzuholen.

Bevor die zuständige Behörde über die Entlassung aus der Verwahrung entscheidet, hört sie den zu Entlassenden oder seinen Vertreter an und holt von der Anstaltsleitung einen Bericht ein (Art. 45 Ziff. 1 Abs. 3 StGB).

Die Kantone haben zudem in den vergangenen Jahren Fachkommissionen zur Beurteilung von gefährlichen Straftätern eingesetzt41. Diese gewährleisten eine breitere Abstützung der Vollzugsentscheide (Wahl der Vollzugsanstalt, Gewährung von Urlaub, Entlassung). Die Fachkommissionen beurteilen das Rückfallrisiko gefährlicher Straftäter zum Teil bereits nach wissenschaftlich abgestützten Kriterien42.

39

40 41

42

Wie oben dargestellt kann «Wissenschaftlichkeit» als methodisches Vorgehen bezeichnet werden. Die Erkenntnis z.B., wonach ein Täter neuerdings therapierbar ist, weil er in eine Therapie einwilligt, wird durch die Methode der Deduktion gewonnen.

Trechsel, Schweizerisches Strafrecht, Kurzkommentar, 1997, N. 16 zu Art. 43; BGE 101 IV 128.

Vgl. die «Richtlinien über den Umgang mit gemeingefährlichen Straftätern und Straftäterinnen im Freiheitsentzug» der Konkordatskonferenz über die Planung im Strafvollzugswesen der Nordwest- und Innerschweiz vom 21. April 1995 oder die «Richtlinien der Ostschweizerischen Strafvollzugskommission über den Vollzug von Freiheitsstrafen an gemeingefährlichen Straftätern und Straftäterinnen» vom 16. April 1999.

Vgl. Kriterien zur Beurteilung des Rückfallrisikos besonders gefährlicher Straftäter, Arbeitsinstrument der Fachkommissionen des Strafvollzugskonkordats der Nordwest- und Innerschweiz, zusammengestellt von Prof. V. Dittmann, Dezember 1999.

3452

3.6.2

Initiative

Die Initiative verlangt, dass «alle Gutachten zur Beurteilung von Sexual- und Gewaltstraftätern (...) von mindestens zwei voneinander unabhängigen, erfahrenen Fachleuten unter Berücksichtigung aller für die Beurteilung wichtigen Grundlagen zu erstellen» sind. Der von der Initiative vorgegebene Text ist nicht präzis. Sehr wahrscheinlich soll festgelegt werden, dass in jedem Fall zwei voneinander unabhängige Fachleute zwei vollständige Gutachten erstellen sollen.

3.6.3

Fazit

Eine breitere Abstützung der Entscheide über die Verwahrung ist zwar grundsätzlich zu begrüssen. Es dürfte allerdings schwierig sein, in der Schweiz die entsprechenden Fachleute zu finden.

3.7

Verantwortlichkeit der Behörde, die die Aufhebung der Verwahrung angeordnet hat

In Artikel 65bis Absatz 2 zweiter Satz verlangen die Initiantinnen und Initianten, dass die Behörde, welche die Aufhebung der Verwahrung auf Grund der im ersten Satz erwähnten Gutachten angeordnet hat, für einen allfälligen Rückfall des entlassenen Täters «die Haftung übernehmen» muss.

Der Wortlaut der Initiative lässt nicht erkennen, welche Art der Haftung die Initiantinnen und Initianten vorsehen wollen. Zwar ist bei der Auslegung der Volksinitiative von deren Wortlaut auszugehen, die Begründung und die Meinungsäusserungen der Initiantinnen und Initianten können aber mitberücksichtigt werden (vgl. Ziff. 1.4 oben). Letztere lassen vermuten, dass auf die Konkretisierung bewusst verzichtet wurde, um alle Arten der Haftung oder der Verantwortlichkeit einzuschliessen, denen sich die Behörde, welche die Aufhebung der Verwahrung anordnet, aussetzen könnte. Im Folgenden soll daher geprüft werden, welche straf- und zivilrechtlichen Konsequenzen eine solche Entscheidung nach geltendem Recht haben kann, in welchem Mass diese den Absichten der Initiantinnen und Initianten entsprechen und ob die geltenden Gesetzesbestimmungen allenfalls geändert oder ergänzt werden müssen.

Die betroffene Behörde ist grundsätzlich eine kantonale Behörde. Im Zusammenhang mit den Rekursmöglichkeiten gegen Verfügungen über die Aufhebung der Verwahrung könnte es sich in gewissen Fällen jedoch auch um eine Bundesbehörde handeln.

3.7.1

Strafrechtliche Verantwortlichkeit

Die Initiantinnen und Initianten verlangen in sehr allgemeiner Art, dass die Behörde, die die Aufhebung der Verwahrung ausspricht, im Falle eines Rückfalls des entlassenen Täters die «Haftung übernehmen» soll. Das geltende Recht entspricht dieser Forderung bereits. Die Bestimmungen des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches, namentlich die Tatbestände der fahrlässigen Tötung, der Körperverletzungen oder 3453

der Gefährdung des Lebens und der Gesundheit, erlauben schon heute, die Mitglieder einer Behörde, die eine unsorgfältige Entscheidung getroffen haben, strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Es sei in Erinnerung gerufen, dass im Zusammenhang mit dem bereits erwähnten Mordfall am Zollikerberg mehrere Beamte der fahrlässigen Tötung beschuldigt wurden. Sie wurden zwar freigesprochen, weil ihnen keine Fahrlässigkeit vorgeworfen werden konnte. Hätte sie ein Verschulden getroffen, so wäre es möglich gewesen, sie gestützt auf das geltende Strafgesetzbuch zu verurteilen und zu bestrafen.

3.7.2

Staatshaftung

Aus dem Wortlaut der Initiative könnte man auch den Willen der Initiantinnen und Initianten ableiten, der Behörde, die einen von einem Rückfall gefolgten Entlassungsentscheid gefällt hat, eine so genannte «Kausalhaftung» aufzuerlegen. Nach geltendem Recht bedeutet Kausalhaftung im vorliegenden Fall, dass das Gemeinwesen für das widerrechtliche Verhalten ­ das heisst eine Pflichtverletzung ­ eines oder mehrerer Mitglieder der Behörde haftet, und zwar unabhängig davon, ob die Behördenmitglieder ein Verschulden trifft.

Die meisten Kantone haben in ihren Haftungs- und Verantwortlichkeitsgesetzen das System der ausschliesslichen (originären), kausalen Staatshaftung eingeführt. Dieses ist mit einem Rückgriffsrecht gegenüber dem Beamten verbunden, den ein schweres Verschulden trifft (Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit). Die Kantone haften auf Grund dieser Gesetze für die Handlungen ihrer Behörden. Wenn man davon ausgeht, dass die Initiative eine Kausalhaftung verlangt, so werden die Kantone, die das noch nicht getan haben, eine solche Haftung einführen müssen.

Der Bund hat seinerseits das oben beschriebene System im Verantwortlichkeitsgesetz vorgesehen (Bundesgesetz vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten; SR 170.32). Dieses kann zur Anwendung kommen, wenn eine Bundesbehörde über eine Beschwerde gegen einen Entlassungsentscheid befindet. Gestützt auf das Verantwortlichkeitsgesetz ist der Bund zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den ein Bundesbeamter in Ausübung seiner amtlichen Tätigkeit widerrechtlich verursacht; zwischen der Amtshandlung und dem Schaden muss ein Kausalzusammenhang bestehen. Es müssen also im Prinzip die üblichen Haftungsvoraussetzungen erfüllt sein (wobei die Widerrechtlichkeit im vorliegenden Zusammenhang eine der Voraussetzungen ist, die am meisten zu Diskussionen Anlass geben könnte43). Hervorzuheben ist aber, dass das Bundesgesetz kein Verschulden des Beamten voraussetzt. Das Bundesrecht ermöglicht folglich die kausale Haftung des Bundes im Falle einer unsorgfältigen Entscheidung.

43

Vgl. dazu die detaillierte Analyse des Falles Zollikerberg von Viviane Sobotich: «Staatliche Verantwortung bei Straftaten im Hafturlaub? Verfassungs- und staatshaftungsrechtliche Aspekte zum Fall », in: Strafrecht als Herausforderung, Zürich 1999, S. 563 - 573.

3454

3.8

Personelle und finanzielle Konsequenzen der Initiative

Die Initiative schlägt Änderungen in den Bereichen des Strafverfahrens und des Strafvollzugs vor. Weil beide Bereiche zur Hauptsache in die Kompetenz der Kantone fallen, werden in erster Linie sie die allfälligen Konsequenzen tragen müssen.

Der Bund ist nur betroffen, wenn es um Verfahren geht, für die er nach Artikel 340 StGB zuständig ist, oder im Zusammenhang mit Rekursentscheiden (des Bundesgerichts) betreffend Verfügungen über die Aufhebung der Verwahrung.

­

Auswirkungen auf die Kosten des Strafverfahrens und des Strafvollzugs kann die Regelung haben, wonach «alle Gutachten zur Beurteilung der Sexual- und Gewaltstraftäter von mindestens zwei voneinander unabhängigen, erfahrenen Fachleuten» zu erstellen sind. Nach geltendem Recht genügt ein Gutachten. Es ist indessen nicht unüblich, dass ein Gegengutachten und danach ein Obergutachten eingeholt wird.

­

Auch die besonderen Entlassungsvoraussetzungen könnten zu Mehrkosten führen. Diese sind jedoch nicht unbedingt zu erwarten, wenn die Initiative im Lichte der bestehenden Verfassungsgrundsätze und des Völkerrechts ausgelegt wird.

­

Die geforderte Haftung der Behörden ist zwar bereits geltendes Recht und sollte daher keine neuen Kosten verursachen. Die neue Verfassungsbestimmung könnte jedoch zu einer Sensibilisierung führen, die zur Folge hat, dass Behörden vermehrt für ihre Entscheide zur Verantwortung gezogen werden.

Personelle und finanzielle Konsequenzen sind somit nicht völlig auszuschliessen, sie lassen sich jedoch aus heutiger Sicht nicht quantifizieren.

3.9

Verhältnis zum internationalen Recht

3.9.1

Artikel 5 Ziffer 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)44

Gestützt auf Artikel 5 Ziffer 4 EMRK hat jede Person, welcher die Freiheit entzogen wird, das Recht, in regelmässigen Zeitabständen an ein Gericht zu gelangen, damit dieses überprüft, ob der Zustand, der Anlass für die Inhaftierung gegeben hat, noch immer besteht. Die Rechtmässigkeit der Haft soll in vernünftigen Abständen überprüft werden können.

Hat indes ein Gericht selber durch ein Strafurteil einen Freiheitsentzug angeordnet, muss dieses Urteil in der Folge nicht überprüft werden. Von diesem Grundsatz gibt es jedoch Ausnahmen: Ein Anspruch auf wiederholte gerichtliche Haftprüfung besteht immer dann, wenn der Freiheitsentzug auch von persönlichen Eigenschaften (z.B. Geisteskrankheit, Alkoholismus oder Drogensucht) oder sonstigen veränderbaren Umständen abhängig 44

Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten; SR 0.101.

3455

ist. Das Gleiche gilt, wenn neue Umstände die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs nachträglich in Frage zu stellen vermögen oder wenn sich nach dem gerichtlichen Entscheid neue, die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs betreffende Fragen stellen (Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 16.12.1999 i.S. T.

gegen Vereinigtes Königreich, § 118; BGE 121 I 297; jeweils mit weiteren Hinweisen).

Die Rechtsprechung geht dabei davon aus (so insbesondere bei stationären Massnahmen an psychisch Kranken), dass Prüfungsintervalle von einem Jahr «vernünftig» sind45. Entsprechend hat auf Grund von Artikel 45 Absatz 1 StGB die zuständige Behörde mindestens einmal jährlich darüber Beschluss zu fassen, ob die Entlassung aus der Verwahrung angeordnet werden kann. In besonderen Fällen kann indessen die betroffene Person angesichts veränderter Verhältnisse bereits vor der nächsten periodischen Überprüfung ein berechtigtes Interesse an einer Prüfung geltend machen.

Der mit der Initiative vorgeschlagene neue Artikel 65bis BV schliesst weder eine periodische Prüfung noch eine Prüfung auf Antrag der betroffenen Person aus. Es wird im Gegenteil gestützt auf den neuen Artikel 65bis regelmässig abzuklären sein, ob im Hinblick auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse eine Entlassung des Täters in Erwägung gezogen werden kann. Damit trägt die Initiative den Anforderungen von Artikel 5 EMRK Rechnung46. Allerdings muss dazu der Begriff der «neuen wissenschaftlichen Erkenntnis» so weit ausgelegt werden, dass auch eine Veränderung in den persönlichen Verhältnissen des Täters oder gewisser äusserer Umstände darunterfällt (vgl. die Ausführungen unter Ziff. 3.5.4.3). Diese weite Auslegung ist zwar mit dem Wortlaut der Initiative noch vereinbar, sie dürfte jedoch über die Absichten der Initiantinnen und Initianten hinausgehen.

3.9.2

Artikel 6 Ziffer 1 EMRK und Artikel 14 Absatz 1 des Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 196647

Nach dem Initiativtext ist ein Sexual- oder Gewalttäter, der in den gerichtlichen Gutachten als extrem gefährlich und nicht therapierbar eingestuft wird, bis zu seinem Lebensende zu verwahren. Damit stellt sich die Frage, ob dem Gericht bei der Würdigung der persönlichen Verhältnisse für die Sanktionszumessung noch ein Entscheidungsspielraum verbleibt oder ob es an die Auffassung der Gutachter gebunden wäre. In letzterem Fall wäre das Gericht nicht mehr unabhängig im Sinne von Artikel 6 Ziffer 1 EMRK und Artikel 14 Absatz 1 Pakt-II.

Eine solche Auslegung der Initiative ist nicht zwingend. Schon dadurch, dass diese verlangt, dass die Gutachten für die Beurteilung der Sexual- und Gewaltstraftäter 45 46

47

Z.B. Urteil vom 24. 9. 1992 in Sachen Herczegfalvy gegen Österreich, Série A Vol. 244 Ziff. 75 ff., 77.

Eine periodische Überprüfung verlangt auch Artikel 31 Absatz 4 BV. In der Botschaft zur neuen Bundesverfassung wird dazu ausgeführt: «Je nach Grund des Freiheitsentzuges muss die Möglichkeit bestehen, auch bei anfänglicher Anordnung bzw. Überprüfung der Haft durch ein Gericht jederzeit eine erneute richterliche Kontrolle zu verlangen. Dies gilt überall dort, wo die Gründe, welche die Haft ursprünglich rechtfertigen, im Laufe der Zeit wegfallen können.» (BBl 1997 I 186).

Pakt-II, SR 0.103.2.

3456

von mindestens zwei voneinander unabhängigen Fachleuten zu erstellen sind, gibt sie dem Gericht die Möglichkeit, die Ausführungen der Sachverständigen nicht unbesehen zu übernehmen. Mit der Formulierung, wonach die Gutachten «unter Berücksichtigung aller für die Beurteilung wichtigen Grundlagen» zu erstellen sind, lässt sie ferner zu, dass das Gericht insbesondere dann von den Folgerungen der Experten abweichen kann, wenn gewichtige, begründete Tatsachen oder Indizien deren Überzeugungskraft ernstlich erschüttern48.

Es besteht somit Raum für eine völkerrechtskonforme Auslegung der vorgeschlagenen Verfassungsbestimmung.

3.10

Zwischenbilanz

1. Die mit der Initiative vorgeschlagene Form der Verwahrung enthält gegenüber dem geltenden Recht und der heutigen Praxis nur wenige Neuerungen, die eine Verbesserung der öffentlichen Sicherheit bewirken könnten:

48

­

Die lebenslange Verwahrung ist nicht neu. Die beiden im geltenden Recht vorgesehenen Formen der Verwahrung können bereits heute lebenslang dauern.

­

Die Verwahrung der Initiative ist weniger umfassend als die Verwahrungen nach geltendem Recht (sie gilt nur für eine kleine Gruppe von Straftätern).

­

Die Initiative ist in erster Linie auf Täter ausgerichtet, die eine psychische Störung haben. Damit erfasst sie einen nicht unwesentlichen Teil der gefährlichen Straftäter nicht. Eine Ausweitung der Verwahrung auf Ersttäter, die keine diagnostizierbare psychische Störung aufweisen, ergibt sich aus dem Wortlaut des Textes zwar nicht, wäre jedoch durch eine weite Auslegung möglich.

­

Der Ausschluss des Urlaubs für extrem gefährliche Straftäter ist grundsätzlich richtig. Er ist aber fragwürdig, wenn er auch Täter erfasst, bei denen keine Wiederholungs- oder Fluchtgefahr besteht (gegen Ende der Verwahrung oder weil sie begleitet werden).

­

Der Ausschluss der «frühzeitigen Entlassung» in die Freiheit (frühzeitig im Sinne von: bevor der Täter ungefährlich ist) ist richtig. Er wäre jedoch kontraproduktiv, wenn damit auch die so genannte «bedingte Entlassung» und damit die nachträglichen Betreuungs- und Überwachungsmassnahmen ausgeschlossen würden. Nur wenig Sinn macht der Ausschluss einer frühzeitigen Entlassung bei Tätern, die nicht eigentlich entlassen, sondern stationär behandelt werden sollen (dies unter Umständen sogar in derselben Anstalt).

­

Die Voraussetzungen für die Entlassung aus der Verwahrung bewirken nicht unbedingt eine grössere Sicherheit als das geltende Recht und die heutige Praxis. Im Gegenteil, die Initiative sieht vor, dass extrem gefährliche Straftäter aus der Verwahrung entlassen werden können, um behandelt zu werden, lässt jedoch offen, in welchem Rahmen diese Behandlung stattfinden soll.

Vgl. u.a. BGE 101 IV 130.

3457

­

Angesichts der heute in allen Kantonen eingesetzten Fachkommissionen ist fraglich, ob die in der Initiative gemachten Vorgaben für die Begutachtung die Qualität der Gutachten wesentlich verbessern.

­

Der Ort des Vollzugs der Verwahrung, das Verhältnis zu anderen Sanktionen und der weitere Verlauf nach Aufhebung der Verwahrung wird schliesslich völlig offen gelassen.

2. Die Haftung der Behörden für Entlassungen aus der Verwahrung wird heute namentlich durch das Strafgesetzbuch und die Verantwortlichkeitsgesetze gewährleistet. Wenn man davon ausgeht, dass die Initiative eine Kausalhaftung verlangt, so werden die Kantone, die das noch nicht getan haben, eine solche Haftung einführen müssen.

3. Konkrete personelle und finanzielle Konsequenzen können keine festgestellt werden.

4. Es besteht Raum für eine völkerrechtskonforme Auslegung der Initiative.

4

Vorschläge des Bundesrates zum Schutz der Öffentlichkeit vor gefährlichen Straftätern

4.1

Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches

Der Bundesrat hat dem Parlament am 21. September 1998 Entwurf und Botschaft zur Änderung des Strafgesetzbuches (Allgemeine Bestimmungen, Einführung und Anwendung des Gesetzes), des Militärstrafgesetzes und zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht unterbreitet49. Am 14. Dezember 1999 ist der Entwurf vom Ständerat verabschiedet worden.

Ein Schwerpunkt dieses Entwurfs ist der Schutz der Öffentlichkeit vor gefährlichen Straftätern. Zu diesem Zweck wird namentlich eine neue Sicherungsverwahrung vorgesehen, die umfassender als im bisherigen Recht ausgestaltet ist. Psychisch kranke Straftäter sollen zudem, wenn sie gefährlich sind, in besonderen Sicherheitseinrichtungen eine geeignete Behandlung erhalten. Für die Entlassung gefährlicher Straftäter aus dem Straf- und Massnahmenvollzug werden die Bedingungen verschärft. Der Entwurf des Bundesrates beschränkt sich also nicht auf die Einführung einer neuen Verwahrung und schärferer Vorschriften im Zusammenhang damit, sondern sieht ein umfassendes Massnahmenpaket gegenüber allen Tätern vor, die schwere Straftaten begangen haben50. Der Ständerat hat den Entwurf des Bundesrates in diesem Bereich zum Teil ergänzt und präzisiert, in den Grundzügen jedoch bestätigt51. Die Initiative führt (ausser den zwei Gutachten für die Anordnung der Verwahrung) praktisch keine Neuerung ein, die im Entwurf des Bundesrates nicht vorgesehen wäre.

Im Folgenden werden die Vorschläge des Bundesrates nicht im Detail begründet (dazu sei auf die Botschaft zur Revision des StGB verwiesen), sondern es sollen in erster Linie die Unterschiede zur Volksinitiative hervorgehoben werden.

49 50 51

BBl 1999 1979 ff.

Vgl. die Artikel 59 Absatz 3, 62­62d, 64­64b und 86 des Entwurfs; BBl 1999 2313 ff.

Vgl. Amtliches Bulletin Ständerat, Wintersession 1999, 6. Sitzung; www.pol.admin.ch.

3458

4.2

Die neue Form der Verwahrung gemäss dem Entwurf des Bundesrates (E-StGB)

Die neue Form der Verwahrung wird in den Artikeln 64­64b E-StGB geregelt52.

4.2.1

Der Anwendungsbereich

Die Verwahrung nach dem Entwurf des Bundesrates ist weiter gefasst als die Verwahrung der Initiative: ­

Sie ist nicht nur auf Sexual- und Gewaltstraftäter beschränkt, sondern umfasst alle Personen, die eine Tat begangen haben, durch die sie jemanden körperlich, seelisch oder materiell schwer geschädigt haben oder schädigen wollten.

­

Sie richtet sich nicht nur gegen «extrem gefährliche» Straftäter, sondern bereits gegen gefährliche Straftäter (d.h. gegen Straftäter, die jemanden schwer geschädigt haben oder schädigen wollten und bei denen eine Rückfallgefahr besteht).

­

Sie umfasst ausdrücklich sowohl Straftäter, die eine psychische Störung haben, wie auch solche, bei deren Straftaten eine solche Störung nicht im Vordergrund steht53.

­

Sie setzt keine «hohe Rückfallgefahr» voraus, sondern es genügt bereits die Gefahr eines Rückfalls (es muss allerdings «ernsthaft zu erwarten» sein, dass jemand weitere schwere Straftaten begeht).

4.2.2

Der Vollzug

4.2.2.1

Urlaub

Die Initiative schliesst den Urlaub nur für extrem gefährliche Straftäter aus, gegen die eine Verwahrung angeordnet wurde.

Der Entwurf des Bundesrates geht weiter: ­

52 53

Er schliesst den Urlaub für alle Straftäter ­ auch die nicht gefährlichen ­ aus, die sich im Vollzug einer Freiheitsstrafe oder einer Massnahme (einer therapeutischen Behandlung oder der Verwahrung) befinden und bei denen Flucht- oder Wiederholungsgefahr besteht (Art. 84 Abs. 6 und 90 Abs. 4 E-StGB).

BBl 1999 2319 f.

Mit dieser neuen Regelung wird eine Lücke des geltenden Rechts geschlossen. Gegen gefährliche Straftäter, die weder die Voraussetzungen der Verwahrung für Wiederholungstäter noch der Verwahrung für geistig Abnorme erfüllen, kann heute allein eine Freiheitsstrafe ausgesprochen werden. Auch wenn diesen Tätern die bedingte Entlassung nicht gewährt werden kann, sind sie spätestens nach Verbüssung der gesamten Strafe zu entlassen. Die neu vorgesehene Verwahrung kann nun unmittelbar an die Verbüssung einer zeitlich begrenzten Freiheitsstrafe angeschlossen werden.

3459

­

Zudem ist nicht nur die Wiederholungsgefahr, sondern auch die Fluchtgefahr ein Kriterium für den Ausschluss des Urlaubs.

­

Der Ständerat hat darüber hinaus eine Urlaubssperre für alle Gefangenen vorgesehen, gegen die eine ausländerrechtliche Fernhaltemassnahme verhängt worden ist54.

Urlaube sind jedoch nicht kategorisch verboten, weil der Flucht- und Wiederholungsgefahr in bestimmten Fällen durch (nötigenfalls polizeiliche) Begleitung begegnet werden kann.

4.2.2.2

Weitere Vollzugsbestimmungen

Die Initiative enthält neben dem Ausschluss des Urlaubs und der frühzeitigen Entlassung (vgl. die entsprechenden Vorschläge des Bundesrates unter Ziff. 4.2.3.) keine Vorgaben für den Vollzug der Verwahrung.

Im Entwurf des Bundesrates werden darüber hinaus verschiedene Neuerungen für den Vollzug der Verwahrung und der übrigen Massnahmen vorgeschlagen: ­

Nach Artikel 64 Absatz 2 E-StGB soll ein Täter, gegen den die Verwahrung zusätzlich zu einer Freiheitsstrafe verhängt wird, zuerst die Freiheitsstrafe verbüssen55.

­

Der Entwurf legt die Anstaltskategorien fest, in denen die Verwahrung vollzogen werden kann. Die für den Vollzug zuständigen Kantone werden angewiesen, beim Vollzug der Verwahrung die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten.

­

Zudem soll sichergestellt sein, dass die verwahrten Personen die notwendige psychiatrische Pflege und Betreuung erhalten. Wenn die Behandlung nach Artikel 59 E-StGB keinen Erfolg verspricht, heisst dies nicht, dass die psychische Störung in der Verwahrung nicht mehr von Bedeutung ist.

­

In Artikel 90 E-StGB werden ferner Grundsätze für den Vollzug aller Massnahmen festgehalten. Darunter fällt insbesondere die Pflicht der Vollzugsbehörde, einen Vollzugsplan zu erstellen, der u.a. Angaben darüber enthalten soll, was zur Vermeidung der Gefährdung von Drittpersonen vorzunehmen ist.

­

Der Bundesrat hatte vorgesehen, dass vor dem Entscheid über die Entlassung von Straftätern, die schwere Straftaten begangen haben, eine Fachkommission angehört werden muss (Art. 62d Abs. 2, 64b Abs. 2 und 86 Abs. 3 E-StGB). Der Ständerat hat in einem neuen Artikel 75a E-StGB die Kompetenzen dieser Fachkommission auf weitere Vollzugsfragen ausgedehnt: Sie beurteilt die Gefährlichkeit von Gefangenen im Hinblick auf die Wahl des Vollzugsortes, die Urlaubsgewährung und die bedingte Entlassung.

54

Vgl. Artikel 84 Absatz 6bis E-StGB; Amtliches Bulletin Ständerat, Wintersession 1999, 6. Sitzung.

55 Heute wird bei der Verwahrung nach Artikel 42 StGB die Verwahrung anstelle einer Freiheitsstrafe verhängt, bei der Verwahrung nach Artikel 43 StGB wird die Freiheitsstrafe zu Gunsten der Verwahrung aufgeschoben.

3460

4.2.3

Die Beendigung der Verwahrung

Der Entwurf des Bundesrates sieht neben der lebenslangen Dauer der Verwahrung (Art. 56 Abs. 4 und 64a E-StGB) folgende Neuerungen und Sicherheitsschranken vor, die in der Initiative nicht enthalten sind: ­

Nicht nur die «frühzeitige Entlassung», sondern auch die unmittelbare definitive Entlassung, das heisst eine Entlassung ohne Probezeit und ohne die Möglichkeit einer nachträglichen Betreuung und Überwachung, soll nicht mehr möglich sein. Wer nicht mehr als gefährlich gilt, darf in Zukunft nur mehr bedingt aus der Verwahrung in die Freiheit entlassen werden (Art. 64a E-StGB). Das heisst, es ist in jedem Fall eine Probezeit von 2­5 Jahren anzusetzen. Für die Dauer der Probezeit kann Bewährungshilfe angeordnet und können Weisungen erteilt werden. Damit wird gewährleistet, dass in jedem Fall eine Nachbetreuung angeordnet werden kann. Diese Neuerung gilt nicht nur für die Verwahrung, sondern für alle stationären Massnahmen (vgl. Art.

62­62d E-StGB).

­

Bedingt aus der Verwahrung entlassene Personen sollen bereits dorthin rückversetzt werden können, wenn auf Grund ihres Verhaltens in der Probezeit mit neuen Straftaten zu rechnen ist (für die Rückversetzung wird somit keine Rückfalltat vorausgesetzt)56.

­

Gefährliche Straftäter, bei denen sich nachträglich erweist, dass sie therapierbar sind, können in eine gesicherte Therapieeinrichtung eingewiesen werden (Art. 62 und 59 Abs. 3 E-StGB). Erweist sich diese Therapie als erfolglos, so wird der Verurteilte wieder in die Verwahrung eingewiesen (Art.

62c Abs. 3 E-StGB).

4.2.4

Die Begutachtung des Täters

4.2.4.1

Die Begutachtung bei Anordnung der Verwahrung

Der Entwurf des Bundesrates sieht vor, dass sich das Gericht beim Entscheid über die Anordnung der Verwahrung (oder über die Änderung der Verwahrung in eine therapeutische Massnahme) auf das Gutachten eines Sachverständigen stützt. Sollte dieses erste Gutachten nicht überzeugend oder nicht vollständig sein, so bleibt es dem Gericht unbenommen, weitere Gutachten erstellen zu lassen. In der Praxis werden bereits heute eher zu viele Gutachten erstellt (Grundgutachten, Gegengutachten, Obergutachten usw.).

56

Die Regelung in Artikel 45 Ziffer 3 Absatz 3 StGB erlaubt diesen Schritt unter ähnlichen, jedoch in der Lehre als zu unbestimmt kritisierten Voraussetzungen bereits heute.

3461

4.2.4.2

Die Begutachtung bei Aufhebung der Verwahrung

Der Entwurf des Bundesrates sieht im Vergleich zum geltenden Recht und zur Initiative eine breitere Abstützung des Entscheides über die Aufhebung der Verwahrung vor57: ­

Vor dem Entscheid über die Entlassung aus einer Massnahme hat die zuständige Behörde das Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen einzuholen (Art. 62d Abs. 2, 64b Abs. 2 und 86 Abs. 3 E-StGB). Damit soll verhindert werden, dass nur gestützt auf den Bericht des behandelnden Arztes, bei dem eine gewisse Nähe zum Täter besteht und eine Voreingenommenheit nicht ausgeschlossen werden kann, entschieden wird.

­

Soll eine Person, die schwerste Straftaten begangen hat, aus dem Straf- oder Massnahmenvollzug bedingt entlassen werden, so hat die zuständige Behörde in Zukunft zudem eine Fachkommission aus Vertretern der Strafverfolgungsbehörden, der Vollzugsbehörden und der Psychiatrie anzuhören (Art.

62d Abs. 2, 64b Abs. 2, 75a und 86 Abs.3 E-StGB). Diese Fachkommissionen stützen sich bei ihrer Arbeit z.T. bereits heute auf sehr umfassende Kriterienkataloge zur Beurteilung von gefährlichen Straftätern und werden wissenschaftlich begleitet (vgl. auch Ziff. 3.6). Diese Neuerung gilt nicht nur für die Aufhebung der Verwahrung, sondern für alle Aufhebungen von stationären Massnahmen und die Entlassungen aus einer Freiheitsstrafe, wenn der Täter wegen schwerer Straftaten verurteilt worden ist.

4.3

Weitere Neuerungen im Entwurf des Bundesrates

Heute werden Straftäter aus Mangel an gesicherten Therapieplätzen oft in ein Gefängnis eingewiesen, das für eine Behandlung gefährlicher Straftäter zumeist nicht geeignet ist.

Die Initiative enthält keine Grundsatzregelung betreffend die therapeutische Behandlung von gefährlichen Straftätern. Sie sieht vor, dass ein extrem gefährlicher Straftäter bereits aus der Verwahrung entlassen werden kann, wenn erwiesen ist, dass er geheilt werden kann und daher nicht mehr gefährlich sein wird. In welchem Rahmen diese Heilung stattfinden soll, wird offen gelassen.

Für die Behandlung gefährlicher Straftäter sieht der Entwurf des Bundesrates folgende Neuerungen vor: ­

57

Personen, die schwerste Straftaten begangen haben, welche mit einer psychischen Störung in Zusammenhang stehen, sollen ­ solange dies aus Sicherheitsgründen notwendig ist ­ in besonderen, geschlossenen Einrichtungen behandelt werden können (Art. 59 Abs. 3 E-StGB). Die Behandlung beträgt in der Regel fünf Jahre. Sie kann indessen vom Richter auf Antrag der Vollzugsbehörde, sooft dies notwendig ist, um jeweils bis zu fünf Jahre verlängert werden.

Wie bereits im geltenden Recht vorgesehen, hört die zuständige Behörde den Täter an und holt einen Bericht der Leitung der Massnahmevollzugseinrichtung oder der Strafanstalt ein (Art. 62d, 64b und 86 E-StGB).

3462

­

Die Entlassung aus der Massnahme soll auch hier in Zukunft nur bedingt, das heisst unter Ansetzung einer Probezeit, erfolgen (Art. 62 E-StGB). Bei psychisch kranken Tätern kann diese Probezeit (und damit verbunden eine ambulante Behandlung oder die Bewährungshilfe) so lange wie nötig verlängert werden.

­

Besteht bei Aufhebung einer stationären therapeutischen Massnahme die Gefahr, dass eine Person schwere Straftaten begeht, so soll das Gericht auf Antrag der Vollzugsbehörden die Verwahrung anordnen können (Art. 62c E-StGB).

Der Entwurf des Bundesrates sieht ferner eine grössere Flexibilität innerhalb der Sanktionen vor:

5

­

Strafen und Massnahmen sollen, wenn dies notwendig wird, nachträglich geändert werden können (Art. 65 E-StGB). So kann gegenüber einer Person, die nur zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, nachträglich eine therapeutische Massnahme angeordnet werden. Sollte diese Massnahme erfolglos verlaufen, so kann unter bestimmten Voraussetzungen die Verwahrung verhängt werden (Art. 65 in Verbindung mit Art. 62c E-StGB).

­

Nach der Konzeption des Bundesrates wird ein Straftäter nur aus der Verwahrung in die Freiheit entlassen, wenn er nicht mehr gefährlich ist. Stellt sich erst nachträglich heraus, dass ein gefährlicher Straftäter therapiert werden kann, so wird an Stelle der Verwahrung die Behandlung in einer gesicherten Therapieeinrichtung angeordnet. Besteht bei Aufhebung der Behandlung weiterhin die Gefahr, dass der Täter schwere Straftaten begeht, so ist er erneut in die Verwahrung einzuweisen.

Schlussfolgerung

Die Initiative ist Ausdruck einer berechtigten Sorge. Der vorgeschlagene neue Artikel 65bis BV ist in einzelnen Bereichen sehr offen formuliert und lässt einer Interpretation weiten Spielraum.

Die vorgeschlagenen Neuerungen gehen jedoch nur unwesentlich über die bereits im geltenden Recht vorgesehenen Regelungen hinaus. Überdies ist die heutige Praxis der Kantone zum Teil bereits strenger, als dies in der Initiative verlangt wird.

Insbesondere der Kern der Initiative, das neue Verfahren bei der Entlassung von gefährlichen Straftätern, ist zu kompliziert, unzweckmässig und schiesst über das Ziel hinaus. Es lässt sich mit der EMRK und mit dem Verhältnismässigkeitsprinzip nur durch eine sehr weite Auslegung des Wortlautes der Initiative vereinbaren, einer Auslegung, die teilweise den Absichten der Initiantinnen und Initianten widersprechen dürfte.

Insgesamt äussert sich die Initiative zu einem eng begrenzten Problembereich. Sie ist weder in ein Gesamtkonzept eingebettet noch enthält sie Grundsätze, aus denen sich ein weiteres Konzept zum Schutz der Öffentlichkeit vor gefährlichen Straftätern ableiten lässt.

Mit ihren Anliegen rennt die Initiative schliesslich offene Türen ein: Der Bundesrat hat bereits in der Botschaft vom 21. September 1998 zur Revision des Strafgesetzbuches ein umfassendes Paket von Neuerungen und Sicherheitsschranken zum Schutz der Öffentlichkeit vor gefährlichen Straftätern präsentiert. Diese Vorschläge 3463

des Bundesrates umfassen im Ergebnis (mit Ausnahme der zwei Gutachten für die Anordnung der Verwahrung) nicht nur die Neuerungen der Initiative, sondern gehen in einzelnen Bereichen weit über diese hinaus. Das heisst, die Umsetzung des neuen Verfassungsartikels im Strafgesetzbuch würde weniger bewirken als das, was der Bundesrat bereits vorgeschlagen hat und vom Ständerat verabschiedet worden ist.

Aus dem Wortlaut der Initiative geht nicht hervor, welche Art der Haftung der Behörden für Entlassungen aus der Verwahrung die Initiantinnen und Initianten vorsehen wollen. Das Bundesrecht enthält jedoch in jedem Fall die notwendigen strafrechtlichen und haftungsrechtlichen Grundlagen. Wenn man davon ausgeht, dass die Initiative eine Kausalhaftung verlangt, so werden die Kantone, die das noch nicht getan haben, eine solche Haftung einführen müssen.

Wir beantragen aus diesen Gründen, die Initiative Volk und Ständen ohne Gegenvorschlag mit Antrag auf Ablehnung zu unterbreiten.

3464