00.404 Parlamentarische Initiative Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer.

Änderung Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates vom 20. November 2000

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen gemäss Artikel 21quater Absatz 3 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG) den vorliegenden Bericht und überweisen ihn gleichzeitig dem Bundesrat zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt einstimmig bei 2 Enthaltungen, dem beiliegenden Erlassentwurf zuzustimmen.

20. November 2000

Im Namen der Kommission: Der Präsident: Strahm

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2001-0520

Bericht 1

Entstehungsgeschichte

Nationalrat Triponez reichte am 23. März 2000 in der Form eines ausgearbeiteten Entwurfes eine Parlamentarische Initiative zur Änderung des Bundesgesetzes über die Mehrwertsteuer ein. Er verlangte, dass in die Liste der Steuerausnahmen, nach Artikel 18 des Mehrwertsteuergesetzes (MWSTG), auch die Dienstleistungen der AHV- und Familienausgleichskassen für nicht hoheitlich übertragene Aufgaben aufgenommen werden. Diese Aufgaben sind beispielsweise der Vollzug der beruflichen Vorsorge oder das Führen einer Krankenversicherung für Berufsverbände.

Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) des Nationalrates prüfte die Initiative am 28. August 2000 und beantragte, Folge zu geben. Der Nationalrat beschloss am 2. Oktober 2000 stillschweigend, der Initiative Folge zu geben und beauftragte die WAK mit der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes. An der Sitzung vom 30. Oktober 2000 beriet die Kommission das weitere Vorgehen, woraufhin die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) einen Vorschlag im Sinne des Initianten ausarbeitete. Der Entwurf des Gesetzestextes wurde in der Kommission am 20. November 2000 mit 22 zu 0 Stimmen bei 2 Enthaltungen gutgeheissen.

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Grundzüge der Vorlage

2.1

Handlungsbedarf

Den AHV-Ausgleichskassen können neben dem Vollzug der AHV auch weitere Aufgaben zur Durchführung übertragen werden. Es sind dies weitere hoheitliche Aufgaben betreffend die IV, EO, ALV oder Familienzulagen. Aber es können ihnen auch nicht hoheitliche Aufgaben, wie die Durchführung der verbandlich organisierten beruflichen Vorsorge oder das Führen einer Unfall- oder Krankenversicherung, zugewiesen werden. Die Übertragung von Aufgaben ist an drei Bedingungen gebunden [siehe Artikel 130 und 131 der Verordnung vom 31. Oktober 1947 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVV): ­

Sie dürfen die ordnungsgemässe Durchführung der AHV nicht gefährden.

­

Sie müssen zur Sozialversicherung, zur beruflichen und sozialen Vorsorge oder zur beruflichen Aus- und Weiterbildung gehören.

­

Zur Durchführung von übertragenen Aufgaben ist eine Bewilligung des Bundesrates erforderlich.

Hinsichtlich der Mehrwertsteuer sind alle hoheitlichen Aufgaben nicht steuerpflichtig. Es bedarf nun einer politischen Regelung für die übertragenen Aufgaben nicht hoheitlicher Art.

Die ESTV betrachtet diese Aufgaben als Mandatsverhältnisse zwischen Kassen und Kunden und erklärt sie damit für steuerpflichtig. Diese Auffassung der Steuerverwaltung bewirkt, nach Ansicht der Kommission, verschiedene unerwünschte Folgen.

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Das Führen von Kranken- und Unfallversicherungen für die angeschlossenen Verbände und der beruflichen Vorsorge gehört wie erwähnt zu den übertragenen nicht hoheitlichen Aufgaben von AHV- und Familienkassen. Durch die Unterstellung solcher Aufgaben unter die Mehrwertsteuer würden die finanziellen Belastungen dieser Leistungen erhöht. In der Folge müssten die Kosten durch Anpassung der Prämien von Kranken- und Unfallversicherungen auf die Kunden überwiesen werden.

Eine weitere Problematik ergibt sich dadurch, dass sich kleinere, aber eigenständige Verbandskassen, denen vorwiegend KMU angeschlossen sind, oft die Aufgaben aus organisatorischen Gründen teilen. Eine Kasse macht beispielsweise für eine oder mehrere andere Kassen das Inkassowesen, während eine andere vorwiegend Rentenberechnungen durchführt. Betrachtet man das Durchführen dieser Sozialleistungen als steuerpflichtige Dienstleistungen, müssten die Kassen dies untereinander verrechnen. Die Konzentration von artgleichen Aufgaben dient aber gerade der Kostenersparnis. Es kann nicht im Sinne der Gesetzgebung sein, Organisationsformen, die sinnvoll und effizient sind, mehr zu belasten.

Pensionskassen, die ihre administrativen Arbeiten selbst ausführen, wären ohne die vorgeschlagene Gesetzesänderung gegenüber Pensionskassen, die diese Arbeiten durch Verbandsausgeleichskassen ausführen lassen, in wirtschaftlicher Hinsicht bevorteilt, da die interne Erledigung administrativer Arbeiten nicht als steuerpflichtige Dienstleistung gilt. Hier entsteht ein Wettbewerbsnachteil zuungunsten der kleinen Kassen, und dieser betrifft insbesondere die gewerblichen Verbandskassen und damit die KMU.

Die Kommission zweifelt, ob diese unerwünschten Folgen der heutigen Fassung des Mehrwertsteuergesetzes je in der Absicht des Gesetzgebers lagen.

2.2

Vorschlag der Kommission

Die Kommission beantragt, den Artikel 18 des MWSTG, der die Liste der Steuerausnahmen enthält, mit der vorgeschlagenen Ziffer 25 zu ergänzen und die Dienstleistungen von Ausgleichskassen untereinander wie auch die Dienstleistungen, die zur Sozialversicherung gehören oder der beruflichen und sozialen Vorsorge sowie der beruflichen Aus- und Weiterbildung dienen, von der Mehrwertsteuer auszunehmen.

Die Dienstleistungen der Ausgleichskassen untereinander sollen explizit im Gesetz aufgenommen werden, damit eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen Ausgleichskassen möglich ist. So kann die gegen Entgelt besorgte Führung von verschiedenen Verbandsausgleichskassen in Personalunion auch von der Steuer ausgenommen werden. Gerade hier wäre nämlich eine Verrechnung der Leistungen untereinander äusserst kompliziert und brächte nur unnötigen Verwaltungsaufwand.

Die Kommission hat den Vorschlag so gestaltet, dass der Kreis der Begünstigten durch die Beschränkung auf die AHV- und Familienausgleichskassen limitiert ist.

Weiterhin nicht befreit sind Treuhandbüros oder Revisionsfirmen, die übertragene Aufgaben in einem Mandatsverhältnis übernehmen. Auch die befreiten Aufgaben wurden genau eingegrenzt, denn um von der Mehrwertsteuer ausgenommen zu sein, müssen sie zur Sozialversicherung, zur beruflichen Aus- und Weiterbildung oder zur beruflichen Vorsorge gehören.

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3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

3.1

Rechtliche Rahmenbedingungen

Die Mehrwertsteuer ist eine allgemeine Konsumsteuer und muss deshalb umfassend sein und alle Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen im Inland gleichmässig erfassen. Damit der Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung, der auch ein Privilegierungsverbot beinhaltet und eine Konkretisierung des Gebotes der rechtsgleichen Behandlung darstellt, nicht gefährdet wird, sollen Ausnahmen von der Steuer möglichst restriktiv zugelassen werden. Dies hat auch das Bundesgericht in mehreren Urteilen festgehalten (vgl. BGE 124 II 193 ff. und 372 ff.). Diesem Grundsatz entsprechend waren schon nach der Verordnung des Bundesrates vom 22. Juni 1994 über die Mehrwertsteuer (MWSTV) im Prinzip alle Leistungen steuerbar. Ausnahmen von der Steuer mussten ausdrücklich vorgesehen werden. Dies war insbesondere im Art. 14 MWSTV geschehen, der die von der Steuer ausgenommenen Umsätze abschliessend aufzählte. Auch das von den eidgenössischen Räten am 2. September 1999 verabschiedete MWSTG, das am 1. Januar 2001 in Kraft getreten ist, sieht vor, dass grundsätzlich sämtliche Leistungen unabhängig von der Person des Leistungserbringers steuerbar sind (Art. 5 in Verbindung mit Art. 18 MWSTG). Der Gesetzgeber hat sich bei den Beratungen des MWSTG verschiedentlich dafür ausgesprochen, Ausnahmen von der Steuer gemäss Art. 18 MWSTG restriktiv zu handhaben, weil solche Ausnahmen dem System der Mehrwertsteuer widersprechen und Wettbewerbsverzerrungen zur Folge haben können.

3.2

Erläuterungen zur vorgeschlagenen gesetzlichen Regelung

Gemäss der vorgeschlagenen neuen Ziffer 25 zu Artikel 18 des MWSTG sollen einerseits Umsätze von Ausgleichskassen untereinander von der Steuer ausgenommen sein. Andererseits soll die in der vorgeschlagenen neuen Ziffer 25 vorgesehene Ausnahme Umsätze aus Aufgaben umfassen, die den Ausgleichskassen auf Grund des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) oder den Familienausgleichskassen auf Grund des anwendbaren Rechts übertragen werden und die zur Sozialversicherung gehören oder der beruflichen und sozialen Vorsorge sowie der beruflichen Aus- und Weiterbildung dienen.

Es handelt sich dabei um Artikel 63 Absatz 4 des AHVG und um Artikel 130 Absatz 1 der Verordnung vom 31. Oktober 1947 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVV). Der vorgeschlagene neue Gesetzestext führt jedoch diese Bestimmungen des AHV-Rechts nicht ausdrücklich auf, damit künftige Revisionen dieser beiden Erlasse sich nicht automatisch auf die Mehrwertsteuer auswirken. Soll es beispielsweise im Rahmen einer solchen Revision ermöglicht werden, weitere Aufgaben auf die Ausgleichskassen zu übertragen, so würde sich die in Ziffer 25 des Artikels 18 des MWSTG neu zu schaffende Steuerausnahme nicht ohne weiteres auf die Übertragung zusätzlicher Aufgaben erstrecken.

Nach dem in Ziffer 3.1 beschriebenen Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung müssen Ausnahmen von der Steuer eng begrenzt sein. Deshalb ist die Tragweite der vorgeschlagenen Ausnahme in objektiver und subjektiver Hinsicht gemäss den folgenden Ausführungen einzuschränken.

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3.2.1

Objektive Begrenzung

Artikel 63 Absatz 4 des AHVG bestimmt, dass den Ausgleichskassen durch den Bund und, mit Genehmigung des Bundesrates, durch die Kantone und die Gründerverbände weitere Aufgaben, insbesondere solche auf dem Gebiete des Wehrmannsund des Familienschutzes, übertragen werden können. Was der Geltungsbereich dieser Gesetzesbestimmung ist, wird in Artikel 130 Absatz 1 der AHVV näher ausgeführt. Den Ausgleichskassen dürfen nämlich von den Kantonen und Gründerverbänden nur solche Aufgaben im Sinne von Artikel 63 Absatz 4 des AHVG übertragen werden, die zur Sozialversicherung gehören oder der beruflichen und sozialen Vorsorge sowie der beruflichen Aus- und Weiterbildung dienen.

Demgemäss erstreckt sich die in der vorgeschlagenen neuen Ziffer 25 vorgesehene Ausnahme auf übertragene Aufgaben, die zur Sozialversicherung gehören oder der beruflichen und sozialen Vorsorge sowie der beruflichen Aus- und Weiterbildung dienen. Zur Sozialversicherung gehören gemäss der Ordnung der Systematischen Sammlung des Bundesrechts die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (mit Einschluss der Ergänzungsleistungen), die berufliche Alters-, Hinterlassenenund Invalidenvorsorge, die Kranken- und Unfallversicherung, die Militärversicherung, der Erwerbsersatz, die Familienzulagen und die Arbeitslosenversicherung. Die vorgeschlagene Formulierung des Zwecks entspricht dem derzeitigen Wortlaut von Artikel 130 Absatz 1 der AHVV.

Die übertragenen Aufgaben betreffen beispielsweise die Besorgung der Administration von Pensions- oder Krankenkassen durch Verbandsausgleichskassen, aber auch Aufgaben der sozialen Vorsorge, die an Familienausgleichskassen auf Grund des anwendbaren Rechts übertragen werden.

3.2.2

Subjektive Begrenzung

In subjektiver Hinsicht umfasst die vorgeschlagene Ziffer 25 nur die Übertragung von Aufgaben an Ausgleichskassen auf Grund des AHVG oder an Familienausgleichskassen auf Grund des anwendbaren Rechts. Schliesslich nimmt die vorgeschlagene neue Gesetzesbestimmung Umsätze von Ausgleichskassen untereinander von der Steuer aus. Damit soll namentlich der gegen Entgelt besorgten Führung von Ausgleichskassen in Personalunion Rechnung getragen werden. Diese Art der Führung von Ausgleichskassen soll in mehrwertsteuerlicher Hinsicht im Vergleich zur individuellen Führung jeder einzelnen Kasse nicht mit Nachteilen verbunden sein.

4

Finanzielle Auswirkungen

Schätzungen der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) haben ergeben, dass die vorgeschlagene Ziffer 25 zu Artikel 18 des MWSTG zu jährlich wiederkehrenden Steuerausfällen von rund 1,5 Millionen Franken führen wird. Diese Ausfälle wiegen die Nachteile, die sich sonst für die KMU ergäben, nicht auf.

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Verhältnis zum europäischen Recht

Grundsätzlich sind nach der 6. EG-Richtlinie vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (ABl. EG 1977 Nr. L 145, S. 1 ff.) alle Umsätze steuerbar. Bezüglich Steuerbefreiungen bestimmt diese Richtlinie in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g folgendes: Artikel 13

Steuerbefreiungen im Inland

A. Befreiungen bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten (1) Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer: ...

g.

die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschliesslich derjenigen der Altenheime, durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen;

...

Gemäss Artikel 17 Absatz 2 der 6. EG-Richtlinie sind Vorsteuerabzüge nur zulässig, soweit der Steuerpflichtige die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet.

Im deutschen Umsatzsteuergesetz (UStG) ­ als ein Beispiel ­ wurde Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g der 6. EG-Richtlinie in § 4 Nr. 15 umgesetzt. Diese Gesetzesbestimmung hält insbesondere fest, dass Umsätze der gesetzlichen Träger der Sozialversicherung, der örtlichen und überörtlichen Träger der Sozialhilfe sowie der Verwaltungsbehörden und sonstigen Stellen der Kriegsopferversorgung einschliesslich der Träger der Kriegsopferfürsorge auch untereinander steuerfrei sind.

Nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 des UStG ist die Steuer für die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen sowie für sonstige Leistungen, die der Unternehmer für steuerfreie Umsätze verwendet, vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen.

Die vorgeschlagene neue Ziffer 25 zu Artikel 18 des MWSTG geht somit nicht über die gemäss Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g der 6. EG-Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer mögliche Steuerbefreiung hinaus.

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Verfassungsmässigkeit

Die vorliegende Revision des MWSTG stützt sich auf Artikel 130 BV, der dem Bund die Kompetenz zur Erhebung der Mehrwertsteuer gibt.

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