01.028 Botschaft zu den Volksinitiativen «für eine bessere Rechtsstellung der Tiere (Tier-Initiative)» und «Tiere sind keine Sachen!» vom 25. April 2001

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, Wir unterbreiten Ihnen die Botschaft zu den Volksinitiativen «für eine bessere Rechtsstellung der Tiere (Tier-Initiative)» und «Tiere sind keine Sachen». Wir beantragen Ihnen, Volk und Ständen die beiden Volksinitiativen mit der Empfehlung auf Ablehnung zu unterbreiten. Die Entwürfe zu den entsprechenden Bundesbeschlüssen liegen bei.

Sofern Sie in der Folge der Behandlung der Parlamentarischen Initiative 99.467 «Die Tiere in der schweizerischen Rechtsordnung» (Marty Dick) den beiden Volksinitiativen einen indirekten Gegenentwurf auf der Ebene des Gesetzes gegenüberstellen, der dem Hauptanliegen der beiden Volksinitiativen Rechnung trägt, können wir dies unterstützen.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

25. April 2001

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates

11425

Der Bundespräsident: Moritz Leuenberger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2001-0618

2521

Übersicht Ende 1999 beschloss der Nationalrat, auf eine Gesetzesrevision nicht einzutreten, welche darauf abzielte, Tiere dem Grundsatz nach künftig nicht mehr als Sachen im Rechtssinn zu behandeln. Die Gesetzesrevision basierte auf zwei Parlamentarischen Initiativen: 92.437, «Tier keine Sache» (Loeb) und 93.459, «Wirbeltiere. Gesetzliche Bestimmungen» (Sandoz). In der Folge sind zwei Volksinitiativen zu Stande gekommen, welche das vom Nationalrat abgelehnte Anliegen auf Verfassungsebene aufgreifen: Am 17. August 2000 wurde die Volksinitiative «für eine bessere Rechtsstellung der Tiere (Tier-Initiative)», am 16. November 2000 die Volksinitiative «Tiere sind keine Sachen!» eingereicht. Mit dem gleichen Ziel befasst sich ausserdem die Parlamentarische Initiative 99.467 «Die Tiere in der schweizerischen Rechtsordnung» (Marty Dick), welcher der Ständerat Folge gegeben hat und die derzeit in der ständerätlichen Kommission für Rechtsfragen in Behandlung steht.

Beide Volksinitiativen legen auf der Ebene der Verfassung fest, dass Tiere keine Sachen im Rechtssinn sind, und beauftragen den Gesetzgeber, die notwendigen Anpassungen vorzunehmen. Die Volksinitiative «Tiere sind keine Sachen!» beauftragt den Gesetzgeber überdies, dafür zu sorgen, dass geeignete Anwälte von Amtes wegen die Interessen der Tiere wahrnehmen. Die Initiativen verfolgen damit im Wesentlichen zwei Anliegen: ­

mit der Umgestaltung derjenigen Gesetzesbestimmungen, welche auf der Unterstellung der Tiere unter den Begriff der Sache im Sinne des Zivilrechts beruhen, soll der Eigenart der Tiere als Lebewesen besser Rechnung getragen werden;

­

bei der Anwendung von Schutzbestimmungen sollen Tiere verfahrensrechtlich besser gestellt werden.

Der Bundesrat beantragt den Räten, die beiden Volksinitiativen zur Ablehnung zu empfehlen. Wohl hat sich der Bundesrat bereits klar dafür ausgesprochen, dass die rechtliche Stellung der Tiere derart neu zu fassen ist, dass sie durch die Gesetzgebung nicht mehr als Sache im Rechtssinn zu behandeln sind, sondern dass ihrer Eigenart als Lebewesen insbesondere im Bereich des Zivil- und Strafrechts vermehrt Rechnung getragen wird. Insofern unterstützt er das Grundanliegen beider Initiativen. Er ist aber auch der Auffassung, dass dieses Ziel nicht in punktueller Weise auf der Ebene der Verfassung zu verwirklichen ist, sondern stufengerecht auf der Ebene des Gesetzes umzusetzen ist. Dies gilt in besonderem Masse auch für allfällige Regelungen im Bereich des Verfahrensrechts.

Sofern die Eidgenössischen Räte in der Folge der Behandlung der Parlamentarischen Initiative Marty den beiden Volksinitiativen einen indirekten Gegenentwurf auf der Ebene des Gesetzes gegenüberstellen, der dem Hauptanliegen der beiden Volksinitiativen Rechnung trägt, wird der Bundesrat ein solches Vorgehen unterstützen.

2522

Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Parlamentarische Initiativen Loeb und Sandoz

Am 24. August 1992 hatte Nationalrat Loeb die Parlamentarische Initiative 92.437 «Tier keine Sache» (Parlamentarische Initiative Loeb) eingereicht; die Initiative verlangte in der Form der allgemeinen Anregung eine Änderung des schweizerischen Rechts, nach welcher Tiere durch die Gesetzgebung nicht mehr als Sache behandelt werden sollten. Am 16. Dezember 1993 hatte zudem Nationalrätin Sandoz die Parlamentarische Initiative 93.459 «Wirbeltiere. Gesetzliche Bestimmungen» (Parlamentarische Initiative Sandoz) eingereicht; diese verlangte in der Form der allgemeinen Anregung, dass im Schweizerischen Zivilgesetzbuch1 (ZGB) den Wirbeltieren eine besondere Sacheigenschaft als Lebewesen zuerkannt werde. Am 17. Dezember 1993 bzw. am 16. Dezember 1994 hatte der Nationalrat den obenerwähnten Initiativen Folge gegeben. Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats arbeitete daraufhin einen Entwurf für eine Revision des ZGB, des Obligationenrechts2 (OR), des Strafgesetzbuchs3 (StGB) und des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs4 (SchKG) aus. Mit der Revision sollte den Tieren in der Rechtsordnung im Grundsatz ein besonderer Status als lebende und empfindungsfähige Wesen verliehen werden. Soweit aber keine besonderen Regelungen vorgesehen waren, sollten Tiere nach den entsprechenden Vorschriften des Sachenrechts behandelt werden (Bericht der Kommission vom 18. Mai 1999)5. Eine 1998 durchgeführte Vernehmlassung zeigte eine weitgehende Akzeptanz der vorgeschlagenen Regelung. Der Bundesrat unterstützte diese Regelung in seiner Stellungnahme vom 20. September 19996 im Grundsatz ebenfalls; er beantragte allerdings einige Detailkorrekturen im Bereich des Eigentumsrechts und des Schadenersatzrechts. Am 13. Dezember 1999 beschloss der Nationalrat gegen den Antrag seiner Rechtskommission, auf die Vorlage nicht einzutreten; dieser Entscheid wurde am 16. Dezember 1999 anlässlich eines Rückkommensantrags bestätigt7.

1.2

Folgen des Nichteintretens auf die Parlamentarischen Initiativen Loeb und Sandoz

Der Entscheid des Nationalrats löste Aktivitäten auf unterschiedlichen Ebenen aus.

Einerseits reichte Ständerat Dick Marty am 22. Dezember 1999 in gleicher Sache als ausformulierten Gesetzesentwurf die Parlamentarische Initiative 99.467 «Die Tiere in der schweizerischen Rechtsordnung» ein (Parlamentarische Initiative Marty); der 1 2 3 4 5 6 7

SR 210 SR 220 SR 311.0 SR 281.1 BBl 1999 8935 BBl 1999 9541 AB 1999 N 2492 und 2540

2523

Ständerat beschloss auf Antrag seiner Kommission für Rechtsfragen am 16. November 2000, der Initiative Folge zu geben8. Der entsprechende Gesetzesentwurf wird derzeit in der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats behandelt.

Andererseits wurden im Laufe des Jahres 2000 die hier zu behandelnden Volksinitiativen eingereicht. Nach Artikel 28 Absatz 1 des Geschäftsverkehrsgesetzes9 (GVG) sind Volksinitiativen, welche sich mit der gleichen Verfassungsmaterie befassen, separat in der Reihenfolge ihres Einreichens zu behandeln und dem Volk vorzulegen. Der Bundesrat hat sich entschlossen, die beiden Volksbegehren aus Gründen der Kohärenz und der Verwaltungsökonomie in der gleichen Botschaft zu behandeln, unterbreitet aber dem Parlament gemäss Artikel 28 Absatz 1 GVG für jede der beiden Initiativen einen separaten Bundesbeschluss.

2

Volksinitiative «für eine bessere Rechtsstellung der Tiere (Tier-Initiative)»

2.1

Formelles

2.1.1

Wortlaut

Die Volksinitiative «für eine bessere Rechtsstellung der Tiere (Tier-Initiative)» wurde in der Form des ausgearbeiteten Entwurfs am 17. August 2000 mit 140 708 gültigen Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht. Der Initiativtext lautet: Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 wird wie folgt ergänzt: Art. 79a (neu) 1

Rechtsstellung der Tiere

Tiere sind keine Sachen, sondern empfindungsfähige Lebewesen.

2

Der Bund bestimmt ihre rechtliche Stellung, insbesondere im Zivil-, Straf- und Verwaltungsrecht.

2.1.2

Zustandekommen

Mit Verfügung vom 25. September 2000 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Volksinitiative «für eine bessere Rechtsstellung der Tiere (Tier-Initiative)» formell zu Stande gekommen ist10.

2.1.3

Behandlungsfrist

Gemäss Artikel 29 Absatz 1 GVG ist die Botschaft des Bundesrates zur Volksinitiative bis spätestens am 18. August 2001 der Bundesversammlung zu unterbreiten.

8 9 10

AB 2000 S 532 SR 171.11 BBl 2000 5013

2524

2.2

Gültigkeit

2.2.1

Einheit der Form

Nach Artikel 139 Absätze 2 und 3 und Artikel 194 Absatz 3 BV ist eine Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung nur in der Form der allgemeinen Anregung oder des ausgearbeiteten Entwurfs zulässig. Mischformen sind nicht gestattet.

Die «Tier-Initiative» ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf abgefasst. Das Gebot der Einheit der Form ist somit erfüllt.

2.2.2

Einheit der Materie

Das Gebot der Einheit der Materie nach Artikel 139 Absatz 3 und 194 Absatz 2 BV will sicherstellen, dass mit einem Initiativbegehren nicht mehrere, sachlich nicht zusammenhängende Fragen zur Abstimmung gelangen. Damit soll die freie, unverfälschte Willensbildung bei der Abstimmung gewährleistet werden.

Das Thema der «Tier-Initiative» ist ausschliesslich die Rechtsstellung der Tiere in der schweizerischen Rechtsordnung. Letztere soll nach dem Grundsatz ausgerichtet werden, dass Tiere nicht als «Sache» im Rechtssinn zu betrachten sind. Der Grundsatz der Einheit der Materie ist somit gewahrt.

2.2.3

Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht

Artikel 139 Absatz 3 sowie 194 Absatz 2 BV schreiben vor, dass die Volksinitiativen auf Teilrevision der Bundesverfassung die Bestimmungen des zwingenden Völkerrechts nicht verletzen dürfen. Indem die Volksinitiative den Tieren eine besondere Rechtsstellung gewährt, regelt sie einen Teilaspekt des Sachenrechts sowie die daraus resultierenden Folgen für die anderen Rechtsgebiete. Bestimmungen des zwingenden Völkerrechtes werden dadurch nicht tangiert.

2.2.4

Durchführbarkeit

Obwohl es die Bundesverfassung nicht ausdrücklich erwähnt, sind die Volksinitiativen nach langjähriger Praxis auch auf ihre faktische Durchführbarkeit hin zu prüfen11. Der Initiativtext weckt in dieser Hinsicht keine Bedenken, da die von ihm verlangten Gesetzesrevisionen faktisch ohne weiteres umgesetzt werden können.

11

S. etwa BBl 1998 274 und dortige Hinweise.

2525

3

Volksinitiative «Tiere sind keine Sachen!»

3.1

Formelles

3.1.1

Wortlaut

Die Volksinitiative «Tiere sind keine Sachen!» wurde in der Form des ausgearbeiteten Entwurfs am 16. November 2000 mit 108 526 gültigen Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht. Der Initiativtext lautet: Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 wird wie folgt ergänzt: Art. 79a (neu) 1

Tiere sind Lebewesen, deren Würde, Empfindungen und Schmerzfähigkeit der Mensch Rechnung tragen muss.

2 Der Bundesgesetzgeber bestimmt die besonderen, den Tieren zukommenden Rechte und setzt zu deren Vertretung geeignete Anwälte ein.

3.1.2

Zustandekommen

Mit Verfügung vom 21. Dezember 2000 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Volksinitiative «Tiere sind keine Sachen!» formell zu Stande gekommen ist12.

3.1.3

Behandlungsfrist

Gemäss Artikel 29 Absatz 1 GVG ist die Botschaft des Bundesrates zur Volksinitiative bis spätestens am 17. November 2001 der Bundesversammlung zu unterbreiten.

3.2

Gültigkeit

3.2.1

Einheit der Form

Die «Tier-Initiative» ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf abgefasst. Das Gebot der Einheit der Form ist somit erfüllt.

3.2.2

Einheit der Materie

Das Thema der «Tier-Initiative» ist ausschliesslich die Rechtsstellung der Tiere in der schweizerischen Rechtsordnung. Letztere soll nach dem Grundsatz ausgerichtet werden, dass Tiere nicht als «Sache» im Rechtssinn zu betrachten sind. Der Grundsatz der Einheit der Materie ist somit gewahrt.

12

BBl 2001 2

2526

3.2.3

Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht

Indem die Volksinitiative den Tieren eine besondere Rechtsstellung gewährt, regelt sie einen Teilaspekt des Sachenrechts sowie die daraus resultierenden Folgen für die anderen Rechtsgebiete. Bestimmungen des zwingenden Völkerrechtes werden dadurch nicht tangiert.

3.2.4

Durchführbarkeit

Der Initiativtext weckt hinsichtlich sachlicher Durchführbarkeit keine Bedenken, da die von ihm verlangten Gesetzesrevisionen faktisch ohne weiteres umgesetzt werden können.

4

Rechtliche Situation in den durch die Initiativen erfassten Bereichen

4.1

Verfassungsrechtlicher Kontext

Das geltende Verfassungsrecht ermächtigt den Bund in Artikel 122 Absatz 1 BV in genereller Weise zur Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts. Davon erfasst wird auch das Sachenrecht, welches einerseits den Begriff der Sache im Rechtssinn umschreibt, andererseits die Rechtsbeziehungen der Rechtssubjekte zu den Sachen regelt. Das Sachenrecht zeitigt nicht nur Folgen im Bereich des eigentlichen Zivilrechts und des so genannten ergänzenden öffentlichen Rechts, d.h. des notwendigen Organisations- und Vollzugsrechts13, es hat auch direkte Auswirkungen auf das Strafrecht (z.B. bei den Eigentumsdelikten), auf das Prozessrecht sowie auf diejenigen Bereiche des Verwaltungsrechts, welche auf sachenrechtliche Begriffe und Rechtsfolgen abstellen. Zu der in Artikel 26 BV verankerten Gewährleistung des Eigentums besteht insofern ein Zusammenhang, als diese Bestimmung das Eigentum als Institut garantiert und es im Einzelfall mit einer Wertgarantie schützt14. Die konkrete Ausgestaltung des Instituts bzw. die Umschreibung dessen, was eigentumsfähig ist, wird aber unter anderem durch Artikel 122 Absatz 1 BV dem Gesetzgeber übertragen15.

4.2

Gesetzgebung

4.2.1

Sachenrechtliche Zuordnung

Nach der geltenden Zivilrechtsordnung gelten Tiere als Sache und nicht als Rechtssubjekte. Sie können daher zu Eigentum mit den aus dem Eigentum resultierenden Verfügungsbefugnissen erworben werden und sie gelten gegebenenfalls als Vermögenswert. Mit dieser Zuordnung finden auf sie vorweg alle Bestimmungen der 13 14 15

Vgl. Blaise Knapp, in «Kommentar BV», Art. 64, Rz. 36 ff.

BBl 1997 I 173 S. Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl., Bern 1999, S. 596 ff. und dortige Hinweise.

2527

Rechtsordnung Anwendung, welche ihrerseits auf das sachenrechtliche Institut des Eigentums Bezug nehmen bzw. sich darauf abstützen. So gelten Tiere, an denen Eigentum erworben wurde, steuerrechtlich als Vermögen; sie bzw. ihre Eigentümer werden strafrechtlich gegen Diebstahl und Beschädigung geschützt und ihre Eigentümer können für den durch sie allenfalls angerichteten Schaden verantwortlich gemacht werden usw.

4.2.2

Schutznormen des öffentlichen Rechts

Dass nun aber Tiere auch von der geltenden Rechtsordnung nicht einfach als unbelebte Gegenstände behandelt werden, zeigt sich an den zahlreichen Schutznormen des öffentlichen Rechts, welche die Verfügungsbefugnisse des Eigentümers einschränken. Der zentrale Erlass in diesem Zusammenhang ist das Tierschutzgesetz vom 9. März 197816 (TSchG), welches insbesondere die Wirbeltiere um ihrer selbst Willen schützen und ihr Wohlbefinden fördern will und sich auch auf das Tier als einzelnes Lebewesen bezieht (vgl. Art. 1 und 2 TSchG). Eine derzeit laufende Revision des TSchG prüft eine Reihe von Neuerungen im Bereich der Schutznormen für die dem Gesetz unterstellten Tiere, doch ist sie für ihre rechtsdogmatische Behandlung durch das Zivilrecht nicht von Belang. Hinsichtlich der freilebenden Tiere bestehen Schutznormen sowohl im Bundesgesetz vom 1. Juli 196617 über den Natur- und Heimatschutz (NHG) als auch in den Bundesgesetzen vom 20. Juni 198618 über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel sowie vom 21. Juni 199119 über die Fischerei. In diesen Regelungen werden sowohl Aspekte des Artenschutzes als auch Fragen der Aneignung wildlebender Tiere behandelt.

Weitere Normen finden sich zudem im Tierseuchengesetz vom 1. Juli 196620, das primär vom Schutz des Tieres als Wirtschaftsgut ausgeht. Die Gesamtheit dieser Regelungen zeigt, dass die zivil- und eigentumsrechtliche Zuordnung des Tieres hinsichtlich des Umfanges und der Anwendbarkeit von Schutznormen zwar keinen entscheidenden Einfluss hat, dass sie aber die grundsätzliche Positionierung des Tieres im Recht widerspiegelt.

4.3

Rechtsvergleich

4.3.1

Verhältnis zum europäischen Recht

Das europäische Recht (einschliesslich des Rechts der Europäischen Union) enthält keine Normen über den Schutz von Tieren im Privatrechtsverkehr. Es ist vielmehr auf den unmittelbaren Schutz von Tieren ausgerichtet (vgl. z.B. Europäisches Übereinkommen vom 13. November 198721 zum Schutz von Heimtieren, insbesondere Art. 6 und 8, Europäisches Übereinkommen vom 13. Dezember 196822 über den 16 17 18 19 20 21 22

SR 455 SR 451 SR 922.0 SR 923.0 SR 916.40 SR 0.456 SR 0.452

2528

Schutz von Tieren auf internationalen Transporten, Europäisches Übereinkommen vom 10. März 197623 zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlicher Tierhaltung, Europäisches Übereinkommen vom 18. März 198624 zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Wirbeltiere, Europäisches Übereinkommen vom 10. Mai 197925 über den Schutz von Schlachttieren).

4.3.2

Rechtsordnungen einzelner europäischer Staaten

Die Schweiz ist offensichtlich der einzige westeuropäische Staat, der den Schutz der Tiere auf der Ebene der Verfassung verankert hat; daneben haben aber immerhin neun deutsche Bundesländer den Tierschutz als Staatsziel in ihre Verfassungen aufgenommen26. Keine Regelungen auf Verfassungsebene finden sich hinsichtlich der rechtlichen Stellung der Tiere in der Privatrechtsordnung27.

Auf der Ebene des Gesetzes behandeln die Privatrechtsordnungen der westeuropäischen Staaten die Tiere rechtlich in der Regel als bewegliche Sache28. Ausnahmen sind Deutschland und Österreich.

Das Bürgerliche Gesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland bestimmt, dass Tiere keine Sachen sind29. Da aber die für die Sachen geltenden Vorschriften auch weiterhin auf Tiere anwendbar sind, hat die Bestimmung bis jetzt auf die Rechtspraxis keine Auswirkungen gezeitigt30. Für die Rechtspraxis folgenreicher sind dagegen einige gleichzeitig mit der Schaffung von § 90a BGB vorgenommene Rechtsänderungen im Schadenersatzrecht und im Zwangsvollstreckungsrecht31, welche sich mit der rechtlichen Behandlung von Tieren in diesen Bereichen befassen.

Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch Österreichs enthält eine dem deutschen Recht vergleichbare Regelung32; auch hier sind unmittelbar rechtswirksame Folgen bis heute offenbar ausgeblieben33.

Eine gewisse Differenzierung findet sich immerhin auch im Recht Frankreichs: Die Tierschutzgesetzgebung umschreibt das Tier als «être sensible», Artikel 528 des Code civil bezeichnet die Tiere als «biens meubles»34.

23 24 25 26 27 28 29

30 31 32

33 34

SR 0.454 SR 0.457 SR 0.458 Gutachten des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung (SIR) vom 12. Februar 2001, Ziff. 1.1., 2.2., 3.1., 4.1., 5, 6, 7.1., 8.1. (Avis 00-142; nicht publiziert).

Gutachten SIR (Fussnote 26).

Gutachten SIR (Fussnote 26).

§ 90a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) lautet: «Tiere sind keine Sachen. Sie werden durch besondere Gesetze geschützt. Auf sie sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nichts anderes bestimmt ist.» Gutachten SIR (Fussnote 26), Ziff. 1.2 und dortige Hinweise.

Gutachten SIR (Fussnote 26), S. 4.

§ 285a des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) lautet: «Tiere sind keine Sachen; sie werden durch besondere Gesetze geschützt. Die für Sachen geltenden Vorschriften sind auf Tiere nur insoweit anzuwenden, als keine abweichenden Regelungen bestehen.» Gutachten SIR (Fn. 26), Ziff. 2.3. und dortige Hinweise.

Gutachten SIR (Fn. 26), Ziff. 3 und dortige Hinweise.

2529

5

Inhaltliche Beurteilung der beiden Volksinitiativen

5.1

Auslegung des Textes

Bei der Auslegung des Textes einer Volksinitiative ist vom Wortlaut und nicht vom subjektiven Willen der Initianten auszugehen. Eine allfällige Begründung des Volksbegehrens und Meinungsäusserungen der Initianten können aber mitberücksichtigt werden. Ebenso können die Umstände, die zu einer Initiative Anlass gegeben haben, für die Auslegung des Initiativtextes eine Rolle spielen. Die Auslegung dieses Textes erfolgt im Übrigen nach den anerkannten Auslegungsmethoden.

5.2

Ziele der Volksinitiativen

5.2.1

Gemeinsame Ziele

Beide Volksinitiativen wollen den Gesetzgeber dazu verpflichten, die Erfassung der Tiere durch die Zivilrechtsordnung umzugestalten. Aus ihrer Sicht wird die Einstufung der Tiere durch das Zivilrecht als Sache im Rechtssinn weder der faktischen Situation der Tiere als leidensfähige Lebewesen noch den heutigen Rechtsauffassungen gerecht. Sie bringen zum Ausdruck, dass Tiere Lebewesen mit Empfindungen sind und als Teil der Schöpfung sowie der natürlichen und der kulturellen Umwelt des heutigen Menschen rechtlich mit den übrigen vom Sachenrecht erfassten Gegenständen nicht mehr gleichgesetzt werden sollten. Insoweit deckt sich das Anliegen der Initiativen mit der Darstellung im Bericht der nationalrätlichen Kommission für Rechtsfragen anlässlich der Behandlung der Parlamentarischen Initiativen Loeb und Sandoz35 und der entsprechenden Stellungnahme des Bundesrats36 sowie in der Haltung des Bundesgerichts37. Von beiden Initiativen nicht näher umschrieben wird der Begriff des Tieres. Dies erscheint auch nicht notwendig, da dieser Begriff allgemeinverständlich und durch die Zoologie hinreichend definiert ist; nötigenfalls kann der Gesetzgeber den Begiff abgrenzen, beispielsweise gegenüber den Mikroorganismen. Obschon damit auf Verfassungsebene im Grundsatz der zivilrechtliche Status aller Tiere, insbesondere auch der freilebenden, festgelegt wird, dürfte eine praktische Relevanz nur für Tiere entstehen, an welchen nach geltendem Sachenrecht Eigentum begründet werden kann. Es sind dies Tiere, welche unter unmittelbarer Verfügungsbefugnis von Menschen stehen, also insbesondere Haus- und Nutztiere. Ebenfalls nicht besonders erwähnt wird, dass im Hinblick auf den Zweck der Initiativen im Grundsatz nur lebende Tiere in den Anwendungsbereich der Bestimmung fallen, während tote Tiere und ihre Bestandteile nach wie vor als Sachen im Rechtssinn gelten können. Auch hier kann der Gesetzgeber die allenfalls notwendigen Abgrenzungen vornehmen.

35 36 37

BBl 1999 8935 BBl 1999 9541 BGE 115 IV 254

2530

5.2.2

Besonderheiten der «Tier-Initiative»

Absatz 1 des Initiativtextes legt im Sinne einer Begriffsumschreibung fest, dass Tiere «keine Sachen» sind, sondern «empfindungsfähige Lebewesen». Der Begriff der «Sache» wird als unbestimmter Rechtsbegriff in die Verfassung eingefügt. Es ist aber davon auszugehen, dass ­ insbesondere angesichts der Vorgeschichte um die Parlamentarische Initiative Loeb ­ im Wesentlichen vom Begriff der «Sache» des geltenden Zivil- und Strafrechts ausgegangen wird. Damit schliesst der Initiativtext die Subsumierung von Tieren unter diesen Begriff klar aus.

Absatz 2 ist als Kompetenznorm und Gesetzgebungsauftrag ausgestaltet. Der Text geht von der insbesondere unter Ziffer 4.1 oben umschriebenen Rechtslage aus, welche sich dadurch kennzeichnet, dass der zivilrechtliche Sachenbegriff heute auch als Grundlage verschiedener Regelungen im Strafrecht und im Verwaltungsrecht verwendet wird. Der Gesetzgeber wird durch die neue Formulierung beauftragt, die Rechtsstellung des Tieres unter Berücksichtigung der Begriffsumschreibung von Absatz 1 in den verschiedenen Rechtsgebieten zu bestimmen. Da als einzige unmittelbar verbindliche materielle Leitplanke Absatz 1 zum Tragen kommt, erhält der Gesetzgeber ein erhebliches Ermessen für die Erfüllung seines Auftrags.

5.2.3

Besonderheiten der Volksinitiative «Tiere sind keine Sachen!»

Absatz 1 des Initiativtextes strebt eine zweifache Funktion an: Auch hier wird zunächst eine Begriffsumschreibung vorgenommen, wonach Tiere «Lebewesen» mit «Würde, Empfindungen und Schmerzfähigkeit» sind. Dazu kommt die an «den Menschen» gerichtete Verpflichtung, dieser Begriffsumschreibung Rechnung zu tragen. Adressaten sind demnach sowohl der Einzelne als auch das Gemeinwesen, doch ist die Verpflichtung nicht als direkt auf Private anwendbare Norm ausgestaltet; es handelt sich vielmehr um eine programmatische Bestimmung, wie sie auf der Ebene der Verfassung durchaus üblich ist (vgl. etwa die Sozialziele in Art. 41 BV).

Anders als in der Bezeichnung der Initiative wird dagegen im Initiativtext auf den zivilrechtlichen Begriff der Sache kein direkter Bezug genommen.

Absatz 2 ist als Rechtsetzungsauftrag ausgestaltet. Er enthält neben dem allgemeinen Auftrag an den Gesetzgeber, die «den Tieren zukommenden Rechte» zu regeln, auch die relativ konkrete Verpflichtung des Gesetzgebers, zur Vertretung der Tiere «geeignete Anwälte» einzusetzen. Damit würde auf Verfassungsebene eine weitere materielle Leitplanke errichtet: Das künftige Gesetz müsste vorsehen, dass die Interessen der Tiere bei der Durchsetzung der massgebenden Schutzvorschriften durch besondere Vertreter von Amtes wegen gewahrt würden.

2531

5.3

Vereinbarkeit der beiden Initiativen mit einer stufengerechten Verfassungsordnung

5.3.1

Zur Verankerung des Grundanliegens auf Verfassungsebene

Die Ausgestaltung des Zivilrechts einschliesslich des Sachenrechts erfolgt bis heute im Wesentlichen auf der Ebene des Gesetzes. Artikel 122 Absatz 1 BV erteilt dem Bund eine entsprechende umfassende Rechtsetzungskompetenz. Einige materielle Randbedingungen sind in der Form von Grundrechten auf der Ebene der Verfassung verankert, so etwa das Gebot der Rechtsgleichheit (Art. 8 BV), der Schutz der Kinder und Jugendlichen (Art. 11 BV), der Schutz der Privatsphäre (Art. 13 BV) und die Vereinigungsfreiheit (Art. 23 BV). Für das Sachenrecht spielen verfassungsrechtlich insbesondere die Eigentumsgarantie (Art. 29 BV), die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) und die Verfahrensgarantien (Art. 29 und 30 BV) eine besondere Rolle. Es ist zwar denkbar, dass neben den erwähnten grundrechtlichen Vorgaben in punktueller Form weitere materielle Aspekte des Sachenrechts auf der Ebene der Verfassung verankert werden. Dies widerspricht allerdings dem rechtssystematischen Postulat, dass die in den Verfassungsbestimmungen verankerten Anliegen zumindest in den einzelnen Sachgebieten nach Möglichkeit gleichrangig sein sollten.

Ausser den erwähnten grundrechtlichen und verfahrensrechtlichen Aspekten fehlen im Bereich des Zivilrechts auf der Verfassungsebene materielle Regelungsansätze seit jeher. Mit der verfassungsrechtlichen Festlegung, dass Tiere nicht als Sache im Rechtssinn zu betrachten sind, würde, verglichen mit der restlichen Regelungsmaterie, einem einzelnen Aspekt des gesamten Sachenrechts daher ein unverhältnismässig grosser Stellenwert eingeräumt. Das geltende Verfassungsrecht gibt dem Gesetzgeber bereits jetzt die Möglichkeit, die von den Initianten gewünschte Regelung auf Gesetzesebene zu verankern. Der Bundesrat hat entsprechende Gesetzesänderungen bereits bei dem in der Folge der Parlamentarischen Initiativen Loeb und Sandoz erarbeiteten Gesetzesentwurf unterstützt, und er wird diese Unterstützung bei seiner Stellungnahme zur Parlamentarischen Initiative Marty aufrechterhalten. Dass der Nationalrat auf den Gesetzesentwurf im Rahmen der Parlamentarischen Initiativen Loeb und Sandoz nicht eingetreten ist, bildet noch keinen hinreichenden Grund, das an sich berechtigte Anliegen nun auf der Ebene der Verfassung zum Ausdruck zu bringen. Dies umso weniger, als derzeit im Ständerat in der Folge der Parlamentarischen
Initiative Marty ein neuer Gesetzesentwurf vorbereitet wird, der materiell das Anliegen der Initiativen wieder aufnimmt. Insofern widerspricht die Grundkonzeption beider Initiativen einer kohärenten und stufengerechten Verfassungsordnung.

5.3.2

Zur Verankerung der Institution des Tieranwalts auf Verfassungsebene

Das Institut des «Tieranwalts» steht seit längerer Zeit in Diskussion. Anders als der so genannte «Tierbeauftragte», wie er sich etwa im deutschen Recht findet38, soll der «Tieranwalt» die Interessen der Tiere kraft der ihm vom Gesetz verliehenen Parteistellung vertreten. So hat insbesondere der Kanton Zürich in § 17 des kanto-

38

Vgl. § 8b des deutschen Tierschutzgesetzes (Bundesgesetzblatt 1998 I S. 1105 ff.).

2532

nalen Tierschutzgesetzes vom 2. Juni 199139 den Regierungsrat beauftragt, auf Vorschlag der Tierschutzorganisationen einen Rechtsanwalt zu ernennnen, der in Strafverfahren wegen Verletzungen der Tierschutzgesetzgebung die Rechte eines Geschädigten wahrnehmen soll. Der Text der Volksinitiative «Tiere sind keine Sachen!» überlässt es zwar richtigerweise dem Gesetzgeber, ob die einzusetzenden Anwälte ­ analog dem Beispiel des Kantons Zürich ­ die Interessen des Tieres ausschliesslich in strafrechtlicher Hinsicht wahrnehmen sollen oder ob sie dazu auch in den Bereichen des Zivilrechts und des Verwaltungsrechts ermächtigt werden sollen.

Der Grundsatz soll dagegen auf der Ebene der Verfassung festgehalten werden.

Das Recht kennt verschiedene Möglichkeiten, mittels verfahrensrechtlicher Regelungen die Stellung der mutmasslich schwächeren bzw. nicht selbst handlungsfähigen Partei zu stärken. Neben der Einsetzung eines Rechtsvertreters oder Rechtsbeistandes von Gesetzes wegen sei etwa das Verbandsbeschwerderecht erwähnt, das in verschiedenen Rechtsgebieten in unterschiedlicher Ausgestaltung zum Tragen kommt40. Es handelt sich aber um verfahrensrechtliche Regelungen, die heute durchwegs auf der Stufe des Gesetzes verankert sind. Im Bereich des Verfahrensrechts beschränkt sich die geltende Bundesverfassung auf die Festlegung allgemeingültiger Grundsätze und die Regelung von Zuständigkeitsfragen. So werden etwa im Rahmen allgemeiner Rechtsgrundsätze41 und des Grundrechtskatalogs42 eine Reihe spezifischer Verfahrensgarantien umschrieben43. In Artikel 189 und 190 BV werden die Kompetenzen des Bundesgerichts festgelegt und der Gesetzgeber wird beauftragt, diese näher zu umschreiben. Das Konzept der geltenden Verfassung trägt mit diesen Bestimmungen dem Grundsatz der stufengerechten Regelung Rechnung und sollte nicht mit einer zusätzlichen punktuellen Fixierung verfahrensrechtlicher Einzelfragen durchbrochen werden. Insofern widerspricht die Konzeption der Volksinitiative «Tiere sind keine Sachen!» auch in diesem Punkt einer stufengerechten Verfassungsordnung.

5.4

Auswirkungen einer allfälligen Annahme der Volksinitiativen

5.4.1

Allgemeines

An der bestehenden Zuständigkeit des Bundes zur Regelung der erwähnten Rechtsgebiete ändert der Text der beiden eingereichten Initiativen nichts. Der Bund könnte die Rechtsstellung der Tiere ­ wie die in der Folge der verschiedenen Parlamentarischen Initiativen ausgearbeiteten Gesetzesentwürfe zeigen ­ bereits im Rahmen des geltenden Verfassungsrechts in der von den Initianten gewünschten Form ausgestalten. Neu an den vorgeschlagenen Regelungen ist hingegen, dass dem Gesetzgeber auf der Stufe der Verfassung bestimmte punktuelle, materielle Vorgaben für die 39 40

41 42 43

LS 554.1 (OS 51 728/54 517).

Z.B. im Natur- und Heimatschutz (Art. 12 NHG), im Umweltschutz (Art. 55 Bundesgesetz über den Umweltschutz; SR 814.01) sowie im Konsumentenschutz (Art. 21 Preisüberwachungsgesetz, SR 942.20).

Art. 5 Abs. 2 und 3 BV (Verhältnismässigkeitsprinzip und Handeln nach Treu und Glauben).

Art. 7 ff. BV.

Z.B. in Art. 29 BV (allgemeine Verfahrensgarantien), Art 30 BV (gerichtliche Verfahren), Art. 31 BV (Freiheitsentszug) sowie in Art. 32 BV (Strafverfahren).

2533

Ausgestaltung der Zivilrechtsordnung gemacht werden. Insofern hätte eine neue Verfassungsbestimmung im Sinne der Initianten zwar eine eigenständige Bedeutung, wäre aber mit den Anforderungen der Stufengerechtheit der Verfassungsregelungen im Bereich des Zivilrechts kaum zu vereinbaren44.

Wenn für die Tiere neben den Sachen eine eigenständige Kategorie von Rechtsobjekten geschaffen wird, ergeben sich zwar hinsichtlich der herkömmlichen Rechtsdogmatik einige Unzukömmlichkeiten, da in der Folge beispielsweise Eigentum an «Nicht-Sachen» erworben werden könnte. Rechtstechnisch wird aber das Problem gelöst, indem eben die Regelungen des Sachen- und Eigentumsrechts auf Tiere anwendbar erklärt werden, soweit nicht das Gesetz eine Sonderregelung vorsieht. Diese Lösung hat auch in den Nachbarstaaten Deutschland und Österreich offenbar nicht zu besonderen Schwierigkeiten geführt45.

5.4.2

«Tier-Initiative»

5.4.2.1

Folgen sachlicher und rechtlicher Art

Die sachlichen Folgen für die betroffenen Privaten und Behörden bei einer allfälligen Annahme der Initiative wären mehr oder weniger identisch mit den Folgen, die der Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats vom 18. Mai 1999 zu den Parlamentarischen Initiativen Loeb und Sandoz dargestellt hat46: Die erbrechtliche und güterrechtliche Behandlung von Tieren würde inhaltlich den besonderen Bedürfnissen des Tieres als Lebewesen angepasst, ebenso die Erfassung der Tiere im Bereich der Haftpflicht und der Zwangsvollstreckung.

Der Gesetzgeber würde bei einer allfälligen Annahme der «Tier-Initiative» verpflichtet, diejenigen gesetzlichen Regelungen anzupassen, welche klar von der Zuordnung des Tieres zum zivilrechtlichen Begriff der Sache ausgehen. Die Revision könnte sich ungefähr im Rahmen derjenigen Rechtsänderungen bewegen, die auch durch die Parlamentarischen Initiativen Loeb und Sandoz veranlasst worden wären bzw. die von der Parlamentarischen Initiative Marty vorgesehen sind, wobei durchaus Spielraum für gesetzgeberisches Ermessen verbliebe.

Bei einer Annahme der Initiative könnte die Frage, inwieweit die Festlegung «Tiere sind keine Sachen, sondern empfindungsfähige Lebewesen» unmittelbare Rechtswirkungen gegenüber Privaten entfaltet, gewisse Probleme bieten. Diese Frage könnte insbesondere vor einer entsprechenden Gesetzesänderung ein gewisses Gewicht erhalten. Formell ändert aber die Revision der Bundesverfassung die geltenden Bundesgesetze nicht ab. Letztere bleiben für die Vollzugsbehörden und das Bundesgericht verbindlich47. Der Initiativtext sieht im Übrigen nicht vor, dass bestimmte gesetzliche Bestimmungen bei seinem Inkrafttreten nicht mehr anwendbar wären, sondern beauftragt den Gesetzgeber mit den notwendigen gesetzliche Anpassungen. Soweit dagegen aus der neuen Verfassungsbestimmung für Private

44 45 46 47

S. Ziff. 5.3 oben.

S. Ziff. 4.3.2 BBl 1999 8941 ff.

Art. 191 BV; zu den Problemen einer allfälligen Normenkollision zwischen Bundesverfassung und Bundesgesetz s. etwa VPB 58.2 und dortige Hinweise.

2534

unmittelbar wirksame Rechte und Pflichten abzuleiten wären, müssten allfällige Konflikte zwischen der Verfassungsbestimmung und den geltenden gesetzlichen Bestimmungen bis zu ihrer formellen Anpassung durch verfassungskonforme Auslegung der Gesetze gelöst werden.

5.4.2.2

Finanzielle und volkswirtschaftliche Folgen

Eine Annahme der Initiative hätte für den Bund weder finanziell noch personell nennenswerte Auswirkungen. Je nach Ausgestaltung der gesetzlichen Regelung könnten den Kantonen beim Vollzug gewisse Belastungen erwachsen (z.B. Schaffung einer Stelle, bei der verlorene Tiere anzuzeigen sind), doch dürfte der damit verbundene Mehraufwand kaum ins Gewicht fallen.

Besondere volkswirtschaftliche Folgen wären bei einer Annahme der Initiative nicht zu erwarten.

5.4.3

Volksinitiative «Tiere sind keine Sachen!»

5.4.3.1

Folgen sachlicher und rechtlicher Art

Soweit mit der Volksinitiative «Tiere sind keine Sachen!» die Rechtsstellung der Tiere geändert wird, kann auf die Ausführungen zur «Tier-Initiative»48 verwiesen werden, da die sachlichen und rechtlichen Folgen dieselben wären.

Die Folgen der durch den Gesetzgeber zwingend vorzunehmenden Einführung von Anwälten zur Vertretung der Interessen der Tiere hängen dagegen stark von der Ausgestaltung dieser Institution ab. Eine gesetzliche Bevollmächtigung solcher Anwälte für die Wahrung der Interessen der Tiere in tierschutzrechtlichen Strafverfahren könnte in der Tat eine Verbesserung des Vollzugs im Bereich des materiellen Tierschutzrechts bewirken. Die Erfahrungen des Kantons Zürich mit einer vergleichbaren Institution, die sich nach den vorliegenden Angaben bewährt hat, bestätigen dies49. Sollte dagegen die Kompetenz der einzuführenden Anwälte auch auf Angelegenheiten des Privatrechts ausgedehnt werden ­ beispielsweise auf die Wahrnehmung der Interessen von Tieren im Rahmen von Eigentumsübertragungen bei erbund güterrechtlichen Auseinandersetzungen ­, hätte der Gesetzgeber erhebliche sachliche, rechtspolitische und gesetzgebungstechnische Probleme zu lösen (Abgrenzung des Einsatzfeldes, Verfahrensökonomie, zusätzliche Anwalts- und Verfahrenskosten usw.).

Sollte allerdings gesamtschweizerisch von Verfassung wegen eine Institution wie diejenige des Tieranwalts im Kanton Zürich vorgeschrieben werden, brächte dies im Bereich des Tierschutzes einen erheblichen bundesrechtlichen Einbruch in die Verfahrens-, Vollzugs- und Organisationszuständigkeiten des kantonalen Rechts mit sich. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass das Bundesrecht hier nur aus zwingen

48 49

S. Ziff. 5.4.2.1 Stellungnahme des Veterinäramtes Zürich vom 10. Januar 2001; s. dazu auch Antoine Goetschel, Der Zürcher Rechtsanwalt in Tierschutzstrafsachen, in Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht, 112 (1994), S. 64 ff.

2535

den Gründen einzelne Modalitäten vorschreiben sollte und dass es den Kantonen selbst überlassen bleiben sollte, ob und in welcher Form sie die Institution des Tieranwalts einführen wollen.

5.4.3.2

Finanzielle und volkswirtschaftliche Folgen

Was die finanziellen Folgen einer Annahme der Initiative anbelangt, kann hinsichtlich der Veränderung der Rechtsstellung der Tiere auf die Darstellung zur «Tier-Initiative» verwiesen werden50.

Die verbindliche Betrauung von Anwälten mit der Interessenwahrung der Tiere dagegen brächte einen gewissen zusätzlichen Aufwand mit sich, der vorweg die Kantone, je nach Ausgestaltung der Institution aber auch die Tierhalter, belasten würde. Nach den Angaben des Kantons Zürich betragen die Entschädigungen für den Aufwand des nebenamtlichen Rechtsanwalts in Tierschutzsachen für die Jahre 1995­2000 im Jahresdurchschnitt ungefähr 35 500 Franken; in den Jahren 1998­2000 hat sich der Durchschnittsaufwand auf ungefähr 40 000 Franken erhöht.

Geht man davon aus, dass die Kosten in einem mehr oder weniger direkten Verhältnis zur Anzahl der Einwohner (mit welcher indirekt und grosso modo auch die Anzahl der Heimtiere erfasst wird) und der statistisch erfassten Nutztiere eines Kantons stehen, lassen sich die mutmasslichen Maximalkosten der übrigen Kantone für eine entsprechende Institution annähernd ermitteln. Addiert man etwa die Einwohnerzahl des Kantons Zürich (1999: 1 198 600) mit der Zahl der im Kanton statistisch erfassten Nutztiere (1999: 159 985), ergibt sich auf die Kosten (Fr. 40 000) bezogen ein Faktor von 0.0294402. Nach einer proportionalen Berechnung würden den Kantonen (Einwohnerzahl 1999: 7 164 400; Nutztiere 1999: 3 485 506) gesamthaft Kosten von etwa 315 000 Franken erwachsen. Auf die entsprechenden Daten beispielsweise des Kantons Freiburg umgerechnet (Einwohner 1999: 234 300; Nutztiere 1999: 228 986) ergäben sich für diesen Kanton mit einem nebenamtlichen «Tieranwalt» entprechend der Institution in Zürich derzeit mutmassliche jährliche Durchschnittskosten von etwa 14 000 Franken. Zu beachten ist bei diesen Berechnungen, dass es sich um die blosse proportionale Umrechnung der realen Durchschnittskosten eines einzelnen Kantons anhand der massgebenden Grunddaten der Schweiz bzw. anderer Kantone handelt. Diese Umrechnung erlaubt aber zumindest eine einigermassen realistische Abschätzung der Grössenordnung des zu erwartenden Aufwandes. Nicht eingerechnet ist dabei ein allfälliger zusätzlicher Aufwand der Verwaltung. Dieser dürfte sich aber ­ setzt man einen bisherigen korrekten Vollzug des Tierschutzgesetzes
voraus ­ infolge der neuen Institution nicht erhöhen; eventuell könnte durch die neue Institution sogar eine gewisse Entlastung der Verwaltung stattfinden.

Besondere volkswirtschaftliche Folgen wären bei einer Annahme der Initiative nicht zu erwarten.

50

S. Ziff. 5.2.2.2

2536

5.4.4

Auswirkungen auf internationale Interessen und Verpflichtungen der Schweiz

5.4.4.1

Verhältnis zur Europäischen Union

Das Recht der Europäischen Union enthält keine Normen über den Schutz von Tieren im Privatrechtsverkehr. Solange Tiere, insbesondere Nutztiere, Gegenstand des freien Warenverkehrs sein können, ist ihre rechtsdogmatische Erfassung im nationalen Recht aus der Sicht der Europäischen Union nicht von Belang. Dies zeigt sich auch daran, dass zwischen dem Recht der Europäischen Union und den entsprechenden Regelungen in Deutschland und Österreich keine Konflikte bekannt sind51.

5.4.4.2

Andere völkerrechtliche Verpflichtungen

Die verschiedenen europäischen Übereinkommen im Bereiche des Schutzes von Tieren52 betreffen die rechtsdogmatische Erfassung der Tiere durch das Privatrecht nicht. Andere völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz, auf welche die beiden Initiativen Auswirkungen haben könnten, sind nicht ersichtlich.

5.5

Regelungsalternativen

5.5.1

Direkter Gegenvorschlag zu den beiden Volksinitiativen?

Der Bundesrat hat geprüft, ob ein direkter Gegenvorschlag zu den beiden Volksinitiativen ausgearbeitet werden sollte. Aus folgenden Gründen verzichtet er auf den Antrag, den Initiativen einen Gegenvorschlag gegenüberzustellen: Der Grundidee beider Initiativen, den Status des Tieres im Bereich des Sachenrechts den geänderten Anschauungen anzupassen und ausdrücklich festzuhalten, dass das Tier keine Sache im Rechtssinn ist, kann der Bundesrat zustimmen. Diese Grundidee könnte an sich auch in der Verfassung verankert werden, doch wäre ihre Realisierung bereits im Rahmen des geltenden Verfassungsrechts möglich. Die nähere Ausgestaltung dieses neuen Status sowie allfällige prozessuale Verbesserungen u.dgl.

sollten daher nicht auf der Ebene der Verfassung erfolgen, sondern dem Gesetzgeber überlassen werden. Ein direkter Gegenvorschlag auf der Ebene der Verfassung könnte zwar stufengerecht ausgestaltet werden, drängt sich aber keineswegs auf53.

Gegen einen direkten Gegenvorschlag spricht namentlich auch, dass dieser angesichts der materiellen Ausgangslage sachlich kaum eine Regelungsalternative anbieten könnte, sondern sich mehr oder weniger auf redaktionelle Fragen beschränken müsste. Die beiden Initiativen sind zwar unterschiedlich, redaktionell aber durchaus verständlich formuliert. Aus der Sicht des Bundesrats besteht daher auch aus dieser Sicht kein Anlass für die Präsentation eines direkten Gegenvorschlages.

51 52 53

S. Ziff. 4.3.2 S. Ziff. 4.3.1 S. Ziff. 5.4

2537

5.5.2

Indirekter Gegenvorschlag zu den beiden Volksinitiativen?

Die «Tier-Initiative» und die Volksinitiative «Tiere sind keine Sachen!» nehmen keine Änderung an der Zuweisung bundesrechtlicher Gesetzgebungskompetenzen vor, sondern verpflichten den Gesetzgeber im Bereich seiner Zuständigkeit mit materiellen Vorgaben54. Danach dürfte die Bundesgesetzgebung nach beiden Volksinitiativen die Tiere nicht mehr als Sachen im Sinne der bisherigen sachenrechtlichen Betrachtungsweise behandeln. An sich könnte dieses Ziel mit einer Änderung der massgebenden Gesetze vollumfänglich erreicht werden. Zwar ist eine dahingehende, in der Folge der Parlamentarischen Initiativen Loeb und Sandoz55 ausgearbeitete Gesetzesänderung im Nationalrat kürzlich gescheitert. Der Ständerat hat jedoch der Parlamentarischen Initiative Marty56 Folge gegeben, und seine Kommission für Rechtsfragen berät bereits wieder über eine Verankerung des Anliegens auf der Ebene des Gesetzes. Der Bundesrat sieht daher keinen Anlass, im jetzigen Zeitpunkt mit einem indirekten Gegenvorschlag eine weitere Regelungsvariante auf Gesetzesebene einzubringen; er wird Gelegenheit erhalten, seine Vorstellungen für die Ausgestaltung einer allfälligen gesetzlichen Regelung mittels seiner Stellungnahme zu dem in Ausarbeitung stehenden Kommissionsbericht zur Parlamentarischen Initiative Marty darzulegen. Sofern der von der Rechtskommission des Ständerates präsentierte Gesetzesentwurf das wesentliche Anliegen der beiden Initiativen aufnimmt und beide Räte ihm innert nützlicher Frist zustimmen, kann dieser Entwurf den beiden Initiativen als indirekter Gegenvorschlag gegenübergestellt werden.

6

Zusammenfassende Würdigung der beiden Volksinitiativen und der Parlamentarischen Initiative «Die Tiere in der schweizerischen Rechtsordnung» (Marty)

Die beiden Volksinitiativen und die Parlamentarische Initiative Marty greifen in unterschiedlicher Form bzw. auf unterschiedlicher Regelungsebene das gleiche Anliegen auf: Sie wollen bewirken, dass die Stellung der Tiere in der Rechtsordnung nicht mehr von den hergebrachten sachenrechtlichen Gesichtspunkten dominiert wird, sondern dass dem Tier im Grundsatz eine Rechtsposition eingeräumt wird, welche seine Existenz als empfindungs- und leidensfähiges Lebewesen berücksichtigt. Der Bundesrat hat dieses Anliegen bereits bei der Behandlung der Parlamentarischen Initiativen Loeb und Sandoz unterstützt und er hat keine Veranlassung, von dieser grundsätzlichen Haltung abzuweichen.

Die beiden Initiativen heben das Anliegen auf die Ebene der Verfassung, indem sie dem Gesetzgeber einen entsprechenden Auftrag erteilen. Diese Regelungsweise ist nach Auffassung des Bundesrats nur beschränkt stufengerecht; er gibt einer Regelung auf der Ebene des Gesetzes nach wie vor den Vorzug. Eine solche Regelung könnte mit einer Gesetzesänderung im Sinne der Parlamentarischen Initiative Marty erfüllt werden.

54 55 56

S. Ziff. 5.2 S. Ziff. 1.1 S. Ziff. 1.2

2538

Die Volksinitiative «Tiere sind keine Sachen!» verlangt neben der Verankerung des erwähnten Grundsatzes, dass auch die Vertretung der Tiere durch geeignete Anwälte auf der Ebene der Verfassung vorgeschrieben wird. Dieses Element ist auf der Ebene der Verfassung nicht stufengerecht verankert, denn vergleichbare prozessuale Instrumente werden durchwegs auf der Ebene des Gesetzes geregelt. Die Regelung stellt zudem einen nicht ohne weiteres gerechtfertigten Eingriff in die kantonale Vollzugs- und Organisationsautonomie im Bereich des Verwaltungsrechts dar.

Auf Grund dieser Überlegungen beantragt Ihnen der Bundesrat, die Volksinitiativen «für eine bessere Rechtsstellung der Tiere (Tier-Initiative)» und «Tiere sind keine Sachen!» Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen.

Sollten die Eidgenössischen Räte in der Folge der Behandlung der Parlamentarischen Initiative Marty innerhalb der Behandlungsfrist der beiden Volksinitiativen gesetzliche Bestimmungen verabschieden, welche insbesondere dem Inhalt der «Tier-Initiative» Rechnung tragen, könnte der Bundesrat eine Präsentation dieser gesetzlichen Bestimmungen als indirekten Gegenvorschlag unterstützen.

2539