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Schweizerisches Bundesblatt.

38. Jahrgang. I.

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Nr. 17.

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24. April 1886.

Bericht des

Bundesrathes an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahr

1885.

VII. Geschäftskreis des Justiz- und Polizeidepartements.

A. Justizverwaltung.

I. Gesetzgebung.

Ì. Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement hat im Jahre 1885 seine Hauptthätigkeit auf dem Gebiete der Gesetzgebung der Ausarbeitung des Gesetzentwurfes über S c h u l d b e t r e i b u n g u n d K o n k u r s , welcher nunmehr d e r Bundesversammlung z u r Berathung vorliegt, gewidmet.

Indem wir, was weitere Details über die Vorgeschichte diese« so wichtigen und so dringend verlangten Gesetzentwurfes betrifft, auf die bezügliche Botschaft verweisen, beschränken wir uns hierorts darauf, folgende Thatsachen in Erinnerung zu bringen : Durch Postulat vom 20. Dezember 1884 hatte die Bundesversammlung den Bundesrath eingeladen, schon in der Junisession 1885 einen Entwurf für ein Gesetz über Schuldbetreibung und Konkurs vorzulegen. Zu jener Zeit konnte das Justiz- und Polizeidepartement zur Vorberathung benutzen : Bundesblatt. 38. Jahrg. Bd. I.

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906 1) einen vollständigen, von Herrn Prof. An d r e a s H e u s l e r in Basel ausgearbeiteten Entwurf, enthaltend sowohl die Vorschriften über die Schuldbetreibung als auch die Bestimmungen, welche bei der Konkursliquidation zur Anwendung kommen sollten. Es lag diesem Entwurfe der allgemeine Gedanke MI Grunde, daß die Betreibung, einige besondere Fälle ausgenommen, immer auf dem Wege des Konkurses stattzufinden habe. In den Jahren 1869--1875 war er von einer Kommission eingehender Prüfung unterstellt und sodann von der Mehrheit der Kommissionsmitglieder angenommen worden ; 2) den sogenannten Minderheitsent w u r f , welcher gl ei eh fa Ils» die Schuldbetreibung und den Konkurs umfaßte. Nach dem Grundgedanken dieses Projektes sollte die Betreibung in der Regel auf Pfändung gerichtet sein, unter Vorbehalt des den Gläubigern zustehenden Rechtes, in einigen bestimmten Fällen den Konkurs des Schuldners verlangen zu können. Der genannte Entwurf war von vier Mitgliedern der Kommission, welche den Heusler'schen Entwurf zu prüfen hatte, im Jahre 1875 ausgearbeitet, indeß von dieser Kommission niemals in Berathung gezogen worden ; 3) den von Herrn Kantonsrichter Bärlocher von 8t. Gallen im Jahre 1880 im Auftrage des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements ausgearbeiteten Entwurf, der in seinen Hauptzügen das System der reinen Pfändung , wie es im Kanton St. Gallen in Kraft besteht, repräsentirte ; 4) endlich den von Herrn J. J. O b e r e r , damals Obergerichtspräsident von Baselland, verfaßten Entwurf, welcher in den Jahren 1881 und 1882 einer Kommission zur Berathung vorgelegt worden war, aber nur die Schuldbetreibuug behandelte, so daß die Regeln über die Konkursliquidation in einer zweiten Arbeit hätten festgestellt werden müssen. -- Herr Oberer war vollkommen überzeugt, daß ein Gesetz über Schuldbetreibung, welches entweder das System der Pfändung oder dasjenige des Konkurses von vornherein ausschließen wollte, den Kreditbedürfnissen nicht entsprechen und auch den Wünschen des Landes nicht entgegenkommen würde. Er hatte daher einen Mittelweg gesucht und glaubte ihn gefunden zu haben, indem er für die pfandversicherten Forderungen und die Ansprachen unter Fr. 50 das Pfändungssystem aufstellte, während die Betreibungen für die übrigen Forderungen auf dem Wege des Konkurses durchgeführt werden sollten.

907 Unser Justiz- und Polizeidepartement hatte desgleichen die.

Ueberzeugung gewonnen, daß ein Gesetzesprojekt nur dann Aussicht auf Annahme haben dürfte , wenn es auf einer Vermittlung der beiden großen, einander gegenüberstehenden Systeme beruhen und einem jeden derselben den ihm durch die Bedürfnisse des Lebens angewiesenen Raum zugestehen würde. Andererseits aber war das Departement von der Ansicht geleitet, daß der Entwurf Oberer in der Unterscheidung zwischen der Höhe des Forderungsbetrages für die angestrebte Vermittlung eine allzu willkürliche Grundlage geschaffen, und insbesondere, daß er den Interessen der ackerbautreibenden Bevölkerung, sowie der zahlreichen Bürger, welche, in beschränkten Kreditverhältnissen stehend, von ihrer täglichen Arbeit leben, zu wenig Rechnung getragen habe.

Um einem einheitlichen Schuldbetreibungssystem in allen Theilen des Landes eine günstige Aufnahme zu verschaffen, glaubte das Departement, einerseits die Bedürfnisse der Handelswelt und anderseits die Interessen der Landbevölkerung in gleichem Maße berücksichtigen zu sollen. Das Beispiel einer solchen Unterscheidung war bereits mit gutem Erfolg durch das schweizerische Obligationenrecht gegeben, welches das Handelsregister eingeführt und in gewissen Fällen für die eingetragenen Personen besondere Normen aufgestellt hat. Es genügte, diesen Keim fortzuentwickeln und die logischen Konsequenzen daraus zu ziehen. Es bedurfte nur eines einfachen logischen Schrittes, um für die im Handelsregister eingetragenen Schuldner die Betreibung auf Konkurs und für die nicht eingetragenen die Betreibung auf Pfändung zu wählen.

Zur Ausführung dieses Gedankens lag für unser Departement kein Bedürfnis v o r , wiederum zahlreiche Kommissionen einzuberufen. Das Material, über welches es bereits verfügte, namentlich die hervorragenden Arbeiten der Herren Heusler und Oberer, sowie diejenigen der Kommissionen , welche die Entwürfe dieser beiden Rechtsgelehrten in Berathung gezogen hatten, waren höchst fruchtbare, belehrende Vorarbeiten. Das Departement erachtete es demnach für vorteilhafter, selbstständig einen neuen Entwurf auszuarbeiten, und zog zu dem Ende nur eine geringe Zahl von Mitarbeitern bei. Auf diese Weise konnte es in seiner Arbeit den einheitlichen Gedanken ausführen und die Materie folgerichtig durcharbeiten, was
bei zahlreich besetzten Kommissionen, deren Mitglied erza h l von Sitzung zu Sitzung wechselt, gewöhnlich nicht deiFall ist.

Am 11. November 1885 wurde der Entwurf vom Departemente vollendet. Wir haben ihn sodann in mehreren Sitzungen durch berathen und uns mit den Prinzipien, auf denen er beruht, ein-

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verstanden erklärt, indeß die Arbeit zur Vervollkommnung in einigen Punkten an das Departement zurückgewiesen. Während dieser Zeit hatte sich bereits die öffentliche Meinung mit dem Entwurfe befaßt. Die Aufnahme, die ihm zu Theil wurde, war im Allgemeinen eine günstige ; auch sind aus berufener Feder beachtenswerthe Kritiken geflossen, welche das Departement nebst unsern Bemerkungen geprüft und in reichlichem Maße verwerthet hat. Es wurde uns hierauf ein neuer Entwurf vorgelegt, welcher gegenüber dem frühern einen wirklichen Fortschritt bedeutet. Wir haben demselben unterm 23. Februar 1886 unsere Genehmigung ertheilt.

Schon im Dezember 1885 hatte die Bundesversammlung, nachdem sie von dem Stande der Arbeiten in Kenntniß gesetzt worden war, die Kommissionen zur Vorberathung dieses Entwurfes ernannt.

Gegenwärtig besitzen die Kommissionen das Gesetzesprojekt. Die Priorität der Behandlung ist dem Ständerathe zuerkannt.

2. Mit der Annahme des Gesetzentwurfes über Scbuldbetreibung und Konkurs werden die Bundesbehörden die gesetzgeberischen Arbeiten, welche ihnen durch Art. 64 der Bundesverfassung übertragen sind, so ziemlich zu Ende geführt haben. Abgesehen von den Forderungen der Zukunft auf diesem Gebiete sind immerhin noch zwei Lücken, auf welche bereits im Obligationenrecht hingewiesen ist, durch Spezialgesetze zu ergänzen. Wir meinen den Erlaß eines Gesetzes über den V e r s i c h e r u n g s v e r t r a g und eines Gesetzes betreffend die G e w ä h r l e i s t u n g i m V i e h handel.

Die ersten Entwürfe des Obligationenrechts enthielten ein Kapitel über den Versicherungsvertrag ; es wurde in der Folge jedoch beschlossen, diese Materie später zu regeln. Nachdem nunmehr ein besonderes eidgenössisches Versicherungsamt errichtet ist, wird es, sobald die nöthigen Erhebungen gemacht sind, in dessen Aufgabe liegen, gemeinschaftlich mit dem Justiz- und Polizeidepartament eine bezügliche Gesetzesvorlage auszuarbeiten.

Was das Gesetz über die Gewährleistung im Viehhandel betrifft, so erinnern wir hier daran, daß unser Justiz- und Polizeidepartement uns schon im Jahre 1882 einen bezüglichen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Auf den Wunsch einer großen Anzahl von Kantonen haben wir jedoch die Prüfung dieser Vorlage verschoben. (Vergi. Geschäftsbericht pro 1882, Bundesbl. 1883, E, 828.) In diesem Stadium ist
die Angelegenheit bis heute verblieben. Wir werden erst dann weitere Schritte thun, wenn von Neuem der Wunsch nach Regelung dieser Materie auf dem Wege der Bundesgesetzgebung kund gegeben wird.

909 3. In Ausführung des Art. 46 der Bundesverfassung und unter Berücksichtigung eines Postulates vom 30. Januar 1882 haben wir mittelst Botschaft vom 6. März 1885 der Bundesversammlung einen Gesetzesentwurf über das V e r b o t der D o p p e l b e s t e u e r u n g zugeleitet. Dieser Entwurf ist von Seite des Nationalrathes bereits durchberathen und auch mit wenigen unwesentlichen Abänderungen angenommen worden. Gegenwärtig liegt derselbe dem Ständerathe zur Berathung vor.

4. In Ausführung desselben Artikels der Bundesverfassung und des gleichen Postulates ist von unserem Justiz- und Polizeidepartement ein Gesetzesentwurf behufs Ordnung der ci vil r e c h t liehen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufe n t h a l t e r ausgearbeitet worden. Wir haben der Bundesversammlung die demnächst erfolgende Vorlage dieses Entwurfes angezeigt, und es sind von den beiden Räthen bereits die Kommissionen zur Prüfung desselben ernannt worden.

5. Mit Bezug auf den Gesetzesentwurf betreffend die eidgenössischen W a h l e n u n d A b s t i m m u n g e n , welcher durch viele Postulate mit großem Nachdruck gefordert und auch sonst im Allgemeinen dringend verlangt wurde, beschränken wir uns darauf, zu bemerken, daß der Nationalrath am 18. Juni 1885 mit 55 gegen 48 Stimmen die ganze Vorlage verwarf,, nachdem er dieselbe zuvor artikelweise durehberathen und angenommen hatte. Am 9. Dezember v. J. beschloß hierauf der Ständerath, auf diesen Entwurf z u r Z e i t nicht einzutreten.

6. Bevor noch alle durch die Bundesverfassung von 1874 vorgesehenen Gesetze in Angriff genommen sind, wird schon der Wunsch laut, daß da oder dort die unter der neuen Organisation entstandenen Gesetze revidirt werden.

Hier kommt vor Allem das Gesetz betreffend F e s t s t e l l u n g und B e u r k u n d u n g des Civilstandes und die Ehe in Betracht. Durch eine Motion der Herren Ständerathe Moriaud von Genf und Schmid von Uri, welche durch den Beschluß des Ständerathes vom 25. März 1885 erheblieh erklärt wurde, wird der Bundesrath eingeladen, zu prüfen, ob nicht die Art. 45, 46 und 47 des erwähnten Gesetzes im Sinne einer Vermehrung der Fälle, wo die Scheidung von Tisch und Bett auf beschränkte Zeit ausgesprochen werden kann, abgeändert werden sollten. Wir werden nicht ermangeln, der Prüfung dieser Frage die angemessene Sorgfalt zu schenken,
und Ihnen den gewünschten Bericht erstatten, sobald Ihre Tagesordnungen weniger mit gesetzgeberischen Arbeiten belastet sind, als dies gegenwärtig der Fall ist.

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Ein anderes Gesetz, dessen, wie uns scheint sehr notlnvendige, Revision ebenfalls verlangt wurde, ist dasjenige über die O r g a n i s a t i o n der B u n d e s r e c h t s p f l e g e . Schon am 21. August 1882 richteten wir die Anfrage an das Bundesgericht, ob es nicht glaube, daß das Inkrafttreten des schweizerischen Obligationenrechts am 1. Januar 1883 die Abänderung des Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege erheische. Das Bundesgericht erwiederte hierauf, daß es diese Revision für nothwendig erachte und uns s. Z. bezügliche Vorschläge zukommen lassen werde. In der Zwischenzeit stellte das Bundesgerichl das Gesuch, es möchten von den Kantonen gewisse Aufschlüsse eingeholt werden, die zur Beförderung der Arbeit dienen könnten. Seitdem hat das Gericht sieh bei zwei Gelegenheiten wieder dahin geäußert, daß die Revision au die Hand genommen werden solle, unter Andeutung der Richtung, in welcher dieselbe zu erfolgen habe. Die Geschäftsberichte des Bundesgerichtes für 1883 und 1884 enthalten hierüber wiederholte Bemerkungen.

Um diesen Gesuchen gerecht zu werden, übertrug unser Justizund Polizeidepartement dem Herrn Bundesrichter Dr. H a f n e r die Ausarbeitung eines bezüglichen Vorentwurfes. Hr. Dr. Hafner ist vermöge seiner Autorität und seiner Thätigkeit auf diesem Gebiete als eine für die schwierige Arbeit ganz vorzüglich geeignete Persönlichkeit zu betrachten. Derselbe wird seine Aufgabe gegen Ende des Sommers 1886 erfüllt haben, so daß der Bundesversammlung im Frühjahr 1887 oder vielleicht schon Ende 1886 ein Gesetzesentwurf vorgelegt werden kann.

Nach den Andeutungen in den Geschäftsberichten des Bundesgerichtes steht hier der Revision ein weites Feld offen, indem mehrere wichtige neue Fragen zu Tage getreten sind. Es handelt sieh auch darum, ein zweckmäßiges gerichtliches Verfahren betreffend die Uebertretungen der zahlreichen Bundesgesetze, welche in den letzten 10 Jahren entstanden sind, einzuführen. Das Gesetz von 1849, welches dieses Verfahren in Betreff der Polizeigesetze sowohl, als bezüglich der fiskalischen Gesetze des Bundes ordnen sollte, wurde nach kurzer Zeit mit allgemeiner Zustimmung nur noch auf die letzteren Gesetze angewendet; hinsichtlich des Gerichtsverfahrens bei Uebertretung der polizeilichen Bundesgesetze dagegen zeigen sich die größten Lücken. Dieser
Gegenstand wird zugleich mit den andern Fragen, welche sich auf die Bundesrechtspflege beziehen, die nöthige Beachtung finden.

7. Es möge hier auch daran erinnert werden, daß im Laute des Jahres 1885 der S c h w e i z e r i s c h e J u r i s t e n v e r e i n an

911 uns das Gesuch um Unterstützung eines Werkes gelangen ließ, dessen Bearbeitung er in seiner Versammlung zu Lausanne im Jahre 1884 beschlossen hat und das eine v e r g l e i c h e n d e D a r s t e l l u n g a l l e r T h e i l e des C i v i l r e c h t s enthalten soll, welche in der legislativen Kompetenz der Kantone geblieben sind. Die Arbeit ist Hrn. Dr. Eugen Hu b e r , Professor der Rechte an der Universität Basel, anvertraut worden. Es schien uns gerechtfertigt, daß dieses Werk, welches von hervorragendster Bedeutung zu werden verspricht, durch den Bund subventionirt werde. Sie gaben hiezu Ihre Zustimmung, indem Sie uns den Kredit gewährten, welcher für die Herausgabe des Werkes nothwendig "o war.

8. Endlich erwähnen wir noch kurz, zur Vervollständigung der Liste der gesetzgeberischen Arbeiten unseres Justiz- und Polizeidepartementes im Jahre 1885, dessen Bericht über die R e v i s i o n der B u n d e s v e r f a s s u n g , sowie dessen Mitwirkung bei der Ausarbeitung einiger Gesetzesentwürfe anderer Departemente, In letzterer Beziehung sind besonders zu nennen das Gesetz betreffend die B e a u f s i c h t i g u n g von Privat unter n e h m u n g e n im Gebiete des V e r s i c h e r u n g s w e s e n s , die A l k o h o l v o r l a g e und der Entwurf betreffend die H a f t p f l i c h t der F a b r i kanten.

II. Gewährleistung von Kantonsverfassungen.

1. Die neu e V e r f a s s u n g des K a n t o n s W a a d t , welche in der Volksabstimmung vom 1. März 1885 von der Mehrheit der stimmenden Bürger angenommen worden ist, erhielt in Uebereinstimmung mit unserm Antrage am 27. März '1885 die Gewährleistung des Bundes. (Bundesblatt 1885, II, 178; A. S. n. F.

VIII, 56.)

2. Anläßlich der Gewährleistung des Verfassungsgesetzes des Kantons S c h w y z vom 10. Januar/17. Februar 1884 war § 2 der Uebergangsbestimmungen desselben betreffend die Vertretung des Kreises Unter-Iberg im Kantonsrathe von der bundesmäßigen Garantie ausgenommen worden. (Geschäftsbericht pro 1884, Bundesblatt 1885, II, 666.") Der Kantonsrath von Schwyz hat unterm 27. November 1884 durch ein n e u e s V erfassungsdek ret den beanstandeten Paragraphen mit dem Bundesrechte in Uebereinstimmung gebracht und das Volk hat diese Revision in der Abstimmung vom 26. April 1885 angenommen. Die nachgesuchte Gewährleistung der eidgenössischen Räthe wurde am 19. Juni 1885 ausgesprochen. (Bundesblatt 1884, II, 222; 1885, III, 212; A. S.

n. F. VII, 463; VIII, 135.)

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3. Der n e u e n S t a a t s V e r f a s s u n g des K a n t o n s Aarg a u vom 23. April 1885 wurde durch Beschluß vom 23. Juni gleichen Jahres die Gewährleistung des Bundes ertheilt. Von der Rechtsverwahrung des Verwaltungsrathes der schweizerischen Rheinsalinen in Rheinfelden gegen Art. 78 dieser neuen Verfassung, wonach der Bergbau als Staatsregal erklärt und die Staatsverwaltung beauftragt wird, sofort die geeigneten Maßnahmen zur Uebernahme und zum Betrieb der bestehenden Salinen zu treffen, haben wir in unserer Botschaft vorn 18. Juni 1885 Akt genommen.

(Bundesblatt 1885, 111, 321; A. B. n. F. VIII, 139.)

III. Konkordate.

1. Von einer kantonalen Polizeibehörde ist die Frage vorgelegt worden, wie es bezüglich der Gestattung des Aufenthaltes in solchen Fällen zu halten sei, wo Ausländer von den Gerichten anderer Kantone in kriminellen oder korrektionellen Strafsachen zur V e r w e i s u n g aus de r Se h w e i n verurtheilt worden sind, aber bald nachdem sie über die Grenzen der Schweiz gebracht worden, wieder in einen andern Kanton zurückkehren. Hier stehe man nämlich vor der Eventualität, den betreffenden Urtheilen Vollzug zu verschaffen und solche Individuen auszuweisen, resp. bei Rückkehr vor Ablauf der Ausweisungsdauer wegen Uebertretung der Ausweisung den bezüglichen Kantonen zur Bestrafung einzuliefern -- oder aber sie frei und unbehindert zu belassen.

Unser Justiz- und Polizeidepartement hat geantwortet, daß die vorliegende Frage nach seinem Dafürhalten durch das K o n k o r d a t b e t r e f f e n d d i e P o l i z e i V e r f ü g u n g e n gegen G a u n e r , L a n d s t r e i c h e r u n d g e f ä h r l i c h e s G e s i n d e l v o m 1 7 . Juni 1812, bestätigt den 9. Juli 1818 (Alte offizielle Sammlung, Bd. 1, 307}, als geregelt betrachtet werden könne. Ziffer 5 schreibt nämlich wörtlich Folgendes vor: ,,Die signalisirten Verwiesenen, vorzüglich wenn es Lands,,fremde sind, sollen von der Polizeibehörde des Kantons wo sie ,,aufgegriffen worden, wo möglich über die Grenze der Eidgenossen,,schaft gebracht; falls aber deren Wegschaffung über die Grenze ,,nicht möglich wäre, diese Verwiesenen wiederum dem Kanton "zugeführt werden, welcher die Verbannungsstrafe gegen sie ausgesprochen hat; die Signalisirten hingegen, deren Arrestation ver,,langt wird, sollen derjenigen Behörde ausgeliefert werden, von -der sie ausgeschrieben worden sind."

913 Der Inhalt dieses Konkordates ist durch die seitherige Entwickelung des Bundesrechtes zum größten Theile veraltet und auch durch andere Vorschriften ersetzt worden. Da jedoch die große Mehrzahl der Kantone demselben beigetreten war und nur Schwyz, Glarus, Waadt und Neuenburg wesentlich bezüglich der unter Ziffer 3 aufgeführten Verbannungsstrafe gewisse Vorbehalte machten, die gegenwärtig durch Art. 44 der Bundesverfassung theilweise weggefallen sind, so können die unter Ziffer 5 aufgestellten Grundsätze gegenwärtig noch als allgemein geltend betrachtet werden.

2. Bezüglich der Einfrage, w e l c h e K o n k o r d a t e z u r Zeit noch in Rechtskraft bestehen und für welche K a n t o n e d i e noch g ü l t i g e n K o n k o r d a t e v e r b i n d l i c h s e i e n , waren wir im Falle zu antworten, daß in dieser Beziehung einzig auf die alte ,,Offizielle Sammlung der das schweizerische Staatsrecht betreffenden Aktenstücke" und auf die ,,Amtliche Sammlung der Bundesgesetze und Verordnungen" verwiesen werden könne, ohne dabei sicher zu sein, daß in diesen Sammlungen alle im Laufe der Zeit eingetretenen Aenderungen aufgefunden werden können, weil diese von den Kantonen nicht immer der Centralbehörde zur Kenntniß gebracht worden. Frühere Versuche, festzustellen, welche Konkordate noch in Kraft seien und in welchem Umfange, hätten aufgegeben werden müssen. Es bleibe daher im einzelnen Falle dem Richter überlassen, zu prüfen und zu entscheiden, ob ein Konkordat noch in Kraft und für welche Kantone dasselbe verbindlich sei. Dies gelte insbesondere von den altern und zivilrechtlich zugleich wichtigern Konkordaten.

3. Die F o r m u l a r e der H e i m a t s c h e i n e , wie sie im Jahre 1854 von den Kantonen (mit Ausnahme von Appenzell I. Rh., Wallis und Neuenburg) durch ein Konkordat festgestellt worden (A. S. IV. 357), stehen nicht mehr in Uebereinstimmung mit den Grundsätzen der Bundesverfassung von 1874 und geniigen auch den Bedürfnissen der Gegenwart nicht mehr. Insbesondere ist der Vorbehalt auf dem Formular der Heimatscheine für unverheirathete Personen beiderlei Geschlechts, daß zur Eingehung einer gültigen Ehe die Vorschriften des H e i m a t k a n t o n s beobachtet werden müssen, mit dem ersten Satz von Art. 54 der Bundesverfassung, wonach das Recht zur Ehe unter dem S c h u t z e des B u
n d e s steht, im Widerspruch und daher derogirt.

Die Annahme des Bundesrathes, welche er gegenüber der Regierung des Kantons Thurgau am 29. Juli 1874 aussprach, es

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würden die Kantone von sich aus die fragliche Klausel in neuen Heimatscheinen streichen, hat sich nicht bestätigt.

Eine Prüfung der in den Kantonen in Gebrauch stehenden Heimatscheinformularien für Unverheirathete hat nämlich ergeben : A. Das Formular des Konkordates ist noch beibehalten in den Kantonen: Bern, Schwyz, Obwalden, Nidwaiden, Glarus, BaselStadt, Schaffhausen, Appenzell I. Rh., St. Gallen, Tessin und Waadt (11 Kantone).

B. Die Bestimmung im Konkordatsformular, daß ,,zur gütigen Eingehung einer Ehe die Vorschriften u n s e r e s K a n t o n s zu beobachten sind" haben gestrichen die Kantone Zürich, Luzern, Uri, Zug, Solothurn, Baselland, Appenzell A. Rh., Graubünden, Aargau, Thurgau, Neuenburg und Genf (12 Kantone).

Die Kantone Zug, Solothurn, Appenzell A.-Rh., Graubünden und Aargau haben diese Streichung in der Weise bewerkstelligt, daß sie die Worte ,,die Vorschriften u n s e r e s Kantons" dahin abänderten: ,,es seien die Vorschriften des B u n d e s g e s e t z e s ü b e r C i v i l s t a n d und E h e zu beobachten".

Eine weitere bemerkenswerthe Abänderung enthält der Heimatschein des K a n t o n s Z u g , indem hier den Formularen des Konkordates der Zusatz zugefügt wurde: ,,Die Gültigkeit dieser Urkunde beträgt z e h n J a h r e vom Datum der Ausstellung an gerechnet."

C. In den Kantonen Freiburg und Wallis dagegen hat das Formular für Unverheirathete folgende auffallende Aenderung erlitten : \. F r ei b ü r g . Der Inhaber erhält nicht die Ermächtigung, im Auslande eine E h e einzugehen, ,, v u q u ' à c e t e f f e t u n e p e r m i s s i o n s p é c i a l e du G o u v e r n e m e n t est née essaire".

2. W a l l i s : Der Heimatschein ist nicht ertheilt worden, um im Auslande eine Ehe eingehen zu können, «pour lequel il (der I n h a b e r ) devra, cas échéant, se pourvoir d'une autorisation du Gouvernement».

Es machte sieh a war die Ansicht geltend, daß im Hinblick auf Art. 2 der Uebergangsbestimmungen und auf die Art. 43, 44 und 45, sowie auf Art. 102, Ziffer 2 und 13, der Bundesverfassung dem Bundesrathe jetzt schon die Kompetenz zustehen würde, einheitliche Formulare aufzustellen und daß sich diese Maßregel deshalb empfehlen wurde, weil das Konkordat von den Kantonen faktisch

915 aufgegeben ist und weil die nicht beigetretenen Kantone Appenzell I. Rh., Wallis und Neuenburg aus dieser Thatsache Anlaß genommen haben, unstatthafte Zusätze aufzunehmen.

Indeß fanden wir, man könne sich einstweilen noch mit den jetzt dringend gewordenen Maßregeln begnügen und die Aufstellung eines allgemein verbindlichen, einheitlichen Formulars zu dem Heimatschein A für Verehelichte verschieben, bis das Bundesgesetz über die politischen Rechte der schweizerischen Niedergelassenen und Aufenthalter, in welchem eine bezügliche Bestimmung vorgesehen ist, in Kraft getreten sein wird.

Wir beschränkten uns daher auf solche Verfügungen, welche nothig waren, um das Formular B (Heimatschein für Unverheirathete, Venvittwete und Geschiedene) mit Art. 54 der Bundesverfassung in Uebereinstimmung zu setzen, während das Formular A (Heimatschein für Verheirathete) bis auf Weiteres nach dem im Jahre 1854 von den Kantonen aufgestellten Wortlaute beibehalten ist.

Die nähern Bestimmungen unseres bezüglichen Dekretes vom 16. März 1885 sind mittelst Kreisschreibens sämmtlichen Kantonen, sowie den Gesandtschaften und Konsulaten mitgelheilt und im Bundesblatt 1885, II, 183 und 426, publizirt worden.

IV. Verhältnisse zu auswärtigen Staaten, a. Verträge und Konventionen.

1. Noch bevor wir in der Lage waren, unserer Absieht gemäß hei der Regierung der S ü d a f r i k a n i s c h e n R e p u b l i k (Transvaal) den Abschluß verschiedener Verträge in Anregung zu bringen (Geschäftsbericht des Politischen Departements pro 1884, Bundesblatt 1885, II, 644), ließ .uns der außerordentliche Gesandte dieser Republik im Haag, Hr. Beelaerts van Blokland, durch Vermittlung unseres Konsulates in Rotterdam zur Kenntniß bringen, daß er von seiner Regierung bevollmächtigt sei, mit der Schweiz über den Abschluß eines Handelsvertrages in Unterhandlungen einzutreten und diesen Vertrag zu unterzeichnen.

Wir zögerten nicht, unsere Bereitwilligkeit auszusprechen, die diesfälligen Unterhandlungen sofort zu eröffnen, und bezeichneten zu dem Ende den Chef unseres Justiz- und Polizeidepartementes, Hrn. Bundesrath Ruehonnet, als Bevollmächtigten. Den Verhandlungen wurde ein Projekt zu Grunde gelegt, welches wesentlich mit den Verträgen übereinstimmt, welche die Schweiz in der gleichen Materie im Jahre 1864 mit dem Könige der Hawaiischen Inseln und im Jahre 1883 mit der centralamerikanischen Republik Salvador abgeschlossen hat. Die

916 Unterhandlungen führten zur Auswechslung verschiedener Korrespondenzen und zur Aufstellung desjenigen Projektes, welches am 6 November 1885 von den beidseitigen Bevollmächtigten in Bern als F r e u n d s c h a f t s - , N i e d e r l a s s ù n g s- und H a n d e l s v e r t r a g unterzeichnet worden ist.

Da jedoch Großbritannien in einer Konvention mit der Südafrikanischen Republik vom 27. Februar 1884 mit Bezug auf Staatsverträge dieser Republik eine gewisse Kontrole sich vorbehalten hat, so wurde von den Bevollmächtigten in einem besonderen ,,Schlußprotokolle"' vereinbart, daß unser Vertrag erst dann der schweizerischen Bundesversammlung zur Ratifikation vorgelegt werden soll, nachdem derselbe die ausdrückliche oder stillschweigende Billigung der britischen Regierung binnen der in der Londoner Konvention vorgesehenen Frist von sechs Monaten erhalten hat.

2. Die Unterhandlungen mit dem Fürstenthum M o n a c o , betreffend den Abschluß einer U e b e r e i n k u n f t über die gegens e i t i g e A u s l i e f e r u n g v o n V e r b r e c h e r n , konnten endlich im Jahre 1885 in einen formelleren Gang gebracht werden, nachdem die Regierung des Fürstenthums ihre Geneigtheit ausgesprochen hatte, das schweizerische Projekt mit wenigen Modifikationen anzunehmen. Mit den Unterhandlungen wurden die beidseitigen diplomatischen Vertreter in Paris betraut, welche am 10. Dezember 1885 den bezüglichen Vertrag unter Ratifikationsvorbehalt abgeschlossen haben. Die nähern Details sind in unserer Botschaft vom 11 gl. Mts. enthalten (Bundesblatt 1885, IV, 559).

Nachdem die Uebereinkunft beidseitig ratifizirt und die bezüglichen Urkunden am 26. Januar 1886 in Paris ausgewechselt worden, ist der Vertrag mit dem 1. Februar 1886 in Kraft getreten (Amtl.

Samml. n. F. VITI, 467). Wir haben denselben mit Kreisschreiben vom 29. Januar 1886 (Bundesblatt 1886, I, 171) den Kantonen zur Vollziehung mitgetheilt.

3. Auf eine bezügliche Anregung der Regierung der A r g e n t i n i s c h e n R e p u b l i k haben wir uns im Jahre 1882 zum Abschlüsse eines Vertrages über die gegenseitige A u s l i e f e r u n g v o n V e r b r e c h e r n u n d A n g e s c h u l d i g t e n bereit erklärt und im Laufe der Vorverhandlungen dem argentinischen Ministerium das schweizerische Normalprojekt für Auslieferungsverträge (cfr.
Geschäftsbericht pro 1883, Bundesblatt 1884, II, 719, Kiffer 8) vorgelegt, in der Meinung, daß auf Grund dieses Projektes in förmliche Unterhandlungen eingetreten werde. Ende Dezember 1883 ließ uns die argentinische Regierung eröffnen, daß sie eine Gesandtschaft bei der Schweiz akkreditiren und derselben Vollmacht er-

917 theilen werde, die diplomatischen Verhandlungen über den Abschluß eines Auslieferungsvertrages in Bern zu führen.

Im Sommer 1885 ist zwar eine Gesandtschaft der Argentinischen Republik in die Schweiz gekommen, allein auf eine bezügliche Anfrage beschränkte sie sich darauf, ein Gesetz mitzutheilen, welches am 25. August 1885 von den gesetzgebenden Kammern der Argentinischen Republik über das Auslieferungsverfahren angenommen worden ist und künftig für diesen Staat allein maßgebend sein soll.

Die Gesandtschaft fügte bei, daß Angesichts dieses Gesetzes ein Auslieferungsvertrag nicht mehr nöthig sei.

Wir glaubten, diesem Gesetze durch dessen Abdruck im Bundesblatt (1886, II, 379) Verbreitung geben zu sollen.

4. Im Jahre 1883 sahen mehrere Schweizerbürger in der s ü d a m e r i k a n i s c h e n R e p u b l i k E c u a d o r sich veranlaßt, den Schutz des Konsuls der Vereinigten Staaten von Amerika, in Gruayaquil anzurufen, um vom Militärdienst in Ecuador befreit zu werden. Auf die Verwendung des Staatsdepartements in Washington hin ist ihnen dieser Schutz in zuvorkommendster Weise gewährt worden. Gleichwohl erachteten wir es im Interesse unserer Milbürger für zweckmäßig, die Frage hinsichtlich des Militärdienstes, sowie überhaupt die Niederlassungs- und Handelsverhältnisse mit der Republik Ecuador vertraglich zu ordnen. Zu dem Ende beauftragten wir unsere Gesandtschaft in Washington, der Regierung von Ecuador durch Vermittlung des Staatsdepartemeutes der Vereinigten Staaten diesfällige Eröffnungen zu machen. Da indeß die Vereinigten Staaten damals in Quito keinen Vertreter hatten und umgekehrt Ecuador auch in Washington nicht repräsentirt war, so blieb die Angelegenheit längere Zeit in diesem Stadium.

Nachdem aber die Republik Ecuador im Jahre 1884 wieder einen Gesandten bei den Vereinigten Staaten akkreditirt hatte, wurde derselbe durch unseren Repräsentanten in Washington von dem hierseitigen Antrage verständigt. Infolge dessen erhielt Herr Minister Frey eine vom 18. Juli 1885 datirte Note" des Ministors der Auswärtigen Angelegenheiten in Quito, womit derselbe seine volle Bereitwilligkeit aussprach, in Unterhandlungen einzutreten.

Infolge dessen haben wir Hrn. Minister Frey in Washington zum Bevollmächtigten ernannt und ihm die nöthigen Instruktionen ertheilt.

Die diesfälligen Unterhandlungen
sind im Gange.

5. Die seit dem Jahre 1882 (Geschäftsbericht pro 1882, Bundesblatt 1883, II, 837) schwebenden Unterhandlungen behufs Ausführung von Art. 6 der U e b e r e i n k u n f t z w i s c h e n d e r

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S c h w e i z u n d I t a l i e n , b e t r e f f e n d d e n Polizeidienst in den internationalen Stationen der Gotthardbahn, vom 16. Februar 1881 (Amtl. Samml. n. F., V, 577) sind endlich zum Abschlüsse gebracht worden. Wir haben auf dem Korrespondenzwege mit der italienischen Regierung zwei verschiedene Formulare eines Transportbefehles festgestellt, nämlich: 1) ein Formular A für die Auslieferung von Verbrechern und Angeschuldigten, und 2) ein Formular B für die Ausweisung von Bettlern und Vaganten.

Gleichzeitig sind zwischen den beidseitigen Regierungen verschiedene Bestimmungen über die Art und Weise der Ausführung dieser Transporte vereinbart und in der Form einer ,,Erklärung" zusammengefaßt worden. Die Auswechslung dieser ,,Erklärung" hat am 14. Februar 1885 in Rom stattgefunden. Die bezügliche Uebereinkunft ist nach Ziffer IX sofort in Kraft getreten. Gemäß, Ziffer VIII findet sie auch Anwendung, wenn die Auslieferung, resp. Ausweisung, auf andern Grenzpunkten als in den internationalen Stationen Chiasso und Luino vollzogen wird. Die dem Formulare B des Transportbefehles angehängte Kosteuliste stimmt mit derjenigen überein, wie sie in der Uebereinkunft vom 25. Juli 1873 mit Italien und dem Deutschen Reich für den Transit von Individuen, welche zwischen diesen Staaten ausgeliefert werden, festgestellt worden ist.

Der Wortlaut dieser ,,Erklärung" findet sich in der Amtl.

Samml. n. F. VIII, 65 ff. Einige erläuternde Bemerkungen sind in dem Kreisschreiben an die Kantonsregierungen vom 1. Februar 1885 enthalten (Bundesblatt 1885, I, 413).

6. Zwischen dein Kanton W a d t undOesterreich-Ungarn ist im Jahre 1885 eine ,, E r k l ä r u n g " ü b e r die g e g e n s e i t i g e V o l l z i e h u n g von Ci v i l u r t h e i l e n vereinbart worden. Nachdem uns der Staatsrath von Waadt mit der Auswechslung der ,,Erklärung" betraut hatte, bevollmächtigten wir hiezu den Chef unseres Justiz- und Polizeidepartementes. Der Austausch der beidseitigen Urkunden wurde am 13. März 1885 in Bern ohne weitere Förmlichkeiten vollzogen. Der k. und k. österreichisch-ungarische Gesandte, Baron v. Ottenfels, besaß hiefür keine spezielle Vollmacht, weil nach diplomatischem Gebrauche bloße ,,Erklärungen" der Regierungen von ihren Repräsentanten ohne besondere Vollmachten ausgewechselt werden können, indem das allgemeine
Kreditiv des Gesandten zu einem solchen Akte genügt.

Hinsichtlich des Wortlautes der bezüglichen Urkunden verweisen wir auf die Amtl. Samml. n. P. VIII, 83.

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b. Spezielle Fälle internationaler Natur.

7. Am 21. September 1884 entgleiste zwischen Mortemi und der Schweizergrenze ein Eisenbahnzug, wobei die F r a u H u g o n i o t in Locle der Art verletzt wurde, daß sie nach kurzer Zeit starb.

Die Eigenthümerin dieser Linie, die französische Gesellschaft Paris-Lyon-Méditerrannée, hat den Betrieb derselben der Jura-BernLuzern-Bahngesellschaft durch Vertrag abgetreten. Die letztere Gesellschaft war sofort geneigt, Herrn Hugoniot vollen Schadenersatz zu leisten, verlangte aber, falls eine Vereinbarung nicht möglich wäre, daß die Größe der Entschädigung durch die zuständigen schweizerischen Gerichte bestimmt wurden soll. Herr Hugoniot belangte jedoch sowohl die Eigenthümerin, als die Pächterin dieser Bahnlinie vor dem Civilgerichte in Pontarlier auf Bezahlung einer Schadensumme von Fr. 200,000. Die schweizerische Gesellschaft bestritt unter Berufung auf Art. l des Staatsvertrages zwischen der Schweiz und Frankreich vom 15. Juni 1869 die Kompetenz der französischen Gerichte uud verlangte die Anerkennung des Gerichtsstandes an ihrem Gesellschaftsdomizil in Bern. Das Gericht von Pontarlier fand indessen diese Einrede als unbegründet und erklärte die französischen Gerichte kompetent.

Das Appellationsgericht zu Besancon dagegen hob mit Urtheil vom 29. Juni 1885 den erstinstanzlichen Entscheid auf, soweit er die Jura-Bern-Luzern-Bahngesellschaft betraf, und erklärte dieser gegenüber den schweizerischen Gerichtsstand begründet, gestützt auf folgende Ausführungen: · ,,Iu Erwägung, daß Art. l des Vertrages zwischen Frankreich und der Schweiz vom 15. Juni 1869 bestimmt: ,,In Streitigkeiten zwischen Schweizern und Franzosen, oder zwischen Franzosen und Schweizern, über bewegliche Sachen und persönliche Ansprüche., mögen sie aus dem bürgerlichen oder aus dem Handelsverkehr ensprung sein, ist der Kläger verpflichtet, seine Klage bei dem natürlichen Richter des Beklagten anhängig zu machen"; ,,in Erwägung, daß gegen die in einem internationalen Vertrage, aufgestellten Normen die Bestimmungen der Partikular-Gesetzgebung des einen oder andern der vertragschließenden Staaten nicht geltend gemacht werden können, und man sich genau an diejenigen Vorschriften zu halten hat, welche in dem Staatsvertrage selbst festgesetzt sind ; ,,in Erwägung, daß der Appellat (Herr Hugoniot) sich auf den letzten Absatz des citirten Artikels stützen will, welcher lautet: ,,Wenn jedoch die Klage auf Erfüllung eines Vertrages geht, der

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vom Beklagten entweder in der Schweiz, oder in Frankreich, aber außerhalb des Bereiches des erwähnten natürlichen Richters eingegangen worden ist, so kann dieselbe hei dem Richter des Ortes angehoben werden, wo der Vertrag abgeschlossen wurde, insofern die Parteien zur Zeit, wo der Pro/eß anhängig gemacht wird, daselbst ihren Aufenthalt haben1*, daß aber die Voraussetzungen, welche hiernach vorliegen müssen, um die allgemeine Regel aufzuheben, im vorliegenden Falle offenbar nicht vorhanden sind ; ,,in Erwägung, daß einerseits die Klage sich nicht auf einen seitens des Beklagten eingegangenen Vertrag stützt, sondern auf ein Delikt oder Quasidelikt, wodurch dem Appellaten Schaden verursacht wurdej für welchen er nunmehr Ersatz verlaugt ; ,,daß, -- wenn auch, abgesehen von jedem Staatsverlrage, die in Art. 14 des Code civil zu Gunsten der Franzosen im Prozesse mit Ausländern aufgestellte Ausnahme betreffend die Kompetenz ausgedehnt werden konnte auf Verbindlichkeiten, welche aus einem Delikt oder Quasidelikt entstanden sind, -- die im französisch-schweizerischen Vertrage enthaltenen Worte ,,des Vertrages, der eingegangen worden ist" docb nur restriktiv interpretirt werden dürfen, besonders wenn dieselben mit den Worten im gleichen Abschnitte ,,des Ortes, wo der Vertrag abgeschlossen wurde tt in Verbindung gebracht werden, indem diese Ausdrücke sich nicht auf Verbindlichkeiten ausdehnen lassen, welche einer von dem Vertrage unabhängigen Thatsaehe cutspringen und ohne den Willen der Parteien entstanden sind 5 ,,daß auch nicht darauf abgestellt werden kann, wie es der Appellai zu thun versucht, daß die Klage auf einer Verletzung des zwischen den Parteien eingegangenen Transportvertrages beruhe, da ein solcher Kontrakt nur mit der Paris-Lyon-Mediterrannée-Gesellschaft, welche das Billet an das Opfer des Unfalls abgab, geschlossen wurde, und nicht mit der Jura-Bern-Luzern Bahngesellsehaft : ^daß man sich ebenso nicht darauf berufen kann, es beruhe die Klage auf einem Delikt, indem dieselbe unabhängig von der Strafklage erhoben wurde und sieh auch nicht vor einem Strafgericht abspielt ; daß es sich vielmehr nur um eine Klage auf Schadenersatz, also um eine solche rein civilrechtlicher Natur und über bewegliche Sachen, handelt, was im vorliegenden Falle noch dadurch bestätigt wird, daß der Gesellschaft keine persönliche Öeliktshandlung zur Last gelegt wird, vielmehr bloß ihre civilrechtliche Verantwortlichkeit in Betracht zu kommen scheint ;

921 ,,in Erwägung, daß andererseits keine der Parteien zu der Zeit, wo die Klage anhängig gemacht wurde, ihren Wohnsitz im Arrondissement von Pontarlier hatte, indem die schweizerische Bahngesellschaft, welche gemäß einem Vertrage mit der französischen Gesellschaft den Transport der Reisenden und Waaren von Morteau nach Locle übernommen hat, nur das für die Kontrole des Materials und Gepäcks absolut nothvvendige Personal in Morteau hat, während die französische Gesellschaft dort ein Bureaux hält, die Billete abgibt, und von dort aus die polizeiliche Aufsicht über die Linie und die Bahnhöfe bis an die schweizerische Grenze, besorgt; unter solchen Umständen kann aber die Anwesenheit von Angestellten nicht ein Domizil der Gesellschaft in der Art begründen, daß dadurch den Gerichten des Ortes Jurisdiktion eingeräumt würde; ,,in Erwägung, daß Herr Hugoniot auch nicht in dem Arrondissement von Pontarlier wohnt und in der Citation Locle (Schweiz) als sein Wohnsitz bezeichnet ist; daß, wenn er auch ein Etablissement in Frankreich haben sollte, dieses nicht in dem Arrondissement des angerufenen Gerichts sich befindet; ,,in Erwägung, daß auch die Mehrheit der Beklagten und die behauptete Solidarität unter denselben nicht angerufen werden kann ; daß ferner die in Art. 59 der Prozeßordnung aufgestellte Ausnahme in den Vertrag von 1869, welcher hier derogirt, nicht aufgenommen wurde, daß vielmehr in diesem Staatsvertrage bestimmt ist, es müsse der Beklagte vor seinem natürlichen Richter belangt werden, selbst dann, wenn es sich um eine Regreßklage handelt, und daß endlich die Vorschriften der französischen Civilprozeßordnung diesem Vertrage gegenüber nicht angerufen werden können."· 8. Die F i r m a B e e r u n d T u c h s c h m i d in R o m a n s h o r u hatte in Frankreich einen Vertreter belgischer Nationalität, Namens van Varemberg. Nachdem dieser wegen schlechter Geschäftsführung von seiner Stelle enthoben worden war, machte er beim Handelsgericht in Lilie gegen jene Firma eine Entschädigungsklage anhängig. Die Beklagten erschienen nicht zur Verhandlung und wurden in contumaciam zur Bezahlung von 2000 Fr. verurtheilt. Sie glaubten jedoch, daß sie an ihrem Wohnort belangt werden müssen, und ergriffen deßhalb, gestützt auf Art. l des Staatsvertrages zwischen der Schweiz und Frankreich vom 15. Juni 1869,
das Rechtsmittel der Opposition. Das Civilgericht von Lilie erklärte die französischen Gerichte kompetent, rediwirte aber den Anspruch des Klägers auf 500 Fr. Die Angelegenheit Bundesblatt. 38. Jahrg. Bd. I.

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922 gelangte noch an den Appellhof von Douai, welcher das Urthei!

des Handelsgerichtes von Lilie bestätigte, weil der Kläger Belgier sei, also der erwähnte Vertrag zwischen der Schweiz und Frankreich ihm nicht entgegengehalten werden könne und gemäß Art. 420 des Code de procédure civile das Handelsgericht von Lilie kompetent gewesen sei, die Klage des van Varemberg zu beurtheilen, da die Lieferungen in Lilie gemacht worden und auch die Zahlungen in dieser Stadt haben vollzogen werden müssen.

Die Herren Beer und Tuchschmid veranlaßten nun die Prüfung der Frage, ob nicht die Kassation dieses Urtheils betrieben werden sollte. An kompetenter Stelle in Paris wurde jedoch wenig Aussicht auf Erfolg gemacht, weil der Art. l des Vertrages ausdrücklieh nur auf Streitigkeiten über Ansprüche aus dem Handelsverkehre sich beziehe, die zwischen Schweizern und Franzosen oder zwischen Franzosen und Schweizern entstehen. Daß man bei Abschluß den Vertrages nur an Schweizer und Franzosen gedacht habe, ergebe sich unzweideutig auch aus denjenigen Bestimmungen, welche auf die Erbfolge in bewegliches Vermögen und auf die Vormundschaft sich beziehen.

Angesichts des Wortlautes des erwähnten Vertrages muß diese Ansicht als richtig anerkannt werden. Es wurde daher eine Intervention zum Zwecke der Kassation des Urtheils von Douai aligelehnt.

Man konnte um so weniger etwas dagegen einwenden, daß die französischen Gerichte die Frage des Gerichtsstandes nach Maßgabe ihrer eigenen Gesetzgebung beurtheilt haben, als im umgekehrten Falle das gleiche Recht auch für die Gerichte eines schweizerischen Kantons reklamirt werden müßte.

g| ! · jgj 9. Die zwei Individuen, welche nach dem Verbalprozesse des französischen Fischereiaufsehers zu Maiche im Juli 1884 am schweizerischen Ufer des Doubs ohne Berechtigung gefischt hatten (Geschäftsbericht pro 1884, Bundesblatt 1885, II, 678), mußten am 13. Februar 1885 vor dem Polizeirichter von Freibergen wegen Uebertretung der Vorschriften der U e b e r e i n k u n f t z w i s c h e n derSchweiz und Frankreich betreffend gleichartige B e s t i m m u n g e n ü b e r die F i s c h e r e i in den G r e n z g e w ä s s e r n vom 28. Dezember 1880 (A. S n. F. VI, 640) sich verantworten. Der eine der Angeklagten wurde in Anwendung von Art. 14 des Bundesgesetzes über die Fischerei vom 18. September 1875 (A. S. n. F. II, 90) zu Fr. 20 Buße und zu den Kosten verurtheilt, der andere dagegen freigesprochen.

923 10. Gegen die gleichen Individuen, nämlich die Brüder H e n r i und J u l e s M i se l in Noirmont, Kantons Bern, ist im Jahre 1885 durch die Vermittelung der französischen Botschaft ein neuer Verbalprozeß an uns gelangt, in welchem offiziell konstatirt war, daß dieselben im Juni 1885 am schweizerischen Ufer des Doubs bei ,,Sur les Prés" ohne Ermächtigung und mit zu langen Netzen gefischt haben. Aus den gleichen Gründen, wie im Vorjahre, haben wir die Regierung von Bern eingeladen, die Brüder Misel dem zuständigen Gerichte zur Bestrafung zu überweisen.

In der bezüglichen Verhandlung vom 2. Oktober 1885 erklärte sich jedoch der Polizeirichter von Freibergen al» i n c o m petent, weil die Verhandlungen dargethan haben, daß die eingeklagte Handlung auf französischem Gebiete verübt worden. Nach einem Vertrage vom Jahre 1826 gehöre nämlich das Flußgebiet des Doubs von Biaufonds bis Clairbiez ausschließlich Frankreich an.

Das im Spezialfalle den Gebrüdern Misel zugeschriebene Delikt sei zwischen diesen beiden Lokalitäten begangen worden.

Die nähere Untersuchung der Urkunden betreffend die Grenzverhältnisse zwischen dem Kanton Bern und Frankreich und namentlich der im Schlußakte vom 12. Juli 1826 enthaltenen Grenzbeschreibung hat zwar die thatsächliche Richtigkeit der erwähnten Grenzbestimmung ergeben. Allein wir fanden dennoch, daß das forum delicti commissi im Kanton Bern liege, und ersuchten deßhalb die Regierung des Kantons Bern, die Kassation des Beschlusses des Polizeirichters von Freibergen zu veranlassen und die Kompetenz der bernischen Gerichte zur Anerkennung zu führen.

Es ist uns jedoch das Resultat dieser Verhandlungen noch nicht zur Kenntniß gekommen.

Bei der Behandlung dieser Angelegenheit gingen wir von folgenden Gesichtspunkten aus : In Uebereinstimmung mit den im Strafprozeß allgemein anerkannten Grundsätzen erklärt Art. 16 des Gesetzbuches über das Verfahren in Strafsachen für den Kanton Bern den Ort der Begehung als den ,, o r d e n t l i c h e n G e r i c h t s s t a n d " . Durch den offiziellen Verbalprozeß ist konstatirt, daß die Angeklagten auf dem rechten Ufer des Doubs, also auf s c h w e i z e r i s c h e m (bezw.

herrischem! Gebiete gestanden und von h i e r aus das Vergehen verübt haben. Es sind ohne Zweifel auch die Früchte ihrer Unternehmung in der S c h w e i z
konsumirt worden. Auf f r a n z ö s i s c h e m Territorium hat nichts Anderes stattgefunden, als das Durchsuchen des Flusses. Dieses einzige, für den französischen Gerichtsstand sprechende Moment erscheint aber völlig untergeordnet

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gegenüber der Mehrzahl von Momenten, welche für den Gerichtsstand des Ortes, wo die Angeklagten persönlich sich befunden haben und wo sie betreten worden sind, geltend gemacht werden können.

Auch in der Wissenschaft sind gewichtige Zeugen für die.

Richtigkeit dieser Ansicht zu finden.

Im konkreten Falle muß umsomehr für die Anerkennung des Gerichtsstandes im Kanton Bern plädirt werden, als durch den Vertrag mit Frankreich vom 28. Dezember 1880 die Schweiz die Pflicht übernommen hat, für die Bestrafung derartiger Vergehen besorgt zu sein, während die vom Richter von Freibergen aufgestellte Ansicht den in erwähnter Gegend unbefugt fischenden Personen Straflösigkeit sichern und somit die Ausführung dieses Vertrages hindern würde, weil die französischen Gerichte diese Personen zwar in contumaciam verurtheilen aber die bezüglichen Urtheile in der Regel gar nicht und in einzelnen Fällen nur schwer vollziehen könnten.

Endlieh fällt auch der Umstand in Betracht, daß, wenn man hier eine Konkurrenz zweier Gerichtsstände annehmen wollte, der Anspruch an den französischen Gerichtsstand erloschen wäre, indem die französische Regierung selbst es gewesen ist, welche durch ihre Botschaft in der Schweiz den Autrag gestellt hat, daß die Angeklagten in der Schweiz bestraft werden möchten, somit ein kompetenter Verzicht auf den französischen Gerichtsstand vorliegt.

11. Im März 1885 machte uns die belgische Regierung die Mittheilung, daß neulich in Belgien eine Kommission behufs O r g a n i s a t i o n eines i n t e r n a t i o n a l e n K o n g r e s s e s f ü r H a n d e l s r e c h t niedergesetzt worden sei. Von der Ansicht ausgehend, daß die Handelsbeziehungen heute vor Allem aus internationaler Natur seien und es jeden Tag mehr werden, sowie daß sie es noch mehr sein könnten, wenn sie von einem einheitlichen Rechte geschützt wären, seien zunächst das W e c h s e l r e c h t , der T r a n s p o r t v e r t r a g und das S e e r e c h t in den Kreis der Berathungen gezogen worden. Die Regierung beabsichtige, diesen internationalen Kongreß nach Antwerpen einzuberufen, wo er während der internationalen Ausstellung zusammentreten würde. Sie ersuchte den Bundesrath auch die Schweiz durch eine Delegation repräsentire zu lassen, wobei es freigestellt bleibe, nur an einzelnen Fragen des Programmes sich zu betheiligen.

Wir erklärten die Annahme der Einladung zu den Verhandlungen über das Wechselrecht. Bezuglich des Transportrechtes

925 machten wir die belgische Regierung darauf aufmerksam, daß dasselbe schon den Gegenstand zweier, auf Veranlassung der schweizerischen Regierung abgehaltener internationaler Kongresse (1878 und 1882) gebildet habe, und daß aus diesen Verhandlungen bereits ein vollständiger Entwurf hervorgegangen sei, welcher nur noch der Ratifikation bedürfe. Wir mußten es daher ablehnen, uns an der Behandlung dieser Materie in Antwerpen zu betheiligen. Was das Seerecht anbelangt, so konnte die Schweiz aus naheliegenden Gründen auch an diesen Studien nicht theilnehmen. Die belgische Regierung beeilte sich, mit Rücksicht auf die Resultate der Berner Kongresse, das Transportrecht aus dem Programm für den Kongreß in Antwerpen zu streichen.

Als schweizerischen Delegirten ernannten wir Herrn Prof. Dr.

Paul S p e i se r, Präsident des schweif. Juristenvereins, in Basel.

Der Kongreß trat am 29. September zusammen und hielt Sitzungen bis den 3. Oktober. In Uebereinstimmung mit den ihm gegebeneu Instruktionen hat unser Delegirte an den Verhandlungen in der Abtheilung für Wechselrecht theilgenommen. Außer Belgien und der Schweiz hatten folgende Staaten durch Delegirte sich vertreten lassen : Frankreich, Italien, Holland, Luxemburg, Schweden, Norwegen, Rußland, Finnland, Spanien, Portugal, Rumänien, Serbien, Vereinigte Staaten von Amerika, Argentinien, Aegypten, Japan.

Es waren also namentlich Deutschland, Oesterreich und England nicht offiziell vertreten.

Außer den Regierungen waren auch die Handelsgerichte und Handelskammern, die großen Bankinstitute, juristische Vereine zur Vertretung eingeladen worden und es hatten insbesondere Belgien und Frankreich zahlreiche Delegirte geschickt, während aus Deutschland nur die Anwaltskammer des Reichsgerichts zwei Mitglieder abgeordnet hatte.

Die Sektion für Wechselrecht berieth den Entwurf einer vollständigen Wechselordnung, welchen die belgische Organisationskommission vorberathen hatte. Nach Beendigung der Berathung erhielt diese Kommission den Auftrag, die Arbeiten zur Erreichung des gesteckten Zieles weiter zu führen und eine nochmalige Versammlung in Aussicht zu nehmen. Es ist verstanden, daß der vom Kongresse seiner Zeit anzunehmende Entwurf den Staaten mitgetheilt würde, mit der Einladung, ihn als nationales Gesetz an Stelle des partikulären Wechselgesetzes anzunehmen.

Seit dem Schluß der Konferenz sind uns keine weiteren Mittheilungen gemacht worden.

926 12. Unter den Auspizien der italienischen Regierung trat am 16. November 1885 der d r i t t e i n t e r n a t i o n a l e K o n g r e ß für das G e f ä n g n i sswesen i u Rom zusammen. Am Kongresse waren vortreten Baden, Bayern, Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Holland, Italien, Mexico,Oesterreich,, Ungarn, Rußland, Schweden, Norwegen, Schweiz, Spanien, Uruguay u n d Schweiz, Herr Dr. Guillaume vonNeuenburg,, wurde zum Generalsekretär ernannt.

Der Kongreß selbst theilte sich in drei Sektionen : Strafgesetz gebung, Gefängnißwesen und Maßnahmen zur Verhütung von Verbrechen. Jede Sektion behandelte die ihr durch das Programm zugetheilten Fragen, welche vorher im ,,Bulletin de la Commission pénitentiaire internationale" Gegenstand der Berichterstattung gewesen waren, lieber die Verhandlungen des Kongresses wird seiner Zeit ein besonderer Berieht im Buchhandel erscheinen.

An der Ausstellung der landwirtschaftlichen und industriellen Arbeitserzeugnisse von Gefangenen (Kreisschreiben des Bundesrathes vom 6. Januar 1885; Bundesblatt 1885, I, 27) war die Schweiz durch die Anstalten von Zürich, Lenzburg, Lausaune und Neuenburg würdig vertreten; es wurde den Produkten dieser Etablissements von Seite der Sachverständigen allgemeine Anerkennung gezollt.

Gleichzeitig mit dem Kongresse für das Gefängnisswesen tagte in R o m d e r K o n g r e ß f ü r K r i m i n a a n t h r o p o l o g i e .

Von der internationalen Kommission für das Gefängnisswesen ist als nächster Kongreßort St. Petersburg in Aussieht genommen.

Der Beitrag der Schweiz an die Kosten dieser Kommission von Fr. 67 per Jahr ist mit Fr. 201 für die Jahre 1883, 1884 und 1885 bezahlt worden.

O

13. Die k. und k. ö s t e r r e i c h i s c h - u n g a r i s c h e G e s a n d t s c h a f t sprach den Wunsch aus, es möchten die schweizerischen Behörden von den österreichisch-ungarischen Staatsangehörigen, welche auf dem Gebiete eines Kantons vorübergehenden oder bleibenden Aufenthalt zu nehmen beabsichtigen, neben dem H e i m a t s ei n e oder anStelle desselben die Deponirung eines ordnungsmäßigen A u s l a n d s p a s s e s vorlangen. Im andern Falle ergebe es sich, daß ein österreichisch-ungarischer Staatsbürger unbekümmert und unbehelligt rücksichtlich der Pflichten gegen sein Vaterland, wie Militärdienst oder Militärsteuer u. s. w., in der Schweiz sich aufhalten könne, indem der Heimatschein nur die heimatliche Zu-

927 ständigkeit des Inhabers, nicht aber auch die Bewilligung zum Aufenthalte desselben im Auslande dokumentire und fernerhin jeder Kontrole seitens der Gesandtschaft oder Konsulate entzogen bleibe.

Die angeregte Maßnahme scheine sich auch im Interesse der schweizerischen Behörden zu empfehlen, da der Heimatschein nur von Gemeindevorstehern ausgestellt werde, kein Signalement enthalte, und leicht von einer Hand in die andere übergehen und gefälscht werden könne.

Diese Anregung mußte in Betracht folgender Gesichtspunkte ablehnend beantwortet werden: Bei der Gestattung des Aufenthaltes oder der Niederlassung an österreichisch-ungarische Staatsbürger haben die kantonalen Polizeibehörden zunächst ihr eigenes Interesse zu berücksichtigen. Gerade der Heimatschein ist jedoch am besten geeignet, dieses Interesse, das im zuverläßigen Nachweise der heimatlichen Zuständigkeit besteht, zu wahren. Es kann daher diesen Behörden nicht zugemuthet werden, sich mit einem bloßen Passe zu begnügen, der nicht die gleiche Bedeutung hat und nicht die nämliche Sicherheit gewährt, wie ein Heimatschein.

Auch scheint es nicht angemessen, den Kantonen die Forderung eines Passes n e b e n dem Heimatscheine zu empfehlen, weil die Angehörigen der österreichisch-ungarischen Staaten gemäß Art. l des Niederlassungsvertrages zwischen der Schweiz und OesterreichUngarn vom Jahre 1875 das Recht besitzen, bezüglich der Bedingungen des Aufenthaltes und der Niederlassung den Inländern gleichgehalten zu werden.

14. Die Entwicklung des Handels- und Verkehrslebens, sowie die Erleichterung des Reisens haben auch einen vermehrten V e r kehr der inländischen Gerichte mit denjenigen der a u s w ä r t i g e n S t a a t e n zur Folge. Wir sind stets bemüht gewesen, solche amtliche Korrespondenzen möglichst zu befreien von lästigen Formen und hohen Gebühren. Das Einfachste wäre wohl, wenn es den Gerichten und überhaupt allen Behörden gestattet würde, überall d i r e k t mit einander zu korrespondiren. Es ist nicht anzunehmen, daß die staatlichen Interessen irgendwie gefährdet würden, während die betheiligten Privaten ganz leicht durch entsprechendes Verhalten sich selbst vor Sehaden schützen könnten.

Indeß ist es uns bis jetzt nur gelungen, mit Oesterreich-Ungarn.

Italien und Deutschland Uebereinkommen abzuschließen, wodurch der direkte Verkehr zwischen den Behörden, mit Ausnahme der Auslieferungsangelegenheiten, freigegeben ist.

Im Einzelnen mögen folgende Nachweise von Interesse sein:

928 a. Die Uebereinkunft mit Oes t e r r e i e h - U n g a r n aus dein Jahre 1856 (cf. Ullmer, Staatsrechtliche Praxis, Bd. I, Nr. 605 tun Ende, litt, e, und Bundesblatt 1857, I, 186).

b. Mit I t a l i e n ist eine bezügliche Vereinbarung getroffen in, Art. III des Protokolls betreffend die Vollziehung der Verträge von 1868 (A. S. IX, 757) Darnach können die Obergerichte der Kantone und das Bundesgericht direkt korrespondiren mit den italienischen Appellationshöfen und umgekehrt.

c. Was das D e u t s c h e K eic h betrifft, so sind die am 1. und 13. Dezember 1878 ausgewechselten Erklärungen maßgebend (A. S.

n. F. III, 661).

d. F r a n k r e i c h hat von jeher die Bewilligung des direkten Verkehrs verweigert, obschon die Lokalbehörden täglich direkt verkehren. Mit Kreisschreiben vom 22. Mai 1883 (Bundesblatt 1883, II, 1031) waren wir genöthigt, die Kantonsregierungen darauf aufmerksam zu machen, daß nach Vorschrift der zwei Verträge mit Frankreich vom 15. Juni und 9. Juli 1869 (A. 8. IX, 1002 ff., und X, 35 ff.) sowohl in civilrechtlichen wie in strafrechtlichen Angelegenheiten die diplomatische Vermittlung stattfinden müsse.

Es ist jedoch den hierseitigen Bemühungen gelungen , mittelst eines modus vivendi einige Modifikationen zu erzielen, welche wir mit Kreisschreiben vorn 20. Januar 1885 (Bundesblatt 1885, I, 189) sämmtlichen Kantonsregierungen zur Kenntniß gebracht haben.

e. Für die amtliche Korrespondenz mit den Behörden derjenigen Staaten, mit denen die Schweiz Auslieferungsverträge abgeschlossen hat, ist für Geschäfte dieser Art durchweg der diplomatische Weg vorgeschrieben.

Es versteht sich von selbst, daß gemäß Art. 10 der Bundesverfassung auch mit den Behörden solcher Staaten, mit welchen die Schweiz keine Verträge hat, der diplomatische Weg beobachtet werden muß. Der Unterschied im Verkehr mit den letztern Staaten besteht darin, daß die Behörden die erlaufenden Kosten reklamiren können.

Für (Zivilsachen ist immer die Form von Rogatorien nöthig und zwar in der Weise, daß der requirirende Richter im Rogatorium der requirirten Behörde gegenüber die Beobachtung der Reziprozität und die Bezahlung der erlaufenden Kosten anbietet. Für viele, namentlich überseeische Staaten, ist auch die Légalisation durch ihre Repräsentanten in der Schweiz vorgeschrieben. Die Mittheilung der Rogatorien und der Protokolle über ihre Erledigung muß durch Vermittlung der Regierungen geschehen.

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15. Im Anschlüsse an unsere Bemerkungen im letztjährigen Geschäftsberichte betreffend die K o r r e s p o n d e n z z w i s c h e n d e n s c h w e i z e r i s c h e n und ausländischen Behörden fügen wir hier bei, daß wir in Entsprechung eines bezüglichen Wunsches der f r a n z ö s i s c h e n , sowie der b e l g i s c h e n Regierung die kantonalen Behörden mittelst Kreisschreiben darauf aufmerksam gemacht haben, künftighin bei ihren Requisitionsschreiben an die Gerichtsstellen dieser beiden Länder die Bezeichnung des speziell mit der Amtshandlung betrauten Gerichtes noch mit dem Zusatz zu versehen : ,, o d e r an j e d e a n d e r e kompetente Behörde" (ou à toute autre autorité compétente). Durch diese allgemeine Fassung wird es nämlich dem Richter, welcher irrthümlicher Weise mit dem Vollzug des Requisitorials betraut worden ist, ermöglicht, dasselbe von sich aus der zuständigen Amtsstelle zur Erledigung zu überweisen. Die bezüglichen Kreisschieiben finden sich im Bundesblatt 1885, I, 584, und II, 851.

Auf den hierseitigen Antrag hat auch das französische Justizministerium an die dortigen Gerichtsbehörden ähnliche Instruktionen, erlassen (Bundesblatt 1885, III, 749).

16. Nach Art. IV des F r e u n d s e h a f t s - , N i e d e r l a s s u n g s u n d H a n d e l s v e r t r a g e s zwischen d e r S c h w e i z u n d G r o ß b r i t a n n i e n vom 6. September 1855 können die Bürger und Unterthanen der beiden Vertragsstaaten auf dem Gebiete des andern jede Art von Eigenthum vollkommen frei erwerben und besitzen, soweit die Landesgesetze den Angehörigen irgend einer fremden Nation es gestatten.

Auf der andern Seite enthält ein Gesetz des Kantons Waadt vom 17. Januar 1849 in Art. 9 die Vorschrift, daß ausländische Gemeinschaften, Korporationen und Stiftungen, welcher Art sie auch seien, im Kantone kein Grundeigentum erwerben können.

Der Staatsrath sah sich daher zu der Einfrage veranlaßt, ob diese Bestimmung durch oben erwähnten Art. IV des Vertrages zwischen der Schweiz und Großbritannien aufgehoben worden sei oder nicht.

Wir haben geantwortet, wie folgt: Der Freundschafts-, Handels- und Niederlassungsvertrag zwischen der Schweiz und Großbritannien vom 6. September 1855 habe für die vertragschließenden Theile in Bezug auf die allgemeinen Rechte der Angehörigen beider Staaten, wie z. B
Aufenthalts- und Niederlassungsrecht, Handels- und Gewerbefreiheit, nichts Anderes festsetzen wollen, als was in sämmtlichen internationalen Vereinbarungen der neuern Zeit stipulili worden. Ein Hauptgrundsatz, der allen diesen Verträgen gemeinsam sei, gehe nun dahin,"daß, wo nicht

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ausdrücklich etwas Anderes festgesetzt worden, die vertragsmäßigen Rechte und Vortheile nur auf p h y s i s c h e E i n z e l p e v so neu und nicht auf juristische, durch den Staat und dessen Gesetzgebung künstlich geschaffene Persönlichkeiten, seien dieselben Personenverbände (Gesellschaften, Genossenschaften, Gemeinschaften) oder Stiftungen u. s. f., sich beziehen.

Die vom Staate künstlich geschaffenen Rechtssubjekte hängen in ihrer Existenz und Organisation von der Willkür der Landesgesetzgebung ab. Da aber kein Staat, die Gesetzgebung eines andern Staates ohne Weiteres und ohne Vorbehalt der seinigen gleichstellen werde, so verstehe es sich nicht von selbst, daß Dasjenige, was dem einzelnen Angehörigen eines fremden Staates eingeräumt sei, eo ipso auch einem aus mehreren Personen bestehenden, nach der ausländischen Gesetzgebung normirten und organisirten Verbände oder einer durch die fremde Gesetzgebung zugelassenen Stiftung gewährt werden müsse. Wenn zwei Staaten nach Prüfung ihrer beidseitigen Gesetzgebung in dieser Beziehung sich Zugeständnisse machen, so könne es nur auf dem Wege von klaren und positiven Bestimmungen eines Staatsvertrages geschehen.

Mit Großbritannien habe jedoch die Schweiz ein bezügliches Abkommen nicht getroffen. Es stehe daher jedem der beiden Theile frei, zu bestimmen, in welcher Weise er sich gegenüber den juristischen Rechtssubjekten des andern Staates verhalten wolle.

Auf Grund dieser Erörterungen sei deßhalb auch die Frage, ob Gemeinschaften, Körperschaften und Stiftungen, die in England errichtet worden und dort ihren Sitz haben, vom Erwerbe von Grundeigentum im Kanton Waadt ausgeschlossen werden können, zu bejahen, mit dem einzigen Vorbehalte, daß die waadtländische Gesetzgebung a l l e fremden Rechtsbildungen dieser Art g l e i c h zu behandeln habe.

17. Eine Kantonsregierung beschwerte sich darüber, dass mehrmals V a g a n t e n - F a m i l i e n d e u t s c h e r N a t i o n a l i t ä t , die als Korbmacher oder Kesselflicker umherzogen und ans der Schweiz ausgewiesen werden mußten, von den d e u t s c h e n G r e n z belio r den n i c h t a u f g e n o m m e n w o r d e n s e i e n , obschon sie mit Ausweisschriften deutscher Behörden (Arbeitsbüchern oder Gewerbelegitimationsscheinen) als deutsche Reichsangehörige sich zu legitimiren vermochten.
Wir konnten indeß diese Reklamation nicht begründet finden, indem Arbeitsbücher und Gewerbelegitimationsscheine nicht als unverdächtige Heimatsurkunden im Sinne von Art. 7 des Nieder-

931 lassungsvertrages zwischen der Schweiz und dem deutschen Reiche angesehen werden müssen und somit gegenüber den Inhabern solcher Papiere die Uebernahmepflicht Seitens der deutschen Grenzbehörden nicht festgestellt ist (vergi. Kreisschreiben vom 13. September 1880, Bundesbl. 1880, III, 685).

Wenn überhaupt n i c h t g e h ö r i g l e g i t i m i r te A u s l ä n d e r im Innern eines Kantons erscheinen, so bleibt nichts Anderes übrig, als durch Protokoll zu konstatiren, woher sie gekommen und sodann nach den im Kreisschreiben vom 18. April 1878 (Bundesbl.

1878, II, 690) gegebenen Instruktionen zu verfahren, d. h. sie auf dem gleichen Wege zurückzuweisen.

Was dagegen die polizeiliche Zuweisung von D e u t s c h e n betrifft, deren S t a a t s a n g e h ö r i g k e i t n a c h g e w i e s e n o d e r d u r c h vorherige K o r r e s p o n d e n z festgestellt ist, so ist diesfalls das ,,Zusatzprotokoll" zum Niederlassungsvertrage mit dem deutschen Reiche, vom 21. Dezember 1881, maßgebend (A. S.

n. F. VI, 273). Die Uebergabe der wegzuweisenden Personen hat hiernach an die in diesem Protokolle bezeichneten deutschen Grenzbehörden zu erfolgen.

18. Die G e s a n d t s c h a f t der V e r e i n i g t e n S t a a t e n von A m e r i k a hat die Anfrage einer kantonalen Polizeibehörde, ob die rechtzeitige Erneuerung der Pässe von Bürgern der Vereinigten Staaten, welche in der Schweiz wohnen, zum Zwecke der Beibehaltung ihrer amerikanischen Nationalität und ihres amerikanischen Bürgerrechtes nothwendig sei, dahin beantwortet, daß weder der Vertrag zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten von 1850, noch die Instruktionen der Gesandtschaft eine solche Bedingung aufstellen. Die allen Gesandtschaften der Vereinigten Staaten gemeinsamen Instruktionen enthalten allerdings die Vorschrift, daß ein Paß 2 Jahre lang, und nicht länger, gültig sei und daß nach Ablauf von 2 Jahren von seinem Datum hinweg kein Visum mehr beigesetzt werden dürfe, wohl aber könne auf Begehren des Inhabers ein neuer Paß ausgestellt werden. Allein die Behörden der Vereinigten Staaten seien keineswegs der Ansieht, daß der Inhaber des Passes, wenn er ihn nach Ablauf von 2 Jahren nicht erneuern lassen sollte, sein Bürgerrecht in den Vereinigten Staaten verlieren würde.

Die Regierung des betreffenden Kantons wünschte, daß wir
hierüber eine Erklärung der Regierung der Vereinigten Staaten veranlaßen möchten, zumal die Ausstellung eines neuen Passes mit Schwierigkeiten und Kosten verbunden sei.

932

Wir glaubten jedoch, auf diesen Autrag nicht eintreten zu sollen, obschon allerdings die Erlangung eines neuen Passes als Bürger der Vereinigten Staaten an strenge Formen geknüpft und mit einer ansehnlichen Auslage verbunden ist (Bundesblatt 1880, II, 596). Es ist nämlich nicht zu übersehen, daß diese Vorschriften a l l g e m e i n und ü b e r a l l Anwendung finden auf die Bürger der Vereinigten Staaten, so daß eine Abweichung zu Gunsten von solchen Bürgern dieser Staaten, die in der S c h w e i z leben, nicht erwartet werden darf. Zudem ist es Sache der Bttheiligten, im Nothfälle selbst die Beweise der Nationalität sich zu sichern; die schweizerischen Behörden haben keinen Beruf, deren Interessen zu wahren.

Anders würde es sich verhalten in dem Falle, wo es sich nur einen u r s p r ü n g l i c h e n S c h w e i z e r handeln sollte, der nach seiner Naturalisirung in den Vereinigten Staaten wieder in die S c h w e i z zurückgekehrt wäre (Bundesblatt 1878, II, 508, Nr. 28, und 1879, U, 616, Nr. 31). In diesem Falle wäre es geboten, daß die schweizerischen Behörden rechtzeitig Vorsorge treffen, damit nicht die Einrede geltend gemacht werden kann, es habe der betreffende Bürger seinen Aufenthalt in der Absieht in die Schweiz verlegt, um seine ursprüngliche Nationalität wieder zu erwerben, und diese Absicht sei durch ruhige Duldung von Seite der Behörden anerkannt worden.

19. Die Vollziehung der Ue be r e i nku n ft mit F r a n k r e i c h betreffend die Nationalität der Kinder und den Milit ä r d i e n s t d e r S ö h n e v o n i n d e r S c h w e i z n a turalisirten F r a n z o s e n , vom 23. Juli 1879 (A. S. n. F. V, 178), hat seit der ergänzenden Vereinbarung von 1881 über das formelle Verfahren zur Sicherung der rechtlichen Folgen der Optionserklärungen für die Schweiz (Bundesblatt 1882, II, 744, Nr. 27) guten Erfolg gehabt.

Es wurden im Berichtjahre 79 definitive Optionserklärungen zu Gunsten der Schweiz (1884: 77, 1883: 56) und 60 Anzeigen von der Absicht zur Option (1884: 57, 1883: 53) abgegeben, während keine Erklärung für Beibehaltung der französischen Nationalität (1884: 3, 1883: keine, 1882: 1) eingegangen ist.

Noch häufig waren wir genöthigt, die Optionsurkunden, bevor wir sie der französischen Botschaft zukommen lassen konnten, wieder an die betreffenden Kantonsregierungen, durch
deren, Vermittlung wir dieselben erhalten hatten, zur Abänderung, beziehungsweise Vervollständigung, zurückzuschicken. Wir erinnerten hiebei daran, daß die Optionserklärungen und Optionsanzeigen, um gültig zu

933

sein, genau in Uebereinstimmung mit den Formularen, welche den Kantonen mittelst Kreisschreiben vom 27. Juli 1880 (Bundesblatt 1880, 111, 523) und 14. April 1882 (Bundesblatt 1882, II, 360) mitgetheilt worden. redigirt sein müssen, und daß die Anzeigen im Laufe desjenigen Jahres, in welchem der Optant sein 20. Altersjahr zurücklege, d. h. zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember jenes Jahres, und die definitiven Erklärungen im Laufe des 22. Altersjahres des Optanten, also zwischen dem 21. und 22. Jahre, abzugeben sind.

Zur weiteren Orientirung verweisen wir auf Bundesblatt 1880, 111, 525, IV, 676; 1882, II, 364 und 744; 1883, I, 128, IV, 838; 1884, II, 727; 1885, I, 185, II, 677.

20. Wegen der Wichtigkeit der Optionserklärungen, welche Aenderung der Nationalität zur Folge haben, sind keine B e r i c h t i g u n g e n in den betreffenden Urkunden gestattet, ausgenommen, es werden dieselben speziell durch die Unterschrift des Beamten, der die Erklärung entgegennimmt, bestätigt.

21. Unser Justiz- und Polizeidepartement hat beim Nachschlagen seines Registers über die Optanten die Wahrnehmung gemacht, daß einzelne Derjenigen, welche provisorisch optirt hatten, sich nicht mehr um die A b g a b e e i n e r d e f i n i t i v e n O p t i o n s e r k l ä r u n g im Laufe ihres 22. Altersjahres zu kümmern schienen.

Es ließ daher dieselben, durch Vermittlung der Kantonsregierungen, im letzten Augenblick auf ihre Stellung aufmerksam machen, worauf jene noch zu rechter Zeit das Versäumte nachholten und definitiv zu Gunsten der schweizerischen Nationalität optirten.

22. Von den jungen Männern, welche bereits die Anzeige gemacht hatten, wenn volljährig geworden, für die schweizerische Nationalität optiren zu wollen, haben mehrere die Rekrutirungsz i r k u l a r e angenommen, welche die französische Botschaft als Aufforderung zur Theilnahme an der Loosziehung an diejenigen Franzosen in der Schweiz versendet, die sich im militärpflichtigen Dienstalter befinden. Wir sahen uns in Folge dessen veranlaßt, die Interessenten, unter Bezugnahme auf das Kreisschreiben vom 14. April 1882 (Bundesblatt 1882, II, 364), auf den Widerspruch hinzuweisen, welcher in jener Handlungsweise liegt, indem sie mit der Annahme der besagten Zirkulare gleichsam ihre französische Nationalität anerkennen, während sie sich andererseits durch ihre provisorische Option schon für die schweizerische Nationalität ausgesprochen haben.

934 V. Rekurswesen.

1. Statistik.

Im Jahre 1885 waren mit Einrechnung der aus dem Vorjahre anhängig gebliebenen Fälle 150 Rekurse (1884: 150 ; 1883: 158) zu behandeln, von welchen 146 ihre Erledigung fanden und 4 als unerledigt auf das Jahr 1886 übergetragen wurden.

In 97 Rekurse (1884: 99; 1883: 100) traten wir materiell nicht ein, theils weil ausschließlich die kantonalen Behörden oder das Bundesgericht für den Entscheid kompetent waren, theils weil da, wo unsere Kompetenz materiell wirklich begründet gewesen wäre, der kantonale Instanzenzug noch nicht erschöpft war.

Die übrigen 49 Rekurse (1884: 41; 1883: 46) betrafen dem Gegenstande nach : 16 Beeinträchtigung der Handels- und Gewerbefreiheit; 4 Verweigerung von Ausweisschriften durch die Heimatbehörde und Rüekhaltung von solchen am letzten Wohnort; 19 Verweigerung und Entzug der Niederlassung; 5 Beeinträchtigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit.

5 Stimmrecht und Wahlen; Vier dieser Rekurse wurden zurückgezogen und sieben dadurch erledigt, daß die kantonalen Behörden von sich aus den Rekurrenten entsprachen. Es blieben demnach 37 Beschwerden übrig, welche materiell zu entscheiden waren (1884: 37; 1883: 40); 29 derselben wurden abgewiesen und 7 begründet erklärt. Ein Rekurs wurde theilweise begründet erklärt, theilweise abgewiesen.

Die Bundesversammlung hatte sich im Jahre 1885 mit 14 Beschwerden und Rekursen gegen Entscheide aus dem Geschäftskreisedes Justiz- und Polizeidepartements zu befassen (1884: 6; 1883: 14). In 10 Fällen hat sie unsern Entscheid bestätigt; in einem Falle wurde, gemäß unserm Antrag, Nichteintreten beschlossen; ein Rekurs, den die Bundesversammlung an uns zurückgelangen ließ, mit der Einladung, zwischen den Parteien einen Ausgleich zu versuchen, war zu Ende des Jahres 1885 noch nicht erledigt ; zwei Rekurse wurden zurückgezogen.

Außerdem hatte sich unser Justiz- und Polizeidepartement mit einer direkt an die Bundesversammlung gerichteten Petition zu befassen.

935 2. Rekursgegenstände.

a. Handels- und Gewerbefreiheit.

aa. Statistik.

Die Zahl der Rekurse betreffend die Handels- und Gewerbefreiheit hat sich neuerdings vermindert; sie beträgt im Berichtjahre 21 (1884: 30; 1883: 39). Ueber die Rekursgegenstände und deren Erledigung gibt die nachstehende Aufstellung Auskunft.

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Hausirwesen Beruf der Schuldboten Advokatur .

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l>b. Allgemeine Bemerkung betreffend die auf das Wirthschaftswesen sich beziehenden Rekursbeschwerden.

Die am 25. Oktober 1885 erfolgte Annahme der von den eidgenössischen Räthen beschlossenen Revision des Art. 31 der Bundesverfassung wird zur Folge haben , daß in noch höher Grade al» bisher die Rekursentscheide der Bundesbehörde betreffend das Wirthschaftswesen von dem Ergebnisse der Vorprüfung und Würdigung abhängig sind, welches dem kantonsbehördlichen Entscheide zu Grunde liegt. Zu dem bisher schon den Kantonen vorbehaltenen Rechte, über die Ausübung von Handel und Gewerben Verfügungen zu treffen, ist nun in Art. 31 der Bundesverfassung unter Litt, c der besondere Vorbehalt gekommen, daß die Kantone auf dem Wege der Gesetzgebung die Ausübung des Wirthschaftsgewerbes

936

und des Kleinhandels mit geistigen Getränken d e n d u r c h d a s ö f f e n t l i c h e W o h l g e f o r d e r t e n B e s c h r ä n k u n g e n unterwerfen können.

Es läßt sich die Frage aufwerfen, ob bei diesem weitgehenden Vorbehalt au Gunsten der kantonalen Autonomie ein Bundesrekursrecht auf juristischer Grundlage sich noch erhalten könne und eventuell, ob es nunmehr nicht angezeigt sei, die Behandlung einschlagender Beschwerden dem Justiz- und Polizeidepartement abzunehmen und dem Departement des Innern zu überweisen.

Der Bundesrath glaubt, abwarten zu sollen, ob und in welchem Sinne die Anwendung der angeführten neuen Bestimmung des Art. 31 der Bundesverfassung zu Beschwerden Anlaß geben werde. Es ist ja allgemein anerkannt, daß schon unter der bisherigen Fassung des Art. 3l die Spruchpraxis der Bundesbehörden in Hinsicht auf das Wirthschaftswesen eine solche war, daß der Bund zum Kantone sagen konnte: ,,Ich habe schon so viel für dich gethan, daß mir zu thun fast nichts mehr übrig bleibt !"· Wenn nun seit dem 25. Oktober 1885 das Recht der Kantone in diesem Gebiete noch erheblich erweitert ist, so dürfte daraus dem Bunde die Pflicht erwachsen, um so aufmerksamer den Grundsatz des Art. 31 gegen eine möglicherweise unbegründete Anwendung der verstärkten kantonalen Befugnisse zu wahren und um so entschiedener denselben da aufrecht zu erhalten, wo das öffentliche Wohl eine beschränkende Maßnahme nicht rechtfertigen sollte. Von diesem Gesichtspunkte aus erachten wir es dermalen wenigstens nicht für zweckmäßig, die Vorberathung und Antragstellung hinsichtlich der Wirthschaftsrekurse vom Justiz- und Polizeideparteinent an ein anderes Departement unserer Behörde übergehen zu lassen.

ce. Einzelne Rekursfälle und Bemerkungen.

1. W i r t h s c h a f t s w e s e n .

1. Mit Eingabe vom 10. Januar abbin beschwerte sich F r i e d r i c h P r y s i , von Uebeschi, Kantons Bern, Küher in Neuenburg, gegen einen Beschluß des S t a a t s r a t h e s des K a n t o n s N e u e n b u r g vom 30. Dezember vorigen Jahres, durch welchen ihm die Bewilligung zur Betreibung eines Weinschankes und einer Speisewirthschaft in der Stadt Neuenburg verweigert wurde.

Wir haben den Rekurrenten unterm 16. März 1885 abgewiesen, in Erwägung : 1) Art. 3 der neuenburgischen Verordnung über das Wirthschaftswesen vom 6. April 1863 bestimmt, daß die Wirthschafts-

937

bewilligung verweigert, werden kann, wenn die Lage oder innere Eintheilung des zur Wirthschaft bestimmten Gebäudes der Polizei die gehörige Ausübung der Aufsicht nicht gestaltet, und wenn der Bewerber sich nicht über einen guten Leumund ausweisen kann.

2) Diese Bestimmungen, auf welche die Regierung des Kantons Neuenburg ihre Weigerung gründet, sind mit Art. 31 der Bundesverfassung nicht i in Widerspruch.

Prysi ist nun aber nicht im Falle, diese Erfordernisse zu erfüllen und das im Wirthschaftsgesetz vorgesehene Zeugniß über guten Leumund vorzuweisen.

3") Im Uebrigen ist es Sache der kantonalen Regierung und nicht der Bundesbehörde, zu würdigen, ob die in Frage kommenden Räumlichkeiten ihrer Bestimmung entsprechen und derart gelegen seien, daß eine wirksame Ueberwachung derselben durch die Polizei möglich ist.

2. Ein von Herrn Fürsprecher Reichenbach in Burgdorf unterm 11. April v. J. Namens des J a k o b J e g e r l e h n e r , Müller und Posthalter in Waltrigen, Amts Trachselwald. Kantons Bern, eingereichter Rekurs gegen einen Entscheid des R e g i e r u n g s r a t h e s d e s K a n t o n s B e r n vom 21. Februar 1885; wegen Verweigerung eines Wirthschaftspatentes, wurde von uns am 1. Juni 1885 gestützt auf folgende Erwägungen als u n b e g r ü n d e t abgewiesen: 1) Die in Art. 16 der bernischen Vollziehungsverordnung vom G. Juni 1879 enthaltene Bestimmung betreffend die Höhe der Wirthschaftslokale findet sieh wörtlich gleich oder ähnlich lautend auch in den Verordnungen anderer Kantone und kann nicht als eine mit Art. 31 der Bundesverfassung unverträgliche Vorschrift betrachtet werden Ob dieselbe mit dem Gesetze des Kantons Bern vom 4. Mai 1879 betreffend das Wirtschaftswesen im Einklänge stehe, ist eine Frage, welche der Bundesrath nicht zu untersuchen h a t .

2) Die von den Behörden des Kantons Bern gegen das Patentgesuch des Rekurrenten erhobene Einwendung, daß das Haus und die Lokale, in denen die Wirthschaft betrieben werden sollte, sowie andere Einrichtungen des betreffenden Gebäudes, z. B. die Aborte, nicht zweckentsprechend erstellt seien und den gesetzlichen Anforderungen nicht genügen, daß die Wirthschaftslokale miment lieh in sanitarischer Hinsicht wegen der Höhe, Ventilirbarkeit etc..

nicht volle Gewähr bieten , ist durch die konstante bunde-rechtliche Praxis als hinreichende Begründung für Ablehnung eines Patentgesuches anerkannt.

Bundesblatt. 38. Jahrg. Bd. I.

G5

938

In Bezug auf das thatsächliche Vorhandensein solcher Ausschlußgründe stellen die Bundesbehörden jeweilen auf das Ergebniß der kantonalbehördlichen Untersuchung ab. (Vergl. insbesondere Bundesrathsbeschluß vom 14. März 1882 im Bundesblatt 1883, IT, 866.)

Im vorliegenden Falle kann der Bundesrath umsoweniger veranlaßt sein, von dieser Praxis abzugehen und dem eventuellen Begehren des Rekurrenten betreffend eine Oberexpertise zu entsprechen, als die Regierung dea Kantons Bern in ihrer Rekursautwort vom 22. April 1885 erklärt h a t , daß ihr die fraglichen Räumlichkeiten hinlänglich bekannt seien, weßhalb sie von der Anordnung eines neuen Augenscheins Umgang genommen habe.

3) Den Parteianträgen betreffend Kostenersatz wird im staatsrechtlichen Rekursverfahren von den administrativen Bundesbehörden keine Folge gegeben.

3. Das Bezirksgericht von E n t l e b u c h hat den Metzger Jo s ep h S c h m i d i g e r daselbst gestützt auf die Thatsache, daß derselbe Sonntags den 15. März 1885, ohne ein Wirthschaftspatent zu besitzen , in seiner Wohnung mehreren Gästen Suppe und andere Speisen vorgesetzt hatte, der Uebertretung des luzernischen Gesetzes über die Wirtschaften vom 22. November 1883 für schuldig erklärt und zu einer Geldbuße von Fr. 20, sowie zur Tragung sämmtlicher Kosten verurtheilt.

Mit Eingabe an den Bundesrath verlangte Joseph Schmidiger die Aufhebung dieses Urtheils, weil dasselbe mit Art. 31 der Bundesverfassung im Widerspruch stehe.

Am 17. August 1885 wurde der Rekurs als u n b e g r ü n d e t abgewiesen, in Erwägung : 1) Die Frage, ob die Verabreichung von Suppe und zubereiteten Fleischspeisen an einkehrende Gäste unter dein Wirthschaftsgesetz des Kantons Luzern vom 22. November 1883, gleich wie früher unter dem Gesetze vom 31. August 1864 als sogenannte Metzgereiwirthschaft nur nach Einholung eines Patentes geschehen dürfe oder ob das Auswirthen von Suppe und Speisen im Kanton Luzern nunmehr freigegeben und demzufolge der Rekurrent mit Unrecht vom Bezirksgericht der Uebertretung des neuen Wirthschaftsgesetzes schuldig erklärt und bestraft worden sei, ist nicht vom Bundesrath zu beantworten. Dieselbe unterliegt vielmehr der Entscheidung der zur Anwendung, beziehungsweise Auslegung der kantonalen Gesetze kompetenten Behörden des Kantons Luzern.

939 2) Der Bundesrath hat sich lediglich zu fragen, ob die Unter.ordnung des vom Rekurrenten betriebenen, unter Ziff. l erwähnten Gewerbes unter den Begriff einer staatlieh zu kontrolirenden, besonders zu besteuernden und von einer speziellen Bewilligung (Patentirung) abhängenden Wirthschaft im Sinne von § 2 des luzernischen Gesetzes vom 22. November 1883 einen Verstoß gegen Art. 31 der Bundesverfassung bilde.

Hieyon kann offenbar nicht die Rede sein. Es ist deßhalb auch die Bestimmung des früheren Wirthschaftsgesetzes des Kantons Luzern (§ 21), wo von den Metzgereiwirthschaften besonders die Rede war, bundesrechtlich niemals beanstandet worden.

4. Durch Beschluß vom 25. September 1885 haben wir hinwieder den Rekurs eines J o s e p h A f f e n tra n g er, Wagner, im Markt zu Werthenstein bei Wohlhusen, gegen die Regierung des K a n t o n s L u z e r n wesentlich aus folgenden Erwägungen gutgeheißen : 1) Durch Bundesbeschluss vom 6./7. Juli 1883 (Rekursentscheid in Sachen Grämiger, resp. Kantonalbank von Appenzell A. Rh.

gegen Gemeindebehörde von Wyl [St. Gallen]) haben dio gesetzgebenden Räthe der Eidgenossenschaft in Bestätigung des durch eine konsequente Praxis seit 1874 festgestellten Bundesrechts erkannt, daß die Beschränkung der Wirtschaften in einer Ortschaft auf eine dem Bedürfnisse entsprechende Zahl dem Grundsatze der Gewerbefreiheit (Art. 31 der Bundesverfassung) zuwiderlaufe, und demgemäß den Art. 4, Abs. 2, des st. gallischenWirthschaftsgesetzess von 1881 als dem Art. 31 der Bundesverfassung widersprechend nußer Kraft gesetzt (B. B. 1884, II, 751).

2) Die von der Bundesversammlung durch den unter Ziff. l angeführten Beschluß mit dem Bundesrechte unvereinbar erklärte Stelle des St. Galler Gesetzes stimmt mit § 20, Abs. l, des Luzerner Gesetzes über die Wirthschaften von 1883, auf welchen der Eegierungsrath von Luzern in casu sich beruft, beinahe wörtlich überein.

In dem erwähnten Rekursfalle aus dem Kanton St. Gallen hatte die dortige Kantonsregierung zur Begründung einer WirthschaftspatentverWeigerung auf die Ueberhandnahme der Wirthschaften in der Gemeinde Wyl hingewiesen, wo bei einer Bevölkerungszahl von 2947 Einwohnern auf je 61 Einwohner l Wirthschaft entfalle (B. B. 1883, l, 222).

Im vorliegenden Falle setzt die Regierung von Luzern das Verhältnis der Wirthschaften in Wohlhusen-Werthenstein zur Einwohnerzahl gleich l zu 275.

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3) Demgemäß steht t'est, daß die allegirte Bestimmung des luzernischen Wirthschaftsgesetzes gegenüber dem Art. 3l der Bundesverfassung unwirksam bleiben muß.

Es darf jedoch, abgesehen hievon, als fragli h erscheinen, ob die beabsichtigte Eröffnung einer Bier- und Mostwirtschafts in der Gemeinde Werthenstein, an der Stelle einer zu Anfang 1884 eingegangenen Wein- und Speisewirtschaft und bei im Uebrigen gleich gebliebener Zahl der ausschließlich aus allen TavernenGasthäusern bestehenden anderen Wirthschaften, als eine zu starke und ernstliehe Besorgniß für das öffentliche Wohl erregende Vermehrung der dortigen Wirthschaften angesehen werden kann.

4) Aus dem Berichte des Statthalteramtes Sursee an den Regierungsrath vom 2. Januar 1885 geht hervor, daß die Klage dieser Behörde über die Zahl der in Wohlhusen-Werthenstein befindlichen Wirthschaften sich wesentlich darauf gründet, daß dieselben der Polizei viele Schwierigkeilen bieten.

Nun liegen aber über die Person des Rekurrenten und dessen Familienglieder, sowie -- was hier namentlich in Betracht fällt -- über dessen Wirtschaftsführung bis zu Anfang 1884 sehr günstige Zeugnisse der zuständigen Gemeindebehörden vor und es können deßhalb die Klagen der Polizei ihm gegenüber billigerweise nieht in Betracht fallen.

5. Seit dem 25. Oktober '1885 ist von uns unter andern folgender Rekursfall entschieden worden: Jakob Leonz K o h l e r, Schreiner, in Baden, wurde in erster Linie von der a a r g a u i sch en Finanzdirektion und am '10. August abhin in zweiter Linie von der aargauischen Regierung mit dem Gesuch der Ertheilung eines Wirthschaftspatentes abgewiesen.

Namens des Abgewiesenen führt Herr Fürsprech Guggenheim in Baden wegen Verletzung der in Art. 31 der Bundesverfassung gewährleisteten Handels- und Gewerbefreiheit mit Eingabe vom 1. September abhin Beschwerde beim Bundesrath.

Das Patent wurde dem Rekurrenten nach dem Antrage des Gemeinderathes von Baden, gestützt auf § 16, litt, e, des aargauischen Wirthschaftsgesetzes, verweigert, indem die zur Wirthschaft bestimmte Räumlichkeit in einem einzigen, räumlich beschränkten und das ganze Plainpied umfassenden Zimmer bestehe, welches in Hinsicht auf Lage, Bauart und Größe den Anforderungen des Gesetzes nicht entspreche. Die Straße (Kronengasse), in welcher das in Frage stehende Gebäude gelegen sai, sei nämlich eine Sackgasse. Das Bezirksamt spreche sieh nicht gerade für Abweisung

941

des Gesuches aus, anerkenne aber auch, daß gegenüber den vielen andern geräumigen Wirthschaften in Baden die fragliche Lokalität einen Vergleich nicht aushalte.

Nach Einsichtnahme der Vernehmlassung der aargauischen Regierung vom 11. September haben wir am 7. Dezember 1885 beschlossen, den Rekurs als u n b e g r ü n d e t abzuweisen, in Erwägung, daß die Einwendungen des Gemeinderathes von Baden und der Regierung d e s Kantons Aargau gegen d a s v o m Rekurrenten sichtlich der Lage, Bauart und Größe des zur Wirthschaft bestimmten Gebäudes und Lokals stützen, deren bundesrechtliche Zulässigkeit seit d e r Partialrevision d e s Art. 3 1 d e r Bundesverfassung gemäss h r zweifelt werden kann.

2. H a u s i r w e s e n.

6. Im Geschäftsberichte für 1883 haben wir (Bundesblalt, 1884, II, 755 und 756) unseres Rekursentscheides vom 16. März 1883 gedacht, durch welchen der in Peterlingen (Waadt) niedergelassene Franzose J o s e p h S i m o n C a s t i n e l mit seinem Begehren um Aufhebung eines auf Grund der Art. l und 9 des waadtländischen Hausirgesetzes von 1878 ausgefällten Strafurtheils abgewiesen wurde.

J. S. C a s ti nel fand sich bemüßigt, mittelst einer Eingabe vom 9./10. Juni 1885 von seinem neuen Wohnorte Freiburg aus gegen unsern Entscheid den Rekurs au die Bundesversammlung zu ergreifen.

Sie haben durch Ihre Beschlüsse vom 24. Juni und 15. Dezember 1885 den Rekurs als unbegründet abgewiesen, indem Sie mit uns angenommen haben, daß auch ein Niedergelassener nach der Art seines Gewerbebetriebes unter die Bestimmungen der Hausirgesetzgebung fallen könne.

Die mehr als zweijährige Zwischenzeit von unserm Entscheide ab bis z ur Rekurserklärung an die Bundesversammlung hat die Frage wieder aufleben lassen, ob nicht das R e c h t der W e i t e r z i e h u n g bundesräthlicher Rekursalbeschlüsse an e i n e b e s t i m m t e .

F ri s t geknüpft worden sollte..

Wir erinnern daran, daß ein bezügliches Postulat bereits in den Jahren 1857 --1864 im Schooße der eidgenössischen Räthe erörtert, jedoch ohne Einigung derselben wieder fallen gelassen w im le. Ob nicht heute, nachdem für die staatsrechtlichen Beschwerden an das Bundesgericht eine peremtorische Frist eingeführt

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ist, eine gleiche Bestimmung auch hinsichtlich der Beschwerdeführung bei den politischen Bundesbehörden als zuläßig und zweckmäßig zu betrachten wäre, ist eine Frage, die wir hier blos berühren wollen, um den gesetzgebenden Räthen Gelegenheit zur Ansichtäußerung zu bieten.

7. Die Handels-und Hausirverordnung des K a n t o n s S c h w y z vom 20. Dezember 1878 schreibt vor, daß jeder Handelsreisende, welcher auf Muster bei Privaten, d. h. Nichtgew erbegenossen, Bestellungen aufnehmen wolle, verpflichtet sui, bei der Kantonspolizei ein Patent zu erwerben.

A b r a h a m E r l a n g e r , vom Hause Gebrüder Erlanger, Kurzwaarenhandlung, am Hirschengraben in Luzern, besucht seit Jahren in der Eigenschaft eines Geschäftsreisenden den K a n t o n Schwyz.

Am 24. Juli 1884 trug er den Schneiderinnen Jungfer B. Zwimpfer und Frau Fischlin in Brunnen, unter Vorweisung von Muslern, seine Tuchartikel in deren Wohnung zum Kauf an. Die beiden Schneiderinnen halten keine Waaren auf Lager, sondern verarbeiten bloß die ihnen von ihren Kunden gelieferten Stoffe Der Genannte wurde desswegen von den Gerichten des Kantons Schwyz unterund obergerichtlich zu einer Buße von Fr. 60verurtheilt..

Die von Herrn Advokat Bachmann in Wollerau Namens der Gebrüder Erlanger beim Bundesrath wegen Verletzung der Handelsund Gewerbefreiheit unterm 19. September abhin erhobene Besehwerde wurde mit folgenden Erwägungen durch Beschluß vom 7. Dezember 1885 als u n b e g r ü n d e t a b g e w i e s e n : 1) Das angefochtene Urlheil des Kantonsgerichtes von Schwyz vom 22. Juli 1885 stützt sich auf die bundesrechtlich wiederholt als zulässig erklärte Verordnung des schwyzerischen Regierungsrathes vom 20. Dezember 1878 betreffend Besteuerung von Handelsreisenden, welche bei Nichtgewerbegenossen Bestellungen aufsuchen.

2) Durch dieses gerichtliche Urtheil ist erkannt worden, dass die Schneiderinnen Zwimpfer und Fischlin in Brunnen nicht Ge werbegenossen des Handelshauses seien, dessen Reisender bei ihnen, ohne im Besitz eines Patentes zu sein, am 24. Juli 1884 Handelsartikel auf Muster zum Kaufe angetragen hat.

3) Die in dem mehrerwähnten Urtheil des schwyzerischen Kantonsgerichts enthaltene Auslegung der Verordnung des Kantons Schwyz betreffend die Besteuerung von Handelsreisenden steht mit Art. 31 der Bundesverfassung nicht im Widerspruch, indem sie nicht über das nach litt, c des genannten Verfassungsartikels den Kantonen vorbehaltene Rechtsgebiet hinaustritt.

943

8. Eine um 10. Juli 1885 in Neuenburg abgehaltene Konferenz von Abgeordneten aus zwölf Kantonen hat beim Bundesrath die Frage d e r T a x b e f r e i u n g d e r s c h w e i z e r i s c h e n H a n d e l s r e i s e n d e n wieder in Anregung gebracht und gleichzeitig den Wunsch ausgesprochen, es möchten nach den Kantonen geordnete statistische Erhebungen über den Hausirhandel, den Ausverkauf von Waarenlagern, die Zahl und Herk u n f t der H a n d e l s r e i s e n d e n , stattfinden und im Weitem auch geprüft werden, welchen Einfluß gewisse Bestimmungen der internationalen Niederlassungsverträge auf das so üppig emporschießende Hausirwesen ausüben.

Wir antworteten dem Präsidenten der genannten Konferenz, Hrn. Staatsrath A. Cornaz in Neuenbuvg, daß wir gerne, soweit es in unserer Macht liege, die gewünschten Aufschlüsse verschaffen werden, inzwischen aber den Gegenstand in keiner Richtung für derart abgeklärt halten, daß es möglich wäre, der Bundesversammlung jetzt schon mit Aussicht auf Erfolg einen Antrag vorzulegen.

Der weitere Verfolg der Angelegenheit fällt in's Jahr 1886.

3. B e r u f s m ä ß i g e B e s o r g u n g v o n B e t r e i b u n g s geschäften; Advokatur.

9. Durch Gesetz vom 8. April 1878 hat der Kanton B a s e l l a n d die Kaution der patentirten Geschäftsmänner (Schuldenboten) von Fr. 3000, die sie nach einem Gesetze vom 14. März 1837 zu leisten hatten, auf Fr. 15,000 erhöht. Die Kaution kann durch wenigstens vier im Kanton wohnhafte Bürgen oder durch Realversicherung geleistet werden.

Eine gegen dieses Gesetz nach einem bezüglichen Reglement des Obergerichts des Kantons Baselland gestützt auf Art. 31 der Bundesverfassung gerichtete Beschwerde des G o t t f r i e d S t e i n e r Löw, von Walterswyl, Kantons Bern, in Binningen, wurde von uns am 6. März 1885 mit folgender Begründung a b g e w i e s e n : 1) Der Bundesrath hat wiederholt erkannt, daß die Kautone grundsätzlich befugt seien, das Recht zur Besorgung von Schuldbetreibungen an die Bedingung einer Kautionsleistung zu knüpfen, indem darin keine Beeinträchtigung der Gewerbefreiheit, vielmehr nut- ein Mittel, das Publikum gegen Ausbeutung und Schädigung zu sichern, erblick werden könne (vergleiche z.B. Bundesrathsbeschlüsse im Bundesblatt 1882, II, 757; 1883, II, 873).

2) Es wird sich sonach in solchen Fällen lediglich fragen, ob vielleicht der geforderte Kautionsbetrag angemessene Grenzen über-

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schreite und von diesem Gesichtspunkte aus zur Wahrung der Handels- und Gewerbefreiheit der Schutz des Bundes gegen dio kantonale Vorschrift einzutreten habe.

Diese Frage ist im Rekursfalle zu verneinen, und es erscheint daher die Beschwerde als völlig unbegründet.

Der Rekurrent zog unsern Entscheid an die Bundesversammlung; durch Beschluss des Ständerathes vom 24. Marx, und des Nationalist he vom 27. März 1885 wurde jedoch seine Beschwerde als unbegründet abgewiesen 10. Der britisch-ostindische Unterthan Herr Dr. j u r. S p r e u g e r i n Zürich, wurde v o m O b e r g e r i c h t d e s K a n t o n s Z ü r i c h unterm 13. Januar v. J. mit seinem Gesuch, als Advokat zu Parteivorträgen vor rien Schranken de« Obergerichts Angelassen zu werden, abgewiesen, weil er als Fremder nicht im Besitze des von der zürcherischen Gesetzgebung geforderten Requisites des Aktivbürgerrechtes sieh befinde. Herr Dr. Sprenger beschwerte sich gestützt auf Art. 31 der Bundesverfassung gegen diesen Entscheid.

Wir haben den Rekurs durch Beschluß vom 10. April 1885 a b g e w i e s e n und sind dabei von folgenden Erwägungen ausgegangen: 1) Die Berufung des Rekurrenten auf Art. 31 der Bundesverfassung macht es nothwendig, die Frage zu erörtern, ob die Advokatur wie die Ausübung eines gewöhnlichen Berufes oder Gewerbes gemäß dem verfassungsrechtlichen Grundsätze der Ut nd e lsund Gewerbefreiheit freizugeben oder ob sie nicht vielmehr als eine wissenschaftliche Berufsart zu betrachten und deßhalb der Bestimmung des Art. 33 der Bundesverfassung zu unterstellen sei Es kann dießfalls einfach darauf hingewiesen werden, daß die Advokatur, d. h. die Beistandleistung und Vertretung in gerichtlichen Angelegenheiten, bei allen Völkern mit ausgebildeter Rechtsordnung zum Beruf einer eigenen Klasse von Rechtsverständigen geworden ist. Der wissenschaftliche Char» k ter dieser Berufsart steht daher außer allem Zweifel.

2) Demgemäß ist es durch Art. 33 der Bundesverfassung den Kantonen anheimgestellt, die Ausübung der Advokatur von einem Ausweis der Befähigung abhängig zu machen. Ebenso muß es in der Befugniß der Kantone liegen, die Advokatur als besondern Berufsstand in einer dureh das öffentliche Wohl erforderten Weise zu organisiren.

3) Der Kanton Zürich hat von diesem Rechte in dem Sinne Gebrauch gemacht, daß er die gerichtliche Vertretung und Ver-

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beiständung einer Partei in Civil- und Strafsachen nur durch Personen geschehen läßt, die sich im Besitze des "Aktivbürgerrechts" befinden, und es fragt sich nun, ob vom bundesrechtlichen Standpunkte aus hiegegen etwas eingewendet werden könne.

4) Ueber den in Art. 174 und 175 des Gesetzes betreffend die zürcherische Rechtspflege, vom 2. Dezember 1874, enthaltenen Begriff des ,,Aktivbürgerrechts" hat sich die Bundesbehörde nur insofern auszusprechen, als es ihr obliegt, zu untersuchen, ob dieses Erfordern!ß bundesrechtlich, nach dem unter Ziffer 2 Gesagten, beanstandet werden könnte.

Offenbar ist das vom zürcherischen Gesetzgeber am angeführten Orte aufgestellte Erforderniß des Aktivbürgerrechts gleichbedeutend mit der Fähigkeit zur Ausübung der verfassungsmäßigen und gesetzlichen politischen Rechte und zur Bekleidung öffentlicher Aemter und Stelleu, wie denn auch die schweizerische Bundesverfassung in Art. 74 den Aussehluß vom Aktivbürgerrecht bei Anlaß der Feststellung den Stimmrechts für eidgenössische Wahlen und Abstimmungen erwähnt.

Sollte jedoch die von der Regierung und dem Obergerichte des Kantons Zürich dem erwähnten Werte gegebene Auslegung nicht die richtige, vom kantonalen Gesetzgeher gewollte sein, so wäre die Abhülfe gegen eine ungesetzliche Verfügung der admistrativen oder richterlichen Kantonsbehörde bei dem zürcherischen Kantonsrathe, als der mit der Gesetzesberathung und der Ueberwachung der gesammten Landesverwaltung betrauten obersten Behörde des Kantons, zu suchen.

Das für die Ausübung der Advokatur aufgestellte Erforderniß des Aktivbürgerrechts, in der Auslegung der Züricher Behörden genommen, verstößt nun aber keineswegs gegen das Bundesrecht; es muß vielmehr anerkannt werden, daß diese Bestimmung, welche d i e d e n Parteivertretern u n d Rechtsbeiständen i n wohnenden p e r vollständig gedeckt wird.

Dali die Bundesgesetzgebung über das Verfahren beim Bundesgerichto in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Bundesgesetz vom 22. November 1850, Art. 28) und über die Bundesstrafrechtspflege (Bundesgesetz vom 27. August 1851, Art. 49) eine gleiche Bestimmung nicht enthält, ist für die vorwürfige Rekursfrage ohne, alle Erheblichkeit.

5) Nach dem Vorhergehenden würde die Beschwerde eines Schweizerbürgers gegen die vom Rekurrenten angestrittene Be-

i)46 Stimmung der zürcherischen Gesetzgebung nicht gutgeheißen werden können.

Die Angehörigen eines fremden Staates wären sonach jedenfalls nur vermöge einer b e s o n d e r n vertragliehen Zusicherung berechtigt, ein anderes, beziehungsweise besseres Recht für sieh zu beanspruchen, als es den Bürgern unseres Landes zukommt.

Wenn der Rekurrent, wie er dem zürcherischen Obergerichte angegeben hat, ostindischer Unterthan der britischen Krone ist, so finden auf ihn rücksichtlich seiner Verhältnisse in der Schweiz die Bestimmungen des Freundschafts-, Handels- und Niederlassungsvertrages zwischen der schweizerischen Eidgenossenschaft und Ihrer Majestät der Königin des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland, vom 6. September 1855, Anwendung. Denn dieser Vertrag erstreckt sich nach Art. I auf a l l e Gebiete des Vereinigten Königreichs, also auch auf sämmtliche englischen Kolonien (vergl.

hiezu: Botschaft des Bundesrathes vom 10. Dezember 1855 im Bundesblatt 1855, II, G7(i, und Bericht der ständeräthlichen Kommission vom 26. Februar 1856 im Buudesblatt 1856, I, 179).

In Art. I, Abs. 2, des allegirten Vertrages ist den Bürgern und Untertahenen der Leiden kontrahirenden Theile gestattet, ,, g e m ä ß d e n G e s e t z e n d e s L a n d e s jeden Beruf oder jedes Gewerbe auszuüben. Demnach sind die in Bezug auf alle Schweizerbürger rechtsgültigen undwirksamenu Bestimmungen der Zürcher Gesetzgebung über die Advokatur gegenüber den britischen Staatsangehörigen ausdrücklieh vorbehalten.

Uebrigens- ist die Advokatur in England selbst, sowie in den Staaten, mit denen die Schweiz in gleichartigen Vertragsbeziehungen wie mit England steht, z. B. Deutschland, Frankreich, Italien, Oesterreich-Ungarn, ebenfalls in ganz selbstständigem und nationalem Sinne organisirt und eine Berufung auf die Niederlassungsverträge wäre, nach den Mitteilungen unserer Vertreter im Auslande, von vorneherein gegenstandslos, weil es sieh hiebei nicht um die Ausübung eines gemeinhin gewerblichen oder industriellen Berufes handelt.

4. A e r z t l i c h e r B e r u f .

11. Herrn G a b r i e l D u r s t , patentirtem Arzt in Winterthur, welcher jeden Samstag die Stadt St. Gallen zur Ausübung der ärztlichen Praxis besucht, wurde durch die S a n i t ä t s k o m m i s s i o n des K a u t o n s St. G a l l e n unterm 11. Dezember 1884 die fernere Benützung der st. gallischen Presse zu Annoncen behufs Empfehlung .seiner ärztlichen Kunst verboten, weil es nach ihrer, der Sanitäts-

947 kommission Auffassung ,,höchst unpassend und die allgemeine Stellung der Aerzte chokirend sei, wenn Aerzte durch das Mitte] der Annonce ihre Wissenschaft auf den Markt zu bringen suchen, und das meistentheils in einer Weise, welche dus Publikum nicht unterscheiden lasse, ob es mit einem wissenschaftlichen Manne oder mit einem ordinären Schwindler zu thun habe." Gegen diese von der Regierung des Kantons St. Gallen bestätigte Verfügung erhob Herr G. Durst, gestützt auf Art. 33 und 55 der Bundesverfassung, Besehwerde.

Nach Einsichtnahme der Vernehmlassung der st. gallischen Regierung haben wir am 14. April 1885 den Rekurs im S i n n e folgender Erwägungen als begründet erklärt: 1) Die Berufung des Rekurrenten auf Art. 55 der Bundesverfassung (Preßfreiheit) kann hierorts nicht in Betracht fallen, da Beschwerden betreffend Verletzung dieser Verfassungsbestimmung vom Bundesgericht und nicht vom Bundesrath zu beurtheilen sind.

2) Dagegen ist die Frage einläßlich zu prüfen, ob Art. 3l der Bundesverfassung, nämlich der Grundsatz der Gewerbefreiheit, durch die rekurrirte Verfügung der St. Galler Sanitätsbehörden beeinträchtigt sei.

Der Entscheid über diese Frage muß wesentlich von der Beurtheilung des Verhältnisses abhängen, in welchem die Ausübung wissenschaftlicher Berufsarten zu derjenigen der gewöhnlichen Gewerbe verfassungsmäßig steht, mit andern Worten von dem Maße, in welchem die wissenschaftlichen Berufsarten trotz der ihnen in Art. 33 der Bundesverfassung angewiesenen Sonderstellung Anspruch haben auf die durch Art. 31 leg. cit. für Handel und Gewerbe proklamirte Freiheit.

3) Die von der Bundesverfassung grundsätzlich anerkannte Sonderstellung der wissenschaftlichen Berufsarten bringt es mit sieh, daß deren praktische Betreibung von den Kantonen besonders organisirt werden darf. Eine Gleichstellung mit den Gewerben im allgemeinen Sinne kann für jene nicht verlaugt werden. Darum können die Kantone unzweifelhaft über die Ausübung einer wissenschaftlichen Berufsart Verfügungen erlassen, die sie in Ansehung eines gewöhnlichen Gewerbes nicht erlassen dürften (Art. 31, Litt, e, in Verbindung mit dem Schlußsatze dieses Artikels).

So wird z. B. die Bestimmung des Art. 11 des st. gallischen Gesetzes über die Organisation des Sanitätswesens vom 1. Juli 1855, kraft welcher einem Amte, der sich durch seine Aufführung des ärztlichen Berufes unwürdig zeigt, von der Sanitätskoni mission

948

das Patent für kürzere oder lungere Zeit oder auch gänzlich entzogen werden darf, bundesrechtlich nicht beanstandet werde« können.

Daß aus dieser gesetzlichen Befugniß der Sanitätskommission auch die weniger weilgehende herzuleiten sei, Aerzten die Empfehlung ihrer Praxis durch sittlich unanständige, die Würde des Berufes verletzende Zeitungsanonncen zu untersagen, kann ohne Weiteres zugegeben werden. Allein der Beschluß der st. gallischen Sanitätskommission vom 11. Dezember 1884 richtet sich gegen die Zeitungs-annoncen derAerztee überhaupt, die sie alshöchstt unpassend und die Stellung der Aerzte verletzend bezeichnet. Damit überschreitett sie die Grenzen der ihr zukommenden Kompetenz. Auch der wissenschaftliche, insonderheit der ärztliche Beruf geht ja in der Regel auf finanziellen E r w e r b aus und fällt in diesem Sinne unter den Begriff des Gewerbes. Es kann daher den Kantonen dus Recht nicht zustehen und hat i h n e n o f f e n b r durch A r t . 33 der Bundesverfassung nicht zugestanden werden wollen, den Aerateli d i e Benutzungallgemeinalss erlaubt ungesehener Mil t e l z u 4) Nach dem Gesagten erscheint ein a b s o l u t e s Verbot der öffentlichen Anzeige ihrer Berufsbetreibung gegenüber den Aerzten so wenig wie gegenüber irgend welchem andern privaten Berufe als zulässig.

Wenn desshalb die Verfügung der si. Ggallischen Sanitäts O O C kommission, wie nach deren Wortlaut anzunehmen ist, dahin geht, dem Herrn G. Durst »He fernere publizistische Anpreisung seiner Berufsthätigkeit in den St. Galler Blattern zu untersagen, so verletz sie das auch dem praktischen Arzte zukommende, durch Art. 31 der Bundesverfassung geschützte Recht, durch öffentliche Bekanntmachung~ sich eine Glientel und ökonomischen Erwerb zu suchen.

5. B e s c h r ä n k u n g oder V e r b o t des G e w e r b e b e t r i e b s a u s g e s u n d h e i t s p o l i z e i I ic h e n G r ü n d e n .

12. Herr Alois H e i b l i n g D or in a n n in R a, p p e r s w y l (St. Gallen) richtete unterm 18. März 1885 an den Bundesrath eine Beschwerdeschrift gegen einen Beschluß der st. g a l l i s c h e n R e g i e r u n g vom 26. November 1884, durch welchen eine Verfügung des Bezirksamtes vorn See, vom 27. August 1884, aufrecht erhalten worden war, dahingehend, dass der Rekurrent die SchweineStälle i n seinem, i m neuen Stadtquartier beim Bahnhof i n untergebrachten Schweine aus denselben zu entfernen habe.

945» Der Rekurs wurde (26. Mai 1885 als u n b e g r ü n d e t erklart uns folgenden Motiven: 1) Es ist bereits durch Bundesrathsbeschluß vom 22. Juli 1881 (Bundesblatt 1882, II, 755) erkannt worden, daß zu den Ver-fügungen über Ausübung von Handel und Geworben, welche die Kantone nach Art. 31 der Bundesverfassung treffen können, auch solche gehören, die den Zweck haben, eine den öffentlichen Gesundheitsverhältnissen nachtheilige Gewerbeausübung zu verhindern.

2) Der von der Regierung des Kantons St. Gallen geschützte Amtsbefehl des Bezirksamtes vom See betreffend die Schweineställe des Rekurrenten in R. stützt sich auf den Ausspruch der kompetenten Sanitätsbehörde des Kantons, daß die Beseitigung der erwähnten Stauungen oder die Entfernung der Schweine aus denselben wegen Gesundheilsschädlichkeit dringend geboten sei und auch gegen den Widerspruch des Eigenthümers als eine sanitarisch dringliehe Angelegenheit betrachtet und durchgeführt werden solle.

3) Angesichts dieser, auf dem Boden der bundesrechtlich zulässigen kantonalen Gesetzgebung erfolgten Beurtheilu und Anordnung der Kantonsbehörden kann es nicht Sache der Bundesbehörde sein, in eine weitere materielle Untersuchung der l hatsächlichen Verhältnisse des Falles einzutreten. Es ist vielmehr anzuerkennen, daß die Behörden des Kantons St. Gallen innerhalb der Grenzen ihrer Befugnisse gehandelt haben.

4) Wenn der Rekurrent sich auch über Verletzung des durch Art. 16 der Kantonsverfassung garantirteli Privateigentums besehwert, so muß derselbe daran erinnert werden, daß nicht der Bundesrath, sondern das Bundesgericht über Beschwerden betreffend Verletzung der durch die Kantonsverfassungen gewährleisteten Rechte zu urtheilen hat.

5) Was schließlich die einander widersprechenden Anbringen des Rekurrenten und der Behörden, betreffend die Genehmigung des Bauprojektes durch die letzteren bei Errichtung der nunmehr von ihnen wegverfügten, beziehungsweise nicht mehr als solche zu benutzenden Stallungen, anbetrifft, so fallen dieselben für den gegenwärtigen staatsrechtlichen Rekurs außer Betracht.

7

O

b. Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht, aa. Verweigerung der Ausstellung von Heitmatschriften 13. Eine Beschwerde der Wittw L o u i s e D u r l e r gut».

M e r z , von Luzern, d. Z. in St. Gallen, vom 21, Februar abbin,

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betreffend Verweigerung der Ausweisschriften seitens der Heimatbehörden für sie und ihr uneheliches Kind wurde (10. April 1885) nach Einsichtnahme der Vernehmlassung der l uz er ni s e h e n R e g i e r u n g mit folgenden Erwägungen als u n b e g r ü n d e t abgewiesen.

1) Seitdem die Bundesversammlung durch ihre maßgebenden Entscheide vom 18./19. März 1875 in Sachen Weher (Bundesbl. II, 667 und vom 11./18. März 1876 in Sachen Schmid (Bundesbl. I, 740) don Grundsatz festgestellt hat, daß die Zurückhaltung der Ausweisschriften wegen Geldschulden eine Verletzung der dem Schweizerbürger durch Art. 45 der Bundesverfassung gewährten Rechte bilde, hat sich die bundesrechtliche Praxis konsequent in einem die Freizügigkeit des Bürgers schützenden Sinne fortgebildet.

Allein immer wurde daran festgehalten, daß aus strafrechtlichen Gründen Legitimationspapiere zurückbehalten werden können (vgl.

z. B. Geschäftsbericht pro 1879, Bundesbl. 1880, II, 605).

Nachdem die Rekurrenti vom Bezirksgericht. Luzern wegen Konkubinates, eines Vergehens, das von der bundesrechtlichen Praxis in Niederlassungsfragen zu den schweren gerechnet wird, strafrechtlich verfolgt und verurtheilt ist, ohne die Strafe bis jetzt ausgestanden zu haben, kann die Heimatgemeinde nicht angehalten werden, ihr behufs anderwärtiger Wohnsitznahme Legitimationspapiere zuzustellen.

2) Nach dem bei Ziffer l Gesagten ist es überflüssig, zu untersuchen, ob der Rekurrentin als Mutter ihrer unehelichen minderjährigen Tochter das Recht zustehe, St. Galleu als Wohnort der Letztern zu bestimmen und für dieselbe behufs Ermöglichung des Aufenthaltes daselbst einen Heimatschein zu verlangen. Allein das Rekursbegehren entbehrt auch, abgesehen von dein vorerwähnten thatsiichlichen Verhältnisse, der Begründung. Denn, da bis zum Inkrafttreten eines Bundesgesetzes über die civilrechtliche Verhältnisse der Niedergelassenen dem Kanton Luzern nicht verwehrt werden kann, die Grundsätze seines Vormundschaftsrechtes gegenüber den Kantonsangehörigen zur Anwendung zu bringen, und da das luzernische Gesetz vom 12. Herbstmonat 1865 die Vormundschaft ober die unehelichen Kinder der heimatlichen Waisenbehörde überträgt, so erscheint die Verweigerung der Zustellung eines Heimatscheines für das uneheliche Kind der Rekurrentin, beziehungsweise das Verlangen der Heimatgemeinde,
daß das Kind nicht in St. Gallen wohnen, sondern im Waisenhause zu Luzern untergebracht werden solle, auch vom vormundschaftsrechtlichen Gesichtspunkte aus als begründet.

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bb. Erwerb und Entzug der Niederlassung bezw. des Aufenthaltsrechtes.

14. Im Laufe des Jahres 1885 hat die Bundesversammlung sich mit nachstehenden, wegen Entzug der Niederlassung (Ausweisung) erhobenen Rekursbeschwerden zu befassen gehabt: a. Rekurs des badischen Staatsangehörigen U b a l d M o r a t, gewesener Bierbrauer in Allschwyl (Baselland), gegen unsern Beschluß vom 11 November 1884 (Bundesbl. 1884, IV, 687 ; 1885, II, 689).

b. Rekurs des hessischen Staatsangehörigen L u d w i g B e s t , gewesener Holzhändler, in Ölten, gegen unsern Beschluß vom 11. November 1884 (Bundesbl. 1885, I, 65).

c. Rekurs der Frau Franziska K ü s t e r , geb. Wiedemann, von Mogeisberg (St. Gallen), gegen unsern Beschluß vom '29. November 1884 (Bundesbl. 1884 IV, 723).

d. Rekurs des Joh. Jakob P f a u - W e r n e r , Schreiner, von Schaffhausen, in Basel, gegen unsern Beschluß vom 31. März 1885 (Bundesbl. 1885, II, 845).

c. Rekurs der M a t h i l d e H ö p p n e r , Lehrerin, aus St. Petersburg, aufhältli gewesen im Kanton Baselland, siegen unsern Beschluß vom 12. Juni 1885 (Bundesbl. 1885, IV, 530).

f. Rekurs des badischen Staatsangehörigen P i e r r e H a n f , gewesener Schneidermeister in Genf, gegen unsern Beschluß vom 7. Dezember 1885 (Bundesbl. 1885, IV, 636).

Die Bundesversammlung hat in sämmtlichen Fällen unsere, auf Bestätigung der kantonalen Ausweisungsverfügung lautenden Beschlüsse bestätigt; im Falle Küster wurde der Rekurs, nach dem am 20. Dezember 1884 erfolgten Ständerathsbeschlusse, zu Anfang März 1885 zurückgezogen.

Der auf die Traktandenliste der Bundesversammlung gesetzte Rekurs des Journalisten G e o r g G u t tinger eines bayerischen Staatsangehörigen, gegen unseren Beschluß vom 14. April 1885, betreffend Wegweisung aus Basel (Bundesbl. 1885, II, 865), wurde vom Rekurrenten am 7. Juni 1885 zurückgezogen.

15. Dem Müller F r i e d r i c h B i e r i , von Signau, Kantons Bern, Pachter einer Mühle in Belfaux, Kantons F rei b ü r g , wurde die Niederlassungsbewilligung seitens des frei burgischen Staatsrathes durch Schlußnahme vom 30. Dezember 1884 verweigert. Dieser Entscheid stützt sich darauf, daß der Rekurrent infolge Geltagserkenntnisses seiner bürgerlichen Ehrenrechte beraubt sei, wie er

952 dies selbst anerkannt, habe, sowie darauf, daß seine Heimatgemeinde ihm ein Zeugniß über Wohlverhalten verweigert, habe und noch verweigere. In Erwägung: 1

daß nach Art. 45, Alinea 2, der Bundesverfassung die Niederlassung in der ganzen Schweiz keinem Schweizerbürger verweigert werden kann, welcher einen Heimatschein beibringt, außer es finde sieb, daß der Bewerber infolge eines strafgerichtlieben Urlheils nicht im Besitze der bürgerlichen Rechte und Ehren ist; 2) daß die einfache Vergeltstagu nicht einem eigentlichen strafgerichtlichen Urtheil gleichgestellt werden kann, weßhalb die betreffende Niederlassungsverweigerung in dieser Hinsicht ganz unbegründet ist; 83 daß diese Verweigerung keine größere Berechtigung hat, wenn sie sich auf die Thatsache stützt, daß die Heimatgemeinde ihrem Angehörigen ein Zeugniss überWohlverhalteen verweigert, indem d i e Erwerbung d e r Niederlassung f ü r geknüpft ist; haben wir durch Beschluß vom 30. Januar 1885 den Rekurs als b e g r ü n d e t erklärt.

16. K. K. von Birmenstorf (Zürich") hat für sich und seine Familie dio Niederlassung in der Gemeinde A u ß e r s ih l verlangt.

Der Gemeinderath von Außersihl verweigerte ihm jedoch dieselbe mit Beschluß vom 13. November 1884 weil die Eheleute H. .schon zwei Mal wegen Kuppelei vom Bezirksgericht in Zürich bestraft worden seien und zwar das eine Mal am 16. Februar mit je 8 Tagen Gefängniss und Fr. 100 Buße und das zweite Mal am 1. November 1884 mit je 14 Tagen Gefängniss und Fr. 200 Buße, und sie imUebrigen aus der Stadt Zürich, wo sie ein regelrechtes Bordell betrieben, ausgewiesen worden seien.

Gegen diesen Beschluß reichten die Eheleute R. beim Bezirksrallie von Zürich Beschwerde ein, wurden aber damit abge-wiesen; ebenso beschloß der R e g i erungsr ath des K a n t o n s Z ü r i c h unterm 8 , M a i Abweisung einesdaherigenuRekursess Außersihl.

Gegen den Beschluss des Regierungsrathes vom 8. Mai 1885 wandten sich die Eheleute R. mit Rekruseingabe vom 29. Mai 1885 au den Bundesrath und stellten das Begehren, der Bundes-

rath möge den Gemeinderath von Aussersihl verpflichtet erklären, ihnen die Niederlassung zu bewilligen.

Wir haben in Erwägung gezogen: 1) die Rekurrenten befinden sich unbestrittenermassen im Besitze ihrer bürgerlichen Rechte und Ehren. Es kann ihnen deshalb die Niederlassung nach Art. 45, Absatz 2, der Bundesverfassung nicht verweigert werden ; 2) nach der bundesrechtlichen Praxis, wie sie sich in den letzten Jahren ausgebildet hat, kann allerdings zur Rechtfertigung des Entzuges der Niederlassung auch auf Strafurtheile wegen schweren Vergehen, die vor der Niederlassung und in andern Gemeinden begangen worden, zurückgegriffen werden, sofern sich ein Niedergelassener am neuen Wohnorte eines die öffentliche Sicherheit oder Sittlichkeit gefährdenden Lebenswandels schuldig macht; 3) diese Praxis bezieht sich aber nur auf den Entzug der Niederlassung (Art. 45, Absatz 3 der Bundesversammlung) und es geht bei dem klaren Wortlaute des Art. 45, Absatz 2 der Bundesverfassung nicht an, dieselbe auch in Fällen der Niederlassungsverweigerung anzuwenden ; und deshalb am 26. August 1885 den Rekurs als b e g r ü n d e t erklärt.

17. Frau Elise G. geb. H. von Stettfurt, Kantons Thurgau, geschiedene Ehefrau des Chr. Gr., Monteur, ist von den Behörden des Kantons St. G a l l e n aus der Gemeinde Tablât ausgewiesen worden, weil dieselbe schon zwei Mal wegen Kuppelei gerichtlich bestraft worden sei", sich ohne Ausweisschriften befinde und mit M. B. im Konkubinat lebe.

Namens der Frau G. beschwert sich Herr Dr. P. Fässler Fürsprecher in St. Gallen, mit Eingabe vom 2. November 1885 über die bezüglichen Schlußnahme der st. gallischen Regierung vom 12. Oktober abhin, indem er unter ander geltend macht, daß die beiden Verurtheilungen v o r ihrer Niederlassung in der Gemeinde Tablât stattgefunden haben.

Vom Bundesrath wurde in Erwägung: 1) wie der Bundesrath bei wiederholten Rekursentscheiden und besonders einläßlich im Falle Grobét durch Beschluß vom 27. Oktober 1882 dargetha hat, ist der Mangel der bürgerlichen Ehrenfähigkeit infolge eines strafgerichtlichen Urtheils als ein verfassungsmäßiger Grund sowohl der Verweigerung Bundesblatt. 38. Jahrg. Bd. I.

66

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als des Entzuges der Niederlassung im ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft so lange wirksam, als .nicht die Rehabilitation des betreffenden Bürgers, sei es durch Zeitablauf, sei es durch behördliche Schlußnahme, stattgefunden hat. (Art. 45, Absatz 2, der Bundesverfassung; Bundesblatt 1883, II, 851 und 852); 2) da die Rekurrentin unbestrittenermassen am 22. Juli 1884 strafgerichtlich zu fünfjähriger Einstellung in den bürgerlichen Ehrenrechten verurtheilt worden ist, so können die st. gallischen Behörden sich mit Recht auf diesen Umstand berufen, um ihr, gestützt auf Art. 45, Absatz 2 der Bundesverfassung, die Niederlassung zu verweigern oder zu entziehen ; unterm 7. Dezember 1885 beschlossen, den Rekurs als n i c h t beg r ü n d e t abzuweisen.

ec. Gemeindesteuerpflicht der Niedergelassenen.

(Gleichstellung derselben mit den Ortsbürgern gemäß Art. 45, Abs. 6, der Bundesverfassung.)

18. Zum Zwecke der Verzinsung und der allmäligen Abzahlung einer Straßenbauschuld dekretirt die K i r c h g e m e i n d e Einwohnergemeinde A l t e n d o r f (Schwyz) am 28. November 1880 eine jährliehe Steuer von 1 1/2 °/oo.

Diese Steuer trifft laut einem Auszug der Gemeindekanzlei Altendorf vom 22. November 1884 : a. die Gemeindekorporationsbürger für eine Summe von Fr. 2115. 30 b . d i e Korporationen .

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. 831. 5 5 c . d i e Niedergelassenen .

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. 257. 6 0 d. die Nordostbahn und das Stift Einsiedeln . ,, 203. 90 Fr. 3408. 35 Gemäß einem Beschlüsse der Bürgerkorporationsversammlung (vom 20. August 1876) sollte das ganze Steuerbetreffniss derjenigen Steuerpflichtigen, welche Genossen derBürgergemeindekorporationu Altendorf sind, sammthaft aus der Korporationskasse bezahlt werden.

Eine Beschwerde der Niedergelassenen und Aufenthalter (in Verbindung mit einigen Korporationsgenossen) von Altendorf, welche hierin ein nach Art. 45, Absatz 6, der Bundesverfassung unzuläßiges, formell und materiell ungleiches Verfahren gegen Orts-

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bürger und gegen Niedergelassene erblicken, wurde vom R e g i e r u n g s r a t h e d e s K a n t o n s S c h w y z als unbegründet abgewiesen. Hierauf zog Herr Advokat Rudolf Gallati in Glarus die Beschwerde an den Bundesrath.

Der Bundesrath hat in Erwägung gezogen : 1) Wenn Art. 45, Absatz 6, der Bundesverfassung vorschreibt, daß eine Gemeinde den niedergelassenen Schweizerbürger nicht ,,anders besteuern dürfe als den Ortsbürgertt, so hat damit gesagt werden wollen, daß die Gemeindesteuern auf Bürger und Niedergelassene nach gleichen Grundsätzen, unter Zugrundelegung des gleichen Steuerfußes und mit Anwendung des gleichen Verfahrens zur Ausmittlung des persönlichen Steuerbetreffnisses verlegt werden sollen.

2) Dieser Vorschrift ist bei der Steuerveranlagung in der Gemeinde Altendorf laut dem Dekrete vom 28. November 1880 nachgelebt worden, indem die Steuerquote eines jeden einzelnen Ortsbürgers in grundsätzlich gleicher Weise wie diejenige eines jeden einzelnen Niedergelassenen (und Aufenthalters) berechnet und festgestellt wurde.

3) Daß die ortsbürgerliche Korporationsgemeinde beschlossen hat, die Steuerbetreffnisse ihrer Genossen aus der Korporationskasse zu entrichten, kann denjenigen, welche der bürgerlichen Korporation nicht angehören, überall kein Recht zur Beschwerde geben. Denn die Bundesverfassung sichert den niedergelassenen Schweizerbürgern weder einen Mitantheil an Bürger- und KorporatioasgUtern, noch die Stimmberechtigung in rein bürgerlichen Angelegenheiten zu (Art. 43, Absatz 4).

4) Ob durch die Gesammtanweisung auf die Korporationskasse einzelne Korporationsgenossen der Gemeinde Altendorf in ihren Rechten beeinträchtigt werden, ist eine Frage, die sich der Cognition der politischen Bundesbehörden entzieht und im Rekursfalle überhaupt nicht zu entscheiden ist. Es ist übrigens ohne Weiteres klar, daß eine allfällige, durch den angefochtenen Korporationsbeschluß herbeigeführte Ungleichheit in der ökonomischen Stellung der bürgerlichen Korporationsgenossen unter sich nicht eine ,,andere Behandlung der Bürger und der Niedergelassenen" in dieser SteuerSache bedeutet 5 und beschlossen, den Rekurs als u n b e g r ü n d e t abzuweisen (8. September 1885).

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(Id. Aufenthaltrecht der Angehörigen auswärtiger Staaten.

19. Die Fälle, in denen Ausländer gegen Verfügungen kantonaler Behörden io Betreff des Aufenthaltsrechtes in schweizerischem Gebiete direkt beim Bundesrathe und von dieser Behörde weg bei der Bundesversammlung, den obersten Räthen der Eidgenossenschaft, aus nichtigen Gründen sich beschwere», und die obersten Bundesinstanzen Über solche Beschwerden nach materieller Prüfung entscheiden, werden von Jahr zu Jahr zahlreicher. Wir beschränken uns für einmal auf die Erwähnung dieser Thatsache.

20. Wir haben bereits erwähnt, dass unser Entscheid vom 11. November 1884 im Rekursfalle M o r a t von der Bundesversamm-lung bestätigt worden ist. Wie wir im letztjährigenBerichtee in Aussicht stellten, wollen wir an diese Erledigung einige wenige Bemerkungen über unser i n t e r n a t i o n a l e s , S t a a t s v e r t r a g lichesNiederlassungs-- undAufenthaltsrechtt knüpfen.

1) In fast allen Rekursschriften kehrt die Behauptung wieder, daß die Angehörigen des fremden Vertragsstaates vermöge der ihnen zugesicherten Gleichbehandlung unter den gleichen Bedingungen die Niederlassung, beziehungsweise das Aufenthaltsrecht in der Schweiz erwerben und verlieren, wie die Bürger unseres Landes.

Das ist ein fundamentaler Irrthum. Das Recht des dauernden und zeitweiligen Aufenthalts in unserem Gebiete ist in allen Niederlassungsverträgen, die wir abgeschlossen haben, besonders normirt sein Erwerb und Verlust von besondern Voraussetzungen abhängig gemacht.

2) Kein Kanton kann verhalten werden, einen Fremden aufzunehmen und zu dulden, der nicht mit den im einschlägigen Staatsvertrage vorgesehenen, eventuell, wenn ein solcher mit dem Heimatstaate des Fremden nicht besteht, mit den von der Kantonsbehörde für nothwendig erachteten Ausweisschriften versehen ist.

Der Besitz der erforderlichen Ausweisschriften bedingt das Aufenthaltsrecht; dieselben sollen daher während der ganzen Dauer des Aufenthalts dem Fremden zu Gebote stehen. Gehen sie ihm nach der Wohnsitznahm in einem Kantone verloren, ohne ersetzt zu werden, so hat der betreffende Kanton das formelle Recht, dem Fremden den weitern Aufenthalt zu entziehen, gleichwie einem andern Kantone das Recht zukäme, dem Fremden die Wohnsitznahme Mangels der staatsvertragsmäßigen Legitimationspapiere zu verweigern.

3) Trotz vorhandenem genügendem Ausweis zum Aufenthalt kann die Wegweisung des Fremden aus Rücksicht auf die innere

957 oder äußere Sicherheit des Landes, sowie aus straf- und polizeirechtlichen Gründen, nach gerichtlicher Feststellung oder ohne gerichtliches Verfahren, verfügt werden.

4) Der Bund ist nicht in der Lage, einem Kantone, der sich ftut' einen der bei Ziffer 2 und 3 erwähnten Gründe der Ausweisung oder der Nichtabnahme eines Fremden berufen kann und von seinem daherigen Rechte Gebrauch macht, die Beobachtung einer gegentheiligen Haltung vorzuschreiben.

21. Die K ö n i g l i c h B a y r i s c h e G e s a n d t s c h a f t hat unserem Justiz- und Polizeidepartement mit Note vom 18. Juni 1885 folgende Mittheiluug gemacht: Zufolge einer unterm 22. Juli 1884 ergangenen Entschließung des Königlich Bayrischen Staatsministeriums des Innern wird § 2l des deutschen Reichsgesetzes über die E r w e r b u n g und den V e r l u s t der Bundes- und S t a a t s a n g e h ö r i g ke dahin ausgelegt, daß die zehnjährige Verjährungsfrist für bayrische Unterthanen, welche Inhaber von Heimatscheinen mit unbestimmter Gültigkeitsdauer sind, überhaupt nicht zu laufen beginnt weshalb der Besitzer eines solchen Scheines durch Zeitablauf die Reichs- und Staatsangehörigkeit nicht verliert, auch wenn er Jahrzehnte lang im Auslande sieh aufhält, ohne den Heimatschein zu erneuern. (Man vergleiche das Kreisschreiben des Bundesrathes vom 14. Februar 1881, betreffend das neue, auf fünfjährige Gültigkeitsdauer lautende Formular für deutsehe Heimatscheine, irn Bundesblatt 1881, I, 360.)

22. Auf die Anfrage der f r a n z ö s i s c h e n B o t s c h a f t iu B e r n , vom 25. November 1885, ob die Franzosen in der Schweiz einer W o h n s i t z s t e u e r (droit de séjour) unterworfen seien, haben wir unterm 16. Dezember erwidert, daß in der Schweiz Niemand eine Aufenthalts- oder Wohnsteuer zu entrichten habe, dagegen von Ausländern, gleich wie von den Schweizern, die in einem andern Kantone Wohnsitz nehmen, eine geringfügige Kontrolgebühr zu erlegen sei. Niedergelassene, d . h . alle Diejenigen, welche für längere Zeit Wohnsitz nehmen oder ein Gewerbe ausüben wollen, müssen beim Einzug in einen Kanton eine einmalige Gebühr, die Fr. 6 nicht übersteigen darf, bezahlen ; Aufenthalter, d. h. diejenigen Personen, welche als Bedienstete, Handwerker u. s. w. oder nur für kürzere Zeit sich an einem Orte befinden, haben eine, dermalen noch
von den Kantonen zu bestimmende kleine Gebühr zu ent-richten.

23. Johann Sieg l i n-Müll l er von Hauingen, G r o ß h e r z o g t h u m s B a d e n , zur Zeit in Binningen, Kantons Baselland, be-

958

schwerte sich mit Eingabe vom 14. Januar 1885 gegen den Beschluß des Regierungsrathes des K a n t o n s B a s e l s t a d t , durch welchen ihm die Bewilligung zur Niederlassung Mangels eines unbescholtenen Leumundes verweigert worden ist.

Wir haben in E r w ä g u n g : 1) daß der Bundesrath angesichts des Art. 2 des Niederlassungsvertrages zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reiche, vom 27. April 1876, sich lediglich zu fragen hat, ob der Rekurrent die zur Wohnsitznahme in einem Kantone vorgeschriebenen Erfordernisse erfüllt habe; 2) daß die Beibringung eines von der zuständigen Heimatbehörde ausgestellten Zeugnisses über unbescholtenen Leumund nach dem alleg. Vertragsartikel ein Requisit ist. ohne dessen Erfüllung kein Kanton zur Aufnahme eines Deutschen angehalten werden kann; 3) daß im Spezialfalle, selbst bei weitgehender Annahme mildernder Umslände rücksichtlich der vielfachen gerichtlichen Bestrafungen des Rekurrenten, der Nachweis eines unbescholtenen Leumundes dieses Letztern nicht als erbracht betrachtet werden kann, -- am 13. März v.J. den Rekurs als u n b e g r ü n d e t abgewiesen.

24. Eine Beschwerde des August R o c h aus Bons, H o c hs a v o y e n , in Genf, gegen dessen vorn Justiz- und Polizeidepartement des K a n t o n s G e n f verfügte und vom dortigen Staatsrath bestätigte Ausweisung aus dem Kanton Genf, wurde am 14. April des Berichtjahres, nach Einsichtnahme der Veruehmlassung des Staatsrathes des Kantons Genf, gestützt auf folgende Erwägungen als u n b e g r ü n d e t e r k l ä r t : 1) Die Ausländer unterliegen in Ansehung des Rechtes, sich in der Schweiz niederzulassen oder aufzuhalten., nicht den Bestimmungen der schweizerischen Bundesverfassung, sondern denjenigen des zwischen der Schweiz und ihrem Heimatstaate bestehenden Niederlassungs Vertrages. Nun gewährt aber der zwischen der Schweiz und Frankreich am 23. Februar 1882 abgeschlossene Niederlassungsvertrag, wie übrigen? alle von der Schweiz mit andern Staaten vereinbarten Verträge dieser Art, den Angehörigen des andern Vertragstheiles das Niederlassungs- oder Aufenthaltsrecht in der Schweiz nur mit dem Vorbehalte, daß sie gewisse, vom Vertrage i'estgesetzte Bedingungen erfüllen. (Vergi, namentlich den von der Bundesversammlung bestätigten Bundesrathsbeschluß vom 19. September 1882 in Sachen A. Fauvel. im
Bundesblatt 1882, IV, l, sowie den Bundesrathsbeschluß über den Rekurs von Frl. Katharina Booth, vom 24. Juli 1883, im Bundesblatt 1883, III, 401.)

2) Unter Anderm wird durch den schweizerisch-französischen Niederlassungsvertrag verlangt, daß die Franzosen ,,den Gesetzen

959 und Polizeiverordnungen nachleben"1. Nur unter diesel' Bedingung können sie den Wohnsitz in der Schweiz erlangen und behalten.

3) Im vorliegenden Falle ist vom Justiz- und Polizeidepartement des Kantons Genf anläßlich seiner Verfügung vom 30. Oktober 1884 festgestellt worden, daß die Aufführung des Rekurrenten ,,zu schweren Klagen Veranlassung gebett.

Es ist ferner in der Antwort des Staatsrathes von Genf auf ·den vorliegenden Rekurs konstatirt, daß der Rekurrent das dem Justiz- und Polizeidepartement vorstehende Mitglied des Staatsrathes durch ehrverletzende Aeußerungen beschimpft hat.

4) Demnach fällt der Rekurrent unbestreitbar unter die Bestimmung des Genfer Gesetzes von 1844 über die Fremdenpolizei, Art. 27, Ziffer l, welche besagt, daß die Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung einem Fremden entzogen werden könne, wenn er selbst oder seine Familie sich schlecht aufführt.

c. Konfessionelle Verhältnisse.

25. Die R e g i e r u n g des K a n t o n s L u z e r n untersagte der C h r i s t k a t h o l i s c h e n G e n o s s e n s c h a f t in Luzern die ihr vom dortigen Stadt.rath, unter Vorbehalt der Genehmigung des Regierungsrathes, zur Abhaltung des Gottesdienstes und Vornahme von Kultushandlungen bewilligte Mitbenützung der M a r i a h i l f k i r c h e in Luzern.

Die deßhalb von der Christkatholischen Genossenschaft an den Bundesrath gerichtete Beschwerde wurde von uns durch Beschluß vom 23. Januar 1885 im S i n n e der E r w ä g u n g e n , die in extenso im Bundesblatte (Bundesblatt 1885, I, 209) zu lesen sind, für b e g r ü n d e t erklärt.

Gegen unsern Beschluß hat die Regierung des Kantons Luzern den Rekurs an die Bundesversammlung ergriffen. Die Angelegenheit ist in den Räthen noch nicht behandelt worden.

Am 11. Dezember 1885 beschloß der Nationalrath, dem die Priorität der Behandlung zugedacht ist, auf den Antrag des Hrn. Nationalrath E. Isler (Aargau), diese Rekurssache an den Bundesrath zurückzuweisen, damit derselbe zwischen den Parteien eine Vermittlung versuche.

Wir haben hierauf den Hrn. Ständerath Dr. M. Birmani! aus Baselland zum Delegirten ernannt und ihn beauftragt, die Unterhandlungen sofort zu beginnen. Hr. Dr. Birmana übernahm mit verdankenswerther Bereitwilligkeit die ihm übertragene Mission.

960

Ueber das Resultat seiner Bemühungen sind wir jedoch noch nicht in der Lage, Bericht zu erstatten.

26. Am 24. September 1885 sahen wir uns veranlaßt, den S t a a t s r a t h dos K au t o u s F r ei b ü r g zu interpelliren über die thatsächliche Unterlage eines Zeitungsberichtes, welcher besagte, daß am 13. September anläßlich des cucharistischen Kongresses in Freiburg zwei Mitglieder des J e s u i t e n o r d e n s in dortigen Kireheu gepredigt haben.

Der Staatsrat erwiederte mit Schreiheu vom 25. September, indem er unter Einbegleitu bezüglicher Aktenstücke in thatsächlicher Beziehung feststellte, daß nur e i n Jesuit, der Pater Verbecke, Sonntag den 13. September (Abends) in der Franziskanerkirche zu Freiburg, gepredigt habe; der zweite als Jesuit bezeichnete Priester, Abbé Tesnières, welcher in der Kollegiumskirche St. Nikolaus gepredigt habe, gehöre dem Jesuitenorden nicht an.

Ueber den Vorfall selbst sprach der Staatsrath sein Bedauern aus und versicherte, daß von seiner Seite am Morgen des 13. September Maßnahmen ergriffen worden seien, um einem solchen Vorkommnisse vorzubeugen ; leider seien aber die übereinstimmenden Weisungen Sr. Gnaden des Bischofs Mermillod im Gedränge (encombrement") das Sonntag Nachmittags iu Freiburg geherrscht habe, nicht vollzogen worden. Am 14. September schon habe der Staatsrath dem Herrn Bischof sein Bedauern über das Geschehene ausgesprochen und mittelst Antwortschreibens vom 18. September habe Monseigneur Mermillod den Staatsrath wissen lassen, daß er, der Bischof, nicht nur das Bedauern über diesen Vorfall theile, sondern auch alsobald seine Mißbilligung zu erkennen gegeben habe.

Wir erledigten diese Angelegenheit durch folgendes Schreiben, das wir dem Staatsrathe unterm 29. September zugehen ließen: ,,Wir haben mit Befriedigung aus Ihrer Zuschrift vom 25. 1. M.

ersehen, daß Sie gesucht hatten, der Verletzung der Bundesverfassung, auf die wir Sie aufmerksam machten, vorzubeugen.

,,Indem wir bedauern, daß die von Ihnen zur Aufrechthaltung der Bundesverfassung ergriffenen Maßnahmen sich als ungenügend erwiesen haben, glauben wir diesem Vorfalle" keine weitere Folge geben zu sollen ; immerhin glauben wir von Ihnen erwarten zu dürfen, daß Sie in der Zukunft bei ähnlichen Anlässen wirksame Anordnungen treffen werden, um eine abermalige Mißachtung der . Bundesverfassung zu verhindern. a

961 d. Beerdigungswesen.

27. Die bereits im vorjährigen Berichte erwähnte Streitigkeit betreffend die Beerdigung eines jungen Protestanten, Namens C ä s a r M a g g i n i , in der katholischen Abtheilung des Friedhofes zu B i a s c a (Tessin) hat durch einen Beschluß des Bundesrathes vom 16. Januar 1885 ihre Erledigung gefunden.

Wir haben den Staatsrath des Kantons Tessin in einem Schreiben vom genannten Tage auf die Wünschbarkeit einer Abänderung des Begräbnißreglementes der Gemeinde Biasca zuhanden der dortigen Munizipalität aufmerksam gemacht. Der wesentliche Inhalt unseres Schreibens lautet: Die Untersuchung über die Beschwerde wegeu unschicklicher Bestattung eines protestantischen Bürgers in der Gemeinde Biasca hat ergeben, daß von einer Verletzung der Vorschrift des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung durch das in Biasca im Jahre 1883 von der Munizipalität erlassene Beerdigungsreglement mit Rücksicht auf die 1875 inaugurirte und seither festgehaltene Bundespraxis nicht gesprochen werden kann. Dagegen findet der Bundesrath, es gehe soviel aus den Akten hervor, daß die Zweitheilung des Friedhofes in Biasca nach Konfessionen mehr und mehr eine Quelle des Zerwürfnisses und der Unzufriedenheit unter der Bevölkerung bilde. Vor einer einfachen und bündigen Reglementsbestimmung, daß die Gemeinde nur e i n e n Friedhof für alle Konfessionen habe, würde "bald jede Einwendung verstummen, und es sei ohne Frage der Gebrauch eines gemeinsamen Friedhofes in einer Gemeinde, ohne konfessionelle Scheidung, derjenige Modus im Beerdigungswesen, der dem Prinzip der Gleichheit der Bürger sowohl als dem Zwecke der Milderung der konfessionellen Gegensätze im Leben am meisten entspreche und in einer Reihe katholischer und paritätischer Ortschaften der Schweiz ohne Schwierigkeit praktizir werde.

e. Stimmberechtigung; Wahlrechtsfragen.

1. Betreffend eidgenössische Wahlen und Abstimmungen.

28. Anläßlich der G e s a m m t e r n e u e r u n g s w a h l e n des N a t i o n a l r a t h e s vom 26. Oktober 1884 hatten wir uns mit mehrfachen Reklamationen aus dem Kanton Tessin zu befassen.

Wir erwähnen: a. Die Beschwerde von Lorenz Gut und dreizehn anderen in der Gemeinde Daro, bei Bellinzona, wohnhaften Schweizer-

962 bürgern, die sich darüber beklagten, daß sie, obwohl seit einem oder mehreren Jahren in Darò ansäßig, nicht gemäß Art. 5 des Bundesgesetzes über eidgenössische Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juli 1872 von Amtswegen im Stimmregister aufgenommen und deßhalb am 26. Oktober 1884 von der Theilnahme an der Wahl ausgeschlossen worden seien.

Der Bundesrath hat am 6. Februar 1885, in Erwägung: daß das tessinische Fremdenpolizeigesetz vom 9. Juni 1853 und das tessinische Gesetz über Ausübung der politischen Rechte vom 15. Juli 1880 von den tessinischen Behörden dahin interpretirt werden, daß der Schweizerbürger, welcher sein Stimmrecht im Kanton Tessin auszuüben gedenke, sieh durch eine Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung darüber auszuweisen habe, daß er da, wo er zu stimmen beabsichtige, wirklich niedergelassen oder aufenthaltsberechtigt sei ; daß diese Praxis weder mit der Bundesverfassung, noch mit anderweitigen bundesrechtlichen Bestimmungen im Widerspruch steht, gegentheils durch Artikel 3 des Bundesgesetzes über eidgenössische Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juli 1872 unterstützt wird; daß nun aber die Beschwerdeführer behufs Ermöglichung der Stimmgabe am 26. Oktober 1884 sich über ihre Niederlassungsoder Aufenthaltsberechtigung nicht nur nicht ausgewiesen, sondern der Gemeindebehörde von Darò nicht einmal einen Heimatschein oder eine gleichbedeutende Ausweisschrift vorgelegt haben; daß daher kein Grund vorliegt, gegen die Munizipalität von Darò in dem von der Beschwerde angedeuteten Sinne vorzugehen, beschloss en: der Beschwerde der Herren Lorenz Gut und Mithaften sei keine weitere Folge zu geben.

fe. Die Beschwerde der Munizipalität M e n d r i s i o und der Herren S t o c k e r und Konsorten in dort.

Auf erhobenen Rekurs wies der Staatsrath des Kantons Tessin am 25. Oktober 1884 unter Androhung einer Buße von Fr. 500 die Munizipalität von Mendrisio an, die Namen von 8 Schweizerburgern, welche auf dem Stimmregister dieser Gemeinde anläßlich der Bereinigung desselben für die am 26. Oktober stattfindenden Nationalrathswahlen eingetragen worden waren, zu streichen, weil dieselben am 22. Oktober, dem Tage, an welchem das Register geschlossen wurde, noch keine 3 Monate dort domizilirt gewesen seien.

963 Bin am 25. Oktober von der Munizipalität telegraphisch angemeldeter Rekurs konnte vom Bundesrath v o r den Wahlen nicht mehr erledigt werden ; die Munizipalität, welche vom Bundesrath keinen sofortigen Entscheid erhielt, kam der Verfügung des Staatsrathes nach, wiederholte aber mit Eingabe vom 11. November ihren Rekurs.

Im Fernern rekurrirten von den durch den Entscheid des Staatsrathes des Kantons Tessin von der Ausübung des Stimmrechts Ausgeschlossenen die Herren Stocker, Festangestellter in Meudrisio, Feer und Hauswirth, Bahnhofangestellte daselbst, unterm 1. November ebenfalls gegen den erwähnten Entscheid des Staatsrathes.

Wir haben unterm 6. Februar 1885 sowohl den Rekurs der Munizipalität von Mendrisio als denjenigen der Herren Stocker, Feer und Hauswirth für b e g r ü n d e t erklärt. Unser Entscheid ist in extenso enthalten im Bundesblatt 1885, I, S. 363 ff.

c. Die Beschwerde der Munizipalität von L u g a n o .

Wir haben auch hierüber am 6. Februar 1885 unsern Entscheid gefällt und den Rekurs der Munizipalität in Bezug auf e i n e Streitfrage für b e g r ü n d e t , in Bezug auf drei andere Punkte für u n b e g r ü n d e t erklärt. Man sehe Bundesblatt 1885,1, 350 ff., wo sich eine vollständige Darstellung des der Rekursentscheidung zu Grunde liegenden Thatbestandes findet und die von uns aufgestellten Motive abgedruckt sind.

2. Betreffend kantonale Wahlen.

29. Eine am 29. November 1885 in Ölten abgehaltene Versammlung stimmberechtigter Einwohner und Bürger des Kantons Solothurn, vertreten durch die Herren K a r l von H a l l e r - R e d i n g , als Präsident, und A l b e r t B ü t t i k e r , Fürsprecher, als Aktuar, welche Herren auch in eigenem Namen handeln, sowie die Gemeinden H a u e n s t e i n und R o h r , Kantons Solothurn, laut Gemeindebeschlüssen vom 6. und 27. Dezember 1885, beschwerten sich unter Berufung auf die §§ 22, 57 und 2 der solothurnischen Staatsverfassung über § 10 der Strafprozeßordnung des Kantons Solothurn von 1885 in Verbindung mit Art. 5 der Uebergangsbestimmungen derselben betreffend d i e " W a h l d e r k a n t o n a l e n G e schwornen durch die kantonalen Wahlkreise.

Die Rekurrenten sind der Ansieht, daß nach den erwähnten Paragraphen der solothurnischen Staatsverfassung die Wahl der Geschwornen durch die G e m e i n d e n stattzufinden habe.

Der Bundesrath hat in Erwägung gezogen:

964

1) Es handelt sich im Rekursfalle um die Frage, ob gewisse Bestirntnungen eines solothurnischen Gesetzes, nämlich die Vorschriften der Strafprozeßordnung für den Kanton Solothurn betreffend die Wahl der Geschwornen, mit einer Bestimmung der Verfassung des Kantons Solothurn im Einklänge stehen. Nach Art. 102, Ziff. 2, und 113 der Bundesverfassung in Verbindung mit Art. 59, litt, a, des Organisationsgeseztes über die Bundesrechtspflege fallen aber Beschwerden von Privaten und Korporationen betreffend Verletzung derjenigen Rechte, welche ihnen durch die. Verlassung ihres Kantons gewährleistet sind, in die Kompetenz des Bundesgerichtes.

2) Der Entscheidung des Bundesrathes, beziehungsweise der Bundes versammlung vorbehalten sind allerdings gemäß Art. 113, Absatz 2, der Bundesverfassung und Art. 59, Absatz 2, des allegirten Bundesgesetzes die sogenannten Administrativstreitigkeiten und unter diesen zufolge Art. 59, Ziffer 9, des gleichen Gesetzes ,,Beschwerden gegen die Gültigkeit kantonaler Wahlen und Abstimmungen".

Allein der Bundesgesetzgeber hat damit nicht den allgemeinen Satz autstellen wollen, daß sämmtliche auf Wahlen und Abstimmungen sich beziehenden kantonalgesetzlichen Bestimmungen auf dem Wege der Besehwerde beim Bundesrathe, beziehungsweise der Bundesversammlung angefochten werden können, sondern es wollten Beschwerden wegen kantonaler W a h l e n und Ab S t i m m u n g e n , deren Gültigkeit in Frage steht, insbesondere Fragen der Stimmberechtigung ihres eminent politischen Charakters wegen den politischen Bundesbehörden zur Erledigung zugewiesen werden. (Man vergleiche hierüber : Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend die Organisation der Bundesrechtspflege vom 23. Mai 1874, Bundesblatt 1874,1, 1079; ferner: Blumer-Morel. Schweizerisches Bundesstaatsrecht, I, 249.)

Die Beschwerde bezieht sich auf eine Frage der Organisation kantonaler Wahlen hinsichtlich der Bezirke, in denen sie vorgenommen werden sollen (Wahlkreise oder Gemeinden), sie betrifft eine Gesetzesbestimmung, deren Aufhebung mit Rücksicht auf eine angeblich entgegenstehende Vorschrift der Kantonsverfassung aubegehrt wird, und es kann daher die Kompetenz des Bundesrathes zur Erledigung des Rekursbegehrens auch nicht aus den oben angeführten Bestimmungen des Bundesrechts hergeleitet werden.

3) Wenn
endlich die Rekurrenten glauben, auf Art. 102, Ziff. 3, der Bundesverfassung sich berufen zu können, um darzuthun, daß der Bundesrath in vorliegender Rekursfrage zuständig sei, so muß diese Auffassung als eine irrthümliche bezeichnet werden.

Der Bundesrath hat gemäß der erwähnten Verfassungsstelle -für die Garantie der Kantonal Verfassungen zu wachen". Diese

965

Aufgabe kann nicht die Tragweite haben, daß der Bundesrath alle Beschwerden, die sich wegen wirklicher oder angeblicher Verletzung von Bestimmungen der Kantonalverfassungen erheben mögen.

zu behandeln und zu erledigen habe. Nicht nur spricht gegen eine derartige Annahme der Wortlaut der Verfassungsbestimmung, sondern es würde dieselbe, so aufgefaßt, mit andern Bestimmungen der Bundesverfassung und der Bundesgesetzgebung in direktem Widerspruche stehen, mit den vorhin unter Ziffern l und 2 zitirten Bestimmungen nämlich, welche die Kompetenz des Bundesgerichtes in Beschwerdefällen wegen Verletzung der Kantonalverfassungen begründen.

Der Bundesrath hätte vielmehr auf Grund seines verfassungsrechtlichen Mandates zur Aufrechthaltung einer kantonalen Verfassungsbestimmung erst dann zu interveniren wenn die Wirksamkeit der vom Bunde gewährleisteten Kantonsverfassung überhaupt in Frage gestellt würde oder wenn die Rechte, welche die Bürger auf Grund derselben anzusprechen haben, von den zuständigen Behörden augenscheinlich mißachtet werden sollten.

Im Rekursfalle kann auch hievon nicht die Rede sein. Die Rekurrenten verlangen ja eben von den Behörden des Bundes den Schutz eines durch eine kantonale Gesetzesbestimmung angeblich verletzten verfassungsmäßigen Rechtes; der Entscheid über ihr Begehren wird von der hiefür zuständigen Bundesbehörde in Anwendung und nach Maßgabe der solothurnischen Kantonsverfassung getroffen werden, und der Bundesrath wird nötigenfalls dafür zu sorgen haben, daß der Vollziehung der betreffenden Verfassungsbestimmung, dem Aussprudle des Bundesgerichtes gemäß, kein Hinderniss in den Weg gelegt werde.

Nach Maßgabe dieser Erwägungen haben wir am 30. Dezember beschlossen, a u f d e n R e k u r s wegen I n k o m p e t e n z nicht einzutreten.

966

B. Polizeiverwaltung.

T. Auslieferung TOD Verbrechern und Angeschuldigten.

1. Einleitung.

Die Behandlung der Auslieferungsangelegenheiten erforderte auch im Berichtjahre vermehrte Thätigkeit. Namentlich beanspruchten die Verhandlungen über Auslieferungen mit solchen Staaten, welche zu der Schweiz in keinem bezüglichen Vertragsverhältnisse stehen oder nicht unmittelbar an dieselbe angrenzen, besondere Aufmerksamkeit und viel Korrespondenzen. Die Zahl der von Seite der Schweiz bei auswärtigen Staaten nachgesuchten Auslieferungen ist in diesem Jahre ungefähr dieselbe geblieben, wie im Jahre 1884 , nämlich 103 gegenüber 104 im Vorjahre. (1883: 101; 1882: 98.) Dagegen hat sich die Anzahl derjenigen Auslieferungsbegehrea , welche von Seite ausländischer Staaten an die Schweiz gestellt wurden, gesteigert, nämlich von 185 im Jahre 1884 auf 195 im Jahre 1885 (1883: 177; 1882: 150). Dieser Zuwachs ist wesentlich Folge einer Vermehrung von Auslieferungsanträgen aus Deutschland. Im Ganzen waren also im Berichtjahre 298 Angelegenheiten dieser Art zu behandeln.

Die von Seite der S c h w e i z bei auswärtigen Staaten verlangten Auslieferungen betrafen: l Mord, 1 Todtschlag, 6 Körperverletzung, 5 Verbrechen gegen die Sittlichkeit, 2 Brandstiftung, 1 Meineid, 2 Münzfälschung, 5 betrüblichen Bankerott, 4 Urkundenfälschung, 2 Erpressung, 13 Unterschlagung, 39 Diebstahl, 22 Betrug.

103

967

Die Auslieferungsbegehren von a u s l ä n d i s c h e n S t a a t e n betrafen : a. Deutschland.

1 Todtschlag, 2 Raub, l Körperverletzung, l Verbrechen gegen die Sittlichkeit, l Brandstiftung, l Meineid, 1 Bestechung öffentlicher Beamten, 6 betrüglichen Bankerott, 4 Urkundenfälschung, 12 Unterschlagung, 37 Diebstahl, 24 Betrug, 2 Hehlerei.

93

4 l 7 l 10 5 5 l 15 3

b. Fr ankr eich.

Mord und Mordversuch, Körperverletzung, Verbrechen gegen die Sittlichkeit, Falschmünzerei, betrügliehen Bankerott, Fälschung, Unterschlagung, Eigenthumsbeschädigung, Diebstahl, Betrug.

52

c. Italien.

6 Mord und Mordversuch, 1 Todtschlag, 3 Verbrechen gegen die Sittlichkeit, 2 falsches Zeugniß, 3 Münzfälschung, 15 Uebcrtrag.

968

15 Uebertrag.

1 betrüglichen Bankerott.

5 Urkundenfälschung, 2 Erpressung, 2 Unterschlagung, 11 Diebstahl, 3 Betrug.

39

l 1 2 2

ci. O est er r ei eh.

Urkundenfälschung, Erpressung, Diebstahl, Betrug.

6

e. Rußland.

l Fälschung, 3 Unterschlagung.

4

f. Serbien.

l Unterschlagung.

Das weitere Detail ergibt sich aus folgenden Tabellen:

969

2. Statistik.

Staaten, bei denen diese Auslieferungen nachgesucht wurden; Aesivoten Argentinien Belgien Deutschland Frankreich Italien Oesterreich Vereinigte Staaten von Amerika Ausland im Allgemeinen .

1

1 4 7

1 1

2 1 1 3 7 8 1 4 2 1

Bundesblatt 38. Jahrg. Bd. I.

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1

6 1 1

?,

1 1 1

3

1

1 1

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1

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7 1 3 2 12 6 7 6

4

1

1 1 5 1 5 3

?, 1 ?, ?,

103

53

22

53

2 1 3 VI 1

22

2 1 1

1

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1 1 3 8 4 34 ?,5 3 49 ?,0 11 9 6 4 1 1 2 1 1 1 103

1

Pendent. |

7 8 1

Zurückgezogen.

10 19

Verweigert, i

Bewilligt.

Zürich Bern Luzern Schwyz Obwalden Freibuvg Solothurn Basel-Stadt Basel-Land Schaffhausen Appenzell A. Rh Appenzell I. R h St. Gallen Graubünden Aargau Thurgau .

i Waadt Wallis Neuenburg Genf . .

Anzahl der Individuen.

Kantone.

ünentdeckt. l i

A. Von Seite der Schweiz bei auswärtigen Staaten nachgesuchte Auslieferungen.

5

11

12 1 1

1 9, 7

1 4

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970

ünentdeckt. !

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93 52 39 6 4 1

77 36 25

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9

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Anzahl der l Individuen.

Staaten.

Zurück- ]j gezogen, l

B. Von Seite auswärtiger Staaten bei der Schweiz nachgesuchte Auslieferungen.

!

Deutschland i Frankreich . . . .

Italien Oesterreich Rußland Serbien

5 1 1 1

Kantone, bei denen diese Auslieferungen verlangt wurden:

Zürich Bern Schwyz Freiburg Basel-Stadt . . . .

Basel-Landschaft . . . .

Schaffhausen Appenzell A. Rh St. Gallen Graubütiden Aaraau Thurgau Tessin Waadt Wallis Neuenburg Genf Schweiz im Allgemeinen

40 10 1 1 28 3

31 6 1 1 24

9,

3 -- 11 10 1 1 -- -- 6 5 1 1 1 4 1 * 3 3 24 18 4 1 7 6 2 2 9 5 2 38 10

195

27 Ì 144

7 8

1

33

2

1 1

-- ; 1

9, 1 1

3 1

8

8

971 3. Verfahren.

1. Nach bisheriger Praxis haben wir die Einrede von Angeklagten, daß sie u n s c h u l d i g s e i e n , nicht als eine Einsprache gegen die Anwendbarkeit des betreffenden Staalsvertrages im Sinne von Art. 58 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege behandelt, sondern diese Fälle ohne Ueberweisung an das Bundesgericht von uns aus durch Bewilligung der Auslieferung erledigt, sobald die formellen Vorschriften des Vertrages erfüllt waren, indem nach unserer Ansicht das Urtheil über Schuld oder Unschuld lediglich dem kompetenten Richter zusteht. Es haben 16 Fälle in dieser Weise ihre Erledigung gefunden.

lu 5 Fällen lagen dagegen wirkliche Einsprachen gegen die Anwendbarkeit der bei reffenden Stnatsverträge vor. Sie wurden daher gemäß dem erwähnten Art. 58 an das Bundesgerieht gewiesen, welches in 3 Fällen die Auslieferung bewilligte, dagegen in einem sie ablehnte; der 5. Fall wurde durch Rückzug des Auslieferungsbegehrens erledigt. Im Jahresberichte des Bundesgerichtes sind diestalls die nähern Nachweise gegeben.

2. Mit Bezug auf 2 Deutsche, 2 Franzosen, l Oesterreicher und l Italiener, welche wegen gemeiner Verbrechen verfolgt wurden, aber gleichzeitig auch der D e s e r t i o n sich schuldig gemacht hatten, wurde die Auslieferung nur unter der Bedingung bewilligt, daß diese Individuen wegen Fahnenflucht nicht bestraft werden dürfen. Es wurde hievon nicht nur den betreffenden Regierungen, sondern auch den Ausgelieferten behufs Wahrung ihrer Interessen bei der Vertheidigung Kenntniß gegeben.

3. Der Württemberger K a r l E n g i s s e r , welcher im badischen Amtsbezirke Waldshut einen unbedeutenden Diehstahl begangen hatte, wurde im Kanton Schaffhausen arrelirt. Nachdem die großherzoglich badische Regierung dessen Auslieferung verlangt hatte, erklärte er sich damit einverstanden, gab aber zugleich davon Kenntniß, d a ß e r w ü r t t e m b e r g i s c h e r M i l i t ä r f l ü c h t l i n g sei, und verwahrte sich gegen eine allfällige Auslieferung von Seite der badischen Behörden an Württemberg. Die Bewilligung der Auslieferung an das Amtsgericht Waldshut erfolgte daher nur unter der Bedingung, daß Engisser wegen Desertion in Deutschland strafrechtlich nicht verfolgt werden dürfe. Ungeachtet dessen wurde der Inkulpat schon drei Tage nach seiner Ankunft in Waldt-hut, auch behufs Bestrafung des in diesem Orte verübten Diebstahls, an das Kommando des württembergischen Regimentes, dem er früher angehörte, überliefert.

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Nachdem wir von diesem Verfahren Kenntniß erhalten, beeilten wir uns, die badische Regierung darauf aufmerksam zu machen, daß dasselbe im Widerspruehe stehe nicht blos mit deidie Auslieferung begleitenden Bedingung, sondern auch mit der Vorschrift von Art. 4, Alinea 3, des Auslieferungsvertrages zwischen der Schweiz und Deutschland. Hiernit wurde das Gesuch verbunden, diese Angelegenheit möglichst eilig einer nähern Untersuchung zu unterstellen, in der Hoffoung, das Ministerium werde dadurch in die Lage kommen, uns über das scheinbar vertragswidrige Verfahren möglichst beförderlich beruhigende Erklärungen zukommen zu lassen.

Das großherzoglich badische Ministerium beeilte sich, den Nachweis zu leisten, daß ihm nicht bekannt gewesen, daß das fragliehe Individuum Deserteur sei, und daß dessen Auslieferung an Württemberg vollzogen worden, bevor es unsere Note betreifend die Bewilligung der Auslieferung erhalten, so daß es nicht in der Lage gewesen, in Erwägung zu ziehen, ob die Auslieferung unter dem beigefügten Vorbehalte anzunehmen oder ob etwa, auf dieselbe zu verzichten sei. Es habe indeß sofort der kgl. württembergischen Regierung von dem Sachverhalte Kenntniß gegeben.

Die württembergische Militärverwaltung hielt einen Verzieht auf die Bestrafung des Ausgelieferten wegen Fahnenflucht im dienstlichen Interesse für ausgeschlossen. Sie zog es deßhalb vor, die Auslieferung durch Zurückverbringung des Delinquenten nach der Schweiz rückgängig zu machen.

Da Karl Engisser unter dem Namen Mathias Etter durch ein Urtheil des Bezirksgerichtes Zürich für die Dauer von zwei Jahren aus der Schweiz ausgewiesen worden, so wurde die Instruktion gegeben, nach Wiederherstellung des status quo ante ihn an die Grenze desjenigen Landes abzuschieben, in welchem er seinen Aufenthalt zu nehmen wünsche.

4. Nicht selten kommt es vor, daß Individuen, gegen welche im Auslande Strafuntersuchungen pendent sind und deren Auslieferung reklamirt wird , in der Schweiz noch längere Freiheitsstrafen zu verbüßen haben, bevor ihre Uebergabe an die requirirenden Behörden erfolgen kann. In solchen Fällen nehmen wir keinen Anstand, im Interesse der Rechtshülfe, welche civilisirte Staaten gegenseitig sich schulden, die p r o v i s o r i s c h e A u s l i e f e r u n g dieser Individuen zum Zwecke ihrer Beurtheilung im Auslande zu
bewilligen, immerhin unter dem ausdrücklichen Vorbehalte, daß sie nachher behufs Erstehung der Strafen, zu denen sie in der Schweiz verurtheilt worden waren, zurüekgeliefert werden.

973 Dieses Verfahren ist i in Berichtjahre sowohl Frankreich als Deutschland gegenüber zur Anwendung gekommen.

Andererseits haben wir auch von dem Anerbieten Frankreichs, einen Schweizer provisorisch nach Zürich auszuliefern, Gebrauch gemacht.

5. In einer Reihe von Fällen haben Delinquenten, welche von der Schweiz an Frankreich ausgeliefert worden waren, vor dem französischen Richter das Verlangen gestellt, gleichzeitig auch für solche Verbrechen beurtheilt zu werden, welche im bezüglichen Staatsvertrage nicht v o r g e s e h e n s i n d und für welche daher die Auslieferung nicht bewilligt worden war. Von den diesfälligen Erklärungen haben wir jeweils auf diplomatischem Wege Kenntniss erhalten.

6. Auf Gesuch des italienischen Konsulates in Zürich wurde daselbst ein I t a l i e n e r , welcher in Novara wegen Mordes in Untersuchung stand, verhaftet und mit Zustimmung des Angeklagten an die italienischen Behörden d i r e k t a u s g e l i e f e r t , ohne daß die bezügliche Bewilligung des Bundesrathes allgewartet wurde.

Wir sahen uns neuerdings veranlaßt, darauf aufmerksam zu machen, daß zwar in dringenden Fällen die Auslieferung vor unserm Entscheide über die Bewilligung derselben vollzogen werden könne, wenn ein offizielles Begehren der betreffenden auswärtigen Regierung vorliege und das verfolgte Individuum s e i n e E i n w i l l i g u n g z u P r o t o k o l l e r k l ä r t h a b e , d a ß e s aber wünschbar wäre, hierin vorsichtig zu Werke zu gehen, zumal unser Entscheid nie lange auf sich warten läßt, indem die Auslieferungsangelegenheiten stets als dringliche Geschäfte betrachtet und beförderlichst erledigt werden. Bei der summarischen Behandlung der Auslieferungsgeschäfte ist es nur zu leicht möglich, daß wichtige Fragen und oft die Interessen des Angeklagten selbst übersehen werden.

7. Der Franzose Jean Louis S a l l e hatte in seiner Heimat eine Stimme von über Fr. 15,000 unterschlagen, sodann in die Schweiz sich geflüchtet und hier mit diesem Gelde größere Quantitäten Waaren angekauft. Anläßlich des Vollzuges seiner Auslieferung an Frankreich wurde die Einfrage gestellt, ob die kantonalen Behörden berechtigt seien, die se q u e s t r i r te n W a a r e n des Angeklagten zu verkaufen und den Erlös nach Abzug der Kosten des Sequesters, der Inventarisirung und des Verkaufes an die kompetenten französischen Behörden auszuliefern. Diese Frage mußte jedoch verneint werden, weil nach Inhalt von Art. 5 und

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10 des AuslieferungsVertrages zwischen der Schweiz und Frankreich die bei einem auszuliefernden Angeklagten sequestrirten Gegenstände in der Regel i u natura und jedenfalls kostenfrei der requirirenden Behörde zugestellt werden müssen. Zudem ist es Sache des kompetenten Richters, im einzelnen Falle zu verfügen, ob die Uebergabe der saisirten Gegenstände im Interesse der Untersuchung in natura stattfinden oder ob der Verkauf derselben angeordnet werden soll.

8. Die Regierung von Freiburg verlangte die Auslieferung des in Frankreich wohnenden J. J. L. P u g i n von Echarlens wegen ,,taux immatériel. a Die Anklage stützte sich darauf, daß Pugin, obschou bereits verheirathet, in England eine zweite Ehe eingegangen und angegeben habe, l e d i g zu sein. Das fra nzösiche Ministerium wies aber das bezügliche Begehren mit der Erklärung ab , daß die Handlung des Fugin nach den französischen Gesetze als B i g a m i o sich charakterisire, ein Delikt, welches im Auslieferungsvertrage zwischen der Schweiß und Frankreich nicht vorgesehen sei.

Die frei burgische Regierung verlangte nunmehr die Auslieferung des Pugin wegen Meineids, da derselbe vor der faculté Doctors Commons in London eidlich wider besseres Wissen versichert habe, es stehe seinerseits der Ehe kein Hinderniß entgegen. Indessen wurde das Auslieferungsbegehren auch wegen dieser Anklage abgelehnt, weil der von dem Angeschuldigten vor der genannten Behörde abgelegte Meineid ein a u ß e r g e r i c h t l i c h e r sei und als solcher nicht unter das französische Strafgesetz falle. Das letztere bestrafe gemäß Art. 361 -- 36(5 nur den g e r i c h 11 i e h e n Meineid. Da aber gemäß dem Schlusssatze von Art. l des Staatsvertrages zwischen der Schweiz und Frankreich die Auslieferung nur stattfinden soll, wenn die gleiche Handlung auch in demjenigen Lande strafbar sei , an welches das Auslieferungsgesuch gerichtet werde, so könne im vorliegenden Falle dem Auslieferungsbegehren nicht Folge gegeben werden.

O O O 9. Dein Auslieferungsbegehren der Regierung des Kantons Bern gegen Helena W i n g e y e r , welche eines größern D i e b s t a h l e s z u m N a e h t h e i l e i h r e s E h e m a n n e s sich schuldig gemacht hatte und vermuthlich in Frankreich sich aufhielt, konnte keine Folge gegeben werden, weil gemäß Schlußsatz von Art. l des Auslieferungsvertrages
zwischen der Schweiz und Frankreich die Handlung, für welche die Auslieferung verlangt wird , auch im angesprochenen Staate strafbar sein m u ß , nach Art. 380 des französischen Code pénal aber der Diebstahl unter

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Ehegatten nicht eine Strafklage, sondern bloß einen civilrechtlichen Anspruch begründet.

10. Da zufolge Art. l des Auslieferungsvertrages zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reiche nicht bloß die Urheber und Thäter, sondern auch die Theilnehmer an den dort aufgezählten Handlungen ausgeliefert werden sollen, so wurde kein Anstaud genommen, die Auslieferung eines Individuums wegen H e h l e r e i b e i U n t e r s e li l a g u n g an Württemberg zu bewilligen, indem die Hehlerei" ohne Zweifel als eine im Auslieferungsvertrage vorgesehene Form der Theilnahme. betrachtet werden muß (Fall Schweigert) 11. Bin Auslieferungsgesuch, das wir bei den Vereinigten Staaten von Amerika zu betreiben hatten, war mühevoll, aber von gutem Erfolge. Es betraf dasselbe Georg V o g e l s a n g e r , gewesene Gemeinderathsschreiber von Beggingen Kantons Schaffhausen, welcher der Fälschung öffentlicher Urkunden, des Gebrauchs gefälschter Papiere, sowie der Veruntreuung als öffentlicher Beamter augeklagt war und nach New-York sich geflüchtet hatte. Das Verfahren dauerte nahezu drei Monate; die Auslieferungskosten beliefen sich auf etwas über Fr. 8000 12. Im Jahre 1877 ist auf Antrag der italienischen Regierung in Betreff der gegenseitigen Auslieferung wegen B l u t s c h a n d e (Fall A s s a c h er) die Beobachtung der Reciprocilät vereinbart worden, indem dieses Verbrechen im Auslieferungsver trage mit Italien nicht vorgesehen ist.

Auf Grund dieses Abkommens haben wir im Berichtjahre die Auslieferung des italienischen Erdarbeiters Franz B e r n a r d e l l i, welcher in Lodi (Italien) wegen Blutschande zu 3 Jahren Gefängniss verurtheilt worden war, bewilligt.

Der Vollständigkeit halber sei hier noch beigefügt, daß auch die Geschwister Carlo und Savina Erb aus Mailand im Jahre 1882, gestützt auf das nämliche Reciprocitätsverhältniß, von der Schweiz an Italien ausgeliefert worden sind.

13. Die königl. s e r b i s c h e Regierung stellte das Gesuch um Auslieferung des in Zürich verhafteten Nicolas V e l i t c h k o , welcher als Kassier auf dem Bahnhofe zu Belgrad bedeutender Unterschlagungen zum Nachtheile der serbischen Staatsbahn sich schuldig gemacht hatte. Da jedoch zwischen der Schweiz und dem Königreiche Serbien ein Auslieferungsvertrag nicht besteht,

976 so traten wir auf diesen Antrag erst ein, nachdem die königlich serbische Regierung mittelst einer formellen Erklärung die Beobachtung des Gegenrechtes für ähnliche Fälle zugesichert hatte.

Indess konnte die Angelegenheit imBerichtjahree nicht mehr zu Ende geführt werden, da Velitchko als ungarischer Staatsbürger nicht über das Gebiet der österreichisch-ungarischen Monarchie nach Serbientransportirtt werden durfte. Die serbische Regierung ist deßhalb für Bewilligung des Transites mit der italienischen Regierung in Unterhandlung getreten.

14. Auf unser Gesuch wurde von einem d e u t s c h e n Staate gegen 1. von F r a n k r e i c h gegen 6 und von I t a l i e n ebenfalls gegen 6 ihrer Staatsangehörigen die B e u r t h e i l u n g u n d B e s t r a f u n g i n d e r H e i m a t f ü r solche Verbrechen und Vergehen übernommen, deren die Verfolgten in der Schweiz sich schuldig gemacht hatten, für welche sie aber in Folge ihrer Flucht hier nicht bestraft werden konnten.

Andererseits wurde v o n D e u t s c h l a n d u n d I t a l i e n j e in l und von F r a n k r e i c h in 3 Fällen die Uebernahme deiU n t e r s u c h u n g g e g e n S c h w e i z e r verlangt, welche i n diesen Staaten strafbarer Handlungen sich schuldig gemacht, aber vor ihrer Beurtheilung in die Schweiz sich haben flüchten können.

In diesen Fällen sind jeweilen, in Vollziehung der bezüglichen Vorschriften in den Auslieferungsverträgen die Regierungen der Heimatkantone eingeladen worden, die Beurtheilung den heimatlichen Gerichten zu überweisen, welche auch nach Maßgabe ihrer Gesetzgebung geurtheilt haben.

15. Die italienische Regierung verlangte die Auslieferung de» in Genf wohnenden Adelmo L o r e n z e t t i von Teramo (Italien), welcher wegen A u s g a b e v o n f a l s c h e n i t a l i e n i s c h e n B a n k n o t e n , begangen im Jahre 1869, zu 10 Jahren Zwangsarbeit in contumaciam verurtheilt worden war. Diesem Begehren konnte jedoch nicht entsprochen werden, weil sich der Verfolgte im Jahre 1870 im Kanton Tessin eingebürgert hatte. Wir trafen in Folge dessen die nöthigen Einleitungen, damit im Sinne von Art. 5 des Auslieferungsvertrages zwischen der Schweiz und Italien die Beurtheilung des Lorenzetti von den tessinischen Gerichten übernommen werde. Allein, da die Strafklage nach der tessinischen Gesetzgebung verjährt war, mußte von jeder weitern Verfolgung abgesehen werden.

977 16. Der Waadtländer Fillietta wurde im November 1884 von den Assisen des Departements Haute-Saône in contumaciam zu 5 Jahren Zuchthaus rerurtheilt wegen Diebstahls. Im Anfange des Jahres 1885 konnte seine Arrestation im Kanton Waadt bewerkstelligt werden, wo er neuerdings des Diebstahls sich schuldig gemacht hatte. Die Regierung des Kantons Waadt glaubte anfänglich, mit seiner Beurtheilung in der Heimat auch dio Anklagen in Frankreich verbinden zu können, wünschte aber Sicherheit dafür zu erhalten , daß Filliettaz, wenn er nach Verbüßung der Gesammtstrafe wieder nach Frankreich zurückkehren sollte, nicht ein zweites Mal zur Beurtheilung beigezogen würde. Dieses Bedenken stützte sich auf die französische Jurisprudenz, welche die Regel ,,non bis in idem" nur für die in Frankreich erlassenen Strafurtheile anerkennt, und auf die Erfahrungen in Sachen Zwingli (Geschäftsbericht pro 1881, Bundesbl 1882, II, 781, Ziffer 5).

Die französische Regierung nahm keinen Anstand, die Prozedur aus dem Departemente Haute-Saône au Händen der Staatsanwaltschaft des Kantons Waadt einzusenden, aber eine Erklärung nach dem Wunsche der Regierung des Kantons Waadt war nicht erhältlich. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Waadt verzichtete daher auf die Beurtheilung des Fillietaz für die Delikte in Frankreich, und die Akten wurden wieder zurückgeschickt.

Mit dem Wunsche, es möchte dieser Uebelstand endlich in Vertragsform regulirt werden, ist man allseilig einverstanden. Indeß konnte die französische Regierung sich nicht entschließen , schon jetzt darauf einzutreten, aus Gründen, die dem Spezialfallc fremd sind.

1 7 . Eine B ü r g e r i n d e s K a n t o n s B e r n verlangte i n I t a l i e n d i e strafrechtliche Verfolgung eines i t a l i e n i s c h e n Staatsangehörigen, der in B r a s i l i e n zu ihrem Nachtheile mehrfache Geldbeträge unterschlagen hatte. Art. 6 des italienischen Codic penale enthält indeß die Vorschrift, daß die gerichtliche Verfolgung eines Inländers wegen b l o ß e r V e r g e h e n , die derselbe im Auslande zum Nachtheile eines Ausländers verübt hat, nur dann eintritt, wenn die Gesetzgebung des Staates , dem der Ausländer angehört, zu Gunsten eines Italieners Gegenrecht hält. Die italienischen Behörden verlangten in Folge dessen zunächst einen Nachweis darüber, daß auch die heimatliche
Gesetzgebung der Klägerin unter gleichen Verhältnissen die Verfolgung und Beurtheilung eines Berners auf Klage eines italienischen Staatsbürgers zulasse. Dieser Nachweis konnte jedoch nicht geleistet werden.

Die Anklagekammer des bernischen Obergerichtes war nämlich im

978 Falle über dieses Verbal tniß zu berichten, daß ein Berner, der im Auslande an einem Ausländer eine (gemeine) Unterschlagung begang habe, nach bernischen Gesetzen im Kanton Bern nicht strafrechtlich verfolgt und bestraft werden könne. Unter diesen Umständen mußte es der geschädigten Partei überlassen werden , ihre Klage bei dem kompetenten Gerichte auf dem Wege dos Civilprozesses geltend zu macheu.

18- Bin Arnold B ü c h e r von Kerns (Obwalden) hatte sich im September 1881 in Rheinpreußen einer Körperverletzung mit nachgefolgtem Tode schuldig gemacht und sieh der Verhaftung durch die Flucht, entziehen können. Es wurde später dessen Aufenthalt in Frankreich ermittelt, worauf die Regierung seines Heimat kantons auf Grund von Art. l, Ziffer 3 des Staatsvertrages zwischen der Schweiz und Frankreich seine Auslieferung verlangte.

Wir glaubten jedoch, diesem Gesuche nicht entsprechen zu können, gestutzt auf folgende Gesichtspunkte: Der Auslieferungsvertrag zwi-schen derSchweiiz und Frankreich setzt einerseits voraus, daß die Verfolgungonu dem kompetenten Richter, d. h. in erster Linie von demjenigen am Orte der Thal., ausgehe, undandererseitz, daß der Verfolgte aus Frankreich naeh der Schweiz oder umgekehrt aus der Schweiz naeh Frankreich sichgeflüchtett habe. Im konkreten Falle lag der Ort der That in Preußen , und es waranzunehmen,, daß Arnold Bucher a u s Preußen naeh Frankreich geflohen ist.

1845 ist die eingeklagte Handlung nicht vorgesehen. Der preußische Richter konnte also die Auslieferung des Bucher bei Frankreich auch nicht verlangen. Aus diesen allerdingeigenthümlichenen Verhältnissen konnte aber nicht ohne Weiteres die Zuständigkeit des heimatlichen -Richters gefolgert werden.

Der Versuch , das Aus ach

werden körinen, wenn nachgewiesen wäre, daß Arnold Bücher nach der eingeklagten That zuerst nach der Schweiz sich geflüchtet und von hier aus nach Frankreich sich begeben habe.

19. Rudolf Karl W o l l m a n n aus Schlesien machte sich im J a h r e 1878 i n B e r n - e i n e s B e t r u g e s schuldig. Bald nach seiner Verurtheilung durch die Assisen im Jahre 1880 konnte er entfliehen. Gegen Ende 1884 wurde ermittelt, daß derselbe in seinem Heimatlande sich aufhalte. Der Bundesrath stellte daher auf diplomatischem Wege an die deutsche Regierung das Gesuch, es möchte Wollmann wegen des genannten Deliktes von den deutschen Gerichten bestraft werden. Dieses Begehreu wurde jedoch abgewiesen , mit der Begründung, es sei eine Strafverfolgung des

979 Wollmann vor den deutschen Gerichten wegen des im Jahre 1878 in der Schweiz begangenen Betrugs nicht me.hr zuläßig, da die Strafverfolgung derartiger Vergehen gemäß § 67 des deutschen Strafgesetzbuches in f ü n f J a h r e n von dem Tage der began-genen Handlung an v e r j ä h r e und eine U n t e r b re o li u n g d e r V e r j ä h r u n g durch eine Handlung des d e u t s o h e n Richters gemäß § 68 des Strafgesetzbuches n i c h t s t a t t g e f u n d e n habe.

II. Bundesstrafrecht.

20. Die Anzahl der zur Prüfung überwiesenen F ä l l e von G e f ä h r d u n g des E i s e n b a h n b e t r i e b e s hat sich im Jahre 1885 um ein Bedeutendes vermehrt. Unser Justiz- und Polizeidepartement hatte 61 neue Geschäfte dieser Art zu behandeln.

Bei 7 derselben mußte von einer Ueberweisung an die kantonalen Gerichte abgesehen werden, weil die Voraussetzungen des Art. 67 des Bundesstrafrechtes nicht vorlagen. Ein Fall wurde zurückgewiesen weil bei dessen Beurtheilung nicht das Rundesstrafrecht zur Anwendung kommen konnte, sondern das Bundesgesetz über die Bahnpolizei vom "18. Februar 1878 und hiefür gemäß Art. 11 dieses Geseztes die Kompetenz der Kantone vorgeschrieben ist. Die übrigen 53 Fälle (1884:, 40, 1883: 26) wurden gemäß Art. 74 des Bundesstrafrechts au die kantonalen Gerichte zur Untersuchung und Beurtheilun überwiesen.

10 Eisenbahngefährdungen waren aus dem Vorjahre pendent geblieben, so daß im Ganzen im Jahre 1885 63 Untersuchungen in gerichtlicher Behandlung lagen.

Diese Untersuchungen vertheilen sich auf die Kantone wie folgt: Zürich 12, Bern 9, Schwyz und Zug je l, Freiburg 4, BaselStadt und Basel-Landschaft je l, St. Gallen 5, Aargau 4, Thurgau und Tessin je 3, Waadt 14, Wallis l, Neuenburg und Genf je 2.

Von diesen Untersuchungen wurden 17 durch Verfügung; kantonaler Gerichtsbehörden aufgehoben, 26 durch gerichtliche Urtheile erledigt. 17 Personen wurden freigesprochen und 26 in 22 Urtheilen zu Strafen, welche sieh zusammen auf 598 Tage Gefängniß und Fr. 578 Bußen belaufen, verurtheilt. Die übrigen 20 Untersuchungen blieben pendent.

Mit Rücksicht auf das jugendliche Alter der Thäter konnte in 3 Fällen gemäß Art. 30 des Bundesstrafreehts keine Bestrafung eintreten, indessen wurden die betreffenden Kantonsregierungen ein-

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geladen, den Angeschuldigten ernste Vorstellungen machen zu lassen und den Eltern strengere Aufsicht zu empfehlen.

Betreffend Gefähr r d u ng d es Tra m wa b e t r i e b e s wurde uns in diesem Jahre nur ein neuer Fall aus Zürich überwiesen.

Auch dieser Fall wurde unter Art. 67 Litt, b, des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht subsumirt. Das Bezirksgericht Zürich verurtheilte den Angeklagten zu 4 TagenGefängnisß und Fr. 10 Buße.

21. Gegen 4 Urtheile betreffend Eisenbahngefährdung sahen wir uns veranlaßt, die Appellation zu ergreifen, nämlich : l ) Gegen ein Erkenntniß des Bezirksgerichtes Sargans (St. Gallen), welches auf Freisprechung der Angeklagten lautete. Das Kantonsgericht von St. Gallen fand mit uns ihre Schuld bewiesen und verurtheilte sie in Anwendung von Art. 67, Litt, b, des Bundesstraf rechtes zu Buße und Gefängnißstrafe.

2) Gegen einen Entscheid des Bezirksgerichtes Werdenberg, welches ebenfalls auf Freisprechung erkannt hatte. Das Kantonsgericht von St. Gallen bestätigte im Wesentlichen das erstinstanzlich Urtheil, legte aber dem Beklagten die Untersuchungskosten auf.

3) Gegen ein Urtheil des Bezirksgerichtes Lenzburg womit, wegen Mangels an Beweisen für den Thatbestand erklärt wurde: ,,es sei die Anzeige abgewiesen.a Diese Art der Erledigung konnten wir nicht stillschweigend hinnehmen, weil es sich bei einer Eisenbahngefährdung nicht um ein bürgerliches Verhältniß, sondern um ein Delikt handelt, das von Amtswegen untersucht werden muß.

Die hierauf eingeleitete Fortsetzung der Untersuchung ergab keine weiteren Schuld beweise.

4) Endlich veranlaßten wir die Kassation eines Urtheile des Bezirksgerichtes Zürich, weil dasselbe erlassen worden war, ohne daß zuvor die Akten behufs Bestimmung des Gerichtsstandes gemäß Art. 74 des Bundesstrafrechte vorgelegt worden sind.

Die Urtheile aus früheren Jahren sind, mit Ausnahme vou zwei, vollzogen. Ein im Berichtjahre Verurtheilter hat sich der Abbüssung der Strafe durch Flucht in's Ausland entzogen.

Gesuche um Erlaß der Strafen auf dem Wege der Begnadigung liefen zwei ein. Auf das eine konnten wir nicht eintreten, da es sich erwies, daß der Verurtheilte bis zum Zusammentritt der Bundesversammlung seine Strafe beinahe abgebüßt hätte, und außerdem die thatsächlichen Verhältnisse eine Befürwortung der Petition nicht gestattet haben würden. Das andere Gesuch (Bundesblatt '1885, I, S. 228) wurde von der Bundesversammlung abgewiesen.

981 22. Bei dem U e b e r g a n g am B e t t i n g e r weg z w i s c h e n Basel und G r e n z a c h wurde ein Fuhrwerk durch einen Zug der badischen Bisenbahn überfahren, wobei zwei Personen Verletzungen erlitten, ein Pferd getödtet und der Wagen zertrümmert wurde. Dieser Unfall wurde durch die Bahnwärterin Marie T r a u t m ü l 1er verschuldet, indem sie unterlassen hatte, die Barriere am Bettingerweg zu schließen. Jene Bahnwärterin ist angestellt bei der großh.

badischen Staatsbahn. Ihre Station befindet sich auf b a d i s c h e m Gebiete. Der Unfall dagegen hat auf s c h w e i z e r i s c h e m Gebiete stattgefunden.

Mit Rücksicht auf den Umstand, daß die Station, wo die strafbare Unterlassung begangen worden, auf deutschem Gebiete liegt, erschienen uns die deutschen Gerichte für deren Beurtheilung als kompetent. Wir stellten daher beim großh. badischen Ministerium den Antrag, es möchte nach Analogie von Art. 2, Abs. 2, des Auslieferungsvertrages zwischen der Schweiz und Deutschland die strafrechtliche Verfolgung von den badischen Gerichten angeordnet werden. Infolge dessen wurde durch die großh. Staatsanwaltschaft in Freiburg i. B., bei welcher schon vorher Erhebungen über den Vorfall veranstaltet worden waren, gegen die Frau Trautmüller strafgerichtliche Untersuchung wegen fahrlässiger Gefährdung eines Eisenbahnzuges uad damit zusammentreffender Körperverletzung eingeleitet.

Die Angeklagte ist zwar von der Strafkammer des Landgerichtes Freiburg wegen mangelnden Beweises des Thatbestandes der Fahrlässigkeit außer Verfolgung gesetzt, aber von der Bahnverwaltung vom Barrierendienst entfernt worden.

23. Bei der Behandlung des Spezialfalles in Sachen L o r e n x o L a f f e r m a ist im letzten Geschäftsberichte erwähnt worden, daß wir uns genöthigt gesehen haben, bei dem Bundesgerichte ein Kassationsbegehren anhängig zu machen gegen das Urtheil des Appellatiooshofes des Kantons Tessin, wodurch unsere Appellation gegen das erstinstanzliche Urtheil abgelehnt worden war, weil wir /.u einer solchen Rechtsmaßregel nicht kompetent seien. Wir machten unsere Beschwerde bei dem Bundesgerichte in der Form eines Kompetenzkonfliktes im Sinne von Art. 113, Ziff. l, der Bundesverfassung von 1874 und Art. 56 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874 anhängig. Das
Bundesgericht hat jedoch unsere Beschwerde als einen staatsrechtlichen Rekurs auf Grund der Art. 56 und 59 des erwähnten Bundesgesetzes subsumirt und angenommen, es handle sich urn eine Beschwerde über Rechts Verweigerung, zumal der eidgenössische Kassationshof derzeit nach feststehender Praxis blos in den Fällen angerufen werden könne, in welchen das im Bundes-

982 geselze betreffend Uebertretung fiskalischer und polizeilicher Bundesgesetze vorgeschriebene Verfahren stattgefunden habe. Eine Rechtsverweigerung liege jedoch nicht vor, indem das letzinstanzliche tessinische Gericht dem Bundesrathe die Befugniß zur selbstständigen Benutzung des Rechtsmittels der Appellation auch außer und neben der kantonalen Staatsanwaltschaft nicht abgesprochen, sondern darauf sich beschränkt habe, zu erklären, die Appellation sei unzuJäßig, weil verspätet. Wir haben zwar geglaubt, es sei diese behauptete Verspätung thatsächlich nicht richtig; indess nehmen wir Akt von der Anerkennung unseres selbstständigen Rechtes zur Appellation unter der Voraussetzung, daß sie rechtzeitig geltend gemacht wird.

24. Am 13. September 1885 Abends stieß auf dem Genfersee das D a m p f s c h i f f ,,S t a d t V e v e y " in der Nähe von Bouveret auf eine Sandbank. Dieser Unfall hatte indirekt den Verlust zweier Menschenleben zur Folge. Unser Justiz- und Polizeidepartement sah sich jedoch nicht veranlaßt, einen Antrag auf Ueberweisung dieses Falles an die kantonalen Gerichte gemäß Art. 74 des Bundesstrafrechtes zu stellen, weil ermittelt war, daß die ,,Stadt Vevey" an dem genannten Tage n i c h t K u r B e f ö r d e r u n g d e r P o s t g e d i e n t hat und somit die Vorschriften des Art. 67 des zitirten Gesetzes auf den Vorfall keine Anwendung finden konnten. (Vgl.

dagegen den im letzten Geschäftsberichte, Bundesblatt 1885, II, S. 716, erwähnten Zusammenstoß der Dampfschiffe Cygne und ,,Rhone".)

25. Der von der Untersuchungskommission als dienstuntauglich erklärte Honoré G r a n d J e a n , Landarbeiter, von Le Crêt (Preiburg), wohnhaft in Avenches (Waadt), hatte zugestandenermaßen sein M i l i t ä r d i e n s t b ü c h l e i n in der Weise g e f ä l s c h t , daß er die Ersatzleistungen für 1880 his 1883 von je Fr. R mit Beisetzung der Unterschrift des Einnehmers von Le Crêt als befahlt eintrug. Die zwei ersten Fälschungen hat er im Kanton Freiburg, die zwei letzten im Kanton Waadt begangen. Im letztern Kantone hat er überdies von seinem gefälschten Dienstbüchlein Gebrauch gemacht.

Die Strafuntersuchung gegen Grandjean wurde im Kanton Waadt eröffnet. Es entstanden jedoch Zweifel darüber, ob bei der Beurtheilung das kantonale Recht anzuwenden sei, oder ob die Militärdienstbüchlein
Bundesakten seien, deren Fälschung nach Maßgabe von Art. 61 des Buudesstrafrechtes zu beurtheilen wäre Die Staatsanwaltschaft des Kantons Waadt, sowie der eidgenössische Oberauditor sprachen sich dafür aus, daß die Dienst-

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büchlein ,,Bundesakten" seien. Wir schlössen uns ebenfalls dieser Ansicht an.

Zugleich wurde von Seite der Staatsanwaltschaft des Kanton» Waadt noch die Frage aufgeworfen , ob eventuell die waadtländischen Gerichte auch die von Grandjean im Kanton Freiburg verübten Fälschungen zu beurtheilen haben. Diese Frage beantworteten, wir bejahend. H. Grandjean hat durch mehrere aufeinanderfolgende Handlungen ein und dasselbe Strafgesetz verletzt. Nach wiederholten Entscheiden ist bei Bestimmung des Gerichtsstandes nach Art. 74 des Bundesstrafrechtes die ganze Schweiz als ein einziger Gerichtskreis anzusehen. Es konnte daher keinem Zweifel unterliegen, daß das allgemein anerkannte und auch durch Art. 33 des Bundesstrafgesetzes sanktionirte Prinzip des Strafrechtes in Ansehung der Strafausmessung bei zusammentreffenden Verbrechen im konkreten Falle zur Anwendung kommen müsse, nach welchem für mehrere noch nicht beurtheilte Verbrechen nur auf e i n e Strafe erkannt werden soll.

Gemäß diesen Gesichtspunkten und in Anwendung von Art. 74 des Bundesstrafgesetzes wurde Grandjean zur Beurtheilung aller Delikte gemäß Art. 61 und 33 des gleichen Strafgesetzes den Gerichten des Kantons Waadt zur Beurtheilung überwiesen. Das Polizeigericht des Distriktes Avenches verurtheilte ihn zu Fr. 25 Buße, 30 Tagen Gefängniß und zur Tragung sämmtlicher Kosten.

26. Die Einleitung einer Strafuntersuchung gegen den Direktor und den Kassier der ,, B a n q u e de Genève" wegen Widerhandlungen gegen Art. 10 des Banknotengesetzes im Sinne von Art. 48,.

Litt, c, und Art. 49 des gleichen Gesetzes hat auf Veranlassung des Finanzdepartementes stattgefunden. Das Justiz- und Polizeidepartement hatte nur in untergeordnetem Maße mitzuwirken.

Dagegen veranlaßten uns gewisse Lücken in der Gesetzgebung, am '10. November an dieses Departement die Einladung zu richten, einen Gesetzesentwurf auszuarbeiten und vorzulegen, nach welchem diese und andere in der eidgenössischen Gesetzgebung vorgesehene Straffälle v o m Bundesgerichte o h n e H e r b e i z i e h u ng v o n G e schwornen erledigt werden können.

27. Neben diesen Fällen wurde auf Grund des Bundesstrafrechtes noch eine Strafuntersuchung wegen S t ö r u n g des T e l e g r a p h e n v e r k e h r s gegen mehrere Knaben eingeleitet, welche in der Gemeinde Mühleberg, Kantons Bern, die
Telegraphenleitung durch Bewerfen mit Steinen beschädigt hatten. Zwei derselben wurden, gestützt auf Art. 66 und 32, Litt, c., des Bundesstrafrechts,.

je mit zwei Tagen Gefängniß und Fr. 10 Buße bestraft.

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28. In zwei isolirten Fällen, die Ende Dezember 1884 an der savoyischen Grenze passirten, weigerten sich die drei betheiligten Männer, die gesetzlichen Z o l l v o r s c h r i f t e n zu erfüllen, und als die Beamten sie dazu aufgefordert, beschimpften sie Letztere und verübten Gewalttätigkeiten. -- Ein ähnlicher Fall ereignete sich im Juli 1885 an der Graubündner Grenze, wobei der renitente Bürger auch einen Theil des Büreaumobiliars zertrümmerte.

Ueber die F r a g e des G e r i c h t s s t a n d e s zur Beurtheilung dieser Delikte sprach unser Justiz- und Polizeidepartement dahin sich aus : In allen drei Fällen liege ohne Zweifel der objektive Thatbestand des Art. 47 des Bundesstrafrechtes vor, indem überall Gewalt angewendet worden, um die Vollziehung eines Bundesgesetzes zu verhindern. Indeß stehe der praktischen Anwendung ei n Bedenken entgegen, daß nach Art. 73, Litt, b, des gleichen Strafgesetzes die Ueberweisung an die Bundesassisen stattfinden müßte.

Der große Aufwand an Kosten und Kräften, welche dieses Gerichtsverfahren erfordern wurde, habe indeß von jeher dazu geführt, daß solche Fälle den kantonalen Gerichten zugewiesen worden seien, wie dieses sogar schon sehr bald nach Erlaß des Bundesstrafgesetzes praktizirt worden (Geschäftsbericht pro 1854 und 1855, Bundesbl. 1855, l, 501, und 1856, I, 334). Es wurde daher für die Beurtheilung der erwähnten drei Fälle die Anwendbarkeit des gleichen Verfahrens befürwortet.

29. Die wegen Wahlbetruges an die Gerichte des Kantons Bern zur Beurtheilung überwiesenen Célestin C h a p p u i s und Joseph C h a r m i l l o t in Vicques (Geschäftsbericht pro 1884, Bundesbl.

1885, II, S. 720) wurden von dem korrektioneilen Gerichte zu Delsberg des Vergehens gegen Art. 49 a des Bundesstrafreohtes für schuldig erkannt und bestraft. Das Urtheil gegen C h a p p u i s lautet auf 8 TageGefängniß,, Fr. 50 Buße und Bezahlung der Gerichtskosten, sowie zum Verlust der bürgerlichen Rechte für die Zeit von zwei Jahren und wurde rechtskräftig. C h a r m i l l o t dagegen appellirte, wurde aber auch von der Polizeikammer des Kantons Bern verurtheilt. Da« Urtheil gegen diesen lautet auf Entsetzung von seinem Amte als Gemeindepräsident, Fr. 100 Buße, 2 Tage Gefängniß und Bezahlung der Kosten, sowie auf Verlust der bürgerlichen Rechte während 2 Jahren und Unfähigkeit
nur Bekleidung einer öffentlichen Stelle während derselben Zeit.

30. Leonz B u h l m a n n und Joseph R ö s c h in Willisau, Kantons Luzern (vrgl. Geschäftsbericht pro 1884), wurden von der

985 Anklage der unbefugten Theilnahme an der Nationalrathswahl vom 26. Oktober 1884 vom Bezirksgerichte Willisau freigesprochen, jedoch zudenasämmtlichenn Kosten verurtheilt.

Ebenso ist auch der wegen Wahlbetruges angeklagte Joseph S t o c k e r in Büron vom Bezirksgerichte Triengen freigesprochen worden. Das Obergericht des Kantons Luzern kassirte aber das bezügliche Urtheil wegen mehrerer Verstöße im Vorfahren. Ein neues Urtheil ist uns noch nicht zugekommen.

31. Frana Joseph W i l l i von Mosen (Luzern) betheiligte sich an der N a t i o n a l r a t h s w a h l vom 26. O k t o b e r 1884, obgleich er das Stimmrecht nicht besaß. Es wurde dieser Fall au die Gerichte des Kantons Luzern zur Beurtheilung im Sinne von Art. 49 des Bundesstrafrechtes überwiesen. Das Bezirksgericht Hitzkirch verurtheilte den Angeklagten zu Fr. 15 Geldbuße und zur Tragung sämmtlicher Kosten.

32. Bei Anlaß der e i d g e n ö s s i s c h e n A b s t i m m u n g über A b ä n d e r u n g der B u n d e s v e r f a s s u n g , am 25. Oktober 1885, fanden im Amtsbezirke D e l s b e r g , Kantons Bern, auch einige kantonale Wahlen statt. Es kamen hiebei verschiedene Unregelmäßigkeiten vor. Die Regierung des Kautons Bern sandte uns die bezüglichen Akten zur Prüfung ein. Wir haben hierauf in Anwendung von Art. 74 des Bundesstrafreehtes und von Art. 44 des Bundesgesetzes über die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juli 1872 die Untersuchung und Beurtheilung der bei jener Abstimmung stattgehabten Unregelmäßigkeiten , s o w e i t s i e e i n e V e r l e t z u n g d e s A r t . 4 ! ) des Bundesstrafrechtes und des erwähnten Bundesgesetzes involviren, unter Hinweisung auf Art. 76 des Bundesstrafreehtes, den Gerichten des Kantons Bern überwiesen. Ein bezügliches Urtheil ist uns bisher noch nicht zugekommen.

38. Die Anfrage einer kantonalen Regierung, i n w e l c h e n F ä l l e n v o n Eisenbahngefährdung d i e U n t e r suchungskosten aus der Bundeskasse vergütet w e r d e n , wurde vom Justiz- und Polizeidepartement wie folgt beantwortet: Es ist zu unterscheiden, ob es sich um eine Eisenbahngefährdung im Sinne von Art. 67 a und b des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht vom 4. Februar 1853 handelt-- wobei die Akten behufs Feststellung des Gerichtsstandes nach Maßgabe von Art. 74 des gleichen Bundesgesetzes, sobald der objektive Thatbestand festBundesblatt. 38. Jahrg. Bd. I.

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986

gestellt ist, dem Bundesrathe vorgelegt werden müssen -- oder um solche Fälle , welche bloß eine Verletzung der Eisenbahnpolizei beschlagen und im Bundesgesetze vom 18. Februar 1878 vorgesehen sind.

Auf alle Fälle der ersten Kategorie findet bezüglich der Liquidation der Kosten und der Bußen das Bundesgesetz über die Kosten der Bundesrechtspflege vom 25. Juni 1880 seine Anwendung. Hienach hat im Falle der Verurtheilung der Angeklagte die Prozeßund Vollziehungskosten zu bezahlen ; im Falle seiner Zahlungsunfähigkeit oder Freisprechung sind die Prozesskosten von der Bundeskasse zu vergüten. Die Bußen fallen in die Bundeskasse.

Wenn aber diese nicht erhältlich sind, so müssen sie gemäß Art. 8 des oben citirten Bundesstrafrechtes iGefängnissiß umgewandelt werden nach dem Maßstabe von l Tag Gefängniß für je Fr. 5> Buße.

Was dagegen diejenigen Fälle betrifft, welche nach Vorschrift des Bundesgesetzes betreffend die Bahnpolizei, vom 18. Februar 1878, erledigt werden können, so ist für diese in Art. 11 der Gerichtsstand der kantonalen Behörden festgestellt. Die Kosten sind vorn kantonalen Fiskus zu tragen , welcher hinwieder auch die Bußen beziehen kann.

34. Das Gesuch der Polizeidirektion des Kantons Bern um Ersatz der Kosten der Untersuchung und des Strafvollzuges gegeu zwei wegen U e b e r t r e t u n g d e s B u n d e s g e s e t z es ü b e r die F i s c h e r e i , vom 18. September 1875, bestrafte Individuen mußte abgelehnt werden, weil der Art. 20 des Bundesgesetzesüberi die Kosten derBundesrechtspflege,, vom 25. Brachmonat 1880, nur auf solche Fülle Anwendung findet, die dem Bundesrathe zum Zwecke des Entscheides über den Gerichtsstand im Sinne von Art. 74 des Bundesstrafrechtes vorgelegt werden müssen.

Durch Art. 14 des Bundesgesetzes über die Fischerei ist aber der Gerichtsstand für alle Uebertretungen dieses Gesetzes den kantonalen Gerichten zugewiesen. Die erhältlichen Bußen fallen somit den Kantonen zu, welche deßhalb auch die Prozeßkosten zu tragen haben.

III. Fremdenpolizei.

35. Der Elsäßer Johann F e y e r , 60 Jahre alt, wurde wegen Diebstahls im Kanton Luzern zu langjähriger Landesverweisung verurtheilt und sofort nach Basel transportirt. Er kam krank in

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Basel an und der Arzt konstatirte, daß er schon in Luzern kränklich gewesen sein müsse. Während der ärztlichen Behandlung im Spitale wurde das Polizeidepartement Luzern eingeladen, gehörige Papiere für Feyer zu beschaffen, indem nur ein altes Arbeiterbuch vorlag. Nach längerer Zögerung weigerte sich dieses Departement, in der Meinung, Feyer" müsse von den deutsehen Behörden abgenommen werden. Die Grenzbehörde in St. Ludwig erklärte jedoch das alte Arbeiterbuch, wie vorauszusehen war, nicht als genügenden, unverdächtigen Ausweis im Sinne von Art. 7 des Niederlassungsvertrages mit Deutschland. Die Regierung des Kantons Basel-Stadt sah sich daher veranlaßt, den Rücktransport des Peyer vorzubereiten und, nach erfolgter Protestation von Luzern, bei uns Beschwerde zu fuhren, verbunden mit den Anträgen, daß das Polizeidepartement des Kantons Luzern verpflichtet sei, gehörige Papiere zu beschaffen und, da der Transport von Luzern aus ohne solche Rapiere angeordnet worden, die in Basel entstandenen Verpflegungskosten zu vergüten.

Wir sprachen uns in Uebereinstimmung mit dem Bundesgerichte dahin aus, daß die Beschaffung gehöriger Legitimationspapiere, resp. die Verantwortlichkeit für eine vertragswidrige Abschiebung, demjenigen Kantone obliege, welcher ein fremdes Individuum abschieben wolle. (Kreisschreiben des Bundesrathes vom 18. April 1878, Bundesbl. 1878, II, 690, und Amtl. Samml. der Entscheide des Bundesgerichts, Bd. VIII, 436 ff.) -- Betreffend die Pflicht zur Bezahlung der Verpflegungskosten und die Bestimmung der Grösse derselben erklärten wir uns inkompetent in Uebereinstimmung mit (fern soeben erwähntenbundesgerichtlichenn Entscheide.

IV. Werbung.

36. Der altbekannte Werber Johann Jakob C o 11 i e r , von Arni bei Biglen, Schneider, wohnhaft in Bern, ist neuerdings mit der Strafgesetzgebung in Konflikt gekommen, indem er wiederum eine größere Anzahl junger Leute aus verschiedenen Kantonen der Schweiz für den M i l i t ä r d i e n s t in H o l l ä n d i s c h - I n d i e n angeworben hat. Das korrektioneile Gericht von Bern verurtheilte ihn unterm 26. November 1885 zu 4 Monaten Gefängniß, Fr. 40 Buße und 3 Jahren Einstellung im Aktivbürgerrechte.

Durch Erkenntniß des nämlichen Gerichtes sind im Berichtjahre, in Anwendung von Art. 3 des Bundesgesetzes betreffend die W e r b u n g , vom 30. Juli 1859, sowie von Art, 37 und 38 des bernischen Strafgesetzes ( Gehülfenschaft ) , fernerhin verurtheilt worden :

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1) Jakob B i e b e v , von Stüßlingen, Kantons Solothurn, Schuhmacher iii Bern, zu 40 Tagen Gefängniß, Fr. 20 Geldbuße und zweijähriger Einstellung im Aktivbürgerrechte; 2) Cecile B i e b e r , geb. Spring , des Obigen Ehefrau, au 10 Tagen Gefängniß und Fr. 6 Buße; 3) Friedrieh G e h r i g , von Oberburg, Schlosser, wohnhaft gewesen in Bern, ebenfalls zu 10 Tagen Gefängniß und Fr. (> Buße.

Im Falle Gottier ist von der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern und im andern von den Eheleuten Bieber die Appellation erklärt worden. Die zweitinstanzlichen Urtheile fallen in das Jahr 1886.

V. Politische Polizei.

37. Am Schlüsse dieser Abtheilung unsere Geschäftsberichtes pro 1884 haben wir noch erwähnen können, daß die geheime Thätigkeit der anarchistischen Partei im Anfange des Jahres 1885 eine ernste Wendung m nehmen drohte. Mehrere Indizien, im Scheine eines wohl durchdachten Planes, mußten die Besorgniß hervorrufen, daß die Sprengung des Bundespalastes beabsichtigt sei. Die von den Polizeibehörden mehrerer Kantone angestellten Untersuchungen hatten ergeben, daß in einigen Orten der Schweiz Individuen unter dem Namen ,,Anarchisten" Assoziationen bilden und offen Raub, Brandstiftung, Mord und Vernichtung der bestehenden Gesellschaft empfehlen. Du diese Thatsachen entweder Verbrechen oder Vergehen gegen das Völkerrecht oder Vergehen gegen die verfassungsmäßige Ordnung und die innere Sicherheit des Landes bilden würden, so sahen wir uns genöthigt, in Anwendung von Art. 4, 6 und 11 und ff. des lïundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege und von Art. 32, 36 und 37 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege mit Beschluß vom 26. Februar 1885 eine strafrechtliche Untersuchung gegen diejenigen Individuen einzuleiten, die auf schweizerischem Gebiete zur Begehung von gemeinen Verbrechen im In- oder Auslaude aufgefordert oder auf andere Weise versucht haben, die verfassungsmäßige Ordnung uud die innere Sicherheit des Landes zu stören.

Da die anarchistische Bewegung beinahe über die ganze Schweiz sich verbreitet hatte, so mußten beide eidgenössische Untersuchungsrichter in Funktion gerufen werden. Die Aufgaben eines eidgenössischen Generalanwaltes übertrugen wir gemäß Art. 37 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege von 1874 dem Herrn Nationalrath M ü l l e r in Bern.

989 Diese sehr weitläufige Untersuchung endete mit dem ,, S c h l u ß berichte des G e n e r a l a n w a l t e s ü b e r die anarchistischen U m t r i e b e in der Sch w e i z ", vom Mai und Juni 1885, welcher durch den Druck vervielfältigt und auch im Bundesblatt 1885, III, 537--721, publizirt ist.

Auf Grundlage dieses Berichtes, womit auch die beiden Herren Untersuchungsrichter einverstanden waren, konstatirten wir mit Beschluß vom 7. Juli 1885 (Bundesbl. 1885 III, 485), daß, wenn auch die Untersuchung gegen keine der einvernommenen Persönlichkeiten genügenden Beweis für deren Theilnahme an einem durch das Bundesstrafrecht mit Strafe bedrohten Delikte erbracht habe, dennoch ihr Zweck insoweit erreicht worden sei, als sie der Behörde erschöpfenden Aufschluß über die anarchistische Gruppe in der Schweiz an die Hand gab und diejenigen Fremden kenntlich machte, welche i n derselben d i e Hauptrolle spielten.

In

pflege mit der Einstellung der Untersuchung uns einverstanden.

Dennoch hatten sich gegen 21 Fremde genügende Anhaltspunkte ergeben, um deren Ausweisung aus der Schweiz zu rechtfertigen. In Uebereinstimmung mit dem bezüglichen Antrage des Bundesanwaltes und in Anwendung von Art. 70 der Bundesverfassung verfügten wir die Ausweisung dieser 21 Ausländer mit Dekret vom 3. Juni 1885 (Bundesblatt 1885, III, 236}.

Im August wurden wir durch die bei Nacht erfolgte Verbreitung eines gedruckten Aufrufes, unterzeichnet ,,Eine geheime Gruppe s c h w e i z e r i s c h e r Anarchisten" und gerichtet an die ,,G e n o s s e n ! Schweizerbürger!" zu einer neuen Untersuchung genöthigt, die jedoch nur auf administrativem Wege geblieben ist.

Der Aufruf enthielt die Aufforderung ,,zum gewaltsamen Umsturz der bestehenden Ordnung" und forderte zum Schlüsse auf, die Behörden mit der ,,ganzen Ausbeuterklasse" niederzumachen. Die Untersuchung erwies die Urheberschaft von 5 Ausländern, welche wir mit Beschluß vom 8. September 1885 ebenfalls aus der Schweiz auswiesen (Bundesblatt 1885, III, 853).

Die Vollziehung sämmtlicher Ausweisungen ist durch unser Justiz- und Polizeidepartement strenge überwacht worden. Sämmtliche Ausgewiesenen wurden von Art. 63 des Bundesstrafrechtes und von der für die unerlaubte Rückkehr angedrohten Strafe in Kenntniß gesetzt.

Diese Maßregeln haben unverkennbar einen wirksamen Erfolg gehabt, indem die agitatorischen Elemente entfernt sind und die zurückgebliebenen Anhänger einstweilen wenigstens ihre Thätigkeit

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gemildert haben. Allerdings werden noch hie und da einzelne unruhige Köpfe signalisirt, die jedoch meistens das Schweiz. Gebiet wieder verlassen zu haben scheinen. Indeß bleibt die Aufsicht finden Fall ihrer Rückkehr wach.

VI. Heimatrecht.

38. In neuerer Zeit erfordern die Unt ersuc li u n g e n betr.

die F e s t s t e l l u n g des H e i m a t r e c h t e s von Familien oder einzelnen Personen eine ganz besondere Aufmerksamkeit, indem ihnen zumeist ein sehr weitschichtiges Aktenmaterial zu Grunde liegt und die nöthigen Beweisdokumente oft nur schwer und erst nach langer Korrespondenz erhältlich sind. Unser Justiz- und Polizeidepartement hatte im Jahre 1885 in mehr als 50 Fällen mit dem Heimatrechte von über 120 Personen sich zu beschäftigen, nicht inbegriffen die große Zahl der gewöhnlichen H e i m s c h a f f u n g e n von Geisteskranken und verlassenen Kindern, deren Behandlung vor Allem die nähere Feststellung des Heimatrechtes erheischt.

Jene Untersuchungen betrafen einerseits Personen, die in der Schweiz wohnten, deren schweizerisches oder ausländisches Heimatrecht aber in Folge eigener Nachläßigkeit oder in Folge der mangelhaften Kontrole seitens der Wohnsitzbehörden zweifelhaft geworden war, andererseits solche Individuen, die im Auslande sich aufhielten, aus den verschiedensten Gründen jedoch von ihren angeblichen schweizerischen Heimatgemeinden nicht als Bürger anerkannt wurden.

In der Regel sind die in Frage kommenden Personen nach Sammlung der Beweise von den Kantonen freiwillig anerkannt worden. In 4 Fällen haben wir indeß nach vorgängiger Untersuchung motivirte Entscheide gefallt, welche in der Folge von den betreffenden Kantousregierungen angenommen und vollzogen worden sind.

39. Hieher gehören namentlich drei Fälle, in denen das Heimalrecht lediglich durch die N a c h l ä ß i g k e i t der E l t e r n o d e r der C i v i l s ta n d s b e a m t e n zweifelhaft geworden war.

Der eine Fall betraf ein Mädchen, das im Jahre 1872 im Kanton Genf unehelich geboren und von dem betreffenden Civilstandsbeamten eingetragen wurde, ohne den Namen der Mutter anzugeben, während der Vater, ein Ausländer, wahrscheinlich einen falschen Namen führte. Dieses Kind wurde dem Kanton Genf zugesprochen und daselbst eingebürgert.

In einem andern Falle handelte es sich um zwei Geschwister im Alter von 20 und 22 Jahren, deren Aufenthalt in Genf immer

991 geduldet worden war, obschon sie für ihre Identität und für ihr Heimatrecht nicht die mindesten Ausweise besaßen. Das eine dieser Geschwister sollte in Murten, das andere in Corsier unehelich geboren sein, allein es konnten weder in den Geburtsregistern noch in den Polizeikontrolen bezügliche Einträge oder Notizen gefunden werden. Indeß ist es dennoch gelungen, durch eine sehr einläßliche Untersuchung den Indizienbeweis für ihre Abstammung von einer Bürgerin des Kautons Solothurn zu führen. Sie wurden daher mit einem formellen, motivirten Entscheide diesem Kantone zur Einbürgerung zugesprochen. Der Entscheid ist anerkannt und vollzogen worden.

Ein weiterer Fall betreffend das Heimatrecht eines unehelich gebornen jungen Mannes hat zwischen den zwei betheiligten Kantonen während der 22 Jahre seines Lebensalters nicht erledigt werden können, weil keiner dieser Kantone als Kläger auftreten und die Beweislast übernehmen wollte. Die Erledigung ist erst nach längerm Schriftenwechsel durch unser Justiz- und Polisoei
40. In 13 Fällen (47 Personen) waren behufs Anerkennung des ausländischen Heimatrechtes d i p l o m a t i s c h e V e r h a n d l u n g e n mit den betreffenden Staaten nöthig. In drei Fällen (14 Personen') ist das ausländische Heimatrecht zur Anerkennung gebracht worden, während in zwei Fällen (11 Personen) unsere Bemühungen ohne Erfolg geblieben sind. Acht Fälle dieser Art sind pendent.

41. Was die oben erwähnten Verhandlungen betreffend Feststellung des H e i m a t r e c h t e s von G e i s t e s k r a n k e n , v e r l a s s e n e n K i n d e r n und H i l f s b e d ü r f t i g e n zum Zwecke ihrer Heimschaffuug betrifft, so gewähren folgende Nachweise einen nähern Einblick: Die vom A u s l a n d e verlangte Heimnahme von S c h w e i n e r n betraf im Ganzen 62 Personen, nämlich 30 Geisteskranke, 28 verlassene Kinder und 4 kranke Hülfsbedürftige. 50 von jenen Gesuchen stellte Frankreich, während auf Deutschland 2, auf Italien und Oesterreich je l fallen. 20 Personen wurden als Schweizer anerkannt und hierauf in ihre Heimat gebracht ; 11 Begehren fanden ihren Vollzug nicht, weil die betreffenden Individuen im Laufe der Verhandlungen gestorben sind oder als geheilt aus den ausländischen Asylen entlassen werden konnten; 4 wurden zurückgewiesen und 21 Geschäfte
blieben pendent.

Die Zahl der von Seite der S c h w e i z bei F r a n k r e i c h nachgesuchten Heim Schaffungen betrug 28; sie bezogen sich auf 47 Individuen, nämlich 7 Geisteskranke, 19 verwaiste oder verlassene

992

Kinder und 21 der öffentlichen Wohltätigkeit Anheimgefallene.

15 Personen wurden im Berichtjahre nach Frankreich geschafft; in zwei Fällen unterblieb der Heimtransport, weil die Personen vorher starben; ein Begehren wurde von einer Kantonsregierung zurückgezogen und 14 Fälle (29 Personen betreffend) gingen auf das nächste Jahr über.

Nach H o l l a n d wurde eine Frau mit drei Kindern gebracht Mit B e l g i e n sind die diplomatischen Unterhandlungen bezüglich Heimnahme einer Frau durch deren Tod gegenstandslos geworden.

Aehnliche Verhandlungen mit E n g l a n d wegen vier Personen, mit I t a l i e n wegen zwei und mit R u ß l a n d wegen einer waren am Ende des Jahres noch nicht abgeschlossen.

42. Bei Behandlung von Heimatrechtsfragen hat, der Bundesrath öfters die Beobachtung gemacht, daß junge Männer (im Jahre 1885 acht), die zwar in der Schweiz geboren waren, jedoch von A u s l ä n d e r n abstammten , in der s c h w e i z e r i s K h e n A r m e e z u m M i l i t ä r d i e n s t z u g e l a s s e n wurden u n d dann diese Thatsache geltend machten, um.den Verlust ihrer ursprünglichen und den Erwerb der schweizerischen Nationalität zu behaupten. Da diese Rekrutirung von Ausländern jedoch zu den verschiedensten Inkonvenienzen führen kann und außerdem mit den bezüglichen Vorschriften der Bundesverfassung im Widerspruch steht, haben wir uns veranlaßt gesehen, die Kantonsregierungen auf diese Erscheinung durch Kreisschreiben vom 5. Mai 1885 (Bundesblatt 1885, II, 877) aufmerksam au machen, mit dem Bemerken, daß alle Folgen, welche aus der Rekrutirung eines Ausländers entstehen könnten, auf diejenige Gemeinde zurückfallen müßten, in welcher dessen erste Eintragung in das Mannschaftsverzeichniß stattgefunden hat.

43. Was die noch pendenten Untersuchungen über das H e i m a t rech t i m enge r n S i n n e (Heimatlose) betrifft, so wurde in denselben auch gearbeitet und es sind einzelne Untersuchungen zur definitiven Erledigung vorbereitet worden. Die betheiligten Personen haben mit wenigen Ausnahmen festes Domizil und ihre Existenz. Mehrere aus dem Auslande zurückgekehrte Nachkommen von Familien, die früher eingebürgert worden, erforderten die sofortige Behandlung, weil die Feststellung der Identität gegenüber den benutzten falschen Namen oder der unwahren Behauptung der eheliehen Abstammung etc.,
wiederholte Einvernahmen und vielfältige Requisitionen im In- und Auslande nöthig machte. Das temporäre Verschwinden solcher Personen, welche ihren Lebensunterhalt in stetem Wechsel der Orte und Gegenden suchen müssen, verursachte mehrfach Verzögerungen.

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la einem solchen Falle sind nach längerer Untersuchung und nach Rektifikation der Civilstandsakte vier Ehen und damit die Legitimation und Einbürgerung mehrerer Kinder erzielt worden. -- In einem andern Falle haben die aus den 1850er Jahreu vorhandenen Akten den Nachweis für die auswärtige Nationalität eines neuen Prätendenten möglich gemacht. -- Dagegen mußte die Nachkommenschaft eines gewesenen römischen Soldaten aufgenommen und eingebürgert werden.

Bin ähnlicher Fall, der vor circa 13 Jahren behandelt wurde und nach Sammlung des Stoffes zu einer diplomatischen Verhandlung mit Italien führte, scheint ebenfalls weitere Untersuchung zu erfordern.

Die italienische Regierung hat zwar diese zahlreiche, im Kanton Wallis wohnhafte Familie als eine italienische anerkannt, aber die Ausstellung von Pässen für die Männer verweigert, so lange sie nicht ihrer Militärpflicht in Italien genügt haben. Es wurde der Regierung des Kantons Wallis überlassen, diese formelle Seite zu erledigen und die männlichen Glieder dieser Familie anzuhalten, ihre militärischen Pflichten in Italien zu erfüllen und gehörige Papiere beizubringen -- o d e r sie aus der S c h w e i z a u s z u w e i s e n . Die Walliser Behörden haben jedoch nichts Weiteres gethan. Jetzt, nach 13 Jahren, nachdem der Familienstand wesentlich ein anderer geworden, repetirten sich die frühern Verhandlungen : abermalige Korrespondenz mit, der italienischen Regierung und abermalige Verweigerung der Legitimationspapiere, bis die Männer ihrer Militärpflicht genügt haben.

44. Der Staatsrath des Kantone Tessin macht uns über den gegenwärtigen Stand des H e i m a t l o s e n w e s e n s in d i e s e m K a n t o n e folgende Mittheilungen: Im Laufe des Jahres 1885 seien wiederum neue Fälle vorgekommen, in welchen für einzelne Personen oder Familien, die im Tessin oder in andern Kantonen oder im Auslande wohnen, behufs Ausstellung von Heimatscheinen, sei es zur Sicherung des Domizils oder zum Abschlüsse von Ehen, oder sei es zur Gewährung von Unterstützungen oder zum Zwecke der Heimschaffung u. s. w., das Heimatrecht festzustellen gewesen sei. Das Departement des Innern habe jeweilen die Untersuchung an die Hand genommen und der Staatsrath hernach seinen Entscheid gefällt. Bei mehreren Untersuchungen dieser Art habe mit den betheiligten Gemeindebehörden direkt
ein Einverständniß erzielt werden können. Einige Fälle seien noch vor dem Großen Rathe pendent.

Nach der von dem Staatsrathe mitgetheilten Uebersicht sind durch freiwillige Anerkennung seitens der Gemeindebehörden sieben

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Fälle erledigt und durch förmlichen Beschluß des Staatsrathes acht Personen oder Familien eingebürgert worden ; in fünf Fällen steht der Entscheid des Staatsrathes noch aus. Der Große Rath hat im Jahre 1885 fünf Untersuchungen durch Bestätigung der staatsräthlichen Entscheide erledigt, während neun weitere Fälle pendent sind.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 20. April

1886.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrathes an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahr 1885.

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1886

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1

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17

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24.04.1886

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905-994

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