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Kreisschreiben des

Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände betreffend Maßnahmen zum Schutze gegen die Cholera.

(Vom 30. August 1892.)

Getreue, liebe Eidgenossen f Angesichts der Nachrichten über die zunehmende Verbreitung der Cholera in Rußland und über das Auftreten derselben in Frankreich (Paris, Rouen, Havre), Deutschland (Hamburg, Bremen, Berlin), Belgien (Antwerpen") und Ungarn, sehen wir uns genöthigt, Sie auf die Verpflichtungen aufmerksam zu machen, welche das Bundesgesetz vom 2. Juli 1886, betreffend Maßnahmen gegen gemeingefährliche Epidemien, den Kantonen auferlegt.

Einstweilen handelt es sich allerdings nur um die vorbeugenden Maßregeln, wie sie in Art. 2 des erwähnten Bundesgesetzes, beziehungsweise in den kantonalen Vollziehungsverordnungen vorgeschrieben sind, also im Wesentlichen um Fürsorge f ü r r e i n e s , u n v e r d ä c h t i g e s T r i n k - u n d Brauchwasser, sorgfältige K o n t r o l e d e r L e b e n s - u n d G e n u ß m i t t e l , Handhabung einer richtigen Wohnungshygiene, R e i n h a l t u n g des Bodens und der L u f t und Bereithaltung von angemessenen A b s o n d e r u n g s l o k a l e n und T r a n s p o r t m i t t e l n für E r k r a n k t e und von A u f n a h m e lokalen für Gesunde.

Wir gestatten uns hiezu, im Interesse eines einheitlichen Vorgehens, bloß folgende Bemerkungen und verweisen im Uebrigen auf die bestehenden Vorschriften : Bundesblatt. 44. Jahrg. Bd. IV.

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1. W a s s e r v e r s o r g u n g . Es sollen überall, wo dies nicht schon regelmäßig geschieht, unverzüglich die laufenden Brunnen in Beziehung auf die Reinhaltung des Quellengebiets, der Brunnenstuben, Leitungen etc., ebenso die Sodbrunnen und Cisternen auf ihre Beschaffenheit untersucht und vorgefundene Uebelstände beseitigt werden. Unreine oder verdachtige Brunnen, welche nicht in guten Stand gesetzt werden, sind zu schließen.

Die Entnahme von Trink- und Brauchwasser aus offenen Wasserläufen ist möglichst zu vermeiden.

Im Betriebe stehen de Filtriran lagen sind genau zu beaufsichtigen.

Ueberall, wo ein ganz unverdächtiges Wasser nicht zu beschaffen ist, soll dasselbe bei Choleragefahr nur nach vorherigem Kochen zur Verwendung gelangen.

2. Die L e b e n s m i t t e l p o l i z e i ist mit der größten Sorgfalt zu handhaben ; insbesondere soll der Verkehr mit Obst und Früchten^ Milch und Fleisch strenge beaufsichtigt werden.

Auch die Reinhaltung der Verkaufslokalitäten, der Gefäße und Utensilien ist nicht außer Acht zu lassen.

3. W o h n u n g s h y g i e i n e .

a. Der R e i n h a l t u n g von G r u n d und B o d e n ist die größte Aufmerksamkeit zu schenken.

Es soll daher eine regelmäßige Reinigung der Höfe, Plätze, Gassen und Straßen stattfinden und für eine zweckmäßige rasche Beseitigung der Abfälle der Haushaltungen und gewerblichen Anlagen, namentlich der Schlächtereien, sowie für gute Ableitung sämmtlicher Abwässer gesorgt werden. Versickerungsgruben für Schmutzwässer in der Nähe der Wohnungen, ebenso Ueberläufe von Jauchekasten und Miststätten, welche im Uebrigen undurchlässig sein sollen, sind nicht zu dulden.

Abtrittgruben sind, so lange die Cholera nicht ausgebrocheu ist, häufiger in möglichst reinlicher Weise zu entleeren^ dabei ist dahin zu wirken, daß fehlerhaft angelegte oder durchlässig befundene in ordnungsgemäßen Stand gesetzt werden. Nach dem Ausbruche der Epidemie dürfen die Gruben nicht öfter geleert werden., als es die Anfüllung nöthig macht.

b. Nicht minder verdienen die s a n i t ä r e n V e r h ä l t n i s s e d e r " W o h n u n g e n s e l b s t unsere Beachtung.

Zu diesem Zwecke soll in allen Gemeinden eine Häuserinspektion vorgenommen werden, welche sich wesentlich auf die Zahl der Bewohner und der benützten Räume, auf die Reinlichkeit und auf die Wasserversorgung zu erstrecken hat. In dieser Beziehung

331 zu untersuchen sind jedenfalls : Miethkasernen und Massenquartiere armer Leute, Logir- und Kosthäuser, Herbergen, Wirtschaften, Armen- und Waisenhäuser, Schulen, Fabriken, Arresthäuser und Gefangnisse.

Die Beseitigung der vorgefundenen Uebelständc ist durch Nachinspektionen zu sichern. Rückständiges hat die Gemeinde, bei Armen auf öffentliche Kosten, in Ordnung zu bringen.

Der WohnuDgsüberfüllung ist soweit als möglich abzuhelfen ; jedenfalls ist dafür zu sorgen, daß für den Fall des Ausbruchs der Cholera die. nöthigen Auslogirungen innerhalb 24 Stunden vorgenommen werden können.

4. Die vom Gesetz geforderten A b s o n d e r u n g s h ä u s e r sind derart bereit zu halten, daß sie innerhalb 24 Stunden zur Aufnahme von Cholerakranken hergerichtet werden können.

Schon jetzt ist diese Bereithaltung von Choleraasylen nöthig in sämmtlichen auf Seite 310--316 hievor als Eisenbahn-, Postoder Dampfschiffstationen aufgeführten Ortschaften.

Auch muß dabei für ä r z t l i c h e H ü l f e und für gehörig instruirtes W a r t e p e r s o n a l , sowie für die nöthigen K r a n k e n t r a n s p o r t m i t t e l (besondere, leicht zu reinigende Wagen, Tragbahren u. dgl.) gesorgt sein.

5. In jeder Gemeinde sind D e s i n f e k t i o n s m i t t e l (siehe A n l e i t u n g z u r D e s i n f e k t i o n b e i C h o l e r a , Seite 3 1 7 hievor) entweder im Vorrathe anzuschaffen oder doch fest zu bestellen.

Ebenso ist für jede Gemeinde ein Beamter oder Angestellter von genüglicher Qualifikation zu bezeichnen, der die Desinfektionsmittel mischt, abgibt und deren Verwendung leitet.

6. Da in Choleraepidemien die Hausbesuche sich als sehr nützlich erwiesen haben, bei denen ein zuverläßiger Mann täglich seiner kleinen Gruppe Häuser eine Sanitätsvisite macht, so ist es sehr zu empfehlen, daß auch diese Hausbesucher vorsorglich bestimmt werden.

7. Als dringliche vorbauende Maßregel muß auch die Bekämpfung von Noth und Elend bezeichnet werden. Hier kann durch Abgabe von gesunden Nahrungsmitteln, Kleidern u. s. w. auf öffentliche Kosten und ohne den Makel der Armenunterstützung viel genützt werden.

Im Fernern ist eine aufmerksame Wirthshauspolizei, namentlich strenge Einhaltung der Wirthshauspolizeistunde sehr zu empfehlen.

332 8. Personen, welche aus Choleragegenden zugereist sind, sollen 5--7 Tage unter ärztliche Ueberwachung gestellt werden. Die von denselben mitgebrachten Effekten, namentlich gebrauchte Wäsche und getragene Kleider, sind zu desinßziren.

Wir laden Sie ein, sofort die nöthigen Anordnungen zu treffen, damit die erwähnten und allfällige weitere zweckmässig erscheinende p r o p h y l a k t i s c h e M a ß r e g e l n unverzüglich in Ihrem Kantone überall und vollständig durchgeführt werden.

Ferner ersuchen wir Sie, beförderlieh für die im daherigen Verzeichniß aufgeführten B i s e n b a h n - , P o s t - u n d D a m p f s c h i f f s t a t i o n e n (siehe Seite 310 hievor) A e r z t e zu bezeichnen, welche, sobald der Bundesrath dies anordnet, den in der V e r o r d n u n g betreffend die M a ß r e g e l n zum S c h u t z e gegen die Cholera, s o w e i t sie die V e r k e h r s a n s t a l t e n b e t r e f f e n (siehe Seite 301 hievor), vorgesehenen ärztlichen Dienst auf diesen Stationen zu übernehmen haben.

Außerdem wird es von ganz besonderem Werthe seid, wenn jede Kantonsregierung schon jetzt einen oder mehrere A e r z t e auswählt, welche mit den b a c t e r i o l o g i s c h e n M e t h o d e n vertraut sind und die Aufgabe erhalten, bei zweifelhaften Krankheitsfällen, wo Verdacht auf Cholera besteht, die Differenzialdiagnose auf bacteriologisehem Wege sichern zu helfen.

Die Namen aller dieser Aerzte, sowohl der Stationsärzte als der Bacteriologen, sind dem eidgenössischen Departement des Innern beförderlichst bekannt zu geben. Ebenso ist demselben mitzutheilen, welche Absonderungslokale an den im Verzeichniß genannten Orten (Stationen) zur Aufnahme von Personen, welche auf der Reise an Cholera erkrankt sind, bereitgehalten werden und was für Desinfektionseinrichtungen daselbst vorhanden oder vorgesehen sind.

Bezüglich der Maßnahmen, welche beim a l l f ä l l i g e n A u f t r e t e n der C h o l e r a zu ergreifen sind, verweisen wir auf die B e s t i m m u n g e n des E p i d e m i e n g e s e t z e s vom 2. J u l i 1886 und der z u g e h ö r i g e n V e r o r d n u n g e n * ) , beziehungsweise auf *) a. Keglement vom 4. November 1887, betreffend die Ausrichtung von Bundesbeiträgen an Kantone und Gemeinden zur Bekämpfung gemeingefährlicher Epidemien.

6. Verordnung vom 6. - Oktober 1891,
betreffend den Leichentransport (A. Transport ansteckender Leichen am Ort).

c. Verordnung vom 15. August 1892, betreffend die Maßregeln zum Schutze gegen die Cholera, soweit sie die Verkehrsanstalten betreffen.

d. Anleitung zur Desinfektion bei Cholera, vom 15. August 1892.

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die Vorschriften der bezüglichen k a n t o n a l e n V o l l z i e h u n g s verordnungen.

G r u n d b e d i n g u n g a l l e s S c h u t z e s gegen d i e C h o l e r a ist die r e c h t z e i t i g e A n z e i g e , wie sie im Art. 3 des Gesetzes gefordert wird. Es muß nicht nur jeder ausgesprochene, unverkennbare, schwere Cholerafall angezeigt werden, sondern auch jede der Cholera verdächtige E r k r a n k u n g ist sofort zu m e l d e n u n d , bis zur Sicherung der Diagnose durch die Hülfsmittel der Bactériologie, so zu behandeln wie wirkliche Cholera.

. D a s K r e i s s c h r e i b e n v o m 16. S e p t e m b e r 1890, b e t r e f f e n d A u s f ü h r u n g d e s E p i d e m i e n g e s e t z e s , verpflichtet die kantonalen Sanitätsbehörden, das Auftreten von Cholera dem eidgenössischen Departement des Innern t e l e g r a p h i s c h zu melden. Dabei ist jeweilen anzugeben, was sich über den Ursprung der Erkrankung hat ermitteln lassen. Bei epidemischer Verbreitung sollen dem genannten Departement täglich die Zahl der neuen Erkrankungen und die Zahl der Todesfälle telegraphisch mitgetheilt werden. Außerdem ist wöchentlich ein genauer schriftlicher Berieht über den Verlauf der Epidemie und die dagegen ergriffenen Maßregeln einzusenden.

Im Uebrigen benutzen wir diesen Anlaß, um Sie, getreue, liebe Eidgenossen, sammt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 30. August 1892.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Vizepräsident:

Schenk.

Der Stellvertreter des eidg. Kanzlers : Schatzmann.

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Kreisschreiben des Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände betreffend Maßnahmen zum Schutze gegen die Cholera. (Vom 30. August 1892.)

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31.08.1892

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