01.401 Parlamentarische Initiative Parlamentsgesetz (PG) Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates vom 1. März 2001

Sehr geehrter Herr Präsident sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen gemäss Artikel 21ter Absatz 3 und Artikel 21quater Absatz 3 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG) den vorliegenden Bericht. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, ihrem beiliegenden Gesetzesentwurf zuzustimmen.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, ­ folgende parlamentarische Initiativen als erfüllt abzuschreiben: 96.451

Pa. Iv. Kommission 95.067-NR. Einsatz von Sachverständigen und Pflicht zur Verschwiegenheit in PUK-Verfahren

96.452

Pa. Iv. Kommission 95.067-NR. Parlamentarische Oberaufsicht: Richtlinien der Bundesversammlung an den Bundesrat

96.453

Pa. Iv. Kommission 95.067-NR. Einblick der parlamentarischen Kontrollkommissionen in die Führungs- und Kontrolldaten der Departemente sowie in Akten noch nicht abgeschlossener Verfahren

96.454

Pa. Iv. Kommission 95.067-NR. Koordination unter den parlamentarischen Kontrollkommissionen

97.441

Pa. Iv. Schlüer. Interessenbindung

98.425

Pa. Iv. Zbinden Hans. Die Schweiz in internationalen Institutionen.

Demokratisierung der Strukturen und Verfahren

­ folgende Vorstösse abzuschreiben: 1996

P 96.3151

Zusammenführung, allenfalls intensivere Koordination der Finanz- und Geschäftsprüfungskommission (N 21.6.96, Raggenbass)

1998

P 98.3052

Sachbereiche der ständigen Kommissionen. Änderung (N 18.12.98, Finanzkommission NR)

2001-0663

3467

1998

P 98.3349

Wiederkandidierende Bundesräte. Wahlverfahren (N 18.12.99, Weyeneth)

1999

P 99.3283

Vorstoss gegen die Vorstossflut (N 13.12.2000, Theiler)

1999

P 99.3380

Verstärkung der Instrumentarien Motion und Postulat (N 8.10.99, Stamm Luzi)

1999

P 99.3526

Änderung des GVG (N 22.12.99, Bangerter)

1999

P 99.3565

Parlamentarische Initiativen. Vorprüfungsverfahren in beiden Räten (N 24.3.2000, Hess Peter)

1999

P 99.3568

Eides- und Gelübdeformel (N 22.12.99, SPK-NR)

1. März 2001

Im Namen der Kommission

11410

Die Präsidentin: Vreni Hubmann

3468

Übersicht Das Parlamentsgesetz (PG), das das Geschäftsverkehrsgesetz (GVG) ersetzen soll, regelt einen zentralen Bereich der demokratischen Entscheidungsprozesse im schweizerischen Bundesstaat. Mit der Totalrevision des GVG sollen im Wesentlichen zwei Ziele erreicht werden: 1.

Die neue Bundesverfassung (BV) vom 18. April 1999 hat die Aufgaben der Bundesversammlung und die Kompetenzverteilung zwischen Bundesversammlung und Bundesrat präzisiert und damit einige unter der alten BV strittige Fragen entschieden. Nun müssen diese Verfassungsbestimmungen auf Gesetzesebene umgesetzt werden.

2.

Das GVG von 1962 ist veraltet und nach über dreissig Partialrevisionen völlig unübersichtlich geworden. Das neue PG soll das Parlamentsrecht in einer klaren Systematik und verständlichen Sprache gesamthaft darstellen.

Dabei können zahlreiche grössere und kleinere Ungereimtheiten und Mängel des heutigen Rechts behoben werden.

Die neue BV statuiert, dass im demokratischen Rechtsstaat alle wichtigen Bestimmungen in einem dem Referendum unterstellten Gesetz geregelt sein müssen. Weite Bereiche des Parlamentsrechtes genügen bisher dieser Anforderung nicht. Das PG regelt zum Beispiel das Verfahren der Wahl des Bundesrates neu auf Gesetzesstufe, ohne dabei inhaltliche Änderungen vorzunehmen.

Das neue PG enthält ungefähr 155 inhaltliche Änderungen und Präzisierungen gegenüber dem geltenden Recht. Dabei handelt es sich zu einem grossen Teil um kleinere Verbesserungen, die aber im Einzelfall durchaus von erheblicher praktischer Bedeutung sein können (Beispiel: Für die Durchführung einer Session ausserhalb von Bern braucht es neu einen einfachen Bundesbeschluss, was gegenüber dem heute geltenden formlosen Verfahren eine bessere Prüfung des Vorhabens und einen übereinstimmenden Beschluss beider Räte garantiert).

Von grösserer Bedeutung sind insbesondere folgende Änderungen: a.

Die neue BV garantiert den parlamentarischen Kommissionen die für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Informationsrechte gegenüber Bundesrat und Verwaltung. Das PG setzt diesen Verfassungsanspruch um. Insbesondere wird für die Oberaufsicht festgeschrieben, dass neu der Kontrolleur und nicht wie bisher der Kontrollierte darüber entscheidet, welche Informationen für eine wirksame Kontrolle benötigt werden. Auch die einzelnen Ratsmitglieder erhalten neu gesetzliche Informationsansprüche.

b.

Die BV enthält neu einen expliziten Auftrag an das Parlament, für die Überprüfung der Wirksamkeit der Massnahmen des Bundes zu sorgen. Das PG will diesen Grundsatz mit Leben erfüllen, indem alle Kommissionen beauftragt werden, für die Überprüfung der Wirksamkeit der von ihnen vorberatenen Erlasse zu sorgen. Die Koordination mit der Oberaufsicht ist dabei sicherzustellen.

3469

c.

Gemäss neuer BV steht der Bundesversammlung das Mitwirkungsrecht zu bei wichtigen Planungen und bei der Gestaltung der Aussenpolitik. Heute nimmt das Parlament bloss Kenntnis von entsprechenden Berichten des Bundesrates. Das PG konkretisiert das Recht zur Mitwirkung, indem das Parlament zu wichtigen Planungen (insb. der Legislaturplanung und der Finanzplanung) und weiteren wichtigen Berichten des Bundesrates (insb. zu den Grundzügen der Aussenpolitik) in Form von einfachen Bundesbeschlüssen differenzierter und verbindlicher Stellung nimmt.

d.

Gemäss neuer BV kann die Bundesversammlung mit Aufträgen auf den Zuständigkeitsbereich des Bundesrates einwirken. Das PG definiert die Rechtswirkung der Motion in diesem Sinne neu, wobei eine Vermischung der Kompetenzen und Verantwortlichkeiten vermieden wird. Bestehende Zuständigkeiten sind zu respektieren, können aber in einem ordentlichen Verfahren auch jederzeit abgeändert werden.

e.

Die Motion geniesst im heutigen Parlamentsbetrieb vor allem im Nationalrat nur noch einen geringen Stellenwert. Nur selten bewirkt eine Motion ein konkretes Ergebnis; dabei erfolgt die Auswahl erfolgreicher Motionen nicht nach politischen und sachlichen Kriterien, sondern willkürlich. Durch eine konsequente Privilegierung von Kommissionsmotionen bei der Traktandierung in den Räten soll dieses Instrument aufgewertet werden; ergebnisorientierte Ratsmitglieder werden somit mit Vorteil den Weg über eine Kommission wählen.

f.

Weil Motionen heute wenig oder nichts mehr bewirken können, wird die parlamentarische Initiative immer mehr auch dort gewählt, wo eigentlich die Motion das geeignetere Instrument wäre. Weil immer mehr Initiativen in der Vorprüfung Folge gegeben wird, ist die für die Ausarbeitung von Erlassentwürfen benötigte personelle Infrastruktur überlastet. Indem neu auch der andere Rat in die Vorprüfung von Initiativen einbezogen wird, kann vermieden werden, dass grosser Aufwand betrieben wird, wenn von vornherein klar ist, dass der andere Rat nicht zustimmen wird. Das gegenüber heute anspruchsvollere Vorprüfungsverfahren soll einen Anreiz bilden, wieder vermehrt den Weg über die Motion zu beschreiten.

Die SPK hofft, dass das neue PG spätestens zu Beginn der nächsten Legislaturperiode in Kraft gesetzt werden kann. Zur «Staatsleitungsreform», die bis Ende 2001 dem Parlament unterbreitet werden soll und die sich nach den zur Zeit bekannten Vorstellungen des Bundesrates auf eine Reform des Regierungsorgans beschränken wird, besteht nur ein minimaler inhaltlicher Koordinationsbedarf. Die SPK beabsichtigt, in Ergänzung zum PG in naher Zukunft auch Vorschläge für eine Revision der Regelung der Entschädigungen der Ratsmitglieder sowie eine Neuregelung der Altersvorsorge der Ratsmitglieder vorzulegen.

3470

Bericht 1

Entstehungsgeschichte

1.1

Die Entwicklung des GVG

Das erste Geschäftsverkehrsgesetz (GVG) wurde am 22. Dezember 1849 erlassen.

Damals ging es primär darum, Verfahrensregeln zwischen den Räten festzulegen. So wurde zum Beispiel deutlich, dass ein Verfahren zur Bestimmung des Prioritätsrates festgelegt werden musste, gab es doch am Anfang immer wieder Diskussionen darüber, ob man sich mit einem Geschäft überhaupt befassen dürfe, oder ob nicht schon der andere Rat damit beschäftigt sei. Das 150 Jahre alte Gesetz ist seither erst zweimal total revidiert worden: Die Totalrevision von 1902 brachte verschiedene Neuerungen des Verfahrens zwischen den beiden Kammern (Schlussabstimmung und Einigungskonferenz) sowie die Schaffung der Finanzdelegation. 1962 wurde das Gesetz erneut überarbeitet. Im Vordergrund stand die Neuregelung der Erlassformen und der parlamentarischen Vorstösse.

Seit Ende der 1960er Jahre zeigte sich immer mehr, dass im Verhältnis zwischen Bundesrat und Bundesversammlung noch grosser Regelungsbedarf bestand. Die Mirage-Affäre steht am Beginn eines zunehmenden Bewusstseins der Bundesversammlung für Fragen der Oberaufsicht. Die Rechte im Bereich der Oberaufsicht wurden seither durch verschiedene Partialrevisionen nach und nach ausgebaut. Verfahrensregeln zwischen Bundesversammlung und Bundesrat nahmen immer mehr Platz im GVG ein. Aus der «Magna Charta des Zweikammersystems» (so Hans Huber: Zum Entwurf eines neuen Geschäftsverkehrsgesetzes. In: NZZ vom 23. August 1960) wurde die «Magna Charta der Gewaltenteilung».

Die zahlreichen Änderungen des GVG sind Ausdruck eines sich wandelnden Parlamentsbetriebs. Neue Generationen von Parlamentarierinnen und Parlamentariern stellen andere Anforderungen an ihre eigene Tätigkeit und somit auch an die Institution Parlament. In wissenschaftlichen Studien konnte zum Beispiel festgestellt werden, dass das Parlament in den letzten Jahren die Gesetzgebung vermehrt mitgestaltete als etwa noch Anfang der 70er-Jahre (vgl. dazu Annina Jegher und Prisca Lanfranchi: Der Einfluss von National- und Ständerat auf den Gesetzgebungsprozess: Eine Analyse quantitativer und qualitativer Aspekte der parlamentarischen Gesetzgebungstätigkeit in der 44. Legislaturperiode (1991­95). Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern/Parlamentsdienste. Bern 1996.). Ein aktiveres Parlament braucht die entsprechenden
rechtlichen Rahmenbedingungen, um gemäss seinen Bedürfnissen handeln zu können. So wurde seit den 70er-Jahren das Parlamentsrecht in verschiedenen Reformen permanent weiterentwickelt. Bis 1991 wurden zahlreiche Reformen des Geschäftsverkehrsgesetzes und der Ratsreglemente vorgenommen.

Als Abschluss dieser Phase kann die Vorlage für eine Parlamentsreform betrachtet werden, welche von den Räten am 4. Oktober 1991 verabschiedet worden war. Die Reform brachte insbesondere ein System von ständigen Parlamentskommissionen sowie eine Verbesserung der Mitsprachemöglichkeiten des Parlamentes in der Aussenpolitik (vgl. den Bericht der Kommission des Nationalrates BBl 1991 III 617ff.).

Die Vorschläge für eine verbesserte Infrastruktur und Entschädigung der Ratsmitglieder fanden jedoch in der Volksabstimmung vom 27. September 1992 keine Zustimmung.

3471

Das GVG deckte somit immer wieder neue Aspekte ab, und es wurde deshalb zunehmend schwieriger, die Neuerungen systematisch befriedigend in das Gesetz einzuordnen. Das zeigt sich schon rein äusserlich darin, dass zum Beispiel zwischen den Artikeln 47 und 48 nicht weniger als neun Artikel eingeschoben worden sind (47a, 47bis, 47abis, 47bbis, 47ter usw.).

1.2

Die Revision der Bundesverfassung

1.2.1

Die Vorarbeiten der SPK im Bereich Parlamentsrecht im Hinblick auf die Verfassungsrevision

Die am 18. April 1999 in der Volksabstimmung angenommene Reform der Bundesverfassung brachte ... eine Modernisierung des Parlamentsrechts auf Verfassungsebene. Zum einen wurden die zum Teil veralteten Bestimmungen der alten Verfassung neu formuliert und den Bedürfnissen der Praxis angepasst, zum anderen wurden verschiedene Klärungen im Verhältnis der Bundesversammlung zum Bundesrat vorgenommen (zu den Inhalten der neuen Bundesverfassung im Bereich des Parlamentsrechts vgl. Ziff. 21 und 22). Diese wichtigen Präzisierungen im Bereich des Parlamentsrechts auf Verfassungsebene konnten nicht zuletzt darum vorgenommen werden, weil die SPK intensive Vorarbeiten geleistet hatten.

Nach der Zäsur der Volksabstimmung vom September 1992 haben die SPK zuerst eine systematische «Auslegeordnung» aller denkbaren Reformen auf Verfassungsebene vorgenommen. Den besonders komplexen Bereich der Kompetenzverteilung zwischen Bundesversammlung und Bundesrat liessen sie durch eine Expertenkommission untersuchen, die am 15. Dezember 1995 ihren Schlussbericht «Kompetenzverteilung zwischen Bundesversammlung und Bundesrat» abgeliefert hat (BBl 1996 II 428ff.).

An ihren Sitzungen vom 2. und 13. Februar 1996 entschieden die SPK, wie diese umfangreichen Vorarbeiten in konkrete Vorlagen und Anträge umgesetzt werden sollten. Vorschläge für Verfassungsrevisionen wurden den Räten am 6. März 1997 im Rahmen des Zusatzberichtes beider SPK zur Verfassungsreform unterbreitet (BBl 1997 III 245ff.). Die Anträge der SPK fanden sowohl in den Verfassungskommissionen wie später auch in den Räten grösstenteils Zustimmung.

1.2.2

Anpassungen des GVG auf Grund der Verfassungsreform

Die neue Verfassung trat bereits am 1. Januar 2000 in Kraft. Verschiedene Bestimmungen dieser Verfassung sind nur im Zusammenhang mit der Ausführungsgesetzgebung direkt anwendbar. Fehlt diese, so entstehen Rechtslücken. Da sich aber bald zeigte, dass die Ausarbeitung des Vorentwurfs für das neue Gesetz längere Zeit in Anspruch nehmen würde, erwies es sich als notwendig, die zwingenden Anpassungen an die Verfassung im Bereich der Behördenorganisation in einer Partialrevision vorzuziehen.

Die SPK des Nationalrates hat die entsprechende Vorlage ausgearbeitet (99.419, BBl 1999 IV 4809ff.). Bereits am 8. Oktober 1999 haben die Räte diese Partialrevi3472

sion des GVG verabschiedet, sodass die Anpassungen gleichzeitig mit der neuen Bundesverfassung in Kraft treten konnten.

Die vorgenommenen Änderungen stellen zwingende Anpassungen an die neue Bundesverfassung dar, ohne die beim Inkrafttreten der neuen Bundesverfassung Rechtslücken entstanden wären (Abgrenzung der Staatsvertragsabschlusskompetenzen von Bundesversammlung und Bundesrat, Stellung der Parlamentsdienste, Öffentlichkeit der Sitzungen), oder beseitigen offensichtliche Widersprüche zwischen der neuen Verfassung und dem alten GVG (Teilungültigkeitserklärung von Volksinitiativen, Einberufung von ausserordentlichen Sessionen, Formen der Erlasse der Bundesversammlung).

Durch diese Partialrevision war ein bedeutender Teil der Vorarbeiten für die Totalrevision des Gesetzes bereits geleistet. Die neuen Bestimmungen konnten an den entsprechenden Orten des neuen Gesetzes integriert werden.

1.2.3

Warum eine Totalrevision?

Mit der erwähnten Partialrevision sind nur die notwendigsten Anpassungen des GVG an die Verfassung vorgenommen werden. Die Verfassung bietet jedoch durchaus weitere Möglichkeiten, die einer gesetzlichen Konkretisierung harren. Im Rahmen der Vorarbeiten der Kommissionen in den Jahren 1993­1995 sind zudem auch eine Reihe von Reformvorschlägen entwickelt worden, die auch ohne Verfassungsrevision auf Gesetzesebene realisiert werden können. Nachdem das GVG von 1962 durch über 30 Partialrevisionen beträchtlich an systematischer Klarheit und Übersichtlichkeit verloren hat, drängte es sich auf, nun keine neue grössere Partialrevision, sondern eine Totalrevision an die Hand zu nehmen.

Mit der Totalrevision des Geschäftsverkehrgesetzes sollen somit drei Ziele verfolgt werden: 1.

Konkretisierung der in der Verfassung neu vorgesehenen Möglichkeiten im Bereich des Parlamentsrechts.

2.

Umsetzung notwendiger Reformen des Parlamentsrechts.

3.

Systematische Zusammenfassung und übersichtliche Darstellung des Parlamentsrechts sowie redaktionelle Überarbeitung der sprachlich veralteten Bestimmungen.

1.3

Die Arbeiten der SPK an der Totalrevision des GVG

1.3.1

Grundsatzentscheid für eine Totalrevision des GVG

Bereits am 2. und 13. Februar 1996 haben die SPK den Grundsatzentscheid für eine Totalrevision des GVG gefällt. Zwei Jahre später, als die Verfassungsreform in den Räten in Beratung war und der Bereich Behördenorganisation immer konkretere Konturen annahm, war der Zeitpunkt gekommen, die konkreten Schritte in die Wege zu leiten. Mit Beschlüssen vom 12. und 14. Mai 1998 beauftragten die SPK ihr Sekretariat mit der Ausarbeitung eines Vorentwurfs samt erläuterndem Bericht. Sie setzten zudem Subkommissionen ein, welche gewisse Themenbereiche vorberaten 3473

sollten. Im Beschluss wurde auch festgehalten, dass andere Dienststellen der Parlamentsdienste und der Bundesverwaltung beizuziehen sind.

1.3.2

Vorberatung von Reformbereichen in Subkommisssionen

Die von den SPK am 12. bzw. 14. Mai 1998 eingesetzten Subkommissionen1 haben zwischen Herbst 1998 und Sommer 1999 insgesamt sechs gemeinsame Sitzungen abgehalten. Sie haben folgende Themenbereiche behandelt: 1.

Wahlverfahren in der Bundesversammlung (insbesondere auch Prüfung des Verfahrens bei der Gesamterneuerung des Bundesrates)

2.

Oberaufsicht (insbesondere auch Prüfung der Frage der Koordination zwischen den Geschäftsprüfungs- und Finanzkommissionen)

3.

Informationsrechte der Ratsmitglieder und der Kommissionen

4.

Persönliche Vorstösse und parlamentarische Initiative

Es ging in den Subkommissionen vor allem darum, einerseits aktuelle Reformbegehren zu prüfen und andererseits nach Lösungen für offensichtliche Problembereiche zu suchen. Die Subkommissionen haben auf der Grundlage von Arbeitspapieren des Kommissionssekretariates und weiterer Stellen der Parlamentsdienste Grundsatzentscheide gefällt, welche dem Kommissionssekretariat die Richtung für die Ausarbeitung konkreter Normtextentwürfe vorgaben.

1.3.3

Ausarbeitung eines Entwurfs durch das Sekretariat unter Beizug direkt betroffener Stellen

Parallel zu den Arbeiten der Subkommissionen wurde im Sekretariat die Erarbeitung eines integralen Vorentwurfs für ein neues Gesetz vorgenommen. Dabei wurde bereichsweise die enge Zusammenarbeit mit anderen Diensten gesucht, um auf den entsprechenden Sachverstand zurückgreifen zu können. Zum Teil wurden Normtextentwürfe durch andere Dienststellen zuhanden des Sekretariates der SPK ausgearbeitet.

1.3.4

Verwaltungsinterne Konsultation und Begutachtung durch Experten

Am 30. September 1999 konnte ein erster integraler Vorentwurf den interessierten Dienststellen zur Stellungnahme unterbreitet werden. In der Folge haben 16 Stellen dem Sekretariat ihre Stellungnahmen zukommen lassen.

Gleichzeitig wurde der Entwurf auch verschiedenen Experten des Parlamentsrechts zur Begutachtung unterbreitet. Folgende Experten haben zu einzelnen Teilen des 1

Subkommission SPK-N: Dettling (Präsident), David, Ducrot, Fritschi, Gross Andreas, Hubmann, Schmid Samuel, Vollmer, Zwygart Subkommission SPK-S: Reimann (Präsident), Aeby, Rhinow, Spoerry, Wicki

3474

Entwurfes oder zum ganzen Entwurf Stellung genommen: Prof. Jean-François Aubert, Prof. Bernhard Ehrenzeller, Prof. Philippe Mastronardi, Dr. Niklaus Oberholzer und PD Hansjörg Seiler.

Die Stellungnahmen sowohl seitens der verschiedenen Dienststellen wie auch seitens der Experten enthielten wichtige Hinweise für die Verbesserung des Vorentwurfs. Das Sekretariat hat die einzelnen Stellungnahmen analysiert und den Vorentwurf entsprechend überarbeitet.

1.3.5

Beratung des Vorentwurfs durch die SPK des Nationalrates, Stellungnahmen anderer betroffener Kommissionen

Der auf Grund der verschiedenen Stellungnahmen überarbeitete Vorentwurf lag am 31. Januar 2000 vor. Die beiden SPK hatten sich darauf geeinigt, dass der Nationalrat die Vorlage als Erstrat behandeln sollte, sodass die SPK des Nationalrates nun ihre Arbeiten aufnehmen konnte. Die Kommission hat an insgesamt zehn Sitzungen zwischen Februar 2000 und März 2001 eine intensive Detailberatung des Vorentwurfs vorgenommen. Gleichzeitig hat sie die Stellungnahmen anderer betroffener Kommissionen (Finanzkommissionen, Geschäftsprüfungskommissionen, Aussenpolitische Kommissionen, Kommissionen für Rechtsfragen, Redaktionskommission, Verwaltungsdelegation, Spezialkommission Legislaturplanung) eingeholt und in ihre Beratungen einfliessen lassen. Sie hat Vertreter und Vertreterinnen der entsprechenden Kommissionen an ihre Sitzungen eingeladen und ihre Stellungnahmen erläutern lassen. Auf diese Stellungnahmen wird bei der Erläuterung der entsprechenden Artikel im Bericht näher eingegangen.

1.4

Verhältnis der Totalrevision GVG zu anderen Reformvorhaben

1.4.1

Gesamtschau der Reform der Institutionen des Bundesstaates

Parlament, Regierung, Justiz und Volksrechte stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern wirken vielfältig aufeinander ein. Die Reform der einen Institution hat daher in der Regel kleinere oder grössere Auswirkungen auf die anderen Institutionen.

Eine Gesamtschau ist notwendig. Die SPK beider Räte wie auch bereits ihre Vorgängerkommissionen (vor 1992) haben sich denn auch kontinuierlich für die notwendigen Reformen aller zentralen bundesstaatlichen Institutionen eingesetzt. Bereits im Jahre 1990 wurden in beiden Räten parlamentarische Initiativen und Motionen eingereicht, die koordiniert grundlegende Reformen des Parlamentes und der Regierung forderten. Reformen des parlamentarischen Verfahrens und der Parlamentsorganisation wie auch Reformen der Beziehungen zwischen Parlament und Regierung konnten in der Folge unter der Federführung parlamentarischer Kommissionen relativ rasch realisiert werden ­ zuerst mit der Parlamentsreform vom 14. Oktober 1991 auf Gesetzes- und Reglementsstufe und im Rahmen der Totalrevision der BV vom 18. April 1999 auch auf Verfassungsebene. Demgegenüber haben sich die Arbeiten an der Regierungsreform verzögert, obwohl mit zahlreichen par3475

lamentarischen Vorstössen wiederholt eine Beschleunigung gefordert worden ist (z.B. mit der Motion der SPK des Nationalrates vom 20. Juni 1997). Die auf der Grundlage der geltenden Verfassung möglichen Reformen konnten erst mit dem Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (RVOG) vom 21. März 1997 realisiert werden. Die Regierungsreform auf Verfassungsebene ­ das «Pendant» zu den im Bereich des Parlamentes im Rahmen der Totalrevision der BV realisierten Reformen ­ steht noch bevor (siehe dazu unten Ziff. 1.4.2).

Eine Gesamtschau ist zwar wichtig und notwendig, rechtfertigt aber keine Verzögerung eines entscheidungsreifen Projektes wie des Parlamentsgesetzes mit dem Argument, es müssten zuerst die Resultate anderer, noch nicht ausgereifter Projekte abgewartet werden. Dies gilt jedenfalls, solange kein klares sachliches Junktim zwischen zwei Projekten besteht. Insbesondere rechtfertigt eine noch bevorstehende, voraussichtlich noch einige Jahre dauernde Reform des Regierungsorgans auf Verfassungsebene nicht eine Verzögerung der Umsetzung der Gesetzgebungsaufträge der neuen BV im Bereich des Parlamentsrechts.

Die Reform der Institutionen des Bundesstaates ist insgesamt zu komplex, um gesamthaft koordiniert und einheitlich realisiert zu werden. Schrittweises Vorgehen ist unumgänglich. Dabei ist klar, dass spätere Reformschritte wieder Rückwirkungen auf zu einem früheren Zeitpunkt realisierte Reformen haben können. Die noch ausstehenden Reformen der Regierung und der Volksrechte auf Verfassungsebene werden dazu führen, dass einzelne Bestimmungen des Parlamentsgesetzes wieder revidiert werden müssen. Jetzt geht es darum, die Bundesverfassung vom 18. April 1999 im Bereich des Parlamentsrechtes umzusetzen und ein modernes und übersichtliches Parlamentsgesetz zu schaffen. Dieses Gesetz wird eine gute Grundlage bilden für den Einbau späterer Neuerungen, falls diese einmal Mehrheiten finden sollten.

1.4.2

Regierungsreform

Am 17. Januar 2001 hat der Bundesrat Vorentscheide für die auszuarbeitende Staatsleitungsreform ­ welche sich inzwischen faktisch auf eine Regierungsreform beschränkt ­ gefällt. Danach ist als wichtigster Punkt vorgesehen, dass pro Departement in der Regel ein Minister, der so genannte «Delegierte Minister», eingesetzt werden soll. Dieser Minister oder diese Ministerin ist für einen bestimmten Sachbereich zuständig. In Zukunft würde es zwei verschiedene Formen von Regierungssitzungen geben, eine engere mit den Bundesratsmitgliedern und eine weitere mit Bundesräten und Bundesrätinnen und Ministern und Ministerinnen, wobei letztere kein Stimmrecht haben. Es ist vorgesehen, dass diese Minister und Ministerinnen vom Bundesrat gewählt und von der Bundesversammlung bestätigt werden. Die Vorlage soll bis Ende 2001 vorliegen.

Die vom Bundesrat präsentierte Vorlage zur «Staatsleitungsreform» wird sich also mit aller Voraussicht auf Vorschläge zur Reform des Regierungsorgans beschränken, welche wenig Auswirkungen auf das Parlamentsgesetz haben. Es besteht nur ein minimer inhaltlicher Koordinationsbedarf und keinesfalls ein Junktim zwischen Parlamentsgesetz (Gesetzesebene) und «Staatsleitungsreform» (Verfassungsebene).

Wird die Regierungsreform gemäss den derzeitigen Vorstellungen des Bundesrates realisiert, so müssen gerade zwei Artikel des Parlamentsgesetzes betreffend die Vertretung des Bundesrates in den Räten und in den Kommissionen angepasst wer3476

den. Denkbar ist auch, dass im Rahmen der parlamentarischen Beratung der Regierungsreform weitergehendere Reformen verwirklicht werden (z.B. eine Blockwahl des Bundesrates, ein wesentlicher Ausbau der Kompetenzen des Präsidiums des Bundesrates, usw.). In diesem Fall wäre dann eine weitergehende Partialrevision des Parlamentsgesetzes angesagt. Der Zeithorizont für die Regierungsreform würde sich diesfalls allerdings erheblich erstrecken. Vor diesem Hintergrund kann die Totalrevision des GVG vorgenommen werden, ohne den bundesrätlichen Entwurf oder gar die parlamentarischen Ergebnisse der Staatsleitungsreform abzuwarten.

1.4.3

Reform der Volksrechte

Nachdem die beiden Räte am 9. Juni 1999 und am 30. August 1999 beschlossen haben, auf die im Rahmen der Verfassungsreform präsentierte Vorlage zur Reform der Volksrechte (Vorlage B des Geschäfts 96.091) nicht einzutreten, hat der Ständerat einer parlamentarischen Initiative seiner Verfassungskommission mit 30:6 Stimmen Folge gegeben (S 1999 AB 611ff.). Die Initiative will, dass die mehrheitsfähigen Anliegen der gescheiterten Reform aufgenommen und so verschiedene Mängel an den bestehenden Volksrechten beseitigt werden. Die SPK des Ständerates wurde in der Folge vom Büro beauftragt, bis zur Herbstsession 2001 eine Vorlage auszuarbeiten. Auch dieses Projekt hat also einen längeren Zeithorizont als die vorliegende Totalrevision. Allfällige Anpassungen des Kapitels «Verfahren bei Volksinitiativen» werden später problemlos in einer Partialrevision vorgenommen werden können.

1.4.4

Entschädigung und Infrastruktur der Parlamentsmitglieder

Es wurde oben bereits erwähnt, dass die Bundesversammlung sich vermehrt am Gesetzgebungsprozess beteiligt. Die Anforderungen an die Institution Parlament, aber auch an die einzelnen Mitglieder sind somit gestiegen. Das vorliegende Gesetz versucht, die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit diese Anforderungen erfüllt werden können. Allerdings müssen auch die finanziellen und infrastrukturmässigen Rahmenbedingungen stimmen. Diese sind jedoch nicht Bestandteil dieses Gesetzes. Die entsprechenden Bestimmungen finden sich vielmehr im Entschädigungsgesetz vom 18. März 1988 (SR 171.21).

Die SPK des Nationalrates hat an ihrer Sitzung vom 31. August 2000 grundsätzlich beschlossen, eine Vorlage zum Ausbau der Altersvorsorge und zur Verbesserung der Infrastruktur auszuarbeiten. Die Kommission hat sich zum Ziel gesetzt, diese Vorlage im unmittelbaren Anschluss an das Parlamentsgesetz zu beraten und in der Folge ihrem Rat zu unterbreiten.

3477

1.5

Erledigung hängiger Vorstösse und Initiativen im Bereich des Parlamentsrechts

Die Totalrevision des Geschäftsverkehrsgesetzes bietet Gelegenheit, eine ganze Reihe von Vorstössen und parlamentarischen Initiativen im Bereich des Parlamentsrechts zu prüfen und zu erledigen.

1.5.1

Persönliche Vorstösse

Im Verlauf der Vorarbeiten für das neue Parlamentsgesetz sind den SPK verschiedene Vorstösse zur Prüfung überwiesen worden. Die Anliegen der Vorstösse wurden bei der Erarbeitung der jeweiligen Bestimmungen geprüft. In den Erläuterungen zu den konkreten Bestimmungen ist das Resultat dieser Prüfung dargelegt. Die folgenden Vorstösse können deshalb als erledigt abgeschrieben werden: 1996

P 96.3151

Zusammenführung, allenfalls intensivere Koordination der Finanz- und Geschäftsprüfungskommission (N 21.6.96, Raggenbass) (vgl. Erläuterungen zu den Art. 50­55)

1998

P 98.3052

Sachbereiche der ständigen Kommissionen. Änderung.

(N 18.12.98, Finanzkommission NR) (vgl. Erläuterungen zu den Art. 50­55)

1998

P 98.3349

Wiederkandidierende Bundesräte. Wahlverfahren (N 18.12.99, Weyeneth) ) (vgl. Ziff. 2.4.5 sowie Erläuterungen zu Art. 131/131a)

1999

P 99.3283

Vorstoss gegen die Vorstossflut (N 13.12.2000, Theiler) (vgl. Ziff. 2.4.3.4)

1999

P 99.3380

Verstärkung der Instrumentarien Motion und Postulat (N 8.10.99, Stamm Luzi) (vgl. Ziff. 2.4.3.4)

1999

P 99.3526

Änderung des GVG (N 22.12.99, Bangerter) (vgl. Ziff. 2.4.3 und 2.4.4)

1999

P 99.3565

Parlamentarische Initiativen. Vorprüfungsverfahren in beiden Räten (N 24.3.2000, Hess Peter) (vgl. Ziff. 2.4.4.2)

1999

P 99.3568

Eides- und Gelübdeformel (N 22.12.99, SPK-NR) (vgl. Erläuterungen zu Art. 3)

Sobald die Vorlage an den Ständerat gelangen wird, kann dort folgendes Postulat abgeschrieben werden: 1993

1.5.2

P 93.3260

Geschäftsbericht im Zweijahresrhythmus (S 30.9.93, Bühler Robert) (vgl. Erläuterungen zu Art. 143)

Parlamentarische Initiativen

Verschiedene parlamentarische Initiativen, welchen der Nationalrat Folge gegeben hat, wurden der SPK zur Ausarbeitung einer Vorlage beziehungsweise zum Einbau

3478

in die Totalrevision des Geschäftsverkehrsgesetzes zugeteilt. Die nachfolgend aufgeführten Initiativen können als erfüllt abgeschrieben werden: 96.451

Pa. Iv. Kommission 95.067-NR. Einsatz von Sachverständigen und Pflicht zur Verschwiegenheit in PUK-Verfahren (vgl. Erläuterungen zum neunten Titel, Art. 162­170)

96.452

Pa. Iv. Kommission 95.067-NR. Parlamentarische Oberaufsicht: Richtlinien der Bundesversammlung an den Bundesrat (vgl. Ziff. 2.4.3.2)

96.454

Pa. Iv. Kommission 95.067-NR. Koordination unter den parlamentarischen Kontrollkommissionen (vgl. Erläuterungen zu den Art. 50­55)

97.441

Pa. Iv. Schlüer. Interessenbindung (vgl. Erläuterungen zu Art. 12)

Zwei weitere parlamentarische Initiativen, die der GPK bzw. der APK zur Ausarbeitung einer Vorlage zugewiesen worden waren, werden durch das Parlamentsgesetz ebenfalls erfüllt und können mit Zustimmung der GPK bzw. der APK abgeschrieben werden: 96.453

Pa. Iv. Kommission 95.067-NR. Einblick der parlamentarischen Kontrollkommissionen in die Führungs- und Kontrolldaten der Departemente sowie in Akten noch nicht abgeschlossener Verfahren (vgl. Erläuterungen zu Art. 152 und 153)

98.425

Pa. Iv. Zbinden Hans. Die Schweiz in internationalen Institutionen.

Demokratisierung der Strukturen und Verfahren (vgl. Erläuterungen zu Art. 151)

Sobald die Vorlage an den Ständerat gelangen wird, werden dort vier gleich lautende parlamentarische Initiativen abgeschrieben werden können: 96.446

Pa. Iv. Kommission 95.067-SR. Einsatz von Sachverständigen und Pflicht zur Verschwiegenheit in PUK-Verfahren (vgl. Erläuterungen zum neunten Titel, Art. 162­170)

96.447

Pa. Iv. Kommission 95.067-SR. Parlamentarische Oberaufsicht: Richtlinien der Bundesversammlung an den Bundesrat (vgl. Ziff. 2.4.3.2)

96.448

Pa. Iv. Kommission 95.067-SR. Einblick der parlamentarischen Kontrollkommission in die Führungs- und Kontrolldaten der Departemente sowie in Akten noch nicht abgeschlossener Verfahren (vgl. Erläuterungen zu Art. 152 und 153)

98.449

Pa. Iv. Kommission 95.067-SR. Koordination unter den parlamentarischen Kontrollkommissionen (vgl. Erläuterungen zu den Art. 50­55)

3479

2

Grundzüge des neuen Parlamentsgesetzes

2.1

Überblick über Aufgaben, Organisation und Verfahren der Bundesversammlung

Am Anfang jeder Reform von staatlichen Organen sollte die Überlegung stehen, welche Aufgaben ein bestimmtes Organ und seine Mitglieder wahrzunehmen haben.

Die Zuweisung der Aufgaben an die Bundesversammlung ist zur Hauptsache Gegenstand der Bundesverfassung (BV). Der Prozess der Totalrevision der BV hat die Gelegenheit geboten, die Aufgaben der Bundesversammlung in der BV vom 18. April 1999 viel umfassender und präziser zu definieren als in ihrer Vorgängerin vom 29. Mai 1874. Es waren in erster Linie die Staatspolitischen Kommissionen, die mit ihrem Zusatzbericht zur Verfassungsreform vom 6. März 1997 diese gebotene Gelegenheit ergriffen haben (BBl 1997 III 245). Auf Gesetzesebene besteht nurmehr ein relativ geringer Bedarf nach weiteren Präzisierungen der Aufgaben der Bundesversammlung und nur ein kleiner Spielraum für funktionale Reformen.

Eine grundlegende funktionale Reform des Parlamentes müsste auf Verfassungsstufe ansetzen. Da die neue BV von 1999 die seit 1848 bestehenden umfassenden Aufgaben der Bundesversammlung als «oberste Gewalt» und die weitgehenden Rechte ihrer einzelnen Mitglieder präzisiert und damit gefestigt hat, könnte eine grundlegende funktionale Reform wohl nur in die entgegengesetzte Richtung gehen, das heisst diese Aufgaben und Rechte abbauen. Dazu besteht allerdings kein Anlass.

Die gesetzlichen Regelungen über die Organisation und das Verfahren der Bundesversammlung müssen im Lichte der grundlegenden verfassungsmässigen Aufgaben der Bundesversammlung und der Rechte ihrer einzelnen Mitglieder getroffen werden. Diesem Anspruch kann das geltende Geschäftsverkehrsgesetz (GVG), das von seiner Systematik her weitgehend als reines Verfahrensgesetz konzipiert ist, nicht gerecht werden. Diesem Anspruch wird aber auch eine Reformdiskussion nicht gerecht, die allein unter dem Gesichtspunkt der Effizienzsteigerung auf Verfahrensreformen abzielt. Namentlich darf die Repräsentationsfunktion der Bundesversammlung und ihrer einzelnen Mitglieder als eigentliche «raison d'être» eines Parlamentes nicht aus dem Auge verloren werden, auch wenn die Wahrnehmung dieser Repräsentationsaufgabe in einen gewissen Gegensatz zur Effizienz staatlichen Handelns geraten kann. Die Mitglieder der Bundesversammlung haben die zentrale Aufgabe, ihre Wählerinnen und Wähler mit ihren vielfältigen und
unterschiedlichen Interessen zu vertreten. Durch die öffentliche parlamentarische Auseinandersetzung und durch die demokratische Entscheidfindung stellt das Parlament die Legitimität staatlichen Handelns her. Diese Legitimität ist Voraussetzung für die Akzeptanz und damit für die Effektivität staatlichen Handelns. Wer sich vertreten fühlt im Parlament, wer sieht, dass dort seine Meinungen und Interessen artikuliert und öffentlich diskutiert werden (insbesondere bei der Gesetzgebung und der Wahl von Magistratspersonen), wer sieht, dass Verwaltung und Regierung kontrolliert werden und dass bei Missständen eingegriffen wird, der kann den Staat als «seinen» Staat empfinden. Diese Legitimität staatlichen Handelns wird noch entscheidend verstärkt durch das Referendumsrecht des Volkes, das wichtige Parlamentsentscheidungen sanktionieren kann. Dabei ist zu bedenken, dass das Referendumsrecht auf den Parlamentsrechten aufbaut: Was der Zuständigkeit des Parlamentes entzogen wird, darüber kann auch das Volk nicht mehr entscheiden.

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Die neue BV akzentuiert das individualistische Repräsentationsverständnis des schweizerischen Parlamentarismus, indem sie neben dem Initiativrecht des einzelnen Ratsmitglieds auch sein Antragsrecht garantiert. Anders als in anderen Parlamenten kann ein einzelnes Ratsmitglied in der Bundesversammlung nicht nur im grösseren Kollektiv einer Fraktion Wirkung entfalten, sondern sollte sich auch als individueller Repräsentant seiner Wählerschaft im Rat einbringen können. Auf Gesetzesstufe muss sichergestellt werden, dass diese individuellen Initiativ- und Antragsrechte nicht nur pro forma bestehen, sondern auch tatsächlich wahrgenommen werden können. In diesen Kontext gehört die neu im Parlamentsgesetz vorzunehmende Definition der Informationsrechte des einzelnen Ratsmitglieds. Reformbedarf besteht im Bereich der Initiativ- und Motionsrechte. Insbesondere das Instrument der Motion geniesst heute weder im Parlament selbst noch bei Bundesrat und Verwaltung den Respekt, der ihm auf Grund seiner gesetzlichen Definition gebühren würde. Die Herausforderung an das neue Gesetz besteht darin, geeignete Verfahren zu finden, die diese Rechte der einzelnen Ratsmitglieder wahren, ohne dass dadurch die Funktionsfähigkeit des gesamten Parlamentes beeinträchtigt wird. Die Rechte des Parlamentes und seiner Mitglieder würden in Frage gestellt, wenn das Parlament als Folge unbefriedigender Verfahren nicht mehr fähig wäre, zeit- und sachgerecht Entscheide zu fällen. Ein chaotischer Parlamentsbetrieb würde das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Institution Parlament schwächen. Wie historische Erfahrungen (z.B. das Ende der 4. Französischen Republik) zeigen, fördert eine solche Situation antiparlamentarische, autoritär-exekutivstaatliche Tendenzen, die häufig auch scheindemokratische plebiszitäre Elemente enthalten. Die Forderung nach einer Volkswahl des Bundesrates weist in eine ähnliche Richtung.

Die Definitionen der einzelnen Zuständigkeiten der Bundesversammlung gemäss Artikel 164­173 BV bedürfen zwar nur kleinerer Präzisierungen auf Gesetzesebene.

Voraussetzung für die tatsächliche Wahrnehmung dieser verfassungsmässigen Zuständigkeiten ist aber die Festlegung einer geeigneten Organisation des Parlamentes und zweckmässiger parlamentarischer Verfahren im Gesetz. Die Bedeutung des neuen PG liegt wie beim bisherigen
GVG vor allem in diesen Organisations- und Verfahrensregelungen. In diesem Bereich können mit dem neuen PG auch grundlegende Reformen vorgenommen werden.

Die Verfassung weist zwar der Bundesversammlung die Gesetzgebungsfunktion zu, indem sie sie zuständig erklärt für den Erlass aller «wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen» (Art. 164 BV). Die Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens in der Bundesversammlung ist aber Gegenstand des Gesetzes. Weil es sich hier seit 1848 um eine traditionelle Kernfunktion des Parlamentes handelt, ist das Verfahren bereits im bestehenden GVG umfassend geregelt. Dieses Verfahren hat sich in den Grundzügen bewährt; notwendig sind nur geringfügige Präzisierungen. Auf Grund der umfassenden Zuständigkeit der BV für die Gesetzgebung statuiert das Parlamentsgesetz neu den im heutigen Recht nicht sichergestellten Zugriff auf Informationen über das vor- und nachparlamentarische Gesetzgebungsverfahren.

Keine wesentlichen Änderungen sind notwendig im Bereich der traditionellen Regierungs- und Verwaltungsfunktionen des Parlaments, wie zum Beispiel bei der Festsetzung des Voranschlags (Art. 167 BV). Reformbedarf besteht aber bei der Ausübung der jetzt explizit in der BV verankerten Zuständigkeit der Bundesversammlung zur Mitwirkung bei wichtigen Planungen (Art. 173 Abs. 1 Bst. g) und zur Beteiligung an der Gestaltung der Aussenpolitik (Art. 166 BV). Das bis heute übli3481

che Verfahren der blossen Kenntnisnahme von Berichten des Bundesrates genügt nicht mehr dem verfassungsmässigen Anspruch auf Mitwirkung; nötig ist eine differenziertere und verbindlichere Mitwirkung in Form von Bundesbeschlüssen.

Um die Funktion der Oberaufsicht (Art. 169) ausüben zu können, braucht das Parlament neben einer zweckmässigen Organisation insbesondere auch Rechte, um sich über die Vorgänge in Regierung und Verwaltung informieren zu können. Gerade in diesem Bereich hat sich das GVG seit den 1960er-Jahren bereits beträchtlich weiterentwickelt. Auf Grund der neuen BV müssen im Parlamentsgesetz drei grundsätzliche Neuerungen näher ausgeführt werden: die Kommissionen erhalten Anspruch auf alle für ihre Aufgabenerfüllung notwendigen Informationen (Art. 153 Abs. 4 BV); im Konfliktfall entscheidet letztinstanzlich der «Kontrolleur» und nicht der Kontrollierte über den Umfang der Informationsrechte; den Delegationen der Aufsichtskommissionen dürfen keine Informationen mehr vorenthalten werden (Art. 169 Abs. 2).

Die neue BV überträgt der Bundesversammlung die Aufgabe, für die Überprüfung der Wirksamkeit der Massnahmen des Bundes zu sorgen (Art. 170 BV). Das neue Parlamentsgesetz muss den Vollzug dieser Verfassungsbestimmung sicherstellen, indem es geeignete organisatorische Vorkehrungen trifft und diese Aufgabe bestimmten Organen der Bundesversammlung zuweist.

Schliesslich kommt dem Parlament auch eine Wahlfunktion zu (Art. 168 BV), insbesondere hat es die Regierung zu wählen, aber z.B. auch Wahlen anderer Organe zu bestätigen. Das entsprechende Verfahren ist bisher entweder nur auf Verordnungsebene (Wahl des Bundesrates usw.) oder überhaupt nicht geregelt (Bestätigung von Wahlen). Der Gesetzesbegriff der neuen BV verlangt, dass derart wichtige Fragen im Gesetz geregelt werden, damit sich allenfalls auch die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger dazu aussprechen können. Das neue Parlamentsgesetz bietet die Gelegenheit zur Überprüfung, ob sich namentlich das bisherige Verfahren der Wahl des Bundesrates bewährt hat; eine Frage, welche die Kommission mehrheitlich bejaht.

Eine weitere zentrale Voraussetzung dafür, dass die Bundesversammlung und ihre Mitglieder ihre verfassungsmässigen Aufgaben erfüllen können, besteht in einer hinreichenden Infrastruktur. Einerseits stehen der Bundesversammlung und
insbesondere ihren Organen die Dienstleistungen der Parlamentsdienste und beigezogener Dienststellen der Bundesverwaltung zur Verfügung, was in den Grundzügen durch das Parlamentsgesetz geregelt wird. Andererseits brauchen die einzelnen Ratsmitglieder hinreichende Entschädigungen und eine Infrastruktur, was aber nicht Gegenstand dieses Gesetzes ist. Die Kommission sieht hier grundlegenden Reformbedarf und wird daher mit einer separaten Vorlage eine entsprechende Revision des Entschädigungsgesetzes vorschlagen.

2.2

Grundzüge der Gewaltenteilung

Wie werden die Aufgaben der Bundesversammlung abgegrenzt von den Aufgaben der beiden anderen obersten Bundesbehörden? Auch diese Frage wird weitgehend durch die neue BV beantwortet. Das Parlamentsgesetz muss die verfassungsmässigen Grundsätze der Gewaltenteilung umsetzen und in diesem Sinne einige Präzisierungen vornehmen.

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Die neue BV geht zwar wie die BV von 1848 und 1874 von einer weitgehenden formellen Unabhängigkeit der Gewalten voneinander aus (strikte personelle Gewaltentrennung, feste Amtsdauer der Regierung ohne Abberufungsrecht des Parlamentes und ohne Recht der Regierung zur Auflösung des Parlamentes). Anders als die früheren BV macht die neue BV aber deutlich, was in der Staatspraxis schon seit jeher gang und gäbe war: dass nämlich Bundesversammlung und Bundesrat zu enger Kooperation aufgerufen sind. Eine klare Zuweisung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten schliesst nicht aus, dass jede der beiden Gewalten auf den Zuständigkeitsbereich der anderen Gewalt einwirkt. Formelle Entscheidungszuständigkeiten einerseits und Einflussnahmen andererseits müssen klar auseinander gehalten werden. Seit jeher war und ist selbstverständlich, dass der Bundesrat auf den Zuständigkeitsbereich der Bundesversammlung einwirkt und Einfluss nimmt, indem er sein Initiativ- und Antragsrecht in der Bundesversammlung wahrnimmt und indem seine Mitglieder auch persönlich an den Verhandlungen der Ratsplena und Kommissionen teilnehmen. Umgekehrt hat der Bundesrat aber immer wieder Versuche der Einflussnahme des Parlamentes auf seinen Zuständigkeitsbereich mit dem Argument zurückgewiesen, damit würde der Grundsatz der Gewaltenteilung verletzt. Diese Argumentation wird durch die neue BV hinfällig. Artikel 171 stellt klar, dass der Bundesversammlung Instrumente zur Verfügung stehen müssen, mit welchen sie auf den Zuständigkeitsbereich des Bundesrates einwirken kann. Zudem geht die neue BV davon aus, dass der Bundesrat in den Bereichen der Aussenpolitik (Art. 166 und 184) und der wichtigen Planungen (Art. 173 Abs. 1 Bst. g und Art. 180 Abs. 1, 2.

Satz) entgegen früher vertretenen Auffassungen nicht allein zuständig ist, sondern dass der Bundesversammlung hier Mitwirkungsrechte zustehen. Die Aufgabe des neuen Parlamentsgesetzes besteht darin, diese Verfassungsbestimmungen umzusetzen, indem das Ausmass dieser Mitwirkungsrechte genauer definiert und die Verfahren der Mitwirkung näher geregelt werden.

Die traditionelle Gewaltenteilungsdiskussion geht häufig von einem statischen Verständnis der Zuständigkeitsordnung aus; es wird argumentiert, eine bestimmte parlamentarische Forderung sei nicht zulässig, weil die Regierung zuständig
sei. Diese Argumentation verkennt, dass die Kompetenzordnung immer veränderbar ist. Die Forderung ist nicht unzulässig, nur bedarf ihre Umsetzung einer vorherigen Änderung der Zuständigkeitsordnung. Dafür hinwiederum ist in den allermeisten Fällen der Gesetzgeber zuständig; ist er es nicht, so ist es der Verfassungsgeber. So oder so hat die Bundesversammlung die Möglichkeit, unter Vorbehalt der Rechte von Volk und Ständen eine Zuständigkeit an sich zu ziehen, und zwar auch in traditionellen Domänen der so genannt «ausschliesslichen» Zuständigkeit des Bundesrates.

Die Bundesversammlung wird sich allerdings im eigenen Interesse und im Interesse der Funktionsfähigkeit des Staates als Ganzes auf die Behandlung der wesentlichen Fragen beschränken müssen. Was wesentlich ist, lässt sich nicht nach abstrakten rechtlichen Kriterien beurteilen, sondern darüber entscheidet die Bundesversammlung nach politischen Kriterien; eine zentrale Funktion bei der Selektion des Wichtigen kommt dabei den ständigen Kommissionen zu. Das neue Parlamentsgesetz weist den Kommissionen umfassende Informations- und Konsultationsrechte zu, welche die Befürchtung aufkommen lassen könnten, dass die Kommissionen Gefahr laufen, durch nicht mehr verarbeitbare Informationsfluten und durch Konsultationen zu technischen Detailfragen lahmgelegt zu werden und damit zugleich auch die Verwaltung übermässig zu beanspruchen. Demgegenüber kann darauf vertraut werden, dass das politische Interesse der Kommissionsmitglieder in Verbindung mit ihren 3483

beschränkten zeitlichen Ressourcen von selbst dafür sorgen wird, dass die Kommissionen von diesen Rechten nur dann im Sinne von «Zugrechten» Gebrauch machen, wenn es eben um politisch bedeutsame Fragen geht.

Die Grundsätze der Gewaltenteilung spielen nicht nur im Verhältnis von Bundesversammlung und Bundesrat eine zentrale Rolle. Das Parlamentsgesetz wird neu auch der Stellung des Bundesgerichts als selbstständiger dritter Gewalt Rechnung tragen.

Zu regeln sind die direkte Vertretung der Anliegen des Bundesgerichts in der Bundesversammlung und das spezifische Ausmass der parlamentarischen Oberaufsicht über das Bundesgericht. Dabei ist die Unabhängigkeit der Rechtsprechung des Bundesgerichtes zu wahren.

2.3

Die Systematik des neuen Gesetzes

Das GVG von 1962 ist als reines Verfahrensrecht konzipiert worden, das den Verkehr zwischen den Räten und zwischen der Bundesversammlung und dem Bundesrat regelt. Während seiner bald 40-jährigen Geltungsdauer wurde es durch über 30 Teilrevisionen mit weiteren parlamentarischen Regelungsinhalten angereichert, insbesondere den Bestimmungen über die Oberaufsicht. Heute kann das GVG deshalb kaum mehr als reines Verfahrensgesetz bezeichnet werden. Die Systematik war den vielen Teilrevisionen nicht gewachsen, so dass das GVG unübersichtlich und unlesbar geworden ist. Die Nummerierung musste teilweise umständlich angepasst werden (vgl. Art. 47bisb GVG) und gewisse Artikel umfassen bis neun Absätze (vgl.

Art. 27 GVG). Auch wurden verschiedene Bestimmungen mehrmals revidiert, später wieder gestrichen oder in einem anderen Artikel integriert. Gewisse Inhalte des GVG können folglich nicht mehr ohne Auslegung und Analogieschlüsse verstanden werden. Die Totalrevision bietet nun Gelegenheit, die Systematik des Gesetzes neu zu überdenken und die Inhalte neu zu ordnen.

Bedeutend für die Erarbeitung einer neuen Systematik ist die Bestimmung des Gegenstandes des Gesetzes. Entsprechend der Entwicklung des GVG zielt das neue Parlamentsgesetz darauf ab, all diejenigen Inhalte zu regeln, die einen direkten Zusammenhang mit dem Parlament, seinen Mitgliedern und seinen Organen haben (vgl. Ziff. 1.1). Der Inhalt des geltenden GVG wurde dazu mit Bestimmungen aus anderen Gesetzen ergänzt, so beispielsweise den Bestimmungen über die Immunität und die Sessionsteilnahmegarantie oder über die Unvereinbarkeiten des parlamentarischen Mandats mit anderen Ämtern. Der neue Gesetzesbegriff auf Verfassungsebene führt zudem dazu, dass verschiedene Bestimmungen der Ratsreglemente auf Gesetzesstufe gehoben werden müssen: So beispielsweise das Abstimmungsverfahren in den Räten und das Wahlverfahren in den Bundesrat und das Bundesgericht, die zu den Grundlagen des Verfahrens der Bundesversammlung zählen (Art. 164 Abs. 1 Bst. g BV); oder aber das Verfahren über die Behandlung von Petitionen, weil dieses die Rechte und Pflichten der Bürgerinnen und Bürger tangiert (Art. 164 Abs. 1 Bst. c BV).

Aufbauend auf diesem Inhalt des Parlamentsgesetzes liegt dem Entwurf eine systematische Ordnung zu Grunde, die von zwei Grundgedanken geprägt ist:
Zum einen soll die Systematik durch die Trennung von Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise der Bundesversammlung die Beziehung zwischen den einzelnen Bestimmungen verständlicher machen. Zum anderen soll die Systematik genügend Raum bie3484

ten, um spätere Teilrevisionen einordnen zu können. Es wurde ein grösserer systematischer Detaillierungsgrad angestrebt als beim geltenden GVG.

Systematisch beginnt das Gesetz mit den allgemeinen Bestimmungen, welche die Voraussetzung dafür bilden, dass die Bundesversammlung ihre Arbeit aufnehmen kann (1. Titel). Darauf folgt der zweite Titel über die Mitglieder der Bundesversammlung, welche die Räte und damit die Bundesversammlung bilden. Damit wird der individualistische Geist des Verfahrens der Bundesversammlung unterstrichen, das auf den Rechten und Pflichten der Ratsmitglieder aufbaut. Der dritte Titel «Aufgaben der Bundesversammlung» konkretisiert die verfassungsmässigen Aufgaben der Bundesversammlung und erlaubt die institutionellen Rechte des Parlamentes aufzulisten. Im heutigen GVG sind diese Rechte mit Verfahrensbestimmungen verbunden und über das ganze GVG verteilt. Mit den ersten drei Titeln sind die Voraussetzungen gegeben, damit die innere Organisation der Bundesversammlung und die Arbeitsteilung im Parlament geregelt werden kann (4. Titel). Der fünfte und sechste Titel über das Verfahren und über die Wahlen zeigen darauffolgend die Abläufe und Entscheidungsstrukturen innerhalb der Bundesversammlung und zwischen den Organen der Bundesversammlung auf. Die Titel sieben und acht regeln den Verkehr mit Bundesrat und Bundesgericht. Der neunte und letzte Titel enthält das Verfahren der Parlamentarischen Untersuchungskommission, das als ultima ratio der Oberaufsicht Ausnahmecharakter besitzt und deshalb gesondert dargestellt wird.

Neu gegenüber dem GVG sind insbesondere die Titel «Mitglieder der eidgenössischen Räte» und «Aufgaben der Bundesversammlung» sowie das Kapitel «Allgemeine Verfahrensbestimmungen» (1. Kap. des 5. Titels). Letzteres Kapitel erlaubt, die heute in den Geschäftsreglementen gleich lautend formulierten Verfahrensregeln übersichtlich im Parlamentsgesetz festzuhalten. Die Regelungen über das Verfahren in den Räten werden somit systematisch klarer von den Bestimmungen über das Verfahren zwischen den Räten getrennt.

2.4

Wichtige Themenbereiche

2.4.1

Informationsrechte

2.4.1.1

Ausgangslage

Ausgangspunkt für die Neugestaltung der Informationsrechte auf Gesetzesebene ist Artikel 153 Absatz 4 der Bundesverfassung von 1999: Danach stehen den Kommissionen «zur Erfüllung ihrer Aufgaben (...) Auskunftsrechte, Einsichtsrechte und Untersuchungsbefugnisse» zu. Dieser Grundsatz verlangt vom Gesetzgeber, dass die Informationsrechte der Aufgabenerfüllung der Kommissionen dienen und somit auf die Funktionen der Kommissionen zugeschnitten werden müssen. Die geltende Regelung im GVG kann diesen Voraussetzungen nur teilweise genügen. Sie ist bestimmt von der Kompetenz des Bundesrates zu entscheiden, ob er Informationen, die unter das Amtsgeheimnis fallen, an die Kommissionen weitergeben will oder nicht; gegebenenfalls kann er die Informationen in einem Bericht zuhanden der Kommissionen zusammenfassen (Art. 47bis und 47quater Abs. 2 GVG). Die Staatspolitische Kommission (SPK) hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, das System der Informationsrechte grundlegend zu überdenken und entsprechend der Verfassung neu zu konzipieren.

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In diese Überlegungen wurde auch eine Reform des Verfahrens über die Durchsetzung der Informationsrechte mit eingeschlossen. Die SPK ist der Auffassung, dass die Informationsrechte ihre Wirkung nur dann richtig entfalten können, wenn das Parlament als dem Bundesrat übergeordnetes Organ selber bestimmen kann, welche Informationen es für die Erfüllung seiner Aufgaben benötigt und welche nicht. Gerade im Bereich der Oberaufsicht wird deutlich, welche Bedeutung diesem Grundsatz zukommt, denn es kann nicht angehen, dass der Bundesrat als beaufsichtigte Behörde darüber entscheidet, welche Informationen er der Kontrollstelle weitergibt und welche nicht. Der Entwurf sieht deshalb neue Verfahrensmechanismen für den Fall vor, dass zwischen dem Bundesrat und den Kommissionen oder einem Ratsmitglied Uneinigkeit über die Ausübung der Informationsrechte besteht.

Abgesehen von diesen grundlegenden Überlegungen, drängt sich eine Überarbeitung der Informationsrechte auch deshalb auf, weil die geltenden Bestimmungen unübersichtlich und lückenhaft sind sowie verschiedene ungelöste Rechtsfragen aufwerfen.

So ist beispielsweise sowohl in der Praxis wie auch in der Lehre umstritten, in welchem Verhältnis die Informationsrechte der Legislativkommissionen zu denjenigen der Aufsichtskommissionen stehen, oder in welchem Umfang der Bundesrat zur Herausgabe von Unterlagen oder zur Erteilung von Auskünften überhaupt verpflichtet ist.2 Zudem ist die Regelungsdichte der Informationsrechte sehr unterschiedlich. Während das GVG im Bereich der Oberaufsicht die Informationsrechte ausführlich aufzählt, sind die Bestimmungen in anderen Bereichen eher spärlich.

Des Weiteren sind die Informationsrechte der Aufsichtskommissionen auf ihre heute zunehmend bedeutender werdende Aufgabe der Oberaufsicht über die ausgelagerten Verwaltungsbereiche und rechtlich verselbstständigten Betriebe auszurichten.

2.4.1.2

Kaskade der Informationsrechte

Die Informationsrechte der Kommissionen sind im Entwurf des Parlamentsgesetzes in Artikel 149 in Form einer allgemeinen Regelung aufgezählt. Die für die Aussenpolitischen Kommissionen (APK), die Aufsichtskommissionen und -delegationen sowie für die parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) speziellen Informationsrechte werden ergänzend in den besonderen Artikeln 151ff. und 165 aufgezählt. Neu werden auch die Informationsrechte der Ratsmitglieder in Artikel 8 geregelt. Auch nach der bisherigen Rechtslage haben die Ratsmitglieder Akteneinsichtsund Auskunftsrechte. Diese sind jedoch gesetzlich nicht geregelt, sondern nur in einer Weisung des Bundesrates an seine Departemente und ihre Ämter erwähnt.3 Diese unbefriedigende Rechtssituation soll nun geändert werden. Im Sinne der aufgaben- und funktionsgerechten Ausgestaltung der Informationsrechte der Kommissionen sollen die Ratsmitglieder die auf sie spezifisch zugeschnittenen Informationsrechte im Rahmen ihres parlamentarischen Mandats ausüben können.

2

3

Vgl. Regina Kiener, Informationsrechte der parlamentarischen Kommissionen, Bern 1994, S. 131ff. und 181; Philippe Mastronardi, Kriterien der demokratischen Verwaltungskontrolle, Basel 1991, S. 176ff.

Weisungen über Auskünfte, Akteneinsichtsgewährung und Aktenherausgabe an die Mitglieder der eidgenössischen Räte, an die parlamentarischen Kommissionen und an die Parlamentsdienste vom 29. Oktober 1975; SR 172.010 (Handbuch der Bundesversammlung Ziff. 24, S. 163ff.).

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Die Informationsrechte sind ­ wie im GVG ­ in einem Kaskadensystem aufgebaut, in dem von Stufe zu Stufe der Umfang der Informationsrechte aufsteigend grösser wird: Die unterste Stufe bilden die Informationsrechte der Ratsmitglieder, die zweite Stufe die Informationsrechte der Legislativkommissionen, die dritte Stufe die Informationsrechte der Aufsichtskommissionen und die vierte Stufe die Informationsrechte der Aufsichtsdelegationen und der PUK. Massgebend für die Bildung dieser Kaskade ist ­ neben dem verfassungsmässigen Grundsatz der aufgaben- und funktionsgerechten Ausgestaltung der Informationsrechte ­ Artikel 169 Absatz 2 der Bundesverfassung, wonach den Aufsichtsdelegationen bei der Ausübung der Informationsrechte keine Geheimhaltungspflichten entgegengehalten werden dürfen. Dieser Verfassungsartikel ist das Resultat langer Diskussionen in den Räten.4 Im Zentrum stand die Frage, ob die Aufsichtskommissionen Zugang zu allen Informationen des Bundesrates und der Verwaltung haben sollen und insbesondere, ob die Aufsichtskommissionen Einsicht in die Mitberichte der Departemente zu den Vorlagen des Bundesrates nehmen dürfen. Die Räte entschieden am Schluss, dass nur die Aufsichtsdelegationen Zugang zu den Entscheidungsgrundlagen des Bundesrates haben dürfen.

Dieser verfassungsmässige Rahmen bringt zum Ausdruck, dass dem Informationsbedürfnis des Parlaments, seiner Organe und Mitglieder Interessen der Geheimhaltung gegenüberstehen. Nicht jedes Ratsmitglied und jede Kommission darf zwingend Zugang zu allen Informationen des Bundesrates und der Bundesverwaltung haben. Dem Informationsbedürfnis des Parlaments stehen die Interessen der Behörden, aber auch die Interessen Privater an einer Geheimhaltung gegenüber. Die Informationsrechte dürfen weder den in den Grundrechten geregelten Persönlichkeitsschutz tangieren noch andere Verfassungsprinzipien unbeachtet lassen, wie beispielsweise das Kollegialprinzip und die freie Entscheidfindung des Bundesrates.

Um einen Ausgleich dieser Interessen herzustellen, schliesst das Parlamentsgesetz den Anspruch auf Informationen auf jeder Stufe der Kaskade für einzelne Sachbereiche aus. Die Sachbereiche sind spezifisch so gewählt, dass durch die Einschränkung die Aufgabenerfüllung und Funktion der Ratsmitglieder und Kommissionen nicht behindert wird. So ist beispielsweise
mit Ausnahme der Aufsichtsdelegationen und der PUK den Ratsmitgliedern und den Kommissionen der Zugang zu Informationen verwehrt, die entweder der unmittelbaren Entscheidfindung des Bundesrates dienen oder aus Staatssicherheitsgründen vertraulich bleiben müssen (Art. 8 Abs. 2 Bst. a und b und Art. 149 Abs.1 Bst. b). Auch dürfen die Informationsrechte der Ratsmitglieder nicht dazu dienen, dass die Ratsmitglieder Ombudsfunktion wahrnehmen und für Private Informationen bei den Behörden einsehen. Deshalb dürfen die Ratsmitglieder Informationen, die aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes vertraulich sein müssen, nicht erhalten (Art. 8 Abs. 2 Bst. c).

Neu an diesem Kaskadensystem der Informationsrechte ist, dass allein aus Gründen des Amtsgeheimnisses der Zugang zu Informationen nicht beschränkt werden kann.

Verweigert werden können Informationen nur, wenn sie nicht der Aufgabenerfüllung der Kommissionen und der Ausübung des parlamentarischen Mandats der Ratsmitglieder dienen oder einen durch das Parlamentsgesetz ausgeschlossenen Sachbereich betreffen. Das bedeutet aber nicht, dass die Ratsmitglieder und Kom4

Amtliches Bulletin, Separatdruck Reform der Bundesverfassung, 1998 N 88, 361, 474, 489; S 124, 191, 220, 225.

3487

missionen frei über die erhaltenen Informationen verfügen können. Erhalten die Ratsmitglieder Informationen, die unter das Amtsgeheimnis fallen, so sind sie an dieses gebunden und machen sich bei einer allfälligen Verletzung des Amtsgeheimnisses nach Artikel 320 Absatz 1 StGB strafbar. Dies entspricht bereits der heute geltenden Rechtsordnung und wird in Artikel 9 des Parlamentsgesetzes durch die Formulierung des parlamentarischen Amtsgeheimnisses hervorgehoben. Artikel 9 schafft damit Transparenz und macht deutlich, dass das Erhalten von umfassenden und präzisen Informationen mit Pflichten auferlegt ist, deren Konsequenzen allenfalls zu tragen sind. Mit diesem neuen System der Informationsrechte kann nach Auffassung der Kommission ein bedeutender Mangel des bisherigen Systems ausgeräumt werden. Es ist nämlich nicht einzusehen, warum die Ratsmitglieder einerseits bei Verletzung des Amtsgeheimnisses strafbar sind, anderseits aber vertrauliche Informationen gar nicht erhalten können.

2.4.1.3

Verfahren zur Durchsetzung der Informationsrechte und Geheimnisschutz

Allein diese gesetzlichen Vorkehrungen genügen aber nicht, um alle Geheimhaltungsinteressen zu berücksichtigen. Es wird im Einzelfall zu entscheiden sein, wie die Informationsrechte zweckmässig durchgesetzt werden sollen. Dazu hat das Parlamentsgesetz für jede Stufe der Kaskade Verfahrensstrukturen vorgesehen, die eine Abwägung zwischen Geheimhaltungsinteressen und Informationsbedürfnis des Parlaments ermöglichen, sofern zwischen dem Bundesrat und den Kommissionen oder den Ratsmitgliedern Uneinigkeit über die Ausübung der Informationsrechte besteht.

Die endgültige Entscheidungskompetenz liegt dabei neu bei der Bundesversammlung respektive ihren Organen. Auf der Stufe der Informationsrechte der Ratsmitglieder und der Kommissionen entscheiden die Ratspräsidien, ob ein Ratsmitglied oder eine Kommission Anspruch auf umstrittene Informationen hat oder nicht (Art. 8 Abs. 3 und Art. 149 Abs. 3). Die Aufsichtskommissionen und -delegationen entscheiden dagegen wie bisher selbstständig darüber, in welchem Umfang sie die Informationsrechte ausüben wollen (Art. 152 Abs. 4). Der Bundesrat muss vor dem Entscheid angehört werden, sodass durch die institutionalisierten Gespräche allen Interessen Rechnung getragen werden kann.

Der Bundesrat hat also weiterhin die Möglichkeit, einer parlamentarischen Kommission oder einem Ratsmitglied den Zugang zu Informationen zu verweigern. Die betroffene Kommission oder das betroffene Ratsmitglied können dann an das Ratspräsidium gelangen, das die beiden Parteien anhört und entscheidet, ob die Verweigerungsgründe gerechtfertigt sind oder nicht. Das Ratspräsidium muss dabei nicht nur das Informationsbegehren unterstützen oder ablehnen. Es kann beispielsweise auch entscheiden, dass einerseits eine Kommission oder ein Ratsmitglied Anspruch auf die umstrittenen Informationen hat, anderseits den entgegenstehenden wichtigen Geheimhaltungsinteressen aber insofern Rechnung getragen wird, indem besondere und geeignete Vorkehrungen für den Geheimnisschutz getroffen werden: So z.B., dass eine Subkommission zuhanden der Mutterkommission die umstrittenen Informationen prüft (Art. 149 Abs. 2) oder dass nur ein bestimmter Teil der strittigen Informationen dem Ratsmitglied zur Einsicht frei gegeben wird. Auch die Aufsichtskommissionen müssen vor ihrem Entscheid den Bundesrat anhören und sind verpflichtet, allenfalls Sicherheitsmassnahmen für den Geheimnisschutz zu treffen. Sie 3488

verfügen dazu zusätzlich über das Mittel, ihre Delegationen mit der Prüfung der Informationen zu beauftragen (Art. 152 Abs. 5).

Die Kompetenz der Ratspräsidien ist neu. Unter den Begriff «Ratspräsidium» fällt nach Artikel 34 das Dreiergremium jedes Rates, das sich aus der Ratspräsidentin oder dem Ratspräsidenten sowie den beiden Vizepräsidentinnen oder -präsidenten zusammensetzt (vgl. auch Art. 152 BV). Das Ratspräsidium ist als Kollektivorgan das geeignete Gremium zur Schlichtung solcher Konfliktfälle. Es strahlt nicht nur gegenüber den Ratsmitgliedern, sondern auch gegenüber dem Bundesrat eine gewisse Überparteilichkeit und Autorität aus. Um diese Kompetenz sinnvoll wahrnehmen zu können, muss es in die strittigen Unterlagen Einsicht nehmen können.

2.4.1.4

Stellungnahmen der Aufsichtskommissonen zum Entwurf

Die Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) und die Finanzkommissionen (FK) heissen in ihren Mitberichten den Entwurf und die Verbesserungen zum geltenden Recht, insbesondere die Aufwertung der Aufsichtsdelegationen, gut. Die GPK begrüsst zudem, dass ihre Kompetenz, die eigenen Informationsrechte selbstständig durchsetzen zu können, konsequent ausgestaltet ist. Nur so könne Oberaufsicht wirksam wahrgenommen werden. Artikel 152 Absatz 5 gewährleiste dabei, dass Geheimhaltungsinteressen nicht leichthin übergangen werden können, und die GPK werde somit angehalten sein, ihre Informationsrechte auf geeignete Weise durchzusetzen. Die Regelung lässt durch ihre offene Formulierung genügend Raum offen, sodass der Geheimnisschutz dem Einzelfall angepasst werden kann.

2.4.2

Grundsatz- und Planungsbeschlüsse (insb. für die Legislasturplanung und in der Aussenpolitik)

2.4.2.1

Ausgangslage

Die Bundesversammlung spielt eine zentrale Rolle bei der Rechtsetzung, indem sie die Gesetze erlässt und Volk und Ständen Verfassungsänderungen unterbreitet. In ausgewählten Fällen obliegt ihr auch die Rechtsanwendung, indem Verfassung oder Gesetz ihr die Kompetenz zum Erlass wichtiger Einzelakte zuweisen können. Staatsleitende Politikgestaltung besteht aber nicht nur aus Rechtsetzung und Rechtsanwendung. Rechtsetzung und Rechtsanwendung sind das Resultat eines Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesses. Dieser Prozess wird gesteuert durch Weichenstellungen, Grundsatzbeschlüsse und Vorentscheidungen, die zwar keine Rechtssätze darstellen, aber dennoch von erheblicher politischer Bedeutung sind, indem sie das spätere Resultat des Prozesses massgeblich vorbestimmen. In gewissen Politikbereichen, insbesondere in der Aussenpolitik, spielt Rechtsetzung ohnehin nur eine untergeordnete Rolle. Die Politikgestaltung erfolgt hier weitgehend durch (mehr oder minder explizite) Konzepte und Grundsatzbeschlüsse ohne Rechtssatzcharakter.

Die verfassungsrechtliche Stellung der Bundesversammlung als oberstes Repräsentationsorgan von Volk und Ständen verlangt, dass sie an dieser staatsleitenden Poli-

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tikgestaltung beteiligt ist. Die neue Bundesverfassung trägt dieser Forderung an verschiedenen Stellen Rechnung: Artikel 166 Absatz 1 Die Bundesversammlung beteiligt sich an der Gestaltung der Aussenpolitik (...).

Artikel 171 1. Satz Die Bundesversammlung kann dem Bundesrat Aufträge erteilen.

Artikel 173 Absatz 1 Buchstabe g Sie (die Bundesversammlung) wirkt bei den wichtigen Planungen der Staatstätigkeit mit.

Die alte Bundesverfassung enthielt keine analogen Bestimmungen. Die drei neuen Bestimmungen bringen aber keine materielle Neuerung, sondern haben nur die seit 1848 bestehende Verfassungswirklichkeit transparent gemacht. Welches Instrumentarium steht der Bundesversammlung nach geltendem Recht zur Verfügung, um diese Aufgaben wahrzunehmen?

a.

Parlamentarische Vorstösse In Ausführung von Artikel 171 BV kann die Bundesversammlung mit parlamentarischen Vorstössen die Erreichung bestimmter Ziele verlangen und damit Vorentscheidungen und Grundsatzbeschlüsse herbeiführen. Es handelt sich dabei um Initiativinstrumente der Bundesversammlung bzw. ihrer Organe und Mitglieder, die vorwiegend dazu dienen, Verfahren zu einzelnen Themen auszulösen (vgl. dazu im weiteren Ziff. 2.4.3).

b.

Konsultationen parlamentarischer Kommissionen Die Beteiligung der Bundesversammlung «an der Gestaltung der Aussenpolitik» zeigt sich insbesondere darin, dass der Bundesrat durch Artikel 47bisa GVG verpflichtet ist, die für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen zu den «Richt- und Leitlinien» für Verhandlungsmandate zu konsultieren (vgl. dazu im Weiteren Ziff. 3, Erläuterungen zu Art. 151).

c.

Kenntnisnahme von Berichten des Bundesrates Die Mitwirkung der Bundesversammlung «bei den wichtigen Planungen der Staatstätigkeit» und teilweise auch die Beteiligung «an der Gestaltung der Aussenpolitik» zeigt sich darin, dass der Bundesrat der Bundesversammlung Berichte über Gesamtplanungen der Bundespolitik oder Konzepte und Planungen zu einzelnen Themenbereichen (z.B. zur Aussenpolitik) zur Kenntnisnahme unterbreitet. Einzelne Berichte sind durch das Gesetz vorgesehen, so die Berichte über die Legislaturplanung (Art. 45bis GVG), über den Finanzplan der Legislaturperiode sowie über den jährlichen Finanzplan (Art. 23 Finanzhaushaltgesetz). Gemäss Artikel 10 des Bundesgesetzes über aussenwirtschaftliche Massnahmen berichtet der Bundesrat der Bundesversammlung «einmal jährlich über wichtige Fragen der Aussenwirtschaftspolitik».

Weitere Berichte unterbreitet der Bundesrat der Bundesversammlung aus freiem Ermessen oder auf Grund eines überwiesenen Postulates, siehe z.B.

den Bericht über die Aussenpolitik der Schweiz in den 90er-Jahren vom 29. November 1993 (BBl 1994 I 153), den Bericht über die Sicherheitspolitik der Schweiz vom 7. Juni 1999 (BBl 1999 7657) und den Aussenpolitischen Bericht 2000 vom 15. November 2000 (BBl 2001 261). «Kenntnis-

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nahme» bedeutet lediglich, dass sich der Rat mit dem Bericht befasst hat. In der Praxis heisst dies in der Regel, dass eine Aussprache im Rat stattgefunden hat. Das Parlament kann den Bericht zum Anlass nehmen, parlamentarische Vorstösse zu überweisen, oder es kann den Bericht oder Teile desselben zurückweisen und Änderungen verlangen.

d.

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Einfache Bundesbeschlüsse Auch die Form des einfachen Bundesbeschlusses steht der Bundesversammlung für Grundsatzbeschlüsse zur Verfügung. Mit Bundesbeschluss vom 3. Juni 1987 über die Totalrevision der Bundesverfassung hat sie den Bundesrat beauftragt, ihr einen Verfassungsentwurf zu unterbreiten und ihm dafür inhaltliche Richtlinien vorgegeben (BBl 1987 II 963). Mit seiner Botschaft vom 27. Januar 1999 zur Volksinitiative «Ja zu Europa» hat der Bundesrat der Bundesversammlung den Entwurf zu einem indirekten Gegenentwurf zu dieser Volksinitiative in der Form eines einfachen Bundesbeschlusses unterbreitet (BBl 1999 3830). Dieser Entwurf sah vor, dass das Ziel und die Grundsätze des Verfahrens der schweizerischen Integrationspolitik festgehalten werden. Die Rechtswirkung dieser einfachen Bundesbeschlüsse unterscheidet sich nicht von der Rechtswirkung einer Motion. In seinem Bericht über die Totalrevision der Bundesverfassung vom 6. November 1985 hielt der Bundesrat fest: «Ob die Bundesversammlung auch den neuen Auftrag in die Form der Motion kleidet oder ob sie dafür den einfachen Bundesbeschluss wählt, ist rechtlich belanglos» (BBl 1985 III 113). Dasselbe gilt für den Entwurf des «Bundesbeschlusses über Beitrittsverhandlungen der Schweiz mit der europäischen Union». In seiner Begründung behielt sich der Bundesrat ausdrücklich die «Wahrung seiner verfassungsrechtlichen Regierungsverantwortung» vor (BBl 1999 3838). Dieser einfache Bundesbeschluss hätte nicht eine rechtliche zwingende, sondern letztlich nur eine politische Verpflichtung mit sich gebracht5: «Dem Bundesrat liegt daran, darauf hinzuweisen, dass das Ergebnis der parlamentarischen Beratung über den einfachen Bundesbeschluss ein zentrales Beurteilungselement darstellt für die Frage, ob die innenpolitischen Voraussetzungen für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen gegeben sind. Er ist der festen Ansicht, dass er dann über Reaktivierung des schweizerischen Beitrittsgesuchs entscheiden und anschliessend mit der EU Erfolg versprechend verhandeln kann, wenn eine Mehrheit der eidgenössischen Räte die bundesrätliche Integrationspolitik mitträgt» (BBl 1999 3837). Der Unterschied zwischen Motion und einfachem Bundesbeschluss liegt nicht in der Rechtswirkung, sondern im Verfahren. Das Parlament kann im normalen Verfahren der Beratung von Erlassentwürfen
Änderungen vornehmen. Das qualifiziertere Verfahren der Beratung des Entwurfes für einen einfachen Bundesbeschluss verschafft dem Resultat eine höhere politische Verbindlichkeit. Zudem erlaubt dieses Verfahren im Gegensatz zum Verfahren der Motion, dass der Bundesrat von sich

Dieser einfache Bundesbeschluss hat allerdings in anderer Beziehung eine unmittelbare Rechtsfolge: als indirekter Gegenentwurf zur Volksinitiative bewirkt er eine Verlängerung der Behandlungsfrist der Volksinitiative gemäss Art. 27 Abs. 5bis GVG.

3491

aus einen Entwurf vorlegen und sich auf diese Weise eine erhöhte demokratische Legitimation seiner Politik verschaffen kann6.

Die Mängel und der Reformbedarf im Bereich der parlamentarischen Vorstösse und der Konsultationen durch parlamentarische Kommissionen werden weiter unten dargelegt (Ziff. 2.4.3 und 3).

Folgende Mängel des Verfahrens der Kenntnisnahme wichtiger Planungen und Konzepte des Bundesrates können festgestellt werden:

6

­

Die blosse Kenntnisnahme verbleibt in jeder Hinsicht ­ rechtlich und politisch ­ unverbindlich. Die entsprechenden Beratungen dienen allein der Artikulation einzelner Ratsmitglieder und damit dem Meinungsaustausch. Es ist daher schwierig, aus diesen Beratungen einigermassen zuverlässige Rückschlüsse zu ziehen, ob durch den Bundesrat vorgelegte Ziele und Konzepte tatsächlich von einer Mehrheit getragen werden oder nicht. Der Stellenwert dieser Ziele und Konzepte wird daher durch die Beratung nicht verbessert. Häufig werden denn auch derartige Beratungen als unnötiger Zeitverlust empfunden.

­

Eine differenzierte parlamentarische Stellungnahme zu einzelnen vorgeschlagenen Zielen im Rahmen umfassenderer Planungen und Konzepte ist zwar möglich, das Verfahren ist aber unbefriedigend. Im Verfahren der Behandlung der Legislaturplanung ist zwar vorgesehen, dass die Bundesversammlung mit Richtlinienmotionen (Art. 45ter Abs. 2 GVG) andere Akzente setzen kann. Die Auswahl dieser Motionen erfolgt aber weniger auf Grund einer gesamthaften Prüfung der Planung als auf Grund recht zufälliger Präferenzen, die in den vorberatenden Kommissionen geäussert werden. Zu anderen Berichten können Rückweisungsanträge gestellt werden, verbunden mit dem Auftrag, den Bericht in diesem oder jenem Sinn zu überarbeiten. Bei der Beratung des aussenpolitischen Berichtes im Nationalrat am 7. März 1994 wurden z.B. vier sich thematisch überschneidende Rückweisungsanträge gestellt (Amtl. Bull. N 1994 174). Eine einigermassen übersichtliche Beratung und Beschlussfassung über die einzelnen Anliegen war da nicht möglich.

­

Als Folge des zunehmenden Unbehagens über die Form der Kenntnisnahme wurde mit der Änderung des GVG vom 23. Juni 1995 ein neuer Artikel 44bis eingeführt. Danach kann jeder Rat «ausdrücklich beschliessen, von einem Bericht in zustimmendem oder ablehnendem Sinne Kenntnis zu nehmen».

Eine differenzierte Stellungnahme ist damit nach wie vor nicht möglich. ZuEin weiteres Beispiel stellt der Entwurf des Bundesrates für einen Bundesbeschluss über die Kenntnisnahme des Konzeptes BAHN 2000 dar. In der Botschaft führte der Bundesrat aus: «Angesichts der Bedeutung des Konzeptes BAHN 2000 für die Gestaltung des öffentlichen Verkehrs und der Verkehrspolitik überhaupt, erachten wir es als angezeigt, dass das Parlament sich nicht damit begnügt, den Bericht zu diskutieren und einen bloss formlosen Beschluss fasst. Seine Stellungnahme sollte in einem formellen Erlass zum Ausdruck kommen. Dazu kommt einzig die Form des einfachen Bundesbeschlusses in Frage» (BBl 1986 I 262). Die Bundesversammlung hat dann den Inhalt dieses einfachen Bundesbeschlusses in den allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss eingebaut, mit dem sie über den Bau der neuen Linien Beschluss fasste (BBl 1987 I 46). Dieser dem Referendum unterstellte Bundesbeschluss ist also einerseits in seinem Art. 1 ein Grundsatzbeschluss (siehe dazu Ziff. 2.4.2.3), andererseits in seinem Art. 2 ein Einzelakt, wie ihn die neue BV in Art. 173 Abs. 1 Bst. h nun ausdrücklich vorsieht.

3492

dem stellt sich nun die Frage, welches die Wirkung der «Kenntnisnahme im zustimmenden Sinn» ist. Eine zwingende rechtliche Verbindlichkeit entsteht nicht ­ so wenig wie bei allen anderen Formen der Beschlussfassung im Bereich der staatsleitenden Politikgestaltung. Hingegen entsteht anders als bei der blossen Kenntnisnahme eine politische Verbindlichkeit7. Problematisch dabei ist, dass das Parlament eine globale Sanktionierung der im Bericht dargelegten Vorhaben des Bundesrates vornimmt, obwohl es sich zu den einzelnen Vorhaben gar nicht ausgesprochen hat. Es bleibt unklar, ob bloss eine positive politische Gesamtwürdigung vorgenommen wurde oder ob wirklich die Gesamtheit der einzelnen Vorhaben positiv beurteilt wird. Bundesrat und Verwaltung werden bei der späteren Realisierung eher von der letzteren Annahme ausgehen und sich darauf berufen, das Parlament habe ja den Bericht «genehmigt».

2.4.2.2

Die Form des einfachen Bundesbeschlusses für die Beschlussfassung zur Legislaturplanung, zum Aussenpolitischen Bericht und zu weiteren wichtigen Berichten des Bundesrates

Die festgestellten Mängel des Verfahrens der Kenntnisnahme wichtiger Planungen und Konzepte des Bundesrates können behoben werden, indem sich die Bundesversammlung dazu vermehrt in der Form des einfachen Bundesbeschlusses ausspricht.

Insbesondere ist diese Form für die Legislaturplanung (Art. 145/146), für die Finanzplanung (Art. 142) und für den Aussenpolitischen Bericht (Art. 147 Abs. 3) vorzusehen; ferner soll sich die Bundesversammlung auch zu weiteren wichtigen Berichten in dieser Form äussern.

In der Praxis kann der Bericht über die Legislaturplanung so ausgestaltet werden, dass z.B. die Ziele der 26 im Bericht über die Legislaturplanung 1999­2003 dargestellten Richtliniengeschäfte in der Form von 26 Artikeln eines einfachen Bundesbeschlusses definiert werden. Die Wahl des richtigen Konkretisierungsgrades ist von grosser Bedeutung: Wenn die Ziele zu allgemein und zu vage formuliert sind, dann wird die Beschlussfassung darüber nichtssagend; zu detaillierte Zielsetzungen sind hingegen auch nicht zweckmässig, weil im Verlaufe der Realisierung der Ziele ohnehin noch einiger politischer Spielraum besteht und weil sich daher der mit der intensiveren Detailberatung verbundene Aufwand nicht lohnt. Da der Bundesrat den Entwurf vorlegt, kann er einen aus seiner Sicht geeigneten Konkretisierungsgrad wählen; das Parlament hat die Möglichkeit, Präzisierungen und Änderungen anzubringen.

Ähnlich soll anderen wichtigen Berichten des Bundesrates ein Entwurf eines einfachen Bundesbeschlusses beigegeben werden. Die Rolle des Bundesrates gleicht dabei der Rolle einer methodisch versierten Referentin, die ihrem Referat ein Blatt mit 10 Thesen beifügt, damit die nachfolgende Diskussion besser strukturiert und die mehrheitliche Meinung der Diskussionsteilnehmer besser festgestellt werden kann.

Der den aussenpolitischen Bericht von 1993 begleitende Bundesbeschluss über die Ziele der schweizerischen Aussenpolitik hätte z.B. einen Artikel enthalten können, 7

Allerdings wird auch bei der blossen Kenntnisnahme in der Öffentlichkeit häufig der unzutreffende Eindruck vermittelt, das Parlament habe den Bericht «angenommen» oder «genehmigt».

3493

wonach die Unterstützung osteuropäischer Staaten an die Bedingung geknüpft wird, dass im Empfängerland Rechtsstaatlichkeit, der Schutz der Menschenrechte und der politische Pluralismus gewahrt sind oder wenigstens ernsthafte und glaubhafte Schritte in diese Richtung unternommen werden (BBl 1994 I 181).

Dieses neue Verfahren hat folgende Vorteile:

8

­

In erster Linie ist von einer praktischen Überlegung auszugehen: Das normale Verfahren der Beratung eines Erlassentwurfes, insbesondere die Detailberatung der einzelnen vorgeschlagenen Bestimmungen, ist Voraussetzung dafür, dass sich die Bundesversammlung bzw. ihre Organe und einzelnen Mitglieder in einem transparenten und demokratischen Entscheidungsprozess zu den einzelnen Elementen einer wichtigen Planung oder der Gesamtkonzeption z.B. der Aussenpolitik äussern können.

­

Dieses qualifiziertere Verfahren schafft eine erhöhte politische Verbindlichkeit wichtiger Planungen oder Gesamtkonzeptionen. Der Stellenwert der Legislaturplanung und der Finanzplanung wird erhöht, indem der Bundesrat politisch verbindlichere Hinweise erhält, welche Ziele von einer Mehrheit der Bundesversammlung unterstützt werden und wie diese Ziele näher definiert werden. Der erhöhte Stellenwert der Planungen könnte auch ihre Funktion als Führungsinstrument des Gesamtbundesrates gegenüber den Departementen und der Verwaltung stärken.

­

Die erhöhte politische Verbindlichkeit wichtiger politischer Planungen und Gesamtkonzepte ist Voraussetzung dafür, dass die Bundesversammlung ihre verfassungsmässige Aufgabe der Mitwirkung an der staatsleitenden Politikgestaltung besser wahrnehmen kann. In den Bereichen der Gesetzgebung und der Finanzhoheit sind zum Zeitpunkt, wenn der Bundesrat der Bundesversammlung einen Gesetzesentwurf oder den Entwurf des Voranschlages unterbreitet, häufig bereits wesentliche Vorentscheide gefällt worden, die nicht oder nur schwer rückgängig zu machen sind. Die Gesetzgebungskompetenz und die Finanzhoheit der Bundesversammlung werden dadurch de facto eingeschränkt. Die Bundesversammlung kann diese ihre wichtigsten Kompetenzen wieder umfassender wahrnehmen, wenn sie bei der Legislatur- oder Finanzplanung oder allenfalls auch in Form von Grundsatzbeschlüssen zu einzelnen besonders wichtigen Gesetzgebungsvorhaben8 politisch verbindlichere Vorentscheide treffen kann.

Diese Anwendung des «Grundsatzbeschlusses» hat die von den SPK eingesetzte Expertenkommission «Kompetenzverteilung zwischen Bundesversammlung und Bundesrat» in ihrem Schlussbericht vom 15.12.1995 angeregt (BBl 1996 II 459­464).

Nach diesem Vorschlag sollte der «Grundsatzbeschluss» systematisch angewendet werden, um Vorentscheide für die spätere Ausgestaltung von einzelnen wichtigen Verfassungsänderungen und Bundesgesetzen zu treffen. Hingegen wurde der «Grundsatzbeschluss» für die flächendeckende Legislaturplanung als weniger geeignet betrachtet. In der Beratung dieses Vorschlages in den SPK haben die in dem Bericht auch bereits dargelegten Bedenken wegen einer Verlängerung des Gesetzgebungsverfahrens und einer Überinstrumentierung überwogen. Diesen Bedenken wird hier Rechnung getragen, indem der einfache Bundesbeschluss in erster Linie bei der ohnehin bereits gesetzlich vorgesehenen Legislaturplanung eingeführt wird. Das schliesst nicht aus, dass in einzelnen Fällen in der Anfangsphase eines länger dauernden, wichtigen Gesetzgebungsverfahrens Berichte mit einem Entwurf eines einfachen Bundesbeschlusses über die Grundsätze des künftigen Gesetzes sinnvoll sein könnten. Ein solches Vorgehen könnte auch im Interesse des Bundesrates liegen.

3494

­

Weil die Aussenpolitik nicht über die Gesetzgebung gesteuert werden kann, ist der einfache Bundesbeschluss das geeignete Instrument, damit die Bundesversammlung ihre verfassungsmässige Aufgabe der Beteiligung an der mittel- und längerfristigen9 Gestaltung der Aussenpolitik effektiv und in politisch verbindlicher Weise wahrnehmen kann.

Im Rahmen der parlamentsinternen Konsultation zum Vorentwurf des Parlamentsgesetzes haben die Finanzkommissionen beider Räte sowie die nationalrätliche Spezialkommission zur Vorberatung der Legislaturplanung 1999­2003 dieser Anwendung des einfachen Bundesbeschlusses im Grundsatz zugestimmt. Auch die Aussenpolitischen Kommissionen sind der Auffassung, zur Aussenpolitik sollten Grundsatzbeschlüsse gefasst werden können. Dies, wenn der parlamentarischen Willensäusserung ein besonderes Gewicht und verbindliche Wirkung gegeben werden soll.

Welche Einwände können gegen dieses Verfahren vorgebracht werden und wie können diese entkräftet werden?

In der vor allem in den 70er- und 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts geführten Diskussion10 über die Formen der Mitwirkung des Parlamentes an der politischen Planung ist man davon ausgegangen, eine Genehmigung der Planung durch das Parlament oder ein eigener Planungsbeschluss des Parlamentes schaffe ein Ausmass an rechtlicher Verbindlichkeit der Planung, das dem Wesen von Planung nicht gerecht werde. Nicht nur der notwendige Handlungsraum der Regierung für die spätere Realisierung der Planung werde dadurch eingeengt, sondern es werde auch eine unerwünschte Selbstbindung des Parlamentes geschaffen. In seinem Bericht vom 10. März 1986 über die Mitwirkung des Parlamentes an der politischen Planung führte der Bundesrat aus, ein parlamentarischer Entscheid über die Planung verschaffe dieser «eine formell-rechtliche Verbindlichkeit, welche der Verbindlichkeit von Gesetzen nahe kommt»11. Die Bindung an den Plan hätte zur Folge, dass bei der späteren Realisierung durch die Gesetzgebung von der Planung erst nach vorgängiger Planänderung abgewichen werden dürfte ­ ein offensichtlich unzweckmässiges, schwerfälliges Vorgehen.

Ähnliche Einwände werden auch gegen die Verwendung des einfachen Bundesbeschlusses als Instrument der Bundesversammlung zur Beteiligung an der Gestaltung der Aussenpolitik erhoben. Als die SPK im Rahmen der Beratung der neuen BV den Antrag stellte, die Bundesversammlung solle die grundlegenden Ziele der Aussenpolitik festlegen, machte der Bundesrat geltend, damit würde der «Gesetzesvorbehalt in der Aussenpolitik» eingeführt; dem Bundesrat blieben «reine Vollzugsaufgaben».

Dadurch würde die Handlungsfähigkeit der Schweiz gegen aussen entscheidend geschwächt12.

9

10

11 12

Mehr der kurzfristigen Orientierung dienen demgegenüber die Instrumente der parlamentarischen Vorstösse und der Konsultation der Aussenpolitischen Kommissionen zu einzelnen aussenpolitischen Vorhaben des Bundesrates.

Siehe insb. den Bericht der Kommission des Nationalrates vom 16.5.1978 zur parlamentarischen Initiative Weber-Arbon (BBl 1978 II 95) und den Bericht des Bundesrates vom 10.3.1986 über die Mitwirkung des Parlamentes bei der politischen Planung (BBl 1986 II 1).

BBl 1986 II 26. Ähnlich bereits BBl 1978 II 108.

Zusatzbericht der SPK vom 6.3.1997 zur Verfassungsreform, BBl 1997 III 280; Stellungnahme des Bundesrates vom 9.6.1997, BBl 1997 III 1495.

3495

Ähnlich argumentierte der Bundesrat in seiner Antwort vom 27. September 1999 auf eine Motion Zbinden (99.3089 Aussenpolitische Konzeption der Schweiz) vom 17. März 1999. Er warf dem Motionär vor, mit seinem Vorschlag eines Konzeptes der schweizerischen Aussenpolitik in der Form eines einfachen Bundesbeschlusses würden «die Parameter der schweizerischen Aussenpolitik auf Jahre hinaus festgefroren». Widersprüchlich wird die Argumentation, wenn der Bundesrat in demselben Zusammenhang auf seinen eigenen Entwurf eines einfachen Bundesbeschlusses als Gegenentwurf zur Volksinitiative «Ja zu Europa» hinweist, womit «sich die Eckwerte in einem klar definierten Teilbereich der Aussenpolitik genauer bestimmen lassen». Die beiden zur Diskussion stehenden einfachen Bundesbeschlüsse haben offensichtlich dieselbe Rechtsnatur; es ist schwer verständlich, warum der Bundesrat den einen als schlicht verfassungswidrig betrachtet, während er den anderen selbst dem Parlament zur Beschlussfassung unterbreitet.

Diese Einwände gegen die Verwendung des einfachen Bundesbeschlusses beruhen auf einem zu wenig differenzierten Verständnis der rechtlichen Verbindlichkeit derartiger Bundesbeschlüsse. Es wird von einer einfachen Antinomie zwischen rechtlicher Verbindlichkeit einerseits und Unverbindlichkeit andererseits ausgegangen, wobei die Vorstellung von rechtlicher Verbindlichkeit offensichtlich geprägt ist von der imperativen Verbindlichkeit des Gesetzes. Dem ist entgegenzuhalten, dass das Ausmass der rechtlichen Verbindlichkeit irgendwelcher Beschlüsse sehr verschieden sein kann. Dieser Umstand ist auch von der Lehre nicht unbemerkt geblieben. Thomas Cottier z.B. differenziert zwischen unverbindlicher informativer Planung, indikativer Planung, rechtlich relevanter influenzierender Planung und verbindlicher imperativer Planung, wobei eine klare Abgrenzung dieser Kategorien nicht möglich ist. Parlamentarische Grundsatz- und Planungsbeschlüsse wären bei dieser Kategorienbildung wohl der «rechtlich relevanten influenzierenden Planung» zuzurechnen.

Rechtliche Verbindlichkeit ist also nicht in jedem Fall absolut zu setzen, sondern je nach Umständen von relativer Natur. Das heisst nun aber auch, dass eine «relative rechtliche Verbindlichkeit» letztlich «nur» eine politische Verbindlichkeit ist. Thomas Cottier drückt dies wie
folgt aus: «Die Vorstellung rechtlicher Verbindlichkeit verläuft [...] als Behördenverbindlichkeit gleichsam mit der politischen Verbindlichkeit und hängt mangels gerichtlicher Durchsetzungsmöglichkeiten letztlich auch von dieser ab»13. Sehr schön hält dies auch Martin Lendi fest: «Letztlich ist die politische Kraft bestimmend, die sich mit dem Gesamtplan und den Sachplänen verbindet. Sie kann nicht formaliter den Plänen beigefügt werden, sondern ist das Ergebnis des in die Pläne hineingelegten und mit ihnen verbundenen politischen Willens.»14 Wäre die Bindungswirkung eines einfachen Bundesbeschlusses tatsächlich ähnlich derjenigen eines Bundesgesetzes, so wäre der Einwand gerechtfertigt, dass dieser Bundesbeschluss nicht mit den Verfassungsbestimmungen in Einklang wäre, wonach das Parlament zwar bei den wichtigen Planungen mitwirkt und sich an der Gestaltung der Aussenpolitik beteiligt, nicht aber diese Planungen und die Aussenpolitik einseitig festlegt. Die verfassungsmässige Zuständigkeitsordnung wäre verletzt.

Das Verständnis der rechtlichen Verbindlichkeit eines derartigen einfachen Bundes13 14

Thomas Cottier, Die Rechtsnatur «unverbindlicher» Entwicklungspläne, ZSR 1984, S. 394 und 412.

Martin Lendi, Gesamtplanung und Sachplanungen, in: Staatsorganisation und Staatsfunktion im Wandel, Festschrift für Kurt Eichenberger, Basel/Frankfurt a/M 1982, S. 545

3496

beschlusses als relative rechtliche Verbindlichkeit ist also Voraussetzung dafür, dass dieses Instrument in einem Bereich verwendet wird, für welchen Bundesversammlung und Bundesrat gemeinsam zuständig sind. Seine Verbindlichkeit im Verhältnis zwischen Bundesversammlung und Bundesrat ist letztlich «bloss» politischer Natur.

Das Ausmass dieser Verbindlichkeit bzw. der Spielraum bei der späteren Realisierung richtet sich nach verschiedenen Faktoren, insbesondere nach der Qualität des Verfahrens der Beschlussfassung und nach dem Konkretisierungsgrad. Ändern sich die Umstände im Zeitraum zwischen der Beschlussfassung über Planungen und Grundsätze und deren Realisierung, so vermindert sich die politische Verbindlichkeit der Beschlüsse oder kommt gänzlich abhanden15 Der Bundesrat und natürlich auch die Bundesversammlung selbst können in diesem Fall von früheren Planungsund Grundsatzbeschlüssen abweichen. Eine solche Abweichung muss begründet werden16.

Die Expertenkommission «Kompetenzverteilung zwischen Bundesversammlung und Bundesrat» hat eine Definition der Rechtsnatur von Grundsatz- und Planungsbeschlüssen vorgeschlagen, die den Einwänden gegen die Verwendung des einfachen Bundesbeschlusses für derartige Beschlüsse Rechnung trägt: «Es sind Vorentscheidungen, die festlegen, dass bestimmte Ziele anzustreben, Grundsätze und Kriterien zu beachten oder Massnahmen zu planen sind» (BBl 1996 II 461). Vorentscheide sind nicht definitive Entscheide; wesensgemäss besteht zwischen Vorentscheid und Endentscheid ein Handlungsspielraum. Die SPK hat, unterstützt von den APK und FK beider Räte sowie der nationalrätlichen Spezialkommission für die Legislaturplanung 1999­2003, diesen Formulierungsvorschlag der Expertenkommission in Artikel 28 des Parlamentsgesetzes aufgenommen. Auf Anregung der APK hat die SPK ausserdem beigefügt, dass der Bundesrat von Planungs- und Grundsatzbeschlüssen begründet abweichen darf.

2.4.2.3

Die Form des dem Referendum unterstellten Bundesbeschlusses für Grundsatzbeschlüsse von grosser Tragweite

Mit der letzten Totalrevision des GVG von 1962 wurde der allgemein verbindliche Bundesbeschluss als Erlassform definiert, der ausschliesslich für Rechtssätze zu verwenden ist (Art. 6 GVG, aufgehoben durch die Teilrevision vom 8. Oktober 1999). Die Folge davon war, dass grundsätzlich nur Rechtssätze dem Referendum unterstellt waren. Die Lehre hat seither überzeugend dargelegt, dass diese Einschränkung des Referendumsrechts nicht dem Willen des Verfassungsgebers von 1874 entsprach17. Das Demokratieprinzip des schweizerischen Staatsrechts verlangt, dass materielle Kriterien (wie insbesondere die Wichtigkeit einer Regelung) darüber 15

16 17

Thomas Cottier (vgl. Fn. 13, S. 408): «Bei alldem ist klar, dass diese Faktoren keine strikte Verbindlichkeit hervorrufen können, da der Plan von Anfang an der Möglichkeit rollender Anpassung unterliegt. (...) Der Plan ist insofern und insoweit verbindlich, als nicht veränderte Umstände und Rahmenbedingungen zu einer sachlichen und zeitlichen Plananpassung Anlass geben».

Im Falle der Legislaturplanung besteht schon heute eine gesetzliche Begründungspflicht für Abweichungen (Art. 45 Abs. 5 GVG).

Siehe dazu bereits den Zusatzbericht der SPK vom 6.3.97 zur Verfassungsreform, mit Literaturhinweisen, BBl 1997 III 289f.

3497

entscheiden, ob das Parlament oder gegebenenfalls das Volk für eine Regelung zuständig ist. Nicht nur Rechtssätze, sondern auch andere Beschlüsse können von derartiger Tragweite sein, dass sie durch die Bundesversammlung und gegebenenfalls durch das Volk gefällt werden sollen, damit ihre notwendige demokratische Legitimation hergestellt werden kann. Das gilt einerseits für Einzelakte (vgl. Art. 173 Abs. 1 Bst. h BV, siehe Art. 29 dieses Gesetzesentwurfes), andererseits aber auch für Grundsatzbeschlüsse.

Die Praxis hat sich in einigen Fällen über die 1962 vorgenommene Beschränkung des allgemein verbindlichen Bundesbeschlusses auf Rechtssätze hinweggesetzt und wichtige Einzelakte und Grundsatzbeschlüsse dennoch in diese Form gekleidet, um sie dem Referendum unterstellen zu können. Beispiele sind der «Bundesbeschluss betreffend das Konzept Bahn 2000» vom 19. Dezember 198618 und der «Bundesbeschluss über den Bau der schweizerischen Eisenbahn-Alpentransversale (Alpentransit-Beschluss)» vom 4. Oktober 1991 (SR 742.104). Beide Beschlüsse enthalten sowohl Grundsatzbeschlüsse als auch Einzelakte sowie ­ allerdings nur am Rande ­ auch rechtsetzende Bestimmungen. Ein Grundsatzbeschluss ist z.B. Artikel 3bis 2. Satz des Alpentransit-Beschlusses: «Im Güterverkehr ist namentlich die optimale Einbindung in die europäischen Bahnkorridore für den Unbegleiteten Kombinierten Verkehr (UVK) zu verwirklichen.» Diese Bestimmung hat offensichtlich dieselbe Rechtsnatur, wie sie oben in Ziffer 2.4.2.2 ausführlich dargelegt worden ist: Es handelt sich um staatsleitende Politikgestaltung ohne unmittelbar verpflichtende rechtliche Verbindlichkeit, aber mit einer politischen Verbindlichkeit, die durch das in besonderem Ausmass qualifizierte Verfahren ­ die Sanktionierung durch das Volk ­ gegenüber einem blossen einfachen Bundesbeschluss noch erheblich verstärkt wird.

Aber auch hier gilt, dass diese politische Verbindlichkeit bei veränderten Umständen hinfällig werden könnte. Niemand würde in diesem Fall verlangen, dass dieser Satz des Alpentransit-Beschlusses zuerst geändert werden müsste, bevor eine andere Politik realisiert werden kann ­ was zeigt, dass diese Bestimmung keine unmittelbar verpflichtende rechtliche Verbindlichkeit entfaltet.

Die neue BV hat die Erlassform des allgemein verbindlichen Bundesbeschlusses aufgehoben
und sieht die Form des Bundesgesetzes nur für rechtsetzende Bestimmungen vor. Wenn transparent gemacht werden soll, dass Grundsatzbeschlüsse von grosser Tragweite gemäss der bisherigen gelegentlichen Praxis und gemäss der Forderung der Lehre dem Referendum unterstellt werden können, so muss im neuen Parlamentsgesetz eine entsprechende Bestimmung aufgenommen werden. Es handelt sich dabei um eine Gesetzesbestimmung gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe c nBV, wonach das Gesetz vorsehen kann, dass ein Bundesbeschluss dem fakultativen Referendum unterstellt wird.

18

SR 742.100. Siehe dazu oben Fussnote 6.

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2.4.3

Rechtswirkung und Verfahren der Motion

2.4.3.1

Rechtswirkungen der bestehenden Auftragsinstrumente

Artikel 171 BV lautet: Die Bundesversammlung kann dem Bundesrat Aufträge erteilen. Das Gesetz regelt die Einzelheiten, insbesondere die Instrumente, mit welchen die Bundesversammlung auf den Zuständigkeitsbereich des Bundesrates einwirken kann.

Damit wurde in der Bundesverfassung festgeschrieben, was von einem Teil der Lehre und vom Bundesrat bestritten worden war, was aber in der Praxis im Grunde eine Selbstverständlichkeit darstellt: dass nämlich im politischen Prozess die Bundesversammlung auf den Zuständigkeitsbereich des Bundesrates einwirkt, genauso wie umgekehrt der Bundesrat auf den Zuständigkeitsbereich der Bundesversammlung einwirkt (indem er z.B. an den parlamentarischen Beratungen über Gesetzesentwürfe teilnimmt). Die Form der Einwirkung wird in Artikel 171 BV offen gelassen und muss durch das Gesetz näher bestimmt werden.

Das heutige Recht kennt vier Instrumente, mit welchen die Bundesversammlung dem Bundesrat Aufträge erteilen kann: a.

Mit einer Motion wird der Bundesrat beauftragt, «den Entwurf zu einem Bundesgesetz oder Bundesbeschluss vorzulegen oder eine Massnahme zu treffen» (Art. 22 GVG). Diese mit Änderung des GVG vom 22. Juni 1990 erstmals auf Gesetzesstufe vorgenommene Definition der Rechtswirkung der Motion lässt offen, welche «Massnahmen» gemeint sind. Diese Frage wurde offen gelassen, weil sich der Nationalrat einerseits und der vom Bundesrat unterstützte Ständerat andererseits bei dieser Gesetzesrevision bis in die Einigungskonferenz über die Antwort nicht einig werden konnten. Das Geschäftsreglement des Nationalrates betrachtet eine Motion nur dann als unzulässig, wenn «sie auf eine in gesetzlich geordnetem Verfahren zu treffende Verwaltungsverfügung oder einen Beschwerdeentscheid einwirken will oder dessen nachträgliche Änderung verlangt» (Art. 32 Abs. 1 GRN). Also kann der Bundesrat zu allen anderen Massnahmen beauftragt werden, z.B. zu Massnahmen in dem an ihn delegierten Bereich der Rechtsetzung (z.B. zur Änderung einer Verordnung). Im Gegensatz dazu betrachtet der Ständerat seit einer am 24. September 1986 beschlossenen Änderung seines Reglementes eine Motion als unzulässig, die eine Massnahme verlangt, die sich auf den «ausschliesslichen Zuständigkeitsbereich des Bundesrates» oder «auf den an den Bundesrat delegierten Rechtsetzungsbereich» bezieht (Art. 25 Abs. 1 GRS).

b.

Der Ständerat hat mit der erwähnten Reglementsrevision das Instrument der Empfehlung geschaffen, mit welcher der Bundesrat eingeladen werden kann, Massnahmen in seinem Zuständigkeitsbereich zu treffen (Art. 25 Abs. 2 GRS). Im Gegensatz zur Motion hat die Empfehlung keinen verpflichtenden Charakter, wirkt aber durchaus im Sinne von Artikel 171 BV auf den Zuständigkeitsbereich des Bundesrates ein.

c.

Mit dem Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (RVOG) vom 21. März 1997 erhielt der Bundesrat die Kompetenz, bestimmten Ämtern Leistungsaufträge zu erteilen (Art. 44). Auf Antrag der SPK wurde gleich3499

zeitig der Auftrag als parlamentarisches Instrument eingeführt, mit welchem der Bundesrat angewiesen werden kann, einen Leistungsauftrag zu erlassen oder zu ändern. Weil damit in den Zuständigkeitsbereich des Bundesrates eingewirkt wird, hat ein Auftrag nicht die verpflichtende Wirkung einer Weisung, sondern «wirkt als Richtlinie, von der nur in begründeten Fällen abgewichen werden darf» (Art. 22quater GVG, Art. 32 Abs. 1bis GRN, Art. 25 Abs. 1bis GRS).

d.

«Ein Postulat beauftragt den Bundesrat zu prüfen und Bericht zu erstatten, ob der Entwurf zu einem Bundesgesetz oder Bundesbeschluss vorzulegen oder eine Massnahme zu treffen sei. Es kann auch ein Bericht über einen anderen Gegenstand verlangt werden» (Art. 22bis GVG). Ein überwiesenes Postulat stellt also einen genauso verbindlichen Auftrag dar wie eine überwiesene Motion, nur der Inhalt des Auftrages ist ein anderer. Die verbreitete Praxis der Umwandlung von Motionen in Postulate auf Antrag des Bundesrates führt aber dazu, dass Postulate als weniger verbindliche Motionen empfunden werden.

Diese Situation ist in verschiedener Hinsicht unbefriedigend: ­

Die Motion als wichtigstes Auftragsinstrument wird von den beiden Räten in einem zentralen Punkt verschieden definiert; der Ständerat verwendet mit der Empfehlung ein Instrument, das dem Nationalrat unbekannt ist. Diese Divergenz zwischen den Räten schwächt die Stellung der Bundesversammlung gegenüber dem Bundesrat.

­

Die Unterscheidung zwischen Motion und Empfehlung geht nicht von den praktischen Bedürfnissen des politischen Lebens aus, weil sie rechtsdogmatischer und statischer Natur ist. Sie trägt damit dem Umstand nicht Rechnung, dass Zuständigkeiten auch geändert werden können, wenn ein politisches Ziel erreicht werden soll.

­

Die Unterscheidung zwischen Motion und Empfehlung setzt voraus, dass der Urheberin oder dem Urheber eines Vorstosses von vornherein bekannt ist, in wessen Zuständigkeit die Realisierung seines Anliegens fällt. Diese Frage lässt sich aber häufig nicht ohne weiteres klar beantworten.

­

An Stelle einer politischen Auseinandersetzung über das Anliegen eines Vorstosses findet häufig eine unfruchtbare formale Auseinandersetzung über seine Zulässigkeit oder Unzulässigkeit statt. Formale Argumente können auch als Vorwand dienen, um nicht inhaltlich Stellung nehmen zu müssen.

­

Die Schaffung eines zusätzlichen Instrumentes «Auftrag» neben der Motion war als (angesichts des sehr beschränkten Anwendungsbereichs allerdings mehr theoretischer) «Testlauf» sinnvoll; auf die Dauer ist aber die Existenz zweier unterschiedlicher Instrumente für derart ähnliche Zwecke nicht gerechtfertigt und führt zu einer unnötigen Komplizierung des Verfahrens.

3500

2.4.3.2

Neudefinition der Rechtswirkung der Motion (Art. 119)

Die SPK haben in ihrem Zusatzbericht vom 6. März 1997 zur Verfassungsreform (BBl 1997 III 245) gestützt auf den Bericht der von ihr eingesetzten Expertenkommission «Kompetenzverteilung zwischen Bundesversammlung und Bundesrat» vom 15. Dezember 1995 (BBl 1996 II 428) folgenden Antrag für eine Definition der Rechtswirkung des «Auftrags» eingereicht: Sie (die Bundesversammlung) kann dem Bundesrat Aufträge erteilen; diese wirken im Zuständigkeitsbereich des Bundesrates als Richtlinie, von der nur in begründeten Fällen abgewichen werden darf.

Dieser Antrag der SPK war es, der schliesslich in der dritten Beratung des Verfassungsentwurfs zur offeneren Formulierung von Artikel 171 BV führte. Die Parlamentarischen Untersuchungskommissionen betreffend die Organisations- und Führungsprobleme bei der Pensionskasse des Bundes (PUK PKB) hatten mit parlamentarischen Initiativen in beiden Räten denselben Vorschlag eingebracht (BBl 1996 V 464); die Räte haben diesen Initiativen in der Wintersession 1996 Folge gegeben.

Bereits im Gesetz festgeschrieben wurde diese Richtlinienwirkung eines Auftrags im Zuständigkeitsbereich des Bundesrates im eng beschränkten Bereich der Leistungsaufträge des Bundesrates an Bundesämter (Artikel 22quater GVG, vgl. oben Ziff. 2.4.3.1).

Die oben (Ziff. 2.4.3.1.) beschriebenen Mängel des heutigen Auftragsinstrumentariums sollen durch eine Neudefinition der Rechtswirkungen der Motion im Sinne des Vorschlages der Expertenkommission von 1995 behoben werden. Diese neue Motion fasst die bisherigen drei Instrumente Motion, Empfehlung und Auftrag zusammen. Das Instrumentarium wird so entscheidend vereinfacht und seine Handhabung erleichtert. Damit entfallen die unfruchtbaren formalen Auseinandersetzungen über die Abgrenzung der verschiedenen Instrumente. Die klare Zuweisung der Zuständigkeiten an die verschiedenen Staatsorgane als Grundsatz der Gewaltenteilung soll dennoch gewahrt bleiben.

Die Neudefinition der Rechtswirkung der Motion geht von der pragmatischen Überlegung aus, dass mit der Motion in erster Linie bestimmte politische Ziele angestrebt werden. Erst in zweiter Linie stellt sich die Frage, durch welche Massnahmen und auf welchen Wegen diese Ziele erreicht werden. In erster Linie soll zwischen Parlament und Bundesrat diskutiert und im Parlament beraten und beschlossen werden, ob das durch die Motion angestrebte Ziel unterstützt wird oder nicht. Wird das Ziel unterstützt und die Motion beschlossen, so muss durchaus in zweiter Linie auch die Frage geklärt werden, wer für die Erreichung des Zieles zuständig ist. Solange eine gesetzliche Regelung von Zuständigkeiten gilt, muss diese angewendet werden. Es genügt nun aber entgegen der bisherigen Rechtslage und Praxis nicht, wenn der Bundesrat erklärt, er sei allein zuständig und die Motion könne ihn daher nicht betreffen. Die Kompetenzordnung ist veränderbar. Die
Zuständigkeiten des Bundesrates stehen nach schweizerischem Staatsrecht weitgehend zur Disposition des Gesetzgebers. Die meisten seiner verfassungsmässigen Zuständigkeiten übt der Bundesrat entweder zuhanden des Gesetzgebers aus (siehe z.B. Art. 180, 181 und 183 BV) oder ihr Umfang wird durch den Gesetzgeber bestimmt (siehe z.B. Art. 182 BV) oder aber er nimmt sie unter dem Vorbehalt wahr, dass die Bundesversamm-

3501

lung nicht selbst aktiv wird (siehe z.B. Art. 184 Abs. 3, Art. 185, verschiedene Übergangsbestimmungen)19.

Die Neudefinition der Rechtswirkung der Motion trägt der jeweils geltenden Zuständigkeitsordnung Rechnung, indem sie unterscheidet zwischen dem Weisungsund dem Richtliniencharakter der Motion. Eine angenommene Motion hat je nach der im Einzelfall bestehenden Zuständigkeitsordnung folgende Auswirkungen: a.

Die Erreichung des Zieles einer Motion liegt in der Zuständigkeit der Bundesversammlung Wie bisher wird durch die Annahme der Motion der Bundesrat verpflichtet, einen Entwurf eines Erlasses der Bundesversammlung (Bundesgesetz, Verordnung der Bundesversammlung, Bundesbeschluss, einfacher Bundesbeschluss) zu unterbreiten.

b.

Die Erreichung des Zieles einer Motion liegt in der durch das Gesetz delegierten Zuständigkeit des Bundesrates oder in der gemeinsamen Zuständigkeit von Bundesversammlung und Bundesrat Im Zuständigkeitsbereich des Bundesrates gilt die angenommene Motion als Richtlinie; d.h. die Bundesversammlung legt Grundsätze und Kriterien fest, gemäss denen der Bundesrat bestimmte Regelungen zu treffen oder Anwendungsakte (ohne Justizakte) vorzunehmen hat. Die angenommene Motion gibt die Richtung an, bindet jedoch den konkreten Entscheid des Bundesrates nicht. Das bedeutet, dass der Bundesrat begründet von der Richtlinie abweichen kann. In diesem Fall hat er aber darüber der Bundesversammlung Rechenschaft abzulegen. Ist die Bundesversammlung mit der Abweichung nicht einverstanden, so hat sie die Möglichkeit, auf dem Wege der parlamentarischen Initiative die Zuständigkeitsordnung zu ändern.

Die Kommissionsminderheit befürchtet, dass die Möglichkeit zur Abweichung von der Richtlinie dem Bundesrat zu viel Spielraum offen lässt. Sie schlägt daher vor, dass der Bundesrat durch eine angenommene Motion in seinem Zuständigkeitsbereich verpflichtet wird, entweder die verlangte Massnahme selbst zu treffen oder aber der Bundesversammlung den Entwurf

19

Demgegenüber kann die Bundesversammlung nicht in allen Bereichen der aussenpolitischen Zuständigkeiten des Bundesrates nach Art. 184 Abs. 1 und 2 durch Bundesgesetze oder Bundesbeschlüsse die Zuständigkeit an sich ziehen; hier liegen also in beschränktem Ausmass auch ausschliessliche verfassungsmässige Zuständigkeiten des Bundesrates vor.

Auch die verfassungsmässige Zuständigkeitsordnung könnte natürlich durch Volk und Stände geändert werden, was allerdings in manchen theoretisch denkbaren Anwendungsfällen zu absurd wirkenden Resultaten führen würde. Das heisst allerdings auch, dass in der Praxis nicht damit zu rechnen ist, dass derartige Motionen eingereicht, geschweige denn dass sie von Mehrheiten beider Räte angenommen werden. Z.B. ist eine Motion, die die Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrages verlangt, dann nicht praktikabel, wenn eine derartige Ratifikation ausnahmsweise nicht als blosser Vollzug der Genehmigung des Vertrages durch die Bundesversammlung betrachtet werden kann. Keine Probleme wirft hingegen eine Motion auf, die verlangt, dass die Schweiz einen völkerrechtlichen Vertrag abschliesst: Eine angenommene derartige Moton verpflichtet den Bundesrat, einen Vertrag zu unterzeichnen und ihn der Bundesversammlung zur Genehmigung zu unterbreiten (siehe dazu, mit Beispielen aus der Praxis, VPB 40/IV, 1976, S. 13). Im Bereich von Art. 184 Abs. 1 (Besorgung der auswärtigen Angelegenheiten, Vertretung der Schweiz nach aussen) ist eine Grenzziehung schwierig und muss im konkreten Anwendungsfall vorgenommen werden; auch hier ist es aber durchaus denkbar, dass gegebenenfalls Bundesgesetze oder Bundesbeschlüsse den Bundesrat verpflichten, in bestimmter Weise aussenpolitisch tätig zu werden.

3502

eines Erlasses zu unterbreiten, mit dem die Motion umgesetzt werden kann.

Falls z.B. eine Motion eine Änderung einer Verordnung des Bundesrates verlangt, so hätte der Bundesrat zwei Möglichkeiten. Entweder ändert er direkt die Verordnung. Er ist dazu aber nicht verpflichtet, weil diese Massnahme in seiner Zuständigkeit liegt. Will er von seiner Zuständigkeit keinen Gebrauch machen, so wäre er aber zur Ersatzhandlung verpflichtet, der Bundesversammlung einen Gesetzesentwurf zu unterbreiten, womit die Delegationsbestimmung, auf der seine Verordnung beruht, in dem Sinne geändert wird, dass die Forderung erfüllt werden kann.

Das schweizerische Staatsrecht kennt keine materiellen Schranken der Verfassungsrevision (mit Ausnahme des zwingenden Völkerrechts). Das gilt für die Initiativrechte des Parlamentes nicht weniger als für die Volksinitiative. Grundsätzlich kann mit einer Motion (wie auch mit einer parlamentarischen Initiative) also alles verlangt werden, nur muss bei der Realisierung einer angenommenen Motion die jeweils geltende Rechts- und Zuständigkeitsordnung respektiert und gegebenenfalls zuerst geändert werden. Auf Grund dieser (im Grunde selbstverständlichen) Einschränkung darf erwartet werden, dass mit dieser neuen Definition der Rechtswirkung von Motionen nicht die Schleuse geöffnet wird für alle möglichen, theoretisch denkbaren Motionen. In der Praxis werden Motionen nur dann erfolgreich sein können, wenn sie ohne zu grosse Umwege realisierbar sind, und selbstredend auch nur dann, wenn sie eine Mehrheit in beiden Räten finden. Zwar wird mit der neuen Definition der Rechtswirkung eine Tür geöffnet für Motionen, die mehrheitsfähige Ziele im Zuständigkeitsbereich des Bundesrates anstreben. Die Bundesversammlung und ihre Kommissionen werden sich aber in diesem Bereich schon nur auf Grund ihrer beschränkten Kapazitäten auf wenige, politisch gewichtige Ziele beschränken müssen.

Die vom Bundesrat in seiner Vernehmlassungsvorlage vom 11. November 1998 zur «Staatsleitungreform» vorgeschlagene «Resolution» widerspricht dem neuen Konzept der Motion. Gemäss diesem Vorschlag kann die Bundesversammlung «dem Bundesrat für seinen Aufgabenbereich mittels einer Resolution Leitlinien vorgeben, soweit sich der Weg der Gesetzgebung nicht eignet». Für die damit nötige Unterscheidung zwischen Motion und
«Resolution» gilt dasselbe, was oben (Ziff. 2.4.3.1) für die Unterscheidung zwischen den heutigen Instrumenten der Motion und Empfehlung festgestellt wurde. Fraglich bleibt im Weiteren, wie das Kriterium der «Eignung für den Weg der Gesetzgebung» hinreichend klar bestimmt werden kann. Eignet sich z.B. der Weg der Gesetzgebung, wenn die Bundesversammlung eine Verordnung des Bundesrates geändert sehen möchte? Aus der Sicht der Bundesversammlung könnte diese Frage verneint werden: der Umweg über die Änderung der gesetzlichen Delegationsbestimmung ist umständlich und ungeeignet; also werden dem Bundesrat mit einer «Resolution» Leitlinien vorgegeben. Aus den Erläuterungen des Bundesrates zu seinem Vorschlag der «Resolution» geht allerdings hervor, dass er sich gerade diese Anwendung der «Resolution» nicht vorstellt.

3503

2.4.3.3

Probleme des geltenden Verfahrens bei Motionen

Die Grundzüge des geltenden Verfahrens bei Motionen können wie folgt definiert werden: a.

Jedes Ratsmitglied hat das unbeschränkte Recht, Motionen einzureichen.

b.

Eine Motion geht ohne Vorberatung durch eine Kommission, aber mit einer Stellungnahme des Bundesrates in den Erstrat.

c.

Eine Motion kann vom Rat angenommen, abgelehnt oder mit Zustimmung der Urheberin oder des Urhebers in ein Postulat umgewandelt, nicht aber verändert werden.

d.

Eine Motion ist an den Bundesrat überwiesen, wenn sie von beiden Räten angenommen wird.

e.

Eine Motion wird abgeschrieben, wenn sie vom Rat nicht innert zwei Jahren behandelt wird.

Die Anzahl der eingereichten Motionen (ohne Kommissionsmotionen) hat sich seit 1963 wie folgt entwickelt: Legislatur

Nationalrat

Ständerat

1963­1967 1967­1971 1971­1975 1975­1979 1979­1983 1983­1987 1987­1991 1991­1995 1995­1999

87 157 252 299 346 460 556 606 701

23 33 31 34 56 47 82 118 89

Im Laufe von neun Legislaturperioden hat die Anzahl eingereichter Motionen im Nationalrat um 800% und im Ständerat um 400% zugenommen. Im selben Zeitraum hat sich die von den Ratsplena pro Jahr beanspruchte Beratungszeit im Nationalrat aber «nur» um ca. 50% (1963: 206 Std., 1995: 310 Std.) und im Ständerat um 100% (1963: 93 Std., 1995: 186 Std.) verlängert. Im gleichen Zeitraum wurde das Verfahren der Behandlung von Motionen in seinen Grundzügen nicht verändert. Diese drei Faktoren (Vervielfachung der Anzahl eingereichter Motionen, im Verhältnis dazu massiv geringere Zunahme der Beratungszeit, gleich bleibendes Verfahren) mussten ihre Auswirkungen haben auf Art und Weise der Erledigung von Motionen.

3504

In den vier Jahren 1994­1997 hatten die von der Bundesversammlung erledigten Motionen folgende Behandlungsresultate20: An den Bundesrat überwiesen Als Postulat überwiesen Abgelehnt Abgeschrieben, weil seit 2 Jahren hängig Abgeschrieben aus verschiedenen Gründen oder zurückgezogen

96 317 119 145 118

(12,1%) (40,0%) (14,9%) (18,2%) (14,8%)

Total

795

(100%)

Das Verfahren wird im Nationalrat im Wesentlichen durch das in der Herbstsession 1981 eingeführte «Schnellverfahren» am letzten Tag jeder ordentlichen Session bestimmt. In diesem Verfahren werden diejenigen Motionen ohne Diskussion behandelt, bei welchen weder der Urheber noch ein anderes Ratsmitglied den Antrag des Bundesrates bestreiten. In der grossen Mehrzahl handelt es sich dabei um Anträge auf Überweisung als Postulat (wobei in vielen Fällen ein derartiges «Postulat» gar nicht der gesetzlichen Definition dieses Vorstosstyps entspricht; vgl. dazu oben Ziff. 2.4.3.1). Das erklärt den hohen Anteil der als Postulat überwiesenen Motionen.

Die Motionärin oder der Motionär steht vor der meistens wenig befriedigenden Alternative, entweder der Abschwächung seiner Motion zuzustimmen oder aber mit seiner Opposition dagegen die Behandlung der Motion aufzuschieben. Die Verschiebung führt mit grosser Wahrscheinlichkeit dazu, dass die Motion nach zwei Jahren unter die sog. «Guillotine» der Abschreibung fällt. Die Auswahl der ganz wenigen umstrittenen Motionen, die im Rat tatsächlich materiell behandelt werden, hängt vom Zufall ab, ob an einem Sitzungstag nach der Behandlung von Vorlagen aus einem bestimmten Departement ausnahmsweise noch Zeit zur Verfügung steht zur Behandlung der dieses Departement betreffenden Motionen.

Die bereits auf Grund ihrer Anzahl geringe Bedeutung der überwiesenen Motionen wird durch weitere Umstände noch mehr verringert. 70% dieser Motionen wurden auf Antrag des Bundesrates überwiesen, haben also «offene Türen eingerannt». Nur bei ca. der Hälfte der überwiesenen Motionen handelt es sich übrigens um Motionen einzelner Ratsmitglieder. Zum absoluten Ausnahmefall ist also die «klassische Lehrbuch-Motion» geworden: die politisch umstrittene Motion eines Ratsmitglieds, die nach einer Diskussion mit dem Bundesrat und anderen Ratsmitgliedern angenommen wird und schlussendlich zu einem Gesetz führt.

Als Bilanz können folgende Mängel festgehalten werden:

20

1.

Die massive Zunahme der eingereichten Motionen in Verbindung mit dem geltenden Verfahren ihrer Behandlung hat dazu geführt, dass umstrittene Motionen vom Nationalrat fast nie materiell geprüft, diskutiert und beschlossen werden.

2.

Die Selektion der wenigen umstrittenen Motionen, die im Nationalrat zur materiellen Behandlung gelangen, ist weitgehend dem Zufall überlassen. Ei-

Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrollstelle (PVK) z. Hd. der GPK vom 25.2.99: Parlamentarische Vorstösse. Verfahren, Statistiken, Kosten, das Vorstosswesen betreffende Änderungsvorschläge sowie Überblick zum Vorstosswesen in anderen europäischen Parlamenten. S. 29. ­ Dieser Bericht enthält zahlreiche weitere Untersuchungen und Analysen, die hier in der Folge kurz zusammengefasst werden.

3505

ne Prioritätensetzung nach politischen oder sachlichen Kriterien findet nicht statt.

3.

Als Folge der Abwertung der Motion im Nationalrat versteht der Bundesrat überwiesene Motionen (auch solche des Ständerates) offensichtlich immer weniger als verbindliche Aufträge, die zeit- und sachgerecht zu erledigen sind21.

Die Analyse der Mängel des geltenden Verfahrens geht bis dahin von der Voraussetzung aus, dass die Motion ein Instrument zur Ausübung der Gesetzgebungsfunktion des Parlamentes ist; d.h., dass eine Motion eingereicht wird, damit ein konkretes Ziel erreicht wird.

Im Hinblick auf die Ausarbeitung von Reformvorschlägen darf aber nicht übersehen werden, dass die Motionen in der Praxis auch andere, nicht minder legitime Funktionen haben. Sie dienen der Interessenrepräsentation und Kommunikation des Parlamentes bzw. der einzelnen Ratsmitglieder; d.h. eine Motion wird eingereicht, um in Dialog zu treten, einerseits mit Bundesrat und Verwaltung sowie andererseits mit der Öffentlichkeit (insbesondere mit der eigenen Wählerschaft). Die Rechtswirkung und das Verfahren spielen für die Wahrnehmung dieser Funktionen eine untergeordnete Rolle. Es braucht nicht unbedingt eine Motion zu sein; ein Postulat, eine Interpellation oder Einfache Anfrage tun es auch. Der eigentliche Zweck des Vorstosses ist bereits mit seiner Einreichung und seiner Beantwortung durch den Bundesrat erfüllt.

Die festgehaltenen Mängel des geltenden Verfahrens betreffen diese Repräsentations- und Kommunikationsfunktionen der persönlichen Vorstösse also wenig, was wohl auch erklärt, warum bisher kein ernsthafter Versuch unternommen wurde, die bereits seit mindestens 20 Jahren zu Tage getretenen Verfahrensmängel zu beheben.

2.4.3.4

Reformen des Verfahrens bei Motionen (Art. 120)

Das Reformziel muss sein, dass die Motion ihre Funktion als wirksames Instrument des Parlamentes bzw. der parlamentarischen Organe und der einzelnen Ratsmitglieder zur Ingangsetzung eines Gesetzgebungsprozesses wieder erfüllen kann.

Die SPK hat verschiedene Reformvorschläge eingehend geprüft. Dabei blieb unbestritten, dass das Recht des einzelnen Ratsmitglieds, nach freiem Ermessen Motio21

Beispiele aus dem Zuständigkeitsbereich der SPK (mit Angabe des Jahres, in welchem eine Motion überwiesen wurde): Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (1982), Ombudsstelle (1989), Bundesbeiträge an die Kosten der Parteien bei Nationalratswahlen (1991), Regierungsreform (1991), Totalrevision Beamtengesetz (1991). Die Berichterstattung des Bundesrates über die Erfüllung der parlamentarischen Gesetzgebungsaufträge muss als rudimentär bezeichnet werden. Teils wird im Geschäftsbericht mit minimaler Begründung die Abschreibung überwiesener Motionen beantragt, teils wird erklärt, die weitere Bearbeitung sei «sistiert» worden. Neuerdings ist der Bundesrat auch wiederholt dazu übergegangen, Motionen zwar entgegenzunehmen, die Annahme der Motion aber mit interpretierenden Erklärungen zu verbinden, welche die Stossrichtung der Motion abändern.

Trotz Beschwerden hält der Bundesrat an dieser Praxis fest. Da das parlamentarische Verfahren keine Detailberatung von Motionen vorsieht, ist in diesen Fällen keine klare Beschlussfassung mehr möglich, was die Wirkung der Motion weiter abschwächt. ­ Im Übrigen hält der Bundesrat immer häufiger auch die Frist von einem Quartal für die Abgabe seiner Stellungnahme zu einem eingereichten Vorstoss nicht mehr ein.

3506

nen einzureichen, nicht eingeschränkt werden darf. Nur so kann die neben der Gesetzgebungsfunktion der Motion ebenso legitime und bedeutsame Interessenrepräsentations- und Kommunikationsfunktion der Motion gewahrt bleiben. Insbesondere wurde aus diesem Grund auch der immer wieder gehörte Vorschlag einer Kontingentierung der persönlichen Vorstösse (Motionen und andere Vorstösse) nicht weiter verfolgt. Auch wenn eine Reduktion der Anzahl Vorstösse als wünschenswert erachtet würde, käme man diesem Ziel mit dieser Massnahme vermutlich nicht wesentlich näher. Das zeigt eine einfache Rechnung. In der Legislaturperiode 1995­ 1999 wurden ca. 3000 Vorstösse eingereicht (ohne Kommissionsvorstösse). Das macht pro Ratsmitglied und Jahr nur ca. drei Vorstösse. Eine Reduktion wäre also nur bei einem Jahreskontingent von weniger als drei Vorstössen pro Ratsmitglied garantiert. In der Praxis ist es so, dass nur ca. 20% der Ratsmitglieder mehr als vier Vorstösse pro Jahr einreichen. Eine Kontingentierung würde zwar also nur diese Minderheit treffen, aber vermutlich würde die grosse Mehrheit der Ratsmitglieder durch die Kontingentierung angeregt, ihr Kontingent auszuschöpfen. Es könnte auch ein eigentlicher Kontingentshandel entstehen. Das Reduktionsziel könnte also nicht erreicht werden, ausser man sehe eine drakonische Einschränkung vor wie ein Kontingent von nur zwei Vorstössen oder gar nur einem Vorstoss pro Ratsmitglied und Jahr.

Denkbar wäre auch, dass eine Motion nur noch eingereicht werden dürfte, wenn sie von einer bestimmten Mindestzahl von Ratsmitgliedern unterschrieben wäre. Doch auch diese Massnahme dürfte kaum einen Fortschritt bringen. Mitglieder grosser Fraktionen hätten keine Mühe, diese Unterschriften beizubringen; Mitglieder kleiner Fraktionen oder Fraktionslose wären demgegenüber benachteiligt, was dem Grundsatz der Gleichberechtigung aller Ratsmitglieder zuwiderläuft.

Die Subkommissionen beider SPK haben eine Vorberatung der Motionen durch die Kommissionen vorgeschlagen. Durch diese Massnahme sollte erreicht werden, dass die «Spreu vom Weizen» getrennt werden kann. Die Vorberatung in den Kommissionen würde eine Prioritätensetzung nach politischen und sachlichen Kriterien ermöglichen. Weil wohl nur eine relativ geringe Zahl von Motionen die Unterstützung einer Kommissionsmehrheit finden könnte,
wäre es wieder möglich, diese Motionen im Ratsplenum auch dann zu behandeln, wenn sie umstritten sind und daher eine gewisse Behandlungszeit benötigen. Zudem würde die Vorberatung der Motionen durch die Kommissionen erlauben, einen Motionstext abzuändern und gegebenenfalls griffiger zu formulieren. Gemäss dem Vorschlag der Subkommissionen beider SPK würde das Recht jedes Ratsmitglieds, mit seiner Motion an den Rat zu gelangen, beibehalten. Eine durch die Kommission nicht unterstützte Motion würde allerdings im Rat nicht prioritär behandelt, was im Nationalrat bedeutet, dass sie gemäss der heutigen Praxis nur selten zur Behandlung gelangen kann.

Die Kommission hat diesen Vorschlag ihrer Subkommission abgelehnt. Die SPK befürchtet, dass die Kommissionen durch diese Vorberatung aller Motionen zu stark belastet würden (jede der zehn nationalrätlichen Legislativkommissionen müsste durchschnittlich ca. fünf Motionen pro Quartal vorberaten). Die Kommissionen würden von ihrer Hauptaufgabe der Vorberatung von Gesetzesvorlagen zu sehr abgelenkt. Zu bedenken ist, dass sich eine Motion in erster Linie an den Bundesrat richtet. Der von der Subkommission vorgeschlagene Verzicht auf die Stellungnahme des Bundesrates erscheint daher nicht zweckmässig; eine doppelte Stellungnahme

3507

sowohl des Bundesrates wie auch einer Kommission würde aber zu einem sehr aufwendigen Verfahren führen.

Die Kommission hat aber Elemente des Vorschlages ihrer Subkommission in veränderter Form aufgenommen. Die konsequente Privilegierung von Kommissionsmotionen ist der richtige Weg. Ein Vorschlag der Mehrheit einer repräsentativ zusammengesetzten Abordnung des Rates muss im Ratsbetrieb einen höheren Stellenwert haben als der Vorschlag eines einzelnen Ratsmitglieds, handle es sich um einen persönlichen Vorstoss oder um eine von der vorberatenden Kommission abgelehnte parlamentarische Initiative. Jedem Ratsmitglied, dem es mit seinem Vorschlag weniger um die persönliche Profilierung als um die tatsächliche Erreichung seines Zieles geht, steht dieser Weg offen: Es kann in der Kommission (auch wenn es nicht Kommissionsmitglied ist; vgl. Art. 76 Abs. 1) die Einreichung einer Kommissionsmotion beantragen. Wenn Kommissionsmotionen gemäss dieser neuen Vorschrift im Ratsplenum tatsächlich konsequent prioritär behandelt werden und damit einen höheren Stellenwert erhalten, kann erwartet werden, dass dieser Weg vermehrt beschritten wird.

Die Kommission hat zwar den Vorschlag ihrer Subkommission abgelehnt, wonach eine Motion auch im Erstrat auf Antrag einer Kommission oder des Bundesrates abgeändert werden kann. Wenn es keine Vorberatung durch Kommissionen gibt, wäre dies in erster Linie ein Instrument des Bundesrates, das ihm eine privilegierte Stellung im Verfahren geben würde. Die Abänderbarkeit einer Motion im Zweitrat auf Antrag der vorberatenden Kommission ist aber sinnvoll. Wenn heute eine Kommission des Zweitrates einer Motion des anderen Rates nur teilweise zustimmt, so ist sie gezwungen, diese abzulehnen und eine neue eigene Motion einzureichen; die direkte Abänderung ist effizienter.

Schliesslich kann das Instrument der Motion erheblich gestärkt werden, indem die gemäss geltendem Recht intensiv praktizierte Umwandlung einer Motion in ein Postulat nicht mehr möglich sein soll. Wie oben gezeigt (Ziff. 2.4.3.3), ist diese Umwandlung das heute häufigste Schicksal einer Motion. Indem der Bundesrat heute in der Regel diese Umwandlung beantragt, wird die Motionärin oder der Motionär vor die Alternative gestellt, entweder dieser Abschwächung zuzustimmen oder aber die Behandlung auf unbestimmte Zeit zu
verschieben, weil der Nationalrat kaum Zeit zur Behandlung umstrittener Vorstösse findet. Die Rechtswirkung einer in ein Postulat umgewandelten Motion ist diffus; häufig kann darin kein verbindlicher Prüfungsauftrag im Sinne von Artikel 22bis GVG gesehen werden. In der Praxis ist der Eindruck weit verbreitet, durch diese Umwandlung würden Motionen «schubladisiert». Wenn die Motion nicht mehr in ein Postulat umgewandelt werden kann, werden sowohl die einzelnen Ratsmitglieder als auch der Bundesrat veranlasst, mit diesem Instrument bewusster umzugehen. Das Ratsmitglied muss bereits bei der Einreichung besser prüfen, ob die Motion oder das Postulat das geeignete Instrument ist; der Bundesrat wird gezwungen, bei seiner Stellungnahme zu einer Motion eindeutig Farbe zu bekennen.

3508

2.4.4

Verfahren der parlamentarischen Initiative

2.4.4.1

Ausgangslage

Gemäss alter und neuer Bundesverfassung hat jedes Ratsmitglied das Recht, seinem Rat eine Initiative zu unterbreiten (Art. 91 Abs. 1 aBV, Art. 160 Abs. 1 BV). Dieses auf die Bundesverfassung von 1848 zurückgehende Recht stellt eine der wichtigsten Errungenschaften des modernen Parlamentarismus dar: Das Parlament wird damit in die Lage versetzt, seine Zuständigkeiten insbesondere im Bereich der Gesetzgebung wahrzunehmen, ohne dass die Regierung einen entscheidenden Einfluss ausüben kann. Allerdings muss dem Parlament für die Vorbereitung der Gesetzgebung in der Regel eine Verwaltung zur Verfügung stehen. Im Gegensatz z.B. zum US-Kongress hat die Bundesversammlung darauf verzichtet, eine ihr bzw. ihren Kommissionen unmittelbar unterstellte grössere Verwaltung aufzubauen, welche die gesamten gesetzgeberischen Vorarbeiten übernehmen kann. In der Praxis spielt daher das parlamentarische Initiativrecht seit der Gründung des Bundesstaates nur eine untergeordnete Rolle. Die meisten Erlassentwürfe waren und sind in formaler Hinsicht Initiativen des Bundesrates (gemäss Art. 102 Ziff. 4 aBV, Art. 181 BV), wobei das Parlament mit der Motion über ein Instrument verfügt, mit dem es den Bundesrat verpflichten kann, das bundesrätliche Initiativrecht im Auftrag des Parlamentes auszuüben. Bis in die 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts wurde fast ausschliesslich dieses Verfahren der Gesetzgebung angewendet (in einigen Ausnahmefällen haben allerdings auch bereits früher parlamentarische Kommissionen selbstständig Erlassentwürfe ausgearbeitet, ohne dass diese explizit als parlamentarische Initiativen bezeichnet worden wären). Erst mit der Änderung des GVG vom 24. Juni 1970 wurde der Begriff der parlamentarischen Initiative eingeführt und das entsprechende Verfahren geregelt. Eine grundlegende Reform erfuhr dieses Verfahren durch die Einführung einer Vorprüfung der von einzelnen Ratsmitgliedern eingereichten Initiativen (Änderung des GVG vom 23. März 1984).

Dieses Vorprüfungsverfahren hat sich bewährt. Einerseits ermöglicht dieses Verfahren eine hinreichend gründliche Prüfung des Anliegens einer Initiative durch die vorberatende Kommission; andererseits wird die Effizienz des Ratsbetriebes gewahrt. Mehrheitsfähige Initiativen können relativ rasch selektioniert werden; die kostbare Zeit des vor allem im Nationalrat stark
belasteten Ratsplenums wird durch diese Vorprüfungen dank der Vorarbeit durch die Kommissionen nur wenig beansprucht. Probleme verursacht hingegen die starke Zunahme der Anzahl von Initiativen, welchen ein Rat bereits Folge gegeben hat.

Die Zahl der parlamentarischen Initiativen hat stetig zugenommen: Legislaturperiode

eingereichte pa. Iv.

erledigte pa. Iv.

am Ende der Periode hängige pa. Iv. in der «2. Phase»

angenommene pa. Iv.

1971­1975 1987­1991 1991­1995 1995­1999

29 144 190 261

26 115 200 201

(keine Vorprüfung) 25 33 65

13 19 24 30

Der Vergleich der Anzahl der erledigten und angenommenen Initiativen ergibt den Anschein einer geringen Erfolgsquote. Dieser Schein trügt: Eine relativ grosse Anzahl von Initiativen führt nicht direkt zu einem angenommenen Erlass der Bundes3509

versammlung, ist aber erfolgreich, indem eine Kommission oder der Bundesrat zu einer Initiative veranlasst wird (Beispiel: mit der vorliegenden parlamentarischen Initiative zum Parlamentsgesetz können zehn andere parlamentarische Initiativen als erfüllt abgeschrieben werden). Eine nähere Untersuchung der angenommenen Initiativen zeigt, dass sich darunter einerseits viele kleine Erlasse (insb. im Bereich des Parlamentsrechts), aber andererseits auch gewichtige und komplexe Gesetze (z.B.

das Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer vom 2. September 1999) sowie sieben Verfassungsänderungen finden.

Die parlamentarische Initiative erfüllt heute vor allem drei Funktionen: a.

Sie ist unentbehrliches Instrument für die Rechtsetzung im Bereich des Parlamentsrechts.

b.

Einfache Rechtsetzungsvorhaben (z.B. die Änderung eines einzelnen Artikels eines Erlasses) können dank ihr ausgesprochen effizient erledigt werden.

c.

Sie dient als Ersatzinstrument des Parlamentes für diejenigen Fälle, in denen das «normale» Verfahren über die Motion nicht zum gewünschten Erfolg führt.

Von staatspolitischer Bedeutung ist vor allem diese dritte Funktion: Die Bundesversammlung soll in ihrem zentralen Zuständigkeitsbereich, bei der Gesetzgebung, ihren Willen gegebenenfalls auch durchsetzen können, wenn der Bundesrat überwiesene Motionen nicht zeit- und sachgerecht umsetzt. Das für die Gesetzgebung zuständige Staatsorgan muss auch die Regie des Rechtsetzungsprozesses in letzter Instanz in den eigenen Händen behalten können.

Diese Funktion der parlamentarischen Initiative als Ersatzinstrument an Stelle der Motion hat nun allerdings in den letzten 20 Jahren über die ursprüngliche Konzeption hinaus eine viel weitere Bedeutung gewonnen. Die Ratsmitglieder wählen zunehmend das Instrument der Initiative nicht nur deswegen, weil der Bundesrat eine überwiesene Motion nicht ausführt, sondern vielmehr auch, weil das geltende Verfahren bei Motionen sehr ernsthafte Mängel aufweist. Das Verfahren über die Motion kann nur noch in seltenen und zudem zufälligen Ausnahmesituationen zum Erfolg führen (siehe Ziff. 2.4.3). Dies hat dazu geführt, dass die parlamentarische Initiative zunehmend auch dort eingesetzt wird, wo die Motion eigentlich das geeignetere Instrument darstellen würde. Dies ist in der Regel bei komplexeren Rechtsetzungsvorhaben der Fall, bei welchen zur Ausarbeitung einer Vorlage in grösserem Ausmasse auf die Verwaltung des Bundesrates zurückgegriffen werden muss. Die mit der Ausarbeitung einer Vorlage beauftragten Kommissionen können zwar im Verfahren der parlamentarischen Initiative diese Verwaltung zur Erteilung von Rechtsund Sachauskünften beiziehen; das Management der Gesetzesvorbereitung und die politische Bewertung obliegen aber der Kommission bzw. in ihrem Auftrag dem Kommissionssekretariat. Die starke Zunahme der Anzahl der in der sog. «2. Phase» hängigen Initiativen überfordert diese parlamentseigene Infrastruktur. Wenn diese Entwicklung weiter fortschreitet, so läuft das Parlament Gefahr, das Instrument der parlamentarischen Initiative ähnlich abzuwerten wie das Instrument der Motion.

3510

2.4.4.2

Einbezug beider Räte in die Vorprüfung parlamentarischer Initiativen (Art. 109)

Die Ausarbeitung eines Erlassentwurfs als Folge einer parlamentarischen Initiative löst einen sehr erheblichen Aufwand aus. Neben dem Erlassentwurf selbst muss ein ausführlicher erläuternder Bericht verfasst werden, an welchen dieselben Anforderungen gestellt werden wie an eine Botschaft des Bundesrates (vgl. Art. 111 Abs. 4).

In vielen Fällen muss ein Vernehmlassungsverfahren durchgeführt werden. Der Bundesrat verfasst seinerseits eine Stellungnahme zur Vorlage der Kommission.

Nach dem heutigen Recht genügt der Beschluss eines Rates bzw. im Falle einer Kommissionsinitiative der Beschluss einer Kommission, um diesen Aufwand auszulösen. Der andere Rat befasst sich mit der Initiative erst, wenn der Erstrat den Erlassentwurf in der Gesamtabstimmung angenommen hat. Dieses Verfahren steht im Gegensatz zum Verfahren der Motion: Hier müssen beide Räte zustimmen, um den Bundesrat zur Ausarbeitung einer Vorlage zu verpflichten. In der Praxis der letzten Jahre musste nun relativ häufig beobachtet werden, dass der Zweitrat auf den Erlassentwurf des Erstrates nicht eingetreten ist (während der beiden Legislaturperioden 1991­1999 ist der Ständerat sechsmal auf Vorlagen des Nationalrates und der Nationalrat zweimal auf Vorlagen des Ständerates nicht eingetreten).

Die Koordination zwischen den Räten bei der Behandlung parlamentarischer Initiativen wird verbessert, wenn neu beide Räte einer parlamentarischen Initiative eines einzelnen Ratsmitgliedes Folge geben müssen, damit die Ausarbeitung einer Vorlage an die Hand genommen werden kann. Damit wird das Risiko erheblich vermindert, dass ein Rat grösseren Aufwand betreibt und der andere, währenddessen völlig abseits gebliebene Rat nachher Nichteintreten auf die Vorlage beschliesst.

Die Minderheit II der Kommission beantragt, dass es für einen positiven Vorprüfungsentscheid nicht der Zustimmung beider Räte, sondern nur der Kommissionen beider Räte bedarf. Mit diesem Verfahren würde also die Kompetenz zum positiven Vorprüfungsentscheid von den Räten an die Kommissionen übertragen. Damit werde das Verfahren effizienter und der Ratsbetrieb entlastet. Die Kompetenz zum negativen Vorprüfungsentscheid müsse hingegen bei den Räten verbleiben, da es sich hier im Gegensatz zum positiven Entscheid nicht nur um einen Zwischenentscheid mit vorläufigem Charakter, sondern um
einen definitiven materiellen Beschluss handelt.

Die Minderheit II macht geltend, dass ihre Lösung dasselbe Ziel erreiche wie die Lösung der Mehrheit: Es solle nicht mit grossem Aufwand eine konkrete Vorlage ausgearbeitet werden, wenn von vornherein klar ist, dass der Zweitrat dieser Vorlage später nicht zustimmen wird. Dieses Ziel werde durch den Einbezug bloss der Kommission des anderen Rates in der Regel genauso erreicht werden können. Das Verfahren werde dadurch aber erheblich weniger schwerfällig; möglich werde damit vor allem auch eine kohärente Regelung für Kommissionsinitiativen. Gemäss Vorschlag dieser Minderheit würde der Beschluss einer Kommission zur Ergreifung einer Kommissionsinitiative neu der Zustimmung der Kommission des anderen Rates bedürfen (was übrigens die beiden SPK bei der Ausarbeitung der vorliegenden Initiative für das Parlamentsgesetz auf freiwilliger Basis praktiziert haben). Demgegenüber kann gemäss Vorschlag der Mehrheit eine Kommission nach wie vor ihrem Rat ohne Vorprüfung einen Erlassentwurf unterbreiten. Die Minderheit gibt nun zu bedenken, dass diese Regelung inkohärent sei und zu Umgehungsmanövern einlade: 3511

Stehe eine Kommission dem Anliegen einer parlamentarischen Initiative eines einzelnen Ratsmitglieds positiv gegenüber, so beschliesse sie mit Vorteil, eine Kommissionsinitiative zu starten, worauf der Initiant seine Initiative zurückziehen kann, weil er sein Ziel erreicht hat. Damit könne das schwerfällige Verfahren der Vorprüfung durch beide Räte umgangen werden.

Die Kommissionsmehrheit hält diesem Vorschlag der Minderheit II entgegen, dass dadurch die Kommissionen bei der Behandlung von parlamentarischen Einzelinitiativen ein zu grosses Gewicht erhalten. Nicht selten ist es bereits der Erstrat, der dem Antrag seiner Kommission nicht zustimmt und einer Initiative keine Folge gibt. Das relativ schwerfällige Vorprüfungsverfahren für parlamentarische Einzelinitiativen ist gewollt; damit soll das Instrument der parlamentarischen Initiative weniger attraktiv gemacht und das Verfahren demjenigen bei der Behandlung von Motionen angeglichen werden.

Die Minderheit I lehnt jeden Einbezug des anderen Rates in die Vorprüfung von parlamentarischen Initiativen ab und sieht darin eine schwerwiegende Einschränkung des parlamentarischen Initiativrechts. Der Handlungsspielraum eines Rates werde dadurch zu sehr eingeschränkt. Der andere Rat werde quasi als Vorzensur eingesetzt. Eine Initiative könnte frühzeitig abgeblockt werden, bevor deren Forderungen im Rahmen der Ausarbeitung eines Erlassentwurfs näher geprüft werden könnten.

Es muss noch die Frage geklärt werden, ob durch die Vorprüfung einer parlamentarischen Initiative durch beide Räte die Initiative nach dem Folge-Geben in beiden Räten hängig bleibt. Diese Frage stellt sich sowohl bei der Fassung der Mehrheit als auch bei der Fassung der Minderheit II; bei letzterer Fassung allerdings nur in den eher seltenen Fällen, wenn sich die Kommissionen nicht einig sind und deswegen die Ratsplena einbezogen werden. Die Antwort lautet, dass eine parlamentarische Initiative sich wie bisher nur an den eigenen Rat richtet. Der andere Rat erhält lediglich ein Zustimmungs- bzw. Vetorecht betreffend die Ausarbeitung einer Vorlage; die Initiative bleibt aber dadurch nach dem Folge-Geben bei ihm nicht hängig. Andernfalls würde sich das weitere Verfahren erheblich komplizieren. In Artikel 113 und 114 müssten spezielle Regelungen über den Einbezug des anderen Rates bei der Abschreibung und bei der Behandlung des Erlassentwurfs aufgenommen werden.

2.4.4.3

Vorschriften über die Form einer parlamentarischen Initiative (Art. 107)

Gemäss heutigem Recht (Art. 21bis Abs. 1 GVG) kann eine parlamentarische Initiative «in der Form des ausgearbeiteten Entwurfs oder der allgemeinen Anregung» eingereicht werden. Diese aus der Regelung der Volksinitiative entlehnte Terminologie kann insofern zu Missverständnissen Anlass geben, als sich das Verfahren bei parlamentarischen Initiativen grundlegend vom Verfahren bei Volksinitiativen unterscheidet. Anders als eine Volksinitiative in der Form des ausgearbeiteten Entwurfs ist eine parlamentarische Initiative «in der Form des ausgearbeiteten Entwurfs» abänderbar. Genau gleich wie über eine parlamentarische Initiative in der Form der allgemeinen Anregung wird auch über einen ausgearbeiteten Vorentwurf eines Erlasses im Rahmen der Vorprüfung zuerst der Grundsatzentscheid gefällt, ob der Initiative Folge gegeben wird oder nicht. Wird der Initiative Folge gegeben, so 3512

bildet der Vorentwurf nicht eine verbindliche und formelle Beratungsgrundlage; er liefert lediglich informelle Hinweise für die Kommission, die im Übrigen bei der Ausarbeitung der Vorlage frei ist.

In der Praxis werden die parlamentarischen Initiativen mehrheitlich in der Form der allgemeinen Anregung eingereicht. Häufig ist die Anregung in derart allgemeiner Form gehalten, dass deren mögliche Umsetzung weitgehend offen bleibt. Es gibt Initiativen, die im Grunde nur einen Prüfungsauftrag und keine konkreten Elemente einer möglichen neuen Regelung enthalten22. Eine derartige Initiative findet bei der Vorprüfung unter Umständen leichter die Zustimmung einer Mehrheit; bei der Umsetzung zeigt sich dann, dass entweder gar keine konkreten Vorschläge vorliegen oder dass die Vorstellungen über die Umsetzung derart auseinander gehen, dass keine mehrheitsfähige Lösung gefunden werden kann.

Die parlamentarische Initiative ist für derartige Anregungen nicht das geeignete Instrument. Für Anliegen, die weniger ergebnisorientiert sind und mehr politischen Repräsentationszwecken dienen, stehen andere Vorstossformen zur Verfügung. Das Instrument der parlamentarischen Initiative sollte deutlicher von den persönlichen Vorstössen abgegrenzt werden. Sind blosse Anregungen nicht mehr zugelassen, so wird der Aufwand für das einzelne Ratsmitglied für die Einreichung einer parlamentarischen Initiative zwar unter Umständen grösser. Dieser Aufwand darf aber erwartet werden, wenn man bedenkt, welch grossen Aufwand eine Initiative auslöst, wenn ihr Folge gegeben wird. Wenn bei komplexeren Vorlagen ohnehin die ganze Arbeit von der Kommission geleistet werden muss, so ist nicht einzusehen, warum das Produkt als Ergebnis einer parlamentarischen Initiative eines einzelnen Ratsmitglieds dasteht, das seinerzeit mit einem Satz die Ausarbeitung dieser Vorlage verlangt hat. Solche Anliegen sind daher von vornherein auf die Wege der Motion, des Postulates oder der Kommissionsinitiative zu verweisen. Einzelne Ratsmitglieder können nämlich derartige Anliegen nach wie vor einbringen, indem sie in einer Kommission den Antrag stellen, die Kommission solle eine Kommissionsinitiative ausarbeiten (vgl. Art. 76 Abs. 1).

Die Subkommissionen beider SPK hatten vorgeschlagen, dass eine parlamentarische Initiative nur noch in der Form eines
Entwurfes zu einem Erlass der Bundesversammlung eingereicht werden darf. Die Kommission möchte nun nicht ganz so weit gehen, weil viele Ratsmitglieder durch diesen Anspruch an die Form doch überfordert sein dürften. Die Bundesversammlung bleibt ein Milizparlament mit einer relativ schwach ausgebildeten Infrastruktur. Solange nicht juristisch ausgebildete Ratsmitglieder keinen Anspruch auf die Unterstützung durch persönliche wissenschaft-

22

Beispiele:

­ 93.454 Pa.Iv. Hubacher. Drogenpolitik. «... Das Bundesgesetz über die Betäubungsmittel ist so abzuändern, dass die heute zulässige und praktizierte Drogenpolitik überprüft und im Sinne der möglichsten Eliminierung des Drogenschwarzmarktes, der damit zusammenhängenden Beschaffungskriminalität und der bekannten Folgen für die Gesellschaft und Betroffenen verbessert werden kann.» ­ 97.409 Pa.Iv. Rhinow. Staatsleitungsreform. «Gestützt auf (...) schlage ich (...) vor, im Rahmen der gegenwärtigen Totalrevision der Bundesverfassung auch die Staatsleitung zu reformieren. Diese Reform soll nicht nur den Bundesrat als Regierungsorgan betreffen, sondern auch das Verhältnis von Bundesversammlung und Bundesrat mit einschliessen, insbesondere in den Bereichen der politischen Steuerung, Gesetzgebung, Wahlen, Aussenpolitik, Finanzbefugnisse und Oberaufsicht. (...).»

3513

liche Mitarbeitende haben, die sie für die Ausarbeitung eines ausgearbeiteten Initiativtextes benötigen, dürfen sie in ihren Initiativrechten nicht geschmälert werden.

Die Kommission schlägt vor, dass eine parlamentarische Initiative zumindest die «wesentlichen Grundzüge» eines Erlasses der Bundesversammlung vorschlagen muss. Nicht mehr zulässig sind gemäss dieser Formulierung blosse Prüfungsvorschläge (vgl. die Beispiele in der Fn. 22). Nicht zulässig ist auch eine parlamentarische Initiative, die bloss den Erlass oder die Änderung eines Gesetzes fordert, ohne die wesentlichen Grundzüge der gewünschten Gesetzesrevision anzugeben23.

Der Kommissionsminderheit geht auch dieser Reformvorschlag zu weit und schränkt ihrer Ansicht nach das verfassungsmässige Initiativrecht des einzelnen Ratsmitglieds zu sehr ein; sie beantragt daher, beim Status quo zu bleiben. Das Kriterium der «wesentlichen Grundzüge» sei zudem viel zu unbestimmt, um über die Zulässigkeit einer Initiative zu entscheiden; entweder werde das Kriterium nicht angewendet oder aber es führe zu Willkür.

2.4.5

Gesamterneuerung des Bundesrates

2.4.5.1

Ausgangslage

Die Mitglieder des Bundesrates werden gemäss alter und neuer Verfassung von der Bundesversammlung nach jeder Gesamterneuerung des Nationalrates gewählt (Art.

96aBV und Art. 175 BV). Der Wortlaut der Bestimmung (nicht «der Bundesrat» wird gewählt, sondern «die Mitglieder» werden gewählt) und die unbestrittene Praxis seit 1848 sprechen dafür, die Mitglieder des Bundesrates in Einzelwahlen zu bestellen (vgl. Eichenberger, Kurt: Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Art. 96, Rz. 13). Dem Wahlverfahren für die Mitglieder des Bundesrates sind somit enge verfassungsmässige Grenzen gesetzt. Der nachfolgend zur Diskussion gestellte Reformvorschlag betreffend die Gesamterneuerungswahlen basiert denn auch auf dem geltenden System, wonach sieben einzeln gewählte Mitglieder eine Kollegialregierung bilden. Es ist hier nicht der Rahmen, grundlegende Reformen des Regierungs- und des Wahlsystems, wie zum Beispiel die Wahl aller Mitglieder des Bundesrates auf unveränderbaren Listen, zu diskutieren. Die vom Bundesrat angekündigte Staatsleitungsreform wird Gelegenheit bieten, auf Verfassungsebene allenfalls auch solche Vorschläge einzubringen. Vorerst geht es darum, eine gesetzliche Regelung der Wahlkompetenzen der Bundesversammlung auf der heutigen Verfassungsgrundlage zu finden, wobei verfassungskonforme Reformvorschläge, welche im Parlament hängig sind, selbstverständlich einzubeziehen sind.

Bezüglich der Gesamterneuerungswahlen des Bundesrates wurden deshalb in der SPK zwei Varianten diskutiert. Die Variante 1 gibt das geltende Recht wieder und nimmt einige sprachliche Präzisierungen vor. Danach werden die Mitglieder des Bundesrates einzeln und nacheinander gewählt. Die Variante 2 bedeutet eine Umsetzung der Motion Weyeneth 98.3349, welche der Nationalrat der SPK am 23

Beispiel: 93.461 Pa. Iv. Dettling. Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer: «Im Vollzug von Artikel 41ter Absatz 6 habe der ordentliche Gesetzgeber baldmöglichst den verfassungsmässigen Gesetzgebungsauftrag zu erfüllen und ein Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer zu erlassen.»

3514

18. Dezember 1998 als Postulat zur Prüfung überwiesen hat (N 1998 AB 2843f.).

Gemäss dieser Variante sind die Mitglieder des Bundesrates bei der Gesamterneuerung gleichzeitig auf einem Wahlzettel zu wählen. Bereits am 22. März 1996 hatte der Nationalrat die Motion Weyeneth 95.3140, welche einen ähnlichen Inhalt hatte, mit 82:67 Stimmen gutgeheissen (N 1996 AB 573ff.). Die Motion wurde jedoch am 4. Oktober 1996 vom Ständerat mit 19:15 Stimmen abgelehnt, nachdem die vorberatende SPK mit 10:1 Stimmen Annahme empfohlen hatte (S 1996 AB 846ff.).

Die SPK hat die Vor- und Nachteile der beiden Varianten intensiv geprüft. Es ist allerdings grundsätzlich festzuhalten, dass die Konsequenzen einer Reform des Wahlsystems nur sehr schwer abgeschätzt werden können. Institutionelle Regeln haben zwar Auswirkungen auf das Verhalten der politischen Akteure, können dieses jedoch nicht definitiv bestimmen. Welche Taktik die Akteure mit welcher Wirkung anwenden, kann kaum vorausgesagt werden. So sind das schweizerische Konkordanzsystem und die dazugehörige Zauberformel Resultat eines politischen Prozesses, der zu einem grossen Teil von institutionellen Regeln wie dem Referendumsrecht geprägt ist, jedoch weniger von den institutionellen Regeln des Verfahrens für die Wahl der Mitglieder des Bundesrates. Die Konkordanz kann unter verschiedenen Wahlsystemen verwirklicht werden. Im Folgenden sollen zuerst die Argumente aufgelistet werden, wie sie bisher in der Bundesversammlung zum Vorschlag Weyeneth genannt worden sind; weiter soll die in der Literatur zum Thema geführte Diskussion zusammengefasst werden.

2.4.5.2

Argumente für und gegen die beiden Wahlverfahren

Argumente für aufeinander folgende Einzelwahlen (geltendes System) Für das heute geltende System spricht vor allem das Argument der Übersichtlichkeit. Die Wählenden haben einen Namen auf den Wahlzettel zu schreiben; die Auszählung ist rasch vorgenommen. So meint denn auch Jean-François Aubert: «Dies ist wohl die einzige Möglichkeit, dem Parlament die Übersicht über das Wahlverfahren zu gestatten» (Aubert, Jean-François: Bundesstaatsrecht der Schweiz, Bd. II., Basel und Frankfurt am Main 1995, Ziff. 1484).

Der dem System bisweilen gemachte Vorwurf der Benachteiligung des amtsjüngsten Regierungsmitglieds stellt sich bei näherer empirischer Betrachtung der Wahlresultate als nicht stichhaltig heraus: In den 14 seit 1943 stattgefundenen Gesamterneuerungswahlen erhielt nur gerade in drei Fällen der zuletzt Kandidierende die wenigsten Stimmen: 1971 der Sozialdemokrat Graber, 1979 der Sozialdemokrat Aubert und 1991 der Freisinnige Villiger. Zu Graber und Aubert ist anzumerken, dass sie auch in den nachfolgenden Gesamterneuerungswahlen in besserer Ausgangsposition das jeweils schlechteste Resultat machten, sodass hier wohl weniger die Wahlreihenfolge, sondern politische Kriterien ausschlaggebend waren. Hingegen wurde in fünf Fällen entweder der Erstkandidierende mit dem schlechtesten oder der zuletzt Kandidierende mit dem besten Resultat gewählt, oder beides fiel gar zusammen. In der Debatte des Ständerates zur Motion 95.3140 wurde denn auch betont, dass allfällige schlechte Resultate der amtsjüngeren Mitglieder nicht nur im Zusammenhang mit deren Position im Wahlverfahren zu sehen sind (Amtl. Bull. S 1996 846ff.).

3515

Argumente gegen aufeinander folgende Einzelwahlen Jean-François Aubert hält allerdings auch fest, dass sich aus dem System der aufeinander folgenden Einzelwahlen auch Nachteile ergeben. So fänden die Wahlgänge nicht ganz unabhängig voneinander statt. Ist zum Beispiel eine Partei über das Abschneiden ihres Kandidaten oder ihrer Kandidatin enttäuscht, so könne dies Auswirkungen auf den nachfolgenden Wahlgang für die nächste Person haben. Die Befürworter und Befürworterinnen der Motion Weyeneth kritisieren insbesondere, dass die Bundesversammlung mit diesem System eigentlich ihre Wahlfreiheit selbst einschränke und die Wiederwahlen zu einem Ritual verkommen lasse. So würden auch kritisierte Mitglieder des Bundesrates immer wieder gewählt, um nicht die Wahl der Mitglieder des Bundesrates aus der eigenen Partei zu gefährden.

Argumente für gleichzeitige Wahlen (Vorschlag Weyeneth) Offenbar besteht unter den Befürwortern des Vorschlags Weyeneth das Bedürfnis, etwas mehr Bewegung ins Wahlprozedere zu bringen und Abwahlen eher möglich zu machen. Das geltende Wahlsystem verhindere, dass eine wirkliche Selektion der Besten vorgenommen werden könne: «Sicher ist aber, dass durch dieses Verfahren das überlagert wird, was eine Wahl ausmacht, nämlich das selektierende und qualifizierende Element» (aus der Begründung zur Motion 95.3140). Die echte Leistungsbewertung solle gegenüber parteitaktischen Manövern in den Vordergrund treten, wurde am 4. Oktober 1996 im Ständerat argumentiert. Sicher würde die Abwahl eines Regierungsmitgliedes leichter und die Stabilität würde somit geringer. Es könne jedoch nicht das alleinige Ziel eines Wahlverfahrens sein, dass alle wieder gewählt werden.

Der Motionär erhofft sich vom System der gleichzeitigen Einzelwahl auch, dass der Bundesrat wieder vermehrt angehalten werde, als Kollegium zu führen, «wenn ansonsten bei der nächsten Gesamterneuerungswahl die Gefahr besteht, dass einem Mitglied der Landesregierung das Vertrauen nicht mehr ausgesprochen wird. Der Wille zur Konkordanz wird dadurch erhöht» (aus der Begründung zur Motion 98.3349). In seinen Ausführungen zu Artikel 96 der Bundesverfassung von 1874 vertritt übrigens auch Kurt Eichenberger die Auffassung, «dass es der Idee der Kollegialregierung eher entspräche, bei Gesamterneuerungen auch Gesamtwahlen durchzuführen» (aus:
Eichenberger, Kurt: Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Artikel 96, Rz. 13). Die Befürworter der Motion Weyeneth betonen denn auch, dass die Motion weder gegen das Kollegialprinzip noch gegen das Konkordanzsystem gerichtet sei. Zu Letzterem halten sie fest, dass auch das neue System den «freiwilligen Proporz» in keiner Weise ausschliesse. Sie verweisen auf das Wahlsystem für die Regierung in verschiedenen Kantonen, wo die Mitglieder auch alle gleichzeitig auf einem Wahlzettel gewählt werden und sich die Parteien häufig an einen «freiwilligen Proporz» halten.

Argumente gegen gleichzeitige Wahlen Die Gegner der Motion gestanden zwar ein, dass das geltende Wahlverfahren eine gewisse Stabilität der Regierungszusammensetzung garantiere, was jedoch durchaus erwünscht sei. Die volle Wahlfreiheit hätten die Mitglieder der Bundesversammlung auch mit dem geltenden System. Besteht das Bedürfnis, ein Mitglied des Bundesrates abzuwählen, so kann dies die Bundesversammlung ohne weiteres tun, falls sich mehrere Fraktionen zuvor auf eine andere Person einigen, die an Stelle der wieder kandidierenden auf den Wahlzettel geschrieben wird. Die Ursachen für die Unzu3516

friedenheit mit dem aktuellen Zustand seien denn auch nicht auf das Wahlverfahren zurückzuführen, sondern auf das Wahlverhalten der Mitglieder der Bundesversammlung.

2.4.5.3

Beurteilung der Auswirkungen verschiedener Wahlverfahren

Die konkreten Auswirkungen neuer Wahlverfahren abzuschätzen ist, wie oben schon dargelegt, äusserst schwierig. Grundsätzlich können jedoch folgende Überlegungen festgehalten werden: 1.

Bei der aktuellen Zusammensetzung der Bundesversammlung braucht es eine Mehrheit von mindestens drei der vier grossen Fraktionen, um ein Mitglied des Bundesrates zu wählen.

2.

Damit ein amtierendes Mitglied des Bundesrates abgewählt werden kann, braucht es eine breit abgestützte Alternative, unabhängig davon, nach welchem Wahlsystem verfahren wird. Verständigen sich mindestens drei der vier grossen Fraktionen auf eine Gegenkandidatur, welche bei der Wiederwahl gegen ein bestimmtes Mitglied antreten kann bzw. im Hinblick auf die Ergänzungswahl lanciert werden kann, sind die Chancen gross, dass das amtierende Mitglied abgewählt wird. Wird das abgewählte Mitglied nach wie vor von seiner Fraktion getragen, so ist die Abwahl mit einer Diskussion über die Regierungszusammensetzung verbunden.

3.

Ist die Opposition gegen ein Regierungsmitglied nur diffus vorhanden und kann nicht zu einer Alternativkandidatur gebündelt werden, so ist die Abwahl eines Regierungsmitglieds schwierig. Wird nach dem Verfahren Weyeneth vorgegangen, so ist zwar denkbar, dass ein Mitglied gezwungen werden kann, in der Ergänzungswahl anzutreten. Steht jedoch nicht eine mehrheitsfähige Alternativkandidatur zur Verfügung, dann wird das Mitglied in der Ergänzungswahl die Hürde nehmen, weil zu viele andere Personen zu wenig Stimmen auf sich vereinigen und nach und nach ausscheiden werden. Beim herkömmlichen Verfahren sind die Wählenden mit Gegenstimmen vielleicht etwas zurückhaltender wegen der möglichen negativen Auswirkungen auf die nachfolgenden Kandidaten und Kandidatinnen. Es ist jedoch durchaus möglich, dass auch beim geltenden Wahlverfahren der Kandidat im ersten Wahlgang das absolute Mehr verfehlt.

4.

Das Verfahren gemäss Vorschlag Weyeneth hat also eher dann Auswirkungen, wenn eine ungebündelte diffuse Opposition vorhanden ist. Wenn eine Alternativkandidatur offiziell lanciert wird, wird die Diskussion vor den Wahlen öffentlich geführt und das Wahlprozedere hat hier wenig Wirkung.

Die Wirkung der Motion Weyeneth kann also darin gesehen werden, dass im Falle diffuser, ungebündelter Opposition gegen ein Mitglied des Bundesrates dieses eher Gefahr läuft, im ersten Wahlgang nicht gewählt zu werden, als wenn nach dem herkömmlichen System verfahren wird.

Die SPK kam in ihrer Beurteilung zum Schluss, dass Meinungsverschiedenheiten über die Regierungszusammensetzung oder über die Beurteilung eines Regierungsmitglieds in einer transparent geführten Diskussion politisch ausgetragen werden 3517

sollen. Kommt die Mehrheit der Bundesversammlung zum Schluss, dass aus bestimmten Gründen ein Mitglied der Regierung abzuwählen sei, dann kann sie dies gemäss heutigem Wahlverfahren tun. Ein Verfahren gemäss Vorschlag Weyeneth würde es Akteuren, welche im Hintergrund in irgendwelchen Hinterzimmern agieren, erleichtern, ohne vorherige öffentliche Auseinandersetzung ein Bundesratsmitglied in den zweiten Wahlgang bzw. in die Ergänzungswahl zu schicken. Das Verfahren würde für die Öffentlichkeit intransparent, während das geltende Verfahren sich gerade durch seine Übersichtlichkeit auszeichnet. Eine Änderung des Verfahrens drängt sich insbesondere auch deshalb nicht auf, weil die empirische Analyse der Wahlresultate gezeigt hat, dass der gegenüber dem geltenden Verfahren am häufigsten gemachte Vorwurf der Benachteiligung der amtsjüngsten Mitglieder nicht gerechtfertigt ist.

Eine Minderheit der SPK erachtet jedoch den Status quo als unbefriedigend und will die Wiederwahl der Mitglieder des Bundesrates auf einer gemeinsamen Liste. Die Mitglieder der Bundesversammlung sollen ihren Willen völlig ungehindert von parteipolitischen Rücksichtnahmen, die sich im geltenden System auf Grund der Reihenfolge ergeben, zum Ausdruck bringen können.

3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

1. Titel: Allgemeine Bestimmungen Der erste Titel des Parlamentsgesetzes enthält Bestimmungen, welche die Voraussetzung dafür bilden, dass die Bundesversammlung ihre Arbeit aufnehmen kann, und denen auf Grund der Geschichte des Parlaments als demokratische Institution eine besondere Bedeutung zukommen. So z.B. die Öffentlichkeit der Ratsverhandlungen, welche die Grundvoraussetzung für ein demokratisches Parlament bildet, aber auch die zeitliche Festlegung der Versammlungen, welche die Unabhängigkeit des Parlaments gegenüber den anderen Organen unterstreicht. Die Bestimmung über die Ablegung des Eides oder Gelübdes hat einen ähnlichen Charakter.

Art. 1

Gegenstand

Artikel 1 gibt einen Überblick über den Inhalt des Parlamentsgesetzes. Die einzelnen Buchstaben zählen die Schwerpunkte der Regelungsinhalte auf.

Art. 2 Zusammentreten Absatz 1 wiederholt Artikel 151 Absatz 1 BV, der festhält, dass sich die Räte regelmässig versammeln. Die durch das Gesetz festgelegte Regelmässigkeit des Zusammentretens des Parlamentes ist in historischer Hinsicht eines der entscheidenden Kennzeichen eines Parlamentes im heutigen Sinne und gehört daher an diese prominente Stelle des Gesetzes. Die Kommission verzichtet auf eine starre gesetzliche Festlegung der vier ordentlichen Sessionen, wie sie heute im GVG enthalten ist (Art. 1 Abs. 1 GVG). In Zukunft kann sich allenfalls die Frage stellen, ob nicht ein anderer Sessionsrhythmus zweckmässiger sein könnte24. Die offene Formulierung in 24

Diese Frage wurde nach einer eingehenden Prüfung im Jahre 1991 noch negativ beantwortet, vgl. BBl 1991 III 678­682.

3518

Artikel 2 Absatz 1 würde einen derartigen Wechsel erlauben. Der Verzicht auf die gesetzliche Festlegung der vier ordentlichen Sessionen bedeutet aber nicht etwa, dass damit ein mehr oder weniger permanent tagendes Berufsparlament ermöglicht wird. Ein derartiger Entscheid müsste anderswo, nämlich im Rahmen einer grundlegenden Neuregelung der Entschädigung der Ratsmitglieder erfolgen. Im Übrigen würde die Festlegung der vier ordentlichen Sessionen im Gesetz für sich allein keine Garantie gegen eine solche Entwicklung bieten. Die Räte könnten die Dauer der ordentlichen Sessionen beliebig verlängern oder beliebige Sondersessionen beschliessen.

Absätze 2 und 3 definieren die Sondersessionen und ausserordentlichen Sessionen.

Die Sondersession wird neu durch ein sachliches Kriterium umschrieben und kann so deutlicher von der ausserordentlichen Session abgegrenzt werden. Dies drängt sich deshalb auf, weil in der Praxis die beiden Formen oftmals zu Verwechslungen Anlass gegeben haben. Die Sondersession ist in Absatz 2 geregelt und entspricht Artikel 1 Absatz 2bis GVG. Sie ermöglicht einem Rat, zum Abbau der Geschäftslast eine zusätzliche Session abzuhalten (BBl 1991 III 617ff.). Diese Funktion wird neu im Gesetz explizit genannt. In Absatz 3 wird die ausserordentliche Session geregelt.

Die Mehrheit der Kommission will dieses wichtige Minderheitsrecht durch keine sachlichen Kriterien umschreiben, weil ansonsten Artikel 151 Absatz 2 der BV verletzt wird, der keinen Raum für Einschränkungen bietet. Vor allem die von der Minderheit geforderten sachlichen Kriterien, dass eine ausserordentliche Session nur zur dringlichen Beschlussfassung einberufen werden darf, entspricht nicht dem Sinn und Zweck dieser Versammlungsform. Diese hat allein zur Funktion, den Minderheiten die Mitbestimmung der politischen Agenda zu ermöglichen. Ausserordentliche Sessionen können deshalb auch einberufen werden, wenn keine Beschlussfassung oder keine Dringlichkeit angestrebt wird. Auch solche Sessionen sind von besonderer politischer Bedeutung. Absatz 3 wiederholt deshalb nur zur Übersichtlichkeit den Wortlaut der BV auf Gesetzesebene. Eine Minderheit sieht dagegen keinen Verfassungsbruch, wenn die Funktion der ausserordentlichen Session mit der dringlichen Beschlussfassung konkretisiert wird. Einerseits könne dabei die ausserordentlichen
Session von der Sondersession deutlicher abgegrenzt werden; anderseits entspreche dies der geltenden Praxis der Bundesversammlung. Die Minderheiten würden weiterhin mit ausserordentlichen Sessionen die politische Agenda mitbestimmen können, denn diese besondere Sessionsart diene ja gerade dazu, darüber zu beraten, ob eine dringliche Beschlussfassung notwendig sei oder nicht; so z.B. die ausserordentliche Session über das Waldsterben. Das Minderheitsrecht beschränke sich wie im geltenden Recht auf die Einberufung der Bundesversammlung. Der Zeitpunkt der Einberufung und die Festlegung der Traktanden liege aber in der Kompetenz der Büros.

Art. 3 Eid und Gelübde Die Pflicht der designierten Ratsmitglieder, den Eid oder das Gelübde abzulegen (Abs. 1) ist im geltenden Recht in Artikel 4 GRN und Artikel 1 GRS geregelt. Danach hat die Nichtleistung des Eides oder des Gelübdes zur Folge, dass die betreffende Person nicht an den Verhandlungen teilnehmen kann (Art. 4 Abs. 1 GRN; Art. 4 Abs. 2 GRS). Sie kann ihre Rechte nicht wahrnehmen und ist nicht an ihre Pflichten gebunden. Die Leistung des Eides oder des Gelübdes hat damit eine Wirkung auf die Rechtsstellung der designierten Ratsmitglieder und bedarf nach dem

3519

neuen materiellen Gesetzesbegriff in Artikel 164 Absatz 1 Buchstabe c BV einer gesetzlichen Grundlage. Absatz 1 hält die Pflicht der designierten Ratsmitglieder fest, den Eid oder das Gelübde abzulegen. Der von Absatz 1 betroffene Personenkreis wird in Absatz 2 insofern erweitert, als die Personen, die von der Vereinigten Bundesversammlung gewählt werden, vor ihr den Eid oder das Gelübde ablegen müssen.

Damit kann das Dekret der Bundesversammlung betreffend den von den obersten Bundesbehörden zu leistenden Amtseid vom 15. November 1848 (SR 170.31) und damit der älteste geltende Erlass des Bundes, aufgehoben werden. Der Verweis auf andere Gesetze ermöglicht Sonderbestimmungen, wie z.B. Artikel 9 des Gesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege, der festhält, dass die Mitglieder des Bundesgerichts ihren Amtseid vor dem Bundesgericht ablegen müssen.

Absatz 3 regelt die Rechtsfolge für den Fall, dass ein gewähltes Ratsmitglied den Eid oder das Gelübde nicht leisten will: Der Entwurf setzt dabei den Verzicht auf den Eid oder das Gelübde mit einem Verzicht auf das Amt gleich. Absatz 3 findet auch auf die Personen Anwendung, die von der Vereinigten Bundesversammlung gewählt werden (Abs. 2). Die Kommission ist der Auffassung, dass der Verzicht zur Ablegung des Eides oder Gelübdes eine Sanktion nach sich ziehen muss, ansonsten die Einhaltung der Pflicht freiwillig ist und damit umgangen werden kann. Absatz 3 schafft diesbezüglich gegenüber den geltenden Bestimmungen eine klarere Rechtslage. Bis anhin kann das designierte Ratsmitglied sein parlamentarisches Mandat behalten, es ist ihm aber verboten, dieses auszuüben. Dieser Rechtszustand ist unbefriedigend und es ist nicht einzusehen, warum auf Grund der Nichtleistung des Eides oder des Gelübdes ein Teil der Wählerschaft über längere Zeit hinweg im Parlament nicht aktiv repräsentiert sein soll. Vielmehr muss, von einem demokratischen Standpunkt aus betrachtet, der Parlamentssitz wieder frei werden und eine gewählte Ersatzperson oder eine durch Neuwahlen bestimmte Person im Parlament Einsitz nehmen.

Die Minderheit I verlangt dagegen die Streichung von Absatz 3. Sie sei damit nicht gegen die Pflicht, den Eid oder das Gelübde abzulegen, sie sehe aber darin ein Solennitätsritual ­ einen festlichen Brauch ­ und nicht eine konstitutive Voraussetzung
für das Amt. Es können nicht alle Teile der Bevölkerung ohne Gewissenskonflikt, sei er moralischer, politischer oder philosophischer Natur, den Eid oder das Gelübde ablegen. Stelle man den Verzicht auf Leistung des Eides oder Gelübdes mit dem Verzicht auf das Amt gleich, so schliesse man diese Bevölkerungsteile indirekt von der Wahl in die Bundesversammlung aus, denn es lohne sich nicht, sich für ein Amt wählen zu lassen, auf das man noch vor Antritt aus Gewissensgründen verzichten müsse. Absatz 3 nehme insofern Einfluss auf die Wahlen in die Bundesversammlung und schränke das aktive Wahlrecht ein; das demokratische Prinzip sei verletzt.

Absätze 4 und 5 enthalten eine neue Eides- und Gelübdeformel. Dieser Vorschlag ist auf die parlamentarische Initiative Teuscher (98.452) zurückzuführen, welche verlangte, eine zeitgemässe Eides- beziehungsweise Gelübdeformel auszuarbeiten. Die Initiative wurde zur Vorprüfung der SPK zugewiesen. In ihrer Sitzung vom 22. Oktober 1999 beschloss die SPK, eine an das Büro gerichtete Motion einzureichen, welche das Begehren der Initiative aufnahm. Die parlamentarische Initiative wurde daraufhin zurückgezogen. Auf Antrag des Büros wandelte der Nationalrat am 22. Dezember 1999 die Motion (99.3568) in ein Postulat um und beauftragte die SPK, Bericht zu erstatten. Das Postulat kann mit diesem Bericht als erfüllt abgeschrieben werden.

3520

Die SPK unterstützt das Begehren und ist der Meinung, dass es der heutigen Zeit angepasst erscheint, die Formeln möglichst kurz zu halten. Die Formulierung beschränkt sich auf die zwei wesentlichen Aspekte der bisherigen Formeln. Sie stellt ein Bekenntnis zur Verfassung und zur Rechtsordnung dar, welche die Grundordnung und die Werte der Schweizerischen Eidgenossenschaft normieren. Eine solche Lösung kennt auch der Kanton Basel-Landschaft (Art. 3 Landratsgesetz vom 21. November 1994). Eine ausführlichere Formel, welche die Ziele des Staates und einzelne Aspekte der Präambel enthalten würde, wäre von vornherein unvollständig, weil es nicht möglich ist, alle wesentlichen Grundsätze der Verfassung oder die ganze Präambel in die Formel aufzunehmen. Der Verweis auf die Verfassung ist klarer und umfassender.

Die Minderheit II unterstützt das Begehren nach einer neuen Eides- und Gelübdeformel, will diese aber ausführlicher gestalten. Damit könne an die alte Eides- und Gelübdeformel angelehnt und deutlicher die Verbindung zur Tradition aufgezeigt werden. Die Aufnahme verschiedener Aspekte aus der Präambel der BV in die Formel mache deutlich, auf welchem Fundament unser Staat aufgebaut sei. Zudem werde auch diese Form einer Eides- und Gelübdeformel in den Kantonen verwendet, so für Mitglieder des Grossen Rates des Kantons Bern (Art. 3 Grossratsgesetz vom 8. November 1988) und des Kantons Aargau (Art. 5 Gesetz über den Verkehr zwischen dem Grossen Rat, dem Regierungsrat und dem Obergericht vom 19. Juni 1990).

Art. 4

Öffentlichkeit

Das Öffentlichkeitsprinzip ist in Art. 158 BV festgehalten. Auf Gesetzesebene soll dazu konkretisiert werden, wie diese Öffentlichkeit hergestellt wird und in welchen Fällen die Räte geheim beraten können. In Absatz 1 wird als Mittel der Herstellung von Öffentlichkeit der Ratsverhandlungen das Amtliche Bulletin genannt. Dieser Grundsatz entspricht der geltenden Praxis. Zwar wird Öffentlichkeit auch durch den freien Zugang zu den Zuhörertribünen hergestellt, jedoch ist dieser Zugang bei grossem Publikumsandrang beschränkt. Weit bedeutender für die Öffentlichkeit ist deshalb die umfassende Publikation der Ratsverhandlungen im Amtlichen Bulletin, das heute durch die leistungsfähigen und schnellen Produktions- und Publikationsweisen (z.B. im Internet) auch qualitativen und quantitativen Ansprüchen uneingeschränkt gerecht werden kann. Es ist nicht nur ein Informations- und Dokumentationsmittel, sondern auch ein Teil der juristischen Materialien, welche die Interpretation und die Intention des Gesetzgebers sichtbar machen. Nicht zuletzt spiegelt das Amtliche Bulletin als historisches Dokument die parlamentarische Tradition des Bundesstaates wieder.

Absatz 2 regelt die geheime Beratung und entspricht der heute geltenden Regelung im GVG (Art. 3 Abs. 2 GVG). Für weitere Ausführungen wird auf den Bericht der SPK vom 7. Mai 1999 verwiesen (BBl 1999 4809ff.). In Buchstabe b wird von der Kommission eine Präzisierung zum geltenden Recht vorgeschlagen. Mit der Formulierung «Mehrheit der Kommission» soll deutlich gemacht werden, dass nur die Kommission, nicht aber die Kommissionsminderheit antragsberechtigt ist. Die demokratische Legitimation des Parlaments und das Öffentlichkeitsprinzip sind eng miteinander verknüpft. Nur durch Öffentlichkeit der Ratsverhandlungen haben die Wählerinnen und Wähler die Möglichkeit, die Tätigkeit des Parlaments zu überprüfen. Der Ausschluss der Öffentlichkeit stellt deshalb einen bedeutenden Eingriff in die demokratische Grundordnung dar, sodass das Antragsrecht zur geheimen Bera3521

tung qualifiziert sein muss. Zudem wäre es mit dem Grundsatz der Gleichberechtigung der Ratsmitglieder nicht vereinbar, dass einerseits für den Antrag auf geheime Beratung im Rat das Quorum von einem Sechstel der Mitglieder verlangt wird, anderseits nur ein Ratsmitglied denselbigen Antrag als Kommissionsminderheit einbringen kann. Die Minderheit will dagegen auch Kommissionsminderheiten ein Antragsrecht geben. Gerade bei einem solch heiklen Thema müssten sich die in den Kommissionen vertretenen Meinungen der Minderheiten im Rat artikulieren können.

Art. 5

Lobbyistinnen und Lobbyisten

Während der Sessionen können im Parlamentsgebäude ­ insbesondere in der Wandelhalle und in den Vorzimmern der Räte ­ Personen beobachtet werden, die mehr oder weniger regelmässig für die Anliegen der von ihnen vertretenen Interessenverbände werben. Diese Personen erhalten heute Zutritt zum Parlamentsgebäude entweder auf Grund einer Akkreditierung als Medienschaffende oder aber mit Ausweisen, die auf Grund der Empfehlung von einzelnen Ratsmitgliedern ausgestellt werden. Jedes Ratsmitglied hat das Recht, für zwei Personen nach freier Wahl derartige Zutrittskarten ausstellen zu lassen. Die Liste der akkreditierten Medienschaffenden ist öffentlich; die Liste der persönlichen Bekannten der Ratsmitglieder hingegen ist nicht zugänglich.

Diese Situation ist weder für die Ratsmitglieder noch für die weitere Öffentlichkeit transparent. Angesichts der Bedeutung, welche die Lobbyistinnen und Lobbyisten im politischen Entscheidungsprozess spielen können, fragt es sich, ob sie nicht auf analoge Weise akkreditiert werden sollten, wie dies heute bereits für die Medienschaffenden der Fall ist. Falls diese Frage bejaht wird, muss diese Akkreditierung in einer Verordnung der Bundesversammlung geregelt werden ­ analog der bestehenden «Verordnung über die Akkreditierung von Journalisten» vom 21. Dezember 1990 (SR 170.61; vgl. dazu auch die Erläuterungen zu Art. 6). Mit Artikel 5 wird die notwendige gesetzliche Grundlage für eine derartige Verordnung geschaffen.

Die Kommission möchte im Gesetz nur die Möglichkeit schaffen, eine solche Verordnung zu erlassen. Die «Kann»-Formulierung erlaubt, zu gegebener Zeit noch näher zu prüfen, ob der Regelungsbedarf tatsächlich besteht. Die Kommissionsminderheit II betrachtet demgegenüber den Regelungsbedarf in jedem Fall als ausgewiesen und möchte durch das PG die Bundesversammlung verpflichten, betreffend das Wirken der Lobbyistinnen und Lobbyisten Transparenz zu schaffen. Die Minderheit I hingegen bestreitet grundsätzlich jeden Regelungsbedarf in dieser Frage. Die Bedeutung der Lobbyistinnen und Lobbyisten dürfe nicht überschätzt werden, wozu gerade eine solche Regelung Anlass geben könnte.

Art. 6 Information Die freie Meinungsbildung in einer demokratischen Gesellschaft setzt eine gewisse Informationspflicht der Behörden voraus. Absatz 1 hält diesen Grundsatz für die
Bundesversammlung fest, wobei mit dem letzten Satz deutlich gemacht wird, dass die Informationspflicht nicht die Verletzung von Geheimhaltungsinteressen rechtfertigen kann. Absatz 1 ist vor allem auch für die Kommissionen von Bedeutung, die auf Grund ihrer vertraulichen Beratungen schon nach den geltenden Ratsreglementen die Pflicht zur ausführlichen Information haben (Art. 25 GRN; Art. 17 GRS).

Der Grundsatz wird durch Artikel 48 konkretisiert. In Absatz 2 wird eine gesetzliche 3522

Grundlage für eine Verordnung geschaffen, die das Verhältnis zwischen Parlament und Medienschaffenden regelt. Für diese Aufgabe war lange Zeit die Bundeskanzlei zuständig, welche die nötigen Ausführungsbestimmungen erlassen hat. Seit der Trennung der Parlamentsdienste von der Bundeskanzlei finden diese Bestimmungen auf Grund der generellen Verweisnorm in Artikel 8novies Absatz 7 GVG (übernommen in Art. 70 PG) weiterhin Anwendung. Da keine Gründe dagegen stehen, diese Praxis zu ändern, schafft Absatz 3 eine Gesetzesgrundlage, die es auf Verordnungsstufe weiterhin erlaubt, auf die Ausführungsbestimmungen der Bundeskanzlei zu verwiesen und allenfalls die für die Bedürfnisse des Parlamentsbetriebs notwendigen Abweichungen vorzunehmen (BBl 1999 4809ff.).

2. Titel: Mitglieder der Bundesversammlung 1. Kapitel: Rechte und Pflichten Die Rechte und Pflichten der Mitglieder der Bundesversammlung sind heute über verschiedene Gesetze und Reglemente verstreut und bilden ein Konglomerat, dessen Übersicht kaum noch gewährleistet ist. Für die Transparenz und Anwendbarkeit des Gesetzes ist es sinnvoll, diese Bestimmungen, welche die Mitglieder beider Räte gleichermassen betreffen, in einem Kapitel zusammenzufassen. Damit kann u.a.

auch eine Abgrenzung der Rechte der Ratsmitglieder gegenüber denjenigen der Kommissionen systematisch deutlicher vorgenommen werden. Die systematische Einordnung als ersten Titel nach den «Allgemeinen Bestimmungen» lässt sich damit rechtfertigen, dass die Bundesversammlung durch ihre Räte respektive durch ihre Ratsmitglieder handelt und sie verfahrenstechnisch nur dann selbstständig handeln kann, wenn ihre Mitglieder handeln können. Das geltende Recht gewährt den Ratsmitgliedern umfassende individuelle Verfahrensrechte, was durch die Expertenkommission der SPK auch als individuelles Repräsentationsverständnis bezeichnet wurde (BBl 1996 II 531). An diesem individuellen Charakter des Verfahrens wurde im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung festgehalten (BBl 1997 III 272), was durch das Voranstellen des Kapitels «Mitglieder der Bundesversammlung» seinen Ausdruck findet.

Art. 7

Verfahrensrechte

Absätze 1 und 2 zählen die individuellen Initiativ-, Vorstoss- und Antragsrechte sowie das Recht zur Einreichung von Wahlvorschlägen. Absatz 3 hält das Rederecht der einzelnen Ratsmitglieder fest. Da dieses auf Grund der Grösse der Räte in den Ratsreglementen auf unterschiedliche Weise ausgestaltet ist, wurde eine Grundlage für die entsprechenden Einschränkungen ermöglicht (vgl. Art. 68ff. GRN). Die Bestimmung entspricht geltendem Recht.

Art. 8

Informationsrechte

Die Bedeutung und der Umfang der Informationsrechte der Ratsmitglieder wurden bereits in den allgemeinen Erläuterungen dieses Berichts besprochen, sodass die Ausführungen sich hier auf eine ergänzende Kommentierung beschränken können (vgl. vorne Ziff. 2.4.1).

3523

Absatz 1 bezeichnet die Mittel und den Umfang der Informationsrechte der Ratsmitglieder. Neben den Vorstossrechten ­ Anfrage und Interpellation ­ können die Ratsmitglieder Unterlagen der Bundesverwaltung einsehen oder vom Bundesrat und von der Bundesverwaltung Rechtsauskünfte erhalten. Der Umfang der Informationsrechte ist eingegrenzt durch das Kriterium «im Rahmen ihres parlamentarischen Mandats». Damit kommt zum Ausdruck, dass die Ratsmitglieder Zugang zu den Informationen erhalten sollen, die sie zur Ausübung ihres Mandats benötigen, so u.a.

zur Ausarbeitung ihrer Anträge und Voten in den Kommissionen und Räten, aber auch, dass die Ratsmitglieder die Informationen erhalten müssen, mit denen sie sich die nötige Fachkompetenz für die Ausübung ihrer parlamentarischen Arbeit aneignen können. Da die Ratsmitglieder selber an das Amtsgeheimnis gebunden sind, haben der Bundesrat und die Bundesverwaltung den Ratsmitgliedern auch Informationen zur Verfügung zu stellen, die unter das Amtsgeheimnis fallen (vgl. Art. 9 und in diesem Bericht Ziff. 2.4.1.2). Der Begriff des parlamentarischen Mandats ist sehr offen. In Absatz 2 werden deshalb explizit die Informationen aufgezählt, zu denen die Ratsmitglieder keinen Zugang haben dürfen. Die aufgezählten Sachbereiche bilden drei Hauptgruppen an Informationen. Zum Schutze des Kollegialprinzips können nach Buchstabe a keine Unterlagen eingesehen werden, die der unmittelbaren Entscheidfindung des Gesamtbundesrates dienen. Darunter fallen insbesondere die Mitberichte der Departemente. In Buchstabe b werden die Informationen betreffend Nachrichtendienst und Staatssicherheit von den Informationsrechten der Ratsmitglieder ausgeschlossen. Die Einsicht dieser äusserst heiklen und sensiblen Informationen liegt in der Kompetenz der Geschäftsprüfungsdelegation (vgl. Art. 53 Abs. 2).

Da in diesem Sachbereich dem Informationsbedürfnis der Ratsmitglieder zentrale Sicherheitsinteressen des Staates, aber auch der Schutz der Informantinnen und Informanten gegenüberstehen, soll der Zugang zu diesen Informationen ausschliesslich der Geschäftsprüfungsdelegation vorbehalten sein. Begrifflich muss deshalb Buchstabe b dem Kompetenzbereich der Geschäftsprüfungsdelegation in Artikel 53 Absatz 2 entsprechen. Eine Minderheit verlangt dagegen, dass Buchstabe b dahingehend umformuliert wird,
dass die Ratsmitglieder nur zu Informationen, die «aus Staatssicherheitsgründen vertraulich sein müssen», keinen Zugang haben dürfen.

Nicht alle Informationen und Unterlagen, welche von den für den Staatsschutz zuständigen Dienststellen bearbeitet würden, stünden im Zusammenhang mit dem Staatsschutz. Vor allem Unterlagen, welche die Dienststellen selber betreffen, würden sich nicht von denjenigen anderer Amtsstellen unterscheiden; so beispielsweise Unterlagen zur Umstrukturierung oder zum Personalbestand. Diesbezüglich stelle die Formulierung der Minderheit eine Präzisierung dar, indem der Zugang der Ratsmitglieder zu Informationen ausgeschlossen sei, die konkret mit dem Staatsschutz zusammenhängen. In Buchstabe c werden sodann die Informationen erwähnt, welche auf Grund des Persönlichkeitsschutzes vertraulich zu behandeln sind. Dieser Schutz ist insofern nötig, weil ein einzelnes Ratsmitglied durch die Einsicht gegenüber Dritten private Vorteile erlangen könnte, so z.B. wenn es Einsicht in Unterlagen hat, die ein Geschäftsgeheimnis offenbaren oder ein ärztliches Zeugnis enthalten.

Trotz dieser Eingrenzung der Informationsrechte kann kein endgültig definierter Umfang der Informationsrechte der Ratsmitglieder im Parlamentsgesetz festgeschrieben werden. Genügen diese zusätzlichen Kriterien nicht, um ein Informationsbegehren eines Ratsmitgliedes zu beurteilen, so erlangt der Begriff des «parlamentarischen Mandats» einerseits und dessen Auslegung im Verfahren zur Durchsetzung 3524

der Informationsrechte andererseits besondere Bedeutung. Absatz 3 regelt das Verfahren im Konfliktfall, wenn der Bundesrat respektive eine Verwaltungsstelle eine Auskunft oder die Einsicht in die Unterlagen verweigert. Das betroffene Ratsmitglied kann das Ratspräsidium seines Rates anrufen. Dieses hat zu entscheiden, ob die Auskunft zu erteilen ist oder die Unterlagen eingesehen werden können. Sein Ermessensspielraum wird durch Absatz 1 und 2 eingeschränkt: Handelt es sich um Informationen, die unter ein Kriterium gemäss Absatz 2 fallen, so muss das Ratspräsidium der Verweigerung des Bundesrates stattgeben; fallen die Informationen hingegen nicht unter Absatz 2, so hat es gemäss Absatz 1 zu prüfen, ob die Informationen zur Ausübung des parlamentarischen Mandats erforderlich sind. Es liegt dann an den Ratspräsidien zu entscheiden, wie weit das Informationsbegehren mit der Ausübung des parlamentarischen Mandats im Einklang steht und wie die Verweigerungsgründe des Bundesrates zu werten sind. Der Begriff des parlamentarischen Mandats kann dabei nicht dahingehend ausgelegt werden, dass Ratsmitglieder aus wirtschaftlichen und privaten Interessen Einsicht in die Unterlagen der Bundesverwaltung nehmen können. Den entgegenstehenden Gründen des Bundesrates wird deshalb besonderes Gewicht zukommen. Damit das Ratspräsidium die Entscheidung sachgerecht treffen kann, hat es nach Absatz 4 vollumfänglich Einsicht in die strittigen Unterlagen.

Art. 9

Amtsgeheimnis

Bis anhin wurde das Amtsgeheimnis der Ratsmitglieder im GVG nicht definiert, obwohl auch die Ratsmitglieder nach Artikel 320 Absatz 1 des Strafgesetzbuches sich bei einer Amtsgeheimnisverletzung strafbar machen. Eine Definition des parlamentarischen Amtsgeheimnisses fehlt sowohl im Strafgesetzbuch als auch in anderen Gesetzen, sodass diese nach Artikel 47bis Absatz 6 GVG in Verbindung mit der Definition des Amtsgeheimnisses für Staatsangestellte hergeleitet werden musste.

Artikel 9 schliesst diese Lücke und macht deutlich, dass die Ratsmitglieder an das Amtsgeheimnis gebunden sind, sofern ihnen Tatsachen zur Kenntnis gebracht werden, die unter das Amtsgeheimnis fallen. Sie dürfen diese Informationen nicht der Öffentlichkeit preisgeben. Demgegenüber dürfen den Ratsmitgliedern von Seiten des Bundesrates und der Bundesverwaltung aus Gründen der Amtsverschwiegenheit keine Informationen vorenthalten werden, es sei denn im Rahmen von Artikel 8. Mit dem Passus «auf Grund ihrer Tätigkeit» soll sichergestellt werden, dass die Ratsmitglieder nur an das Amtsgeheimnis gebunden sind, wenn sie während ihrer parlamentarischen Arbeit von Tatsachen erfahren, die unter das Amtsgeheimnis fallen.

Was sie ausserhalb dieser Tätigkeit zur Kenntnis nehmen, ist von Artikel 9 ausgenommen. Der Begriff der «amtlichen Tätigkeit» wird auch in der Immunitätsregel von Artikel 14 des Verantwortlichkeitsgesetzes (vgl. Art. 18 PG) verwendet und ist durch die Praxis genügend bestimmt. Eine Minderheit will diesen Passus streichen.

Sie befürchtet, dass diese Terminologie Abgrenzungsschwierigkeiten zu Artikel 320 Absatz 1 des Strafgesetzbuches schafft, wonach jemand «in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde» an das Amtsgeheimnis gebunden sei. Seien aber Abgrenzungsschwierigkeiten vorprogrammiert, so würde dies die neue Bestimmung über das Amtsgeheimnis schwächen, die eigentlich zum Zweck habe, die parlamentarische Tätigkeit zu stärken. Wie die Immunitätsfälle in der Bundesversammlung zeigen würden, sei der Begriff der «amtlichen Tätigkeit» sehr weit gefasst und führe immer wieder zu schwierigen Auslegungsfragen. Insofern sei es unpraktikabel, diesen auch für Artikel 9 zu verwenden.

3525

Der Umfang des Amtsgeheimnisses wird durch die Kriterien «überwiegende öffentliche und private Interessen» umschrieben. Unter überwiegenden öffentlichen Interessen an einer Geheimhaltung können Tatsachen bezeichnet werden, deren Bekanntgabe ­

die freie Meinungs- und Willensbildung des Bundesrates, der Bundesverwaltung oder des Bundesgerichts gefährdet oder die Wirksamkeit von wichtigen behördlichen Massnahmen vereitelt;

­

die innere Sicherheit sowie die Verfolgung und Verhütung von Straftaten, Steuer- und Zollvergehen oder eine disziplinarische Untersuchung gefährdet;

­

wichtige Wirtschaftsinteressen des Bundes beeinträchtigt;

­

die Verhandlung mit ausländischen Staaten oder Organisationen gefährdet;

­

wichtige Interessen im Rahmen der Landes- und Gesamtverteidigung vereitelt.

Betreffend der privaten Interessen und Persönlichkeitsrechte können kaum verallgemeinerungsfähige Grundsätze formuliert werden. Die vorgeschlagene Formulierung konkretisiert die privaten Interessen mit dem Passus «zum Schutze der Persönlichkeit oder aus Rücksicht auf ein hängiges Verfahren». Als Träger der öffentlichen Gewalt sind die Ratsmitglieder bei der Wahrnehmung der Informationsrechte oder ihrer sonstigen Aufgaben an die Rechtsstaatlichkeit gebunden und haben die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger zu respektieren. Die Persönlichkeitsrechte von Bürgerinnen und Bürgern können v.a. dann tangiert werden, wenn die Ratsmitglieder Einsicht in Akten haben, die persönlichkeitsrelevante Daten beinhalten, wie z.B.

sozialversicherungsrechtliche Daten, Daten aus der Überwachung von Personen, aber auch Personaldossiers, medizinische Gutachten, Prüfungsunterlagen oder Geschäftsgeheimnisse und Herstellungsprozesse von Firmen. All diese Daten fallen auf Grund des verfassungsmässigen Persönlichkeitsschutzes und des Datenschutzgesetzes unter das Amtsgeheimnis. Eine abschliessende Aufzählung ist nicht möglich, da auch betreffend der privaten Interessen an einer Geheimhaltung von Fall zu Fall entschieden werden muss.

Art. 10

Entschädigung

Mit Artikel 10 soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die Ratsmitglieder für ihre Tätigkeit entschädigt werden. Diese zur Vollständigkeit der gesetzlichen Rechte und Pflichten der Ratsmitglieder eingefügte Norm verweist auf das Entschädigungsgesetz vom 19. März 1988. Dieses soll beibehalten werden, weil seine Integration ins GVG zur Folge hätte, dass dessen Umfang durch verschiedene Detailvorschriften unnötig vergrössert würde.

An ihrer Sitzung vom 31. August 2000 beschloss die Staatspolitische Kommission, eine Vorlage zum Ausbau der Altersvorsorge und zur Verbesserung der Infrastruktur der Ratsmitglieder auszuarbeiten. Dieses Projekt wird eine Revision des Entschädigungsgesetzes zur Folge haben.

Art. 11

Pflicht zur Sitzungsteilnahme

Diese Bestimmung entspricht den geltenden Bestimmungen in den Ratsreglementen (Art. 48 GRN; Art. 39 GRS). Die Aufnahme dieser Bestimmungen im GVG ent3526

spricht Artikel 164 Absatz 1 Buchstabe c BV, wonach die Rechte und Pflichten von Personen eine Grundlage in einem Bundesgesetz haben müssen.

Art. 12

Offenlegungspflichten

Absätze 1, 3 und 4 entsprechen der geltenden Regelung von Artikel 3bis Artikel 3quinquies GVG und wurden redaktionell umgestaltet. Dabei wurden auch kleinere materielle Änderungen vorgenommen: Artikel 3bis Absatz 1 Buchstabe b GVG verlangt heute, dass die Ratsmitglieder die Büros über die Tätigkeit «in Führungs- und Aufsichtsgremien bedeutender schweizerischer und ausländischer Körperschaften» unterrichten müssen. In Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe b wird neu auf das Adjektiv «bedeutender» verzichtet, weil dieser Begriff zu Anwendungsproblemen in der Praxis führte. Es fehlen vor allem griffige Kriterien, welche eine Unterscheidung zwischen einer bedeutenden und weniger bedeutenden Körperschaft erlauben; insbesondere lässt sich die Wichtigkeit einer Körperschaft für die Öffentlichkeit nicht ­ wie in der Praxis massgebend ­ anhand deren Kapitalsumme bemessen. Die Ratsmitglieder haben deshalb neu die Führungs- und Aufsichtstätigkeit in allen inländischen und ausländischen Körperschaften anzugeben. In analoger Weise müssen die Ratsmitglieder in Zukunft die dauernden Leitungs- und Beratermandate für alle Interessengruppen angeben, denn in Buchstabe d wurde das bisherige einschränkende Wort «wichtig» gestrichen.

Eine weitere materielle Änderung wurde auf Grund der parlamentarischen Initiative Schlüer (97.441) vorgenommen, welcher der Nationalrat am 8. Dezember 1998 Folge gegeben und an die SPK gewiesen hat. Das Anliegen der Initiative, dass die Ratsmitglieder auch ihre Tätigkeiten als Beraterinnen und Berater sowie Expertinnen und Experten für Bundesstellen deklarieren müssen, wurde in Buchstabe c von Absatz 1 aufgenommen. Damit wird das Register ergänzt durch eine weitere Beratungsfunktion und es wird zusätzlich Transparenz hergestellt. Das zweite Anliegen der Initiative hingegen, dass die Ratsmitglieder über ihre vom Bund mitfinanzierten Auslandreisen informieren müssen, wurde nicht miteinbezogen. Die SPK hat bereits in ihrem Bericht vom 9. Oktober 1998 Vorbehalte dagegen vorgebracht (Amtl. Bull.

N 1998 2780). Die Erfassung derartiger Reisen im Register entspräche kaum seiner Funktion, da diese Auslandreisen nicht zu Interessenbindungen führen, wie sie im Absatz 1 aufgezählt sind. Als Beispiele können Reisen der Mitglieder der schweizerischen Delegation beim Europarat oder Wahlbeobachtungen erwähnt
werden. Die Initiative kann damit als erfüllt abgeschrieben werden.

Die Ratsmitglieder werden wie bisher vom Büro aufgefordert, sich im Register einzutragen (Art. 3quater GVG). Diese Kompetenz wird im neuen Parlamentsgesetz nicht mehr erwähnt, weil sie eine Selbstverständlichkeit darstellt. Verletzt ein Ratsmitglied die Offenlegungspflicht nach Artikel 12 Absatz 1, so kann das Büro gemäss Artikel 14 Absatz 2 Disziplinarmassnahmen ergreifen.

Zudem wurde in Artikel 12 die am 23. Juni 2000 eingefügte Pflicht zur Registrierung von Titeln und Orden ausländischer Behörden weggelassen (siehe Art. 13).

Absatz 2 wurde gegenüber der geltenden Regelung (Art. 3bis Abs. 3 GVG) präzisiert, indem mit dem generellen Verweis auf das Strafgesetzbuch auf die in Artikel 321f.

des Strafgesetzbuches aufgezählten Berufsgeheimnisse verwiesen wird.

3527

Art. 13

Verbot von Zuwendungen und Auszeichnungen ausländischer Regierungen

Mit Beschluss vom 23. Juni 2000 hat die Bundesversammlung das Ordensverbot in das GVG eingefügt (Art. 3sexies GVG; AS 2001 114). Die Bestimmung wurde ins PG übernommen. Entgegen der Vorlage vom 23. Juni 2000 wurde im Parlamentsgesetz die Pflicht der Ratsmitglieder, die Annahme von Titel und Orden ausländischer Behörden im Register gemäss Artikel 12 anzugeben, weggelassen. Die Änderung hat nur formellen Charakter und bedeutet keine Rechtsänderung. Man kann im Gesetz nicht ein Verbot einer Tätigkeit festhalten, gleichzeitig aber die betroffenen Personen dazu verpflichten, die trotz Verbot vorgenommenen Handlungen in einem Register festzuhalten.

Art. 14

Disziplinarmassnahmen

Die Verhängung von Disziplinarmassnahmen ist nach der Verwaltungslehre zulässig, wenn eine gesetzliche Grundlage besteht, sie verhältnismässig ist, das rechtliche Gehör gewährt wurde und eine Beschwerdebefugnis vorgesehen ist (Art. 5 BV). Seit der Revision des Verantwortlichkeitsgesetzes im Jahre 1958 fehlt eine formelle gesetzliche Grundlage für die Sanktionen in den Ratsreglementen. Die Regelung auf Stufe Reglement wurde als genügend erachtet. Mit der neuen Bundesverfassung kann diese Praxis nicht mehr weitergeführt werden (Art. 164 Abs. 1 Bst. c BV) und die gesetzliche Lücke muss durch eine Bestimmung im PG geschlossen werden. In Artikel 14 werden die bisher in den Ratsreglementen vorgesehenen Sanktionen aufgezählt, wobei eine Abstufung von nicht schwerwiegenden (Abs. 1) und schwerwiegenden (Abs. 2) Verstössen vorgenommen wird. Die Verletzung des Amtsgeheimnisses wird neben dem schwerwiegenden Verstoss explizit in Absatz 2 erwähnt.

Die Sanktionen in Absatz 1 entsprechen den Sanktionen des Nationalrates (Art. 52 GRN). Sie wären für den Ständerat ein Novum, weil das ständerätliche Geschäftsreglement heute nur den Ordnungsruf kennt (Art. 56 GRS). Diese Sanktionen bezwecken vor allem die Aufrechterhaltung des geregelten Ratsbetriebes. Auf die spezielle Erwähnung des Ordnungsrufes oder der Mahnung wurde verzichtet, weil sie in dem Sinne keine eigentliche Sanktion, sondern vielmehr ein Hinweis auf die mögliche Verletzung der Ordnung und der damit verbundenen Sanktion ist. Die Kompetenz zur Verhängung der Sanktion liegt bei den Vorsitzenden der Räte; das betroffene Ratsmitglied kann gegen den Entscheid seinen Rat anrufen (Abs. 3). In Absatz 2 werden die Sanktionen für schwerwiegende Verstösse und die Verletzung des Amtsgeheimnisses aufgezählt. Der Verweis ist bereits im Geschäftsreglement des Nationalrats geregelt (Art. 9 Abs. 6 GRN), der Ausschluss aus den Kommissionen ist eine neue Sanktion. Sie wurde im Zusammenhang mit Verletzungen der Vertraulichkeit von Kommissionssitzungen bereits diskutiert, jedoch erlaubte die fehlende gesetzliche Grundlage nur die Androhung der Nichtwiederwahl in die Kommissionen.

2. Kapitel: Unvereinbarkeiten Die neue Bundesverfassung fasst in Artikel 144 alle Unvereinbarkeitsregelungen für die verschiedenen Bundesbehörden zusammen. Nicht mehr aufgenommen wurde die Bestimmung in Artikel 77 der alten Verfassung, wonach vom Bundesrat gewählte 3528

Beamte nicht im Nationalrat sitzen dürfen. Auf Grund eines Antrags der SPK beider Räte (BBl 1997 III 305) wurde die entsprechende Bestimmung, welche im Verfassungsentwurf des Bundesrates noch enthalten war, gestrichen. Statt dessen wurde eine Delegation an den Gesetzgeber vorgenommen, welcher die verschiedenen Unvereinbarkeiten zu regeln habe. In der Verfassung werden nur noch die grundlegenden Unvereinbarkeiten zwischen Ämtern in den obersten Bundesbehörden festgehalten. Dabei geht es nicht um eine Herabstufung der bisherigen Bestimmung in Artikel 77 aBV auf Gesetzesebene, sondern Absicht der SPK war, die Unvereinbarkeitsregelungen für Bedienstete des Bundes neu zu regeln.

Die geltende Regelung gibt in zweierlei Hinsicht zu Kritik Anlass (vgl. ausführlicher BBl 1995 I 1143ff. und BBl 1997 III 260f.): ­

Zum Ersten ist die Ungleichbehandlung der beiden Räte nicht angebracht. Es wurde festgehalten, dass es sich beim Ständerat genauso um eine Bundesbehörde handelt wie beim Nationalrat. So kann ein Chefbeamter oder eine Chefbeamtin sowohl als Mitglied des National- wie des Ständerates in einen Konflikt zwischen freier Mandatsausübung und Loyalität gegenüber dem vorgesetzten Bundesratsmitglied geraten.

­

Zum Zweiten wird als störend empfunden, dass einerseits zum Beispiel ETH-Professoren oder Postangestellte nicht Mitglieder des Nationalrates werden können, Mitglieder von Verwaltungsräten der Post oder der SBB hingegen schon. Was die materielle Ausgestaltung der Unvereinbarkeitsregelungen zwischen einer Anstellung beim Bund und einem Mandat in der Bundesversammlung betrifft, haben sich die SPK bereits konkrete Überlegungen gemacht. Dabei erachteten sie zwei Grundsätze als massgebend: «Zum einen soll die Unvereinbarkeit mit einem Mandat in der Bundesversammlung auf Chefbeamte beschränkt werden, die in bedeutendem Ausmass am Entscheidungsprozess der Exekutive beteiligt sind. Zum anderen soll die Unvereinbarkeit gelten für Verwaltungsräte öffentlicher Betriebe sowie Personen, die im Dienst des Bundes wichtige Funktionen mit weittragenden Entscheidungsbefugnissen ausüben» (BBl 1997 III 260f.).

Somit geht es also darum, eine gesetzliche Regelung der Unvereinbarkeiten mit einem Mandat in der Bundesversammlung zu finden, welche beide Räte gleich behandelt und eine differenzierte Lösung für Personen im Dienste des Bundes vorsieht.

Art. 15

Unvereinbarkeiten

Absatz 1 sieht vor, dass Personen, welche von der Bundesversammlung gewählt oder bestätigt werden, dieser nicht angehören dürfen. Von der Bundesversammlung auf Grund der Verfassung (Art. 168 BV) gewählt werden die Mitglieder des Bundesrates, die Bundeskanzlerin oder der Bundeskanzler, die Richterinnen und Richter des Bundesgerichts sowie der General. Als Richterinnen und Richter des Bundesgerichts gelten sowohl die voll- wie auch die nebenamtlichen Richter. Artikel 168 Absatz 2 BV ermöglicht der Bundesversammlung, weitere Wahlen vorzunehmen oder Wahlen zu bestätigen, falls ein Gesetz dies vorsieht. So sieht Artikel 14 Absatz 1 des Militärstrafprozessrechts (MStP, SR 322.1) vor, dass die Bundesversammlung den Präsidenten, die Richter und die Ersatzrichter des Militärkassationsgerichts zu wählen hat. Gemäss Artikel 14 Absatz 6 des Verantwortlichkeitsgesetzes (SR 170.32) 3529

wählt sie einen ausserordentlichen Bundesanwalt, falls ein Mitglied des Parlamentes dem Bundesgericht überwiesen wird. Die beiden Anwendungsfälle für die Bestätigung einer Wahl sind zur Zeit gemäss Artikel 2 Absatz 2 des Finanzkontrollgesetzes (SR 614.0) die Wahl des Direktors oder der Direktorin der Eidgenössischen Finanzkontrolle sowie gemäss Artikel 8ter Absatz 4bis GVG die Wahl des Generalsekretärs oder der Generalsekretärin der Bundesversammlung.

Absatz 2 ist Ausdruck der strikten personellen Gewaltenteilung zwischen dem Parlament und der Justiz. Alle einem eidgenössischen Gericht angehörenden Personen sollen von einem Parlamentsmandat ausgeschlossen werden, unabhängig davon, ob sie von der Bundesversammlung gewählt werden, wie die unter Absatz 1 erfassten Mitglieder des Bundesgerichts, oder ob eine andere Behörde Wahlinstanz ist, wie zum Beispiel bei den Mitgliedern von unabhängigen Rekurskommissionen.

Der Grundsatz der personellen Gewaltenteilung auch bezüglich der dritten Gewalt verlangt zudem, dass diejenigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der eidgenössischen Gerichte, welche an der Erarbeitung von Urteilen beteiligt sind, nicht der Bundesversammlung angehören dürfen. Gemeint sind konkret die Gerichtsschreiber und Gerichtsschreiberinnen wie auch die persönlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Richterinnen und Richter.

Der Begriff der eidgenössischen Gerichte lehnt sich an die Begriffsverwendung in Artikel 169 Absatz1 BV an und ist entsprechend weit zu verstehen. Er erfasst: ­

das Bundesgericht (inklusive Sozialversicherungsabteilung in Luzern),

­

die im Rahmen der Justizreform noch zu schaffenden Spezialgerichte auf Bundesebene (Bundesstrafgericht, evtl. Verwaltungsgericht),

­

unabhängige Rekurskommissionen im Sinne von Artikel 71a ff. des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021),

­

die militärischen Gerichte (Divisionsgerichte, Art. 5ff. MStP, SR 322.1; Militärappellationsgerichte, Art. 9f. MStP).

Absatz 3 hält im ersten Satz den Grundsatz fest, gemäss dem zu beurteilen ist, ob eine bestimmte Person im Dienste des Bundes der Bundesversammlung angehören darf oder nicht. Dabei geht es darum, gemäss dem Vorschlag der SPK eine differenzierte Regelung zu finden. Im Bericht zur Initiative 94.428 wurde vorgeschlagen, nur Chefbeamte, «die in bedeutendem Ausmass am Entscheidungsprozess der Exekutive beteiligt sind», der Unvereinbarkeit zu unterstellen (BBl 1995 I 1147ff.). Es ist allerdings die Frage zu stellen, ob es sinnvoll ist, nur Personen in leitenden Positionen von einem Mandat in der Bundesversammlung auszuschliessen. So können zum Beispiel bestimmte Sachbearbeiter oder Sachbearbeiterinnen massgebend an der Erarbeitung einer bundesrätlichen Vorlage beteiligt sein und genauso in Loyalitätskonflikte geraten wie eine Amtsdirektorin, wenn sie sich als Parlamentsmitglied gezwungen sähen, allenfalls gegen den von ihnen im Auftrag des Bundesrates erarbeiteten Entwurf Stellung zu nehmen. Im Weiteren ist zu fragen, ob wirklich die Teilnahme am bundesrätlichen Entscheidungsprozess relevant ist für den Ausschluss aus der Bundesversammlung. So kann jemand am bundesrätlichen Entscheidungsprozess teilnehmen, indem er den Bundesrat in Vollzugsaufgaben berät, welche wenig Bezug zur Tätigkeit der Bundesversammlung haben. Als sinnvollere Abgrenzung wird hier deshalb vorgeschlagen, diejenigen Bundesangestellten von einem Mandat in der Bundesversammlung auszuschliessen, welche in bedeutendem 3530

Ausmass an der Erarbeitung von Entscheidungsgrundlagen für die Bundesversammlung beteiligt sind. So ist es zum Beispiel kaum wünschenswert, wenn die gleiche Person, welche massgeblich bei der Formulierung eines Gesetzesentwurfs beteiligt war, als Parlamentsmitglied Änderungsanträge zu diesem Gesetzesentwurf stellen kann.

Welche Personen in bedeutendem Ausmass an der Erarbeitung solcher Entscheidungsgrundlagen beteiligt sind, kann nicht generell, sondern nur im Einzelfall bestimmt werden. Satz 2 von Absatz 2 erfasst im Sinne einer Interpretationshilfe die wichtigsten Fälle. Er ist nicht abschliessend, was durch die Verwendung des Wörtchens «insbesondere» klargestellt wird. Im Einzelnen geht es um die folgenden Personenkategorien: Buchstabe a erfasst alle Mitarbeitenden der Parlamentsdienste, also nicht nur solche in leitenden Funktionen. Diese Personen arbeiten derart nahe an den parlamentarischen Entscheidungsprozessen, dass ein genereller Ausschluss von einem Mandat in der Bundesversammlung gerechtfertigt ist.

Während die Unvereinbarkeitsregel für alle Angestellten der Parlamentsdienste gilt, so soll sie gemäss Buchstabe b in den Stabsstellen der Regierung und der Gerichte nur für Personen in leitenden Funktionen gelten. Es wäre unverhältnismässig, das Personal in den administrativen Sekretariaten der Bundeskanzlei oder des Bundesgerichts von einem Parlamentsmandat auszuschliessen. Der Begriff der «leitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter» meint solche in Kaderfunktionen, welche im Sinne von Satz 1 in irgend einer Weise an der Erarbeitung von Entscheidungsgrundlagen beteiligt sind. Dazu gehören zum Beispiel: ­

die Generalsekretäre und Generalsekretärinnen der Generalsekretariate der Departemente und ihre Stellvertreter und Stellvertreterinnen,

­

in der Bundeskanzlei alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Führungspositionen (Sektionschef, Abteilungschef, Dienstchef, Vizekanzler),

­

leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justizverwaltung (z.B. Generalsekretär des Bundesgerichts).

In Buchstabe c geht es um Personen in weiteren Dienststellen, welche das Kriterium gemäss erstem Satz von Absatz 3 erfüllen. In der Regel geht es um Direktionsmitglieder. Selbstverständlich bleibt es den Arbeitgebern offen, ihrerseits weitergehendere Unvereinbarkeiten festzulegen. Artikel 23 des Bundespersonalgesetzes (BBl 2000 2208) ermöglicht Ausführungsbestimmungen, welche die Ausübung öffentlicher Ämter von einer Bewilligung abhängig machen. Bei den dezentralen Verwaltungseinheiten besteht das Problem darin, dass die Funktionen zum Teil nicht gleich bezeichnet sind wie in der zentralen Bundesverwaltung, deshalb wird hier von «vergleichbarer Stellung» gesprochen. Die «dezentralen Verwaltungseinheiten» werden in der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung (RVOV; SR 172.010.1) abschliessend aufgezählt. Bei den Organisationen ausserhalb der Bundesverwaltung wird auf die beherrschende Stellung des Bundes abgestellt. Diese kann sich in einer Kapitalgesellschaft beispielsweise an einer Mehrheitsbeteiligung zeigen.

Im Sinne einer Interpretationshilfe sollen hier für die einzelnen unter Buchstabe c genannten Kategorien ein paar Beispiele aufgelistet werden. Es ist allerding noch-

3531

mals festzuhalten, dass es sich nicht um eine abschliessende Aufzählung handelt. Jeder konkrete Fall müsste geprüft werden.

Beispiele für Direktionsmitglieder von Ämtern: Direktor, stv. Direktor, Vizedirektor.

Der Preisüberwacher ist auf Grund seiner administrativen Stellung wie ein Direktor eines Bundesamtes zu behandeln.

Beispiele für Direktionsmitglieder von Gruppen: Gruppe für Wissenschaft und Forschung (EDI); Direktor/Staatssekretär, Vizedirektor.

Beispiele für Personen in vergleichbarer Stellung in dezentralen Verwaltungseinheiten im Sinne von Artikel 6 Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung (RVOV): ­

Eidgenössischer Datenschutzbeauftragter,

­

Mitglieder des ETH-Rats,

­

Mitglieder der Schulleitung der ETH,

­

Mitglieder der Direktion des Instituts für Geistiges Eigentum (IGE) und des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung,

­

Mitglieder der Direktion der eidgenössischen Alkoholverwaltung,

­

Mitglieder von Behördenkommissionen (Eidgenössische Bankenkommission, Wettbewerbskommission, Eidgenössische Kommunikationskommission), nicht aber von Verwaltungskommissionen.

Beispiele von Organisationen ausserhalb der Bundesverwaltung, in denen der Bund eine beherrschende Stellung innehat: ­

Mitglieder der Direktion der SUVA (Anstalt des Bundes).

­

Mitglieder der Geschäftsleitung der Post (Anstalt des Bundes).

­

Mitglieder des Direktoriums der Nationalbank (AG des Bundes).

­

Mitglieder der Geschäftsleitung der Swisscom (AG mit Mehrheitsbeteiligung des Bundes).

­

Mitglieder der Generaldirektion der SBB (AG des Bundes).

Mit Buchstabe d ist die Armeeleitung gemäss Artikel 116 und 117 des Militärgesetzes (SR 510.10) erfasst. Die einzelnen Funktionen sind in Artikel 1 Absatz 1 der Rechtsstellungsverordnung genannt (SR 510.22). Die dort genannten militärischen Personen gehören weder zur zentralen noch zur dezentralen Bundesverwaltung, werden aber vom Bundesrat gewählt, was ihren Einbezug in die Unvereinbarkeitsregelung nahelegt.

Mit der Bestimmung in Absatz 4 werden Personen erfasst, welche vom Bundesrat gewählt sind, um den Bund in Körperschaften, Anstalten oder weiteren Organisationen zu vertreten, in denen der Bund eine beherrschende Stellung innehat. Namentlich geht es hier vor allem um die Mitglieder der entsprechenden Verwaltungsräte.

Bei den Begriffen der Körperschaft und Anstalt wird auf die Begriffsverwendung des Gesellschaftsrechts zurückgegriffen. Körperschaften sind: AG, KommanditAG, GmbH, Genossenschaft, Verein. Zu den Anstalten gehören die öffentlich-rechtlichen (z.B. Post) und namentlich auch die Stiftungen. Mit den übrigen Organisationen sind die Rechtsgemeinschaften gemeint (einfache Gesellschaft, Kollektivgesellschaft,

3532

Kommanditgesellschaft). Es werden sowohl die Körperschaften und Anstalten des öffentlichen als auch des privaten Rechts erfasst.

Beispiele für unter Absatz 4 erfasste Personenkreise: ­

VR-Mitglieder der SUVA,

­

VR-Mitglieder der Post,

­

Mitglieder des Bankrates und des Bankausschusses der Nationalbank,

­

VR-Mitglieder der Swisscom,

­

VR-Mitglieder der SBB,

­

Mitglieder des Stiftungsrates der Stiftung «Pro Helvetia».

Ob der in Absatz 4 genannte Personenkreis der Unvereinbarkeit unterzogen werden soll, ist politisch umstritten. Der Ständerat hat sich gegen eine solche Bestimmung gewehrt, sodass der Nationalrat sie nur in sein Reglement und nur in Bezug auf die Einsitznahme in Kontrollkommissionen aufgenommen hat. Der Berichterstatter argumentierte im Ständerat, dass die Bundesversammlung von ausserparlamentarischen Tätigkeiten ihrer Mitglieder nur profitieren könne und wehrte sich deshalb erfolgreich gegen eine entsprechende Unvereinbarkeitsbestimmung im GVG (Amtl.

Bull. S 1983 484). Dem ist entgegenzuhalten, dass es vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung doch äusserst fragwürdig ist, wenn ein vom Bundesrat gewähltes Mitglied des Verwaltungsrates der Post oder der SBB sich im Rahmen der Post- oder Eisenbahnverkehrsgesetzgebung selber die Rahmenbedingungen setzt oder in entsprechenden parlamentarischen Kontrollorganen sich selber beaufsichtigt.

Art. 16

Vorgehen bei Bestehen einer Unvereinbarkeit

Artikel 16 legt das Prozedere bei Bestehen einer Unvereinbarkeit fest. Die Betroffenen haben selbst zu entscheiden, welches Amt sie im Konfliktfall aufgeben wollen.

Bei den Ämtern nach Absatz 1 muss dies direkt nach der Wahl (entweder in die Bundesversammlung oder in das unvereinbare Amt) geschehen, weil von Verfassungs oder Gesetzes wegen klar ist, welche Ämter betroffen sind. Wo zuerst die Wahlprüfung stattfinden muss (Absätze 2 bis 4), muss mehr Zeit eingeräumt werden, insbesondere soll den Betroffenen Zeit zum Künden gegeben werden. Künden sie nicht bzw. legen ihre Funktion nicht nieder, so scheiden sie nach Ablauf der gesetzlichen Frist aus der Bundesversammlung aus.

Die Formulierung ist so gewählt, dass auch Mitglieder aus der Bundesversammlung ausscheiden, wenn sie während der Amtsdauer eine mit ihrem Ratsmandat unvereinbare Stelle antreten. Auch in diesem Fall obliegt die Feststellung der Unvereinbarkeit der Wahlprüfungsbehörde, das heisst, bei einem Mitglied des Nationalrates gemäss Artikel 3 des Geschäftsreglementes der Rat, bei einem Mitglied des Ständerates die zuständige kantonale Behörde. Im Nationalrat wird der freigewordene Sitz gemäss Artikel 55 und 56 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte (SR 161.1) durch Nachrücken oder durch Ergänzungswahl besetzt. Wird ein Sitz im Ständerat frei, so hat der Kanton gemäss kantonalem Recht das Nötige zu veranlassen.

3533

3. Kapitel: Immunität und Sessionsteilnahmegarantie Die Ratsmitglieder geniessen mit dem Schutz der parlamentarischen Immunität und der Sessionsteilnahmegarantie eine bevorzugte Rechtsstellung, welche durch das Verantwortlichkeitsgesetz und das Garantiegesetz geregelt wird. Diese wesentlichen Rechte der Ratsmitglieder sollen neu im Parlamentsgesetz aufgenommen werden (vgl. auch Art. 172 Ziff. 2). Die Artikel 17­22 wurden gegenüber Artikel 14­14ter Verantwortlichkeitsgesetz und Artikel 1­3 Garantiegesetz inhaltlich nicht verändert, sondern nur redaktionell modifiziert.

Die Kommission für Rechtsfragen hat in ihrem Mitbericht zu den Immunitätsregeln die redaktionelle Überarbeitung gutgeheissen. Sie ist der Meinung, dass sich eine grundsätzliche Revision nicht aufdrängt, weil der Nationalrat auf die Initiative des Ständerates (99.435), die Immunitätsregeln enger zu fassen, zweimal nicht eingetreten ist (Amtl. Bull. N 2000 1171). Sie machte zudem geltend, dass die Bestimmung über die Telefonüberwachung von Ratsmitgliedern (übernommen in Art. 19/20 PG; Art. 14bisf. Verantwortlichkeitsgesetz) an das neue Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) angepasst werden soll (98.037; BBl 2000 5128). Diesbezüglich dürfen die Untersuchungsbehörden neu nur noch zu ermittlungstechnischen Massnahmen ermächtigt werden, die zur Verfolgung, nicht aber zur Verhinderung von strafbaren Handlungen dienen. Für einen besseren Rechtsschutz der betroffenen Ratsmitglieder ist das Ermächtigungsverfahren im PG mit dem Bewilligungsverfahren des BÜPF zu koppeln (Art. 20 Abs. 2): Zuerst entscheidet die im BÜPF bestimmte zuständige Behörde darüber, ob die strafrechtlichen Voraussetzungen für eine Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs eines Ratsmitgliedes gegeben sind. Danach beschliessen die Ratspräsidien über die eher politische Frage, ob die Aufhebung der Immunität des Ratsmitgliedes gerechtfertigt ist. Die SPK folgte diesen Vorschlägen der Kommission für Rechtsfragen.

Die SPK hat grundsätzlich darüber diskutiert, ob Artikel 21 betreffend die Sessionsteilnahmegarantie aufgehoben werden könnte. In der Praxis kam es betreffend der Sessionsteilnahmegarantie zu keinen nennenswerten Fällen. Zudem hat der Erlass des Garantiegesetzes einen ganz bestimmten historischen Hintergrund,
der auf den konservativen Umschwung im Kanton Bern im Jahre 1850 zurückzuführen ist. Die mehrheitlich freisinnige Bundesversammlung liess (unberechtigterweise) die Befürchtung aufkommen, dass der Kanton Bern gegen die fragilen Bundesbehörden vorgehen könnte. Auf Grund der geringen und antiquierten Bedeutung der Bestimmung könnte eine Aufhebung in Betracht gezogen werden. Sowohl die SPK als auch die Kommission für Rechtsfragen in ihrem Mitbericht sprechen sich für die Beibehaltung der Sessionsteilnahmegarantie aus. Die Sessionsteilnahmegarantie ist ein wichtiger Bestandteil der parlamentarischen Immunität. Sie sichert den freien Zugang zum Parlament und eine Aussetzung von Strafverfahren gegen ein Ratsmitglied während der Session wegen Verbrechen und Vergehen, die nicht im Zusammenhang mit seiner amtlichen Stellung oder Tätigkeit stehen. Es kann auch heute nicht ausgeschlossen werden, dass aus politischen Gründen ein Strafverfahren gegen Ratsmitglieder angestrebt wird und so der demokratische Entscheidungsprozess ungerechtfertigterweise beeinflusst wird.

3534

3. Titel: Aufgaben der Bundesversammlung Das GVG enthält vorwiegend Verfahrens- und Organisationsbestimmungen. Aufgaben und Zuständigkeiten können nur unvollständig aus diesen Bestimmungen erschlossen werden. Beispielsweise sind Umfang und Schranken der Oberaufsicht nirgends, ihre Kriterien nur an unerwarteter Stelle (Aufgaben der Parlamentarischen Verwaltungskontrollstelle in Art. 47sexies Abs. 2) definiert. Unter dem Titel «Ausübung der Oberaufsicht über die Verwaltung und die Rechtspflege» finden sich weitgehend nur Verfahrens- und Organisationsbestimmungen über die einzelnen mit der Oberaufsicht beauftragten parlamentarischen Kommissionen. Eine Normierung von Umfang, Schranken und Kriterien der Oberaufsicht kann in diesem Rahmen nicht befriedigen, sondern muss in einem allgemeinen Titel «Aufgaben der Bundesversammlung» erfolgen, der für alle mit der Oberaufsicht beauftragten Kommissionen und die Bundesversammlung als Ganzes gilt.

Bei einer gesetzlichen Normierung ist allerdings zu beachten, dass die Aufgaben und Zuständigkeiten der Bundesversammlung bereits auf Verfassungsebene durch Artikel 163­173 BV umfassend geregelt werden. Auf Gesetzesstufe notwendig bleiben Ergänzungen von zweierlei Art: a.

Präzisierungen und Konkretisierungen der Aufgaben der Bundesversammlung, soweit die Verfassung nicht hinlänglich klar bestimmt ist; und

b.

die Bestimmung der Form der Erlasse, in welcher die Bundesversammlung ihre Kompetenzen wahrnimmt, soweit Artikel 163 BV diese Form nicht bereits festlegt.

Unumgänglich sind gewisse Wiederholungen der BV dann, wenn die ergänzende Präzisierung für sich allein sonst schwer verständlich wäre und die Gesetzesbestimmung so zum Torso würde. Eine blosse Wiederholung zeigt sich in der möglichst wörtlichen Wiedergabe des Verfassungstextes; dadurch wird deutlich gemacht, dass kein Auslegungsspielraum besteht.

Wo keine Präzisierung der Verfassungsnorm oder der zu verwendenden Erlassform notwendig ist, wird auf eine Wiederholung der BV verzichtet. Artikel 30 macht deutlich, dass die Aufzählung der Aufgaben der Bundesversammlung im Parlamentsgesetz nicht abschliessend ist. Im 3. Titel nicht aufgeführte Aufgaben werden dadurch nicht etwa zweitrangig. Beispiele sind die Wahlen (Art. 168 BV), die Gewährleistung der Kantonsverfassungen (Art. 172 Abs. 2 BV) oder die Überprüfung der Wirksamkeit der Massnahmen des Bundes (Art. 170 BV). Das letztere Beispiel zeigt, dass auf eine über den Wortlaut der BV hinausgehende allgemeine Definition dieser Aufgabe verzichtet werden kann. Notwendig sind hingegen organisatorische und verfahrensmässige Vorkehren zur Erfüllung dieser Aufgabe. Diese sind aber an anderer Stelle des Gesetzes oder in dessen Ausführungsbestimmungen vorgesehen (z.B. in Art. 44 Abs. 1 Bst. e oder in der auf Art. 70 Abs. 1 gestützten Verordnung über die Parlamentsdienste, welche die Parlamentarische Verwaltungskontrollstelle regelt usw.).

Art. 23

Gesetzgebung

Absatz 1 wiederholt Artikel 164 Absatz 1 1. Satz BV. Zur Erläuterung sei auf die Materialien zur Verfassungsreform und die bereits zahlreichen Beiträge der Lehre verwiesen.

3535

Absatz 2 enthält keinen neuen Normgehalt gegenüber der BV ausser der Festlegung, dass Parlamentsverordnungen zur Unterscheidung von bundesrätlichen Verordnungen als «Verordnungen der Bundesversammlung» zu bezeichnen sind. Indem weiter festgehalten wird, dass die Bundesversammlung nicht nur wichtige, sondern auch weitere rechtsetzende Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes erlassen kann, wird deutlich gemacht, was aus der BV nur implizit hervorgeht. Der zweite Teil von Absatz 2 nennt die Voraussetzungen zum Erlass von Verordnungen der Bundesversammlung und bringt damit Artikel 163 Absatz 1 und Artikel 164 Absatz 2 BV in den klaren Zusammenhang, der in der BV nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist.

Absatz 3 zeigt auf, dass die Bundesversammlung bei der Wahrnehmung ihrer Stammfunktion der Gesetzgebung auch dann mitwirken kann, wenn sie die Rechtsetzung an den Bundesrat delegiert hat. Die Form der Mitwirkung ist die Konsultation zum Entwurf der bundesrätlichen Verordnung. Die Zuständigkeit des Bundesrates bleibt also gewahrt. Das konsultierte Organ wird aber in die Lage versetzt, gegebenenfalls die notwendigen Massnahmen in die Wege zu leiten, damit die Bundesversammlung die delegierte Kompetenz wieder an sich ziehen kann. Das entsprechende Verfahren ist bereits näher geregelt in Artikel 47a GVG, der in diesem Gesetz in Artikel 150 aufgenommen wurde (siehe dort).

Nach Artikel 163 Absatz 1 BV erlässt die Bundesversammlung rechtsetzende Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes oder der Verordnung, und nach Artikel 164 Absatz 1 BV sind alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen. Was unter wichtigen Bestimmungen zu verstehen ist, wird in Artikel 164 Absatz 1 BV in einer nicht abschliessenden Aufzählung verdeutlicht. Damit wird die bis Ende 1999 in Artikel 5 Absatz 2 GVG enthaltene Definition der rechtsetzenden Normen konstitutionalisiert, d.h. auf die Verfassungsstufe gehoben, und teilweise präzisiert. Die Präzisierung ist jedoch eine partielle, weil ein Element der traditionellen Definition des Rechtssatzes, nämlich der Umstand, dass damit generell-abstrakte Normen gemeint sind, nicht näher ausgeführt wird. Im Rahmen der auf den 1. Januar 2000 in Kraft gesetzten Partialrevision des GVG (AS 2000 273) ist dieser Artikel 5 Absatz 2 GVG aufgehoben
worden. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates hat in ihrem Bericht vom 7. Mai 1999 dazu erklärt, dass auf dieses Element der Definition des Rechtssatzes verzichtet werden könne, zumal die Abgrenzung zwischen generell-abstrakten Normen und individuell-konkreten Akten ohnehin unklar sei und weil sonst konsequenterweise auch eine Definition der individuell-konkreten Akte vorzusehen wäre (BBl 1999 V 4818).

Diese Begründung ist nur teilweise überzeugend: Es trifft zwar zu, dass die Abgrenzung zwischen generell-abstrakten Normen und individuell-konkreten Akten in einzelnen Fällen schwierig ist, im Normalfall sind die ihr zu Grunde liegenden Kriterien jedoch durchaus tauglich. Zudem definiert der Gesetzgeber im Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren (Art. 5) den Begriff der Verfügung. Die Definition des Rechtssatzes hat zentrale Bedeutung für die praktische Anwendung der in Artikel 163 BV vorgesehenen Formen der Erlasse der Bundesversammlung. Es ist deshalb sinnvoll, das auf der Verfassungsstufe nicht näher ausgeführte Element der Definition auf Gesetzesstufe zu konkretisieren. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass das Problem der Einschränkung des Referendumsrechts, die sich aus der im GVG von 1962 eingeführten Definition des Rechtssatzes ergab, sich heute nicht mehr in gleicher Weise stellt, weil Bundesbeschlüsse, die keine rechtsetzenden Bestimmungen enthalten, gemäss Artikel 163 Absatz 2 BV in Verbindung mit Arti3536

kel 141 Absatz 1 Buchstabe c BV ebenfalls dem fakultativen Referendum unterstellt werden können, wenn Verfassung oder Gesetz dies vorsehen (siehe dazu auch die Ausführungen zu Art. 29).

Die Präzisierung, dass es sich um Bestimmungen handeln muss, die in unmittelbar verbindlicher Weise Pflichten auferlegen, Ansprüche verleihen oder Zuständigkeiten festlegen, bringt zum Ausdruck, dass verwaltungsinternen Anordnungen, Weisungen oder Richtlinien (sog. Verwaltungsverordnungen) kein rechtsetzender Charakter zukommt. Die Definition des Rechtsatzes ermöglicht damit auch eine Abgrenzung, der im Hinblick auf die Publikation der Erlasse grosse praktische Bedeutung zukommt.

Artikel 1 des Publikationsgesetzes (SR 170.512) legt nämlich fest, dass alle rechtsetzenden Erlasse in der Amtlichen Sammlung des Bundesrechts veröffentlicht werden müssen, und nimmt dadurch implizit Verwaltungsverordnungen von der Publikationspflicht aus.

Art. 24

Änderungen der Bundesverfassung

Änderungen der Bundesverfassung sollen gemäss der bisherigen Praxis in die Form des Bundesbeschlusses gefasst werden. Man könnte sich fragen, ob Verfassungsbestimmungen nicht gemäss Artikel 164 BV als wichtige rechtsetzende Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen wären. Die Wahl der Form des Bundesbeschlusses gemäss Artikel 163 Absatz 2 gibt demgegenüber zum Ausdruck, dass es nicht die Bundesversammlung ist, die hier Recht setzt. Rechtsetzung auf Verfassungsebene ist Sache des Verfassungsgebers (Volk und Stände), dem die Bundesversammlung mit einem Bundesbeschluss eine Verfassungsänderung zur Beschlussfassung unterbreitet.

Art. 25

Mitwirkung in der Aussenpolitik

Absatz 1 konkretisiert Artikel 166 Absatz 1 BV: «Die Bundesversammlung beteiligt sich an der Gestaltung der Aussenpolitik», indem sie in Zusammenarbeit mit dem Bundesrat an der Willensbildung über wichtige aussenpolitische Grundsatzfragen und Entscheide mitwirkt. Die verschiedenen Formen dieser Mitwirkung werden an verschiedenen Stellen dieses Gesetzes näher ausgeführt. Die Motion gemäss Artikel 119 findet auch im Bereich der Aussenpolitik Anwendung. Artikel 151 regelt die Information und Konsultation zu aussenpolitischen Fragen im Verkehr der Kommissionen mit dem Bundesrat. Artikel 145 und 147 sehen vor, dass der Bundesrat der Bundesversammlung Berichte über die Legislaturplanung (inklusive Aussenpolitik) sowie Berichte zu einzelnen Sachbereichen (wozu insbesondere auch die Aussenpolitik gehört) unterbreitet. Indem er die Schlussfolgerungen dieser Berichte in die Form des Entwurfes eines einfachen Bundesbeschlusses kleidet, erhält die Bundesversammlung Gelegenheit, dazu differenziert Stellung zu nehmen (vgl.

Ziff. 2.4.2 dieses Berichtes zur Mitwirkung der Bundesversammlung an der staatsleitenden Politikgestaltung im Allgemeinen und im besonderen Bereich der Aussenpolitik).

Absatz 2 präzisiert Artikel 166 Absatz 2 BV in dem Sinne, dass die Bundesversammlung für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig ist, «soweit nicht der Bundesrat durch Bundesgesetz oder von der Bundesversammlung genehmigten völkerrechtlichen Vertrag zum selbstständigen Vertragsabschluss ermächtigt ist» (vgl. dazu Art. 172 Ziff. 3, Änderung des RVOG).

3537

Absatz 3 legt die Formen der Erlasse für die Genehmigungsbeschlüsse der Bundesversammlung zu völkerrechtlichen Verträgen gemäss der bisherigen Praxis fest. Die Formen des Bundesbeschlusses bzw. des einfachen Bundesbeschlusses sind zu wählen, weil der Genehmigungsakt (im Unterschied zur späteren Ratifikation) nicht rechtsetzender Natur ist.

Absatz 4 schafft die gesetzliche Grundlage für die von der Bundesversammlung wahrgenommene Pflege der Aussenbeziehungen der Bundesversammlung zu internationalen parlamentarischen Versammlungen und ausländischen Parlamenten. Der Begriff «internationale parlamentarische Versammlungen» schliesst sowohl internationale parlamentarische Organisationen (wie z.B. die Interparlamentarische Union) als auch die parlamentarischen Versammlungen internationaler Organisationen (wie z.B. jene des Europarates) ein.

Die Aussenpolitischen Kommissionen beider Räte haben der hier unterbreiteten Fassung von Artikel 25 in ihrer Stellungnahme vom 15. Juni 2000 zugestimmt.

Art. 26

Finanzen

Artikel 26 führt Artikel 167 BV aus und gibt dabei die bisherige Praxis wieder. Die Bundesversammlung fasst ihre Ausgabenbeschlüsse mit dem Voranschlag, mit seinen Nachträgen und mit Verpflichtungskrediten sowie Zahlungsrahmen, die entweder im Voranschlag und seinen Nachträgen enthalten sind oder aber mit besonderen Beschlüssen festgelegt werden. Alle diese Beschlüsse wie auch die Abnahme der Rechnung des Bundes erfolgen in der Form des einfachen Bundesbeschlusses.

Art. 27

Oberaufsicht

Die Absätze 1 und 2 geben Artikel 169 Absatz 1 BV wieder und differenzieren die Oberaufsicht aus nach der Oberaufsicht über die Geschäftsführung (Absatz 1) und der Oberaufsicht über den Finanzhaushalt (Absatz 2). Absatz 3 zählt die Kriterien auf, mit denen die oberaufsichtsrechtlichen Kontrollen durchgeführt werden und Absatz 4 umschreibt den Wirkungskreis der Oberaufsicht gegenüber der Rechtsprechung. Die FK und GPK begrüssten in ihren Mitberichten die Formulierung von Artikel 27. Sie sehen darin keine materielle Neuerung; Artikel 27 gibt die heutige Praxis der Aufsichtskommissionen wieder.

Der Geltungsbereich der Oberaufsicht über die Geschäftsführung (Absatz 1) wird wörtlich aus der BV übernommen. Dieser Oberaufsicht sind nicht nur Bundesrat und Bundesverwaltung sowie die eidgenössischen Gerichte und Rekurskommissionen, sondern auch alle übrigen Träger von Bundesaufgaben unterstellt. Das so genannte «4-Kreise-Modell» schlüsselt die Träger von Bundesaufgaben nach ihrem Autonomiegrad auf. Der innerste Kreis (Zentralverwaltung) und der zweite Kreis (FLAGÄmter = «Führen mit Leistungsauftrag und Globalbudget») unterstehen der umfassenden Aufsicht des Bundesrates und damit auch einer uneingeschränkten Oberaufsicht des Parlamentes. Im dritten Kreis (Betriebe und Anstalten, die zu 100% in Bundesbesitz sind, aber in der Regel eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen) und im vierten Kreis (gemischtwirtschaftliche Unternehmungen, an deren Aktienkapital der Bund beteiligt ist) beschränkt sich die Aufgabe des Bundesrates vor allem darauf, die Eignerinteressen des Bundes wahrzunehmen; dementsprechend ist es Aufgabe der parlamentarischen Oberaufsicht, die Art und Weise der Wahrnehmung die-

3538

ser Eignerinteressen zu überwachen (vgl. dazu detailliert der Bericht der Finanzdelegation vom 27. Februar 1998, BBl 1998 3106­3111).

Der Geltungsbereich der Oberaufsicht über den Finanzhaushalt (Absatz 2) wird präzise bestimmt durch Artikel 8 des Finanzkontrollgesetzes (FKG), der den Bereich der Finanzaufsicht durch die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) definiert. Wo die Finanzaufsicht durch die EFK besteht, übt die Bundesversammlung die Oberaufsicht aus. Neben den Verwaltungseinheiten der zentralen und dezentralen Bundesverwaltung (Art. 8 Abs. 1 Bst. a FKG) und den eidgenössischen Gerichten (Art. 8 Abs. 2 FKG) sind der parlamentarischen Oberaufsicht also auch unterstellt: ­

die Empfänger von Abgeltungen und Finanzhilfen (Art. 8 Abs. 1 Bst. c.);

­

Körperschaften, Anstalten und Organisationen jeglicher Rechtsform, denen durch den Bund die Erfüllung öffentlicher Aufgaben übertragen wurde (Bst. d).

­

Unternehmungen, an deren Stamm-, Grund- oder Aktienkapital der Bund mit mehr als 50% beteiligt ist (Bst. e).

Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b FKG unterstellt zwar die Parlamentsdienste der Finanzaufsicht der EFK. Weil die Bundesversammlung mittelst ihrer Verwaltungsdelegation über die Parlamentsdienste die unmittelbare Aufsicht ausübt (Art. 65 Abs. 1), entfällt hier logischerweise die parlamentarische Oberaufsicht, was sich von selbst versteht, sodass auf eine explizite Erwähnung dieser Ausnahme in Artikel 27 Absatz 2 verzichtet werden kann.

Absatz 3 hält die Kriterien der Oberaufsicht über die Geschäftsführung und den Finanzhaushalt fest. Bei der Rechtmässigkeitsprüfung (Bst. a) wird untersucht, ob sich die Objekte der Oberaufsicht an die Verfassung, Gesetze oder anderen Erlasse der Bundesversammlung halten. Die Prüfung der Ordnungsmässigkeit (Bst. b) stellt die rechnerische Richtigkeit einer Finanzrechnung fest. Die Zweckmässigkeit des Verwaltungshandelns (Bst. c) wird geprüft, indem abgeklärt wird, ob die gewählten Massnahmen den gesetzten Zielen entsprechen. Die Wirksamkeit beurteilt sich anhand der Wirkungen, welche bestimmte Massnahmen in Gesellschaft und Wirtschaft erzielen (Bst. d). Mit der Wirtschaftlichkeitsprüfung (Bst. e) wird untersucht, ob der Einsatz der Mittel im richtigen Verhältnis zum Ergebnis steht.

Die Wirksamkeitsprüfung in Buchstabe d bezieht sich lediglich auf die Objekte der Oberaufsicht und erfüllt damit den von Artikel 170 BV gestellten Verfassungsauftrag der Überprüfung der Wirksamkeit der Massnahmen des Bundes nur teilweise.

Artikel 170 BV geht weiter, indem die Bundesversammlung damit beauftragt wird, auch für die Überprüfung der Wirksamkeit ihrer eigenen Massnahmen (beziehungsweise der Massnahmen des Verfassungs- und Gesetzgebers) zu sorgen (vgl. dazu Art. 44 Abs. 1 Bst. e). Die Überprüfung der Wirksamkeit nach Artikel 170 BV steht somit in enger Verbindung mit der Gesetzgebungsaufgabe der Bundesversammlung.

Die Wirtschaftlichkeitsprüfung in Buchstabe e wird in Artikel 5 FKG konkretisiert.

Dabei wird untersucht, ob die Mittel sparsam eingesetzt werden, die Kosten und Nutzen in einem günstigen Verhältnis stehen und die finanziellen Aufwendungen die erwartete Wirkung haben. Das Kriterium wurde auf Anregung der FK in ihrem Mitbericht in den Katalog aufgenommen und ersetzt das Kriterium «Effizienz», das für sich allein zu wenig aussagekräftig ist und die finanzielle Komponente des Mitteleinsatzes zu wenig gewichtet.

3539

Es wird darauf verzichtet, die Oberaufsicht ausdrücklich als mitschreitende Oberaufsicht zu charakterisieren. Es ist selbstverständlich, dass die Oberaufsicht überall mitschreitende Elemente haben kann, wie dies anlässlich der Verfassungsreform von den Berichterstattern zu Artikel 169 nachdrücklich und unter Hinweis auf die Praxis festgehalten worden ist (Amtl. Bull. N 1998 Separatdruck 80, S 1998 Separatdruck 127). Die Beschränkung auf eine bloss nachträgliche Oberaufsicht entspringt einem verengten dogmatischen Verständnis der Gewaltenteilung und widerspricht der konstanten Praxis der Oberaufsicht.

«Die Oberaufsicht ist ein wesentliches Element der Gewaltenteilung. Sie ist politische Kontrolle durch das Parlament, nicht Aufsicht im Sinne der Aufsicht des Bundesrates nach Artikel 102 BV. Das Parlament äussert Genugtuung und Kritik und gibt Empfehlungen für künftiges Handeln ab. Es kann jedoch nicht an Stelle der beaufsichtigten Organe handeln oder deren Entscheide aufheben» (Botschaft vom 20. November 1996 über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 396). Absatz 4 bringt diesen Sachverhalt zum Ausdruck. In Bezug auf die Oberaufsicht über die Rechtsprechungsorgane (sowohl der eidgenössischen Gerichte und Rekurskommissionen als auch des Bundesrates und der Bundesverwaltung, soweit diese Rechtspflegefunktionen wahrnehmen) hat dieser Grundsatz elementare Bedeutung. Es gilt, den grundrechtlichen Anspruch auf Unabhängigkeit der Justiz zu schützen. Dem steht die langjährige Praxis der GPK nicht entgegen, im Rahmen der Oberaufsicht nicht nur die administrative Geschäftsführung der Rechtsprechungsorgane zu überprüfen, sondern auch Funktionskontrollen durchzuführen. Dabei untersuchen die GPK, ob die Rechtsprechungsorgane die elementaren Verfahrensgrundsätze (Verbot der Rechtsverweigerung und der Rechtsverzögerung, rechtsgleicher Zugang zum Gericht usw.) einhalten. In diesem Rahmen üben die GPK im Sinne einer Tendenzkontrolle Kritik an der Rechtsprechung, nehmen aber keinen Einfluss auf die Entscheide der Justizorgane. Dies wird auf Anregung der GPK in Absatz 4, 2. Satz dahingehend präzisiert, dass richterliche Entscheidungen von einer inhaltlichen Kontrolle ausgeschlossen sind.

Art. 28

Grundsatzentscheide und Planungen

Siehe dazu ausführlich Ziffer 2.4.2 dieses Berichtes.

Art. 29

Einzelakte

Erlasse, die keine rechtsetzenden Bestimmungen enthalten, sind nach Artikel 163 Absatz 2 BV in die Form des Bundesbeschlusses oder, wenn sie dem Referendum nicht unterstehen, des einfachen Bundesbeschlusses zu kleiden. Absatz 1 bringt lediglich die sich bereits aus dieser Bestimmung ergebende Regelung zum Ausdruck.

Er ist als Anknüpfungspunkt für den folgenden Absatz notwendig.

Die Formulierung von Absatz 1 ­ gleich wie diejenige von Artikel 163 Absatz 2 BV ­ lässt offen, in welchen Fällen ein Erlass dem Referendum untersteht und in welchen nicht. Wenn die Form des Gesetzes gemäss Artikel 163 Absatz 1 und Artikel 164 Absatz 1 BV nur noch für Erlasse verwendet werden kann, die rechtsetzende Bestimmungen im Sinne der in Artikel 23 Absatz 4 enthaltenden Definition (generellabstrakte Normen) enthalten, könnte dies in Verbindung mit Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe c BV dazu führen, dass für Entscheide, die nach bisheriger Praxis als sog. «Einzelfall-Gesetze» (siehe z.B. Bundesbeschluss über die Ausrichtung einer 3540

Finanzhilfe an das Verkehrshaus der Schweiz, vom 18. Dezember 1998: SR 432.51) dem Referendum unterstellt worden sind, das Referendum nur noch dann Anwendung finden könnte, wenn der Verfassungsgeber oder der Gesetzgeber dies vorgängig vorgesehen haben. Eine solche indirekte Einschränkung des Referendumsrechts entspräche jedoch nicht dem Willen des Verfassungsgebers. Aus diesem Grund sieht Absatz 2 vor, dass Einzelakte der Bundesversammlung, die nach den Anforderungen des Legalitätsprinzips einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, bei Fehlen einer solchen Grundlage in die Form des Bundesbeschlusses zu kleiden sind und damit dem fakultativen Referendum unterstehen. Diese Regelung überlässt es der Bundesversammlung, im Einzelfall zu entscheiden, ob eine gesetzliche Grundlage im Sinne eines referendumsfähigen Erlasses notwendig ist oder nicht. Sie ermöglicht der Bundesversammlung, die heutige Praxis, die den in Rechtsprechung und Lehre entwickelten Anforderungen des Legalitätsprinzips entspricht (siehe dazu auch J.-F. Aubert, Considérations sur la réforme des droits populaires fédéraux, in: Zeitschrift für Schweizerisches Recht 1994 I, S. 299f. und S. 310f.), weiterzuführen.

Art. 30

Weitere Aufgaben

Siehe dazu die einleitenden Ausführungen zum 3. Titel «Aufgaben der Bundesversammlung».

4. Titel: Organisation der Bundesversammlung 1. Kapitel: Allgemeines In diesem Titel werden nur jene Sachverhalte geregelt, die Gesetzescharakter haben und für beide Räte gleichermassen Geltung haben müssen, damit das Zweikammersystem funktionieren kann. Im Übrigen bleibt es Sache des jeweiligen Rates, seine Organisationsstruktur und das Verfahren festzulegen.

Art. 31

Organe

Eine Aufzählung der Organe der Bundesversammlung fehlt im geltenden Recht. In Artikel 31 werden alle Organe der Bundesversammlung abschliessend aufgezählt.

Damit erfährt dieser in der neuen Bundesverfassung aufgenommene Begriff eine Konkretisierung. Gemäss Artikel 162 Absatz 1 BV gilt beispielsweise die absolute Immunität für Äusserungen in den Räten und in deren Organen. Mit der abschliessenden Aufzählung der Organe wird klargestellt, in welchen Organen ein Ratsmitglied durch die absolute Immunität geschützt ist und in welchen nicht.

In Absatz 2 wird der Grundsatz verankert, dass die Büros beider Räte die gleichen Rechte und Pflichten haben wie die Kommissionen, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt. Diese Gleichstellung von Kommission und Büro entspricht auch der geltenden Praxis.

Art. 32

Sitz der Bundesversammlung

Das geltende Geschäftsverkehrsgesetz enthält keine Regelung über den Sitz der Bundesversammlung. Ein Beschluss vom 27. Wintermonat (November) 1848 (AS I 48, nicht in der SR) bestimmt die Stadt Bern als Sitz der Bundesversammlung.

3541

Weiter ist in Artikel 13 und 13a des Garantiegesetzes vom 26. März 1934 (SR 170.21) geregelt, dass sich die Räte in Ausnahmesituationen in einem beliebigen Kanton versammeln können.

Die Räte haben bisher zweimal beschlossen, an einem anderen Ort zu tagen (Herbstsession 1993 in Genf und Frühjahrssession 2001 in Lugano). Initiiert wurde die Verlegung des Tagungsortes durch Ordnungsanträge (AB 1993 N 1338, S 1993 577, AB 1999 N 1272) bzw. durch eine Empfehlung des Ständerates (AB 1999 S 484).

Diese relativ formlose Art und Weise der Beschlussfassung wirft Fragen auf: Darf die Bundesversammlung überhaupt an einem anderen Ort tagen? Liegen hinreichende Entscheidungsgrundlagen vor? Was geschieht, wenn sich die Räte nicht einigen können? Müsste nicht der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten?

Mit der vorgeschlagenen Regelung wird festgehalten, dass Bern der Sitz der Bundesversammlung ist, dass die Bundesversammlung ausnahmsweise an einem anderen Ort tagen kann und die Beschlussfassung über eine Verlegung des Tagungsortes in der Form eines einfachen Bundesbeschlusses erfolgen muss. Dies hat zwei Vorteile: Zum einen wird ein übereinstimmender Beschluss beider Räte notwendig. Es gilt das übliche Verfahren zwischen den Räten wie bei jeder anderen Vorlage. Da es sich um eine parlamentarische Initiative handelt, braucht es einen erläuternden Bericht, der insbesondere Aufschluss geben kann über die finanziellen Konsequenzen und die staatspolitische Bedeutung. Der Bundesrat erhält wie bei jeder parlamentarischen Initiative Gelegenheit zur Stellungnahme.

Art. 33

Einberufung

Das geltende Recht legt nirgends fest, wer den Nationalrat, den Ständerat und die Vereinigte Bundesversammlung zu ihren Sitzungen einberuft. In Absatz 1 und 2 wird die bisherige Praxis verankert, wonach der Nationalrat und der Ständerat je von ihrem Büro und die Vereinigte Bundesversammlung von der Koordinationskonferenz einberufen werden.

Für die Einberufung der Bundesversammlung in Notstandszeiten wird im Geschäftsverkehrsgesetz auf die Artikel 13 und 13a des geltenden Garantiegesetzes vom 26. März 1934 verwiesen. In Absatz 3 werden diese Artikel des Garantiegesetzes sinngemäss übernommen, damit alle Sachverhalte über die Einberufung der Bundesversammlung in einem Artikel geregelt werden. In diesem Zusammenhang ist auch auf Artikel 2 Absatz 3 hinzuweisen, wonach der Bundesrat zwingend die Einberufung einer ausserordentlichen Session verlangen kann (vgl. Art. 12 des Garantiegesetzes).

2. Kapitel: Nationalrat und Ständerat Art. 34

Präsidien

In diesem Artikel wird die Zusammensetzung des Präsidiums jedes Rates festgelegt.

Das Präsidium entspricht jenem Gremium, dass gemäss Artikel 152 BV den Vorsitz des Rates innehat. Es besteht aus der Präsidentin oder dem Präsidenten, der ersten Vizepräsidentin oder dem ersten Vizepräsidenten und der zweiten Vizepräsidentin oder dem zweiten Vizepräsidenten. Den Präsidien werden in diesem Gesetz einige

3542

Aufgaben übertragen (Art. 8 Abs. 3, Art. 19, Art. 149 Abs. 3). Die Aufgaben der Präsidentin oder des Präsidenten und der beiden Vizepräsidien werden wie bis anhin in den Geschäftsreglementen festgelegt.

Art. 35

Ratsbüros

Angesichts der Bedeutung der Büros wird mit dieser Bestimmung für sie eine gesetzliche Grundlage geschaffen. Es wird festgelegt, dass das Präsidium Teil des Büros ist. Die weiteren Mitglieder des Büros werden durch das Ratsreglement bestimmt. Jeder Rat bestellt sein Büro für die Leitung des Rates und für weitere ratseigene Angelegenheiten. Die detaillierte Auflistung der Aufgaben erfolgt wie bis anhin auf Reglementsstufe.

Art. 36

Geschäftsreglemente

Artikel 36 bildet die gesetzliche Grundlage für das Geschäftsreglement jedes Rates.

Darin sind die Ausführungsbestimmungen über die Organisation und das Verfahren enthalten, die nur einen Rat betreffen. Die Geschäftsreglemente sind von ihrer Rechtsnatur her Verordnungen, allerdings mit der Besonderheit, dass der Erlass dieser Verordnung einem Rat allein obliegt und nicht der Zustimmung des anderen Rates bedarf. Es handelt sich um eine Verordnung des Nationalrates bzw. um eine Verordnung des Ständerates. Jede Verordnungsbestimmung bedarf einer gesetzlichen Grundlage.

Art. 37

Koordinationskonferenz

Dieser Artikel entspricht weitgehend dem geltenden Artikel 8ter GVG. Wie bisher bilden die beiden Büros die Koordinationskonferenz.

Absatz 2: Grundsätzlich fallen der Koordinationskonferenz Aufgaben zu, die beide Räte betreffen und einheitlich geregelt werden müssen.

Buchstabe a: Die Koordinationskonferenz plant die Tätigkeiten der Bundesversammlung. Weiter stimmt sie die Sessions- und Jahresplanung beider Räte aufeinander ab. Nicht mehr aufgenommen wurde die Aufgabe der Koordinationskonferenz, eine Legislaturplanung zu erstellen, da es in der Praxis noch nie eine solche Planung gab.

Buchstabe b: Buchstabe b entspricht dem geltenden Recht (Art. 8ter Abs. 3 GVG).

Buchstabe c: Buchstabe c beinhaltet die notwendige gesetzliche Grundlage für Weisungen über die Zuteilung der personellen und finanziellen Mittel an Organe der Bundesversammlung. Damit wird beispielsweise die gesetzliche Grundlage geschaffen für die bestehenden Weisungen über den Beizug von Experten und Expertinnen durch Kommissionen und Delegationen oder die Weisungen über die Reisen von Kommissionen, Delegationen und Ratsmitgliedern ins Ausland.

3543

Buchstabe d: Die Bestimmung über die Wahl der Generalsekretärin oder des Generalsekretärs wurde erst vor kurzem revidiert und daher ohne Änderung übernommen (Bundesgesetz vom 8. Oktober 1999, in Kraft seit 1. Januar 2000).

Buchstabe e: Da sich die Fraktionen aus den Mitgliedern beider Räte zusammensetzen, ist es Sache der Koordinationskonferenz zu prüfen, ob die Bedingungen für die Bildung einer Fraktion gemäss Artikel 61 erfüllt sind oder nicht.

Absatz 3: Artikel 8ter Absatz 7 GVG gewährt der Bundespräsident oder der Bundespräsidentin und dem Bundeskanzler oder der Bundeskanzlerin das Recht, an den Sitzungen mit beratender Stimme teilzunehmen. Neu wird vorgeschlagen, dass der Bundesrat an den Sitzungen teilnehmen kann. Das heisst, es ist Sache des Bundesrates festzulegen, welches Mitglied ihn an den Sitzungen vertritt. Zum Beispiel soll bei der Planung und Koordination der parlamentarischen Aussenbeziehungen durch die Koordinationskonferenz gemäss Absatz 5 die Vorsteherin oder der Vorsteher des Eidgenössischen Departementes für auswärtige Angelegenheiten teilnehmen können. Es gelten die allgemeinen Bestimmungen betreffend die Teilnahme des Bundesrates an den Kommissionssitzungen (vgl. Art. 159). Der Bundesrat hat das Recht, Anträge zu stellen, darf aber an den Abstimmungen nicht teilnehmen.

Absatz 4: Bei der Koordinationskonferenz handelt es sich um eine gemeinsame Kommission gemäss Artikel 153 Absatz 2 BV. In Artikel 46 Absatz 2 ist vorgesehen, dass Beschlüsse von gemeinsamen Kommissionen der Zustimmung der Mehrheit der stimmenden Mitglieder jedes Rates bedürfen. Absatz 4 wiederholt diesen Grundsatz der getrennten Beschlussfassung in gemeinsamen Kommissionen und legt fest, dass Beschlüsse der Koordinationskonferenz der Zustimmung des Büros des Nationalrates und des Ständerates bedürfen. Diese Art der Beschlussfassung in der Koordinationskonferenz entspricht auch dem geltenden Recht. Vom Grundsatz der getrennten Beschlussfassung wird bei der Wahl der Generalsekretärin oder des Generalsekretärs gemäss Absatz 2 Buchstabe d abgewichen. Diese Wahl erfolgt mit der absoluten Mehrheit der stimmenden Mitglieder, wie dies auch bei der Bestätigung der Wahl durch die Vereinigte Bundesversammlung der Fall ist.

Absatz 5: Gemäss geltendem Recht ist die Koordinationskonferenz zuständig für die Beziehungen
der Bundesversammlung zu auswärtigen Parlamenten und zu internationalen Organisationen. Um Doppelspurigkeiten zwischen den für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen und der Koordinationskonferenz zu vermeiden und eine verbesserte Koordination der Arbeiten zu erreichen, wird vorgeschlagen, dass die Koordinationskonferenz in diesen Fragen durch die Präsidentinnen oder die Präsidenten dieser Kommissionen erweitert wird und die Präsidentinnen oder die Präsidenten anderer betroffener Organe der Bundesversammlung mit beratender Stimme beigezogen werden können.

3544

Die Aussenpolitischen Kommissionen (APK) beider Räte hatten in ihrem Mitbericht vom 15. Juni 2000 zuhanden der SPK vorgeschlagen, mit einem eigenen Gesetzesartikel ein separates Organ zur Koordination der Aussenbeziehungen der Bundesversammlung zu schaffen. Als Zusammensetzung dieses Organs schlugen die APK vor: die Präsidien beider Räte, die Präsidentinnen und Präsidenten der für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen sowie der ständigen Delegationen, welche die Bundesversammlung in internationalen parlamentarischen Versammlungen vertreten.

Die SPK lehnt diesen Vorschlag ab, weil sie nicht für blosse Koordinationszwecke ein zusätzliches parlamentarisches Organ mit zusätzlichen Sitzungen schaffen möchte. Zudem erscheint es der SPK unverhältnismässig, den Präsidentinnen und Präsidenten der zur Zeit sechs Delegationen Sitz und Stimme in diesem Koordinationsorgan zu geben. Das von den APK erstrebte Ziel wird ebenfalls erreicht, wenn diese Delegationen und gegebenenfalls auch andere betroffene Kommissionen mit beratender Stimme beigezogen werden, wenn sie tatsächlich betroffen sind.

Art. 38

Verwaltungsdelegation

Die oberste Leitung der Parlamentsverwaltung (vgl. Art. 64­70) obliegt der Verwaltungsdelegation, die von der Koordinationskonferenz gewählt wird (vgl. Art. 8ter Abs. 4 GVG). Die Verwaltungsdelegation ist eine gemeinsame Kommission beider Räte und setzt sich aus je drei Mitgliedern des nationalrätlichen und des ständerätlichen Büros zusammen. Wie bisher konstituiert sich die Verwaltungsdelegation selber und bezeichnet eines ihrer Mitglieder zum Delegierten (vgl. Art. 8 des Bundesbeschlusses über die Parlamentsdienste). Sie beschliesst gemäss Absatz 3 mit der Mehrheit der stimmenden Mitglieder.

3. Kapitel: Vereinigte Bundesversammlung Die neue Bundesverfassung bestimmt in Artikel 164, dass alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen sind. Aus diesem Grund werden in diesem Kapitel viele Bestimmungen des Reglementes der Vereinigten Bundesversammlung (RBVers, SR 171.12) aufgenommen.

Art. 39

Büro der Vereinigten Bundesversammlung

Neu besteht das Büro der Vereinigten Bundesversammlung aus den Präsidien beider Räte. Nicht mehr vertreten sind die Stimmenzählenden (vgl. Art. 1 RBVers). Die Stimmenzählenden und die Ersatzstimmenzählenden beider Räte ermitteln die Wahl- und Abstimmungsresultate (vgl. Art. 41 Abs. 2). In Absatz 4 wird festgehalten, dass das Büro der Vereinigten Bundesversammlung die Kommissionen der Vereinigten Bundesversammlung einsetzt. Die Mitglieder und das Präsidium werden von den jeweiligen Ratsbüros gewählt. Dies gilt auch für die Kommission für Begnadigungen und Zuständigkeitskonflikte. Die Mehrheit der Kommission beantragt, dass die Kommissionen der Vereinigten Bundesversammlung aus zwölf Mitgliedern des Nationalrates und aus fünf Mitgliedern des Ständerates bestehen. Die Minderheit der Kommission wendet sich gegen diese Vergrösserung und beantragt, dass die Kommissionen der Vereinigten Bundesversammlung wie bisher aus neun Mitgliedern des Nationalrates und aus vier Mitgliedern des Ständerates bestehen.

3545

Abgelehnt wurde die Schaffung einer ständigen Kommission für die Vorbereitung der Wahlen an die eidgenössischen Gerichte. Die SPK geht davon aus, dass diese Wahlvorbereitung die Aufgabe der Fraktionen bleiben soll. Die bestehende «Interfraktionelle Arbeitsgruppe für die Vorbereitung der Richterwahlen», in der zur Zeit alle Fraktionen vertreten sind, hat sich bewährt. Für eine gesetzliche Institutionalisierung dieses Gremiums wurde in der Kommission geltend gemacht, es würde dadurch die Transparenz des Vorbereitungsprozesses verbessert. Gegen die Schaffung eines solchen Organs mit gesetzlichen Rechten und Pflichten spricht aber, dass die Existenz eines solchen Organs nichts daran ändern könnte, dass die Fraktionen ihr Wahlvorschlagsrecht unmittelbar in der Vereinigten Bundesversammlung ausüben wollen. Die notwendige Vorbereitung der Richterwahlen besteht darin, dass die Fraktionen die naturgemäss höchst vertraulichen Informationen über die Kandidaturen austauschen und gegenseitig prüfen. Falls ein gesetzliches Organ identisch zusammengesetzt wäre wie die bestehende informelle «Arbeitsgruppe», so kann es diese Aufgabe zumindest nicht besser erfüllen. Wäre das Organ grösser als die «Arbeitsgruppe», so würde angesichts der geringeren Vertraulichkeit der Beratungen die zweckmässige Aufgabenerfüllung behindert; vermutlich würden die Absprachen zwischen den Fraktionen ausserhalb des Organs getroffen, was seinen Zweck zunichte machen würde.

Art. 40

Kommission für Begnadigungen und Zuständigkeitskonflikte

Diese Bestimmung entspricht weitgehend dem geltenden Recht (Art. 38, 39 GVG und Art. 11 RBVers). Gemäss geltendem Recht werden die Mitglieder dieser Kommission für sechs Jahre gewählt. Die Amtsdauer der Mitglieder aller anderen ständigen Kommissionen beträgt vier Jahre und ist auf Reglementsstufe geregelt. Es wird nun vorgeschlagen, dass diese vierjährige Amtsdauer auch für die Kommission für Begnadigungen und Zuständigkeitskonflikte gilt. Aus diesem Grund kann hier auf eine Regelung verzichtet werden, denn die Bestimmungen des Geschäftsreglementes des Nationalrates gelten sinngemäss (vgl. Art. 41).

Das geltende Recht sieht vor, dass über ein Begnadigungsgesuch geheim beraten werden kann. Diese explizite Nennung ist nicht nötig, denn gemäss Artikel 4 Absatz 2 kann ein Sechstel der Mitglieder der Vereinigten Bundesversammlung oder eine Kommission (z.B. Begnadigungskommission) unter anderem aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes eine geheime Beratung beantragen.

Art. 41

Verfahren in der Vereinigten Bundesversammlung

Diese Bestimmung wird aus dem geltenden Recht übernommen (Art. 13 RBVers) und legt fest, dass für das Verfahren in der Vereinigten Bundesversammlung das Geschäftsreglement des Nationalrates sinngemäss angewendet wird. Gleichzeitig wird auch die gesetzliche Grundlage für ein allfälliges Reglement der Vereinigten Bundesversammlung geschaffen, sofern dafür dereinst Bedarf entstehen sollte. Zur Zeit darf angenommen werden, dass das bestehende Reglement ersatzlos aufgehoben werden kann (was nicht im Rahmen dieser Vorlage beantragt werden kann, weil dafür nicht die Bundesversammlung in der Form der getrennt verhandelnden Räte, sondern die Vereinigte Bundesversammlung zuständig ist).

3546

4. Kapitel: Kommissionen Am 4. Oktober 1991 verabschiedeten die eidgenössischen Räte eine Parlamentsreform, welche unter anderem eine Neuregelung des Kommissionensystems beinhaltete. Angeregt worden ist diese Reform durch zwei parlamentarische Initiativen von Gilles Petitpierre und René Rhinow (90.228 und 90.229: vgl. die entsprechenden Kommissionsberichte in BBl 1991 III 617ff. und BBl 1991 IV 358ff.). Die Reform brachte den Übergang von einem Mischsystem aus ständigen und ad hoc eingesetzten Kommissionen zu einem System von zwölf ständigen Kommissionen in jedem Rat. Die Regelungen betreffend das neue System wurden vor allem in den Geschäftsreglementen verankert. In Artikel 15 GRN und Artikel 10 GRS werden die Kommissionen sowie ihre Aufgaben aufgezählt. Artikel 15a bzw. 11 der Reglemente halten fest, dass Spezialkommissionen nur in Ausnahmefällen einzusetzen sind. Die Bestimmungen im GVG betreffend die Kommissionen hingegen sind nach wie vor zum Teil rudimentär, zum Teil zu ausführlich und vor allem unübersichtlich.

Die Totalrevision bietet nun Gelegenheit, die Bestimmungen betreffend die Kommissionen übersichtlich zu gestalten und allenfalls identische Bestimmungen in beiden Ratsreglementen zu übernehmen. Schliesslich gilt es, für die Behördenorganisation grundlegende Bestimmungen gemäss dem in Artikel 164 BV festgehaltenen materiellen Gesetzesbegriff stufengerecht von der Reglements- auf die Gesetzesebene zu heben.

1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen In diesem ersten Abschnitt sollen diejenigen Bestimmungen festgehalten werden, welche für alle Kommissionen, das heisst sowohl für die Legislativkommissionen wie auch für die Aufsichts- und Finanzkommissionen Geltung haben. Spezielle Bestimmungen betreffend Aufgaben und Rechte der Aufsichts- und Finanzkommissionen und deren Delegationen sowie auch der Redaktionskommission und der Delegationen in internationalen Organisationen werden in den nachfolgenden Abschnitten geregelt.

Art. 42

Ständige Kommissionen und Spezialkommissionen

Artikel 42 nennt die beiden Kommissionstypen. Es werden analog zu den Reglementsbestimmungen in Artikel 15 und 15a GRN sowie Artikel 10 und 11 GRS die Begriffe «ständige Kommissionen» und «Spezialkommissionen» gebraucht, was aussagekräftiger ist als die Unterscheidung zwischen «ständig» und «nichtständig».

Spezialkommissionen werden nur dann eingesetzt, wenn es ausserordentliche Umstände rechtfertigen. Die einzelnen Kommissionen werden hier nicht aufgezählt. Die Auflistung in den Geschäftsreglementen bietet mehr Flexibilität, allenfalls einmal neue Kommissionen zu schaffen oder bestehende umzubenennen oder aufzuheben.

Kommt hinzu, dass nicht beide Räte zwingend die gleichen Kommissionen einsetzen müssen. Immerhin soll festgehalten werden, dass ständige Kommissionen entweder im Gesetz oder in den Reglementen zu nennen sind.

3547

Art. 43

Bestellung der Kommissionen

In Absatz 1 werden neu die Büros explizit als Wahlorgane der Kommissionsmitglieder und der Kommissionspräsidien genannt. Es handelt sich hier um eine relativ wichtige Kompetenz der Büros, die bisher nur aus den Ratsreglementen hervorging (Art. 9 GRN und Art. 6 GRS), jedoch durchaus Gesetzescharakter hat.

Absatz 2 regelt das Verfahren zur Bestellung der Präsidien von gemeinsamen Kommissionen, wie sie in der neuen Verfassung in Artikel 153 Absatz 2 nun explizit vorgesehen sind. Als Wahlorgan ist die Koordinationskonferenz vorgesehen, es sei denn, das Gesetz sehe etwas anderes vor. Die Vorgehensweise zur Bildung von gemeinsamen Kommissionen wird hier jedoch nicht geregelt, sondern ist bei der entsprechenden gesetzlichen Grundlage für die gemeinsame Kommission festzuhalten.

Absatz 3 hält wie bisher Artikel 8quinquies Absatz 2 GVG fest, welche Kriterien bei der Bestellung der Kommissionen zu beachten sind. Diese Kriterien gelten für die Zusammensetzung aller Kommissionen, auch der Subkommissionen. Die Formulierung begründet einen Anspruch der Fraktionen. Sie lässt jedoch insofern einen gewissen Spielraum zu, als es durchaus denkbar ist, dass insbesondere bei der Bestellung einer Subkommission eine Fraktion zu Gunsten einer anderen auf einen Sitz verzichtet. Was den zweiten Satz von Absatz 3 betrifft, so ist die Kommissionsminderheit der Ansicht, dass zusätzlich das Kriterium «Geschlecht» eingefügt werden müsse und auf den Passus «soweit möglich» zu verzichten sei. Wenn dieser Passus in der Formulierung enthalten sei, würde es dem Parlament zu bequem gemacht, die Bestimmung nicht zu befolgen. Bereits mit der Formulierung «angemessen berücksichtigt» bestehe genügend Spielraum. Verschiedene Fraktionen achten heute schon auf eine angemessene Vertretung der Geschlechter. Dies sollte für alle Fraktionen verbindlich werden. Die Mehrheit ist der Ansicht, dass in erster Linie die geeignetsten Personen in eine Kommission gewählt werden sollten, was immer schwieriger wird, wenn allzu viele Kriterien aufgestellt werden.

Wechselt ein Kommissionsmitglied während seiner Amtsdauer die Fraktion, so bleibt es gemäss Absatz 4, welcher den Grundsatz der festen Amtsdauer festhält, Mitglied der Kommission. Gemäss geltender Praxis kommen die in Absatz 3 genannten Kriterien wieder zur Anwendung, wenn die Kommissionen neu zu bestellen sind oder wenn auf Grund von Vakanzen einzelne Sitze frei werden. Diese Praxis kann in den Ratsreglementen festgehalten werden.

Art. 44

Aufgaben

Im Rahmen der ihnen auf Grund des Gesetzes oder der Ratsreglemente zugewiesenen Zuständigkeiten obliegen allen Kommissionen dieselben Aufgaben, welche neu im Gesetz aufgezählt werden. Bisher fand sich ein solcher Aufgabenkatalog nur in den Reglementen (Art. 15 GRN und Art. 10 GRS). Die Definition der Aufgaben bildete einen zentralen Bestandteil der Parlamentsreform von 1991. Es wurde zum Beispiel festgehalten, dass die Kommissionen die gesellschaftliche Entwicklung zu verfolgen und allenfalls auch selbstständig Lösungen zu erarbeiten haben. Somit kommt ihnen ein Selbstbefassungsrecht zu.

Die Buchstaben a, c und d von Absatz 1 entsprechen den Buchstaben a, b und c des Aufgabenkatalogs in den Reglementen. Der in Buchstabe d des Aufgabenkatalogs in den Reglementen enthaltene Auftrag zur Koordination wird in einem speziellen Artikel aufgenommen (vgl. Art. 49).

3548

Absatz 1 Buchstabe b nimmt Artikel 153 Absatz 3 der neuen BV auf, wonach das Gesetz einzelne Befugnisse nicht rechtsetzender Natur an Kommissionen übertragen kann. Es ist hier nicht der Ort, die Beratungsgegenstände zu benennen, welche von Kommissionen abschliessend beraten werden können. Diese ergeben sich aus den entsprechenden Kompetenzbestimmungen dieses Gesetzes oder aus der Spezialgesetzgebung. So zum Beispiel aus Artikel 44 Absatz 2 des RVOG, wonach der Bundesrat die zuständigen Kommissionen zu Leistungsaufträgen für Ämter und Gruppen zu konsultieren hat.

Absatz 1 Buchstabe e basiert auf Artikel 170 BV, wonach die Bundesversammlung dafür zu sorgen hat, dass die Massnahmen des Bundes auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Durch die Auflistung in Artikel 44 gehört Evaluation zum Aufgabenbereich aller Kommissionen der Bundesversammlung. Damit wird man dem Auftrag des Verfassungsgebers gerecht. Dieser sah für die Evaluation eine eigene Bestimmung vor und integrierte sie bewusst nicht in den Aufgabenbereich der parlamentarischen Oberaufsicht gemäss Artikel 169 BV. Aus den Materialien zur Verfassungsreform geht klar hervor, dass mit der Schaffung eines Evaluationsartikels ein umfassendes Evaluationsverständnis verbunden war, welches auch eine Selbstevaluation des Gesetzgebers beinhaltet. Entsprechend äusserte sich zum Beispiel der Berichterstatter im Ständerat: «Die Evaluation hat eine selbstständige Bedeutung. Sie geht über die Oberaufsicht hinaus, weil nämlich nicht nur Massnahmen des Bundesrates und der Bundesverwaltung auf die Wirksamkeit überprüft werden, sondern das Parlament auch eine Überprüfung der eigenen Massnahmen oder der Gesetzgebung an sich veranlassen kann.» (AB 1998 S, Separatdruck Reform der Bundesverfassung, 134).

Die Kommissionsminderheit hingegen ist zusammen mit den Finanzkommissionen beider Räte (vgl. Stellungnahme vom 6. Juni 2000) der Ansicht, dass Evaluationen nur durch die Aufsichtskommissionen durchzuführen seien. Wenn alle Kommissionen den Auftrag haben, Wirksamkeitsprüfungen vorzunehmen, entstehe eine unnötige Betriebsamkeit und die Ausgaben für Dienstleistungen Dritter würden stark erhöht. Es bestünde die Gefahr, dass Evaluationen für die Selbstrechtfertigung eingesetzt würden. Sie müssten deshalb von unabhängigen Kontrollorganen durchgeführt werden. Der in Absatz
1 Buchstabe e enthaltene Evaluationsauftrag an alle Kommissionen solle deshalb gestrichen werden. In einem neuen Absatz 1bis wäre vorzusehen, dass die Fachkommissionen an die Aufsichtskommissionen gelangen können, wenn sie einen bestimmten Erlass evaluiert haben möchten.

Die SPK ist jedoch der Ansicht, dass man durch eine solche Beschränkung der Evaluationstätigkeit dem Verfassungsgeber nicht gerecht wird. Wenn der Auftrag zur Selbstevaluation des Gesetzgebers ernst genommen werden soll, so müssen sich die mit der Ausarbeitung von Gesetzen betrauten Organe im Hinblick auf die zukünftige Gesetzgebung immer wieder die Frage stellen, ob die von ihnen erarbeiteten Gesetze die beabsichtigte Wirkung erzielen. Die in Artikel 170 BV der Bundesversammlung zugewiesene Aufgabe ist somit sowohl bei der Oberaufsicht als auch bei der Gesetzgebung zu erfüllen. Während im Rahmen der Oberaufsicht zu prüfen ist, ob Bundesrat und Verwaltung die erlassenen Gesetze richtig ausführen, hat sich die Bundesversammlung im Rahmen ihrer Gesetzgebungstätigkeit die Frage zu stellen, was die von ihr erlassenen Gesetze bewirken. Selbstverständlich können sich auch die GPK und FK mit dieser weiter verstandenen Evaluation im Sinne einer Selbstevaluation des Gesetzgebers befassen, zumal eine klare Abgrenzung zwischen 3549

der Evaluation des Verwaltungshandelns und der Gesetzgebung nicht möglich ist.

Allerdings werden die GPK und die FK die Selbstevaluation des Gesetzgebers auf Grund ihrer Kapazitäten nur punktuell wahrnehmen können. Aus diesem Grund ist es notwendig, dass die Legislativkommissionen dazu angehalten werden, sich systematisch die Frage zu stellen, was die von ihnen vorberatenen Erlasse bewirken.

In der Praxis wird dies am sinnvollsten so gehandhabt werden, dass jeweils nach Abschluss der Vorberatung eines Erlassentwurfs in der Legislativkommission entschieden wird, ob und wie eine Evaluation zur geplanten Gesetzgebung vorzusehen sei. Im Normalfall wird die Kommission das zuständige Departement beauftragen, in zwei bis drei Jahren einen Evaluationsbericht vorzulegen. Je nachdem kann es sinnvoller sein, die Parlamentarische Verwaltungskontrollstelle (PVK) oder die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) mit einer vertieften Analyse zu beauftragen.

Will eine Legislativkommission eine umfassende Studie durch die PVK oder EFK ausführen lassen, dann ist es angezeigt, dass dies durch ein Organ der Aufsichtskommissionen koordiniert wird (vgl. Art. 54 Abs. 4). Es geht nicht an, dass diese Dienststellen von verschiedenen parlamentarischen Organen unkoordiniert mit Aufträgen überschwemmt werden. Hier kommt den Aufsichtskommissionen eine wichtige Führungsfunktion zu.

Die Geschäftsprüfungskommissionen beider Räte haben in ihrer Stellungnahme vom 11. Mai 2000 dem Evaluationsauftrag an alle Kommissionen gemäss Artikel 44 Absatz 1 Buchstabe e zugestimmt. Sie weisen aber ausdrücklich auf den Koordinationsbedarf in diesem Bereich hin. Die SPK trägt diesem sehr berechtigten Wunsch Rechnung. Neben der erwähnten Koordination wissenschaftlicher Evaluationen durch die Konferenz der Präsidien der Aufsichtskommissionen und -delegationen (Art. 54 Abs. 4) verpflichtet Artikel 49 die Kommissionen generell zur Koordination.

Art. 45

Allgemeine Rechte

Artikel 45 regelt die allgemeinen Rechte der Kommissionen als Organe der Räte.

Die spezifischen Informationsrechte gegenüber Bundesrat und Verwaltung werden im Kapitel «Verkehr der Kommissionen mit dem Bundesrat» geregelt. Die Buchstaben a und b von Absatz 1 nehmen Artikel 8quinquies Absatz 5 und Artikel 47bis Absatz 1 GVG auf.

Buchstabe c hält das bisher ungeschriebene Recht der Kommissionen fest, interessierte Kreise anzuhören. In der Praxis werden häufig Vollzugsträger ­ insbesondere auch Vertretungen der Kantone ­ eingeladen, um Vollzugsprobleme zu erörtern. An sich könnten die Kantone unter «interessierte Kreise» subsumiert werden. Ihre spezielle Stellung als wichtigste Vollzugsträger legt aber ihre explizite Erwähnung nahe. Kommt hinzu, dass die Räte am 22. Dezember 1999 auf Grund der parlamentarischen Initiative 96.456 (Rhinow) beschlossen haben, Artikel 47bis GVG durch Absatz 1bis zu ergänzen, welcher vorsieht, dass die Kommissionen insbesondere die Kantone im Hinblick auf die Prüfung der Vollzugstauglichkeit zur Stellungnahme einladen können (AB 1999 S 305ff., AB 1999 N 2601ff.). Die Vollzugsproblematik braucht hier hingegen nicht speziell erwähnt zu werden, steht sie doch auf Grund der spezifischen Interessen der Eingeladenen sowieso meistens im Zentrum.

Absatz 1 Buchstabe d stipuliert das an sich selbstverständliche und in der Praxis auch wahrgenommene, bisher ungeschriebene Recht der Kommissionen, Besichtigungen vorzunehmen.

3550

Absatz 2 figurierte bisher nicht im GVG. Das Recht, Subkommissionen einzusetzen, stellt jedoch ein zentrales Verfahrensrecht der Kommissionen dar. Es soll zudem bei Gelegenheit Klarheit geschaffen werden, dass Subkommissionen nicht direkt an den Rat gelangen können. Schliesslich ist auch festzuhalten, dass mehrere Kommissionen gemeinsame Subkommissionen bilden können. In der Praxis kann dies sowohl für zwei Kommissionen eines Rates wie auch für die beiden Schwesterkommissionen beider Räte von Bedeutung sein. Als Subkommissionen gelten im Übrigen auch die Delegationen der Finanz- und der Geschäftsprüfungskommissionen. Die Details der Subkommissionenbildung bleiben in den Ratsreglementen geregelt. Dort ist zum Beispiel auch festzuhalten, dass Subkommissionen nicht selbstständig die Öffentlichkeit informieren. Subkommissionen sind immer im Auftrag von Kommissionen tätig.

Art. 46

Verfahren in den Kommissionen

Absatz 1 hält fest, dass das Verfahren in den Kommissionen aus den Verfahrensregeln des entsprechenden Rates abgeleitet wird. So wird zum Beispiel bei der Reihenfolge der Abstimmungen das gleiche Verfahren angewendet wie im Ratsplenum.

Hingegen können das Gesetz oder die Ratsreglemente durchaus spezifische Verfahrensbestimmungen für die Kommissionen vorsehen. So sehen zum Beispiel Artikel 21 GRN und Artikel 14 GRS vor, dass der Kommissionspräsident oder die Kommissionspräsidentin mitstimmt, während der Ratspräsident oder die Ratspräsidentin gemäss Artikel 83 GRN und Artikel 71 GRS ­ bzw. neu Artikel 80 dieses Gesetzes ­ nur den Stichentscheid gibt.

Artikel 153 Absatz 2 BV sieht die Einsetzung gemeinsamer Kommissionen vor.

Solche bestehen in Form der Delegationen heute schon. Mit der neuen Verfassungsbestimmung wurde diesbezüglich eine explizite verfassungsmässige Grundlage geschaffen. Regelungsbedürftig in Bezug auf solche gemeinsame Kommissionen ist die Frage des Abstimmungsverfahrens. Gemäss dem Grundsatz des Zweikammersystems wird in Absatz 2 festgehalten, dass im Falle einer formellen Beschlussfassung getrennt nach Räten abzustimmen ist. Eine Ausnahme stellt zum Beispiel die Einigungskonferenz dar (Art. 92).

Art. 47

Vertraulichkeit

Die Vertraulichkeit der Kommissionssitzungen stellt ein wesentliches Element der Kommissionstätigkeit dar. Sie ist bisher nur in den Ratsreglementen festgehalten und zwar in Artikel 24 GRN und Artikel 16 GRS in identischem Wortlaut. Diese wichtigsten Grundsätze der Vertraulichkeit werden auf Gesetzesstufe gehoben.

Weitere Details können in Artikel 25 GRN und Artikel 17 GRS geregelt bleiben.

Der in Artikel 24 GRN und Artikel 16 GRS gemachte Hinweis auf das Amtsgeheimnis ist hier nicht notwendig, da die Ratsmitglieder gemäss Artikel 9 dieses Gesetzes ohnehin an das Amtsgeheimnis gebunden sind.

In Absatz 2 ist vorgesehen, dass die Kommissionen gemäss bisherigem Recht beschliessen können, Anhörungen öffentlich durchzuführen. Danach kann zum Beispiel die Presse zu einer Anhörung von Experten und Expertinnen eingeladen werden, wenn dies von breiterem Interesse ist. Nimmt die Kommission jedoch die Beratung auf, wird die Öffentlichkeit wieder ausgeschlossen. Der Meinungsbildungsprozess in Kommissionen soll möglichst frei und unbeeinträchtigt von Medieneinflüssen stattfinden. Die Minderheit will einen Schritt weiter gehen und den Kommissionen erlauben, ganze 3551

Sitzungen öffentlich durchzuführen. Dadurch könnten zum Beispiel auch die Beratungen inklusive Abstimmungen zu einem Erlassentwurf Vertretern und Vertreterinnen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Der Entscheid über die Zulassung der Öffentlichkeit liegt jedoch bei der Kommission. Somit würde nur eine Möglichkeit geschaffen, die in gewissen Fällen sinnvollerweise genutzt werden kann, ohne dass die Kommissionen dazu verpflichtet sind.

Art. 48

Information der Öffentlichkeit

Es wird nur der Grundsatz festgehalten, dass die Kommissionen zu informieren haben. Wie sie dies machen wollen, kann entweder in den Ratsreglementen festgehalten werden (Art. 25 GRN und Art. 17 GRS) oder aber auch der Organisationsautonomie der Kommissionen überlassen werden.

Art. 49

Koordination zwischen den Kommissionen

Der Koordinationsbedarf zwischen den Kommissionen nimmt ständig zu. Vor allem bei bereichsübergreifenden Geschäften befassen sich verschiedene Kommissionen mit demselben Thema. Wenn sich verschiedene Kommissionen unter verschiedenem Blickwinkel zu denselben Fragen äussern, ist dies an sich kein Problem, sondern allenfalls durchaus wünschenswert. Problematisch wird es hingegen dann, wenn in verschiedenen Kommissionen die gleichen Abklärungen vorgenommen werden und die gleichen Personen inner- oder ausserhalb der Verwaltung zu denselben Fragen hinzugezogen werden. Artikel 8quinquies Absatz 6 GVG muss deshalb verdeutlicht werden. Insbesondere geht es nicht nur um die Koordination zwischen denselben Kommissionen beider Räte, sondern auch um die Koordination zwischen den verschiedenen Legislativkommissionen sowie zwischen Legislativ- und Aufsichtskommissionen.

Absatz 1 stellt klar, dass alle Kommissionen, die ähnliche Fragen bearbeiten, ihre Tätigkeit koordinieren müssen.

Absatz 2 zielt auf die effiziente Informationsbeschaffung ab. Entweder sollen dies die verschiedenen Kommissionen in gemeinsamen Sitzungen tun, oder eine Kommission wird beauftragt, gewisse Fragen abzuklären und die Ergebnisse den anderen Kommissionen mitzuteilen.

Absatz 3 sieht vor, dass die Geschäftsprüfungskommissionen und die Finanzkommissionen den Geschäftsbericht und die Rechnung gemeinsam vorberaten können.

Auch in der Bundesverwaltung arbeiten gewisse Ämter nach den Grundsätzen der neuen Verwaltungsführung. Wichtiger Bestandteil des «Führens mit Leistungsauftrag und Globalbudget» (FLAG) ist die Verknüpfung von Aufgaben- und Finanzplanung. Es ist deshalb naheliegend, gerade bei solchen Ämtern den Geschäftsbericht gemeinsam mit der Rechnung zu begutachten. Die Bestimmung ermöglicht sowohl gemeinsame Sitzungen der Finanz- und Geschäftsprüfungskommissionen eines Rates als auch gemeinsame Sitzungen der Kommissionen beider Räte. Artikel 153 Absatz 2 BV ermöglicht diese Ausnahme vom Grundsatz des Zweikammersystems.

Absatz 4 betrifft den sogenannten Mitbericht. Die Bestimmung sieht vor, dass solche Berichte an die vorberatende Kommission gerichtet werden, damit nicht mehrere Kommissionen im Rat Bericht erstatten. Die Möglichkeit der Kommissionen, direkt an den Rat zu gelangen, wird dadurch nicht ausgeschlossen, sondern ist durch das 3552

Antragsrecht gemäss Artikel 45 Absatz 1 Buchstabe a gewährleistet. Weiter stellt die Bestimmung klar, dass Kommissionen von sich aus einen Mitbericht erstatten können.

2. Abschnitt: Finanzkommissionen Die Organisation der Organe der parlamentarischen Oberaufsicht gab in den letzten Jahren wiederholt zu Diskussionen Anlass. Es wurde insbesondere die Frage aufgeworfen, ob die Wahrnehmung der Oberaufsicht über die Finanzen und die Geschäftsführung durch zwei verschiedene Kommissionen noch zweckmässig sei. Am 21. Juni 1996 hat der Nationalrat die Motion 96.3151 Raggenbass der SPK als Postulat zur Prüfung überwiesen (AB 1996 N 1198f.). Danach ist zu prüfen, ob die Finanzkommissionen (FK) und die Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) zusammengelegt werden sollen, oder ob zumindest die Koordination zwischen den bestehenden Organen intensiviert werden könne. Noch im gleichen Jahr, am 10. Dezember 1996 hat der Nationalrat der parlamentarischen Initiative 96.454 der Kommission 95.067 (PUK­PKB) Folge gegeben (AB 1996 N 2270). Darin wird gefordert, das GVG dahingehend zu ergänzen, dass die Koordination unter den Kontrollkommissionen, beispielsweise durch eine Präsidentenkonferenz, besser gewährleistet werden kann. Am 22. April 1999 wurde die Frist zur Ausarbeitung einer Vorlage im Hinblick auf die Totalrevision des GVG verlängert (AB 1999 N 769).

Im Zusammenhang mit der Motion 96.3151 ist auch die Motion Raggenbass 96.3152 zu sehen, welche vom Nationalrat am 21. Juni 1996 ebenfalls als Postulat überwiesen worden ist (Amtl. Bull. N 1996 1190f.). Diese Motion fordert die Zusammenführung der verschiedenen Kontrollorgane bzw. eine intensivere Koordination zwischen diesen sowie die Verselbstständigung der Eidgenössischen Finanzkontrolle. Der Bundesrat betrachtete das Postulat mit der Revision des Finanzkontrollgesetzes als erfüllt und beantragte dem Nationalrat dessen Abschreibung (BBl 1998 4703). Der Nationalrat folgte diesem Antrag am 14. Dezember 1998 (AB 1998 N 2618).

Die Diskussionen sind vor dem Hintergrund der gewandelten Kontrollaufgaben zu verstehen. Gerade auch in Zusammenhang mit der Entwicklung neuerer Führungsmodelle wie «New Public Management» (NPM) reicht es nicht mehr aus, die Frage nach der Recht- und Ordnungsmässigkeit des Verwaltungshandelns zu stellen. In Artikel 27 wird der Katalog der Überprüfungskriterien der Oberaufsicht gemäss der heutigen Praxis denn auch beträchtlich erweitert. Neben der Rechtmässigkeit und der Ordungsmässigkeit stellen auch die
Zweckmässigkeit, die Wirksamkeit und die Effizienz Kriterien der Oberaufsicht dar. Insbesondere die beiden letztgenannten Kriterien machen deutlich, dass kein eindeutiger Trennstrich zwischen Finanz- und Geschäftsaufsicht gezogen werden kann.

Aus diesen Gründen haben die Geschäftsprüfungs- und die Finanzkommissionen ihre Zusammenarbeit und Koordination im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten intensiviert. So finden regelmässige Koordinationssitzungen sowohl auf Stufe der Kommissionspräsidien wie auch auf Stufe der Sekretariate statt. Da es sich jedoch bei der «Präsidentenkonferenz» um ein informelles Gremium ohne rechtliche Grundlage handelt, sind ihre Beschlüsse für die Kommissionen nicht verbindlich.

Die Mitglieder beider Kommissionen arbeiten auch in gemeinsam tagenden Sub3553

kommissionen zusammen. So befassen sich zum Beispiel die zuständigen Subkommissionen und Sektionen von FK und GPK in gemeinsamen Sitzungen mit dem Bericht des Bundesrates über die Geschäftsführung von SBB, Post und Swisscom. Für bestimmte Geschäfte werden auch ad hoc gemeinsame Arbeitsgruppen eingesetzt.

Genannt seien hier zum Beispiel die Arbeitsgruppen, welche sich mit der Käseverwertung oder mit dem Projekt «Cargo Domizil» zu befassen hatten. Wie dem Bericht über die Finanzaufsicht im Bund 1996, Teil I (BBl 1997 III 9) zu entnehmen ist, stösst jedoch auch diese Form der Zusammenarbeit an ihre Grenzen: «Mit solchen Arbeitsgruppen kann zwar eine optimale Koordination bei der materiellen Prüfung der Geschäfte gewährleistet werden. Äusserst kompliziert hingegen wird danach das weitere Vorgehen in den Kommissionen und Räten, weil vier Kommissionen den Bericht der Arbeitsgruppe behandeln, ihre eigenen Berichte dazu verfassen und ihre Anträge an die beiden Räte formulieren müssen.» Angesichts dieser Koordinationsprobleme wird deutlich, dass die gesetzlichen Grundlagen für die Koordination zwischen den Aufsichtskommissionen verbessert werden müssen. Dabei wurden auch die Vor- und Nachteile einer Zusammenlegung der Kommissionen geprüft. Es wurde eine Variante ausgearbeitet, wonach in beiden Räten eine Aufsichts- und Finanzkommission (AFK) geschaffen worden wäre, welche alle bisherigen Funktionen von GPK und FK übernommen hätte. Der Vorteil dieser Variante hätte darin bestanden, dass sie Gewähr bieten würde für eine enge Verknüpfung von Geschäftsprüfung und Finanzaufsicht. Eine umfassende Wirtschaftlichkeits- und Wirksamkeitsprüfung würde möglich; die verschiedenen Kontrollaspekte könnten von den einzelnen Subkommissionen in Zusammenhang gebracht werden. Ein weiterer Vorteil bestünde im Effizienzgewinn sowohl für die Bundesversammlung als auch für den Bundesrat. Seitens des Parlaments könnte die Sitzungszahl reduziert werden. Bundesrat und Verwaltung würden dadurch entlastet, dass sie nicht zum gleichen Thema in verschiedenen Kommissionen antreten müssen. Schliesslich wird von der Zusammenlegung ein Bedeutungsgewinn für die Oberaufsicht erwartet. Der Kommission, welche sich nun umfassend der Oberaufsicht widmen kann, würde ein grosses Gewicht zukommen. Als möglicher Nachteil wurde die erhöhte Belastung
der Kommissionsmitglieder genannt. Insbesondere an die Präsidien dieser anspruchsvollen Kommissionen würden grosse Anforderungen gestellt werden. Es ist deshalb die Frage zu stellen, ob eine solche Kommission noch «miliztauglich» wäre. Als Nachteil würde insbesondere im Nationalrat ins Gewicht fallen, dass weniger Kommissionssitze verteilt werden könnten. Schliesslich ist die Frage zu stellen, ob eine Zusammenlegung von GPK und FK nicht zu einer Dominanz der finanzpolitischen Kriterien bei der Wahrnehmung der Oberaufsicht führen würde. Da sich finanzielle Kriterien in der Praxis als einfacher anwendbar erweisen als die Kriterien der materiellen Aufgabenerfüllung, könnte es sein, dass sich die finanziellen Gesichtspunkte durchsetzen würden. Die Oberaufsicht darf jedoch nicht auf eine Finanzaufsicht reduziert werden. Es ist deshalb zu fragen, welche Organisation der Kommissionen den Pluralismus der Kontrollkriterien eher sicherstellt.

In ihrer Stellungnahme zuhanden der SPK vertraten die GPK die Ansicht, dass die Variante «Zusammenlegung» interessante Möglichkeiten bieten würde und langfristig weiter zu verfolgen wäre. Hingegen könne diese schwerwiegende Reform angesichts der hier doch zahlreich aufgeworfenen Fragen nicht kurzfristig im Rahmen der Totalrevision des Geschäftsverkehrsgesetzes realisiert werden. Die GPK sprachen sich deshalb für eine gesetzlich institutionalisierte Koordinationspflicht gemäss Artikel 54 als die kurzfristig sinnvollere Lösung aus. Die Finanzkommissionen 3554

äusserten grosse Skepsis gegenüber der Zusammenlegung und bezweifelten insbesondere die Miliztauglichkeit einer solchen Kommission. Die SPK hat sich auch auf Grund dieser Stellungnahmen gegen die Zusammenlegung, aber für eine rechtliche Institutionalisierung der Koordination entschieden.

Art. 50

Aufgaben der Finanzkommissionen

Absatz 1 nennt die Aufgaben der Finanzkommissionen. Gegenüber dem bisherigen Artikel 48 GVG wird klargestellt, dass die Finanzkommissionen nicht nur Budget und Staatsrechnung vorberaten, sondern dass sie sich mit der Haushaltführung des Bundes insgesamt befassen und ihnen auch die Oberaufsicht über den Finanzhaushalt zukommt. Die Finanzkommissionen beschäftigen sich mit allen grundlegenden Fragen der finanziellen Führung des Bundes. Sie sollen für alle Querschnittsthemen der Finanzpolitik zuständig sein. Die von den Finanzkommissionen ausgeübte Oberaufsicht erstreckt sich auf den ganzen Bereich der Finanzaufsicht, wie sie durch die Eidgenössische Finanzkontrolle wahrgenommen wird (vgl. Art. 8 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Eidgenössische Finanzkontrolle, SR 614.0). Die Spezialgesetzgebung kann jedoch vorsehen, dass ein anderes parlamentarisches Organ die Finanzaufsicht über einen bestimmten Bereich ausübt (vgl. zum Beispiel Artikel 20 Absatz 3 des Alptransit-Beschlusses SR 742.104). Zusätzlich wird die Vorberatung der finanziellen Planung in den Aufgabenkatalog aufgenommen. Es wird hier nicht das konkrete Instrument «Finanzplan» genannt, sondern allgemein von finanzieller Planung gesprochen. Somit besteht Spielraum, falls die finanziellen Planungsinstrumente in Zukunft eine Differenzierung erfahren sollten.

In Absatz 2 wird vorgesehen, dass den FK Erlassentwürfe entweder zum Mitbericht vorzulegen sind oder zur Vorberatung zugewiesen werden können, wenn sie erhebliche finanzielle Auswirkungen haben. Es wurde hier darauf verzichtet, den Finanzkommissionen die generelle Kompetenz zu geben, alle Vorlagen vorzuberaten, die das Haushaltgleichgewicht wesentlich beeinflussen. Dies würde wahrscheinlich zu einer Verlagerung eines grossen Teils der Geschäfte von der Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) zur FK führen. Auf Gesetzesebene soll jedoch keine Zementierung der Sachbereiche der Kommissionen vorgenommen werden. Die Sachbereiche werden von den Büros zugeteilt.

Art. 51

Finanzdelegation

Absatz 1 übernimmt die bisherigen Bestimmungen betreffend die Zusammensetzung der Finanzdelegation (FinDel). Die innere Organisation der Finanzdelegation, zum Beispiel ihre Gliederung in Sektionen, ist nicht gesetzeswürdig. Absatz 2 umschreibt entsprechend dem bisherigen Artikel 50 Absatz 1 GVG die wichtigsten Aufgaben.

Absatz 3 verweist auf das Finanzkontrollgesetz, dessen Artikel 14, 15 und 18 insbesondere Dokumentations- und Auskunftsrechte enthalten, welche die Finanzdelegation gegenüber der Eidgenössischen Finanzkontrolle geltend machen kann. Absatz 4 verankert neu die heutige Praxis der Berichterstattung, indem die FinDel einmal jährlich Bericht erstattet und diesen Bericht veröffentlicht. Absatz 5 sichert der Finanzdelegation ein Selbstbefassungsrecht zu; sie braucht also nicht einen Auftrag einer Finanzkommission, um sich mit einem konkreten Gegenstand zu befassen.

Allenfalls kann es angezeigt sein, dass sie nicht der Finanzkommission, sondern einer anderen Kommission Bericht erstattet. In Absatz 6 muss festgehalten werden,

3555

dass die Mitglieder der Finanzdelegation nicht getrennt nach Räten abstimmen, weil dies nicht der allgemeinen Bestimmung gemäss Artikel 46 Absatz 2 entspricht.

Es wurde darauf verzichtet, die Überwachung ausdrücklich als mitschreitend zu charakterisieren (siehe dazu die Erläuterungen zu Art. 27). Die ausdrückliche Erwähnung des mitschreitenden Elementes an dieser Stelle könnte den Fehlschluss nahelegen, dass Oberaufsicht in anderen Zusammenhängen nicht mitschreitend sein kann.

3. Abschnitt: Geschäftsprüfungskommissionen Art. 52

Aufgaben der Geschäftsprüfungskommissionen

Der Inhalt der Oberaufsicht ist in Artikel 27 näher definiert, sodass hier in Absatz 1 auf diesen Artikel verwiesen werden kann. Nur implizit erwähnt ist die Prüfung des Geschäftsberichtes. Diese Aufgabe wird von der GPK als nicht vorrangig angesehen. Der Schwerpunkt bei der Oberaufsicht über die Geschäftsführung liegt bei den vertieften Untersuchungen der Geschäftsführung. Der Geschäftsbericht bildet nur eines von verschiedenen Informationsmitteln. Im Detail wird seine Behandlung in Artikel 143 und 144 geregelt.

In Absatz 2 sollen diejenigen Kriterien der Oberaufsicht festgehalten werden, welche primär bei der Geschäftsführung relevant sind. Es sind dies die Rechtmässigkeit, die Zweckmässigkeit und die Wirksamkeit, während die Finanzaufsicht in erster Linie die Ordnungsmässigkeit und die Effizienz (Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit) zu berücksichtigen hat. Durch die Festlegung von Schwerpunkten kann eine zusätzliche Verbesserung der Koordination zwischen den Geschäftsprüfungskommissionen und den Finanzkommissionen erreicht werden.

Art. 53

Geschäftsprüfungsdelegation

Der Artikel hält Aufgaben und Zusammensetzung der Geschäftsprüfungsdelegation fest. Der Artikel entspricht in seiner Struktur demjenigen über die Finanzdelegation (Art. 51). Die Details der Berichterstattung, wie sie in Artikel 47quinquies Absätze 7 und 8 GVG enthalten sind, brauchen nicht aufgenommen zu werden, sondern können der Organisationsautonomie der GPK überlassen werden.

Die Geschäftsprüfungskommissionen sollen auch weiterhin das Recht haben, ihrer Delegation weitere Aufgaben zu übertragen (Abs. 3). Dies kann zum Beispiel dann angezeigt sein, wenn die Einsicht in Entscheidungsgrundlagen des Bundesrates notwendig ist, da dieses Recht nur der Delegation zusteht. Im Gegensatz zum bisherigen Artikel 47quinquies Absatz 3 GVG soll auch die GPK eines Rates einen solchen Auftrag erteilen können, und zwar durch Mehrheitsbeschluss. Die in Artikel 47quinquies Absatz 3 GVG geforderte Zweidrittelsmehrheit ist verfassungswidrig.

Die Bundesverfassung sieht eine Abweichung vom Grundsatz des einfachen Mehrs nur bei der Dringlicherklärung von Bundesgesetzen sowie bei bestimmten Ausgaben vor (Art. 159 Abs. 3 BV). Das gemeinsame Sekretariat der beiden Kommissionen und der Delegation sollte Garant genug sein, dass die Koordination zwischen den drei Gremien sichergestellt ist.

3556

4. Abschnitt: Gemeinsame Bestimmungen für die Finanz- und Geschäftsprüfungskommissionen Art. 54

Konferenz der Präsidien der Aufsichtskommissionen und -delegationen

Die Koordination wird institutionalisiert, indem ein Koordinationsgremium geschaffen wird. Gemäss Artikel 49 müssen die Kommissionen ihre Tätigkeiten mit anderen Kommissionen koordinieren. Spezifisch bei der Oberaufsicht wird ein Gremium eingesetzt, um diese Koordination zu verwirklichen. Um die Koordination wahrzunehmen, muss der Handlungs- und Entscheidungsspielraum dieser Koordinationskonferenz gross genug sein, sodass auch ein aussergewöhnliches Vorgehen im konkreten Fall möglich ist.

Absatz 1 regelt die Zusammensetzung dieses Koordinationsgremiums, während Absatz 2 den hauptsächlichen Aufgabenbereich umschreibt. Es geht hier vor allem um die materielle Koordination der Prüfungsprogramme. Das heisst, die Aufgaben sollen den einzelnen Kommissionen und Delegationen klar zugewiesen werden. Weiter hat das Gremium eine Entscheidungskompetenz in Bezug auf Kompetenzkonflikte und Berichterstattung. Wird zum Beispiel eine gemeinsame Subkommission eingesetzt, so kann die Konferenz der Präsidien festlegen, welche Plenarkommission federführend ist, d.h. dem Plenum Bericht erstattet. Die Mängel der bisherigen Koordinationsbemühungen werden durch diese Bestimmungen beseitigt.

Ein zusätzlicher Koordinationsbedarf ergibt sich vor allem in jenen Bereichen, wo sich neue Führungsmodelle wie «New Public Management» etablieren oder die Tätigkeiten von zunehmend autonomeren Trägern von Bundesaufgaben wahrgenommen werden. Die Notwendigkeit zusätzlicher Koordination betrifft aber in diesen Bereichen nicht nur die Geschäftsprüfungs- und Finanzkommissionen, sondern fordert auch die Legislativkommissionen zu einer engen Zusammenarbeit mit den Aufsichtskommissionen auf. In Absatz 3 soll deshalb die Möglichkeit vorgesehen werden, das Koordinationsgremium durch Präsidien weiterer betroffener Kommissionen zu erweitern.

Absatz 4 überträgt dem Koordinationsgremium der Aufsichtskommissionen die Aufgabe, über Evaluationsaufträge an die mit dieser Aufgabe betraute Dienststelle der Parlamentsdienste (Parlamentarische Verwaltungskontrollstelle) oder an die Finanzkontrolle zu entscheiden. Gemäss Artikel 44 Absatz 1 Buchstabe e haben alle Kommissionen für die Überprüfung der Wirksamkeit der von ihnen vorberatenen Erlasse zu sorgen. Es ist jedoch zu verhindern, dass die entsprechenden Dienststellen mit Aufträgen für umfassende
wissenschaftliche Wirksamkeitsprüfungen überschwemmt werden. Es braucht hier ein Gremium, welches die Aufträge koordiniert und Prioritäten setzt. Da die Minderheit davon ausgeht, dass die Legislativkommissionen gemäss Artikel 44 Absatz 1bis nicht in eigener Regie Evaluationen durchführen lassen können, beantragt sie hier Streichung dieses Absatzes.

Art. 55

Berichterstattung im Rat

Die periodische Berichterstattung dient dazu, die Tätigkeit der Aufsichtskommissionen im Rat und in der Öffentlichkeit transparent zu machen.

3557

5. Abschnitt: Redaktionskommission Die bisherigen Artikel 31, 32 und 33 GVG sind einerseits zu ausführlich, andererseits zu knapp gehalten. Einerseits nehmen die Bestimmungen über das Verfahren zur Bereitstellung der Texte für die Schlussabstimmung und für das Vorgehen zur Korrektur von Erlassen nach der Schlussabstimmung sehr viel Raum ein. Andererseits sind zum Beispiel in Artikel 32 Absatz 1 die konkreten Tätigkeiten der Redaktionskommission keineswegs vollständig erfasst. Eine Lösung dieses Dilemmas besteht darin, auf Gesetzesebene nur die Kernaufgaben der Redaktionskommission festzuhalten und die Details der Verfahrensweise auf Verordnungsebene zu delegieren. Eine zu schaffende Verordnung der Bundesversammlung über die Zusammensetzung und das Verfahren der Redaktionskommission wird es auch ermöglichen, die Verfahrensweisen für die Korrekturen nach der Schlussabstimmung zu differenzieren und allenfalls auch vereinfachte Verfahren für die Beseitigung kleinerer Versehen vorzusehen.

Art. 56

Zusammensetzung und Organisation

Die Bestimmungen betreffend die Zusammensetzung sind auf das Wesentliche gekürzt worden. Die Details der Zusammensetzung werden in der zu schaffenden Verordnung zu regeln sein. In Absatz 1 wird festgehalten, dass es sich bei der Redaktionskommission um eine gemeinsame Kommission beider Räte handelt. Es gelten also die allgemeinen Bestimmungen für gemeinsame Kommissionen.

Es wird nur noch festgehalten, dass die Redaktionskommission aus drei Subkommissionen für jede Amtssprache besteht (Abs. 2). Wie überall im Gesetz wird zudem der Begriff «Subkommissionen» verwendet, anstatt wie bisher «Unterkommissionen». Absatz 3 sieht vor, dass sich die Kommission selber konstituiert, das heisst selber ihre Organisation festlegt. In Absatz 4 muss festgehalten werden, dass die Mitglieder der Redaktionskommission nicht getrennt nach Räten abstimmen, weil dies nicht der allgemeinen Bestimmung gemäss Artikel 46 Absatz 2 entspricht.

Art. 57

Aufgaben und Verfahren

Artikel 57 hält die Aufgaben der Redaktionskommission fest, wie sie sich vor der Schlussabstimmung stellen.

Absatz 1 entspricht Artikel 31 Absatz 1 GVG. Es wird jedoch klargestellt, dass nur diejenigen Erlasse überprüft werden, welche in die Schlussabstimmung kommen. Es wird hier der Begriff «Redaktionskommission» verwendet. Faktisch handelt es sich um die Subkommissionen der verschiedenen Sprachen. Die Redaktionskommission als Gesamtes tagt relativ selten und ist in erster Linie für die Besprechung grundsätzlicher Fragen zuständig.

Absatz 2 entspricht Artikel 32 Absatz 1 GVG und nennt die konkreten Tätigkeiten der Kommission gemäss der heutigen Praxis. Neu wird festgehalten, dass sie für die verständliche und knappe Formulierung der Texte zu sorgen hat. Im Weiteren wird auch explizit festgehalten, dass sie zu prüfen hat, ob die Texte den Willen der Bundesversammlung wiedergeben. Ein Text kann sprachlich und formal korrekt sein, jedoch nicht dem entsprechen, was die Bundesversammlung beschlossen hat.

3558

In Absatz 3 ist deutlicher als in Artikel 32 Absatz 1 GVG festgehalten, dass die Redaktionskommission keine materiellen Änderungen vornehmen darf. Sie korrigiert deshalb materielle Fehler nicht selber, sondern benachrichtigt die Ratspräsidien, wenn sie einen solchen findet. Die Ratspräsidien als verantwortliche Stellen für die endgültige Fassung der von der Bundesversammlung verabschiedeten Erlasse werden dafür besorgt sein, dass die Korrekturvorschläge durch die zuständigen Organe geprüft werden. In der Praxis werden sie das Geschäft an die vorberatende Kommission zur Überarbeitung geben.

Art. 58

Berichtigungen nach der Schlussabstimmung

Während in Artikel 57 die Hauptaufgabe der Redaktionskommission geregelt ist, nämlich die Bereitstellung der sprachlich und formal korrekten Texte für die Schlussabstimmung, sieht Artikel 58 Verfahren vor für die besonderen Fälle, wenn ein Versehen erst nach der Schlussabstimmung entdeckt wird.

Das Verfahren gemäss Absatz 1 sollte grundsätzlich nur sehr zurückhaltend angewendet werden, da ansonsten die Schlussabstimmung entwertet ist. Grundsätzlich gelten die Erlasse in dem Wortlaut, wie er in der Schlussabstimmung verabschiedet worden ist. Artikel 33 Absatz 1 GVG hält fest, dass dieses Verfahren angewendet werden kann, wenn «sinnstörende» Versehen festgestellt werden. Ein Versehen kann jedoch durchaus Sinn machen, aber nicht den parlamentarischen Beratungen entsprechen, was an sich gravierender ist. So beschloss die Bundesversammlung zum Beispiel anlässlich einer Revision des Erwerbsersatzgesetzes einen bestimmten Prozentsatz für die Berechnung der Entschädigung. Auf Grund eines Übermittlungsfehlers wurde dann im Bundesblatt eine andere Prozentzahl gedruckt (25 statt 20%).

Dies ist ein gravierender Fehler mit finanziellen Auswirkungen. Da der Wille der Bundesversammlung klar aus dem Amtlichen Bulletin hervorging (es wurde in beiden Räten 20% beschlossen), ordnete die Redaktionskommission die Berichtigung an. Absatz 1 wurde hier deshalb analog zu Artikel 57 Absatz 2 formuliert. Eine Minderheit ist der Ansicht, dass auf den Passus «..., die nicht das Ergebnis der parlamentarischen Beratungen wiedergeben,...» verzichtet werden sollte. Es könne nicht an der Redaktionskommission liegen, zu beurteilen, ob ein von der Bundesversammlung verabschiedeter Erlass den parlamentarischen Beratungen entspreche oder nicht. Diese politische Frage könne nur von der Bundesversammlung selber entschieden werden, nötigenfalls indem sie den Erlass wieder ändert.

Das Verfahren gemäss Artikel 58 Absatz 1 gilt für alle Vorlagen, ob sie dem Referendum unterstehen oder nicht. Die Frist «bis zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung» lässt genügend Spielraum. Wird ein Versehen in einer Vorlage entdeckt, über die eine Volksabstimmung stattfinden wird, so ist es angezeigt, die allenfalls vorgenommene Korrektur sofort zu veröffentlichen, sei es im Bundesblatt oder in den Abstimmungserläuterungen. Da die Redaktionskommission
keine materiellen Änderungen vornehmen darf, sollten solche Korrekturen keine Auswirkungen auf die Referendumsfrist haben (vgl. auch die entsprechende Änderung von Art. 59 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte in Art. 172 Ziff. 1).

Absatz 2 sieht eine Differenzierung der Vorgehensweisen bei Versehen vor, welche erst nach der Veröffentlichung entdeckt werden. Das normale Verfahren wird wie bisher in der Änderung des Erlasses bestehen (Art. 33 Abs. 2 GVG). Dies braucht nicht gesetzlich verankert zu werden. Der Redaktionskommission steht wie jeder

3559

Kommission das Initiativrecht zu. Somit kann sie den Räten entsprechende Erlassentwürfe mit den notwendigen Korrekturen unterbreiten. Gemäss Artikel 80 Absatz 2 kann sie der Koordinationskonferenz die Behandlung durch die beiden Räte in der gleichen Session beantragen. Handelt es sich jedoch nur um ein Detail wie zum Beispiel um einen falschen Verweis, stellt sich die Frage, ob wirklich eine Erlassänderung vorgenommen werden muss. Absatz 2 schafft eine neue Möglichkeit, indem die Redaktionskommission die Berichtigung von offensichtlichen Fehlern oder Änderungen rein gesetzestechnischer Art selber anordnen kann.

Absatz 3 sieht vor, dass die Mitglieder der Bundesversammlung zu benachrichtigen sind, wenn in einem Erlass nach der Schlussabstimmung gemäss den in den Absätzen 1 und 2 vorgesehenen Verfahren Berichtigungen vorgenommen werden. Die Mitglieder der Bundesversammlung sollen überprüfen können, ob von der Redaktionskommission angeordnete Korrekturen nach der Schlussabstimmung dem Willen der Bundesversammlung entsprechen. Rückgängig machen kann die Bundesversammlug eine ihrer Ansicht nach falsche Korrektur, indem sie den Erlass wieder ändert.

Art. 59

Ausführungsbestimmungen

Der Artikel delegiert die Regelung der Einzelheiten der Zusammensetzung (Amtsdauer, Stellvertretung usw.), der Aufgaben sowie des Vorgehens zur Überprüfung der Erlassentwürfe und zur Beseitigung von Korrekturen auf die Verordnungsebene.

6. Abschnitt: Delegationen in internationalen Organisationen Art. 60 Einen Spezialfall der Kommissionen stellen die Delegationen in internationalen parlamentarischen Versammlungen dar. Es handelt sich hier um gemeinsame Kommissionen beider Räte, deren primäre Aufgabe in der Vertretung der Schweizerischen Bundesversammlung in einer internationalen parlamentarischen Versammlung besteht. Darunter ist die Mitwirkung sowohl in internationalen parlamentarischen Organisationen als auch in parlamentarischen Organen internationaler Organisationen zu verstehen. Entsprechend der Art der Organisation, bei der diese Delegationen mitwirken, haben sie spezielle Aufgaben sowie spezielle Organisations- und Verfahrensweisen, welche sich zum Teil von den allgemeinen Bestimmungen betreffend die Kommissionen unterscheiden. Artikel 57 schafft die gesetzliche Grundlage dafür, dass die entsprechenden Bestimmungen auf Verordnungsebene vorgesehen werden können. Bisher war diese Grundlage in Artikel 8bis Absatz 1 GVG enthalten, welcher vorsah, dass Ausführungsbestimmungen über die Mitwirkung der Bundesversammlung in internationalen Organisationen in der Form von Verordnungen der Bundesversammlung zu erlassen sind. Es wird hier neu vorgeschlagen, die Delegationen in internationalen Organisationen als spezifische Form der Kommissionen explizit zu nennen, insbesondere auch um sie gegen eine andere Form der Delegationen, die Geschäftsprüfungs- und Finanzdelegationen, abzugrenzen. Von den sechs heute bestehenden Delegationen der Bundesversammlung in internationalen parlamentarischen Organisationen sind drei auf Grund von Bürobeschlüssen eingesetzt.

Auf Grund von Artikel 60 muss hierfür eine Verordnung der Bundesversammlung 3560

geschaffen werden, was angesichts der politischen Bedeutung, welche eine solche Delegation haben kann, angezeigt ist.

5. Kapitel: Fraktionen Art. 61

Bildung

Die bisherigen Bestimmungen zur Bildung von Fraktionen aus Artikel 8septies GVG wurden weitgehend übernommen, wobei zwei Änderungen vorgenommen wurden.

Neu können sich nicht mehr beliebige Parteien zu einer Fraktion zusammenschliessen, sondern Voraussetzung ist eine ähnliche politische Richtung (Absatz 2). Fraktionen sollen als handelnde Organe der Bundesversammlung auftreten können, was auch ihre explizite Erwähnung in der neuen Bundesverfassung nahe legt (Art. 154 BV). Alibifraktionen, die nur mit dem Zweck gebildet werden, um von den entsprechenden Infrastrukturen und Rechten profitieren zu können, sind nicht im Interesse des Parlamentsbetriebs. In dieselbe Richtung geht auch der Vorschlag für einen Verzicht auf die bisherigen «Fraktionsgemeinschaften» (Art. 8septies Abs. 3 GVG): Ratsmitglieder aus verschiedenen Parteien mit ähnlicher politischer Richtung können eine gemeinsame Fraktion bilden. Die Besserstellung dieser Ratsmitglieder auf Grund der Bildung von Fraktionsgemeinschaften ist unverhältnismässig. Gemäss geltendem Recht sind die kleinen Fraktionen bereits dadurch bevorteilt, dass sie genau gleich wie die grossen Fraktionen die Grundentschädigung für Fraktionen erhalten, während der Verhandlungen des Nationalrates bei der häufig angwendeten Beratungskategorie III (vgl. Art. 68 GRN) die gleichen Rederechte haben und zusätzlich durch die Möglichkeit der Bildung von «Fraktionsgemeinschaften» mehr Kommissionssitze erhalten. Neu müssen sich solche kleine Gruppierungen zu einer Fraktion zusammenschliessen, wenn sie mehr Kommissionssitze wollen, wobei ihnen dadurch nur noch eine Fraktionsgrundentschädigung zusteht.

Eine Minderheit will in Absatz 2 auf das Erfordernis der «ähnlichen politischen Ausrichtung» für die Fraktionsbildung verzichten. Sie ist der Ansicht, dass es der Koordinationskonferenz nicht zustehe, zu beurteilen, ob die Mitglieder einer Fraktion eine ähnliche politische Ausrichtung haben. Bei dem viel zu vagen Kriterium hätte die Koordinationskonferenz ein zu grosses Ermessen und es bestünde eine Willkürgefahr.

Aus dem geltenden Recht übernommen wurde die Bestimmung, wonach die Mitglieder einer Partei eine Fraktion zu bilden haben und sich nicht etwa auf mehrere verteilen dürfen (Abs. 1). Nach wie vor braucht es fünf Mitglieder eines Rates, um eine Fraktion zu bilden
(Abs. 3). Drei Mitglieder des Nationalrates und zwei Mitglieder des Ständerates ergeben also keine Fraktion. Auf eine Erhöhung der erforderlichen Mitgliederzahl wurde aus Gründen des Minderheitenschutzes verzichtet.

Die Bildung einer neuen Fraktion ist dem Generalsekretär oder der Generalsekretärin zu melden (Abs. 4). Da neu das Kriterium der ähnlichen politischen Richtung erfüllt sein muss, reicht diese Meldung nicht aus, sondern es muss eine entsprechende Prüfung stattfinden. Weil einer Fraktion in der Regel Mitglieder aus beiden Räten angehören, ist es sinnvoll, wenn die Koordinationskonferenz diese Prüfung vornimmt. Die Kompetenz der Koordinationskonferenz zur Genehmigung der Bildung von Fraktionen ist in Artikel 37 Absatz 2 Buchstabe e enthalten.

3561

Art. 62

Aufgaben und Rechte

Absatz 1 nimmt Artikel 8septies Absatz 4 GVG auf. Die rechtlich nicht sehr aussagekräftige Bestimmung, wonach die Fraktionen die rationelle Geschäftserledigung zu fördern haben, wurde weggelassen. Ebenso kann darauf verzichtet werden, die Vorbereitung der Wahlen speziell zu erwähnen, da auch Wahlen zu den Ratsgeschäften gehören.

Absatz 2 nennt die verfassungsmässigen Rechte der Fraktionen. Die vollständige Aufzählung dieser Rechte ermöglicht eine Klarstellung gegenüber dem etwas missverständlich formulierten Artikel 160 BV. Weiter stehen den Fraktionen spezifische Rechte im Ratsbetrieb zu, welche in den Reglementen festgehalten sind. Dazu gehört zum Beispiel die Zuteilung von Redezeit im Nationalrat. Absatz 3 schafft die explizite, bisher fehlende gesetzliche Grundlage für diese Rechte.

Absatz 4 entspricht Artikel 8septies Absatz 5 GVG. Der bisherige explizite Hinweis auf die Unterstützung der Fraktionssekretariate durch die Parlamentsdienste kann weggelassen werden, ohne dass damit eine Änderung der bisherigen Praxis beabsichtigt wird. Diese Sekretariate handeln im Auftrag der Fraktionen, die als parlamentarische Organe gemäss Artikel 64 Anspruch auf Dienstleistungen der Parlamentsdienste haben. In dem Sinn unterstehen die Mitglieder der Sekretariate auch dem Amtsgeheimnis gemäss Artikel 9.

Analog zu Artikel 10, welcher den Grundsatz der Entschädigung der Mitglieder der Bundesversammlung festhält, wird hier in Absatz 5 der Grundsatz der Entschädigung der Fraktionen festgehalten und auf das Entschädigungsgesetz verwiesen.

6. Kapitel: Parlamentarische Gruppen Art. 63 Artikel 63 nimmt Artikel 8octies GVG auf. Die dort enthaltenen Bestimmungen wurden übernommen. In Absatz 2 wird neu festgehalten, dass solche Gruppen nicht im Namen der Bundesversammlung auftreten können. Es handelt sich um informelle Zusammenschlüsse mit öffentlichem Charakter. Gemäss Artikel 31 dieses Gesetzes sind Gruppen jedoch nicht Organe der Bundesversammlung.

7. Kapitel: Parlamentsverwaltung Das 7. Kapitel des Parlamentsgesetzes bringt keine materiellen Änderungen gegenüber der Partialrevision des GVG vom 22. Dezember 1999. Mit dieser Gesetzesänderung und der darauf gestützten gleichzeitigen Änderung des Bundesbeschlusses über die Parlamentsdienste ist die Unterstellung der Parlamentsdienste unter die Bundesversammlung gemäss Artikel 155 BV vollzogen worden. Die ausführlichen Erläuterungen im Bericht der SPK vom 7. Mai 1999 (BBl 1999 4809) behalten ihre Gültigkeit.

Die Kapitelüberschrift «Parlamentsverwaltung» entspricht dem mit der erwähnten GVG-Revision eingeführten, etwas umständlichen Ausdruck «Verwaltungsangelegenheiten der Bundesversammlung». Der Begriff «Parlamentsverwaltung» geht wei-

3562

ter als der Begriff der «Parlamentsdienste»; er schliesst auch ein die Verwaltungsfunktionen der Verwaltungsdelegation und die Dienstleistungen, welche die allgemeine Bundesverwaltung im unmittelbaren Auftrag von parlamentarischen Organen erbringt.

Im Übrigen bringt der Begriff «Parlamentsverwaltung» zum Ausdruck, dass die Parlamentsdienste als deren hauptsächlicher Bestandteil nicht etwa nur explizit bestellte Dienstleistungen erbringen, wie ihre Bezeichnung vermuten lassen könnte.

Die Parlamentsdienste sind wie die allgemeine Bundesverwaltung und jede moderne Verwaltung nicht ausschliesslich ausführendes Instrument. Sie haben auch die Aufgabe, selbstständig und aktiv die Interessen der Institution des Parlamentes und seiner Organe zu wahren und zu fördern und nehmen damit wie jede andere Verwaltung auch eine ­ allerdings parteipolitisch strikt neutrale ­ Politik gestaltende Rolle wahr.

Die Einzelheiten der Parlamentsverwaltung werden in der heute noch gemäss altem Recht als Bundesbeschluss bezeichneten Verordnung der Bundesversammlung über die Parlamentsdienste geregelt. Als Folge des voraussichtlich im Laufe des Jahres 2001 in Kraft tretenden Bundespersonalgesetzes werden grössere Anpassungen dieser Verordnung nötig; deren Ausmass und Inhalt wird erst dann abgeschätzt werden können, wenn die Ausführungsbestimmungen zum Bundespersonalgesetz bekannt sein werden. Das Parlamentsgesetz sollte jedenfalls die Kompatibilität des parlamentarischen Personalrechts mit dem allgemeinen Personalrecht gewährleisten und daher einen möglichst grossen Spielraum für die nötigen Anpassungen der Verordnung der Bundesversammlung über die Parlamentsdienste offen lassen.

Art. 64

Aufgaben der Parlamentsdienste

Artikel 64 entspricht Artikel 8novies Absatz 1 GVG, stellt allerdings einen umfassenderen, die heutige Realität widerspiegelnden Aufgabenkatalog auf.

Art. 65

Leitung der Parlamentsdienste

Die Aufsichtsfunktion der Verwaltungsdelegation nach Absatz 1 geht im bisherigen Recht implizit aus Artikel 8ter Absatz 4 3. Satz GVG und explizit aus Artikel 7 Absatz 1 2.Satz des Bundesbeschlusses über die Parlamentsdienste hervor. Die Absätze 2 und 3 geben den Inhalt von Artikel 8novies Absätze 2 und 4 GVG wieder, wobei die Zusammensetzung des Leitungsorgans der Parlamentsdienste nicht mehr im Gesetz, sondern in der Verordnung über die Parlamentsdienste geregelt wird.

Art. 66

Anstellung des Personals der Parlamentsdienste

Artikel 3 des Bundesbeschlusses über die Parlamentsdienste weist der Verwaltungsdelegation und der Generalsekretärin oder dem Generalsekretär die Kompetenz zur Wahl bzw. zur Anstellung des Personals der Parlamentsdienste zu und legt gewisse Bestätigungs- und Anhörungsrechte betroffener Organe der Bundesversammlung fest. Diese Einzelheiten sollen weiter auf Verordnungsebene geregelt bleiben; Artikel 66 schafft dafür die gesetzliche Grundlage. Die Wahl des Generalsekretärs oder der Generalsekretärin ist in Artikel 37 Absatz 2 Buchstabe d geregelt.

3563

Art.67

Informationsrechte

Die Informationsrechte der Parlamentarischen Verwaltungskontrollstelle sind heute in Artikel 47sexies Absatz 3 GVG und die entsprechenden Rechte des Sekretärs der Finanzkommissionen und der Finanzdelegation in Artikel 18 Absatz 1 Finanzkontrollgesetz geregelt. Die Informationsrechte der übrigen Parlamentsdienste sind demgegenüber bisher nur auf Verordnungsstufe festgehalten (Art. 2 Abs. 2 des Bundesbeschlusses über die Parlamentsdienste). Artikel 67 schafft eine einheitliche gesetzliche Grundlage für alle Dienststellen der Parlamentsdienste. Um ihre Aufgabe wahrnehmen zu können, müssen sie dieselben Informationsrechte besitzen wie die Organe, in deren Auftrag sie tätig sind.

Art. 68

Beizug der Bundesverwaltung

Artikel 68 entspricht Artikel 8novies Absatz 1bis GVG gemäss der Partialrevision des GVG vom 22. Dezember 1999. Der Grundsatz des Beizuges und die Konfliktregelung gemäss Absatz 3 ist im Bericht der SPK vom 7. Mai 1999 ausführlich erläutert worden (BBl 1999 4820f.).

Art. 69

Hausrecht

Artikel 69 entspricht Artikel 8decies GVG gemäss der Partialrevision des GVG vom 22. Dezember 1999 (vgl. die Erläuterungen im Bericht der SPK vom 7. Mai 1999, BBl 1999 4822f.).

Art. 70

Ausführungsbestimmungen

Absatz 1 nimmt einen Inhalt auf von Artikel 8bis Absatz 1 GVG und die Absätze 2 und 3 entsprechen Artikel 8novies Absatz 7 gemäss der Partialrevision des GVG vom 22. Dezember 1999 (vgl. die Erläuterungen im Bericht der SPK vom 7. Mai 1999, BBl 1999 4821).

5. Titel: Verfahren in der Bundesversammlung 1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen Die in diesem Kapitel enthaltenen Bestimmungen bilden die Grundstruktur des parlamentarischen Verfahrens in der Bundesversammlung. Die Inhalte der Bestimmungen sind auf Grund ihrer Bedeutung für beide Räte im geltenden Recht entweder im GVG oder mit gleichlautenden Formulierungen in den beiden Ratsreglementen geregelt.

Art. 71

Beratungsgegenstände

Die verschiedenen Beratungsgegenstände sind heute in mehreren Bestimmungen des GVG und in den Ratsreglementen verstreut. Artikel 71 fasst diese übersichtlich zusammen und definiert gleichzeitig den Begriff «Beratungsgegenstand», der im gesamten Gesetz verwendet wird.

3564

Art. 72

Einbringen von Beratungsgegenständen

Mit der Einbringung von Beratungsgegenständen wird das Verfahren in der Bundesversammlung ausgelöst. Der Zeitpunkt der Auslösung hat Auswirkungen auf die Rechte der verschiedenen Verfahrensparteien und ist deshalb gesetzlich festzuhalten.

Beispielsweise kann der Bundesrat seine in der Bundesversammlung eingebrachten Beratungsgegenstände nach der Einreichung nicht mehr zurückziehen (Art. 73) und parlamentarische Initiativen, die den Gegenstand eines hängigen Erlassentwurfs betreffen, dürfen nicht eingereicht werden (vgl. Art. 76 i.V.m. Art. 108). Die in Absatz 1 bis 3 aufgezählten unterschiedlichen Auslösungstatbestände entsprechen geltendem Recht, sind aber klarer formuliert. Absatz 2: Die Behandlungsfristen für Volksinitiativen beginnen mit ihrer Einreichung bei der Bundeskanzlei zu laufen (Art. 26 Abs. 1 und Art. 27 Abs. 1 GVG). Die Bundesversammlung kann Volksinitiativen in Beratung ziehen, ohne dass der Bundesrat ihr seinen Bericht oder Erlassentwurf unterbreitet hat (Art. 29 Abs. 3 GVG). Daraus kann hergeleitet werden, dass mit der Einreichung eines Volksbegehrens dieses in der Bundesversammlung hängig ist. Für die Gewährleistung der Kantonsverfassungen drängt sich eine gleiche Regelung auf.

Auch wenn es in der Praxis noch nie vorgekommen ist, so wäre auch hier der Fall möglich, dass die Bundesversammlung die Beratungen über die Gewährleistung einer Kantonsverfassung beginnen will, bevor der Bundesrat ihr seinen Antrag und Bericht unterbreitet hat. Insofern stellt diese Ergänzung in Absatz 2 eine Konkretisierung zum geltenden Recht dar.

Art. 73

Rückzug von Beratungsgegenständen

Absatz 1 und 3 entsprechen geltendem Recht. Absatz 2 stellt eine Neuerung dar.

Nach geltendem Recht konnte die Urheberin oder der Urheber eine parlamentarische Initiative bis zum Folgebeschluss des Rates zurückziehen, auch wenn die vorberatende Kommission Folgegeben beantragt hatte (Art. 21quinquies Abs. 2 GVG). Die vorberatende Kommission kann zwar selber ein der parlamentarischen Initiative entsprechendes Begehren einbringen. Dieses Verfahren ist aber unbefriedigend und unnötig kompliziert. Das hier vorgeschlagene Verfahren geht davon aus, dass der politische Wille einer Kommissionsmehrheit, gesetzgeberisch aktiv zu werden, höher zu gewichten ist als die diesbezügliche Meinungsänderung eines einzelnen Ratsmitgliedes. Das Rückzugsrecht des einzelnen Ratsmitgliedes soll deshalb mit der Unterstützung der parlamentarischen Initiative durch die vorberatende Kommission erlöschen.

Art. 74

Verfahren bei Erlassentwürfen

Absätze 1 bis 3 entsprechen den heute in den Geschäftsreglementen gleichlautend formulierten Bestimmungen (Art. 66 und Art. 67 Abs. 1 GRN; Art. 59 und Art. 60 Abs. 1 GRS). Weil sie die Grundzüge des Gesetzgebungsverfahrens regeln, sind sie nach dem materiellen Gesetzesbegriff der Bundesverfassung ins PG aufzunehmen (Art. 164 Abs. 1 Bst. g BV). Absätze 1 und 2 legen fest, dass Erlassentwürfe der Bundesversammlung zuerst in einer Eintretensdebatte und dann mit Detailberatung behandelt werden müssen. Absatz 3 nennt die Beratungsgegenstände, auf die die Räte obligatorisch eintreten müssen: Volksinitiativen, Geschäftsberichte, Rechnungen, Gewährleistungen kantonaler Verfassungen und Voranschläge.

3565

Die Absätze 4 und 5 regeln die Gesamtabstimmung. Die Kommission hat dabei zwei kleine Neuerungen angebracht, die sich aus der Lückenhaftigkeit der heute geltenden Bestimmung ergeben (Art. 34 GVG). Offen ist heute die Frage, welche Rechtsfolge ein negativer Ausgang einer Gesamtabstimmung bei Beratungsgegenständen hat, auf welche die Räte obligatorisch eintreten müssen. Diese Rechtsfrage ergibt sich im geltenden Recht aus Artikel 21 Absatz 1 GVG, nach dem die Verwerfung in der Gesamtabstimmung einem Nichteintretensbeschluss gleichgesetzt wird. Wendet man aber Artikel 21 Absatz 1 GVG auf die Beratungsgegenstände an, auf welche die Räte zwingend eintreten müssen, dann führt dies zu einem Zirkelschluss im Verfahren. Die Räte können nicht beschliessen, auf eine Vorlage nicht einzutreten, wenn Eintreten obligatorisch ist. Eine andere Bestimmung lässt sich im GVG zur Lösung dieses Problems nicht heranziehen.

Um diesen allfälligen Zirkelschluss des Verfahrens zu verhindern, wird neu für Geschäftsberichte, Gewährleistungen kantonaler Verfassungen und Volksinitiativen auf eine Gesamtabstimmung verzichtet (Art. 74 Abs. 4 PG). Die Räte können den Inhalt dieser Beratungsgegenstände nicht abändern, sondern sie können nur gewährleisten oder nicht gewährleisten, genehmigen oder nicht genehmigen sowie zur Annahme oder Ablehnung empfehlen. Die Beschlüsse haben dabei dieselbe Funktion wie die Gesamtabstimmung; sie sind Beschlüsse über das Gesamte.

Für die Voranschläge und die Rechnungen wird dagegen die Rechtsfolge einer negativen Gesamtabstimmung in Absatz 5 festgehalten: Hier beraten die Räte einen umfangreichen Beschlussentwurf im Detail. Die Gesamtabstimmung hat dabei dieselbe Funktion wie bei einem normalen Erlass: Sie sichert, dass die auf Grund der Detailberatung allenfalls geänderte Beurteilung des gesamten Erlasses sich abschliessend in einer Abstimmung manifestieren kann. Die Finanzkommission des Nationalrates führte 1998 betreffend Möglichkeit eines Nichtzustandekommens des Voranschlages aus, dass der Bundesrat der Bundesversammlung sofort einen neuen Voranschlag vorlegen müsste, weil der Bund ohne Voranschlag nicht handlungsfähig sei (BBl 1998 1685f.). Der negative Ausgang einer Gesamtabstimmung über den Voranschlag führt also faktisch zum selben Resultat wie eine Rückweisung an den Bundesrat. Diese
Rechtsfolge wird neu in Artikel 74 Absatz 5 Entwurf PG eingefügt. Weil auch die Rechnungen im gleichen Verfahren wie der Voranschlag behandelt werden, sieht Absatz 5 konsequenterweise die gleiche Rechtsfolge auch für die Rechnungen vor.

Art. 75

Rückweisung

Die Bestimmung über die Rückweisung von Beratungsgegenständen entspricht heute geltendem Recht und der sich darauf beruhenden Praxis.

Art. 76

Anträge

Absatz 1 entspricht dem Inhalt von Artikel 160 Absatz 2 BV, der ergänzt wird durch das Recht jedes Ratsmitgliedes, Anträge auch in den Kommissionen einzureichen.

Dieses Verfahrensrecht ist auch im heute geltenden Verfahren vorgesehen. Es dient als Ersatz für die parlamentarische Initiative, die dann ausgeschlossen ist, wenn das Begehren mit einem Antrag zu einem hängigen Erlassentwurf eingereicht werden kann (Art. 21bis Abs. 3 GVG i.V.m. Art. 31 Abs. 2 GRN und Art. 24 Abs. 2 GRS).

Die Formulierung in Absatz 1 geht jedoch weiter als die bisherige Regelung, indem 3566

in den Kommissionen Anträge nicht nur zu hängigen Erlassentwürfen, sondern generell eingereicht werden können. So dürfen die Ratsmitglieder beispielsweise beantragen, dass eine Kommission eine parlamentarische Initiative oder eine Motion im Rat einreichen oder die Geschäftsprüfungskommission bestimmte Unregelmässigkeiten in der Verwaltung untersuchen solle.

Absätze 2, 3 und 4 entsprechen geltendem Recht.

Art. 77

Dringlichkeitsklausel

Artikel 77 entspricht dem heute geltenden Artikel 35 GVG und wurde nur redaktionell überarbeitet.

Art. 78­79

Abstimmungsverfahren und Eventualabstimmung

Das Abstimmungsverfahren ist im geltenden Recht in den Ratsreglementen festgehalten (Art. 77ff. GRN; Art. 63ff. GRS). Diese Bestimmungen wurden erst 1949 gleich formuliert, obwohl schon früher die Räte trotz unterschiedlicher Regelung das gleiche Abstimmungsverfahren angewendet haben. Das Abstimmungsverfahren ist seit Bestehen der demokratischen Parlamente eines der wichtigsten Elemente des parlamentarischen Verfahrens überhaupt, gilt es doch damit sicherzustellen, dass sich der unverfälschte Willen der repräsentierten politischen Kräfte in den Entscheiden des Parlamentes widerspiegelt. Diese Bedeutung des Abstimmungsverfahrens für den demokratischen Willensbildungsprozess rechtfertigt eine Regelung auf Gesetzesstufe. Artikel 78 und 79 enthalten keine Änderungen gegenüber den heute geltenden Bestimmungen, jedoch wurde das Verfahren verständlicher formuliert. Artikel 78 regelt das Vorgehen, wenn ein oder zwei Anträge zu einer Abstimmungsfrage vorliegen. Bei nur einem Antrag wird wie bis anhin auf die Abstimmung verzichtet.

Liegen zwei Anträge vor, so werden diese einander gegenübergestellt. In Artikel 79 wird das Abstimmungsverfahren bei mehr als zwei Anträgen normiert. Danach werden immer zwei Anträge fortschreitend gegeneinander ausgemehrt, bis zwei Anträge übrig bleiben. Gegenüber der heutigen Regelung wird deutlicher hervorgehoben, dass für die Festsetzung der Abstimmungsreihenfolge zuerst der Inhalt der Anträge (Abs. 2) und erst subsidiär die Urheberschaft der Anträge massgebend ist (Abs. 3).

Des Weiteren werden die Begriffe «Unterabänderungsantrag, Änderungsantrag und Hauptanträge» fallen gelassen, weil sie verwirrlich und missverständlich sind. Im Verfahren der Räte gibt es nur einen Hauptantrag und nicht mehrere. Hauptantrag bei einer Abstimmung ist immer der Antrag der vorberatenden Kommission oder, sofern ein Beratungsgegenstand nicht vorberaten wird (z.B. ein Postulat), der Beratungsgegenstand selbst.

Art. 80

Stimmabgabe der Präsidentin oder des Präsidenten

Auch diese Bestimmung entspricht dem geltenden Recht und der Praxis. Absatz 1: Die Ratspräsidentinnen oder Ratspräsidenten dürfen nicht an den Abstimmungen in den Räten teilnehmen; es sei denn, sie haben den Stichentscheid abzugeben. Diese Verpflichtung der Ratspräsidentin oder des Ratspräsidenten zur Unabhängigkeit ist eine Einschränkung des Stimmrechts und damit auch des Wählerinnen- und Wählerwillens, so dass es dazu einer gesetzlichen Grundlage bedarf (zum kantonalen Recht vgl. BGE 123 I 97ff.). Absatz 2 statuiert die Ausnahme dieser Regel, sofern nicht mit der Mehrheit der Stimmenden, sondern mit der Mehrheit der Ratsmit3567

glieder beschlossen wird. In diesem Fall bedarf es keines Stichentscheides, denn das Mehr ist zu Stande gekommen, wenn die nötige Anzahl Stimmen erreicht ist. Die Ratspräsidentin oder der Ratspräsident kann wie nach geltendem Recht bei der Dringlicherklärung von Bundesgesetzen mitstimmen (Art. 83 Abs. 2 GRN; Art. 71 GRS). Für die Beschlüsse betreffend die Ausgabenbremse sieht das Gesetz heute keine Regelung vor. Da eine Unterscheidung der Beschlussfassung über die Dringlicherklärung von Bundesgesetzen und betreffend die Ausgabenbremse sachlich nicht gerechtfertigt sowie auch von der Bundesverfassung nicht vorgesehen ist (Art. 159 Abs. 3 BV), stimmen in der Praxis die Ratspräsidentinnen und Ratspräsidenten bei der Ausgabenbremse mit. Absatz 2 füllt nun diese gesetzliche Lücke.

Art. 81

Schlussabstimmung

Die Bestimmung entspricht geltendem Recht und wurde nochmals gegenüber der Änderung von 1999 redaktionell überarbeitet. In Absatz 2 wird mit der Formulierung «gültig zu Stande gekommen» die geltende Praxis zum Ausdruck gebracht, dass mit der Schlussabstimmung das Verfahren formell abgeschlossen wird und auf nachträglich entdeckte Verfahrensmängel nicht mehr zurückgekommen werden darf, respektive diese geheilt sind. Bezüglich redaktioneller Änderungen an Bundesgesetzen vor der Publikation sieht das Gesetz ein verkürztes Verfahren vor (vgl. Art. 57).

Art. 82

Veröffentlichung des Stimmverhaltens

Ziel dieser Bestimmung ist, das Stimmverhalten der Ratsmitglieder auf einer Liste zu publizieren, damit die Öffentlichkeit die Meinungsbildung in den Räten nachvollziehen kann. Die Abstimmungen finden heute zwar in der Ratsöffentlichkeit statt, das parlamentarische Stimmverhalten kann aber dabei (mit Ausnahme der namentlichen Abstimmungen) nicht im Detail überprüft werden. Dies wäre jedoch für die Wählerinnen und Wähler besonders wichtig, könnten sie doch anhand des Stimmverhaltens das politische Profil ihrer Repräsentantinnen und Repräsentanten feststellen, was die Kandidatinnen- und Kandidatenauslese in den Parlamentswahlen erleichtert. Durch diese Information wird Transparenz hergestellt und das Ratsgeschehen den Bürgerinnen und Bürgern näher gebracht.

Die Mehrheit ist der Auffassung, dass nicht jede Abstimmung geeignet ist, das Abstimmungsverhalten der Ratsmitglieder zu überprüfen. In den Räten finden viele Detailabstimmungen und Eventualabstimmungen statt, die nur nach längerem Studium der Ratsunterlagen nachvollziehbar sind. Öffentlichkeit bedeutet nicht, eine Fülle von Daten zur Verfügung zu stellen, die nicht sinnvoll verarbeitet werden können. Vielmehr sind die wesentlichen Abstimmungen, bei welchen die politische Haltung ersichtlich werden, in Form einer Namensliste zu veröffentlichen. Darunter fallen gemäss Buchstabe a die Schlussabstimmungen, Gesamtabstimmungen, Abstimmungen über die Dringlichkeit von Bundesgesetzen und Abstimmungen, die unter die Ausgabenbremse fallen, sowie gemäss Buchstabe b die namentlichen Abstimmungen, die von einer bestimmten Anzahl Ratsmitglieder verlangt werden können. Auf Grund der unterschiedlichen Grösse der Räte sollen die Ratsreglemente bestimmen, welches Quorum von Ratsmitgliedern eine Namensabstimmung verlangen kann.

3568

Artikel 82 wird für den Nationalrat keine nennenswerte Änderung der Praxis zur Folge haben, denn er entspricht bis auf eine Neuerung dem heutigen Artikel 81a Absatz 3 GRN. Als Neuerung soll das Abstimmungsverhalten auch bei Abstimmungen veröffentlicht werden, die unter die Ausgabenbremse fallen. Diese Abstimmungen bedürfen wie die Abstimmungen über die Dringlicherklärung von Bundesgesetzen eines qualifizierten Mehrs und haben daher eine ähnliche Bedeutung.

Für den Ständerat hingegen stellt Artikel 82 eine Neuerung dar, weil das Ständeratsreglement keine Bestimmung kennt, welche die namentliche Veröffentlichung der Abstimmungen im Sinne von Artikel 82 Buchstabe a verlangt. Die Grösse des Ständerates erlaubt es aber, Artikel 82 ohne grossen Aufwand umzusetzen.

Die Minderheit ist dagegen der Meinung, dass heute die technischen Voraussetzungen vorhanden seien, alle Abstimmungen systematisch zu veröffentlichen. Die interessierte Öffentlichkeit könnte beispielsweise über das Internet die Abstimmungsresultate abrufen. Die Entscheide über Detailfragen würden manchmal mehr Aufschluss über das politische Profil eines einzelnen Ratsmitgliedes geben als Grundsatzabstimmungen, die vor allem von den Fraktionsmeinungen bestimmt seien. Es sollte deshalb der Öffentlichkeit frei gestellt sein zu wählen, anhand welcher Abstimmungen die politischen Profile der einzelnen Ratsmitglieder erstellt werden können.

2. Kapitel: Verfahren zwischen den Räten 1. Abschnitt: Zusammenwirken der Räte Art. 83

Übereinstimmende Beschlüsse der Räte

Dieser Artikel entspricht dem geltenden Recht und wurde nur redaktionell bereinigt (Art. 14 GVG).

Art. 84

Bestimmung des Erstrates

Das geltende Recht legt fest, dass sich die Ratspräsidenten über die Zuteilung der Beratungsgegenstände verständigen, unter Vorbehalt der Zustimmung der Koordinationskonferenz (vgl. Art. 9 GVG). Im Entwurf wird auf diese Zustimmung verzichtet, weil sich die Koordinationskonferenz in der Praxis seit längerer Zeit mit der Prioritätszuteilung nie befasst hat. Das Verfahren würde mit Einbezug der Koordinationskonferenz zu schwerfällig und eine rasche Entscheidfindung erschwert.

Art. 85

Zeitliche Abfolge der Behandlung in den Räten

Es gilt wie bisher der Grundsatz, dass Entwürfe zu Verfassungsänderungen und zu nicht dringlich erklärten Bundesgesetzen nicht in der gleichen Session behandelt werden dürfen (vgl. Art. 11 GVG). Das geltende Recht gibt nur dem Bundesrat das Recht, die gleichzeitige Behandlung in der gleichen Session zu beantragen. Es wird nun in Absatz 2 präzisiert, dass die gleichzeitige Behandlung auch von einer Kommission beantragt werden kann.

3569

Art. 86

Weiterleitung der Beratungsgegenstände an den anderen Rat

Gegenüber dem geltenden Recht (Art. 12 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 GVG) wird klargestellt, dass, sobald ein Rat einen Gegenstand zu Ende beraten hat, dieser die Beratung erst wieder aufnehmen kann, wenn der andere Rat Beschluss gefasst hat.

Art. 87

Rückweisung und Aussetzen des Verfahrens

Für die Regelung der Rückweisung und der Sistierung wird das geltende Recht übernommen (Art. 12 Abs. 2 GVG) und redaktionell überarbeitet. Gegenüber dem geltenden Recht wird klargestellt, dass nur der Rückweisungsbeschluss an den anderen Rat geht. Die Zustimmung des anderen Rates braucht es beispielsweise, wenn der gesamte Erlassentwurf an den Bundesrat zurückgewiesen werden soll.

Art. 88

Aufteilung der Beratung eines Erlassentwurfes

Die Möglichkeit, einen Beratungsgegenstand aufzuteilen, wird ohne Änderungen aus dem geltenden Recht übernommen (vgl. Art. 13 Abs. 2 und 3 GVG). Das Verfahren wird in den Räten sehr selten angewendet (z.B. beim Bundesbeschluss über eine nachgeführte Bundesverfassung; 96.091). Die Aufteilung eines Erlassentwurfes ist nicht zu verwechseln mit dem Recht eines Rates, Entwürfe zu mehreren Erlassen, die der Bundesversammlung mit einer Botschaft unterbreitet werden, dem andern Rat nach der Gesamtabstimmung einzeln zuzuleiten (vgl. Art. 86 Abs. 3).

2. Abschnitt: Differenzen zwischen den Räten Die bisherige Ausgestaltung des Differenzbereinigungsverfahrens hat sich bewährt.

Die Artikel 16­21 des geltenden GVG werden daher weitgehend übernommen und vor allem redaktionell überarbeitet.

Art. 89

Verfahren bei Differenzen

Grundsätzlich wird Artikel 16 GVG übernommen. Gemäss Absatz 2 hat sich nach der ersten Beratung des Erlassentwurfes in jedem Rat die weitere Beratung auf Fragen zu beschränken, über welche es keine Einigung gab. Auf andere Fragen kann gemäss Absatz 3 nur zurückgekommen werden, wenn dies als Folge der neuen Beschlüsse nötig wird oder wenn die vorberatenden Kommissionen beider Räte einen gemeinsamen Rückkommensantrag stellen. Mit der vorgeschlagenen Formulierung wird klargestellt, dass es sich um einen gemeinsamen Rückkommensantrag beider Kommissionen handelt und nicht um einen inhaltlich gleich lautenden Änderungsantrag. Im geltenden Recht führte der Begriff «übereinstimmender Antrag» zu Anwendungsproblemen.

Die Pflicht der Kommissionen, die Vorberatung der Differenzen zu koordinieren und das Recht, gemeinsame Sitzungen abzuhalten oder Vermittlungsausschüsse einzusetzen, wird im Entwurf nicht mehr aufgenommen (Art. 16 Abs. 1bis GVG). Die explizite Erwähnung dieser Rechte und Pflichten bei der Vorberatung der Differenzen ist nicht mehr nötig, weil es sich hier um allgemeine Rechte und Pflichten der Kommissionen handelt.

3570

Art. 90

Abschreibung eines Erlassentwurfes

Im geltenden Recht gibt es keine Möglichkeit, einen Erlassentwurf während des Differenzbereinigungsverfahrens abzuschreiben. Es gibt nach dem Eintretensentscheid nur die Möglichkeit, die Vorlage in der Gesamtabstimmung oder in der Schlussabstimmung abzulehnen. Bei Anträgen auf Abschreibung eines Erlassentwurfes während des Differenzbereinigungsverfahrens werden die Antragstellerinnen oder Antragsteller aufgefordert zu beantragen, den Entwurf in der Schlussabstimmung abzulehnen. Unbefriedigend an dieser Lösung ist, dass die Räte das Differenzbereinigungsverfahren durchführen müssen, auch wenn die Vorlage in beiden Räten nicht mehr erwünscht ist. Damit aber nicht jederzeit im Rat die Abschreibung einer Vorlage verlangt werden kann, soll gemäss Artikel 90 die Abschreibung während der Differenzbereinigung nur auf gleich lautenden Antrag beider vorberatender Kommissionen möglich sein.

Art. 91

Einsetzung einer Einigungskonferenz

Bestehen nach drei Beratungen einer Vorlage in jedem Rat noch Differenzen, wird gemäss geltendem Recht eine Einigungskonferenz eingesetzt (Art. 17 Abs. 1 GVG).

Der Begriff der «Beratung» war aber bisher nicht klar definiert. Handelt es sich um drei Detailberatungen oder gilt beispielsweise ein Nichteintretensbeschluss eines Rates auch als Beratung? In Absatz 1 wird nun festgehalten, dass es sich um drei Detailberatungen handeln muss. Die Bestimmungen über die Zusammensetzung der Einigungskonferenz und über den Vorsitz werden aus dem geltenden Recht übernommen (Art. 17 GVG).

Art. 92

Beschlussfassung in der Einigungskonferenz

Artikel 92 übernimmt die Regelung der Beschlussfassung im geltenden Recht (Art. 18 GVG). In Absatz 3 wird klargestellt, dass die Einigungskonferenz einen Antrag zu allen Differenzen stellt. Die Räte können diesen Antrag annehmen oder ablehnen. Zu den einzelnen Differenzen gibt es keine Minderheitsanträge und auch keine Anträge einzelner Ratsmitglieder. Es kann nur noch beantragt werden, den Einigungsantrag abzulehnen.

Das geltende Recht (Art. 19 GVG) sieht vor, dass die Einigungskonferenz auf einen Antrag verzichten kann und dass sie die Räte darüber informiert. Es findet keine Abstimmung mehr statt und als Folge wird das Geschäft von der Geschäftsliste gestrichen. Diese Regelung gibt der Einigungskonferenz die Kompetenz, ohne Zustimmung der Räte eine Vorlage zum Scheitern zu bringen. Diese Kompetenz soll wegfallen. Die Einigungskonferenz muss einen Antrag stellen. Der Antrag kann auch auf Abschreibung der Vorlage lauten. Über die Abschreibung entscheiden aber die Räte.

Art. 93

Behandlung des Einigungsantrages in den Räten

Dieser Artikel entspricht dem geltenden Recht (Art. 20 GVG).

3571

Art. 94

Differenzregelung beim Voranschlag und bei den Nachtragskrediten

Dieser Artikel entspricht dem geltenden Recht (Art. 20 Abs. 4 GVG), das am 1. Dezember 1998 in Kraft getreten ist (siehe Bericht der Finanzkommission des Nationalrates vom 2. Februar 1998, BBl 1998 1683).

Art. 95

Differenzregelung für besondere Fälle

Bereits das geltende Recht sah in gewissen Fällen ein so genanntes abgekürztes Differenzbereinigungsverfahren vor (Art. 21 GVG). Artikel 95 übernimmt den bisherigen Grundsatz, wonach das abgekürzte Verfahren zur Anwendung kommt, wenn sich die abweichenden Beschlüsse der beiden Räte auf den Beratungsgegenstand als Ganzes beziehen. Die Anwendungsfälle werden im Sinne einer nicht abschliessenden Aufzählung aufgelistet.

3. Kapitel: Verfahren bei Volksinitiativen Das Kapitel über das Verfahren bei Volksinitiativen wurde seit 1962 mehrere Male teilrevidiert. Die Bestimmungen sind durch die verschiedenen Revisionen unübersichtlich geworden, sodass es sich im Rahmen der Totalrevision des GVG aufdrängt, dieses Kapitel neu zu strukturieren und inhaltlich klarer zu gestalten. Dementsprechend ist das Kapitel in zwei Abschnitte und vier Unterabschnitte aufgeschlüsselt.

Die heute bis zu neun Absätze aufweisenden Artikel werden in verschiedene Bestimmungen aufgeteilt.

1. Abschnitt: Totalrevision der Bundesverfassung Art. 96 Artikel 96 entspricht dem geltenden Artikel 25 GVG. Er wurde dahingehend geändert, dass die Räte neu zu Volksinitiativen auf Totalrevision der Bundesverfassung eine Abstimmungsempfehlung abgeben können. Die Einleitung der Totalrevision der Bundesverfassung ist von grosser politischer Tragweite. Umso wichtiger ist es, dass die Bundesversammlung als oberste politische Behörde des Bundes dazu Stellung nehmen kann. Nach dem geltenden Artikel 25 GVG ist ihr dies verwehrt. Dieses Verfahren steht im Zusammenhang mit Artikel 193 Absatz 3 BV, welcher bei einer allfälligen Zustimmung des Volkes zur Initiative die Ausschreibung von Neuwahlen verlangt. Artikel 25 GVG soll sicherstellen, dass die Bundesversammlung keine Stellungnahme im eigenen Interesse abgibt. Eine solch strenge Konkretisierung von Artikel 193 Absatz 3 BV auf Gesetzesebene passt nicht mehr zur heutigen politischen Bedeutung der Abstimmungsempfehlungen der Bundesversammlung.

Vielmehr wird vom Parlament erwartet, dass es zu den Volksbegehren Position bezieht und damit auch eine Orientierungshilfe im Abstimmungskampf darstellt.

Die Kommission beantragt des Weiteren, die Bestimmungen betreffend die Unterbreitung von Varianten (Art. 30bis GVG) oder von Grundsatzfragen (Art. 30ter GVG) zu einem Verfassungsentwurf wegzulassen. Artikel 30ter fand bei den Beratungen über die Totalrevision der Bundesverfassung (96.091) keine Anwendung. Gestützt auf Artikel 30bis wurden zwar während der Totalrevision der Bundesverfassung in 3572

den Räten Anträge zu Varianten eingereicht, doch konnten sich diese nicht durchsetzen. Die Praxis hat zudem gezeigt, dass die Anwendung von Artikel 30bis GVG schwierige Probleme aufwirft. Einerseits handelt es sich um schwer lösbare Verfahrensprobleme (in welcher Phase der parlamentarischen Beratungen dürfen derartige Anträge eingereicht werden?), andererseits stellt sich die Grundsatzfrage, ob durch gleichzeitig mit dem Haupttext zur Volksabstimmung gelangende Varianten nicht der Grundsatz der unverfälschten Willensbildung der Stimmberechtigten verletzt werden kann (vgl. dazu BBl 1997 III 1324f, insb. Ziff. 23, Bst. c).

2. Abschnitt: Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung a. Allgemeine Bestimmungen Art. 97

Botschaft und Beschlussentwurf des Bundesrates

Die Stellung des Bundesrates im Verfahren der Volksinitiativen wird in einem Artikel zusammengefasst (Art. 23 und 29 GVG). Redaktionell wurde Artikel 97 dahingehend präzisiert, dass der Bundesrat der Bundesversammlung nicht einen Antrag, sondern einen Entwurf zu einem Bundesbeschluss unterbreitet.

Art. 98

Gültigkeit von Volksinitiativen

Absatz 1 entspricht dem auf Grund der Totalrevision der Bundesverfassung revidierten Artikel 24 GVG. Diese Bestimmung wurde bereits im Bericht der SPK vom 7. Mai 1999 besprochen, sodass auf die Ausführungen in diesem Bericht verwiesen werden kann (BBl 1999 4809ff.). Hier soll nur kurz das Wesentliche erwähnt werden: In der neuen Bundesverfassung wurde ausdrücklich festgehalten, dass die Bundesversammlung Volksinitiativen auch teilweise ungültig erklären kann (Art. 139 Abs. 3 BV). Zweck der Teilungültigerklärung ist nicht eine Erweiterung des Handlungsspielraums der Bundesversammlung, sondern der Schutz der Volksrechte. Aus der Entstehungsgeschichte der Volksinitiative geht hervor, dass der Verfassungsgeber mit der Volksinitiative in Form des ausgearbeiteten Entwurfs ein Instrument schaffen wollte, mit dem bestimmte Forderungen eines Initiativkomitees grundsätzlich unverändert dem Souverän zum Entscheid vorgelegt werden. Bei einer Teilungültigkeitserklärung haben sich deshalb die Eingriffe der Bundesversammlung gemäss der Praxis des Bundesgerichtes gegenüber kantonalen Volksinitiativen strikte auf das unbedingt Notwendige zu beschränken; der Sinngehalt der verbleibenden gültigen Teile der Initiative darf durch diesen Eingriff nicht verändert werden (BGE 125 I 21). Die Erfordernisse für eine Gültig- oder Teilgültigerklärung sind in Artikel 139 Absatz 3 BV aufgezählt, sodass in Artikel 98 auf diese Bestimmung verwiesen werden kann.

Absatz 2 entspricht dem geltenden Artikel 24 Absatz 2 GVG: Bei Uneinigkeit der Räte über die Ungültigerklärung einer Volksinitiative sieht das Gesetz eine Lösung zu Gunsten des Volksbegehrens vor.

Art. 99

Unabänderbarkeit von Volksinitiativen

Dieser Grundsatz geht implizit aus Artikel 139 BV und explizit aus Artikel 27 Absatz 1 GVG hervor. Er findet auf die Volksinitiative auf Partialrevision in Form des 3573

ausgearbeiteten Entwurfs und der allgemeinen Anregung Anwendung und ist deshalb systematisch hier einzureihen.

b. Volksinitiative in der Form des ausgearbeiteten Entwurfs Der geltende Artikel 27 GVG, der sich über neun Absätze erstreckt, wurde thematisch in drei Artikel gegliedert. Die Absätze über die Fristverlängerungen und die Folge eines Fristablaufs werden in einem Unterkapitel in Artikel 105f. geregelt. Inhaltlich wurden die Artikel 100­102 an Artikel 139 Absatz 5 BV angepasst: Danach muss die Bundesversammlung ausdrücklich eine Volksinitiative zur Annahme oder Ablehnung empfehlen. Der Wortlaut von Artikel 29 Absatz 3ter GVG erlaubte der Bundesversammlung, auf eine Abstimmungsempfehlung zur Initiative zu verzichten.

Art. 100

Abstimmungsempfehlung

Artikel 100 entspricht Artikel 27 Absatz 1 GVG. Er wurde redaktionell dahingehend überarbeitet, dass die Behandlungsfristen der Bundesversammlung deutlicher zum Ausdruck kommen.

Art. 101

Gegenentwurf

Auf Grund von Artikel 139 Absatz 5 BV wurde sprachlich klarer hervorgehoben, dass die Räte einen Gegenentwurf nur dann beschliessen können, wenn sie die Volksinitiative zur Ablehnung empfehlen. Damit die Räte definitiv über die Volksinitiative entscheiden können, müssen sie Kenntnis über den Inhalt des Gegenentwurfs haben.

Insofern ist der Gegenentwurf vor der Abstimmung über die Abstimmungsempfehlung zu bereinigen. Dieses Vorgehen sichert die unverfälschte Willenskundgabe der Ratsmitglieder und hat sich seit seiner Einführung 1989 bewährt (vgl. BBl 1987 III 377).

Neu setzt die Bundesversammlung nach Absatz 2 den Titel für direkte Gegenvorschläge fest. Der Titel einer Vorlage ist wichtig, weil er Gegenstand der Abstimmungsfrage ist, die dem Volk gestellt wird. Nach der bestehenden Praxis legt das Parlament den Titel von Verfassungs- und Gesetzesänderungen und die Initiativkomitees den Titel von Volksinitiativen fest. Die direkten Gegenentwürfe zu Volksinitiativen haben dagegen keinen eigenen Titel, weil sie im Bundesbeschluss der Volksinitiativen integriert werden. Bis anhin wurde deshalb die Abstimmungsfrage für Gegenvorschläge allgemein formuliert: «Wollen Sie den Gegenentwurf zur Volksinitiative Y annehmen?» Für die Volksabstimmung vom 24. September 2000 über drei Energievorlagen (Volksinitiative für einen Solarrappen [Solar-Initiative] und Gegenentwurf, Verfassungsartikel über eine Energielenkungsabgabe für die Umwelt [Gegenentwurf zur zurückgezogenen Energie-Umwelt-Initiative]) hat der Bundesrat, um die Übersichtlichkeit über die Abstimmungsfragen zu gewährleisten, das erste Mal für die Gegenentwürfe einen Titel bestimmt. Dabei war in einem Titel der Begriff «Förderabgabe» umstritten. Insbesondere stellte sich die Frage, ob der Begriff «Abgabe» den Gegenvorschlag allenfalls benachteilige. Solche politische Fragen müssen aber von dem Organ geklärt werden, welches den Gegenentwurf beschliesst. Das Parlament sollte deshalb verpflichtet werden, die Titel der Gegenentwürfe selber festzulegen.

3574

Art. 102

Beschlussfassung über Abstimmungsempfehlung und Gegenentwurf

Artikel 102 regelt das Vorgehen bei der Beschlussfassung über die Abstimmungsempfehlung und den Gegenentwurf. Nach der Bereinigung des Gegenentwurfs wird zuerst über die Abstimmungsempfehlung zur Volksinitiative abgestimmt und nachher der Gegenentwurf verabschiedet. Dieses Verfahren ist die logische Konsequenz aus dem Grundsatz, dass ein Gegenentwurf nur dann beschlossen werden kann, wenn die Räte die Volksinitiative zur Ablehnung empfohlen haben (Art. 139 Abs. 5 BV). Lehnen die Räte die Volksinitiative ab und stimmen sie dem Gegenentwurf zu, so drücken sie damit auch ihre Empfehlung zur Stichfrage aus, dass bei Annahme der Volksinitiative und des Gegenentwurfs in der Volksabstimmung dem Gegenentwurf der Vorzug zu geben sei. Eine spezielle Beschlussfassung über die Stichfrage, wie dies heute Artikel 27 Absatz 3ter GVG vorsieht, ist deshalb nicht mehr notwendig.

c. Volksinitiative in Form der allgemeinen Anregung Art. 103

Stellungnahme und Volksabstimmung

Artikel 103 wiederholt Artikel 139 Absatz 4 BV und setzt Fristen für die Behandlung der Volksinitiativen durch die Bundesversammlung.

Art. 104

Ausarbeitung einer Verfassungsänderung durch die Bundesversammlung

Absatz 1 regelt das Verfahren zur Ausarbeitung einer Verfassungsrevision entsprechend Artikel 139 Absatz 4 BV. Danach hat die Bundesversammlung die Pflicht, eine Verfassungsrevision auszuarbeiten, sofern sie oder das Volk der Volksinitiative zugestimmt hat.

Absatz 2 konkretisiert Artikel 139 Absatz 4 BV dahingehend, dass die Bundesversammlung bei der Ausarbeitung der Teilrevision an die Ziele und den Inhalt der Initiative gebunden ist (BBl 1997 I 362).

Absatz 3 regelt die Bereinigung von Differenzen bei der Ausarbeitung einer Verfassungsrevision. Nach geltendem Recht müsste eine Volksinitiative in Form der allgemeinen Anregung abgeschrieben werden, sofern sich die Räte bei der Ausarbeitung des Verfassungsentwurfs nicht einigen können (Art. 19 GVG). Ein solcher Nullentscheid ist in der Praxis allerdings noch nie vorgekommen.

Die Mehrheit der SPK ist mit der Lehre einig, dass ein Nullentscheid gegen die verfassungsmässige Pflicht der Bundesversammlung in Artikel 139 Absatz 4 BV, einen Verfassungsentwurf auszuarbeiten, verstossen würde (vgl. Luzius Wildhaber, Kommentar BV, Art. 121/122 aBV Rz. 158, Bern 1986). Dieser Ausarbeitungspflicht kann die Bundesversammlung nur dann nachkommen, wenn die Räte gezwungen werden, eine Einigung zu erzielen. Ein Einigungszwang muss durch eine Konfliktregelung hergestellt werden, wie dies beispielsweise für die Beratungen über die Gültigkeit von Volksinitiativen in Artikel 98 Absatz 2 oder über den Voranschlag und die Zusatzkredite in Artikel 94 vorgesehen ist. Diese Konfliktregelungen laufen darauf hinaus, dass dem Beschluss eines Rates der Vorzug gegeben wird. Die

3575

Entscheidungsgewalt eines Rates wird dadurch jedoch geschmälert und der verfassungsmässige Grundsatz in Artikel 156 Absatz 2 BV verletzt.

Das in Absatz 3 vorgeschlagene Verfahren beruht darauf, dass das Volksbegehren höher zu werten ist als die Einigung zwischen den Räten: Können sich die Räte über den Entwurf einer Verfassungsbestimmung nicht einigen und führt auch die Einigungskonferenz zu keiner Lösung, so sind die unterschiedlichen Beschlüsse der Räte aus der dritten Beratung Volk und Ständen als Varianten zu unterbreiten. Damit wird das Initiativrecht geschützt, weil innert der gesetzlichen Frist eine Volksabstimmung über die beiden Entwürfe stattfindet und somit die Bundesversammlung ihrer Behandlungspflicht nachgekommen ist. Gleichzeitig trägt dieses Verfahren auch der Gleichberechtigung der Räte Rechnung, weil das Verfahren keinen der beiden Beschlüsse der Räte privilegiert; Volk und Stände haben zu entscheiden, welcher Lösung der Vorzug zu geben ist. Das in Artikel 156 Absatz 2 BV enthaltene Erfordernis «der übereinstimmenden Beschlüsse beider Räte» hat nicht die absolute Geltung, wie die Formulierung den Anschein macht. Der primäre Sinn dieser Verfassungsbestimmung ist die Gleichberechtigung der beiden Räte, sodass kein Rat dem anderen übergeordnet sein darf und beide Räte die gleiche Entscheidungsmacht haben (Jean-François Aubert, Kommentar BV, Art. 89 Absatz 1 aBV, Rz. 39, Bern 1987; BBl 1997 I 384).

Auch die Verfassungskommissionen haben im Rahmen der Reform der Volksrechte (Verfassungsreform Vorlage B) diese Problematik eingehend diskutiert, da sich bei der allgemeinen Volksinitiative die gleiche Verfahrensfrage stellte25. Sie prüften verschiedene Modelle und befanden die nun auch hier im Entwurf vorgeschlagene Lösung als die beste. Andere Vorschläge, wie z.B. der Entscheid durch die Vereinigte Bundesversammlung oder das Prozentsummenmodell26 wurden in den Beratungen fallen gelassen, weil sie entweder das geltende Differenzbereinigungsverfahren ausser Acht lassen oder aber das Mehrheitsprinzip ­ ein Fundamentalprinzip der parlamentarischen Entscheidungsfindung ­ verletzen.

Die Minderheit beantragt «Streichen» von Absatz 3. Sie ist der Auffassung, dass es keine Lösung sein könne, dem Volk eine Auswahlsendung zur Abstimmung zu unterbreiten. Man müsse viel eher im konkreten ­ bis
heute noch nie vorgekommenen ­ Fall eine politische Lösung finden, um eine solche Pattsituation zu verhindern. Zudem stehe das Verfahren in Absatz 3 nicht im Einklang mit Artikel 156 BV.

Artikel 156 BV statuiere neben der gleichen Entscheidungsmacht der Räte des Weiteren einen Auftrag an den Gesetzgeber, ein Verfahren zu normieren, das einen Ausgleich der Interessen beider Räte und eine Verständigung zwischen den Räten ermögliche (Differenzbereinigungsverfahren). Wäre dies nicht der Fall, so würde die Bundesversammlung ihre Entscheide nach dem Zufallsprinzip fällen, was nicht Gegenstand eines rechtsstaatlichen Verfahrens sein könne. Da es nach dem Verfahren in Absatz 3 zur Unterbreitung einer Vorlage unter die Volksabstimmung keine Einigung zwischen den Räten brauche, könne ein Rat sein Projekt vorantreiben und die Beschlüsse des anderen Rates übergehen. Damit werde Artikel 156 verletzt, weil einerseits keine Verständigung der Räte zwingend sei; andererseits, weil der Be-

25 26

Protokolle der Verfassungskommission des Nationalrates (VK-N) vom 29.10.97, der Subkommission 1 VK-N vom 23.4.97 und der Subkommission 1 VK-S vom 8.9.97.

Prozentsummenmodell: Der Beschluss desjenigen Rates obsiegt, der prozentual insgesamt den grösseren Ja-Stimmen-Anteil auf sich vereinigt.

3576

schluss eines Rates durch das Volk als definitiv erklärt werden könne und somit die gleiche Entscheidungsmacht der Räte übergangen werde.

d. Fristverlängerung und Fristablauf Die Bestimmungen über die Fristen bei Volksinitiativen entsprechen geltendem Recht und wurden nur redaktionell angepasst. Dabei wird Artikel 28 GVG, der die Behandlung von zwei oder mehreren Volksinitiativen zur gleichen Verfassungsmaterie betrifft, nicht mehr ins Parlamentsgesetz übernommen. Nach diesem Verfahren muss zuerst die Volksinitiative fristgerecht behandelt werden, die als Erste eingereicht worden ist. Darauf folgend sind die weiteren Volksinitiativen in der Reihenfolge ihres Einreichens zu behandeln, wobei sich ihre Behandlungsfristen jeweils um ein Jahr verlängern. Der Wortlaut von Artikel 28 GVG schliesst allerdings nicht aus, dass die Bundesversammlung derartige Volksinitiativen gleichzeitig behandelt, was zur üblichen Praxis von Bundesversammlung und Bundesrat geworden ist. Der bald fünfzigjährige Artikel 28 GVG ist deshalb überholt. Durch die Streichung von Artikel 28 kann die Bundesversammlung nicht mehr durch Festlegung der Traktandenliste die Behandlungsfrist von Volksinitiativen verlängern. Vielmehr muss sie unabhängig von der Traktandierung die Behandlungsfristen einhalten (vgl. Art. 100, 103 Abs. 1 und Art. 105 PG). Anzumerken ist, dass das Verfahren nach Artikel 28 GVG nicht zu verwechseln ist mit der Problematik, wie und wann Volksinitiativen zur gleichen Verfassungsmaterie zur Volksabstimmung gebracht werden soll. Der verfassungsmässige Grundsatz der unverfälschten Willensbildung der Stimmberechtigten (Art. 34 BV) schliesst aus, dass sich widersprechende Volksinitiativen gleichzeitig zur Abstimmung gelangen.

Art. 105

Fristverlängerung

Absatz 1 entspricht Artikel 29 Absatz 2 GVG. Absatz 2 ergänzt das geltende Recht, welches bezüglich der Verlängerung von Behandlungsfristen kein besonderes Differenzbereinigungsverfahren vorsieht.

Art. 106

Fristablauf

Artikel 106 entspricht den geltenden Artikeln 26 Absatz 5 und 27 Absatz 6 GVG.

Die Behandlungsfristen für Volksinitiativen sind Verwirkungsfristen. Die Bundesversammlung verliert durch Ablauf der Frist ihre Kompetenz, eine Abstimmungsempfehlung zur Volksinitiative abzugeben. Die Fristen können weder ruhen noch unterbrochen werden. Ihr Zweck liegt im Schutz des Initiativrechts, das nicht durch ein Nichttätigwerden der Behörden vereitelt werden darf (vgl. BBl 1983 IV 497ff.).

Deshalb werden die Fristen nach Einreichung einer Volksinitiative bei der Bundeskanzlei auch dann nicht unterbrochen, wenn der Entscheid der Bundeskanzlei über das Nichtzustandekommen der Initiative vom Initiativkomitee beim Bundesgericht angefochten wird (vgl. Art. 80 Abs. 2 BPR).

3577

4. Kapitel: Verfahren bei parlamentarischen Initiativen Art. 107

Gegenstand

Siehe dazu den allgemeinen Teil dieses Berichtes (Ziff. 2.4.4.3).

Art. 108

Unzulässigkeit

Artikel 108 entspricht Artikel 21bis Absatz 3 GVG, wobei drei Änderungen vorgeschlagen werden: ­

Die Unzulässigkeit der Einreichung einer Initiative, wenn ein Erlassentwurf zu demselben Thema bereits hängig ist, soll nur für die Ratsmitglieder und Fraktionen, nicht aber für die Kommissionen gelten. Seitdem im Jahre 1984 diese Bestimmung ins GVG eingeführt worden ist, hat sich die Rolle der Kommissionen im Gesetzgebungsprozess verändert. Seit der Reform des Kommissionensystems im Jahre 1991 verwenden die Kommissionen vermehrt das Instrument der Kommissionsinitiative und unterbreiten den Räten Erlassentwürfe, wie dies auch der Bundesrat tut. Es sind durchaus Situationen denkbar, in welchen trotz hängigem Erlassentwurf die Unterbreitung eines weiteren Erlassentwurfs zweckmässig sein kann, zum Beispiel wenn während einer länger dauernden Totalrevision eines Gesetzes dringender Bedarf nach einer vorgezogenen Partialrevision entsteht. Die Kommissionen sollen in solchen Fällen denselben Handlungsspielraum besitzen wie der Bundesrat. In zwei Anwendungsfällen hat die Praxis bereits bisher gegen den Wortlaut von Artikel 21bis Absatz 3 GVG verstossen. Die von den Kommissionen bereits bisher nicht selten praktizierte Aufteilung von Erlassentwürfen stellt im Grunde eine Ausübung des Initiativ- und nicht des Antragsrechts dar (vgl. Art. 76 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 71 Bst. a) und wäre daher bei einer konsequenten Handhabung von Artikel 21bis Absatz 3 nicht zulässig gewesen. Dasselbe gilt für die gelegentlich von Kommissionen oder von den Büros in beiden Räten eingereichten identischen Erlassentwürfe: Der zeitlich an zweiter Stelle eingereichte Entwurf hätte als unzulässig zurückgewiesen werden müssen.

­

Die Büros sollen auch für Initiativen von Ratsmitgliedern und Fraktionen Ausnahmen bewilligen können. In der Praxis wurde dies bereits bei Initiativen so gehandhabt, die während der Beratung der Totalrevision der BV einzelne Partialrevisionen der BV verlangt hatten. Der Ausschluss des Initiativrechts im ganzen Bereich der BV während der ganzen Dauer der Beratung der Totalrevision der BV wäre unverhältnismässig gewesen. Ähnliche Situationen sind auch bei anderen grösseren Geschäften denkbar, deren Beratung sich über längere Zeit hinzieht.

­

Die Ausnahmeregelung von Artikel 21bis Absatz 3 2. Satz wird aufgehoben.

Das einzige Beispiel in der Praxis hat aufgezeigt, dass dieses Verfahren nicht zweckmässig ist (siehe Amtl. Bull. N 1998 1479). Ein sistiertes Gesetzgebungsverfahren kann auf einfachere Weise mit einem Ordnungsantrag an die vorberatende Kommission wieder in Gang gesetzt werden (vgl.

Art. 76 Abs. 1).

3578

Art. 109

Verfahren der Vorprüfung

Der Vorschlag des Einbezuges beider Räte in die Vorprüfung wird im allgemeinen Teil des Berichts erläutert (Ziff. 2.4.4.2).

Ergänzend muss hier noch präzisiert werden, wie Artikel 109 Absatz 2ter gemäss der Fassung der Minderheit II im Hinblick auf die allgemeinen Grundsätze des Zweikammersystems ausgelegt werden müsste. Will die Kommission des Zweitrates einer Initiative eines Ratsmitglieds oder einer Fraktion entgegen dem Entscheid der Kommission des Erstrates keine Folge geben, so muss zuerst der Erstrat auf Antrag seiner Kommission entscheiden (falls die Initiative nicht zurückgezogen wird), bevor die Initiative an den Zweitrat geht. Beschliesst die Kommission des Erstrates, eine Kommissionsinitiative zu ergreifen, und die Kommission des Zweitrates stimmt nicht zu, so muss die Kommission des Erstrates dieses Anliegen ihrem Rat zur Vorprüfung unterbreiten (falls sie nicht darauf verzichtet). Gibt dieser Folge, geht die Initiative an den Zweitrat. Stimmen die Beschlüsse der beiden Räte über das Folgegeben nicht überein, so wird das verkürzte Differenzbereinigungsverfahren gemäss Artikel 95 angewendet.

Die bisher sowohl der Kommission als auch dem Rat gesetzten Fristen für die Vorprüfung können in der Fassung der Minderheit II nicht beibehalten werden, weil sich der Verfahrensablauf je nach Resultat der Vorprüfung in der Kommission unterschiedlich gestaltet: Stimmt die Kommission der Initiative zu, so geht die Vorprüfungsfrage nicht mehr an den Rat (ausser wenn die Kommission des anderen Rates ablehnt), will die Kommission keine Folge geben, so geht dieser Antrag nach wie vor an den Rat.

Art. 110

Gegenstand der Vorprüfung

Artikel 21ter Absatz 2 GVG enthält einen Katalog von Punkten, über welche eine Kommission im Rahmen der Vorprüfung zu berichten hat. Der Zweck dieser Bestimmung geht aus dem Normtext aber nicht hervor und muss aus der Entstehungsgeschichte ermittelt werden. Die Absicht war, dass die Kommissionen einer Initiative nur dann Folge geben sollten, wenn das angestrebte Ziel nicht auch über das «normale» Verfahren der Motion erreicht werden kann. Die unzweckmässige Formulierung der Vorprüfungskriterien war sicher daran mitbeteiligt, dass diese Zielsetzung des Vorprüfungsverfahrens in der Praxis in den Hintergrund gerückt ist.

Die Kommission will mit 11:11 Stimmen und Stichentscheid der Präsidentin auf Kriterien der Zweckmässigkeit einer parlamentarischen Initiative verzichten. Diese Kriterien bleiben zu unbestimmt; sie stellen nicht durchsetzbares und nicht gesetzeswürdiges «soft law» dar. Die Zweckmässigkeit einer parlamentarischen Initiative ist eine Frage der politischen Beurteilung; das Parlament soll sich seinen Handlungsspielraum bei dieser politischen Beurteilung nicht durch derartige Kriterien einengen lassen.

Die Kommissionsminderheit möchte hingegen mit einer besseren Formulierung der Zweckmässigkeitskriterien in Artikel 110 Absatz 1bis den Kommissionen eine Wegleitung geben, wie sie bei der Vorprüfung vorzugehen haben. In erster Linie stellt sich die politische Frage, ob der Handlungsbedarf grundsätzlich bejaht wird. Wird diese Frage positiv beantwortet, so muss die Kommission prüfen, ob eine der drei in Absatz 2 genannten Voraussetzungen gegeben ist:

3579

a.

Für die Ausarbeitung eines Erlassentwurfs im Bereich des Parlamentsrechts ist einzig das Verfahren der parlamentarischen Initiative geeignet.

b.

Erfolgt die verlangte Ausarbeitung eines Erlassentwurfs durch den Bundesrat trotz überwiesenen Motionen nicht rechtzeitig, so ist die parlamentarische Initiative das einzige Mittel, um den gesetzgeberischen Willen des Parlamentes durchzusetzen.

c.

In bestimmten Situationen kann mit der parlamentarischen Initiative zeitgerechter legiferiert werden als mit der Motion. Das ist vor allem dann der Fall, wenn ein Erlassentwurf einfach auszuarbeiten ist und der Bundesrat voraussichtlich erst dann handeln wird, wenn die Motion von beiden Räten überwiesen ist. Allein bis zur Überweisung einer Motion durch beide Räte vergeht mindestens ein halbes Jahr, in der Regel aber eher mehr. Bei einfacheren Gesetzgebungsvorhaben kann eine Kommission gegenüber dem Bundesrat unter Umständen auch erheblich Zeit gewinnen, weil das manchmal recht schwerfällige und zeitaufwendige verwaltungsinterne Vorverfahren (Ämterkonsultationen, Mitberichte usw.) wegfällt.

Bejaht die Kommission zwar den Handlungsbedarf, aber keine der drei genannten Voraussetzungen ist erfüllt, so hat sie der Initiative keine Folge zu geben; sie kann allenfalls eine Motion einreichen, welche die Forderungen der Initiative aufnimmt.

Mehrheit und Minderheit stimmen überein, dass die Kommission gemäss Absatz 2 in jedem Fall prüfen muss, wie sie die Ausarbeitung eines Erlassentwurfs mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zeit- und sachgerecht vornehmen kann. Diese Mittel sind das Kommissionssekretariat, unter bestimmten Voraussetzungen die Departemente (siehe dazu die Erläuterungen zu Art. 112), gegebenenfalls externe Experten und vor allem auch die eigenen Kapazitäten der Kommission.

Art. 111­112

Ausarbeitung eines Erlassentwurfs, Zusammenarbeit mit Bundesrat und Bundesverwaltung

Artikel 111 und 112 geben weitgehend das geltende Recht wieder und nehmen dabei einige Präzisierungen vor, die auf Grund von in der Praxis aufgetretenen Problemen notwendig erscheinen: ­

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Gemäss Artikel 21quater Absatz 2 1. Satz GVG kann die Kommission «das zuständige Departement zur Mitwirkung bei der Vorberatung beiziehen».

Das Ausmass dieser Mitwirkung hat in den letzten Jahren immer wieder zu Diskussionen Anlass gegeben. Artikel 155 2. Satz BV hat für diesen Beizug der Bundesverwaltung eine explizite verfassungsrechtliche Grundlage hergestellt. Artikel 68 des Parlamentsgesetzes regelt diesen Beizug im Allgemeinen (siehe dort) und gilt auch im engeren Zusammenhang des Verfahrens der parlamentarischen Initiative. In Artikel 112 Absatz 1 wird nun noch präzisiert, dass die Verwaltung «alle für die Ausarbeitung eines Erlassentwurfs notwendigen Rechts- und Sachauskünfte» liefern muss. Die Verwaltung muss also z.B. die Frage beantworten, wie ein bestimmtes politisches Anliegen der Kommission rechtlich korrekt umgesetzt und wie also z.B. ein bestimmter Gesetzesartikel formuliert werden soll. Es kann auch eine rechtliche und sachliche Kommentierung von Gesetzesartikeln verlangt werden.

Die Kommission darf aber nicht einfach dem Departement einen pauschalen Auftrag erteilen, ihr den fertigen Entwurf eines Kommissionsberichtes vor-

zulegen. Dafür steht das Instrument der Motion an den Bundesrat zur Verfügung. Im Verfahren der parlamentarischen Initiative muss die Kommission ihre politischen Anliegen im Einzelnen und möglichst konkret formulieren.

Die politische Kommentierung des Erlassentwurfs im Bericht der Kommission darf nicht von der Verwaltung verlangt werden, sondern ist Sache der Kommission beziehungsweise des in ihrem unmittelbaren Auftrag handelnden Kommissionssekretariats. Diesem obliegt auch die administrative Leitung des gesetzgeberischen Vorverfahrens.

­

Gemäss Artikel 21quater Absatz 2 1. Satz GVG kann die Kommission den Bundesrat beauftragen, «ein Vernehmlassungsverfahren durchführen zu lassen». Artikel 112 Absatz 2 nimmt diese Bestimmung auf und präzisiert, dass die Durchführung eines Vernehmlassungsverfahrens voraussetzt, dass ein Vorentwurf samt erläuterndem Bericht der Kommission vorliegt. Es soll also nicht erst der definitive Bericht der Kommission in die Vernehmlassung gegeben werden. Im Übrigen ist zu beachten, dass Artikel 147 BV die Kommissionen verpflichtet, «bei der Vorbereitung wichtiger Erlasse» ein Vernehmlassungsverfahren durchzuführen.

Art. 113

Fristverlängerung und Abschreibung

Artikel 113 präzisiert die missverständlich formulierte Bestimmung in Artikel 21quater Absatz 5 über die Fristverlängerung für die Ausarbeitung eines Erlassentwurfs und die allfällige Abschreibung einer parlamentarischen Initiative. Die mit der Ausarbeitung einer Vorlage beauftragte Kommission hat drei Möglichkeiten: Entweder arbeitet sie innert zwei Jahren einen Erlassentwurf aus, oder sie stellt einen Antrag für eine Fristverlängerung, oder sie beantragt die Abschreibung der Initiative. Verletzt die Kommission diese Frist, so ist es Aufgabe des Büros, eine Fristverlängerung oder Abschreibung zu beantragen.

Häufigster Abschreibungsgrund ist die Erfüllung einer Initiative im Rahmen der Behandlung eines Erlassentwurfs, der in formaler Hinsicht auf eine andere Initiative (auch des Bundesrates) zurückgeht. Denkbar ist aber auch, dass in der Kommission keine Mehrheit für einen Erlassentwurf zu Stande kommt oder dass sich seit der Auftragserteilung an die Kommission neue Entwicklungen ergeben haben. In diesen Fällen kann die Kommission ebenfalls eine Abschreibung beantragen.

Dadurch, dass der andere Rat im Rahmen der Vorprüfung seine Zustimmung zur Ausarbeitung einer Vorlage gegeben hat (gemäss Vorschlag der Mehrheit und der Minderheit II in Art. 109), wird die Initiative im anderen Rat nicht hängig. Daher ist keine Zustimmung des anderen Rates zur Abschreibung erforderlich (vgl. dazu Ziff. 244.2 in fine).

Art. 114

Behandlung des Erlassentwurfs in den Räten

Artikel 114 entspricht Artikel 21sexies GVG. Aus Artikel 72 Absatz 1 folgt, dass ein Erlassentwurf einer Kommission vorerst nur in ihrem Rat hängig ist und folglich von der Geschäftsliste gestrichen wird, wenn dieser Rat auf ihn nicht eintritt oder ihn in der Gesamtabstimmung ablehnt. Der andere Rat wird mit dem Erlassentwurf erst befasst, wenn der Erstrat ihn in der Gesamtabstimmung angenommen hat (Art. 86).

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Absatz 2 sieht als Neuerung vor, dass die von einer Kommission ausgearbeitete Vorlage in der Kommission des anderen Rates durch ein Mitglied der Kommission des Erstrates vertreten werden soll. Eine Kommission soll ihre Vorlage im anderen Rat genauso selbst vertreten dürfen, wie auch der Bundesrat seine Vorlagen verteidigen kann. In der bisherigen Praxis waren vor allem diejenigen nicht seltenen Situationen unbefriedigend, in welchen der Bundesrat einer parlamentarischen Initiative kritisch oder ablehnend gegenüberstand. Er konnte in der Kommission des Zweitrates gegen die Vorlage antreten, ohne dass der Erstrat seine Position gegen die Einwände des Bundesrates verteidigen durfte.

5. Kapitel: Verfahren bei Standesinitiativen Art. 115­117 Mit der Revision des GVG vom 17. Juni 1994 wurde das Verfahren der Standesinitiative in Artikel 21septies­novies erstmals gesetzlich geregelt (siehe den Bericht der Staatspolitischen Kommission des Ständerates vom 4. Mai 1993, BBl 1993 III 334).

Wie dies Artikel 93 aBV nahe legte, wurde das Verfahren bei Standesinitiativen analog dem Verfahren bei parlamentarischen Initiativen ausgestaltet. Artikel 115­117 folgen diesem Grundsatz, indem weitgehend auf die analogen Vorschriften für die Behandlung von parlamentarischen Initiativen verwiesen wird.

Standesinitiativen richten sich anders als parlamentarische Initiativen an beide Räte und werden daher auch bereits nach geltendem Recht von beiden Räten vorgeprüft.

Die analoge Anwendung des bei der parlamentarischen Initiative von der Minderheit II vorgeschlagenen neuen Verfahrens der Vorprüfung hätte zur Folge, dass für einen positiven Entscheid bei der Vorprüfung neu die Zustimmung der Kommissionen beider Räte genügen würde, was das Verfahren erheblich abkürzt. Weil der Beschluss, einer Standesinitiative keine Folge zu geben, definitiven Charakter hat, müsste ein derartiger Entscheid durch die Räte gefällt werden. Gäbe ein Rat der Initiative keine Folge, so würde der Entscheid im anderen Rat ebenfalls dem Ratsplenum obliegen, auch wenn seine Kommission der Initiative zustimmt.

Weil sich eine Standesinitiative anders als eine parlamentarische Initiative an beide Räte richtet, ist für eine allfällige Abschreibung die Zustimmung beider Räte erforderlich (Art. 117 Abs. 2 2. Satz). Wenn die Kommission des Erstrates einen Erlassentwurf ausgearbeitet und der Erstrat diesen Entwurf verändert oder unverändert angenommen hat, so geht dieser Entwurf im normalen Gesetzgebungsverfahren an den Zweitrat. Was passiert aber, wenn der Erstrat diesen Erlassentwurf ablehnt? Anders als eine Vorlage des Bundesrates richtet sich der Erlassentwurf einer Kommission nur an den eigenen Rat. Wird er dort abgelehnt, so geht er nicht an den anderen Rat; die Initiative ist im Erstrat abgeschrieben (Art. 117 Abs. 2 3. Satz).

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6. Kapitel: Verfahren bei Vorstössen 1. Abschnitt: Allgemeines Art. 118 Artikel 118 führt die Begriffe für die verschiedenen Vorstosstypen ein und hält für alle Vorstösse geltende allgemeine Verfahrensregeln fest, die weitgehend der bisherigen Praxis entsprechen.

In Absatz 2 werden die möglichen Adressaten persönlicher Vorstösse aufgeführt. In der Regel ist dies der Bundesrat. Im Gegensatz zum Wortlaut von Artikel 22 GVG richtet sich aber bereits heute ein Vorstoss zu parlamentseigenen Angelegenheiten an das jeweilige Ratsbüro (Art. 33 Abs. 4 GRN, Art. 26 Abs. 4 GRS). Neu richten sich Vorstösse an das Bundesgericht, wenn sie dessen Geschäftsführung oder Finanzgebaren betreffen (vgl. die Erläuterungen zum 8. Titel, Art. 161, Verkehr zwischen der Bundesversammlung und dem Bundesgericht). Ausgeschlossen sind Motionen, da mit diesem Instrument immer subsidiär die Ausarbeitung eines Erlassentwurfs, also die Ausübung des Initiativrechts durch den Adressaten der Motion verlangt wird. Das Bundesgericht verfügt aber über kein Initiativrecht. Vorstösse an das Bundesgericht können also nur der Ausübung der Oberaufsicht der Bundesversammlung dienen. Dabei ist Artikel 27 Absatz 4 zu beachten: «Die inhaltliche Kontrolle richterlicher Entscheidungen ist ausgeschlossen».

Die Absätze 4 und 5 heben bisherige Regelungen beider Geschäftsreglemente auf Gesetzesstufe. Dies ist notwendig, da es sich um Einschränkungen wichtiger Rechte der Ratsmitglieder und Fraktionen handelt. Neu ist, dass Kommissionsvorstösse anders als die Vorstösse von Ratsmitgliedern und Fraktionen nicht nach zwei Jahren abgeschrieben werden, wenn sie bis dann nicht behandelt worden sind.

Zwei Kommissionsminderheiten wenden sich dagegen, dass bestimmte Vorstösse von Ratsmitgliedern und Fraktionen nach zwei Jahren abgeschrieben werden, wenn sie bis dann nicht behandelt worden sind. Diese Bestimmung sei massgeblich verantwortlich für die Abwertung der Instrumente der Motion und des Postulates. Die Minderheit I schlägt eine Vorschrift vor, wonach Motionen und Postulate, die sich auf den Zuständigkeitsbereich der Bundesversammlung beziehen, von der Bundesversammlung innert zwei Jahren behandelt werden müssen. Wird diese Frist nicht eingehalten, so werden sie nicht abgeschrieben. Die Minderheit II sieht vor, dass generell alle Motionen nicht abgeschrieben
werden, nur weil sie nicht innert zwei Jahren behandelt worden sind.

Die Kommission lehnt diese Vorschläge ab; den Antrag der Minderheit I allerdings nur mit Stichentscheid des Vizepräsidenten. Gerade die Zweijahresfrist stellt einen gewissen Druck her, die Vorstösse vor deren Ablauf zu behandeln. Im Übrigen haben viele Vorstösse nach zwei Jahren ihre Aktualität verloren; ist dies nicht der Fall, so kann nach der Abschreibung das betroffene Ratsmitglied ohne weiteres denselben Vorstoss erneut einreichen. Gegen den Vorschlag der Minderheit I spricht weiter, dass keine Vorschrift in das Gesetz aufgenommen werden sollte, die aller Voraussicht nach in der Praxis nicht wird eingehalten werden können. Fragwürdig ist auch, dass der Vorschlag zwei Kategorien von Motionen schafft. Die neue Definition der Rechtswirkung der Motion in Artikel 119 geht gerade davon aus, dass zum Zeitpunkt der Einreichung und der parlamentarischen Behandlung einer Motion häufig

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noch nicht klar ist, ob sie auf den Zuständigkeitsbereich der Bundesversammlung oder des Bundesrates abzielt (vgl. dazu Ziff. 2.4.3.2).

2. Abschnitt: Motion Art. 119

Gegenstand

Siehe die ausführlichen Erläuterungen unter Ziffer 2.4.3.1 und 2.4.3.2 dieses Berichtes.

Art. 120

Behandlung in den Räten, Artikel 121 Berichterstattung und Abschreibung

Siehe die ausführlichen Erläuterungen unter Ziffer 2.4.3.3 und 2.4.3.4 dieses Berichtes.

3. Abschnitt: Postulat Art. 122­123 Artikel 122­123 entsprechen dem geltenden Recht (Art. 22bis GVG und Geschäftsreglemente).

4. Abschnitt: Interpellation und Anfrage Art. 124 Artikel 124 entspricht dem geltenden Recht (Art. 22ter GVG und Geschäftsreglemente), mit den geringfügigen Modifikationen, dass die «Einfache Anfrage» zur «Anfrage» wird und dass gemäss Absatz 4 nicht mehr jedes Ratsmitglied, sondern nur noch die Interpellantin oder der Interpellant die Diskussion über die Interpellation verlangen kann. Diese Einschränkung entspricht der individuellen Kommunikationsfunktion des Instrumentes besser. In der Praxis spielte in den letzten Jahren das Recht der übrigen Ratsmitglieder, die Diskussion zu verlangen, kaum mehr eine Rolle.

7. Kapitel: Verfahren bei Petitionen und Eingaben Das Petitionsrecht ist ein Grundrecht (Art. 33 Abs. 1 BV). Die Behandlung von Petitionen durch die Behörden ist dabei nach Artikel 164 Absatz 1 Buchstabe c BV auf Gesetzesstufe zu regeln. Die Petitionärinnen oder Petitionäre haben keinen verfassungsmässigen Anspruch auf materielle Behandlung ihrer Petitionen. Die Bundesversammlung ist lediglich verpflichtet, vom Inhalt der Petitionen Kenntnis zu nehmen (Art. 33 Abs. 2 BV). Gleichwohl behandeln und beantworten die Räte in der Praxis alle an sie gerichteten Petitionen. Das heutige Verfahren ist in Artikel 45 GRN und Artikel 37 GRS mit praktisch identischen Formulierungen geregelt.

3584

Art. 125

Behandlung von Petitionen

Die Bestimmung baut auf dem bisherigen Verfahren auf, formuliert dieses jedoch klarer. Die Absätze 1­4 regeln die einzelnen Verfahrensstufen. Unterstützt die vorberatende Kommission eine Petition, so hat sie ihrem Rat eine parlamentarische Initiative oder einen Vorstoss zur Beschlussfassung zu unterbreiten, die oder der den Inhalt der Petition aufnimmt. Lehnt sie hingegen eine Petition ab, so beantragt sie dem Rat, von der Petition ohne weitere Folge Kenntnis zu nehmen. Die verschiedenen Formen von Beschlüssen wie «ganze oder teilweise Kenntnisnahme» sowie «Überweisung zur Kenntnisnahme an den Bundesrat» werden weggelassen, weil sie sowohl für die Öffentlichkeit als auch für die Räte verwirrlich sind und keine klaren Rechtsfolgen haben. Das Verfahren wird so transparenter und die Petitionärinnen und Petitionäre können besser nachvollziehen, welchen Erfolg ihr Begehren erzielte.

Absatz 5 entspricht den geltenden Artikeln 45 Absatz 3 GRN und 37 Absatz 3 GRS und zählt die Gründe auf, in welchen Fällen die Präsidentinnen oder Präsidenten der Kommissionen die Petitionen direkt beantworten können. Es handelt sich dabei um Petitionen, für welche die Bundesversammlung nicht zuständig ist oder aber deren Inhalt nicht als konstruktiver Beitrag verstanden werden kann.

Die Kommission prüfte zudem eine Variante, bei der die Petitionen von den sachlich zuständigen Kommissionen abschliessend behandelt werden. Die Räte wären von diesen Beschlüssen in Kenntnis gesetzt worden. Die Kommission ist aber der Auffassung, dass die Verfassungsmässigkeit eines solchen Verfahrens zweifelhaft wäre.

Die Petentinnen und Petenten haben den grundrechtlichen Anspruch, dass ihre Petitionen von der Behörde zur Kenntnis genommen wird, an die die Petitionen adressiert sind (Art. 33 Abs. 2 BV). Die Bundesversammlung und damit die Räte müssen die Petitionen deshalb selber behandeln.

Art. 126

Petitionen zu hängigen Beratungsgegenständen

Artikel 126 regelt das Verfahren bei Petitionen zu hängigen Ratsgeschäften. Danach wird eine solche Petition nicht separat, sondern zusammen mit dem betreffenden hängigen Geschäft behandelt. Die Petition wird den Mitgliedern der vorberatenden Kommission, die für das betreffende Geschäft zuständig ist, zur Kenntnis gebracht.

Diese erhalten damit die Möglichkeit, das Begehren in Form eines Antrages aufzunehmen. Eine separate Berichterstattung und Antragsstellung der Kommission im Rat findet nicht statt. Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass einerseits der Ratsbetrieb entlastet und anderseits die Wirkung des Petitionsrechts nicht geschmälert wird. Demgegenüber kann eine separate Behandlung der Petition vor oder nach der Beschlussfassung über den analogen Beratungsgegenstand zu Doppelspurigkeiten führen: ­

Wird die Petition vorher behandelt, so ergibt sich aus dem Beschluss zur Petition keine unmittelbare Rechtsfolge im Hinblick auf die bevorstehende Beratung des analogen Beratungsgegenstandes. Es besteht das Risiko einer inkohärenten Beschlussfassung des Rates. Ist die Petition umstritten, so müsste darüber auch diskutiert werden können; diese Diskussion erfolgt sinnvollerweise im Rahmen der Vorlage.

­

Wird die Petition nachher behandelt, so kann sich daraus erst recht kein Sinn ergeben, da über den Gegenstand bereits Beschluss gefasst wurde. Ist die Petition umstritten und war die Kommission oder eine Kommissionsminder3585

heit mit ihrem Antrag zum analogen Gegenstand in der Vorlage nicht erfolgreich, so wird der entsprechende Antrag zur Petition hinfällig.

Das vorgeschlagene Verfahren wurde in der Praxis bereits erprobt. Artikel 126 schafft dazu die notwendige gesetzliche Grundlage.

Art. 127

Benachrichtigung

Die Petition ist ein politisches Kommunikationsmittel zwischen dem Einzelnen und den staatlichen Organen. Ihre Funktion kann nur dann zum Tragen kommen, wenn die Kommunikation nicht einseitig ist. In der Praxis benachrichtigt deshalb die Bundesversammlung respektive ihr Sekretariat die Petitionärinnen und Petitionäre darüber, wie und wann ihr Begehren behandelt wurde und welche Beschlüsse die Räte und ihre Kommissionen gefasst haben. Artikel 127 schafft für diese Praxis eine gesetzliche Verpflichtung.

Art. 128

Eingaben

Artikel 128 entspricht den geltenden Artikeln 45 Absatz 1 GRN und 37 Absatz 1 GRS. Die Geschäftsprüfungs- und Finanzkommissionen behandeln Eingaben, welche die Oberaufsicht über alle staatlichen Organe betreffen. Die dazu eingereichten Begehren werden oftmals als Petition oder Beschwerde betitelt, obwohl sie nicht unbedingt diese Rechtsformen aufweisen. Im Sinne einer flexiblen Behandlung erscheint es deshalb zweckmässig, keine formal-juristischen Begriffe, sondern den offenen Begriff «Eingabe» zu verwenden.

6. Titel: Wahlen und Bestätigung von Wahlen Das geltende Geschäftsverkehrsgesetz kennt keine Bestimmungen betreffend die Wahrnehmung der Wahlkompetenzen der Bundesversammlung gemäss Artikel 168 BV.

Die Modalitäten zur Ausübung dieser Kompetenzen sind vielmehr im Reglement der Vereinigten Bundesversammlung (SR 171.12) festgehalten. Damit sind wichtige Verfahrensbestimmungen wie zum Beispiel die Einzelwahl der Mitglieder des Bundesrates oder das Erfordernis des absoluten Mehrs für die Wahl in den Bundesrat oder ins Bundesgericht auf Reglementsstufe geregelt. Artikel 164 Absatz 1 BV dagegen postuliert, dass alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen sind, was gemäss Buchstabe g auch für die Grundzüge der Organisation und des Verfahrens der Bundesbehörden gilt. Gemäss JeanFrançois Aubert kann die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung bereits aus der alten Verfassung abgeleitet werden: «Es mag erstaunen, dass diese für unsere Regierungsform wichtigen Bestimmungen nicht in einem Gesetz stehen, wie dies im Übrigen die Bundesverfassung vorzuschreiben scheint (Art. 85 Ziff. 1 BV)» (Aubert, Jean-François: Bundesstaatsrecht der Schweiz, Bd. II., Basel und Frankfurt am Main 1995, Ziff. 1486).

Die Totalrevision bietet die Gelegenheit, die Bestimmungen betreffend die Wahlkompetenzen der Bundesversammlung auf Gesetzesstufe zu heben.

3586

1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen Im heutigen Reglement der Vereinigten Bundesversammlung (RVBvers) sind zentrale Bestimmungen, welche zum Beispiel die Berechnung des absoluten Mehrs oder die Ungültigkeit regeln, in den einzelnen Artikeln betreffend die verschiedenen Wahlen enthalten. Dies führt dazu, dass zum Teil nicht genau die gleichen Grundsätze angewendet werden. Hier sollen deshalb solche Grundsätze für alle von der Vereinigten Bundesversammlung vorgenommenen Wahlen festgehalten werden, egal ob es sich um die Wahl einer Person oder um die gleichzeitige Wahl mehrerer Personen handelt.

Art. 129

Grundsätze

Artikel 129 gibt weitgehend den Status quo wieder und fasst die in verschiedenen Artikeln des RVBvers und im Geschäftsreglement des Nationalrates (GRN) enthaltenen Grundsätze zusammen. Weggelassen wurde Artikel 3 Absatz 2 RVBvers, welcher vorsieht, dass Kandidaten von Fraktionen und Ratsmitgliedern vorgeschlagen werden können. Diese Formulierung würde nahe legen, dass nur gewählt werden kann, wer offiziell vorgeschlagen wird. Dies widerspricht sowohl der Praxis der Bundesversammlung als auch Artikel 143 BV, wonach alle Stimmberechtigten in den Bundesrat und in das Bundesgericht wählbar sind.

Absatz 1 hält den Grundsatz der Wahrung des Wahlgeheimnisses fest (vgl. Art. 84 Abs. 1 GRN). Eine parlamentarische Initiative Robert (93.411), welche das Reglement dahingehend ändern wollte, dass Wahlen auf Antrag offen durchgeführt werden können, wurde am 5. Oktober 1994 von der Vereinigten Bundesversammlung deutlich mit 147:31 Stimmen abgelehnt (AB 1994 N 1992ff.).

Absatz 2 enthält die Definition des absoluten Mehrs gemäss heutigem System (vgl.

Art. 4 Abs. 1 RVBvers und Art. 6 Abs. 4 RVBvers). Die Formulierung wurde so gewählt, dass sie sowohl für die Wahl einer Person als auch für die gleichzeitige Wahl mehrerer Personen gilt. Gezählt werden die abgegebenen Wahlzettel, unabhängig davon, ob sie ganz oder nur teilweise ausgefüllt sind. Die Gesamtzahl der gültig eingelegten Wahlzettel wird durch zwei geteilt, die nächsthöhere über dem Ergebnis liegende Zahl bildet das absolute Mehr. Bei der gleichzeitigen Wahl mehrerer Personen auf einem Wahlzettel wäre es an sich auch denkbar, an Stelle der Wahlzettel die Kandidatenstimmen zu zählen. Die Zahl der Kandidatenstimmen würde dann durch die Zahl der Sitze geteilt und danach halbiert. Diese Methode wird in gewissen Kantonen bei Regierungsratswahlen angewendet. Mit dem Leerlassen von Zeilen kann das absolute Mehr zum Teil drastisch gesenkt werden. Die bisherige Berechnungsweise des absoluten Mehrs soll beibehalten werden, weil für die Wahl eines Mitgliedes des Bundesrates in jedem Fall die absolute Mehrheit der an der Wahl teilnehmenden Ratsmitglieder erforderlich bleiben soll.

Gemäss heutigem System werden leere und ungültige Wahlzettel nicht für die Bestimmung des absoluten Mehrs beigezogen (Absatz 3, vgl. Art. 4 Abs. 5 RVBvers, Art. 84 Abs. 2 GRN). Eine Ausnahme
bildet die Wiederwahl der Mitglieder des Bundesgerichts: Wenn die Wählenden nur Namen streichen können, so bedeutet die Streichung aller Namen eine klare Willensäusserung, die berücksichtigt werden muss (vgl. Art. 7 Abs. 2 3. Satz RVBvers). Dies ist beim Artikel betreffend die Wiederwahl der Mitglieder des Bundesgerichtes so festzuhalten (vgl. Art. 135 Abs. 2).

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Die Bestimmung in Absatz 4 ist dann relevant, wenn mehrere Personen gleichzeitig zu wählen sind, konkret bei den Ergänzungswahlen ins Bundesgericht, oder wenn bei den Bundesratswahlen gemäss dem Vorschlag der Minderheit verfahren würde (vgl. Art. 87 Abs. 3 GRN und Art. 8 Abs. 4 RVBvers).

In Änderung des geltenden Rechts wurden Artikel 4 Absatz 4 und Artikel 8 Absatz 6 RVBvers gestrichen. Losentscheide sind mit dem Demokratieprinzip schwerlich vereinbar, zumal es doch um sehr bedeutende Ämter geht. Die Bundesversammlung hat eine Wahl fortzusetzen, bis sie zu einem Entscheid gelangt.

Art. 130

Ungültigkeit und gestrichene Stimmen

Artikel 130 umfasst einen Katalog von Ungültigkeitsbestimmungen, die bisher in verschiedenen Artikeln des RVBvers und des GRN verstreut waren.

Die Absätze 1 bis 4 nehmen Artikel 4 Absatz 5 und Artikel 8 Absatz 3 RVBvers auf.

Gegenüber dem bisherigen Recht ergibt sich eine kleine Änderung, indem in Artikel 4 Absatz 5 RVBvers Wahlzettel gemäss Artikel 130 Absatz 2 als ungültig deklariert werden. Hier wird vorgeschlagen, derartige Stimmen nur zu streichen, da es unverhältnismässig wäre, bei der Wahl mehrerer Personen wegen eines ungültigen Namens den ganzen Wahlzettel für ungültig zu erklären. Die Ungültigkeitsbestimmungen für Wahlen einer Person und Wahlen mehrerer Personen werden somit harmonisiert. Bei Einzelwahlen macht es für die Bestimmung des absoluten Mehrs keinen Unterschied, ob ein Wahlzettel als ungültig erklärt wird oder ob der Name gestrichen wird und der Zettel somit leer bleibt. Absatz 5 entspricht Artikel 85 Absatz 2 GRN.

2. Kapitel: Wahlen in den Bundesrat Art. 131

Gesamterneuerung

Absatz 1 hält fest, dass dieser Artikel die ordentlichen vierjährlichen Wahlen regelt und nennt den genauen Zeitpunkt. Absatz 2 fasst Artikel 4 Absätze 1 und 2 RVBvers zusammen und nimmt einige Präzisierungen vor. So wird klargestellt, dass die Sitze nicht nur einzeln, sondern auch nacheinander besetzt werden. Der zweite Satz stellt klar, dass im Falle von Vakanzen zuerst diejenigen Sitze zu besetzen sind, für welche bisherige Mitglieder des Bundesrates kandidieren. Erst anschliessend ist die Besetzung der Vakanzen vorzunehmen. Die Absätze 3 und 4 regeln das Ausscheidungsverfahren und entsprechen geltendem Recht. Danach können im dritten Wahlgang keine neuen Kandidatinnen und Kandidaten mehr aufgestellt werden. Wer im zweiten Wahlgang oder in den folgenden Wahlgängen weniger als 10 Stimmen erhält, scheidet aus. Haben im dritten Wahlgang oder in den folgenden Wahlgängen alle Kandidaten und Kandidatinnen mehr als 10 Stimmen erhalten, so scheidet aus, wer die geringste Stimmenzahl erhält.

Eine Minderheit schlägt vor, bei der Gesamterneuerung des Bundesrates analog zu verfahren wie bei der Gesamterneuerung des Bundesgerichts. Danach würde das Verfahren unterteilt in eine Wiederwahl (Art. 131a) und eine Ergänzungswahl (Art. 132). Die Mitglieder der Bundesversammlung erhalten bei der Wiederwahl eine Liste mit den Namen der wieder kandidierenden Mitglieder des Bundesrates.

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Wollen sie ein Mitglied nicht wieder wählen, dann streichen sie dessen Name von der Liste. Wie bei den Wiederwahlen in das Bundesgericht sind ­ abweichend von Artikel 129 Absatz 3 ­ leere Wahlzettel für die Berechnung des absoluten Mehrs einzubeziehen. Im Gegensatz zu den Bundesrichtern und Bundesrichterinnen würden den Mitgliedern des Bundesrates zwei Chancen gegeben: Erst nach der Nichtwahl im zweiten Wahlgang hat das Mitglied in der Ergänzungswahl anzutreten. Diese ist nun für alle Kandidatinnen und Kandidaten offen und findet analog zu den bisherigen Regeln für einen vakant gewordenen Sitz statt. Wiederwahl und Ergänzungswahl sind als gesamter Wahlakt zu betrachten. Es könne deshalb dem Verfahren, so die Minderheit, nicht der Vorwurf gemacht werden, es widerspreche der Verfassung, weil in der Wiederwahl nur bisherige Mitglieder des Bundesrates antreten können.

Der Vorschlag der Minderheit stellt eine mögliche Umsetzung der Motion Weyeneth 98.3349 dar, welche zum Ziel hat, die Gesamterneuerungswahlen des Bundesrates unabhängig vom Amtsalter der Mitglieder vornehmen zu können und deshalb die gleichzeitige Wahl auf einer Liste propagiert. Die Argumente pro und contra diesen Vorschlag sind im Kapitel 2.4.5 dieses Berichts ausführlich dargelegt worden.

Art. 132

Besetzung von Vakanzen

Der Klarheit halber wird die Besetzung von Vakanzen in einem speziellen Artikel geregelt. Dies bietet Gelegenheit, gewisse Präzisierungen gegenüber dem geltenden Recht vorzunehmen. Eine solche Präzisierung besteht in der Regelung des Zeitpunkts der Besetzung von Vakanzen, die zwischen den Gesamterneuerungswahlen eintreten. Um Diskussionen über das Verfahren zu verhindern, ist dieser Zeitpunkt klar zu regeln, umso mehr sich die neue Bundesverfassung hierzu nicht mehr ausspricht. Es soll einerseits garantiert werden, dass Vakanzen möglichst rasch besetzt werden können. Andererseits soll verhindert werden, dass Mitglieder des Bundesrates ihr Rücktrittsschreiben unangemessen früh vor dem effektiven Rücktritt einreichen. Absatz 1 sieht deshalb vor, dass in der Session unmittelbar nach Erhalt des Rücktrittsschreibens eines Mitgliedes des Bundesrates beziehungsweise nach dem unvorhergesehenen Ausscheiden eines Mitglieds gewählt wird. Es ist davon auszugehen, dass abtretende Mitglieder des Bundesrates die Bundesversammlung angemessen früh informieren und ihren Rücktritt nicht gerade unmittelbar vor Sessionsbeginn bekannt geben. Sollte die Frist einmal doch sehr kurz sein, möglicherweise auch in Folge eines Todesfalls, bietet die Formulierung «in der Regel» einen gewissen Spielraum. Absatz 2 ist in Verbindung mit Absatz 1 zu sehen und stellt klar, dass das neue Mitglied spätestens zwei Monate nach seiner Wahl das Amt anzutreten hat.

Das abtretende Mitglied hat das Amt also in dieser Frist zu verlassen. Dies bedeutet, dass es seinen Rücktritt erst im Hinblick auf diejenige Session bekannt geben kann, in der sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin gewählt wird. Somit liegt zwischen Rücktrittsankündigung und Rücktritt im Regelfall eine Session, wie das bereits heute üblich ist. Absatz 3 regelt die Reihenfolge bei der Besetzung mehrerer Vakanzen gemäss dem bisherigen Recht.

Art. 133

Wahl des Präsidiums des Bundesrates

Artikel 133 entspricht geltendem Recht und geltender Praxis. Er präzisiert Artikel 176 Absatz 2 BV dahingehend, dass die Präsidentin und der Vizepräsident nach-

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einander gewählt werden. Diese Klarstellung ist angebracht in Zusammenhang mit der Regelung der Wahl des Präsidiums des Bundesgerichts, welche gemäss Artikel 137 etwas anders verläuft.

3. Kapitel: Wahlen in das Bundesgericht Art. 134

Gesamterneuerung

Artikel 134 entspricht Artikel 6 RVBvers und regelt die ordentliche Gesamterneuerung der eidgenössischen Gerichte nach Ablauf der Amtszeit. Sprachlich präziser als im geltenden Recht wird zwischen der Wiederwahl der sich wieder zur Verfügung stellenden Mitglieder und der Ergänzungswahl im Falle von Vakanzen unterschieden.

Art. 135

Wiederwahl

Artikel 135 entspricht dem geltenden Recht (Art. 7 RVBvers). Der bisher verwendete Begriff «Bestätigungswahl» sollte in Zusammenhang mit den Wahlen in das Bundesgericht vermieden werden, da sonst eine Verwechslung mit der Bestätigung von Wahlen, wie sie in Artikel 139 geregelt wird, nahe liegt. Hier geht es um die Wiederwahl der sich wieder zur Verfügung stellenden Mitglieder des Bundesgerichts. Wahlbehörde ist die Bundesversammlung, es geht also nicht um die Bestätigung eines von einer anderen Behörde gefällten Entscheides. Wiederwahl schliesst auch immer die Möglichkeit einer Abwahl ein. In einem solchen Fall gelangt dann das Verfahren der Ergänzungswahl zur Anwendung.

In Absatz 2 wird geklärt, dass die leeren Wahlzettel nicht nur gültig sind, sondern auch für die Bestimmung des absoluten Mehrs zählen. Dies stellt zwar eine Ausnahme zu dem in Artikel 129 Absatz 3 aufgestellten Grundsatz dar. Da die Wählenden jedoch nur die Möglichkeit des Streichens haben, sollen sie ihren Willen allenfalls durch eine leere Liste äussern können, ohne dass diese ihren Wert verliert.

Art. 136

Ergänzungswahl

Artikel 136 regelt das Verfahren bei Ergänzungswahlen. Diese werden dann vorgenommen, wenn eine Vakanz entstanden ist ­ sei es nach Ablauf der ordentlichen Amtsdauer oder während der Amtsdauer ­, oder wenn ein Mitglied in der Wiederwahl das absolute Mehr verfehlt hat (Absatz 1). Es werden gegenüber Artikel 8 RVBvers einige Kürzungen und Klärungen vorgenommen. Der Verweis auf die Bundesratswahlen, wenn nur ein Sitz zu besetzen ist, ist unnötig. Es kann unabhängig von der Anzahl zu besetzender Sitze das gleiche Verfahren gewählt werden. Auf den irreführenden Begriff «Listenwahl», welcher eine «Ticketwahl» auf einer unveränderbaren Liste suggeriert, ist zu verzichten.

Ansonsten wird analog dem bisher geltenden Recht verfahren, das heisst, es wird unterschiedlich vorgegangen, je nach dem wie viele Kandidaten und Kandidatinnen gemeldet werden (Absatz 2). Es ist die Frage zu stellen, ob nicht das Verfahren einer unbeschriebenen Liste gewählt werden sollte, unabhängig davon, ob mehr Kandidierende gemeldet worden sind, als Sitze frei sind. Die Wählenden verfügen ja über die schriftlichen Wahlvorschläge der Fraktionen. Das Verfahren bleibt aber wahrschein3590

lich übersichtlicher, wenn vorgedruckte Listen verteilt werden können, da die Kandidierenden für das Bundesgericht in der Regel nicht so bekannt sind wie Kandidierende für den Bundesrat.

Die Absätze 3 und 4 entsprechen dem Ausscheidungsverfahren bei Wahlen in den Bundesrat.

Art. 137

Wahl der Präsidien der eidgenössischen Gerichte

Artikel 137 nimmt die Formulierung auf, wie sie von der Vereinigten Bundesversammlung am 7. Oktober 1998 auf Antrag ihres Büros beschlossen worden ist (vgl.

dazu die parlamentarische Initiative 98.405. Wahl der Präsidentschaft und Vizepräsidentschaft der Gerichte). Ergänzend wird analog zu Artikel 133 die Amtsdauer festgehalten.

4. Kapitel: Weitere Wahlen Art. 138 Artikel 168 Absatz 2 BV sieht vor, dass das Gesetz die Bundesversammlung ermächtigen kann, weitere Wahlen vorzunehmen. So hat die Vereinigte Bundesversammlung gemäss Artikel 14 Absatz 1 Militärstrafprozess (SR 322.1) die Mitglieder des Militärkassationsgerichts zu wählen. Gemäss Artikel 14 Absatz 6 des Verantwortlichkeitsgesetzes (SR 170.32) wählt sie einen ausserordentlichen Bundesanwalt, falls ein Mitglied des Parlaments dem Bundesgericht überwiesen wird. Für diese Wahlen kann analog zu den Wahlen in den Bundesrat vorgegangen werden. Es braucht deshalb keine speziellen Bestimmungen. Dies gilt auch für die verfassungsmässig vorgesehenen Wahlen des Bundeskanzlers oder der Bundeskanzlerin sowie des Oberbefehlshabers der Armee.

5. Kapitel: Bestätigung von Wahlen Art. 139 Artikel 168 Absatz 2 BV ermöglicht der Bundesversammlung die Bestätigung von Wahlen. Die beiden Anwendungsfälle für die Bestätigung einer Wahl sind zur Zeit gemäss Artikel 2 Absatz 2 des Finanzkontrollgesetzes (SR 614.0) die Wahl des Direktors oder der Direktorin der Eidgenössischen Finanzkontrolle sowie gemäss Artikel 8ter Absatz 4bis GVG die Wahl des Generalsekretärs oder der Generalsekretärin der Bundesversammlung.

Es wird hier deshalb eine allgemeine Regelung für das Verfahren bei Bestätigungen vorgeschlagen. Gemäss Artikel 139 Absatz 2 wird der Vorschlag des Wahlorgans von einer Kommission der Vereinigten Bundesversammlung begutachtet. Die Vereinigte Bundesversammlung entscheidet dann gemäss Absatz 3 über die Bestätigung oder Nichtbestätigung der Wahl. Das absolute Mehr ist nicht erforderlich; es reicht die Mehrheit der stimmenden Mitglieder. Die Vereinigte Bundesversammlung nimmt nicht eine Wahl vor, sondern sie fällt einen Beschluss, ob sie einer Wahl zustimmt oder nicht. Die in Artikel 129 und 130 aufgeführten Grundsätze und Be3591

stimmungen betreffend die Ungültigkeit sind deshalb hier nicht relevant, da es um einen Ja-/Nein-Entscheid geht (Bestätigung oder Nichtbestätigung). Hingegen ist es angezeigt, geheim abzustimmen, da sich die Stellungnahme der einzelnen Ratsmitglieder schliesslich doch auf eine Person bezieht. Die Vorbereitung durch eine Kommission, welche die zu bestätigende Person und eine Vertretung des Wahlorgans auch anhören kann, soll eine möglichst sachbezogene Beurteilung durch die Vereinigte Bundesversammlung ermöglichen. Dadurch soll verhindert werden, dass die Bestätigungen entweder zu einer reinen Formsache verkommen oder aber von parteipolitischen Überlegungen dominiert werden. Es geht hier um die Besetzung von Verwaltungsstellen, und somit sollte die fachliche Qualifikation im Vordergrund stehen. Nicht nötig ist die Vorberatung im Falle der Wahl des Generalsekretärs oder der Generalsekretärin der Bundesversammlung, da hier das Wahlorgan nicht der Bundesrat oder eine andere Behörde ist, sondern ein parlamentarisches Organ, die Koordinationskonferenz.

Zuständig für die Einsetzung einer derartigen Kommission ist das Büro der Vereinigten Bundesversammlung (Art. 39 Abs. 4). Die Kommission besteht aus zwölf Mitgliedern des Nationalrates und fünf Mitgliedern des Ständerates, die durch die jeweiligen Ratsbüros gewählt werden. Am zweckmässigsten wird wohl die Bestellung einer Kommission aus Mitgliedern der jeweils fachlich zuständigen Kommissionen beider Räte sein. Im konkreten Fall des Direktors der Eidgenössischen Finanzkontrolle ist dies eine Kommission bestehend aus Mitgliedern der beiden Finanzkommissionen.

Artikel 139 wird insbesondere auch dann von Bedeutung sein, wenn dereinst im Rahmen der Staatsleitungsreform ein Regierungsmodell gewählt würde, wonach der Bundesrat Minister und Ministerinnen wählt, welche durch die Bundesversammlung bestätigt werden müssen.

7. Titel: Verkehr zwischen der Bundesversammlung und dem Bundesrat 1. Kapitel: Vorlagen des Bundesrates Art. 140

Botschaften zu Erlassentwürfen

Artikel 140 listet die Anforderungen an eine Botschaft des Bundesrates auf. Gemäss Artikel 111 Absatz 4 gelten diese Anforderungen auch für den erläuternden Bericht zu einem von einer parlamentarischen Kommission ausgearbeiteten Erlassentwurf.

Die in Artikel 43 GVG enthaltenen Punkte wurden weitgehend übernommen. Allerdings wurde eine einheitliche Darstellung gewählt; das heisst, alle Punkte sind gleichwertig unter einem Buchstaben aufgeführt. Ein Blick in die Materialien zeigt, dass relativ zufällig ist, was in Artikel 43 GVG unter einem Alinea und was unter einem Buchstaben geregelt ist.

Während in Absatz 1 vorerst festgehalten ist, was eine Botschaft ist ­ nämlich die Erläuterungen zu einem Erlassentwurf ­, enthält Absatz 2 die Aufzählung der einzelnen Punkte, die zusätzlich zur inhaltlichen Begründung des Erlassentwurfes abgedeckt sein müssen. Die Aufzählung enthält nur die wichtigsten gesetzeswürdigen Punkte und wird deshalb mit «insbesondere» eingeleitet.

3592

Buchstabe a entspricht Artikel 43 Absatz 2 GVG. Eine klare Rechtsgrundlage ist eine zentrale Anforderung an jeden Erlass. Die Aufzählung wird deshalb mit diesem Punkt eingeleitet. Neu wird festgehalten, dass die Auswirkungen auf die Grundrechte darzulegen sind. Gemäss Artikel 36 der Bundesverfassung können in Gesetzen unter gewissen Voraussetzungen Einschränkungen von Grundrechten vorgesehen werden. Angesichts der Bedeutung der Grundrechte sind allfällige Auswirkungen des Erlasses auf diese in der Botschaft gesondert darzustellen. Ebenfalls neu wird unter diesem Punkt ergänzend festgehalten, dass in der Botschaft auch auf die Vereinbarkeit mit übergeordnetem Recht einzugehen sowie das Verhältnis zum europäischen Recht darzustellen ist. Zum übergeordneten Recht gehört das für die Schweiz verbindliche Völkerrecht. Beim europäischen Recht ist das EU-Recht von Interesse.

Das bisher ebenfalls in Artikel 43 Absatz 2 GVG enthaltene Erfordernis zur Begründung der vorgesehenen Kompetenzdelegationen wird unter einem speziellen Buchstaben b aufgeführt.

Buchstabe c entspricht Artikel 43 Absatz 1 2. Satz GVG. Ergänzend wird auch die Stellungnahme des Bundesrates zu den im vorparlamentarischen Verfahren diskutierten Standpunkten verlangt. Heute ist zum Teil aus Botschaften kaum ersichtlich, warum eigentlich diese oder jene Alternative nicht mehr weiterverfolgt worden ist.

Buchstabe d nimmt Artikel 43 Absatz 2bis GVG auf, wie er von den Räten am 22. Dezember 1999 auf Grund der parlamentarischen Initiative 96.456 (Rhinow) beschlossen worden ist (AB 1999 S 305ff., AB 1999 N 2601ff.). Die etwas umfangreich geratene Bestimmung wurde gekürzt. Es wird der Grundsatz festgehalten, dass der Bundesrat sich zur Umsetzung des Erlasses, zur geplanten Evaluation dieser Umsetzung sowie zur Vollzugstauglichkeit zu äussern hat. Die Details, was unter dem Kapitel Umsetzung genau zu erläutern ist, brauchen nicht auf Gesetzesstufe festgehalten zu werden. Das Erfordernis zur Darlegung der Vollzugskosten ist in Buchstabe e enthalten.

Buchstabe e fasst Artikel 43 Absatz 3 Buchstaben a, b und d GVG zusammen und integriert auch die Vollzugskosten. Unter Buchstabe e fällt auch die Abhandlung der Frage der Ausgabenbremse (Art. 159 Abs. 3 Bst. b BV).

Buchstabe f nimmt Artikel 43 Absatz 3 Buchstabe c GVG auf, wobei gemäss geltender
Praxis die Bestimmung umfassender gefasst wurde, indem auch die Auswirkungen auf die Gesellschaft und auf die Umwelt darzulegen sind.

Buchstabe g entspricht Artikel 43 Absatz 1 1. Satz GVG. Gemäss der Definition in Artikel 145 können die Richtlinien der Regierungspolitik sowie der Finanzplan unter dem Oberbegriff «Legislaturplanung» zusammengefasst werden.

Buchstabe h beruht auf einer Empfehlung der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates. In der Empfehlung 4 des Berichtes der GPK vom 18. November 1999 über das eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (vgl.: Das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann ­ Eine Wirkungsbeurteilung nach zehnjähriger Tätigkeit. Bericht des Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 18. November 1999. BBl 2000 1530) wird vorgeschlagen, dass Parlament und Bundesrat in allen Botschaften und Berichten darzulegen haben, welche Auswirkungen die Vorlagen auf die Gleichstellung von Frau und Mann haben. Das Geschäftsverkehrsgesetz und das Botschaftsschema seien umgehend anzupassen. Nach Ansicht der GPK würde dies nicht nur innerhalb der Bundesverwal3593

tung, sondern auch im Parlament und in der Öffentlichkeit zu einer Sensibilisierung für das Thema der Gleichstellung führen. Die Forderung entspricht einem vom Nationalrat am 22. Juni 1990 überwiesenen Postulat (90.405 Postulat Leutenegger Oberholzer vom 12. März 1990: Gleichstellung von Frau und Mann. AB 1990 N 1269).

Artikel 43 Absatz 3 Buchstaben e und f GVG wurden im Rahmen der Beratungen über das Bundesgesetz über Finanzhilfen und Abgeltungen (Vorlage 86.069) bzw.

über das Bundesgesetz über die technischen Handelshemmnisse (Vorlage 95.013) ins GVG aufgenommen. Damals wurden zahlreiche Erlasse geändert, um sie auf die jeweils neuen Gesetze abzustimmen. Die beiden Punkte sind im Gesetz zu streichen und sollen nur in den Richtlinien der Bundeskanzlei aufgeführt werden. Die Aufzählung im Gesetz ist nicht abschliessend und sollte nur die elementarsten Anforderungen an eine Botschaft enthalten.

Art. 141

Voranschlag, Nachträge und Staatsrechnung

Artikel 45 GVG wird aufgeteilt, indem die Bestimmungen über den Geschäftsbericht in einem separaten Artikel aufgeführt werden. Die Übersichtlichkeit soll somit erhöht werden.

Artikel 141 Absatz 1 regelt die Bereitstellung der zur Wahrnehmung der Finanzkompetenzen der Bundesversammlung gemäss Artikel 167 BV notwendigen Dokumente durch den Bundesrat. Buchstabe a soll sicherstellen, dass die Finanzkommissionen mit der Beratung des Voranschlags zwei Monate vor Beginn der Wintersession anfangen können; das heisst, unmittelbar nach der Herbstsession sollten die Arbeiten aufgenommen werden können. Diese Änderung gegenüber Artikel 45 Absatz 2 GVG entspricht weitgehend der heutigen Praxis. Die Finanzkommissionen legen zudem Wert auf die jährliche Budgetierung und Rechnungslegung (vgl. Stellungnahme vom 6. Juni 2000). Dies wird deshalb in den Buchstaben a und c explizit festgehalten.

Das Verfahren zur Unterbreitung der Nachtragskredite war bisher nur in Artikel 17 und 31 des Finanzhaushaltgesetzes geregelt. Hier werden in Buchstabe b analog zum Voranschlag die Fristen genannt.

Buchstabe c nimmt die Präzisierung der Frist auch in Bezug auf die Staatsrechnung vor.

Artikel 8novies Absatz 8 GVG sieht vor, dass die Verwaltungsdelegation für den Entwurf des Voranschlags sowie für die Rechnung der Bundesversammlung verantwortlich ist und diese folglich auch vor der Bundesversammlung vertritt. Der Bundesrat integriert diese Dokumente unverändert in seinen Entwurf für den Voranschlag und in seine Rechnung. Diese Neuerung wurde von den Räten am 8. Oktober 1999 beschlossen. Sie war notwendig geworden auf Grund der administrativen Loslösung der Parlamentsdienste von der Bundeskanzlei gemäss Artikel 155 BV.

Unabhängig von der zentralen Bundesverwaltung erstellen auch die Eidgenössische Finanzkontrolle sowie das Bundesgericht ihre Voranschläge und ihre Rechnungen (vgl. Art. 2 Abs. 3 des Finanzkontrollgesetzes). Die Absätze 2 und 3 regeln analog zu Artikel 8novies Absatz 8 GVG die Erstellung von Voranschlag und Rechnung der drei Institutionen Bundesversammlung, Bundesgericht und Eidgenössische Finanzkontrolle sowie deren Vertretung vor der Bundesversammlung. Voranschlag und Rechnung der Finanzkontrolle werden durch die Finanzdelegation, mit welcher sie eng zusammenarbeitet, vor der Bundesversammlung vertreten.

3594

Art. 142

Finanzplan

Artikel 23 Absatz 4 des Finanzhaushaltgesetzes (FHG, SR 611.0) sieht vor, dass der Bundesrat der Bundesversammlung jährlich den Finanzplan zur Kenntnisnahme unterbreitet. Diese Bestimmung wird in das neue Parlamentsgesetz übernommen.

Die Bundesversammlung soll vom Finanzplan nicht wie bisher nur Kenntnis nehmen, sondern sie soll neu dazu in einer politisch verbindlicheren und differenzierteren Form Stellung nehmen. Der Bundesrat unterbreitet der Bundesversammlung die Ausgaben und Einnahmen nach Sachgruppen in Form eines Entwurfes zu einem einfachen Bundesbeschluss. Die Bundesversammlung kann hierzu Änderungen beschliessen (zur Frage der Planungsbeschlüsse in Form von einfachen Bundesbeschlüssen vgl. ausführlicher Ziff. 2.4.2).

Die Finanzkommission des Nationalrates begrüsst in ihrer Stellungnahme vom 6. Juni 2000 diese Neuerung: «Bei der Beratung des Finanzleitbildes hat sich die Finanzkommission sehr ohnmächtig gefühlt, weil nur eine Kenntnisnahme im zustimmenden oder ablehnenden Sinne möglich war, jedoch keine Korrekturen angebracht werden konnten. Die Finanzkommission sollte bei der Finanzplanung eine Steuerungsmöglichkeit erhalten. Der Finanzplan sollte deshalb mittels einfachem Bundesbeschluss geändert werden können».

Art. 143

Jahresziele und Geschäftsbericht

Artikel 143 definiert den Inhalt der Jahresziele des Bundesrates und des Geschäftsberichts. Es kann die Frage gestellt werden, ob die Nennung der Jahresziele tatsächlich gesetzeswürdig ist. Der Bundesrat gibt seine Jahresziele der Bundesversammlung nur zur Information weiter, die Bundesversammlung nimmt nicht einmal Kenntnis. Allerdings wird in Absatz 3 bei der näheren Umschreibung des Geschäftsberichts auf die Jahresziele verwiesen, was deren Erwähnung in Absatz 1 nahe legt.

Absatz 2 nennt den Zeitpunkt der Unterbreitung des Geschäftsberichts. Die bisher geltenden Spezialbestimmungen betreffend die Alkoholverwaltung werden gestrichen. Die Alkoholverwaltung soll in Zukunft im gleichen Rhythmus Bericht erstatten und die Rechnung ablegen wie die übrige Bundesverwaltung. Artikel 71 Absatz 3 des Alkoholgesetzes ist entsprechend anzupassen (vgl. Art. 172 Änderung bisherigen Rechts). Der Geschäftsbericht des Bundesrates umfasst mehrere Dokumente, deshalb wird in Absatz 2 der Plural «Berichte» verwendet. Umgangssprachlich wird jedoch vom «Geschäftsbericht» gesprochen.

Die Prüfung der Motion Bühler (93.3260), die vom Ständerat als Postulat überwiesen worden ist (AB 1993 S 734f.), hat ergeben, dass der Übergang zur Geschäftsberichterstattung im Zweijahres-Rhythmus mehr Nachteile als Vorteile mit sich bringt.

So könnten sich Probleme ergeben bei der Abstimmung auf das Budget und die Rechnung, welche nach wie vor jährlich zu erstellen sind. Ein zweijähriger Geschäftsbericht würde noch umfangreicher und die Debatten entsprechend noch länger. Der Unzufriedenheit mit langwierigen Geschäftsberichtsdebatten wird besser dadurch Rechnung getragen, dass die Debatten allenfalls besser strukturiert und verkürzt werden, da die Detailprüfung ja in der Kommission erfolgt. Ein erster Schritt dazu könnte die Neuerung darstellen, dass nicht mehr alle Mitglieder des Bundesrates an der Debatte teilnehmen müssen, sondern dass allein der Bundespräsident oder die Bundespräsidentin den Bericht vertritt (vgl. Art. 144 Abs. 1). Es wird hier des3595

halb auf eine entsprechende Variante verzichtet und die Abschreibung des Postulates beantragt.

Absatz 3 umschreibt den Inhalt des Geschäftsberichts gemäss der aktuellen Praxis.

Auf den bisherigen Artikel 45 Absatz 5 GVG (Verknüpfung mit Richtlinien) wurde verzichtet. Die Ausrichtung auf die in Absatz 1 genannten Jahresziele, wie dies seit 1996 praktiziert wird, ist sinnvoller.

Art. 144

Behandlung des Geschäftsberichts

Absatz 1 sieht neu vor, dass die Bundespräsidentin oder der Bundespräsident den Geschäftsbericht in den Räten vertritt. In den Räten geht es vor allem darum, den Geschäftsbericht als Ganzes zu würdigen. Die Detailprüfung unter Anwesenheit der betroffenen Departementsvorsteher und -vorsteherinnen kann in den Geschäftsprüfungskommissionen erfolgen. Der Vorschlag kann zu einer effizienteren und weniger zerstückelten Geschäftsberichtsdebatte beitragen.

Absatz 2 sieht vor, dass die Bundesversammlung die Berichte zur Geschäftsführung in Form von einfachen Bundesbeschlüssen genehmigt. Dies entspricht der heutigen Praxis.

Nicht mehr aufgenommen wurde Artikel 45 Absatz 2 GVG. Der Bundesrat verkehrt mit der Bundesversammlung und nicht direkt mit Kommissionen; er leitet den Geschäftsbericht somit gemäss Artikel 148 den Parlamentsdiensten zu.

Nicht ausgearbeitet wurde die Idee einer abschliessenden Beschlussfassung in den Geschäftsprüfungskommissionen. Artikel 153 Absatz 3 BV liesse dies zu. Der Geschäftsbericht wurde bei den Vorarbeiten zu diesem Verfassungsartikel denn auch als mögliches Objekt einer abschliessenden Beschlussfassung durch die Kommissionen genannt (vgl. Bundesversammlung. Organisation, Verfahren, Verhältnis zum Bundesrat. Zusatzbericht der Staatspolitischen Kommissionen der eidgenössischen Räte zur Verfassungsreform vom 6. März 1997. BBl 1997 III 268). Allerdings stellt gerade der Geschäftsbericht ein wichtiges Instrument dar, um Transparenz über die Arbeiten von Bundesrat und Verwaltung herzustellen. Er stellt einige der wenigen Möglichkeiten für die Ratsplena dar, sich überhaupt mit Fragen der Oberaufsicht zu beschäftigen. Deshalb wurde auf die Möglichkeit der abschliessenden Behandlung des Geschäftsberichts in den Kommissionen verzichtet.

Art. 145

Legislaturplanung

Artikel 145 definiert unter dem Oberbegriff «Legislaturplanung» den Inhalt der beiden Planungsinstrumente «Richtlinien der Regierungspolitik» und «Legislaturfinanzplan». Gemäss geltendem Recht (Art. 45bis Abs. 3 GVG) sind die Richtlinien und der Legislaturfinanzplan sachlich und zeitlich miteinander zu verknüpfen, sodass von einer umfassenden Planung gesprochen werden kann, welche neben den inhaltlichen auch die finanziellen Aspekte erfasst (Abs. 2).

Der in den Absätzen 3 und 4 festgehaltene Inhalt der «Richtlinien» entspricht im Wesentlichen dem bisherigen Inhalt gemäss Artikel 45bis Absätze 1 und 2 GVG.

Etwas übersichtlicher als im GVG werden im einen Absatz die Leitlinien und Ziele sowie die entsprechenden Massnahmen genannt; der andere Absatz verlangt einen Überblick über die Geschäfte, und zwar auch über diejenigen im Zuständigkeitsbereich des Bundesrates.

3596

Da der Legislaturfinanzplan einen Bestandteil der Legislaturplanung darstellt, ist es nahe liegend, auch dessen Inhalt im Parlamentsgesetz zu definieren. Diese Definition wurde aus dem Finanzhaushaltgesetz (FHG) übernommen. Artikel 23 Absatz 3 FHG kann somit gestrichen werden. Die Berücksichtigung des Standes der Aufgabenerfüllung sowie der konjunkturpolitischen Erfordernisse sollte selbstverständlich sein und wurde deshalb hier weggelassen.

Absatz 1 sieht neu vor, dass der Bundesrat die Ziele der Legislaturplanung der Bundesversammlung in Form eines einfachen Bundesbeschlusses unterbreitet. Dadurch soll der Bundesversammlung eine befriedigendere Form der Behandlung der Legislaturplanung ermöglicht werden, als dies mit der bisherigen Form der Kenntnisnahme der Fall ist (zu den Nachteilen der «Kenntnisnahme» und zu den Vorteilen des einfachen Bundesbeschlusses vgl. Ziff. 2.4.2). Indem zu den einzelnen Zielen Abänderungsanträge gestellt werden können, kann die Diskussion konkreter gestaltet werden. Voraussetzung ist, dass der Bundesrat griffige Ziele präsentiert. Die Bundesversammlung kann sich zustimmend oder ablehnend zu den einzelnen Zielen äussern oder aber Änderungen vornehmen. Es wäre zu überlegen, ob auch die Massnahmen in den Beschluss einbezogen werden sollten. Allerdings würde der Beschluss dann ziemlich umfangreich.

Die Spezialkommission des Nationalrates zur Vorberatung der Legislaturplanung 1999­2003 hat sich einstimmig für diese wesentliche Neuerung ausgesprochen (Stellungnahme vom 24. August 2000). Ferner hat die Kommission in ihrer Stellungnahme bedauert, dass die dem Parlament zur Verfügung stehende Zeit zur Beratung der Legislaturplanung zu kurz ist. Sie hat daher vorgeschlagen, in Artikel 145 Absatz 1 zu präzisieren, dass die Legislaturplanung dem Parlament «zu Beginn der ersten Session der Legislaturperiode» und nicht bloss «zu Beginn der Legislaturperiode» (Daten der letzten Berichte: 1. März 2000, 18. März 1996, 25. März 1992) unterbreitet werden muss. Die SPK hat diesen Vorschlag aber mit 14:5 Stimmen abgelehnt. Der Bundesrat soll seine Legislaturplanung nicht vor, sondern nach seiner in der ersten Session einer Legislaturperiode erfolgenden Gesamterneuerung unterbreiten. Eine Änderung der Zusammensetzung des Bundesrates in den Gesamterneuerungswahlen soll sich auf die bundesrätliche Legislaturplanung auswirken können.

Art. 146

Behandlung der Legislaturplanung

Die Behandlung der Legislaturplanung erfolgt gemäss bisherigem Recht in beiden Räten in der gleichen Session, wobei mit jeder Legislaturperiode der Erstrat wechselt (Abs. 1).

Wie der Geschäftsbericht (vgl. Art. 144) soll auch die Legislaturplanung von der Bundespräsidentin oder vom Bundespräsidenten in den Räten vertreten werden (Abs. 2).

Werden die Ziele der Legislaturplanung in Form eines einfachen Bundesbeschlusses vorgelegt, dann braucht es das Instrument der «Richtlinienmotion» nicht mehr. Indem die vorberatenden Kommissionen und die Ratsmitglieder Anträge zu den Zielen stellen können, können sie ihre Anliegen viel differenzierter einbringen, als wenn sie eine Motion einreichen müssten.

Artikel 15 des Geschäftsreglements des Nationalrates sieht vor, dass der Bericht des Bundesrates über die Legislaturplanung von einer Spezialkommission vorberaten 3597

wird, die aus den Fraktionspräsidenten sowie weiteren Ratsmitgliedern besteht. Diese Bestimmung kann auf Reglementsstufe belassen werden. Vielleicht besteht einmal das Bedürfnis, diese Kommission anders zusammenzusetzen oder den Bericht der Geschäftsprüfungskommission zuzuweisen. Da die Legislaturplanung auch den Finanzplan umfasst, werden schon heute die Finanzkommissionen zu einem Mitbericht eingeladen, was auch in Zukunft angezeigt sein wird.

Art. 147

Weitere Planungen und Berichte

Neben den gesetzlich vorgesehenen Planungen und Berichten wie zum Beispiel der Legislaturplanung, dem Finanzplan oder der Berichterstattung über den Abschluss völkerrechtlicher Verträge gemäss Artikel 48a Absatz 2 RVOG (bisher Art. 47bisb Abs. 5 GVG) unterbreitet der Bundesrat bisweilen auch Sachbereichsplanungen (häufig «Gesamtkonzeptionen» genannt) oder Vor- bzw. Vorgehensentscheide zu einzelnen Sachfragen (vgl. z.B. den indirekten Gegenentwurf zur Volksinitiative «Ja zu Europa», BBl 1999 3830) (Abs. 1).

Je nach Bedeutung des Berichts kann es sinnvoll sein, wenn die Bundesversammlung ihn nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern dazu in einer verbindlicheren und differenzierteren Form Stellung nimmt. Zu diesem Zweck steht in erster Linie das Instrument des einfachen Bundesbeschlusses, in besonders bedeutsamen Fällen auch das Instrument des Bundesbeschlusses zur Verfügung (Abs. 2. Zur Zweckmässigkeit und zur rechtlichen Wirkung dieser Instrumente siehe ausführlicher Ziff. 2.4.2). Abgesehen von den im Gesetz genannten Fällen der obligatorischen Verwendung des einfachen Bundesbeschlusses (Art. 142, 145, 147 Abs. 3) obliegt es dem Bundesrat, abzuwägen, ob eine «wichtige» Planung vorliegt, denn es kann nicht allgemein näher definiert werden, welche Planungen derart zu qualifizieren sind.

Von besonderer Bedeutung sind die Berichte des Bundesrates zur Aussenpolitik der Schweiz (Bericht über die Aussenpolitik der Schweiz in den 90er-Jahren vom 29. November 1993, BBl 1994 I 153; Aussenpolitischer Bericht 2000 vom 15. November 2000, BBl 2001 261). Die Aussenpolitik entzieht sich weitgehend, anders als die meisten anderen Politikbereiche, dem demokratischen Steuerungsinstrument der Gesetzgebung. Die von der Bundesverfassung verlangte Mitwirkung der Bundesversammlung an der Gestaltung der Aussenpolitik kann realisiert werden, wenn der Bundesrat verpflichtet wird, periodisch den Entwurf zu einem einfachen Bundesbeschluss über die Ziele der schweizerischen Aussenpolitik zu unterbreiten (Abs. 3). Auf eine starre, z.B. auf eine oder zwei Legislaturperioden festgelegte Periodizität wird dabei verzichtet. Die Vorlage eines derartigen Berichtes wird sich nach dem Bedürfnis zur demokratischen Abstützung einer Neuorientierung in wichtigen aussenpolitischen Fragen richten: dieses Bedürfnis kann bereits nach drei, aber
auch erst nach sechs oder acht Jahren entstehen. Auch wenn keine eigentliche Neuorientierung erfolgt, so dürfte es jedenfalls spätestens nach etwa acht Jahren zweckmässig sein, die Ziele der schweizerischen Aussenpolitik gesamthaft in Form eines Berichtes erneut der demokratischen Diskussion zu unterbreiten.

Die Aussenpolitischen Kommissionen (APK) beider Räte stimmen in ihrer unter Einbezug von Dienststellen der betroffenen Bundesverwaltung entstandenen Stellungnahme vom 15. Juni 2000 grundsätzlich der Verwendung des Instrumentes des einfachen Bundesbeschlusses für aussenpolitische Grundsatzbeschlüsse zu. Sie stützen sich dabei auf Gutachten des Bundesamtes für Justiz und von Prof. Bernhard

3598

Ehrenzeller. Die APK lehnen es aber in ihrer Stellungnahme ab, dass der periodische Bericht über die Aussenpolitik der Schweiz mit einem Entwurf des Bundesrates zu einem einfachen Bundesbeschluss begleitet werden muss. Sie haben der SPK beantragt, dass der Bundesrat diesen Bericht über die Aussenpolitik der Schweiz der Bundesversammlung nach wie vor nur zur Kenntnis unterbreitet. Auch weitere Berichte zu aussenpolitischen Themen soll der Bundesrat nur zur Information oder zur Kenntnisnahme unterbreiten. Die Bundesversammlung kann dann allerdings, wenn sie dies als zweckmässig erachtet, zu diesen Berichten Grundsatzbeschlüsse fassen.

Die SPK ist diesem Antrag nicht gefolgt, weil er dem generellen Konzept widerspricht, wonach die wichtigen Grundsatz- und Planungsbeschlüsse in allen Politikbereichen in die Form eines einfachen Bundesbeschlusses gekleidet werden sollen.

Gerade für die Gestaltung der Aussenpolitik, die anders als die anderen Politikbereiche nicht durch die Gesetzgebung erfolgen kann, muss ebenfalls gelten, was parlamentsintern völlig unbestritten z.B. für die Legislatur- und für die Finanzplanung gelten soll. Zwischen der Mitwirkung der Bundesversammlung bei wichtigen Planungen (Art. 173 Abs. 1 Bst. g) und ihrer Beteiligung an der Gestaltung der Aussenpolitik (Art. 166 Abs. 1) macht die neue BV keinen Unterschied, der eine derartige Lex specialis im Sinne der APK für den Bereich der Aussenpolitik rechtfertigen würde. Der Hinweis, im Bereich der Aussenpolitik benötige der Bundesrat einen besonders grossen Handlungsspielraum, ist zwar zweifellos richtig, aber in diesem Zusammenhang nicht von Belang. Es liegt in der Natur jeder Planung ­ auch der aussenpolitischen Planung ­, dass sie nur insoweit verbindlich sein kann, als nicht veränderte Umstände zu einer Anpassung der Planung Anlass geben. Gerade in der Aussenpolitik können die Entwicklungen naturgemäss häufig nicht von der Schweiz aus gesteuert werden und die Umstände ändern sich ausserhalb des Einflussbereiches des Bundesrates. Selbstverständlich muss der Bundesrat in diesen Fällen die nötige Handlungsfreiheit behalten und darf daher auch von vorangegangenen aussenpolitischen Grundsatzbeschlüssen des Parlamentes abweichen; dadurch wird er allerdings diesem gegenüber begründungspflichtig (vgl. Art. 28 Abs. 4).

Der Wortlaut des von
den APK ausgearbeiteten Antrages hätte im Übrigen auch zur Folge, dass der Bundesrat im Bereich der Aussenpolitik von sich aus keine Entwürfe zu einfachen Bundesbeschlüssen unterbreiten dürfte, sondern dass nur die die aussenpolitischen Berichte vorberatenden Kommissionen dazu berechtigt wären.

Eine derartige Regelung wäre in der Praxis wenig zweckmässig und stünde zudem im Widerspruch zum verfassungsrechtlichen Initiativrecht des Bundesrates (Art. 181 BV).

Nicht alle Berichte sind so bedeutend, dass sie von der Bundesversammlung in Form eines einfachen Bundesbeschlusses verabschiedet werden müssen. Absatz 4 sieht zwei weitere Formen vor, in denen der Bundesrat der Bundesversammlung Berichte unterbreiten kann. Er kann der Bundesversammlung Berichte zur Information zuleiten. Die Ratsmitglieder erhalten den Bericht, er wird jedoch in den Räten nicht zwingend debattiert. Schliesslich sollen der Bundesversammlung auch in Zukunft Berichte zur Kenntnisnahme unterbreitet werden können. Die Kenntnisnahme erfordert einen Beschluss der Bundesversammlung: Diese bestätigt dadurch, dass sie vom Inhalt des Berichts Kenntnis genommen hat, ohne jedoch dazu Stellung zu nehmen.

Etwas zur Kenntnis nehmen beinhaltet keine inhaltliche Stellungnahme. Die in Artikel 44bis GVG vorgesehene pauschale Sanktionierung «in zustimmendem oder in ablehnendem Sinne» ist problematisch und wird weggelassen (vgl. dazu ausführli3599

cher Ziff. 2.4.2). Wollen sich die Räte zu einer Planung äussern, die ihnen zur Kenntnisnahme unterbreitet worden ist, steht ihnen das Mittel der Motion zur Verfügung (Abs. 5).

Art. 148

Überweisung von Botschaften und Berichten des Bundesrates

Artikel 148 regelt die Formalitäten der Überweisung der Botschaften und Berichte des Bundesrates an die Bundesversammlung, welche bisher in Artikel 44 GVG enthalten waren. Absatz 1 nennt den Zeitpunkt, bis zu welchem die Unterlagen im Besitz der Parlamentsdienste sein müssen. Es wird hier die heute in der Praxis übliche Frist von vierzehn Tagen genannt. Diese Frist gilt für alle Botschaften und Berichte, es sei denn, es werden in diesem Gesetz ­ wie zum Beispiel beim Geschäftsbericht oder bei der Staatsrechnung ­ andere Fristen genannt. Absatz 2 stellt klar, dass der Bundesrat die Unterlagen an die Parlamentsdienste zu richten hat, welche für die Verteilung sorgen. Der Bundesrat gelangt mit seinen Unterlagen also nicht direkt an die Ratsmitglieder oder an parlamentarische Organe, da ansonsten die Übersicht über die Dokumente, welche der Bundesrat der Bundesversammlung zuleitet, verloren geht.

2. Kapitel: Verkehr der Kommissionen mit dem Bundesrat Die Grundzüge der Vorschläge betreffend die Informationsrechte werden im allgemeinen Teil dieses Berichtes (Ziff. 2.4.1) dargelegt, so dass sich der Bericht hier auf eine Kommentierung der Detailfragen beschränken kann.

Art. 149

Allgemeine Informationsrechte

Als allgemeine Bestimmung regelt Artikel 149 die Informationsrechte für alle Kommissionen. Für diejenigen Kommissionen, die weitergehende Informationsrechte beanspruchen, wie z.B. die Aufsichtskommissionen und -delegationen sowie die parlamentarische Untersuchungskommission, werden ergänzend zu Artikel 149 weitere Rechte in Spezialnormen begründet (Art. 152, 153 und 165). Da für die Legislativkommissionen keine weiteren Informationsrechte im Gesetz vorgesehen sind, wird Artikel 149 vor allem für diese Kommissionen besondere Bedeutung haben.

Absatz 1: Die Kommissionen machen ihre Informationsrechte gegenüber dem Bundesrat geltend. Dieser darf den Kommissionen nicht wie nach bisherigem Recht aus Gründen der Geheimhaltung Informationen vorenthalten. Die Kommissionen haben grundsätzlich Anspruch darauf, alle Informationen zu erhalten, die sie verlangen, so auch z.B. Informationen, die unter das Datenschutzgesetz fallen (vgl. diesbezüglich das Fallbeispiel im Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen über ihre Tätigkeit vom 4. und 21. Mai 1999; BBl 2000 3f.). Zur Eingrenzung der Informationsrechte wird das Kriterium «zur Erfüllung ihrer Aufgaben» verwendet, das der Terminologie der Bundesverfassung entspricht (Art. 153 Abs. 4 BV). Dieses Kriterium beschränkt die Informationsrechte in zweifacher Hinsicht: ­

3600

Die Kommissionen haben nur Anspruch auf Informationen, die ihren Sachbereich betreffen. Dieser ist ihnen durch die Geschäftsreglemente beziehungsweise darauf gestützt durch die Büros zugewiesen. Die SPK können

beispielsweise Informationen erhalten, die den Asyl- oder Ausländerbereich betreffen.

­

Die Kommissionen können nur die Informationen erhalten, die ihrer Funktion entsprechen. Beraten die SPK einen Erlassentwurf im Asylbereich vor, so können sie Informationen verlangen, die ihre legislatorische Aufgabe betreffen, so z.B. die Eingaben aus dem Ämterkonsultationsverfahren oder die Protokolle von Expertenkommissionen. Sie können aber nicht Einsicht nehmen in Dossiers einzelner Asylbewerber.

Die Legislativkommissionen haben demzufolge insbesondere Anspruch auf diejenigen Informationen, die zur Vorberatung oder Ausarbeitung eines Erlassentwurfes zweckdienlich sind. Weitere Informationen, die z.B. für die Wahrnehmung der Oberaufsicht geeignet sind, können sie nicht erhalten. Zusätzlich zu diesem einschränkenden Kriterium haben die Kommissionen keinen Anspruch auf zwei Kategorien von Informationen: Der Bundesrat kann ihnen Informationen verweigern, sofern diese seiner unmittelbaren Entscheidfindung dienen (vgl. dazu Ziff. 2.4.1.2 dieses Berichtes) oder im Interesse des Staatsschutzes oder der Nachrichtendienste geheim zu halten sind (Art. 149 Abs. 1 Bst. b). Der Einblick in Personendaten ist aber für die Kommissionen nicht wie für die Ratsmitglieder (Art. 8) per se ausgeschlossen. Ein solches Begehren muss vielmehr mit dem Kriterium der Aufgabenerfüllung der Kommissionen begründbar sein. So liess sich in der Praxis beispielsweise die Sicherheitspolitische Kommission (SiK) über gewisse Vorfälle im VBS informieren und erhielt dabei Informationen über Personen. Aber auch die Aufsichtskommissionen müssen zur Überprüfung des Geschäftsgebarens des Bundesrates Zugang zu Personendaten haben.

Die in Buchstabe a und c aufgezählten Informationsrechte entsprechen denjenigen von Artikel 47 und Artikel 47bis Absatz 2 und 3 GVG. Es sind drei Formen der Informationsbeschaffung für die Kommissionen vorgesehen: Die Auskunftserteilung und Berichterstattung des Bundesrates, die Einsicht in Unterlagen sowie die Befragung von Personen im Dienste des Bundes.

Da die Kommissionen in ihrem Aufgabenbereich zu allen Informationen Zugang haben, werden sie in Absatz 2 verpflichtet, die nötigen Vorsichtsmassnahmen für den Geheimnisschutz zu treffen. Namentlich erwähnt wird in Absatz 2 die Einsetzung einer Subkommission, welche die Unterlagen einsehen und ihrer Kommission Bericht erstatten kann. In welchem Umfang und bei welcher Art von Informationen Vorsichtsmassnahmen zu treffen sind, entscheiden die Kommissionen selber. Absatz 2 verweist auf das parlamentarische Amtsgeheimnis in Artikel 9. Es sollten Vorsichtsmassnahmen getroffen werden, wenn z.B. eine Kommission Informationen erhält, die ein Berufs- oder Geschäftsgeheimnis oder Personendaten, die unter das Datenschutzgesetz fallen, enthalten. Die Informationsrechte
der einzelnen Kommissionen können auch durch ihre Subkommissionen ausgeübt werden. Die oben erwähnten sachlichen Eingrenzungen gelten sinngemäss. Auch die Parlamentsdienste, im Speziellen die Kommissionssekretariate, verfügen über dieselben Informationsrechte wie die Kommissionen, sofern sie in deren Auftrag der Kommissionen handeln (vgl. Art. 67).

Absatz 3: Im Konfliktfall zwischen Kommission und Bundesrat entscheiden analog der Regelung in Artikel 8 Absatz 4 die Ratspräsidien definitiv über die Ausübung der Informationsrechte. Die Ratspräsidien haben zu prüfen, ob die betreffende Kom-

3601

mission die verlangten Informationen zur Aufgabenerfüllung braucht oder nicht.

Kein Ermessen haben die Ratspräsidien betreffend Informationen, die der unmittelbaren Entscheidfindung des Bundesrates dienen oder im Interesse des Staatsschutzes oder der Nachrichtendienste geheim zu halten sind.

Art. 150

Konsultation beim Erlass von Verordnungen

Artikel 150 entspricht dem von den eidgenössischen Räten am 22. Dezember 1999 beschlossenen neuen Artikel 47a GVG (AB 1999 S 305ff., AB 1999 N 2601). Die Bestimmung basiert auf der parlamentarischen Initiative 96.456 (Rhinow), welche die Verbesserung der Vollzugstauglichkeit der Massnahmen des Bundes zum Ziel hatte. Die Vollzugsträger, insbesondere auch die Kantone, haben ein Interesse an einer möglichst transparenten Verordnungsgebung, lassen sich die konkreten Umsetzungsbedingungen doch häufig erst auf dieser Ebene erkennen. Die Bundesversammlung sollte die Möglichkeit haben, darauf Einfluss zu nehmen, dass den Vollzugsproblemen auch bei der Verordnungsgebung durch den Bundesrat Rechnung getragen wird (ausführlicher dazu der Bericht der SPK des Ständerates vom 15. Februar 1999, BBl 1999 2766ff.). Es wurde deshalb ein Konsultationsrecht der parlamentarischen Kommissionen zu bundesrätlichen Verordnungen, welche «in erheblichem Ausmass ausserhalb der Bundesverwaltung vollzogen werden», vorgesehen.

Die Beschränkung auf den Vollzugsaspekt machte im Rahmen der Umsetzung der parlamentarischen Initiative 96.456, bei der die Vollzugsproblematik im Vordergrund stand, Sinn. Im Rahmen einer Totalrevision des Geschäftsverkehrsgesetzes ist es jedoch angebracht, ein allgemeines Konsultationsrecht vorzusehen (Absatz 1).

Dadurch können auch unfruchtbare Diskussionen vermieden werden, ob nun eine Verordnung, zu der eine Kommission konsultiert werden will, dem Kriterium gemäss Artikel 47a Absatz 1 GVG entspricht oder nicht. Es ist durchaus davon auszugehen, dass die Kommissionen zu denjenigen Verordnungsentwürfen konsultiert werden wollen, bei denen sich komplexe Vollzugsfragen ankündigen. In der Praxis besteht also kaum ein Unterschied zu der am 22. Dezember 1999 beschlossenen Regelung.

So oder so werden die Kommissionen vor der Aufgabe stehen, eine sinnvolle Selektion derjenigen Verordnungen vorzunehmen, zu denen sie konsultiert werden wollen. Die SPK des Ständerates hat hier die Lösung darin gefunden, dass die zuständigen Kommissionen bei der Beratung eines Gesetzes- oder Bundesbeschlussentwurfes anmelden, wenn sie zu einem auf diesem Erlass basierenden Verordnungsentwurf konsultiert werden wollen. Damit nicht erfasst sind Verordnungen, die der Bundesrat nicht unmittelbar im Anschluss an den Erlass oder die
Änderung eines Gesetzes durch die Bundesversammlung erlässt oder ändert. In diesen Fällen wird der Bundesrat durch Absatz 2 verpflichtet, die von ihm geplanten Verordnungen der Bundesversammlung anzumelden. Die Kommissionen können dann auf Grund politischer Kriterien eine Auswahl der Verordnungen treffen, zu denen sie konsultiert werden wollen. Es liegt nicht im Interesse der Kommissionen, sich mit Detailfragen der Verordnungsgebung zu beschäftigen. Sie werden sich deshalb auf politisch heikle Verordnungen beschränken. Hier kann es durchaus auch im Interesse des Bundesrates sein, die Meinung des Parlamentes einzuholen.

3602

Das in Artikel 47a Absatz 3 GVG festgehaltene Akteneinsichtsrecht ist durch die allgemeinen Informationsrechte der Kommissionen (Art. 149) abgedeckt und braucht hier nicht mehr speziell erwähnt zu werden.

In seiner Stellungnahme zur parlamentarischen Initiative 96.456 hatte der Bundesrat grundsätzliche Bedenken gegenüber Artikel 47a GVG angemeldet, weil dieser seiner Ansicht nach eine unzulässige Vermischung der Kompetenzen der Gewalten mit sich bringe (BBl 1999 3413ff.). Die SPK haben schon bei verschiedenen Gelegenheiten zum Ausdruck gebracht, dass sie von einem moderneren Verständnis der Gewaltenteilung ausgehen, gemäss dem die Gewalten nicht strikte getrennt arbeiten, sondern die verschiedenen Behörden auf den jeweiligen Zuständigkeitsbereich der anderen einwirken können (ausführlicher: BBl 1999 2767f. und Ziff. 2.2 dieses Berichts). Die Räte teilen diese Auffassung der SPK, was sie mit der einstimmigen Annahme dieser Gesetzesänderungen gezeigt haben.

Art. 151

Information und Konsultation im Bereich der Aussenpolitik

Artikel 151 basiert auf Artikel 47bisa GVG, welcher als wesentlicher Bestandteil der Parlamentsreform betrachtet werden kann, welche von den eidgenössischen Räten am 4. Oktober 1991 verabschiedet worden ist. Die Beteiligung der Aussenpolitischen Kommissionen an der Vorbereitung von Verhandlungen des Bundesrates mit internationalen Partnern gehört mittlerweile zum Alltag dieser Kommissionen, welcher denn auch von einem intensiven Meinungsaustausch mit dem Bundesrat geprägt ist. Artikel 151 Absatz 1 bringt diese enge Zusammenarbeit zum Ausdruck.

Absatz 1 von Artikel 47bisa GVG wurde in Artikel 25 Absatz 1 den Aufgaben der Bundesversammlung zugeordnet.

Absatz 2 beinhaltet die Informationspflicht des Bundesrates. Die Aufzählung in Artikel 47bisa Absatz 2 GVG wird hier dahingehend zusammengefasst, dass der Bundesrat über «wichtige aussenpolitische Entwicklungen» zu informieren habe. Die für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen27 haben die Informationen an andere zuständige Kommissionen weiterzuleiten; eine Pflicht, die bisher bereits im GVG enthalten war (Artikel 47bisa Absatz 6 GVG). Die APK beider Räte hatten in ihrer Stellungnahme vom 15. Juni 2000 zum Vorentwurf des PG beantragt, auf diese Informationspflicht zu verzichten und dafür die Präsidien der APK zu ermächtigen, über die Weiterleitung von Informationen an andere zuständige Kommissionen zu entscheiden. Die SPK hat diesen Antrag einstimmig abgelehnt. Es geht nicht an, dass das Präsidium einer parlamentarischen Kommission über die Information einer anderen Kommission in deren Zuständigkeitsbereich verfügen darf. Im Übrigen beruht die Begründung der APK auf einer falschen Annahme. Die APK hatten befürchtet, durch die automatische Weiterleitung aller Informationen von den APKPlenarkommissionen an die zuständigen anderen Plenarkommissionen käme ein zu grosser Personenkreis in den Besitz von möglicherweise vertraulichen Informationen, was zur Folge hätte, dass der Informationsfluss aus Bundesrat und Verwaltung schmäler werden könnte. Die von der SPK gewählte Formulierung schliesst nun 27

Da die Aussenpolitischen Kommissionen (APK) wie die meisten anderen Kommissionen im 4. Titel «Organisation der Bundesversammlung» nicht aufgeführt werden, wird hier die allgemeine Formulierung «für die Aussenpolitik zuständige Kommissionen» gewählt.

Auf Grund der von den Ratsbüros festgelegten Zuständigkeitsbereiche ist klar, dass es sich dabei in der Regel um die APK handeln wird.

3603

aber keineswegs aus, dass vertrauliche Informationen zweckmässig behandelt werden. Artikel 149 Absatz 2 verpflichtet die Kommissionen, «geeignete Vorkehren für den Geheimnisschutz» zu treffen. Das kann bedeuten, dass bestimmte Informationen nur einer Subkommission oder sogar nur dem Präsidium zukommen.

Absatz 3 verpflichtet den Bundesrat, die Aussenpolitischen Kommissionen zu «wesentlichen Vorhaben» sowie zu den Richt- und Leitlinien von Verhandlungsmandaten für «bedeutende internationale Verhandlungen» zu konsultieren. Die Bestimmung beinhaltet insofern eine Ausweitung gegenüber Artikel 47bisa GVG Absatz 3, als dort nur von Verhandlungen in «internationalen Organisationen», also von multilateralen Verhandlungen, die Rede ist. Neu gilt die Konsultationspflicht also auch für Mandate bei bilateralen Verhandlungen sowie generell bei wesentlichen Vorhaben. Darunter kann auch so genanntes «soft law» fallen, also Verhandlungen über internationale Vereinbarungen wie zum Beispiel «Die Partnerschaft für den Frieden», mit welchen der Schweiz keine rechtlichen Verpflichtungen auferlegt werden, die aber für die internationale Stellung der Schweiz dennoch von wesentlicher Bedeutung sein können. Der Ausdruck «Konsultation» schliesst ein, dass die Kommissionen dem Bundesrat eine schriftliche oder mündliche Stellungnahme abgeben können; auf die entsprechende redundante Formulierung in Artikel 47bisa Absatz 4 GVG kann daher verzichtet werden.

Im 2. Satz von Absatz 3 ist zudem neu vorgesehen, dass der Bundesrat in dringlichen Fällen nur die Präsidien der Aussenpolitischen Kommissionen konsultieren kann. Mit dieser Bestimmung soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass im aussenpolitischen Bereich bisweilen äusserst rasch gehandelt werden muss. Die Konsultationspflicht soll den Handlungsspielraum der schweizerischen Aussenpolitik nicht einschränken.

Während Absatz 3 eine «Bringschuld» des Bundesrates stipuliert, sieht Absatz 4 ein «Zugsrecht» der Kommissionen vor. Die Kommissionen können verlangen, zu irgendeiner aussenpolitischen Frage konsultiert oder informiert zu werden. Absatz 5 von Artikel 47bisa GVG hingegen beschränkt dieses Recht auf bilaterale Verhandlungen. Absatz 4 stellt zudem klar, dass sowohl die Aussenpolitischen Kommissionen wie auch andere Kommissionen zuständig sein können.

Der Nationalrat
hatte übrigens am 20. Dezember 1999 der parlamentarischen Initiative 98.425 (Zbinden) Folge gegeben, welche im Wesentlichen eine bessere demokratische Abstützung der Vertretungen der Schweiz in allen internationalen Organisationen verlangt. Mit der Neuformulierung von Artikel 47bisa GVG, wie sie hier in Artikel 147 vorgeschlagen wird, ist diesem Anliegen insofern Rechnung getragen, als die Konsultationspflicht des Bundesrates erweitert wurde und die Kommissionen verlangen können, zu allen aussenpolitischen Belangen konsultiert zu werden. Die Initiative Zbinden ist der APK des Nationalrates zugeteilt worden. Die APK hat mit Schreiben vom 15. Juni 2000 die SPK gebeten, die Initiative mit ihrem Bericht zum Parlamentsgesetz zur Abschreibung zu beantragen.

Art. 152

Informationsrechte der Aufsichtskommissionen

Die Informationsrechte der Aufsichtskommissionen entsprechen einerseits den Informationsrechten der Kommissionen in Artikel 149, gehen anderseits aber insofern weiter, als die Aufsichtskommissionen mit den Behörden und anderen Trägern von Aufgaben des Bundes direkt verkehren können (Abs. 1). Die Informationsrechte der 3604

Aufsichtskommissionen sind auf den Oberaufsichtsbereich beschränkt, dessen Umfang durch Artikel 27 bestimmt wird. Gemäss Artikel 149 Absatz 1 Buchstabe b haben die Aufsichtskommissionen keinen Anspruch auf Informationen, die der unmittelbaren Entscheidfindung des Bundesrates dienen und im Interesse des Staatsschutzes und der Nachrichtendienste geheim zu halten sind. Der Antrag für ein unbeschränktes Informationsrecht der Aufsichtskommissionen ist im Rahmen der Totalrevision der BV von beiden Räten abgelehnt worden ist. Gemäss Absatz 2 können die Aufsichtskommissionen zusätzlich zu den in Artikel 149 Absatz 1 aufgezählten Informationsrechten von Amtsstellen und Personen von ausserhalb der Bundesverwaltung Auskünfte einholen und Unterlagen erhalten (Art. 47quater Abs. 3bis GVG; vgl. BBl 1992 VI 494f.).

Der direkte Verkehr der Aufsichtskommissionen mit der Bundesverwaltung und mit den anderen Trägern von Aufgaben des Bundes bedingt, dass der Bundesrat informiert wird, wenn ihm unterstellte Personen befragt oder wenn Unterlagen verlangt werden. Eine entsprechende Pflicht der Aufsichtskommissionen wird in Absatz 3 festgehalten. Der Bundesrat kann dabei verlangen, dass er vor der Befragung oder der Herausgabe der Unterlagen angehört wird. Dieses Verfahren entspricht der Praxis, die sich aus Artikel 47quater GVG entwickelt hat. Besteht zwischen den Aufsichtskommissionen und dem Bundesrat Uneinigkeit, so entscheiden im Gegensatz zu Artikel 149 die Aufsichtskommissionen selber darüber, in welchem Umfang sie ihre Informationsrechte ausüben wollen (Absatz 4). Vorbehalten bleiben die Informationen gemäss Artikel 149 Absatz 1 Buchstabe b, auf welche die Aufsichtskommissionen keinen Anspruch haben. Die GPK beider Räte begrüssen in ihrer Stellungnahme vom 30. Mai 2000 dieses Verfahren zur Durchsetzung der Informationsrechte: «Der Kontrollierende und nicht der Kontrollierte muss bestimmen können, welche Informationen er für die Ausübung der Oberaufsicht benötigt und auf welche Weise er seinen Informationsanspruch geltend macht.» Genügen den Aufsichtkommissionen ihre Informationsrechte zur Ausübung ihrer Aufgaben nicht, so können sie nach Absatz 5 wie nach bisherigem Recht ihre Delegationen beauftragen, einen bestimmten Sachverhalt abzuklären (Art. 47quinquies Abs. 3 GVG). Wie die anderen Kommissionen sind die
Aufsichtskommissionen verpflichtet, geeignete Vorkehrungen zu treffen, wenn sie Informationen erhalten, die nicht für einen grösseren Kreis von Geheimnisträgern und Geheimnisträgerinnen bestimmt sind. Sie können wie nach Artikel 149 Absatz 2 eine ihrer Subkommissionen oder in besonderen Fällen ihre Delegationen beauftragen, die Informationen zu prüfen.

Art. 153

Informationsrechte der Delegationen der Aufsichtskommissionen

Absatz 1 wiederholt Artikel 169 Absatz 2 BV, wonach die Aufsichtsdelegationen umfassend Einsicht in alle Unterlagen des Bundesrates und der Bundesverwaltung nehmen dürfen. Durch diesen verfassungsmässigen Anspruch erhalten die Geschäftsprüfungsdelegation und die Finanzdelegation die gleichen Informationsrechte. Die Schranken des heute geltenden GVG gegenüber den Informationsrechten der Geschäftsprüfungsdelegation entfallen. Sie können neu auch Einsicht in die hängigen Geschäfte des Bundesrates und in die Meldungen ausländischer Amtsstellen nehmen. Die anders lautenden Bestimmungen von Artikel 47quinquies Absatz 4 und 5 GVG widersprechen Artikel 169 Absatz 2 BV. Die Finanzdelegation erhält neu das Recht, Personen (Personen im Dienst des Bundes oder der Kantone sowie Privatper3605

sonen) als Zeuginnen und Zeugen einzuvernehmen; ein Recht, das bis anhin nur der Geschäftsprüfungsdelegation und den parlamentarischen Untersuchungskommissionen vorbehalten war. Absatz 2 konkretisiert unter Bezugnahme auf die allgemeinen Informationsrechte in Artikel 149 und den Informationsrechten der Aufsichtskommissionen in Artikel 152 diese Angleichung der Informationsrechte. Die Aufsichtsdelegationen erhalten ein Handlungsinstrumentarium wie die parlamentarischen Untersuchungskommissionen. Sie können deshalb, wie beispielsweise der Fall Bellasi zeigte, dafür eingesetzt werden, konkrete Untersuchungen durchzuführen oder aber Vorabklärungen zu treffen, ob die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission sich rechtfertigt. Für solche Aufgaben können beide Delegationen eingesetzt werden, je nachdem, ob finanzpolitische Aspekte oder die Geschäftsführung bei einer Untersuchung im Vordergrund stehen. Absatz 3 gleicht den Inhalt von Artikel 50 Absatz 7 GVG der Praxis an. Die Finanzdelegation erhält schon heute alle Beschlüsse des Bundesrates und alle Mitberichte der Departemente und nicht nur die finanzrelevanten Beschlüsse, wie in Artikel 50 Absatz 7 GVG vorgesehen.

Art. 154

Befragung und Zeugeneinvernahme durch die Delegationen der Aufsichtskommissionen

Die Aufwertung der Aufsichtsdelegationen führt dazu, dass die PUK nur bei Vorkommnissen von grosser politischer Tragweite eingesetzt wird und die Aufsichtsdelegationen für alle übrigen Fälle zuständig sind. Die Befragung oder Zeugeneinvernahme durch die Aufsichtsdelegationen verlangt eine Regelung der Stellung der betroffenen Personen im Verfahren. Bis anhin wurde auf die Bestimmungen der PUK verwiesen. Die Bestimmung über die Stellung der Personen im Verfahren finden aber auch Anwendung auf die Bestimmungen über die Informationsrechte der anderen Kommissionen, so dass sie systematisch richtigerweise in diesem Kapitel eingeordnet werden müssen. Artikel 154 regelt das Vorgehen der Befragung und Zeugeneinvernahme. Er entspricht dem geltenden Artikel 60 GVG. Auskunftspersonen können jederzeit die Aussage verweigern. Ein Zeugnisverweigerungsrecht besteht dagegen nur, wenn die Zeugin oder der Zeuge sich durch eine Aussage der Gefahr einer Strafverfolgung oder der Verletzung eines Berufsgeheimnisses nach Artikel 321 Ziffer 1 StGB aussetzen würde (Art. 42 Abs. 1 BZPO). Unter Artikel 321 StGB fallen z.B. die Berufsgeheimnisse von Geistlichen, Rechtsanwälten oder Ärzten u.a.

Art. 155

Stellung von Personen im Dienst des Bundes

Artikel 155 entspricht dem geltenden Artikel 61 GVG. Die Stellung von Personen im Dienst des Bundes im Verfahren wurde dahingehend konkretisiert, dass sie bei Befragungen nicht nur wahrheitsgemäss auf Fragen antworten müssen, sondern selbstständig den Aufsichtsdelegationen umfassend Auskunft zu geben haben. Die Personen im Dienste des Bundes können das Zeugnisverweigerungsrecht gemäss Artikel 42 Absatz 1 Buchstabe a des Zivilprozesses sinngemäss geltend machen.

Danach können sie eine Auskunft nur dann verweigern, wenn sie sich selber oder die in Artikel 42 Absatz 1 Buchstabe a des Zivilprozesses bezeichneten nahen Angehörigen einer Strafverfolgung aussetzen. Sie können nicht geltend machen, dass sie einem Amtsgeheimnis oder einem militärischen Geheimnis unterstehen. Diese Pflicht zur wahrheitsgemässen Auskunftserteilung entspricht der Stellung einer Pri3606

vatperson bei der Zeugeneinvernahme. Mit einer Befragung einer Person im Dienst des Bundes können deshalb die gleichen Resultate erzielt werden, sodass eine Zeugeneinvernahme nicht nötig wird. Der Text in Artikel 155 wurde diesbezüglich angepasst. Absatz 3 bietet den Personen im Dienste des Bundes einen Schutz, damit sie über allfällige Missstände unbehelligt von internen Sanktionen durch ihre Vorgesetzten oder Disziplinarverfahren vor den Aufsichtskommissionen aussagen können.

Insofern dient dieser Schutz auch dazu, dass die Aufsichtskommissionen ihre Kontrolltätigkeit ohne Beeinflussung durch die internen Verwaltungsabläufe wahrnehmen können. Absatz 4 entspricht Artikel 47bis Absatz 4 GVG. Er enthält eine Definition des Begriffes «Personen im Dienste des Bundes».

Art. 156

Stellungnahme der betroffenen Behörde

Artikel 156 verankert eine von den Geschäftsprüfungskommissionen bereits praktizierte Gewohnheit. Bevor diese über Mängel in der Geschäftsführung des Bundesrates Bericht erstatten, geben sie diesem Gelegenheit zur Stellungnahme. Dieser Praxis liegt die Auffassung zu Grunde, dass Oberaufsicht auf einem Dialog zwischen beaufsichtigender und beaufsichtigter Behörde basiert. Das Gleiche gilt auch für die Oberaufsicht im Bereich des Finanzhaushaltes. Dieser Anspruch auf «rechtliches Gehör» wurde hier deshalb für den gesamten Bereich der Oberaufsicht verankert.

Art. 157

Empfehlung an die verantwortliche Behörde

Empfehlungen stellen ein wichtiges Instrument im Bereich der parlamentarischen Oberaufsicht dar. Da im Rahmen der Oberaufsicht Entscheide nicht aufgehoben oder geändert werden dürfen (vgl. Art. 27 Abs. 4), bleibt den Aufsichtskommissionen nur die Möglichkeit, an die politisch verantwortliche Behörde eine entsprechende Empfehlung zu richten. Angesichts der Bedeutung des Instruments ist dessen gesetzliche Verankerung gerechtfertigt, zumal dadurch auch die Informationspflicht des Bundesrates bezüglich der Umsetzung (Abs. 2) festgehalten werden kann. Durch die Veröffentlichung der Empfehlungen und der bundesrätlichen Stellungnahmen (Abs. 3) wird Transparenz hergestellt, was eines der Ziele der Oberaufsicht ist. Die Empfehlung wird hier als Instrument verankert, welches im ganzen Bereich der Oberaufsicht, also auch bei der Finanzaufsicht, Anwendung findet.

3. Kapitel: Vertretung des Bundesrates in der Bundesversammlung In diesem Kapitel werden die geltenden Bestimmungen des GVG (Art. 65bis­65quater GVG) übernommen, sprachlich überarbeitet, präzisiert und an die Praxis angepasst.

Art. 158

Teilnahme des Bundesrates an den Ratsverhandlungen

In Absatz 1 wird präzisiert, dass in der Regel der Vorsteher oder die Vorsteherin desjenigen Departementes an den Verhandlungen teilnimmt, in dessen Geschäftsbereich der Beratungsgegenstand gehört. Mit dieser Ergänzung wird ermöglicht, dass die Räte ausnahmsweise auch ohne die Anwesenheit des Bundesrates gültig tagen können. Ob dies möglich ist oder nicht, war in der Vergangenheit umstritten. In aller Regel wird die Anwesenheit des Bundesrates im gegenseitigen Interesse liegen, 3607

Ausnahmen müssen jedoch möglich sein. Weiter ist auch klar, dass beispielsweise zwei Mitglieder des Bundesrates anwesend sein können.

Absatz 2 übernimmt das geltende Recht, wonach das Wort an Personen im Dienste des Bundes oder an Sachverständige erteilt werden kann, wenn besondere fachtechnische Kenntnisse erforderlich sind. Von dieser Möglichkeit ist bisher nur einmal Gebrauch gemacht worden (siehe AB 1986 N 1301; S 1987 178).

Art. 159

Teilnahme des Bundesrates an den Kommissionssitzungen

Gemäss Absatz 1 nimmt in der Regel ein Mitglied des Bundesrates bei der Behandlung von Beratungsgegenständen, die der Bundesrat eingebracht hat oder zu welchen er Stellung genommen hat, an den Kommissionssitzungen teil. Diese Regelung entspricht der heutigen Praxis. So ist zum Beispiel bei der Vorprüfung einer parlamentarischen Initiative kein Mitglied des Bundesrates in der Kommission vertreten.

Art. 160

Teilnahme der Bundeskanzlerin oder des Bundeskanzlers

Diese Regelung entspricht dem geltenden Recht (Art. 65quater GVG).

8. Titel: Verkehr zwischen der Bundesversammlung und dem Bundesgericht Art. 161 Der Verkehr zwischen der Bundesversammlung und dem Bundesgericht führt nach geltendem Recht hauptsächlich über den Bundesrat. Der Voranschlag oder der Geschäftsbericht des Bundesgerichtes wird in der Bundesversammlung durch den Bundesrat vertreten. Auch der Einbezug des Bundesgerichts in die gesetzgeberischen Vorarbeiten wird grundsätzlich durch den Bundesrat hergestellt. Nur im Rahmen der Oberaufsicht verkehren die Aufsichtskommissionen direkt mit dem Bundesgericht.

Die von Volk und Ständen am 12. März 2000 angenommene Justizreform begründet in Artikel 188 Absatz 3 die administrative Verselbstständigung des Bundesgerichts.

Dies hat zur Folge, dass in allen Bereichen die Bundesversammlung direkt mit dem Bundesgericht verkehrt. Die Beziehung zwischen Parlament und Bundesgericht ist geprägt vom Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit. Danach darf ein anderes staatliches Organ nicht in die Rechtsprechung des Bundesgerichts eingreifen. Der Verkehr zwischen der Bundesversammlung und dem Bundesgericht ist deshalb im Wesentlichen auf die Aufgaben der Bundesversammlung im Bereich der Oberaufsicht und der Gesetzgebung beschränkt. Absätze 1­4 konkretisieren dieses Verhältnis. Unter dem Begriff «Bundesgericht» wird sowohl das Bundesgericht in Lausanne als auch das Eidgenössische Versicherungsgericht in Luzern zusammengefasst.

Der in Absatz 1 statuierte generelle Verweis auf den Geschäftsverkehr mit dem Bundesrat macht eine Wiederholung der verschiedenen Verfahrensvorschriften überflüssig. Anzufügen ist, dass die im Kapitel über den Verkehr der Kommissionen mit dem Bundesrat geregelten Informationsrechte gegenüber dem Bundesgericht (Buchstabe c) nur so weit gehen, als diese Rechte zur Wahrnehmung der jeweiligen Aufgaben der Kommissionen dienen (Art. 149, 152, 153). Die Informationsrechte können nur in dem Umfang wahrgenommen werden, wie es die Oberaufsichtsfunktion 3608

der Bundesversammlung über das Bundesgericht zulässt (vgl. dazu den Kommentar zu Art. 27). In Buchstabe d wird auf die Bestimmungen über die parlamentarische Untersuchungskommission verwiesen. Die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission auf Grund von politischen Ereignissen beim Bundesgericht ist bis heute noch nie vorgekommen. Eine sinngemässe Anwendung dieser Normen dient der Vollständigkeit.

Absatz 2 regelt die Vertretung des Bundesgerichts in der Bundesversammlung. Die Bestimmung ist offen formuliert, sodass das Bundesgericht selber regeln kann, welches Mitglied des Bundesgerichtes diese Funktion wahrnimmt. Absatz 3 ermöglicht den Vertreterinnen und Vertretern des Bundesgerichts, sich in den Kommissionssitzungen durch eine Person im Dienst des Bundes begleiten oder sogar vertreten zu lassen. Dies trägt der inneren Organisation des Bundesgerichts Rechnung, nach der das Generalsekretariat mit der administrativen Geschäftsführung im Detail betraut ist. In Absatz 4 wird einem Anliegen des Bundesgerichts Rechnung getragen. Der Einbezug des Bundesgerichts in den Gesetzgebungsprozess wird heute durch den Bundesrat hergestellt. Diese Situation ist vor allem dann störend, wenn der Bundesrat andere Interessen verfolgt als das Bundesgericht. Zudem werden die Departementsvorsteherinnen und -vorsteher immer zu Kommissionssitzungen eingeladen, wenn ein Projekt ihr Departement betrifft. Die Kommissionen kennen bei den Gesetzesprojekten, die das Bundesgericht betreffen, keine solch strikte Praxis. Absatz 4 soll deshalb den Einbezug des Bundesgerichts in den Gesetzgebungsprozess auf Parlamentsstufe sicherstellen.

9. Titel: Parlamentarische Untersuchungskommission Angesichts der politischen Bedeutung der Parlamentarischen Untersuchungskommission werden deren Organisation und Verfahren in einem separaten Titel geregelt.

Die geltenden Bestimmungen über das Verfahren der Parlamentarischen Untersuchungskommission (Art. 55­65 GVG) wurden weitgehend übernommen, denn die bisherigen Anwendungsfälle (89.006 Vorkommnisse im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement, PUK EJPD; 90.022 Vorkommnisse im Militärdepartement, PUK EMD; 95.067 Parlamentarische Untersuchungskommission betreffend Pensionskasse des Bundes, PUK PKB) haben gezeigt, dass sich das Verfahren in der Praxis grundsätzlich bewährt hat. Sowohl die PUK EMD als auch die PUK PKB haben bei einigen Detailfragen gesetzgeberischen Handlungsbedarf festgestellt und entsprechende parlamentarische Initiativen eingereicht. Als Folge der PUK EMD wurde geregelt, welche Verfahren während der Untersuchung nur mit Zustimmung der PUK wieder angehoben oder weitergeführt werden dürfen (90.266 Pa. Iv. PUK EMD 90.022 Geheimhaltung. Oberaufsicht des Parlamentes). Nach der PUK EJPD und der PUK EMD wurde eine Präzisierung und Verbesserung der Rechte der betroffenen Personen im PUK-Verfahren verlangt. Die Rechte der betroffenen Personen wurden dann als Folge einer von Nationalrat Bonny eingereichten parlamentarischen Initiative verbessert und präzisiert (90.273 Pa. Iv. Rechtsschutz der Betroffenen im PUK-Verfahren). Die PUK PKB forderte mittels einer parlamentarischen Initiative eine gesetzliche Regelung für den Einsatz von Sachverständigen zur Beweisaufnahme und eine gesetzliche Verankerung der Pflicht zur Verschwiegenheit aller Beteiligten in einem PUK-Verfahren (96.446/96.451 Pa. Iv. Kommission 95.067-SR/NR. Einsatz von Sachverständigen und Pflicht zur Verschwiegenheit in 3609

PUK-Verfahren). Beide Anliegen werden im Rahmen der vorliegenden Revision verwirklicht (vgl. Art. 165 und 168).

Eine Neuerung gegenüber dem geltenden Recht ist die Einsetzung einer gemeinsamen Parlamentarischen Untersuchungskommission beider Räte (vgl. Kommentar zu Art. 162).

Das Verfahren der PUK darf nicht zu detailliert geregelt werden, denn jede PUK bedarf eines gewissen Handlungsspielraumes, um ihren Auftrag zu erfüllen. Die Erfahrung zeigt, dass jede PUK vor neuen Problemen steht, die einer sachgerechten Lösung bedürfen. Wichtig ist der Grundsatz, dass eine Untersuchungskommission kein Strafgericht und auch keine Disziplinarbehörde ist. Die PUK würdigt ein Verhalten nicht nach straf- oder disziplinarrechtlichen Gesichtspunkten, sondern unter politischen Gesichtspunkten. Da es sich bei der PUK um ein politisches Gremium handelt, darf sich ein PUK-Verfahren auch nicht zu stark an das Prozessrecht anlehnen.

Andererseits darf nicht vergessen werden, dass auf Grund eines PUK-Verfahrens zwar keine Sanktionen drohen, dass aber die Ergebnisse einer Untersuchungskommission eine betroffene Person nicht weniger schwer treffen können als ein Strafoder Disziplinarurteil. Im Verfahren einer PUK geht es daher immer um die Abwägung zwischen dem Rechtsschutz der Betroffenen und dem öffentlichen Interesse am Untersuchungsergebnis.

Art. 162

Aufgabe und Einsetzung

Gegenstand einer PUK können all jene Bereiche sein, bei denen der Bundesversammlung eine Oberaufsichtsfunktion gemäss Artikel 27 zukommt. Gemäss Wortlaut des geltenden Rechts (Art. 55 GVG) kann eine PUK nur eingesetzt werden für Vorkommnisse in der Bundesverwaltung. Neu werden die Träger von Bundesaufgaben erwähnt, auf welche sich eine Untersuchung beziehen könnte. Dazu gehören der Bundesrat, die Bundesverwaltung, die eidgenössischen Gerichte und andere Träger von Bundesaufgaben (vgl. Kommentar zu Art. 27).

Gemäss geltendem Recht setzt jeder Rat eine Untersuchungskommission ein (Art. 55 Abs. 1 GVG). Das Gesetz gibt den zwei Untersuchungskommissionen die Möglichkeit, sich für die Arbeiten und die Berichterstattung zusammenzuschliessen (Art. 57 GVG). In der Vergangenheit wurde von dieser Möglichkeit immer Gebrauch gemacht und beide Untersuchungskommissionen arbeiteten faktisch wie eine einzige Kommission. In Absatz 1 wird vorgeschlagen, dass die Bundesversammlung eine gemeinsame Untersuchungskommission beider Räte einsetzt. Damit wird die bisherige Praxis gesetzlich verankert. Die nach geltendem Recht theoretisch mögliche getrennte Vorgehensweise der PUK beider Räte würde gravierende Koordinationsprobleme aufwerfen und würde das politische Durchsetzungsvermögen der PUK gegenüber der untersuchten Behörde nachhaltig schwächen.

Die Einsetzung erfolgt durch einen einfachen Bundesbeschluss, der nicht nur den Auftrag der Untersuchungskommission, sondern auch die finanziellen Mittel festlegt. Bei der Festlegung der Höhe der finanziellen Mittel ist insbesondere der Personalbedarf zu berücksichtigen.

3610

Art. 163

Organisation

Absatz 1 legt fest, dass sich eine Untersuchungskommission aus gleich vielen Mitgliedern jedes Rates zusammensetzt. Gemäss Absatz 2 werden die Mitglieder vom jeweiligen Büro und das Präsidium von der Koordinationskonferenz gewählt (vgl.

Art. 43 Abs. 1 und 2). Für die Art und Weise der Beschlussfassung wird wie bisher auf die Regeln der Einigungskonferenz verwiesen (Art. 92 Abs. 1 und 2). Danach beschliesst eine Untersuchungskommission mit der Mehrheit ihrer stimmenden Mitglieder. Eine PUK ist nur beschlussfähig, wenn die Mehrheit der Mitglieder jedes Rates anwesend ist. Die Beschlussfähigkeit ist vor der Beschlussfassung festzuhalten.

In Absatz 3 wird die bisherige Praxis verankert. Danach verfügt eine PUK über ein eigenes Sekretariat. Das Personal wird entweder von den Parlamentsdiensten zur Verfügung gestellt oder es wird von der PUK selber angestellt. Das Personal der Parlamentsdienste bleibt administrativ seiner Wahlbehörde unterstellt, fachlich untersteht es aber der PUK. Der Beizug der Bundesverwaltung wird in Artikel 68 geregelt.

Art. 164

Verfahren

Dieser Artikel entspricht dem geltenden Recht (Art. 58 Abs. 1, 3 und 4 GVG).

Art. 165

Informationsrechte

Gemäss Absatz 1 hat die PUK für die Erfüllung ihres Auftrages die gleichen Informationsrechte wie die Aufsichtsdelegationen (vgl. Kommentar zu Art. 153ff.).

Als Folge der PUK PKB wurde in beiden Räten einer parlamentarischen Initiative (vgl. 96.446/96.451 AB 1996 N 2270; S 1042) Folge gegeben, welche fordert, dass «der Einsatz von Sachverständigen zur Beweisaufnahme im Auftrag einer Parlamentarischen Untersuchungskommission geregelt wird, indem die Befugnisse der Sachverständigen und die Pflichten der Befragten diesen gegenüber umschrieben werden». Absatz 2 verankert das Recht einer Untersuchungskommission, für den Einzelfall einen Untersuchungsbeauftragten für die Beweiserhebung einzusetzen.

Die Untersuchungsbeauftragten arbeiten gemäss Auftrag und Weisung der Kommission. Die Untersuchungsbeauftragten sind zu unterscheiden von den Sachverständigen. Die Sachverständigen teilen nur Feststellungen oder Schlussfolgerungen mit, tätigen aber keine eigenen Ermittlungen oder nehmen keine Wertungen vor. Das Recht auf den Beizug von Sachverständigen haben alle Kommissionen (vgl.

Art. 45). Das stärkste Informationsmittel, die Zeugeneinvernahme, kann die Untersuchungskommission gemäss Absatz 3 nicht an die Untersuchungsbeauftragten delegieren. Diese dürfen Personen nur als Auskunftspersonen befragen. Personen, die von einem Untersuchungsbeauftragten befragt werden, haben das Recht, die Antworten auf alle Fragen oder auf einen Teil der Fragen sowie die Übergabe von Unterlagen zu verweigern. (vgl. Abs. 4).

Art. 166­167

Stellung des Bundesrates / Rechte der Betroffenen

Die Bestimmungen über die Stellung des Bundesrates und über die Rechte der Betroffenen wurden aus dem geltenden Recht übernommen (Art. 62 und 63 GVG). Sie

3611

wurden mit dem Bundesgesetz vom 10. Oktober 1997 revidiert und sind am 1. März 1998 in Kraft getreten. Ob sich diese Neuerungen und Präzisierungen bewährt haben, kann noch nicht beurteilt werden, denn die PUK PKB arbeitete noch nach altem Recht.

Art. 168

Schweigepflicht

Dieser Artikel verwirklicht das zweite Anliegen der PUK PKB. Gefordert wurde die Schaffung einer klaren gesetzlichen Grundlage, welche Personen, die durch die PUK befragt werden, zur absoluten Verschwiegenheit verpflichtet. Auch die Vorgesetzten eines von der Kommission befragten Bediensteten dürfen von ihren Untergebenen über den Inhalt der Befragung oder über Dokumentationsbegehren nicht informiert werden. Diese absolute Schweigepflicht gilt nicht gegenüber dem Bundesrat, seiner Vertreterin oder seinem Vertreter oder der Verbindungsperson (vgl. Art. 166). Bei der Beratung der Parlamentarischen Initiative der PUK PKB im Ständerat (vgl.

AB 1996 S 1042) wurde darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, klar festzulegen, für welche Dauer diese absolute Schweigepflicht gilt. Einer betroffenen Person soll nicht die Möglichkeit genommen werden, sich nach der Veröffentlichung des Berichtes zu rechtfertigen. Nach Abschluss der Arbeiten gelten daher die allgemeinen Bestimmungen über die Vertraulichkeit (vgl. Art. 9, 47, GRN Art. 27 und GRS Art. 20).

In Absatz 3 wird neu festgelegt, dass über Akteneinsichtsgesuche während der Schutzfrist die Präsidentin oder der Präsident und die Vizepräsidentin oder der Vizepräsident der PUK oder nach deren Ausscheiden die Präsidentin oder der Präsident und die Vizepräsidentin oder der Vizepräsident der Geschäftsprüfungsdelegation entscheiden. Diese Regelung entspricht der geltenden mit der Ausnahme, dass nach dem Ausscheiden des Präsidiums der PUK aus dem Rat nicht die jeweiligen Präsidentinnen oder Präsidenten der Geschäftsprüfungskommissionen entscheiden, sondern das Präsidium jenes Gremiums, das die gleichen Informationsrechte hat wie die PUK.

Art. 169

Falsches Zeugnis, falsches Gutachten

Dieser Artikel entspricht dem geltenden Recht (vgl. Art. 64 GVG).

Art. 170

Wirkung auf andere Verfahren und Abklärungen

Artikel 170 regelt die Wirkung, welche die Einsetzung einer PUK auf die Arbeiten anderer Kommissionen oder auf zivil- und verwaltungsgerichtliche Verfahren, Strafverfahren oder Verwaltungsverfahren hat. Dieser Artikel entspricht mit einer Ausnahme dem geltenden, erst kürzlich revidierten Recht (vgl. Bundesgesetz vom 6. Oktober 1995, in Kraft seit 1. März 1996). Mit der Revision von 1995 wurde unter anderem eingeführt, dass gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren, Disziplinarverfahren oder Administrativuntersuchungen des Bundes, die Sachverhalte betreffen, welche Gegenstand parlamentarischer Untersuchungen sind oder waren, nur mit Ermächtigung der PUK eingeleitet oder weitergeführt werden dürfen (vgl. Art. 65 Abs. 3 GVG). Der Entwurf sieht nun in Artikel 170 Absatz 3 vor, dass diese Ermächtigung für gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren nicht mehr notwendig sein soll. Beim gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren handelt es sich um ein Verwaltungsverfahren, das der richterlichen Voruntersuchung vorgelagert ist. Durchge3612

führt wird es von der Bundesanwaltschaft oder der gerichtlichen Polizei. Vor allem bei heiklen Fällen (z.B. organisierte Kriminalität) ist es nach Ansicht der Kommission wichtig, dass die Ermittlungsbehörden ohne vorgängige Ermächtigung einer PUK rasch handeln können, um zu verhindern, dass Beweismittel verschwinden oder dass die absolute Verjährung zum Problem werden könnte.

Eine Minderheit der Kommission beantragt, am geltenden Recht festzuhalten. Sie weist darauf hin, dass es sich beim gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren ebenfalls um ein Verwaltungsverfahren handle, das sich qualitativ nur wenig von einer personalrechtlichen Untersuchung (Disziplinarverfahren) oder einer Administrativuntersuchung unterscheide. Alle Verwaltungsverfahren müssen ihrer Ansicht nach gleich behandelt werden. Die Minderheit gibt zu bedenken, dass eine PUK eingesetzt wird, wenn schwerwiegende Vorkommnisse in Bundesrat und Verwaltung untersucht werden müssen. Die Bundesanwaltschaft ist Teil dieser Verwaltung; ihre Tätigkeit könnte selbst zum Gegenstand der Untersuchung werden. Es geht nach Ansicht der Minderheit nicht an, dass die Untersuchungen einer PUK durch parallel durchgeführte Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft behindert werden könnten. Besteht keine derartige Gefahr, so wird eine PUK ohne zeitlichen Verzug die Ermächtigung zur Weiterführung des Verfahrens erteilen. Um dem Strafanspruch des Staates gerecht zu werden, können die strafrechtlichen Ermittlungen in jedem Fall nach Abschluss der Arbeiten einer PUK ohne Bewilligung wieder aufgenommen werden.

10. Titel: Schlussbestimmungen Art. 171

Aufhebung bisherigen Rechts

Das vorliegende Gesetz stellt eine Totalrevision des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG) vom 23. März 1962 dar. Die im GVG enthaltenen Bestimmungen wurden überarbeitet, zum Teil völlig neu formuliert, ergänzt und systematisch neu geordnet.

Das GVG kann somit aufgehoben worden.

Ebenfalls aufgehoben werden kann das «Dekret der Bundesversammlung betreffend den von den obersten Bundesbehörden zu leistenden Amtseid» vom 15. November 1848, da dessen Inhalt durch Artikel 3 des Parlamentsgesetzes abgedeckt ist.

Schliesslich ist auch das Bundesgesetz über die politischen und polizeilichen Garantien vom 26. März 1934 (GarG) aufzuheben. Die darin enthaltenen Bestimmungen betreffend die Mitglieder der Bundesversammlung wurden in das Parlamentsgesetz integriert (Art. 1­3, 13, 13a GarG). Sinnvollerweise werden die Bestimmungen, welche Regierung und Justiz betreffen, ebenfalls in die jeweiligen Spezialgesetze aufgenommen. Kommt hinzu, dass das Garantiegesetz unnötig gewordene Regelungen enthält und sprachlich veraltet ist. Auch die neue Bundesverfassung bedingt einige Anpassungen des Garantiegesetzes. Die sich hier bietende Gelegenheit soll genutzt werden, um diese Anpassungen vorzunehmen und obsolet gewordene Bestimmungen aufzuheben. Die verbleibenden Bestimmungen sind sprachlich überarbeitet in die entsprechenden Spezialgesetze zu integrieren. Konkret heisst dies, dass die Bestimmungen betreffend Mitglieder des Parlamentes in das Parlamentsgesetz, diejenigen betreffend die Mitglieder der Regierung ins Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (RVOG), und diejenigen betreffend die Mitglieder der Justiz ins 3613

Bundesrechtspflegegesetz (OG) übernommen werden. Die Bestimmung betreffend die Bundesgerichtsbarkeit bei bestimmten Vergehen gegen Behördenmitglieder wird im Strafgesetzbuch (StGB) weitergeführt. Nicht wieder aufgenommen wurden Artikel 6, 7 und 15 GarG. Der in Artikel 6 festgehaltene Sonderstraftatbestand muss nicht ins StGB überführt werden, da ein entsprechendes Verhalten als Freiheitsberaubung nach Artikel 183 Ziffer 1 StGB zu qualifizieren ist. Auf die Ungültigerklärung von Strafverfolgungshandlungen gemäss Artikel 7 GarG soll verzichtet werden. Die Strafverfolgungsbehörde soll die Möglichkeit haben, unaufschiebbare Untersuchungshandlungen vorzunehmen. Die Parteirechte und allfälligen Beweisverwertungsverbote bieten einen ausreichenden Schutz. Artikel 15 GarG widerspricht Artikel 157 BV, welcher die Kompetenzen der Vereinigten Bundesversammlung abschliessend regelt. Bei Streitigkeiten zwischen Bund und Kantonen kann gemäss Artikel 83 bzw. 116 OG beim Bundesgericht geklagt werden.

Art. 172

Änderung bisherigen Rechts

1. Bundesgesetz über die politischen Rechte (BPR) Artikel 18 BPR entspricht Artikel 16 PG (Vorgehen bei Bestehen einer Unvereinbarkeit) und kann somit aufgehoben werden. Das Vorgehen bei Bestehen einer Unvereinbarkeit hat einen engen inhaltlichen Bezug zur gesetzlichen Regelung der Unvereinbarkeitsgründe und soll deshalb im gleichen Erlass geregelt sein. Für die Regelung der Unvereinbarkeiten mit einem Parlamentsmandat ist das Parlamentsgesetz der richtige Erlass.

Bisher nicht im Gesetz geregelt war die Konstituierung des Nationalrates. Bloss auf Verordnungsstufe, d.h. in Artikel 3 Absatz 2 des Geschäftsreglementes des Nationalrates ist festgehalten, dass der Rat konstituiert ist, sobald die Wahl von wenigstens zwei Dritteln der Mitglieder gültig erklärt ist. Es handelt sich hier um eine wichtige Bestimmung im Sinne von Artikel 164 BV, ist doch die Konstituierung Voraussetzung dafür, dass der Rat überhaupt verhandeln kann. Die Bestimmung ist deshalb auf Gesetzesstufe zu heben. Sie könnte sowohl dem Wahlrecht wie dem Parlamentsrecht zugeordnet werden. Auf Grund des engen Konnexes zur Wahlprüfung wurde sie in Artikel 53 Absatz 1 des BPR aufgenommen.

Im Rahmen der Regelung der Aufgaben der Redaktionskommission (vgl. Art. 56 bis 59 PG) wurden auch die Auswirkungen der Korrektur eines Erlasses auf die Referendumsfrist diskutiert. Es hat sich dabei gezeigt, dass die Änderung von Artikel 59 BPR vom 21. Juni 1996 nicht als zweckmässig zu beurteilen ist. Die Bestimmung sieht vor, dass in Bezug auf die Frist für die Unterschriftensammlung für ein Referendum die letzte amtliche Veröffentlichung massgebend ist. Dies bedeutet, dass die Referendumsfrist mit jedem Publikationskorrigendum gleich welcher Intensität wieder neu beginnt. Solche Formenstrenge geht weit über das hinaus, was auch das Bundesgericht als angemessen ansieht (VPB 53.19). Es genügt, die Referendumsfrist in dem von einer Korrektur betroffenen Sprachgebiet neu laufen zu lassen, und es sollte dies auch nur dort geschehen, wo die Korrektur überhaupt inhaltliche Auswirkungen zu entfalten vermag.

2. Verantwortlichkeitsgesetz In das Parlamentsgesetz zu integrieren sind auch die Bestimmungen betreffend die parlamentarische Immunität. Diese war bisher im Verantwortlichkeitsgesetz gere3614

gelt. Die Mitglieder der Bundesversammlung sind aus den entsprechenden Bestimmungen dieses Gesetzes zu streichen (Art. 1, 2 und 14).

3. Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (RVOG) Als Anpassung an die neue Bundesverfassung hat die Bundesversammlung am 8. Oktober 1999 das GVG durch Artikel 47bisb ergänzt. Diese Anpassung war notwendig geworden, weil die Staatsvertragsabschlusskompetenzen gemäss Artikel 166 Absatz 2 BV neu durch das Gesetz bezeichnet werden müssen (zur Erläuterung von Artikel 47bisb GVG vgl. den Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates vom 7. Mai 1999, BBl 1999 4824ff.). Da es sich hier um Kompetenzen des Bundesrates handelt, werden diese Bestimmungen nun in das RVOG transferiert (Art. 7a und Art. 48a).

Die bisher in Artikel 4 Garantiegesetz (GarG) enthaltenen Bestimmungen betreffend die Strafverfolgung von Mitgliedern des Bundesrates sollen in einem neuen Artikel 61a RVOG unter dem Titel «Immunität» wieder aufgenommen werden. Die Bestimmungen gelten für Mitglieder des Bundesrates sowie für die Bundeskanzlerin oder den Bundeskanzler. Die in Artikel 4 Absatz 1 GarG zusätzlich erwähnten «eidgenössischen Repräsentanten und Kommissäre» können hingegen gestrichen werden, da deren Funktionen heute obsolet geworden sind. Kommissare und Repräsentanten waren private Honoratioren, welche im 19. Jahrhundert, als die Bundesverwaltung noch kaum ausgebildet war, spezielle Missionen für den Bund im In- und Ausland übernahmen. Die «Repräsentanten» waren gemäss Artikel 74 Ziffer 3 BV von 1848 von der Bundesversammlung gewählte Delegierte. Die «eidgenössischen Kommissare» kamen bei Bundesinterventionen in Kantonen zum Einsatz, um dort die Funktionen der kantonalen Behörden zu übernehmen (letztmals 1890).

Nicht wieder aufgenommen wurde die in Artikel 4 Absatz 5 GarG enthaltene Regelung der Verjährung und Verwirkung. Es gelten die Bestimmungen der Artikel 70ff.

StGB.

Artikel 61a Absatz 5 RVOG nimmt die Bestimmung im bisherigen Artikel 5 GarG auf und sieht ein Beschwerderecht an die Bundesversammlung vor, wenn die Zustimmung zur Strafverfolgung eines Mitglieds des Bundesrates verweigert wird.

Dieses Beschwerderecht ist notwendig, weil ansonsten der Bundesrat in eigener Sache die Ermächtigung zur Strafverfolgung verweigern könnte, sofern eines seiner Mitglieder ein
Verbrechen oder ein Vergehen begangen hat, das sich nicht auf seine amtliche Tätigkeit bezieht. Allerdings soll die Beschwerdeinstanz nicht wie im Garantiegesetz vorgesehen die Vereinigte Bundesversammlung sein, sondern die Bundesversammlung. Die Kompetenzen der Vereinigten Bundesversammlung sind in Artikel 157 BV abschliessend aufgelistet, sodass nicht auf Gesetzesebene weitere Kompetenzen geschaffen werden können.

Die bisherigen Bestimmungen in Artikel 10 und 11 GarG werden in neuen Artikeln 62d und 62e RVOG als neues 2. Kapitelter «Steuerbefreiung und Schutz des Eigentums des Bundes» aufgenommen. Artikel 62d sieht die Steuerbefreiung des Bundes und seiner Anstalten vor. Artikel 62e betrifft die Staatshaftung der Kantone.

Das Hausrecht des Bundes gemäss Artikel 14 Absatz 1 GarG wird in ein weiteres neues Kapitel (2. Kapitelquater) des RVOG überführt (Art. 62f). Die Bestimmung betrifft das Verhältnis zwischen Bund und Kantonen. Sie gilt für alle Bundesbehörden (Bundesversammlung, Bundesrat und Bundesgericht). Artikel 62f RVOG legt nicht 3615

fest, welche Organe des Bundes das Hausrecht ausüben. Artikel 69 PG spezifiziert, dass das Hausrecht der Bundesversammlung durch parlamentarische Organe wahrgenommen wird.

4. Bundesrechtspflegegesetz Im Bundesrechtspflegegesetz wird ein neuer Artikel 5a eingefügt, welche die bisher in Artikel 4 und 5 des Garantiegesetzes enthaltenen Bestimmungen betreffend die Strafverfolgung von Mitgliedern des Bundesgerichts enthält. Der Artikel ist analog zu Artikel 61a RVOG gefasst.

5. Strafgesetzbuch Artikel 8 des Garantiegesetzes unterstellt bestimmte Verbrechen und Vergehen gegen Magistratspersonen des Bundes sowie gegen Mitglieder der Bundesversammlung der Bundesgerichtsbarkeit. Durch eine Ergänzung von Artikel 340 StGB wird die Zuständigkeit des Bundesgerichts weitergeführt. Durch die dadurch vorgenommene Gleichstellung mit völkerrechtlich geschützten Personen werden zusätzlich neu auch Raub, Erpressung, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung zum Nachteil der Bundesbehörden der Bundesgerichtsbarkeit unterstellt. Ehrverletzungsdelikte mit Bezug auf die Amtsführung hingegen unterstehen der kantonalen Gerichtsbarkeit.

6. Militärstrafprozess Artikel 3 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes sieht vor, dass von der Vereinigten Bundesversammlung gewählte Personen ihren Eid oder ihr Gelübde vor der Vereinigten Bundesversammlung leisten, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt. In Artikel 15a des Militärstrafprozesses soll die gesetzliche Grundlage für die bisherige Praxis geschaffen werden, wonach Mitglieder des Militärkassationsgerichtes ihren Eid oder ihr Gelübde nicht vor der Vereinigten Bundesversammlung leisten.

7. Finanzhaushaltgesetz Die Bestimmungen betreffend den Finanzplan und betreffend den Legislaturfinanzplan werden neu in das Parlamentsgesetz integriert, weil es sich hier um zentrale Planungsinstrumente auch des Parlamentes handelt (Art. 142 und 145 PG). Artikel 23 Absätze 2­4 des Finanzhaushaltsgesetzes können demnach aufgehoben werden.

8. Alkoholgesetz Mit dieser Anpassung wird der Rhythmus der Rechnungslegung und der Geschäftsführung der Alkoholverwaltung demjenigen der übrigen Bundesverwaltung angepasst (vgl. Art. 143).

Art. 173

Übergangsbestimmungen

Der Inhalt der Übergangsbestimmungen erklärt sich weitestgehend aus den Normtexten, sodass sich hier eine nähere Erläuterung auf Ziffer 2 und damit auf das Inkrafttreten der Unvereinbarkeitsbestimmungen beschränken kann.

Die Bestimmungen über die Unvereinbarkeiten können nicht zu einem beliebigen Zeitpunkt in Kraft treten, andernfalls entstünde das Problem, dass gewählte Ratsmit3616

glieder während ihrer Amtszeit entweder auf ihr parlamentarisches Mandat oder auf ihre berufliche Tätigkeit verzichten müssten. Dieses Problem kann zweckmässig so gelöst werden, dass die neue Regelung der Unvereinbarkeiten zu Beginn der auf das Inkrafttreten des Gesetzes folgenden Legislaturperiode in Kraft gesetzt wird (Abs. 1). Da die Wahl in den Ständerat durch das kantonale Recht bestimmt wird, trifft Absatz 2 für die Ständerätinnen und Ständeräte eine Ausnahmeregelung.

Der Zweck dieser Übergangsbestimmung ist, dass die Kandidatinnen und Kandidaten Kenntnis von den neuen Unvereinbarkeitsbestimmungen haben und damit die beruflichen Konsequenzen einer Wahl in die Bundesversammlung vorhersehen können. Das Parlamentsgesetz muss deshalb bereits vor dem Termin in Kraft treten, bis zu welchem die Kandidatinnen und Kandidaten für die Gesamterneuerung in den Nationalrat aufgestellt werden können. Dieser Zeitpunkt wird durch Artikel 21 Absatz 1 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte bestimmt. Danach haben die Kantone den Wahlanmeldeschluss auf einen Montag zwischen dem 1. August und dem 30. September des Wahljahres festzulegen. Absatz 3 präzisiert das Inkrafttreten der Unvereinbarkeitsbestimmungen deshalb dahingehend, dass die Unvereinbarkeitsbestimmungen nur dann nach Absatz 1 in Kraft treten, wenn das Parlamentsgesetz bis und mit dem 31. Juli eines Wahljahres in Kraft ist; andernfalls muss die nächste Gesamterneuerung des Nationalrates abgewartet werden.

Art. 174

Inkrafttreten

Beim Parlamentsgesetz soll die Koordinationskonferenz und nicht der Bundesrat das Inkrafttreten bestimmen.

4

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Das Parlamentsgesetz enthält keine Bestimmungen, die unmittelbar finanzielle oder personelle Auswirkungen haben.

Einzelne Neuerungen können aber zu einem zur Zeit nicht quantifizierbaren Mehraufwand führen (z.B. die neue Aufgabe der Kommissionen, für die Wirksamkeitsprüfung der Massnahmen des Bundes zu sorgen, oder die Neuerung im Verfahren der parlamentarischen Initiative, wonach der Beschluss eines Rates, einer Initiative Folge zu geben, die Zustimmung des anderen Rates benötigt).

5

Rechtliche Grundlagen

5.1

Verfassungsmässigkeit

Das Parlamentsgesetz stützt sich auf Artikel 164 Absatz 1 Buchstabe g BV, wonach die grundlegenden Bestimmungen über die Organisation und das Verfahren der Bundesbehörden in einem Bundesgesetz erlassen werden müssen. Es löst das Geschäftsverkehrsgesetz vom 23. März 1962 ab, das sich bereits auf eine ähnliche Bestimmung in Artikel 85 Ziffer 1 der BV von 1874 stützte. Im Übrigen konkretisiert das PG insbesondere Artikel 148­173 BV, d.h. das 2. Kapitel (Bundesversammlung) des 5. Titels (Bundesbehörden) der BV.

3617

5.2

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Wie bereits das Geschäftsverkehrsgesetz vom 23. März 1962 überträgt das Parlamentsgesetz naturgemäss keine Rechtsetzungskompetenzen an den Bundesrat. Artikel 36 delegiert die Einzelheiten der Organisation und des Verfahrens in den Räten an den Nationalrat und an den Ständerat zur Regelung in ihren Geschäftsreglementen. Artikel 41 gibt der Vereinigten Bundesversammlung eine analoge Kompetenz.

Artikel 59 ermächtigt die Bundesversammlung, die Einzelheiten der Aufgaben der Redaktionskommission sowie des Verfahrens zur Vornahme von Berichtigungen in Erlassentwürfen und Erlassen der Bundesversammlung in einer Verordnung zu regeln. Zudem erlässt die Bundesversammlung Ausführungsbestimmungen über die Parlamentsverwaltung in Form einer Verordnung (Art. 70). Für die Einzelheiten kann auf die Erläuterungen zu den betreffenden Gesetzesbestimmungen verwiesen werden.

3618

Inhaltsverzeichnis Übersicht

3469

1 Entstehungsgeschichte 3471 1.1 Die Entwicklung des GVG 3471 1.2 Die Revision der Bundesverfassung 3472 1.2.1 Die Vorarbeiten der SPK im Bereich Parlamentsrecht im Hinblick auf die Verfassungsrevision 3472 1.2.2 Anpassungen des GVG auf Grund der Verfassungsreform 3472 1.2.3 Warum eine Totalrevision?

3473 1.3 Die Arbeiten der SPK an der Totalrevision des GVG 3473 1.3.1 Grundsatzentscheid für eine Totalrevision des GVG 3473 1.3.2 Vorberatung von Reformbereichen in Subkommisssionen 3474 1.3.3 Ausarbeitung eines Entwurfs durch das Sekretariat unter Beizug direkt betroffener Stellen 3474 1.3.4 Verwaltungsinterne Konsultation und Begutachtung durch Experten3474 1.3.5 Beratung des Vorentwurfs durch die SPK des Nationalrates, Stellungnahmen anderer betroffener Kommissionen 3475 1.4 Verhältnis der Totalrevision GVG zu anderen Reformvorhaben 3475 1.4.1 Gesamtschau der Reform der Institutionen des Bundesstaates 3475 1.4.2 Regierungsreform 3476 1.4.3 Reform der Volksrechte 3477 1.4.4 Entschädigung und Infrastruktur der Parlamentsmitglieder 3477 1.5 Erledigung hängiger Vorstösse und Initiativen im Bereich des Parlamentsrechts 3478 1.5.1 Persönliche Vorstösse 3478 1.5.2 Parlamentarische Initiativen 3478 2 Grundzüge des neuen Parlamentsgesetzes 2.1 Überblick über Aufgaben, Organisation und Verfahren der Bundesversammlung 2.2 Grundzüge der Gewaltenteilung 2.3 Die Systematik des neuen Gesetzes 2.4 Wichtige Themenbereiche 2.4.1 Informationsrechte 2.4.1.1 Ausgangslage 2.4.1.2 Kaskade der Informationsrechte 2.4.1.3 Verfahren zur Durchsetzung der Informationsrechte und Geheimnisschutz 2.4.1.4 Stellungnahmen der Aufsichtskommissonen zum Entwurf 2.4.2 Grundsatz- und Planungsbeschlüsse (insb. für die Legislasturplanung und in der Aussenpolitik) 2.4.2.1 Ausgangslage 2.4.2.2 Die Form des einfachen Bundesbeschlusses für die Beschlussfassung zur Legislaturplanung, zum Aussenpolitischen Bericht und zu weiteren wichtigen Berichten des Bundesrates

3480 3480 3482 3484 3485 3485 3485 3486 3488 3489 3489 3489

3493 3619

2.4.2.3 Die Form des dem Referendum unterstellten Bundesbeschlusses für Grundsatzbeschlüsse von grosser Tragweite 2.4.3 Rechtswirkung und Verfahren der Motion 2.4.3.1 Rechtswirkungen der bestehenden Auftragsinstrumente 2.4.3.2 Neudefinition der Rechtswirkung der Motion (Art. 119) 2.4.3.3 Probleme des geltenden Verfahrens bei Motionen 2.4.3.4 Reformen des Verfahrens bei Motionen (Art. 120) 2.4.4 Verfahren der parlamentarischen Initiative 2.4.4.1 Ausgangslage 2.4.4.2 Einbezug beider Räte in die Vorprüfung parlamentarischer Initiativen (Art. 109) 2.4.4.3 Vorschriften über die Form einer parlamentarischen Initiative (Art. 107) 2.4.5 Gesamterneuerung des Bundesrates 2.4.5.1 Ausgangslage 2.4.5.2 Argumente für und gegen die beiden Wahlverfahren 2.4.5.3 Beurteilung der Auswirkungen verschiedener Wahlverfahren

3497 3499 3499 3501 3504 3506 3509 3509 3511 3512 3514 3514 3515 3517

3 Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

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4 Finanzielle und personelle Auswirkungen

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5 Rechtliche Grundlagen 5.1 Verfassungsmässigkeit 5.2 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

3617 3617 3618

Bundesgesetz über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, PG) (Entwurf)

3621

3620