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4585 Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Abänderung von Art. 27, Abs. l, des ßundesgesetzes vom 13. Juni 1917 betreffend die Bekämpfung von Tierseuchen.

(Vom 9. August 1944.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Art. 27 des Bundesgesetzes vom 13. Juni 1917 betreffend die Bekämpfung von Tierseuchen hat folgenden Wortlaut: «Der Bund leistet den Kantonen einen Beitrag bis auf 50%: a. an die Beitrage, welche die Kantone an die Durchführung von Schutz- und Heilimpfungen gegen Tierseuchen ausrichten; 6. an die Kosten für die Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche sowie der Tuberkulose.

Der Bundesrat bestimmt endgültig, unter welchen Bedingungen und in welchem Masse der Bundesbeitrag geleistet wird.»

Die Botschaft vom 15. März 1915 (BB1.1915, I, 384) fuhrt zum vorerwähnten Artikel u.a. folgendes aus: «Unter dem Einfluss kantonaler Unterstutzungen wurden in den letzten Jahren durch die Schutz- und Heilimpfung erfreuliche Fortschritte erzielt. Es hegt in hohem Masse im Interesse der Einschränkung der Seuchen, dass der Bund die Bestrebungen der Kantone auf diesem Gebiete auch in Zukunft unterstutzt.

Es ist dies um so angemessener, als vielleicht doch selbst für die Maul- und Klauenseuche im Laufe der Zeit ein wirksames Heilmittel gefunden werden kann.

Die Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche legt öfters den Kantonen, Gemeinden und Privaten grosse Opfer auf. Die sachgemasse tierarztliche Behandlung erkrankter Tiere, die Klauenbehandlung und Desinfektion, die Überwachung der Seuchenherde und die Massnahmen zur Verhinderung der Weiterverbreitung der Seuche sind mit grossen Kosten verbunden. Es erscheint als durchaus angemessen, dass der Bund nicht bloss an den Ausgäbet! der Kantone teilnimmt, durch die diese den Schaden beim einzelnen Tierbesitzer zu lindern versuchen, sondern auch an den Kosten der Massregeln, die weitere Kreise gegen die Ausbreitung der Seuche zu schützen geeignet sind. Wir sind schon unter der Herrschaft des gegen-

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Die damals ausgesprochene Erwartung, dass es gelingen werde, im Verlaufe der Zeit gegen die Maul- und Klauenseuche ein wirksames Vorbeugungsmittel zu finden, ist inzwischen in Erfüllung gegangen, indem heute eine zuverlässige Methode zur Schutzimpfung mittels Vakzine zur Verfügung steht.

Dementsprechend liessen sich auch die Abwehrmassnahmen wirksamer gestalten und zugleich die daherigen Schäden vermindern. Die Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche dürfte daher inskünftig geringere ' finanzielle Mittel erfordern als bis dahin.

Ähnlich wie für die Maul- und Klauenseuche haben die Schutzimpfungsmethoden auch gegen andere Krankheiten im Verlaufe der Jahre erhebliche Verbesserungen erfahren; so im besondern gegen Eauschbrand. Milzbrand, Schweinepest, die in unserm Lande glücklicherweise nicht vorkommende Rinderpest u. a.

Trotzdem die Immunotherapie, wie angeführt, unbestreitbar grosse Fortschritte zu verzeichnen hat, gingen die in sie gesetzten Hoffnungen bis dahin doch nicht für alle Krankheiten in Erfüllung. Es betrifft z. B. den Rinderabortus Bang und die Tuberkulose, für die es bisher nicht gelang, praktisch erfolgreiche Verfahren zur Schutz- oder Heilimpfung auszuarbeiten. Auch gegen die Streptokokkeninfektionen liessen sich keine zuverlässigen serologischen oder bakteriologischen Präparate finden. Dagegen stellte die wissenschaftliche Forschung gegen solche Infektionen, in Form der Sulfanilamidpräparate, wirksame chemische Mittel her, von denen in der Schweiz das «Cibazol» am meisten genannt wird.

Neue, sehr bedeutende Aussichten für die Heilbehandlung von Infektionskrankheiten haben sich durch Forschungen in England und Amerika für die Verwendung von Stoffwechselprodukten saprophytärer Keime ergeben, im besondern von Pilzen. Am bekanntesten davon ist das Penicillin, das speziell in der Kriegs chirurgie der englischen und amerikanischen Armee eine besondere Eolle spielt. In letzter Zeit hat sich u. a. auch die chemische Industrie in Basel der Herstellung von solchen Präparaten angenommen. Nach Auffassung von Sachkennern soll die Forschung auf diesem Gebiet erst im Anfangsstadium stehen. Es werden weitere Fortschritte erwartet und daran für die Krankheitsbekämpfung grosse Hoffnungen geknüpft.

In der Veterinärmedizin wurden bis dahin weder die Sulfanilamidpräparate noch die Stoffwechselprodukte
saprophytärer Keime in grossem Umfange angewandt. Diese sind in der Schweiz noch nicht erhältlich, und jene für die Behandlung von Tierkrankheiten zu wenig ausgewertet.

714 Anderseits haben sich in letzter Zeit gegen parasitäre Krankheiten -- wie der Dasselbefall und die Eäude -- Derrispräparate als wirksam erwiesen. Es handelt sich um Wurzelextrakte der in überseeischen Ländern wachsenden Derrispflanze. Sie verdankt ihren Wert dem Gehalt an Eotenon, das ein spezifisches Gift für Kaltblüter darstellt, während Warmblüter dafür unempfindlich sind. Die Erzeugnisse wirken als Kontaktgift auch gegen Läuse und Milben (Baude) und werden zur Zeit in der Schweiz in beträchtlichen Mengen verwendet. Die chemische Forschung bemüht sich aber, Mittel auf anderer Grundlage als auf dem Derris-Alkaloid auszuarbeiten, und zwar auf synthetischem Wege.

Es ist vorauszusehen, dass es den Bemühungen der chemischen Forschung gelingen wird, noch weitere wirksame Präparate, speziell gegen solche Krankheiten zu finden, die sich durch biologische Behandlung allgemein nicht beeinflussen lassen. Dazu gehören im besondern die Invasionskrankheiten, d. h.

Erkrankungen, die durch Erreger aus dem Tierreich verursacht werden, wie Eäude, Dasselschäden, Lungenwurmseuche, Leberegelseuche usw.

Der wirksamen Abwehr von ansteckenden und übertragbaren Krankheiten sowie überhaupt von solchen, die erhebliche Schäden verursachen, kommt wirtschaftlich eine grosse Bedeutung zu, was sich namentlich während der Mangelwirtschaft mit aller Deutlichkeit gezeigt hat. Es liegt deshalb im Interesse der Allgemeinheit, sie energisch zu bekämpfen und die daherigen Schäden zu vermeiden oder zum mindesten zu lindern. Die Frage, ob dies mit biologischen oder chemischen Mitteln zu erreichen ist, erscheint unerheblich.

Nach der jetzigen Gesetzgebung werden bezügliche Beiträge bloss an die Durchführung von Schutz- und Heilimpfungen gegen Tierseuchen ausgerichtet.

Diese Beschränkung durfte vor allem darauf zurückzuführen sein, dass zur Zeit der Ausarbeitung der betreffenden Bestimmungen neben Sera und Impfstoffen noch kerne oder bloss wenig spezifisch wirkende chemische Präparate bekannt waren, und vielleicht auch auf die damals bestandene Ansicht, wonach es mit der Zeit gelingen werde, gegen alle ansteckenden Krankheiten wirksame biologische Präparate zu finden. Wenn heute mit einem chemischen Mittel die nämliche Wirkung gegenüber einer ansteckenden Krankheit ausgelöst werden kann, wie dies bei andern mit Sera oder
Impfstoffen der Fall ist, wäre nicht einzusehen, warum nicht unter den gleichen Bedingungen auch an die Chemotherapie staatliche Beiträge geleistet werden sollen. Die Anwendung von chemischen Mitteln erheischt in der Eegel weniger hohe Kosten als die Immunotherapie. Immerhin sind sie dann auch nicht gering, wenn eine grössere Stückzahl Tiere auf einmal behandelt werden muss, wie dies meistens der Fall ist. Der daherige Aufwand übersteigt in vielen Fällen die Leistungsfähigkeit der Tierbesitzer. Volkswirtschaftlich erweist es sich meist als nützlich und vorteilhaft, wenn der Staat vorbeugend die Abwehr von Seuchen unterstützt, andernfalls die Gefahr besteht, dass wegen der entstehenden Kosten damit zugewartet wird, bis die befallenen Tiere schwere Schäden aufweisen, wodurch

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die tierwirtschaftliche Produktion in Mitleidenschaft gezogen wird. Der Bund unterstützt bereits die Bekämpfung der Dasselfliege in dem Sinne, dass er einen Viertel der durch die Beschaffung von Bekämpfungsmitteln bedingten Auslagen übernimmt. Der Eest wird zu einem Viertel auf die Kantone und zu 50 % auf die interessierten Organisationen der Wirtschaft verteilt. Möglicherweise werden sich je nach dem Fortschritt der Chemotherapie durch derartige Mittel in Bälde noch andere Krankheiten wirksam bekämpfen lassen, die die Wirtschaft schädigen und für welche die Viehbesitzer nicht imstande sind, die Behandlungskosten in vollem Umfange zu tragen.

Aus den Darlegungen geht hervor, dass die Möglichkeit der staatlichen Beitragsleistung an die Kosten der Abwehr von ansteckenden und übertragharen Tierkrankheiten nicht mehr bloss auf die Immunotherapie beschränkt bleiben, sondern auch auf chemische Mittel ausgedehnt werden sollte. Dabei darf es sich selbstverständlich nur um die Behandlung von Krankheiten handeln, die grosse Schäden verursachen und für die die daherigen Kosten dem Besitzer nicht zugemutet werden können. Wir möchten die Beitragsleistung auf solche Krankheiten beschränkt wissen, deren Bekämpfung durch den Bund obligatorisch erklärt wird.

Die finanziellen Folgen der in Frage stehenden Ausdehnung der Beitragsleistungen an die Kosten der Cheinoterapie lassen sich naturgemäss nicht mit Bestimmtheit vorausberechnen. Für die Bekämpfung der Dasselschäden werden sich die daherigen Ausgaben des Bundes vorläufig auf Fr. 18 000 bis Fr. 20 000 pro Jahr belaufen. Für andere Krankheiten sind gegenwärtig noch keine Leistungen an die medikamentöse Schutz- oder Heilbehandlung vorgesehen. Ob und wann sich die Notwendigkeit dazu einstellt, lässt sich zur Zeit nicht angeben. Dies wird von der Gestaltung der Krankheiten und der Entwicklung der Chemotherapie abhängen. Jedenfalls dürften die bezüglichen Auslagen des Bundes sich in beschränktem Bahmen bewegen, da kaum anzunehmen ist, dass die Chemotherapie in der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten die Bedeutung der Immunotherapie erreichen wird. Im übrigen hat es der Bundesrat in der Hand, das Ausmass der Beiträge, die maximal 50 % der kantonalen Auslagen ausmachen dürfen, entsprechend der jeweiligen Finanzlage festzusetzen und zu bestimmen: 1. welche Krankheiten
obligatorisch bekämpft werden sollen und 2. unter welchen Bedingungen Bundesbeiträge geleistet werden, wie dies Art. 27 des Tierseuchengesetzes ausdrücklich vorsieht.

Unter Hinweis auf die vorstehenden Ausführungen beantragen wir Ihnen, den nachstehenden Gesetzesentwurf zu genehmigen. Er berücksichtigt die schon eingetretenen sowie die später noch möglichen Änderungen in der Bekämpfung ansteckender und übertragbarer Krankheiten und gestattet, die finanziellen Anordnungen für die Abwehr von schädlichen Krankheiten den jeweiligen Erfordernissen anzupassen.

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Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung.

Bern, den 9. August 1944.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident:

Pilet-Golaz.

Der Bundeskanzler : Leimgrufoer.

(Entwurf.)

Bundesgesetz über

die Abänderung von Art. 27, Abs. 1, des Bundesgesetzes betreffend die Bekämpfung von Tierseuchen.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 9. August 1944, beschliesst:

Art. 1.

Art. 27, Abs. l, des Bundesgesetzes vom 13. Juni 1917 betreffend die Bekämpfung von Tierseuchen wird aufgehoben und durch folgenden Wortlaut ersetzt : Art. 27, Abs. 1. Der Bund leistet den Kantonen einen Beitrag bis auf 50%: a. an die Beiträge, welche die Kantone an die Durchführung von Schutzund Heilimpfungen gegen Tierseuchen sowie an die medikamentöse Schutz- und Heilbehandlung anderer tierischer Krankheiten ausrichten, deren Bekämpfung durch den Bund obligatorisch erklärt wird; b. an die Kosten für die Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche sowie der Tuberkulose.

Art. 2.

Der Bundesrat bestimmt den Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Abänderung von Art. 27, Abs. l, des Bundesgesetzes vom 13. Juni 1917 betreffend die Bekämpfung von Tierseuchen.

(Vom 9. August 1944.)

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