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Kreisschreiben des

Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend die Unterstellung der B i e r b r a u e r e i e n und M ü h l e n unter das Fabrikgesetz.

(Vom 13. April 1886.)

Getreue, liebe Eidgenossen !

Eine Kantonsregierung hat Ziffer l unsers Kreisschreibens vom 7. April 1885, lautend: ,,Als außerhalb ihrer Wohnung beschäftigt sind die Arbeiter derjenigen industriellen Etablissemente zu betrachten, deren Arbeit sich in speziellen Arbeitsräumen und nicht in dea Wohnräumen der Familie selbst oder ausschließlich durch Familiengenossen vollzieht", in dem Sinne vollziehen zu sollen geglaubt, daß sie die Unterstellung auch der B i e r b r a u e r e i e n und M ü h l e n ihres Kantons unter das Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken anordnete.

Die betroffenen Brauereibesitzer erhoben Einwendungen und gelangten, als diese keinen Erfolg hatten, an uns mit dem Gesuche, die Unterstellung der Bierbrauereien unter das Gesetz aufzuheben.

Auch die Müller sprachen sich auf den ihnen übungsgemäß zur Beantwortung vorgelegten Fragenschemata meistens gegen die Unterstellung ihrer Etablissemente aus.

Wir sind durch diese Vorgänge und im Hinblick auf Artikel l, Alinea 2 des citirten Gesetzes, wonach im Zweifelsfall, ob eine industrielle Anstalt als Fabrik zu betrachten sei, der endgültige Entscheid dem Bundesrathe zusteht, veranlaßt worden, die Frage

894 der Unterstellung der Bierbrauereien und Mehlmühlen neuerdings zu untersuchen, nachdem sie in unserm Kreisschreiben vom 21. Mai 1880 die vorläufige Lösung gefunden hatte: "es seien Mehlmühlen und Bierbrauereien nicht als Fabriken zu betrachten, wenn nur erwachsene männliche Arbeiter in denselben beschäftigt werden und in der Regel beim Arbeitgeber selbst Kost und Logis haben."

Die erneute Prüfung dieser Angelegenheit hatte das Resultat, daß wir beschlossen haben, es seien Mühlen und Bierbrauereien mit m e h r a l s 5 A r b e i t e r n d e m B u n d e s g esetze b e t r e f f e n d d i e A r b e i t i n d e n F a b r i k e n zu unterstellen Bei diesem Entscheid, welcher den oben erwähnten vom 21. Mai 1880 aufhebt, leiteten uns hauptsächlich folgende Erwägungen : Die Müllerei und Brauerei haben in der jüngsten Zeit ihrer Entwicklung immer mehr den Charakter von Großbetrieben angenommen. Allerdings hat hier der Ar beiter oft Wohnung und Kost bei seinem Prinzipal, und man hat daher anfänglich der Ansicht gehuldigt, daß die betreffenden Arbeiter nicht ,,außerhalb ihrer Wohnungen" beschäftigt würden, wie oies doch Artikel l des Gesetzes verlangt. Im Verlaufe der praktischen Vollziehung des Gesetzes und der damit verbundenen Erfahrungen hat jedoch eine andere Auffassung Platz gegriffen, diejenige, welcher wir in der oben angeführten Ziffer l unsers Kreisschreibens vom 7. April 1885 Ausdruck gegeben haben, und wir können hier bezüglich dieses Punktes auf den die nöthigen Erläuterungen enthaltenden Passus des letztern verweisen.

Aber auch das fernere im Artikel l des Gesetzes für die Unterstellung eines Etablissements enthaltene Kriterium der Arbeit ,,in geschlossenen Räumen" trifft für die Mühlen ohne Weiteres, für die Brauereien im Wesentlichen zu ; für letztere insofern, als ein Haupttheil der Arbeiten nicht im Freien, sondern innerhalb der Baulichkeiten des Geschäftes sich vollzieht, und jenes Kriterium vorhanden ist, wenn, wie es bei den Brauereien der Fall, eine Mehrzahl von Arbeitern beständig oder, mit der Beschäftigung im Freien abwechselnd, sich an diesen Arbeiten betheiligt. Wir verweisen darauf, daß die Leute in Sägereien, Cementfabriken, Ziegeleien etc., welche Kategorien von Etablissetnenten bekanntlich unter dem Gesetze stehen, weit weniger in geschlossenen Räumen arbeiten als die Brauer.

895 Es leuchtet ein, daß ein großer Theil der in der Brauerei und Müllerei vorkommenden Arbeiten und chemischen Vorgänge sich nicht innert des ll stündigen Arbeitstages abwickeln kann, und daß diesen besondern Verhältnissen Rücksicht getragen werden muß.

Indeß hat ja das Gesetz selbst für solche Fälle Vorsorge getroffen, indem für Prozesse, welche kontinuirlichen Betrieb erfordern, Artikel 13 und für nothwendig sich erweisende vorübergehende Verlängerung der Arbeitszeit Artikel 11 desselben die entsprechenden Bewilligungen vorsieht, so daß sich in dieser Beziehung keine Schwierigkeiten und keine Beeinträchtigung des rationellen Betriebes der genannten Industrien ergeben werden.

Im Uebrigen aber kann keinem Zweifel unterliegen, daß nach den gegenwärtigen Grundsätzen über die Unterstellung industrieller Etablissements die Mühlen und Brauereien vollkommen der Definition ,,Fabrik" im Sinne von Artikel l entsprechen. Auch in Deutschland und Oesterreich sind, nebenbei bemerkt, wie aus den staatlichen Verordnungen, sowie den Amtsberichten der dortigen Inspektoren hervorgeht, beide Gruppen der Fabrikgesetzgebung des Landes unterworfen, entgegen den gegenteiligen Angaben der schweizerischen Bierbrauer.

Wir haben die Unterstellung nur an die übliche Bedingung einer Arbeiterzahl von über 5, nicht auch an das Vorhandensein von Motoren geknüpft, weil einerseits weitaus die meisten in Frage kommenden Etablissemente ohnehin mit solchen betrieben worden, andererseits aber, abgesehen von den Motoren, beide Industriezweige Gesundheit und Leben der Arbeiter erwiesenermaßen noch auf andere Weise in bedeutendem Grade gefährden.

Indem wir Sie ersuchen, für beförderliche Vollziehung unsers Beschlusses besorgt sein zu wollen, benutzen wir den Anlaß, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, sammt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 13. April 1886.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

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Kreisschreiben des Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend die Unterstellung der Bierbrauereien und Mühlen unter das Fabrikgesetz. (Vom 13. April 1886.)

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17.04.1886

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