zu 98.446 Parlamentarische Initiative Post, SBB, Swisscom. Arbeitsplätze in der ganzen Schweiz (Hämmerle) Bericht vom 14. November 2000 der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates Stellungnahme des Bundesrates vom 16. März 2001

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen, gestützt auf Artikel 21quater Absatz 4 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG), unsere Stellungnahme zu Bericht und Antrag vom 14. November 2000 der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates betreffend Verteilung der Arbeitsplätze von Post, SBB und Swisscom in der ganzen Schweiz (Parlamentarische Initiative Hämmerle).

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

16. März 2001

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Moritz Leuenberger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2001-0318

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 10. Dezember 1998 reichte Nationalrat Andrea Hämmerle eine Parlamentarische Initiative ein, welche verlangt, dass Post, SBB und Swisscom gesetzlich verpflichtet werden, ihre Arbeits- und Ausbildungsplätze flächendeckend in der ganzen Schweiz anzubieten. Der Nationalrat gab der Parlamentarischen Initiative Hämmerle am 27. September 1999 Folge. Mit Datum vom 14. November 2000 hat die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen dem Nationalrat einen Bericht über diese Initiative unterbreitet. Gleichzeitig hat die Kommission den Bundesrat zur Stellungnahme eingeladen.

Die Kommission schlägt im Wesentlichen vor, durch Änderungen des Postorganisationsgesetzes, des Telekommunikationsunternehmungsgesetzes sowie des SBBGesetzes die drei Unternehmen Post, Swisscom AG und SBB AG gesetzlich zu verpflichten, in der ganzen Schweiz Arbeits- und Ausbildungsplätze anzubieten, einen Abbau von Arbeits- und Ausbildungsplätzen nicht regional einseitig vorzunehmen und neue Arbeits- und Ausbildungsplätze regional ausgeglichen anzubieten.

2

Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Grundsätze der PTT- und der SBB-Reform

Die vom Parlament vor wenigen Jahren beschlossene PTT-Reform bzw. SBBReform geht von folgenden Grundsätzen aus: ­

Die drei Unternehmen werden dem Wettbewerb ausgesetzt und müssen sich gegen in- und ausländische Konkurrenz behaupten.

­

Die drei Unternehmen müssen ­ unter Berücksichtigung der Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen ­ die Eigenwirtschaftlichkeit erreichen. Sie haben keinerlei Anspruch auf Defizitdeckung.

­

Post und SBB erhalten Zielvorgaben für die flächendeckende Grundversorgung. Im Falle der Swisscom gelten diese Zielvorgaben nur für eine Übergangsperiode ­ anschliessend wird die Grundversorgung öffentlich ausgeschrieben. Alle drei Unternehmungen haben vom Gesetzgeber einen weiten Handlungsspielraum erhalten, wie der Grundversorgungsauftrag im Einzelnen erfüllt werden soll.

2.2

Anforderungen an Post, SBB und Swisscom

Die vom Gesetzgeber festgelegten Ziele ­ flächendeckende Grundversorgung, Wettbewerbsfähigkeit und Eigenwirtschaftlichkeit ­ sind sehr anspruchsvoll und erfordern in allen drei Unternehmungen Restrukturierungen und Rationalisierungen. Dabei nehmen die Unternehmungen sowohl beim Abbau von Stellen wie bei der Schaffung neuer Arbeits- und Ausbildungsplätze auf die regionalen Bedürfnisse Rücksicht, soweit dies betriebswirtschaftlich vertretbar ist. Post, SBB und Swisscom

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haben in den vergangenen Jahren mehrfach bewiesen, dass sie auch in den Randregionen neue Arbeitsplätze schaffen, wenn dies technologisch und betrieblich möglich ist. So hat die SBB ihre neuen Kunden-Servicecenter für den Güterverkehr in Freiburg und für den Personenverkehr in Brig angesiedelt. Dabei wurden in Freiburg 160 Vollzeitstellen geschaffen, und in Brig ist geplant, dass bis zu 350 Personen Beschäftigung finden und verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten angeboten werden. Die Post ihrerseits hat zum Beispiel Verarbeitungs- und Servicezentren von Postfinance in Bulle (224 Mitarbeitende), Netstal (186 Mitarbeitende) und Bellinzona (62 Mitarbeitende) sowie die Dispositionszentrale von PubliCar in Delsberg (7 Mitarbeitende) angesiedelt und an diesen Orten insgesamt sieben neue Ausbildungsstellen eingerichtet, während die Swisscom im vergangenen Jahr u.a. je rund 20 neue Arbeitsplätze in Sion und Bellinzona geschaffen hat.

Um ihren Grundversorgungsauftrag praktisch umsetzen zu können, ist für alle drei Unternehmen auch in Zukunft eine räumlich breite Streuung der Arbeitsplätze erforderlich. Die Unternehmungen können es sich jedoch nicht leisten, künstlich Arbeitsplätze aufrechtzuerhalten, die technologisch nicht mehr nötig und betriebswirtschaftlich nicht mehr sinnvoll sind. Sie müssen die Arbeitsplätze dort ansiedeln, wo ihre Dienstleistungen nachgefragt werden bzw. dort, wo die Produktionsabläufe dies erfordern. So fallen beispielsweise bei der SBB zahlreiche Arbeiten an den Ausgangs- und Endpunkten der Zugsleistungen an. Die Standorte für das Zugspersonal müssen laufend an die Entwicklung des Fahrplanes (und damit der Kundenwünsche) angepasst werden. Eine Arbeitsplatzpolitik der SBB, welche nicht auf die Produktionsabläufe und die Entwicklung der Kundenbedürfnisse ausgerichtet wäre, würde die Wettbewerbsposition der SBB und damit des gesamten öffentlichen Verkehrs in der Schweiz nachhaltig schädigen. Dies würde beispielsweise im Güterverkehr, wo sich die SBB einer ausserordentlich harten Konkurrenz ausgesetzt sieht, die Verlagerung von der Strasse auf die Schiene gefährden.

2.3

Flankierende regionalpolitische Massnahmen des Bundes

Da der Stellenabbau bei Swisscom und SBB einzelne Randregionen überproportional traf, hat der Bundesrat im August 2000 ein besonderes Paket von flankierenden regionalpolitischen Massnahmen verabschiedet. Mit diesem Paket sollen nicht bestehende Strukturen erhalten, sondern gezielt die Voraussetzungen für die Schaffung neuer und zukunftsträchtiger Arbeitsplätze geschaffen werden. Das Paket sieht Massnahmen in folgenden Bereichen vor: ­

Aus-, Fort- und Weiterbildung

­

Unternehmensgründungen

­

Grundstücke und Liegenschaften sowie weitere wirtschaftsnahe Infrastruktur

­

touristische Projekte

­

Stellenvermittlung.

Das Paket des Bundesrates sieht vor, dass die drei Unternehmen Post, SBB und Swisscom, die Kantone und der Bund bei der Realisierung der einzelnen Massnahmen eng zusammenarbeiten. Die Koordination erfolgt durch einen Steuerungsausschuss, in welchem die Konferenz der kantonalen Volkswirtschaftsdirektoren, die

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drei Unternehmen und die betroffenen Bundesämter vertreten sind. Nachdem die eidg. Räte die notwendigen Finanzmittel bewilligt haben, wird gegenwärtig zusammen mit den betroffenen Kantonen ein Aktionsplan erarbeitet. Die Realisierung der ersten Projekte wird in der ersten Jahreshälfte 2001 anlaufen.

2.4

Würdigung der Parlamentarischen Initiative

Der Bundesrat ist der Auffassung, dass mit dem von ihm vorgeschlagenen Massnahmenpaket die grundsätzlichen Ziele der Parlamentarischen Initiative besser, rascher und effizienter erreicht werden können als mit den vorgeschlagenen Gesetzesrevisionen. Gegen eine gesetzlich verankerte Pflicht zum Angebot von flächendekkenden Arbeits- und Ausbildungsplätzen sprechen insbesondere folgende Gründe: Das Angebot an Arbeits- und Ausbildungsplätzen ist ­ wie oben gezeigt ­ stark abhängig von den Kundenbedürfnissen, von den spezifischen Produktionsabläufen jedes Unternehmens und von technologischen Gegebenheiten. Eine gesetzliche Verpflichtung zu einer «regional ausgeglichenen» Arbeitsplatzverteilung trägt diesen Aspekten zu wenig Rechnung und kann sogar Randregionen dort benachteiligen, wo sie komparative Vorteile für die Ansiedlung neuer Arbeitsplätze haben. Zudem ist eine gesetzliche Verpflichtung von Swisscom, Post und SBB wettbewerbsverzerrend, weil die direkten Konkurrenten keine derartige Auflage haben. Je nach Auslegung der vorgeschlagenen Gesetzesbestimmungen könnte die Wettbewerbsfähigkeit der drei Unternehmungen ­ und damit auch ihr Beitrag zur flächendeckenden Grundversorgung ­ gefährdet werden. Die Parlamentarische Initiative beantwortet ferner die Frage nicht, wer die finanziellen Kosten für eine über das betriebswirtschaftlich Vertretbare hinausgehende regionale Arbeitsplatzpolitik tragen soll. Wenn man im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit nicht die drei Unternehmen belasten wollte, müssten die Kosten als gemeinwirtschaftliche Leistungen durch den Bund abgegolten werden. Dafür fehlt aber im vorgeschlagenen Gesetzestext eine rechtliche Grundlage. Schliesslich muss die Frage gestellt werden, ob die in der Parlamentarischen Initiative vorgesehene Gesetzesverpflichtung wirklich im Interesse der Randregionen ist. Die Gefahr, dass die neuen Gesetzesbestimmungen in der konkreten Anwendung zur Aufrechterhaltung von überholten Produktionsstrukturen führen, ist vorhanden. Wie alle vergleichbaren Erfahrungen im In- und Ausland zeigen, liegt aber eine Politik der Strukturerhaltung längerfristig nicht im Interesse der betroffenen Regionen.

3

Schlussfolgerungen

Post, SBB und Swisscom sollen auch in Zukunft beim Abbau von Stellen wie bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze auf die regionalen Bedürfnisse Rücksicht nehmen. Eine über das betriebswirtschaftlich Vertretbare hinausgehende gesetzliche Verpflichtung zu einer flächendeckenden Arbeitsplatzpolitik ist jedoch nach Auffassung des Bundesrates weder im Interesse der drei Unternehmen noch des Service public. Der Bundesrat hält es für wesentlich sinnvoller, den notwendigen Strukturwandel bei Post, SBB und Swisscom zuzulassen und die betroffenen Regionen mit gezielten flankierenden Massnahmen in die Lage zu versetzen, neue und zukunftsträchtige Arbeitsplätze zu schaffen. Der Bundesrat beantragt deshalb, die Parlamentarische Initiative abzulehnen.

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