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desblatt.

Jahrgang n. Band III.

Nro- 42.

Samftag, den 14. Herbstmonat 1850.

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Verhandlungen der Bundesversammlung des National- und Ständerathes.

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Bericht und Antrag des

schweizerischen Bundesrathes an den schweizerischen Nationalrath, betreffend den Kompetenzkonflikt zwischen Bern und Appenzell Außer-Rhoden, vom 2. Juli 1850*).

Tit.

In Folge Jhrer Schlußnahme vom 9. Mai d. J. geben wir uns die Ehre, über den uns überwiesenen Kompetenz*) Als wir in Nr. 36 (3. August) den Beschluß dex Bundesvevsammlung in dieser Sache mittheilten, hatten wir die Absicht, die Berichte des Bundesrathes und der Kommission des Nationalrathes vorausgehen zu lassen; wegen Ueberfülle des Stoffes nnd andern Hindernissen mußte die Aufnahme verfchoben werden. Die beiden Berichte werden Vielen auch nachträglich willkommen fein.

Bundesblatt. Jahrg. II. Bd. III.

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ïonflift zwischen den hohen Ständen Bern und Appenzett A.-Rh. in der Wenger-Lieberherr'schen Erbstreitigfeit solgenden Bericht zu erstatten.

Jn unserm Beschluß vom 12. September v. J., den

wir hiemit beilegen, sind die faktischen und rechtlichen Momente so ausführlich behandelt, daß wir vor Allem aus auf denfelben verweisen müssen und uns hier um so kürzer sassen können, als die Rekursfchrift die nämlichen Rechtspunkte enthält, die wir dort bereits behandelt und, wie wir glauben, widerlegt haben, lîeber die ausführliche Gefchichtserzählung des Rekurrenten gehen wir mit Stilischweigen hinweg, weil sie eine Menge sür die jetzige Frage ganz unerhebliche Thatfachen und zum Theil Persönlichfeiten enthält, die offenbar aus eine captatio benevolenti.» ï>erechnet sind. Wir überlassen es der betreffenden ZivilPartei, welcher wir die Rekursfchrift zu gutfindender Beantwortung zustellten, hierüber einzutreten. Nur können wir es nicht ungerügt übergehen, daß uns verschiedene Behauptungen unterfchoben werden, welche wir nie aufstellten und daß die Unparteilichkeit und Rechtlichkeit der appenzellifchen Gerichtsbehörden von vornherein verdäch-

tigt wird.

Gehen wir zu der rechtlichen .-Darstellung über, so fehen wir vor Allem aus, daß die Rekurrenten aus Seite 9 und 10 der Rekursschrift förmlich zugeben:

1) Daß das Konkordat vom 15. Juli 1822 die Gesetze und Gerichte des Heimathskantons als maßgebenb für die Benrtheilnng des Jnhalts von Testamenten, Eheverkommnissen und Ehevertragen aufstelle.

2) Daß die hohen Stände Bern und Appenzell A..-Rh.

diesem Konkordate beigetreten seien.

3) Daß nach den Gesetzen von Appenzell A.»Rh. dem Heimathskanton des Erblasser...: L i e b e r h e r r , der

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letztere nicht befugt war, ein Eheverkommniß, wie das streitige abzufchließen und ebensowenig befugt, das hierauf basirte Eigenthum des Rekurrenien, sei es im Inventar, verbeiständet mit seinem Vogt, oder allein vor dem Friedensrichteramt anzuerkennen.

Hiemit ist nach unserer · Ansicht der Klagegrund der Lieberherrschen Erben sowohl in der Kompetenzfrage, ale im Prozesse selbst, vollständig anerkannt. Wir haben es indeß mit dem letztern nicht zu thun, sondern nur mit der erstern und werden uns daher bei den Bemerkungen, welche wir über die weitere Deduktion des Rekurrenten noch zu machen im Falle sind, auf diefen Standpunkt befchränken.

Der Rekurrent stützt seine Darstellung auf folgende

Sätze (Seite 15).

1. Lieberherr und Wenger feien einverstanden gewesen über die Rechtsgültigkeit des Eheverkommnisses und Testamentes vom Jahr 1838. Wir haben hierüber bereits in unserm Beschlüsse vom 12. September v. J. erörtert, daß

und warum dieses Eheverständniß gleichgültig sei. Die Erben des Lieberherr haben in der Eigenschast als Notherben ihres Vaters ein selbstständiges, von dessen Handlnngen ganz unabhängiges Recht aus dessen Nachlaß; ein Recht, welches sie erst nach dessen Tod geltend machen konnten. Es ist übrigens nicht einzusehen, welchen Ein» sluß jene Thatsache ans die Kompetenzfrage haben sollte; denn diese beantwortet sich nach der Natur der Klage.

Wir sind hierüber mit dem Rekurrenten einverstanden und haben nie behauptet, daß der Kläger seine Klage beliebig qnalifiziren und dadurch nach Gutdünken die Kompetenz bestimmen lönne. Wir fragen also: Worin besteht die Namr dieser Klage V -- Mann kann sie un.möglich anders qnaliflziren, denn als Erbfchastsklage.

...Der Klaggrund beruht auf der Eigenschaft der Kläger

38 aïs Jntestat -- nnd Notherben ihres Vaters, nicht auf irgend einer andern Thatsache oder einem Rechtsgeschäft; diefes ist ihre einzige Legitimation zur Sache. Jn dieser Eigenfchaft belangen sie den Rekurrenten als Besitzer der Erbschaft ihres Vaters und fechten p diesem Behuf die letztwilligen Verfügungen (Eheverkommniß und Testament) an, auf deren Grundlage der Rekurrent exekutorische Titel erhalten und sich in den Besitz der Erbschaft gefetzt hatte. Es liegt alfo die reine Erbschastsklage vor, wie sie in allen ausgebildeten Rechjsfpstemen erscheint.

Wenn diese Auffassung über die rechtliche Natur der Klage richtig ist, so kann über die Anwendung des Konkordates und über den Gerichtsstand kein Zweifel mehr obwalten. Ganz entscheidend ist alfo der Charakter der Klage. Es frägt sich noch, ob dieser durch spätere Verhältnisse geändert worden sei. Das behauptet nun eben der Rekurrent und führt zu diesem Behus unter 2 und 3 an, er gründe sein Eigenthnm auf den Vergleich vom August 1843, das Inventar von 1838 und

die später« gerichtlichen Verhandlungen d. h. einen Arrest vom 3. Juli 1844 und ein Urtheil vom 7. Mai 1847.

Wir sehen aber nicht ein, wie diese Verhältnisse irgend wie den rechtlichen Charakter der Klage verändern können.

Dieses sind alles einseitige Akte, zu welchen die Erben des Lieberherr in keiner Weife mitwirkten; ihr Klagsundament ist nach wie vor ihr, durch letztwillige Verfügungen verletztes Jntestaterbrecht. Ebenso gründet sich der Besitz des Rekurrenten auf das Eheverkommniß und Testament; die erwähnten Akten waren nichts anders, als, wie er sie selbst nennt, exekutorische Titel, durch welche er sich theils im Einverständniß mit Lieberherr, theils einseitig in den desinitiven Besitz setzen konnte. Allein das Fundament aller dieser Akte liegt in den streitigen letztwilligen Verfügungen.

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Ueber die Bedeutung des Vergleichs verweisen wir auf die Ausführung in unserm Beschlüsse und erinnern nur noch daran, daß nach dem eigenen Zugeständniß des Rekurrenten auf Seite 10 der Rekursfchrift Lieberherr nach den appenzellifchen Gesetzen nicht befugt war, ungültige Testamente zum Nachtheil seiner Notherben anzuerkennen. Ueber das Urtheil vom 7. Mai 1847 ist aber noch ein ganz entscheidender Punkt hervorzuheben, den der Rekurrent klüglich mit Stillschweigen übergeht. Dieses Urtheil wurde auf einfeitiges Begehren des Rekurrenten von dem hiesigen Gerichte erlassen, nachdem der Kompetenzstreit zwischen den beiden Kantonen schon seit zirka 3 Jahren begonnen hatte. Die hiesigen Gerichte haben also geurtheilt, während die Kompetenzfrage zwischen den Kantonen pendent war. Nun0 versteht sich wohl von selbst, daß die Bundesbehörden diese Frage in der Sachlage aufgreifen müssen, worin sie sich beim Beginn des Kompetenzstreites befand. Der letztere wurde aber sogleich nach Lieberherrs Tod im Jahre 1844 oder 1845 erhoben, was aus der Korrespondenz der beiden Regierungen hervorgeht, die wir als Beweis hiefür zu den Akten legen.

Nicht nur kann alfo jenes Urtheil die Natur der Klage nicht ändern, sondern es ist in Bezug auf die Kompetenzsrage als gar nicht existirend zn betrachten, weil es der letztere auf unbefugte Weife vorgriff und als eine Art von Selbsthülfe betrachtet werden muß.

Wir finden uns nicht veranlaßt, über den weitern Inhalt der Rekursschrift einzutreten, indem wir theils auf das Gesagte, theils auf die Motive unfers Beschlusses verweifen. Nur haben wir noch die Bemerkung beizusügen, daß wir nicht einsehen können, zu welchen Konflikten eine Wiederaufnahme dieses Prozesses durch die appenzellischen Gerichte führen könnte. Denn angenommen.

40 dieser würde zu Gunsten der Lieberherr'fche« Erben ent.schieden, so wäre die einfache Folge davon, die Herausgabe des Nachlasses. Diefer bestund in einem Hanfe, welches der Rekurrent selbst auf der Gant erkaufte. Die Akten zeigen genau die darauf haftenden Schulden und den Gantkaufpreis. Es wäre alfo in diesem Falle entweder das Haus .abzutreten oder, wenn der Rekurrent es feither veräußert hätte, der Kaufpreis, so weit er die Schulden übersteigt.

Mit dieser Berichterstattung verbinden wir die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung und Ergebenheit.

Bern, den 24. Mai 1850.

Im Namen des schweizerischen Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

«£. Drue9.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft :

Schieß.

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Kommisftonsbericht in der

Anton Lieberherrschen

Erbschaftsangelegenheit.

Kurze Geschichtserzählung.

S. 1. Anton Lieberherr von Urnäschen im Kanton Appenzell A.-Rh., wohnhaft als Bedienter in Bern, verehelichte sich dafelbst im Jahr 1813 mit Maria Wenger von Blumenstein, Kantons Bern, Mutter eines unehelichen Sohnes, Namens Friedrich Wenger.

§. 2. Nach der einen Angabe soll die Maria Wenger 10,000 Fr. und Anton Lieberherr nichts in die Ehe mitgebracht haben. Nach der andern Angabe besaß Lieber-

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Bericht und Antrag des schweizerischen Bundesrathes an den schweizerischen Nationalrath, betreffend den Kompetenzkonflikt zwischen Bern und Appenzell AußerRhoden, vom 2. Juli 1850*).

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14.09.1850

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