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B u u d e sb l a t t.

Jahrgang Ii. Sbcft III.

Nro- 46.

Samflag, den 12. SSeinmonat 1850.

Verhandlungen der Bundesversammlung, des National- nnd Ständerathes.

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Bericht

des Bundesrathes an die Bundesversammlung ober das Gesetz, betreffend die Heimathlisigkeit.

(Vom 30. September 1850.)

Tit.

Nachdem seit einer langen Reihe von Iahren die Angelegenheit der Heimathlosen ungefähr auf dem nämlichen Standpunkt geblieben war, weil die bisherigen Konkordate zwar gutgemeint, aber ungenügend und dürftig in ihrer Anlage dem dringenden -Bedürfnisse nicht abzuhelfen »ermochten und überdieß ,, selten eine geneigte Vollziehung fanden, hat die Bundesverfassung diesen gichtigen und schwierigen Gegenstand in den Bereich des Bnndesblatt. Iahrs. II. Bd. III.

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124 Bundes gezogen und die Ausmittlung von Bürgerrechten für Heimathlose, sowie die Maßregeln zur Verhinderung neuer Fälle von Heimathlofigkeit der Bundesgefezgebung flnheimgestellt. Ie mehr wir diefer Angelegenheit unfre .Aufmerksamkeit zuwandten, desto mehr überzeugten wir «ns, daß das Uebel durch langjährige VernachläjHgung groß gezogen wurde, daß keine Palliativmittel von Erfolg fein können, weil dasselbe den Keim steter und rascher Fortentwicklung in sich trägt und daß nur mit durchgreifenden Maßregeln und gewissenhafter Vollziehung derfelben dem weitern Umsichgreifen diefes krankhaften Zuftandes vorgebeugt werden kann. Dabei läßt fich freilich nicht verkennen, daß folche Maßregeln hie und da tief eingreifen und bedeutende Anstrengungen und Opfer erfordern; allein überzeugt von der dringenden Notwendigkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung und im vollen Vertrauen, es werde auch der |>ülferuf der Humanität bei der h. Bundesverfammlung «nd bei den Kantonen ein geneigtes Gehör finden, legen ·wir Ihnen einen Gefezentwurf vor, welcher, ohne das Aeußerste zu fordern, so durchgreifend als möglich abjuhelfen beabsichtigt.

..Die beiden Aufgaben, welche der Art. 56 der B un-

desverfassung an die Gesezgebnng stellt, bilden die Grundlage der beiden Abschnitte des Vorschlags. Der erste behandelt die Ausmittlung von Bürgcrrecht e u. Schon dieser bestimmte Ausdruck der Bundesverfassung schließt zwei verschiedene Richtungen des Verfahrens aus, aus die man möglicherweise geraden könnte.

.Man erinnert sich vorerst, daß früher einmal das Projekt vorgelegt wurde, die Heimathlofen zu kolonifiren, î>. h. diefelben auch gegen ihren Willen in ein überfeeifches Land zu deportiren. Abgesehen von den ge#

125 wichtigen, inner« Gründen, welche diefem Vorschlag entgegenstehen und welche man in den betreffenden Verhandlungen der Tagsazung finden kann, glaubten wir schon darum von diesem Gedanken abstrahiren zu sollen, weil er offenbar der von der Bundesverfassung gestellten Aufgabe nicht entspricht. Dasselbe wäre ferner der Fall, wenn man daran denken wollte, die Heimathloson nur gewissen Kantonen zuzuweisen, ohne sich um ihr weiteres Schicksal zu bekümmern, ob sie dort als eine bloß geduldete Menschenklasse eine säst rechtlose und prekäre Existenz finden und ihre alten Gewohnheiten und Lebensweise fortfezen. Die Bundesverfassung will ihre Einbürgerung, und das mit vollem Rechte, vom Standpunkte

der Gesejgebungspolitik.

Denn die möglichste Gleich-

stellung mit den Stechten der übrigen Bürger, die Annähernng der Heimathlosen an die übrigen Interessen der (Gesellschaft, die Theilnahme an den vorhandenen

Anstalten für Kultur ist der einzig mögliche Weg, die Heimathlofen. oder wenigstens ihre Kinder der Zivilisation allmälig wieder zuzuführen. Nach diesen allgemeinen Bemerkungen über den ersten Abschnitt des Entwurfes gehen wir zu der Beleuchtung der einzelnen Artikcl über.

Art. 1. Er war vor Allem ans nothwendig den Begriff der Heimathlofigkeit festzustellen, weil davon der Umfang des Gesezes thcilwcife abhängt. Der Ausdruck ,, h e i m a t h b e r e c h t i g t " wurde besonders in Bezug auf . auswärtige Staaten gewählt, welchen hie und da der Begriff unsers Bürgerrechts sremd und wo dagegen das Recht zu bleibendem Domicil maßgebend ist. Nach dieser Bestimmung find also diejenigen nicht heimathlos, welche wohl ein Kantonsbürgerrecht, jedoch kein Gemeindsbür* gerrccht haben, diese Personen sind aber nicht zu ver-

126 .wechseln mit denjenigen, welchen kein Kantonsbürger.« recht, sondern bloße " D u l d u n g " oder ,,Angehörigf e i t " zugestanden wird. Wenn wir dessenungeachtet auch .ie erstem, z. B. die sogenannten Sandsaßen in den Bereich dieses Gesezes zogen, so geschah es nicht, weil man sie der Sidgenossenschast gegenüber als Heimathlose betrachten will, sondern weil ihre bürgerliche Stellung als eine Duelle der Heimathlosigkeit betrachtet wird.

Dieses ist auch der Grund, warum dieselben im zweiten Theil des Gesezes erwähnt werden.

Art. '2. Man konnte die grage auswerfen, welches

die praktische Bedeutung dieses Artikels sei. Sie besteht

darin, daß über den Umfang des Gefezes in der Anwendung keine Zweifel entstehen, indem diejenigen Heimathlofen der ersten Klasse, welche in Gemeinden eingetheilt sind, hie und da als Heimathlose betrachtet werden, an andern Orten aber nicht, gerner sind die beiden Klassen in vielfacher Beziehung wefentlich verfchieden und das Verfahren bei der Einbürgerung wird sich auch bei beiden Klassen ganz verfchieden gestalten. Endlich find diefe Klassen auch hinsichtlich der Anzahl der darin enthaltenen Individuen sehr ungleich. Eine genaue sta-tistische Angabe ist gegenwärtig nicht möglich; dessenungeachtet mag es hier "am Plaze sein, dasjenige anzugeben, was wir annähernd wissen. Im Ianuar und -Februar dieses Iahres haben wir durch Kreisschreiben die Stände eingeladen, über die bei ihnen tolerirten Heimathlosen in tabellarischer Form und nach gewissen Kategorien einen Bericht zu erstatten. Zur Zeit fehlen aber noch die Berichte von zehn Kantonen. Wir ergänzen vorläufig dirfe Lücken aus den Berichten, welche der Vorort in den Jahren 1842--1844 gesammelt hat, indem wir annehmen, daß seither die Zahl nicht sehr

127 wesentlich fich verändert haben werde. Hieraus ergibt fich, daß die erste Klasse der Heimathlosen aus ungefähr 11,600 Individuen bestehen mag.

Was die Vaganten (die eigentlichen Heimathlosen im engern Sinne des Worts) betrifft, so läßt fich deren Zahl ohne eine Generaluntersuchung, zu welcher um-« fassende Vollziehungsmaßregeln erforderlich sein werden., auch nicht annähernd mit einiger Sicherheit bestimmen, weil die Kantone fie meistens nicht angeben oder nicht angeben können. Um indef.. einen ungefähren Begriff ' zu bekommen, berechnen wir die Namen: 1) Derjenigen, welche nur durch Einsendungen von Einvernahmsprotokollen oder Begehren von Dul> dungsscheinen bekannt wurden, 2) derjenigen, welche in den Akten der Tagsazung und des Vorortes erscheinen.

Wir finden hier ungefähr fechszig Namen. Da die meisten dieser Personen entweder verheirathet find oder im Konkubinat leben und zum Theil sehr zahlreiche ga* milien haben, so rechnen wir durchschnittlich auf den ein* zelnen Namen fünf Personen und erhalten also die Zahl von dreihundert Vaganten. Bei der Untersuchung dürfte fich indeß herausstellen, daß sehr viele derselben entweder irgendwo eingebürgert find, oder zu den Tolerirten ge# hören und daher schon bei der ersten Klasse in Anrechnung gebracht wurden.

Art. 3. Bei dem hier ausgesprochenen Grundsaze der Einbürgerung in Gemeinden find zwei Ausnahmen gestattet. Der Grund liegt darin, daß mehrere Kantone, welche mit sehr bedeutenden ökonomischen Opfern Hunderte von Heimathlosen einbürgerten, durch ihre Geseze ebenfalls diese Ausnahmen zuließen und es sehr hart erscheinen müßte, fie nun auch noch jur Einbürgerung

128 dieser Personen anzuhalten, daß ferner die damit verbnndenen Kosten in keinem Verhältnisse stehen zu der Nothwendigkeit der Einbürgerung. Denn ältere, un·oerheirathete Personen werden allmälig ohne Defcendenz aussterben und für Kriminalifirte noch besondere Einbürgerungskosten zu bezahlen, kann man einem Kanton nicht wohl zumuthen. Man findet in den erwähnten Gesezgebungen noch eine dritte Ausnahme für solche Personen, welche aus physischen oder geistigen Ursachen gar nicht im Stande sind, für sich zu forgen. Allein wir fanden, daß gerade für solche Personen eine formliche -Einbürgerung befonders nothwendig fei, weil sie einer Ueberwachung bedürfen, welche der Staat nicht gewähren kann oder wird. (B entstund hier auch die grage, ob diesen von der Einbürgerung ausgenommenen Personen, wie es hie und da geschieht, das Heirathen verboten werden solle. Wir hielten indeß ein solches Verbot, soweit es nicht auf dem allgemeinen Gefeze über Ehehindernisse beruht, nicht für passend, weil es in der Regel gerade da, wo es sollte, den Zweck nicht erreicht, dagegen oft am unrechten Ort fehr drückend ist und der wünfchbaren Gleichstellung in den bürgerlichen Rechten

(Art. 4) hinsichtlich eines wefentlichen Punktes entgegentritt.

Art. 4. Diefer Artikel enthält einer der wichtigsten

und fchwierigsten Momente, nämlich die Frage über den Umfang und die Bedeutung des zu ertheilenden Bürgerrechts. Wir befinden uns hier an der fchwer zu bestimmenden Gränze des Wünfchbaren und des Möglichen.

Auf der einen Seite ist es fehr wünfchbar, daß den Heimathlofen ein volles Ortsbürgerrecht mit allen seinen ..öortheilen verschafft werde; denn diefe sind vorzngsweife geeignet, dieselben an ihre neuen Verhältnisse zu

129 knüpfen und das Interesse für ein bleibendes Domieil zu unterstützen. Die Heimathlosen, wie fie jetzt find, werden zwar die Armenunterstüzung dankbar hinnehmen,

im übrigen aber die Gleichstellung in politischen und bürgerlichen Rechten wenig zu schäzen wissen ; die Pflicht zur Erziehung der Kinder durch Kirche und Schule und die gesezliche Ordnung überhaupt wird ihnen eher alseine drückende Last erscheinen, wenn nicht die Nuzungen, welche mehr oder minder fast überall mit einem Gemeindebürgerrecht verbunden find, ihre ökonomische Existenz, erleichtern. So ist es einleuchtend, daß der Zweck diesesGesezes weit eher erreicht werden könnte durch eine voll.*

ständige Gleichstellung in allen Rechten. Allein auf der andern Seite dürfte der Widerstand, dem eine solche Maßregel begegnen würde, überall äußerst heftig sein.

Obwohl hier gar nicht von Zunft- oder andern Kor# .porationsgütern, die einen privatrechtlichen Charakter haben, die Rede ist, so find die Bürger eines Drits gewohnt, auch das Gemeindegut, so weit es nicht zur Bestreitung öffentlicher Bedürfnisse erforderlich ist, wit Privateigenthum zu betrachten und in ihren Privatnujett zu verwenden. Die Vermehrung der Bürger hat natürs lich nie Beschränkung der Nuzungen zur Folge, zumal wenn nicht ein Aequivalent als Einkauf in die Ge* meindekasse gelegt wird. Die Gemeinden werden nicht ermangeln, eine erzwungene Vermehrung der ...Bürger als Eingriff ins Eigenthum darzustellen und doch ist den Kantonen kaum zuzumuthen, für sämmtliche Heimathlose die volle Einkaufssumme in die Gemeindegüter aus der Staatskasse zu bezahlen. Man darf nämlich nicht über* sehen, daß es fich nicht bloß um die Vaganten (die Heimathlosen im engern Sinn) handelt, sondern um die große Zahl derjenigen, welche in den Kantonen

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unter dem ïitel ..îolerirte, Angehorige, ßingetheilte u. s. w. vorhanden sind. In mamchem Kanton find viele -frnttderte solcher, und es läßt sich hieraus ermesse«, welche bedeutende Lasten für die Gemeinden oder die Kantone durch eine plözliche und gleichzeitige Einburgerung aller Heimathlofen in dem Sinne entstünde, daß man ihnen sofort die volle Mitbenuzung aller Gemeindeguter zusichern würde. Die rechtliche Stellung der erster« und zahlreichen Klasse der Heimathlofen (Art. 2) ist so ziemlich übereinstimmend ungefähr' folgende: Politifche Rechte genießen sie in der Regel nicht, eben so wenig haben sie Anspruch aufGemeindenuzungen; doch werden ihnen hie und da solche entweder gesezlich oder freiwillig verabreicht. Im Verarmungsfall müssen sie entweder vom Staat oder von den Gemeinden unterstüzt werden.

In Niederlassungs- und Verkehrsverhältnissen werden sie nicht ungünstiger behandelt, auch können sie die Schulanstalten besuchen. -- Das Nähere geht aus den ju den Akten gelegten Berichten der Kantone hervor, so weit dieselben eingegangen sind. In einem solchen Verhältnisse befinden sich namentlich auch die sogenannten Angehörigen des Kantons ©raubünden. Diese werden hier besonders erwähnt, theils wegen ihrer ; großen Zahl -- es find ungefähr 5700 Personen --, theils weil sie sich in einer besondern Petition an die · Bundesversammlung gewandt haben und daher auch jene Petition durch dieses Gesez ihre Erledigung finden muß, da sie in ähnlicher Lage sind, wie die Tolerirten in den andern Kantonen. Es wird daher die Petition und der hierauf bezügliche, einläßliche Bericht der Regierung von Graubünden ebenfalls zu den Akten gelegt.

Bei diefer Sachlage beruht der fragliche Gesezesartikel auf der Idee, einen allinäh[i;}m Uebergang zu1

131 einer bessern Zukunft und zum vollen Bürgerrechte zu bilden. Dieser Uebergang soll durch zwei Momente vermittelt werden.

1) Der Einkauf in das Gemeindegut und die daherigen Nuzungen soll den unvermöglichen .-peimathlosen um die Hälfte erleichtert werden. Vielleicht findet es die hohe Bundesversammlung rathsam, diese .Quote noch mehr herabzusezen. Dabei waltet die Meinung ob, daß es den Kantonen anheimgestellt sei, die nähern Bestimmungen über diesen Einkauf zu treffen, namentlich auch durch angemessene Vertheilung der Einbürgerungen auf die Gemeinden, so wie auch diesen Einkauf durch aüfällige, sueeesfive Beiträge zu unterstüzen und in etwas größerm Umfange möglich zu machen.

Wenn jährlich zu diesem Behuf eine verhältnißmäßige Summe auf's Budget jedes Kantons gebracht würde, so ließe fich im Verlauf von 10 Iahren eine bedeutende Menge von beschränkten Bürgerrechten in unbeschränkte umwandeln , ohne daß die Last für den Staat oder die Gemeinden allzudrückend wäre. Auch dürften wohl vermögliche Gemeinden unter Umständen, welche Billigkeit erheifchen, noch zu einem Nachlaß fich verstehen.

2) Die später gebornen Kinder der Eingebürgerten sollen ipso jure das volle Bürgerrecht erhalten.

Diese Maßregel ist ans dem Geseze von Solothnrn entnommen, das fich als sehr zweckmäßig bewährte.

Auf diese Art hören allmählig die beschränkten Bürgerrechte auf und der Uebergang gefchieht succesfiv im Saufe der Zeit, während welcher die Gemeinden die Eingebürgerten als ihre Mitbürger

132betrachten lernten. Man darf übrigens mit Recht den Gemeinden auch etwas zumuthen; denn es

läßt sich da, wo seit alter Zeit eine große Anzahl Heimathlofer oder .-.tolerirter wohnte, mit Grund annehmen, daß die Gemeinden ursprünglich auch einen wesentlichen Antheil an der Verschuldung hatten.

Art. 6 -- 9. Das Verfahren bei Ausmittlung von Bürgerrechten ist in der Hauptfache das im neuesten Konkordat.; angenommene, mit den Abänderungen, welche die Bundesverfassung nothwendig macht. Die Grundlage muß eine vom Bundesrathe vorzunehmende, allgemeine Untersuchung bilden, bei welcher diejenigen ·Peimathlofen auszuscheiden sind, welche bis anhin von keinem Kanton als Tolerirte anerkannt wurden. -- Ueber die provisorische Duldung derselben hat nöthigenfalls der Bundesrath zu entscheiden und es kann dieser Entscheid nicht vor das Bundesgericht gezogen werden, sondern unterliegt, wie jeder andere Beschluß des Bundesraths, versassungsgemäß dem Rekurse an die Bundesversammlung. Im übrigen find diese provisorischen Versügungen von keinem erheblichen Belang, indem sie nur sür die Dauer des Prozesses gelten und keinerlei Präjudij sür die Hauptsache begründen dürsen. -- Ferner hat der Bundesrath die bundesgerichtliche Entscheidung einzuleiten in allen Fällen, in welchen er einzelne oder mehrere Kantone nicht bestimmen kann, sreiwillig diejenigen Heimathlosen einzubürgern, welche nach seiner Anficht denselben zngehörcn. Diese Stellung der Bundesgcwalt hat sich durch die Erfahrung als abfolut nothwendig herausgestellt und daher auch im jüngsten Konkordate dem Wefen nach Eingang gefunden. Ungeachtet fchon das Konkordat vom Iahr 1819 vorschrieb.

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daß die Heimathlosen nicht hin und hergeschoben, sondern Streitigkeiten darüber beförderlich vor das eidgenosfische Recht gebracht werden sollen, so find doch nicht viele ·gälle vorhanden,- in welchem nach dem Konkordate gehandelt wurde und auch die Vororte, denen das Konkordat vom Iahr 1828 eine Befugniß einräumte, welche sich eigentlich von selbst verstanden hätte, konnten in dieser Sache zu keinem Einfluß gelangen. So blieb das Schicksal der Heimathlosen beständig unerörtert und durch die Vermehrung derselben wurde natürlich die Verwicklung immer' großer. Die Kantone betrachteten die Angelegenheit der nicht tolerirten Heimathlosen als ein wahres noli me tangere wegen der Besorgniß, daß amtliche Schritte zu ihrem Präjudiz ausfallen möchten, daher das häufige geheime Fortjagen, statt des polizeilichen Zuführens, daher das ängstliche Vermeiden einer Klage. Ja man ist hier so weit gegangen, daß noch in neuester Zeit in einigen Kantonen Beamtete fich weigerten, Heimathlose über ihre Verhältnisse auch nur einzuöernehmen, aus Furcht, fie möchten ein Präjudiz gegen ihren Kanton begründen. -- Es war nothwendig, dieses zu zeigen ; denn hierin lag das Hauptgebrechen des frühern Zustandes; .es fehlte an einer Zentralbehörde, welche die Konkordate vollzog und die streitigen -Fälle zur gerichtlichen Entscheidung brachte. Dieser Punkt ist so bedeutend, daß es schon als ein großer .jortschritt bezeichnet werden müßte, wenn auch nichts anderes aus diesen Berathungen hervorginge, als eine allgemeine verbindliche Kraft des neuesten Konkordats unter Formen, die mit der jezigen Einrichtung des Bundes im Einklang stehen.

Art. 10. Es lassen fich gälle denken, in welchen die Eidgenossenschaft, entweder allein oder mit Kantonen,

134 bei der îjrage betheiligt ist, wem die Schuld der Heimath.; losigkeit beizumessen fei. Da dieses Ausnahmen sind, die durch ungewöhnliche Verhältnisse herbeigeführt wer* den, so schien es mir besser, die Normen der Entscheidnng nicht in das Gesez niederzulegen, sondern in solchen IJällen, abweichend vom gewöhnlichen Verfahren, durch die h. Bundesversammlung das Geeignete verfügen zu lassen.

Art. 11--13. Hier find die Grundfäze aufgezählt,

nach welchen der Bundesrath die grage der proviforifchen Duldung und das Bundesgericht die grage der Sinbürgerung zu entscheiden hat. Sie find im Grunde nichts anderes, als eine genauere Ausführung und weitere (intwicklung des positiven Rechts, welches in vielen Konkordaten liegt. Befonders maßgebend ist die Abstammung und wo diefe keinen Anhaltspunkt darbietet, irgend ein Grund des Verfchuldens der Heimathlosigkeit oder der längste Aufenthalt. Wo die Abstammung in Frage kommt, ist zwar in der Regel nach den gewöhnlichen Unterscheidungen zwischen ehelicher und außerehelicher Abkunft und deren rechtlichen Folgen zu urtheilen. Allein diese bekannten Rechtsgrundsäze genügen nicht, fondern unter Umständen wird gerade in umgekehrtem Sinne entfchieden werden müssen. Nehmen wir z. B. den Fall an, bei einem außerehelichen Abkömmling kennt man die Heimath der Mutter durchaus nicht, wohl aber die Heimath des Vaters und es sind gar keine Gründe vorhanden, aus welchen man den Heimathlofen einem andern Kanton zutheilen könnte ; hier muß er wohl der Heimath des Vaters zugetheilt werden, ungeachtet er nach gewöhnlichen Rechtsregeln dem Status der Mutter folgen würde.

Denn es sind eben nicht immer zwei streitende Kantone da, von denen der eine den. Vater, der andere die

135 Mutter eines Heimathlosen als Bürger oder Tolerirten anerkennt. Im sernern haben wir uns, in UebereinfHmmung mit der Kommisfion, welche den Gesezentwurf vorbereitete, überzeugt, daß es durchaus unmöglich sei, alle Fälle der Konkurrenz der im Art. 11 enthal* tenen Motive zu spezialifiren und mit Vorschriften zu verfehen. Diese Motive werden in so verschiedenen und so unendlich vielen Kombinationen auftreten, daß jeder Versuch einer kasuistischen Behandlung nicht nur äußerst lückenhaft ausfallen, sondern auch zu ungerechten Befiimmungen führen müßte. Das einzig richtige Verfahren besteht darin, daß die Behörde jeden Spejialfall in allen seinen Verhältnissen und Motiven auffaßt und nach den überwiegenden Momenten beurtheilt.

Art. 14. Es muß dafür gesorgt werden, daß die Vollziehung des Gesezes nicht auf eine ungebührliche Weise verzögert werde und wir glauben, die Ansezung einer grifi im Geseze selbst sei zweckmäßig, weil die Vollziehungsbehörde dadurch eine wesentliche Unterstüzung gewinnt. Die vorgeschlagene Frist, als Maximum, dürfte den allfälligen Schwierigkeiten, wie z. B. Prozessen mit Gemeinden, billige Rechnung tragen.

Der zweite Theil des Gesezentwurfes behandelt die Maßregeln zur Abwendung neuer Fälle von Heimathlosigkeit und zwar je nach den Quellen, woraus diese feither entstand. Diese find die Konkubinatsverhältnisse der Hcimathlosen, der Mangel an jeder Erziehung, der Mangel an Ortsbürgerrechten für ganze Klassen »on, Einwohnern einzelner Kantone, das Vagabnndenleben, ungenügende polizeiliche Einrichtungen oder nachläßige Vollziehung der Geseze und Verwahrlosung der gindelkinder. Sine wesentliche Duelle der Heimathlofigkeit ist schon durch die Bundesverfassung beseitigt, nämlich der

136 Entzug des Bürgerrechts, als Strafe, der in mehrern Kantonen aus verschiedenen Gründen stattfand. Auch ist anzunehmen, daß bei den jezigen polizeilichen Einrichtungen weit weniger Fälle von Heimathlosigkeit entstehen, als in frühern Zeiten. Dessen ungeachtet sind strenge Vorschriften und eine bestimmt ausgesprochene Verantwortlichkeit nichts weniger als überflüssig, lieber einzelne Artikel diefes Abschnittes haben wir noch folgendes zu bemerken.

Art. 15 und 16. Strenge genommen könnte man diefe Bestimmungen sur unnöthig halten, weil die Abschaffung diefer Uebelstände schon durch die Einbürgerung und die Gleichstellung in bürgerlichen Rechten und Pflichten ersolgen sollte. Allein die Ucbelstände sind zur Zeit noch so groß und umsasscnd, und eine gehörige, durchgreifende Vollziehung erfcheint hie und da noch fo problematifch und kann auf folche Schwierigkeiten stoßen, daß der ©escjgebcr hinreichenden Grund h a t , diefe Punkte besonders hervorzuheben und einzuschärfen.

Art. 17. Wir haben schon oben erwähnt, da1] die sogenannten Sandsaßen und andere in ähnlicher Stellung befindliche Personen nicht Heiinathlose sind nach dem im Art. l aufgestellten Begriffe, weil sie nicht bloße Duldung genießen, sondern ein förmliches Kantonsbu'rgerrecht haben und hiedurch in Rechten und Pflichten den Kantonsbürgern gleichgestellt sind, mit Ausnahme aller der Verhältnisse, welche sich auf die Gemeinden beziehen.

Dessen ungeachtet glauben wir, diese exceptioneUcn Zustände sollten durch Einbürgerung ebenfalls aufgehoben werden, weil sie leicht eine Duelle der Heimathlofiflfcit bilden können. Diese Leute haben doch keine Hcimath in dem Sinne, wie man den Ausdruck in der Schweiz versteht; sie werden dadurch mehr zu einem herum-

137 streifenden Leben hingewiesen; ihre Stellung im Staate ist. jedenfalls eine ungleiche und untergeordnete und eine Aufficht über dieselben und ihren Eivilstand wird schwerlich in dem Maße und mit der Sorgfalt stattfinden, wie dieses bei andern Staatsbürgern der Fall ist. Sie

bilden mit einem Wort ein Mittelglied zwischen diesen

und den Heimathlosen und es ist sehr zu besorgen, daß ihr Zustand, oder derjenige ihrer Kinder bisweilen in den Zustand der Heimathlofigkeit übergehen kann. Da nun der Art. 17 nur eine, Einbürgerung im Sinne des Art. 4 verlangt und diese Personen, als Kantonsbürger, schon ein Recht auf Unterstüzung im Verarmungsfall haben müssen, so sollte der Vorschlag wohl nicht auf allzugroße Schwierigkeiten stoßen.

Art. 18. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß das stete Vagabundiren neue Heimathlosigkeit erzeugen kann, indem es schwer hält, die Verbindung solcher Vaganten mit fremden Vaganten abzuschneiden, und den' Civilstand ihrer wirklichen oder angeblichen grauen und Kinder zu kontroliren. Auch zeigte die Erfahrung zur Genüge, daß die bisherigen Heimathlosen immer nach dieser Lebensweise streben und die vorhandene ©eneration wird sich nicht leicht davon abbringen lassen. Daher ist es durchaus nothwendig, durch strenge Verbote und gewissenhafte Vollziehung derselben diesem Zustande ein Ende zu machen, indem sonst die Heimathlosen unmöglich civilisirt werden können. Mit dem Vagabundiren ist natürlich nicht zu verwechseln das Herumziehen, um ein Gewerbe auszuüben. Dieses kann um so weniger verweigert werden, als die Gewerbe der Hcimathlosen in der Regel der Art sind, daß fie, an dem nämlichen Orte

ausgeübt, zum Unterhalte nicht hinreichen. Allein dieses

Herumziehen soll nur mit den ordentlichen Ausweis-

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schriften stattfinden und diese leztern dürfen nicht für ganze .Familien mit Inbegriff der schulpflichtigen Kinder ausgestellt werden, wenn der Zweck des Gesezes irgendwie erreicht werden soll.

Art. 19. Man wird nicht in Abrede stellen, daß Eine tüchtige gremdenpolizei ein Hanptmittel zur Abwehr von Heimathlofen ist. Bei der Lebendigkeit des jezigen Verkehrs und den vervollkommneten KommuniFationsmitteln ist es zwar auch den Staaten, welche eine starke, und treffliche Polizei haben, nicht möglich, Leute ohne Heimath und ohne Beruf von ihren Gränzen fern zu halten. Allein von jeder ordentlichen Polizei und Gesezgebung läßt sich erwarten, daß ein längerer Aufenthalt folcher Leute nicht gestattet werde oder wo er im geheimen stattfindet, nicht dem Sande, fondern den fehlbaren Gemeinden, Beamten oder Privaten zum Nachtheil gereiche. Es wird weder »iel, noch weniger unmögliches verlangt und in Spezialfällen mag das Gericht entscheiden , ob Nachläßigkeit anzunehmen sei oder nicht.

·Die Kantone werden besonders aufmerkfam gemacht aus die Gefezgebungen anderer Staaten, die sich auf den Verlust des Heimathrechts beziehen, denn es ist erforderlich, daß bei Bewilligung von Niederlassungen und Aufenthalt hierauf die strengste Rückficht genommen werde; schon häufig trat der Fall ein, daß Fremde nicht mehr als Staatsbürger anerkannt wurden, weil sie auswärts ein Amt angenommen, oder als ausgewandert zu betrachten seien oder auch aus andern Gründen. Wir werden nicht ermangeln, alle dießsälligen Geseze sremder Staaten, die wir beibringen können , den Kantonen mitzntheilcn, müssen übrigens fchon hier darauf aufmerksam machen, daß Bestimmungen der Art bisweilen auch aus den Reiseschriften ersichtlich sind.

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Art. 20, Es liegt in der Natur der Sache, daß Pässe und andere Reiseschriften nur an Inländer verabfolgt werden; auch ist dieser Grundsaz im Allgemeinen angenommen. Doch gibt es Verhältnisse, unter denen auch Ausländern ausnahmsweise Pässe ausgestellt werden. Iedem Kanton bleibt es freigestellt, dieses sernerhin auf seine Gefahr zu gestatten ; allein er wird wohl daran thun, fich durch hinreichende Garantien ficher zu stellen. Auch sollte ein solcher Paß nie verabfolgt wer* den, ohne die Nationalität des Inhabers und die Gründe der Ausstellung darin vorzumerken.

Der Art. 21 enthält das Prinzip der Verantwortlichkeit, die Folgen der Nichtbeachtung des Gesezes; in ihm vereinigt fich daher die ganze praktische Bedeutung des zweiten Abschnittes. Er bezieht sich daher nicht bloß auf die bezeichneten gälle, sondern überhaupt auf alle Handlungen von Beamteten, welche Heimathlofigkeit zur Folge haben können. Dieses ist am häufigsten der Fall bei Ausstellung oder Beglaubigung von Schriften, welche zur Verehelichung mit Ausländern oder im Ausland dienen sollen; indeß find auch andere galle möglich, deren Bedeutsamkeit der Beamtete, wenn sie vorkommen, leicht erkennen kann, während man im ©efez nicht spezialifiren darf, ohne die Gefahr, nachtheilige Lücken zu ver anlassen.

Mit diesem Berichte verbinden wir schließlich die Verficherung unserer vollkommensten Hochachtung.

Im Namen des schweizerischen Bundesrathes, Der Bundespräsident:

. Der Kanzler der Eidgenossenschaft t Schieß.

Bundesblatt. Jahrg. II. Bd. III.

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140 ·©esejeutwurf, betreffend

die Heimathlosigkeit.

Vom Bundesrathe definitiv durchberathen am 30. Sept. 1850.

..Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenofsenschaft, in Ausführung des Art. 56 der Bundesverfassung,

nach Einsicht des Vorschlages des Bundesrathes beschließt: A.

Ausmittlüimg des Bi.tr.getti.'echtes für Heimathiose.

Art. 1. Als heimathlos sind alle in der Schweiz be=> ftndlichen Personen zu betrachten, welche weder von einem Kantone als Bürger, noch von einem auswärtigen Staate als heimathberechtigt anerkannt werden.

Art. 2. Die gegenwärtigen Heimathlosen werden un* ierschieden :

1) Jn Geduldete oder Angehörige, d. h. solche, welche bisanhin in dieser Eigenschaft von einem Kanton anerkannt wurden, feien diefelben in Gemeinden eingetheilt oder nicht; 2) in Vaganten.

Art. 3. Für die Heimathlosen beider Klassen soll durch die Bundesbehörden ein Kantonsbürgerrecht und durch die betreffenden Kantone ein Gemeindsbürgerrecht ausgcmittelt ...oerden. Lezteres können die Kantone in folgenden Fällen unterlassen :

141 1) Bei Männern über fechszig und bei Weibern über fünfzig Altersjahren; 2) bei Kriminalisirten bis zur eingetretenen Rehabilitation.

Jn diesen Fällen hat jedoch der betreffende Kanton die Pflicht der Duldung, sowie der Armenunterstüzung.

Art. 4. Die Einbürgerung in eine Gemeinde hat die

Wirkung, daß der Eingebürgerte mit Bezug ans die politischen und bürgerlichen Rechte, die Gemeinds-, Kirchenund Schulgenössigkeit und den Genuß der Unterstüzung bei Verarmung, sowie hinsichtlich der Pflichten den übri-

gen Bürgern gleich gestellt ist. Dagegen erwirbt er durch dieselben nicht den Antheil am Gemeindegut und den daraus herfließenden Nuzen. Es ist ihm jedoch der Ein-

kaus in dieselbe um die Hälfte der gewöhnlichen Einkaufssumme zu gestatten.

Die ehelichen Kinder, welche er nach der Einbürgernng erhält, werden vollberechtigte Bürger der Gemeinde, in welcher der Vater, die unehelichen derjenigen, in welcher die Mutter eingebürgert wurde.

Art. 5. Die Kantone sind berechtigt, Heimathlose, welche ein hinreichendes Vermögen besitzen, zur Bezahlung der für die Erwerbung des Bürgerrechtes gefezlich festgefezten Gebühren anzuhalten. Jn diefem Falle hat der Betreffende kein Recht auf die im Art. 4 am Ende aufgestellte Vergünstigung hinsichtlich des ermäßigten Einkaufes.

Art. 6. Nach Erlassung diefes Gesezes hat der Bnn-

desrath die Zahl und die Verhältnisse der in der Schweiz vorfindlichen Heimathlosen zu ermitteln.

Die Kantone

sind pflichtig, demselben Beihilfe zu leisten.

Der Bundesrath ist berechtigt, von den betreffenden amtlichen Protokollen oder Akten in den Kantonen Einsicht zu nehmen.

142 Art. 7. Die durch den Bundesrath anzuordnende Unterfuchung ist auf folgende Punkte zu richten: 1) ob die in Frage stehenden Perfonen nicht einem Kanton oder einem auswärtigen Staate als heimathberechtigt angehören, oder 2) in welche der beiden der im Art. 2 bezeichneten Klassen diefelben fallen.

Art. 8. Auf Grundlage diefer Untersuchung hat sodann der Bundesrath zu entscheiden, welche Kantone zur vorläusigen Duldung der Heimathlosen, ohne Präjudiz, ver-

pflichtet seien.

Die in den Art. 11, 12 und 13 enthaltenen Grundsäze sind hierbei maßgebend.

Art. 9. Der Bundesrath hat ferner gleichzeitig oder nach weitern Erhebungen sich darüber auszufprechen, welchem Kantone, entweder allein, oder in Verbindung mit andern, die Pflicht der Einbürgerung einzelner Heimathlofer und Familien obliege und hievon die betreffenden Kantone in Kenntniß zu fezen.

Sind die betreffenden Kantone mit der Ansicht des Bundesrathes nicht einverstanden, so soll derselbe bei dem Bundesgerichte den Prozeß einleiten, wobei es ihm freisteht, auch mehrere Kantone gleichzeitig zu belangen und darauf anzutragen, daß der eine oder andere oder auch mehrere die Einbürgerung eines Heimathlofen zu übernehmen haben.

Art. 10. Wenn, in Folge bestimmter Verfügungen eidgenössischer Behörden oder Beamten, Fälle von Heimathlosigkeit entstehen, so hat die Bundesversammlung das ·Geeignete zu verfügen.

Art. 11. Bei dem Entfcheide über die Einbürgerung find für das ...Sundesgericht folgende Verhältnisse maßgebend :

143 1) Abstammung von Eltern, die schon in einem Kautone eingebürgert, eingetheilt, oder als Angehörige oder Geduldete anerkannt sind, und zwar Abstam-

mung sowol aus giltiger als aus ungiltiger Ehe, sowie aus Konkubinat; 2) die in einem Kantone, mit Umgehung der konkordatsmäßigen oder gesetzlichen Vorschriften, erfolgte Kopulation ; 3) der längste Aufenthalt seit dem Jahre 1803, insofern derselbe nicht auf einer Bewilligung zur Duldung von Seiten eidgenössischer Behörden oder auf Ver-

haft beruht; 4) Mangelhafte Handhabung der Fremdenpolizei; 5) 6) 7) 8)

Anwerbung von Ausländern unter kapitulirte Truppen ; Uebertragung von öffentlichen Stellen an Ausländer; Ertheilung von Ausweisschriften an Fremde; Ertheilung von Patenten oder Bewilligungen zur Gewerbsbetreibung ; 9) absichtlich oder aus Nachläffigkeit unterlassene Anzeige an den Bundesrath von dem Vorhandenfein eines Heimathlosen auf dem Gebiete eines Kantons.

Art. 12. Jnfoweit die Abstammung (Art. 11, Ziffer 1) in Betracht kommt, so gelten folgende Regeln : 1) Kinder aus giltigen Ehen gehören dem Kantone an, in welchem der Vater ein Bürgerrecht hatte.

2) Kinder aus ungiltigen Ehen oder aus Konkubinat folgen dem Bürgerrechte der Mutter.

3) Hatten die Eltern in keinem Kantone ein Bürgerrecht, war aber der eine oder andere Theil in einem Kantone als Angehöriger oder geduldeter Heimathloser anerkannt, so können die Kinder dem betreffenden Kantone zur Einbürgerung zugewiefen werden und zwar ohne daß

144 der Richter an die in den Ziffern 1 und 2 dieses Artikels enthaltenen Grundfäze gebunden ist.

Art. 13. Jnfofern in einem Spezialfalle einzelne oder mehrere der im Art. 11 angeführten Gründe gegenüber mehrern Kantonen vorliegen, fo kann das Bundesgericht, je nach seiner Ansicht, über die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen Gründe, nach freiem Ermessen den einen oder den andern Kanton, oder auch mehrere Kantone gemeinfchaftlich, zur Einbürgerung anhalten.

Art. 14. Jnnerhalb Jahresfrist, von dem Zeitpunkte an, in welchem bei nicht streitigen Fällen der Bundesrath, bei streitigen das Bundesgericht, einem Kantone Heimathlofe zuerkannte, hat der letztere sich bei dem Bundesrathe über die geschehene Einbürgerung auszuweisen.

II. Maßregeln zur Verhinderung der Eut: stehuug neuer Fälle von Heimathlisigkeit.

Art. 15. Die bisherigen Heimathlosen, welche in einem Konkubinatsverhältnisse stehen, haben sich entweder zu trennen, oder gesezlich zu ehelichen, sosern lezteres nach den allgemeinen Gesezen des Kantons, in welchem sie eingebürgert wurden , zulässig ist.

Art. 16. Die Kinder der in Folge dieses Gesezes eingebürgerten Heimathlosen sind zu regelmäßigem Schulund Religionsunterrichte anzuhalten.

Art. 17. Den sogenannten Landsaßen, ewigen Ein« saßen oder andern Personen, welche gegenwärtig ein Kantonsbürgerrecht, nicht aber ein Gemeinde- oder Ortsbürgerrecht haben, soll der betreffende Kanton ein folches im Sinne des Art. 4 verschaffen. Auch hier sindet der Art. 5 feine Anwendung.

Art. 18. Bernflofes Herumziehen (Vagabondiren und Betteln) foll, je nach den Gesezen des Kantons, in welchen

145 sie betroffen werden, oder in Ermanglung derfelben, mit Verhaft oder Zwangsarbeit bis auf ein Jahr bestraft werden.

Ausländifche Vaganten sind, nach erstandener Strafe, ihrem Heimathstaate zuzuweifen.

Art. 19. Zum Herumziehen in verfchiedenen Kantonen auf einem Berufe oder Gewerbe bedarf es der erforder-

lichen Ausweisschristen. Das Mitführen von schnlpflichtigen Kindern ist sowol im Heimathkantone als außerhalb desselben verboten. Uebertretung dieser beiden letzteren Bestimmungen ist mit Verhaft oder Zwangsarbeit bis auf 30 Tage zu bestrafen.

Jn allen durch die Art. 18 und 19 bezeichneten Fällen sind die Kinder sofort, die Erwachsenen nach erstandener Strafe, der Heimathgemeinde, auf deren Kosten zurückzuführen.

Art. 20. Die Kantone haben dafür zu forgen, daß keine Fremden ohne folche Ausweisschriften, die hinsichtlich des Heimaths- oder Bürgerrechtes Sicherheit gewähren, oder ohne hinreichende Real - oder Perfonalkantion, Niederlassung oder längern Aufenthalt erhalten.

Bei Prüfung diefer Ausweisfchriften ist namentlich darauf zu achten, welche gefezliche Bestimmungen über den Verlust des Heimathrechtes in demjenigen Staate gelten, dem ein Fremder angehört.

Art. 21. Pässe oder andere Reifefchriften sollen nur Schweizerbürgern verabfolgt werden. Ausnahmen von diefer Regel können nur auf die Gefahr des betreffenden Kantons stattfinden.

Art. 22. Wenn aus der Nichtbeachtung der in den Art. 15 bis 21 enthaltenen Bestimmungen Fälle von Heimathlosigkeit entstehen, oder wenn überhaupt Beamte od« Angestellte, kraft ihres Amtes, Handlungen vor*

146 nehmen, welche ausschließlich oder mitwirkend Heimaths losigkeit zur Folge haben, so hastet der betreffende Kanton niit Regreß auf die schuldigen Gemeinden, Beamten, Angestellten oder Privaten.

Art. 23. Die Einbürgerung von Findelkindern liegt demjenigen Kantone ob, in welchem sie ausgesezt werden.

..Diesen Kindern ist das volle Bürgerrecht zu ertheilen.

Art. 24. Dieses Gesez, wodurch die hierauf bezüglichen Konkordate vom 3. August 1819, 17. Juli 1828

und 30. Juli 1847 aufgehoben werden, tritt unmittelbar nach seiner Erlassung in Kraft.

Der Bundesrath ist mit der Vollziehung desselben beauftragt; namentlich hat derselbe auch die richtige Vollziehung dießfälliger bundesgerichtlicher Urtheile zu überwachen.

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Bericht des Bundesrathes an die Bundesversammlung über das Gesetz, betreffend die Heimathlosigkeit. (Vom 30. September 1850.)

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1850

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12.12.1850

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123-146

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