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Schweizerisches

IBtîîîdesbîatt.

Jahrgang U. Band II.

Nro.

32.

Samstag, den 13. Juli 1850.

Man abonnirt ausschließlich beim nächstgelegenen Postamt. Preis für das Jahr 1850 im ganzen Umfange der Schweiz p o r t o f r e i Sjrkn. 3.

Inserate sind f r a n k i r t an die Expedition einznfenden. Gebühr 1 Batzen per Zeile odex deren Raum.

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Verhandlungen der Bundesversammlung des national- und Ständerathes.

(Vom 26. April 1850.)

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.Bericht und Anträge der

Minderheit der vom Nationalräthe in der FreiburgerAngelegenheit niedergesetzten Kommission.

Der Bericht und Antrag des .-.Bundesrathes vom 7. 2/îcrz abhin, in Betreff der sreiburgischcn Kontribu* tioncn, fällt sowohl in seiner Motivfrung als Schlußfolgerung mit den Ansichten der Minderheit zusammen.

Dieses überhebt uns der Mühe, in Bezug auf das Thatfächliche auf zu viele Einzelnheiten einzugehen; auch kennen wir uns bei der rechtlichen Erörterung der Frage Bundesblatt. Iahxg. II. Bd. II.

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244 auf das Wesentliche beschränken, werden jedoch in den Fall kommen , einigen erst in der letzten Zeit in Vorder* grund getreteneu Einwendungen etwas näher in's Auge

zu blicken.

Wenden wir uns nun zuerst zu dem Faktischen, das wir nach seinen Hauptmomenten in chronologischer Ordnung berühren.

1. Die Tagsatzung saßte nach beendigtem Sonderbundskriege, den 2. Dezember 1847, folgende Schlußnahme : ,,Den Kantonen Luzern, Uri, Schwpz, Unterwalden, Zug, Freiburg und Wallis find alle Kosten auferlegt, welche der Eidgenossenfchaft in Folge der Nichtbeachtung der Schlußnahmen der Tagsatzung vom 20. Heumonat und 11. August laufenden Iahres durch diefe Kantone erwachsen, unter V o r b e h a l t i h r e s Rückgriffes

gegenDiejenigen, welche sie als schuldig finden

mögen."

2. Die p r o v i s o r i s c h e R e g i e r u n g des Kantons greiburg beschloß am 29. November 1847 : Wegen Hochverrath seien in Anklagezustand zu versetzen, die Mitglieder des Staatsrathes, des diplomatischen Rathes und des sonderbündischen Kriegsrathes, welche für den Beitritt zum Sonderbund und für die Widersetzlichkeit gegen die Tagsatzung gestimmt haben ; ferner die Mitglieder der Mehrheit des Großen Rathes, welche diese Beschlüsse bestätigten, und endlich die militärischen Chefs, die ©eistlichen, die Beamten und andere Personen, welche zur Unterstützung des Bürgerkriegs ihre Pflichten übertreten oder Handlungen begangen haben, die ihre Stellung

ihnen nicht auferlegte. Der Befchluß zählt 79 solcher

Personen auf und bestimmt ferner, daß dieselben vor die ordentlichen Gerichte gebracht w e r d e n . *

245 welche s o w o h l über die Strafen als über die Entfchädigung zu erkennen haben.

Die Angeklagten wurden inzwischen im Aktivbürgerrecht eingestellt und ihr Vermögen unter Sequester gelegt.

3. Den 20. Januar 1848 beschloß der Große Rath von greiburg: Es sei unter den nachfolgenden Bedin* gungen eine allgemeine Amnestie ertheilt, in der Meinung, daß die von der Regierung zu bezeichnenden Personen innerhalb einer Frist von 14 Tagen sich zu erklären haben, ob fie den Amnestiebeschluß mit seinen Bedingungen annehmen, o d e r sich vor G e r i c h t stellen w o l l e n .

Das Wesentliche dieser -..Bedingitngen besteht darin, daß die von der R e g i e r u n g zu b e z e i c h n e n d e n Ur# heb« und Begünstiger des Sonderbundes und des Krieges unter solibarischer Haft die Summe von Fr. 1,600,000 als Entschädigung an den Kanton bezahlen sollen, mit Regreß auf allfällig andere Mitschuldige und unter Vorbehalt der Rechtsmittel, die sie etwa gegenseitig unter fich über das Quantitative der Beiträge anwenden wollen. Die betreffenden Personen verlieren ferner für 10 Jahre ihre politischen Rechte und können durch p o l i z e i l i c h e Maßr e g e l zeitweise aus dem Kanton verbannt werden, wenn sie sich politischer Umtriebe schuldig machen. Mit der U n t e r w e r f u n g unter diesen Beschluß soll jede weitere Verfolgung der Schuldigen aufhören.

Die provisorische R e g i e r u n g erlief, am 11. Hornung 1818 hierüber eine Vollziehungsverordnung, in der nur 20 Personen aufgezählt werden, welche die Kontribution von gr. 1,600,000 zu bezahlen haben, unter Einräumung einer Frist bis zum 28. Hornung, innerhalb welcher fie ein gerichtliches U r t h e i l v e r l a n g e n können.

246 4. Die Betheiligten wandten fich nun in einer Petition an den Großen Rath, worin sie ihre Unfchuld und Unverantwortlichkeit behaupteten, namentlich aus dem Grunde des Art. 33 des Reglements des Großen Rathes, der die Mitglieder dieser Behörde sür ihre Voten unverantwortlich erkläre. Sie erklärten, ihr Vermögen (Fr. 1,200,000) unter Berufung auf die Vcrbalprozesse der Sequestration für unzureichend, um die geforderte Summe von gr. 1,600,000 zu berichtigen, sie zeigten fich jedoch zur Beruhigung und Versöhnung des Landes bereit, nach ihren Mitteln materielle Opser zu bringen, um den traurigen ginanzzustand zu unterstützen. Allein die Rücknahme des Dekretes müssen fie verlangen. Im Falle der Weigerung dringe die Mehrzahl der Petcnten auf gerichtliche B e u r t h e i l u n g .

Diefe Petition hatte zur Folge, daß der Große Rath durch Befchluß vom 23. Hornung 1848, die den Be-

theiligten zur Erklärung gegebene grist bis zum 3i. März

verlängerte.

5. In der Zwischenzeit gelangte der Kanton greiburg wieder in einen Zustand vollständiger Legalität, indem seine Verfassung vom 4. März 1848 in Kraft trat.

Diefe Verfassung, obsdjon die Sorm ihrer Entstehung wenig geeignet ist, ein acht republikanisches Herz zu befriedigen, enthält jedoch eine Reihe von Bestimmungen, die die Rechte des Individuums gegenüber der rohen Gewalt garantirei..

Durch den Art. 3 wird die persönliche Freiheit gcwährleistet, keiner darf verhaftet werden, außer in den durch das ©(.setz vorgesehenen gällen und nur nnter .··Beobachtung der vorgeschriebenen Formen.

Nach dem Art. 6 darf niemand feinem natürlichen Richter entzogen werden.

247 Der Art.

13 erklärt das Eigenthum für unvtr-

letzlich.

Der Art. 32 spricht die Trennung der Gewalten aus und daß je der entfernteste Zweifel hierüber beseitigt und Uebergriffen Thür und Thor verriegelt werden, fügt der

Art. 58 bei: die bürgerliche und die Strafrechtspflege fällt einzig den durch die Verfassung aufgestellten Ge# richten anheim.

6. Nachdem der Große Rath von greiburg am 28. Merz eine Revision des Dekrets vom 20. Ienner beschlossen hatte, wurde am 31. Merz Folgendes verfügt: Die Bestimmungen jenes Dekretes, welche d e n S B e t h e i l i g t e n eine Kontribution auflegten, sind suspend ir t; dagegen wird ein allgemeiner Aufruf an das freiburgische Volk gerichtet, um zu freiwil.-.

ligen Gaben Behufs der Deckung der Kriegskosten einjuladen; je nach dem Erfolge dieser Maßregel behält sich der G r o ß e Rath jede anderweitige Verfügung vor. Die Klöster werden aufgehoben und ihr Vermögen mit dem Staatsgut vereiniget, um für gemeinnützige Z w e c k e v e r w e n d e t zu werden.

Diesem neuen Dekret wurde durch VollziehungsverOrdnung vom 1. und Proklamation vom 3. April 1848

golge gegeben.

7. Der erwähnte Ausruf hatte nicht den erwarteten Erfolg (die Betheiligten behaupten, es seien eirca 400,000 gr. gezeichnet worden), und der Große Rath faßte den 20. Mai einen neuen Beschluß, der folgende wesentliche Punkte enthält: Es wird eine b e d i n g t e Amnestie für politische Vergehen ausgesprochen.

Eine Entschädigungssumme von Fr. 1,600,000 wird den Haupturhebern und Begünstigern des Sonderbunde.5

248 aufgelegt,, so wie auch allen Individuen und moralischen Personen, welche freiwillig direkt oder indirekt zum Widerstand gegen die Befchlüsse der Tagsatzung aufgemuntert und denfelben unterstützt haben.

Der Staatsrath hat die Schuldigen zu be# zeichnen und den A n t h e i l des Beitrags e i n e s j e d e n nach V e r h ä l t n i ß f e i n e s V e r m ö g e n s z u b e s t i m m e n . Diefelben find nach dem Grad i h r e r XI) e i l n a h m e in fünf Klassen zu theilen, und die Bei-

tragspflicht wird nach denfelben verhältnißmäßig abgepuft. Die Zahlung soll in fünf Jahresterminen stattfinden, wovon der erste auf den 1. September 1848 fällt. Zwifchen den Betheiligten der nämlichen Klasse besteht Solidarität. Die moralifchen Perfonen können den Rückgriff gegen ihre Anstifter verfnchen. Von den Betheiligten find Schuldscheine mit genügender Sicherleit auszustellen, die vom 1. März 1848 an mit 5 % verzinset werden m.üssen.

D i e P e r s o n e n der drei e r s t e n K l a s f e n sind für l O J a h r e der politischen Rechte verlustig; der Große Rath kann jedoch diese Dauer abkürzen für diejenigen, welche es verdienen.

Die Personen der ersten Klasse konneu

überdieß durch polizeiliche Verfügung temporär aus dem Kanton verwiesen werden, wenn sie fich politischer Umtriebe schuldig machen.

D i e sechs H a u p t u r h e b e r , w e l c h e d e r Staatsrath bezeichnet, müssen den Kanton für z e h » Jahre verlaffen.

Jm Uebrigen follen keine gerichtlichen Verfolgungen für frühere politifche Vergehen stattfinden.

Zur Vollziehung dieses Beschlusses erließ der Staatsrath am 7. September 1848 eine Verordnung, worin

249 214 Personen oder Familien und 139 Gemeinden als Schuldner bezeichnet und einzeln taxirt werden unter Eintheilung in fünf Klassen. Der Termin der ersten Zahlung wird auf den 31. Oktober 1848 verlegt.

Beispielsweife führen wir folgende Betheilungen bei dieser auf Humanität Anspruch machenden Maßregel an: die .5 amili e Maillardoz hat zu bezahlen Fr. 200,000 granz .Weck und seine g r a u . . . ,, 182,000

Rudolf Weck

,, 00,000

Friedrich Reynold .'

Maurij ïechtermann Ludwig Esseiva Wittwe ©ottrau

,, ,, ,, ,,

80,000 80,000 40,000 40,000

Niklaus Ammann und feine g r a u . ,, 30,000 u. s. w.

8. Den 12. Oktober 1848 richteten etwa 40 Betheiligie das Gesuch an den Vorort, es möchte derselbe der Regierung von greiburg die Vollziehung jener Beschlüsse untersagen, bis die oberste eidgenösfische Behörde die Angelegenheit werde beurtheilt haben. Eine einläßliche, an die Bundesversammlung gerichtete Beschwerdeschrift begleitete dieses Gesuch. Wir entheben derselben die thatsächlichen Behauptungen: Die Mehrzahl der durch die Vollziehungsverordnung vom 7. Sept. bestraften Individuen und Gemeinden seien" früher einfach amnestirt gewesen. Das Dekret vom 20. Ienner habe Alle amnestirt mit Ausnahme der .C)aupturheber, die der Staatsrath bezeichnen und mit einer Kontribution von gr. 1,600,000 belegen soll.

Dieser habe nun in seinem Dekret vom 11. Februar bloß 20 Personen als Schuldige bezeichnet, daher seien alle Andern durch förmlichen Beschluß der souveränen Behörde amnestirt.

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Durchgehe man ferner die jefcige Liste der Beitrags.Pflichtigen, fo werde man überzeugt, daß manche Bürger über ihr Vermögen tarnt feien und andere beinahe bis auf den Betrag desselben. So erscheine die Familie Maillardoz von Rue, Inbegriffen die 72jährige Mutter, mit der Summe von Fr. 200,000. Ihre gamilie sei aus siinf Kindern, darunter 2 Töchtern, bestanden; eine der letztern fei fchon seit v i e l e n I a h r e n t o d t , und werde nun durch i h r e K i n d e r rcpräsentirt, die .5r. 40,000 zu bezahlen haben. Ein anderes Mitglied der gamilie sei seit m e h r e r n Iahren abwesend und werde gleichwohl mit 40,000 gr. und Qrntjug der politischen Rechte für 10 Iahre bestraft. Herr gran,-; Weck fei nebst seiner Gattin mit einer Kontribution von gr. 182,000 belegt und überdieß noch verbannt. -- Ein Herr Roggo besitze noch gar nichts und werde einst etwa gr. 8--9000 erben, gleichwohl müsse dieser innerhalb fünf Jahren 3r. 10,000 bezahlen. Eine Wittwe Gottran, die etwa $r. 15,000 besitze, müsse gr. 40,000 bezahlen, und könne nur aus der Nutznießung des Vermögens ihres verstorbenen Mannes leben. Auf der Liste erscheinen ferner mehrere Erbschaften oder ©enoffcnfchaften, wobei grauen und Greife bctheiligt feien.

Ferner erfchcinc eine Anzahl Personen weiblichen ©eschlechts als .Xheilnehmer an dem angeblichen Hochverrath, worunter eine Demoiselle Agathe von Prarornan, welche seit mehr als fünf Iahren im Auslandc sich aufhalte. Endlich, und das übersteige alle Begriffe, sehe man ans der Liste einen Deputaten von Murtcn, der im Großen Rathe gegen den Sonderbund und gegen den bewaffneten Widerstand gestimmt habe, und zwei Offiziere aus dem Bezirk Murten, welche im November 1847 der Regierung ungehorsam gewesen und nicht

251 marschirt seien, während eine schone Anzahl von Deputirten des neuen Großen Rathes, die zum D e k r e t v o m 20. Mai gestimmt habe, in der Armee des Sonderbundes gewesen sei.

Die Petenten stellen das Gesuch, daß der Beschluß vom 20. Mai 1848 mit seinen Folgen aufj.je-

hoben und die Kriegskoften in billigem Verhältniß dem

ganzen Land aufgelegt werden, -- eventuell, dail den Parteien der gerichtliche Weg eröffnet werde. -- Sine nachträgliche Petition vom 18. Oktober, unterzeichnet von I. Laurent Kilchör von Praroman, der Fr. 800 bezahlen soll, enthält das nämliche Gesuch unter Behauptung seiner gänzlichen Unschuld.

9. Unterm 23. Dezember 1848 erließ der Große Rath ein neues Dekret, das sich auf die verfchiedenen

Aufstände dieses Jahres bezieht und im Art. 7 bezüg-lich auf den vorliegenden Gegenstand folgende Bestinimung enthält : Die durch Beschluß vom 20. Mai und ..Bol.jichungsverordnung vom 7. September 1848 den Urhebern und Begünstigern des Sonderbunds auferlegte Kontribution von Fr. 1,600,000, ist in ein Z w a n g s d a r l e i h e n umgewandelt, r ü c k z a h l b a r o h n e Zinse. -- Die Art der Liquidation und Tilgung, so wie der Zeitpunkt der Rückzahlung werden Gegenstand eines b e s o n d e r n G e s e t z e s fein. -- Durch Art. 8 wurde der Staatsrath ermächtigt, einigen Verbannten auf ihr ©efnch die Rückkehr zu gestatten.

Eine Proklamation dc.3 Staatsrathes vom 27. Dezember 1848 theilte ~ dem Volke diesen Beschluß des Großen Rathes mit und bemerkte in Bezug auf das Zwangsanleihen, d a ß es erst d e n D e s z e n d e n t e n

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der Betheiligten ohne Zins w e r d e zurückbe* zahlt werden.

Es fcheint, der Staatsrath habe nicht nöthig gefnn* den, das Gesetz, welches der Zeitpunkt der Rückzahlung feststellen sollte, abzuwarten, sondern sand besser, von sich aus zu verfügen.

10. Den 5. Jänner 1849 wurde von den bei der Kontribution betheiligten grauen eine neue Befchwerdefchrift abgefaßt und im Februar dem Bundesrath zu Handen der Bundesversammlung eingesandt. -- Die Petentinnen stellen den Antrag, daß sie gänzlich befreit und ihre Namen auf der Liste der Schuldner gestrichen werden, da ihre Belastung ganz ungerecht sei und die spätere Modifikation des Beschlusses vom 20. Mai die drückende Lage nicht ändern. Sie wünschen schließlich, daß die Eidgenossenschaft die Sonderbundskosten erlasse.

11. Jm April 1849 wurde noch eine mit zahlreichen Unterfchriften versehene Petition eingereicht, in welcher die Petente« auch in Bezug des Zwangdarleihens (Dekret des Großen Rathes vom 23. Dezember 1848) Befchwerde führen und ihre Schlüsse für Aufhebung der Dekrete, eventuell Eröffnung des Rechtsweges, -- wiederholen.

12. Die Bundesverfammlung überwies am 19. April 1849 die Petitionen zur Begutachtung an den Bitndesrath. Von diefem giengen sie an den Staatsrath von Freiburg zur Berichterstattung. Dieser ertheilte den 13. Iuni 1849 einen Bericht, der die in Frage stehenden Dekrete zu rechtfertigen fucht und die Erwartung ausdrückt, daß in Anerkennung der angeführten Motive und aus Achtung für das Prinzip der Kantonalfouveränetät die Reklamationen der Petenten »erworfcn werden.

253 13. Der Bundesrath stellt mit seinem Berichte vom 7. März 1850 der Bundesversammlung den Antrag : ,,Ss sei die Regierung von greiburg einzuladen, die Beschlüsse vom 20. Mai, 7. und 23. Dezember 1848 in dem Sinne zu modifiziren, daß den betheiligten Personen während einer zu bestimmenden Frist der Rechtsweg eröffnet werde."

14. Den 14. März 1850 erließ der Große Rath des Kantons Freiburg ein Gesetz, nach welchem das sünfunddreißigfie Jahr als Beginn der Rückzahlung des

Zwangsanleihens bezeichnet wird. Die Rückzahlung soll von dort an in fünf Jahresterminen erfolgen.

15. Während der Dauer der gegenwärtigen Bundesversammlung find bei dem Nationalrathe eingegangen: a. Eine Denkschrift der Regierung von greiburg,

vom 29. März 1850 ;

b. eine Gegendenkschrift vom 15. April J85O von Seite eines Theils der Kontribuirten als Entgegnung auf obige ...Denkfchrift ;

c. eine Menge von Petitionen für und wider die

Dekrete ;

d. eine Petition des Franz Wek von Freiburg, welche gegen die vorwärtsschreitende Exekution der Dekrete reklamirt.

Wir werden bei der nun folgenden Rechtserörterung hinreichenden Anlaß finden, die Motivirung zu besprechen, deren fich die oben zitirte freiburgische Staatsschrift bedient.

Es werfen fich uns die Fragen aus.

A. Liegt in den Dekreten vom 20. Mai, 7. Sept.

und 23. Dezember 1848 und 14 März 1850 eine Verletzung der freiburgischen Verfassung ?

254 B. Giebt der Tagfatzungsbefchluß vom 2, Dezember 1847 den freiburgifchen Behörden das Recht, »erfassungswidrige Maßnahmen zu treffen ; C. Erfcheint das Einschreiten der eidgenössischen Behörden formell und materiell gerechtfertigt ?

A. Die freiburgifchen D e k r e t e gegenüber der K a n .t o n a l v e r fa ssu n g.

Die Thätigkeit der freiburgischen Behörden in £Öezug auf vorschwebende Angelegenheit fällt in zwei von einander wefentlich unterschiedene Perioden. Die einte dieser Perioden ist die v o r Annahme der Verfassung vom 4. März 1848 -- die Zeit des Proviforiums, -- die andere nach Annahme diefer Verfassung, die Zeit eines wieder gehörig geregelten, legalen und festen ge-

sellfchaftlichen Zuftandes.

Man sollte nun voraussetzen dürfen, daß gefetzlofe Vorkehren; durch die Nothwendigkeit geboten, in die Epoche vor der Verfassung fallen und als Folge dadurch den Sonderbund herauf befchwornen Revolution, wenn auch nicht vollständige Rechtfertigung doch gewissermaßen Entfchuldigung finden müssen. Allein dem ift nicht fo. -- Was zur Zeit des Provisoriums von Seite der Regierung und des Großen Rathes gegen die Urheber und ...Begünstiger des Sonderbundes verfügt wurde, trägt den Stempel der strengen Legalität. Die unglückliche Begriffsverwirrung in Bezug ciuf die Befugnisse der Gewalten im repnblikanifchen Staate war trotz der vorausgegangenen und noch kaum gedämpften Stürme der Revolution noch nicht eingetreten.-- Ein tiefes und

richtiges Gefühl mag die proviforifchen Behörden geleitet haben, nämlich, das Gefühl, daß gerade der Versuch des Sonderbundes, die gesetzliche Ordnung und

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das Staatsrecht der Eidgenossenschaft über Bord zu werfen, das Vaterland in die größte Gefahr gestürzt hatte. -- Und sollten nun die Vertheidiger und Schirmer der gesetzlichen Ordnung das Gesetz selbst über Bord werfen?

Die provisorische Regierung handelt innert den Schranken des strengsten Rechts, wenn sie unterm 29. Novembcr 1847 erkannte, die Urheber und'Begünstiger des Sonderbundes, sollen vor die ordentlichen Gerichte gebracht werden, welche über Strafe und Entschädigung zu entscheiden haben.

Eben so unzweifelhaft ist der Beschluß des Großen Rathes vorn 20. Iänner 1848 rechtlich begründet. Die gleiche Behörde, welcher die Amnestieertheilnng zustund, durfte auch die Bedingungen der Amnestie aufstellen, sobald den Amnestirten freigegeben war, die Amnestie anzunehmen, oder aber sich dem gerichtlichen Ausspruch über das Schuldig oder Nichtschuldig zu unterwerfen. -- Die Angeklagten verlangten nun unter Anerbietung von materiellen Opfern Aufhebung des AmnefHedekrets, oder, wenn dieses nicht möglich, gerichtliche Beur-

theilung. --

Man hätte nun billiger Weise erwarten sollen, damit sei die gormsrage definitiv abgethan. Aus gesetzgcberischem Wege wurde den Angeklagten das Recht des Entscheides durch den Richter zugestanden und sie haben sich dem richterlichen Entscheid unterworfen. -- Wenn wir auch absehen von der positiven Verfassung und den unabänderlichen Grundlagen des demukratischen Staates, [o müßte an und für sich das zitirte Dekret entscheidend [ein. Es stund allerdings dem Gesetzgeber frei, die Sage, dir dem Inkulpaten durch das Dekret eingeräumt wurde, zu verbessern, aber verschlimmern durfte er fie-

256 nicht. Das Recht der Berufung an den Richter war angestanden, unwiderruflich zugestanden.

In Freiburg haben es die auf verfassungsmäßigem Boden gestellten Behörden anders verstanden.

Zuerst (den 28. März) ward eine Revision de* Dekrets vom 20. Jänner beschlossen und zwar damals offenbar noch im Sinne der Milde. Die Bestimmungen diefes Dekrete, insofern es tcn Bctheiligten eine Kontribution auflegte, wurden sufpendirt, ein allgemeiner Aufruf an das Volk zu freiwilligen Gaben behufs der Deckung der Kricgskosten erlassen und die Aufhebung der Klöster erkennt. -- Diese Dìafh'erteln scheinen nicht tcn erwarteten Erfolg gehabt zu haben und nun erschien ta.? ominöse Dekret vom 20. Mai, das wohl eher tic Ausgeburt einer gereizten Stimmung als einer ruhigeu falten Gesctzgebungs*

.Politik ist.

Unter dem ...Borwande einer bedingten Amnestie werden einzelne Judividuen und selbst moralische Personen ju

Bezahlung einer (.xntschädigung.?summe v. gr. 1,600,000

verurtheilt, -- der Staateratl» wird autorisirt, die Schuldigen zu ofzeichnen und ine Beiträge der Einzelnen nach Verhäitniß etwa der Vcrsuntldung, rein, nach Maßgabe toeo Vermögens \n («..niminen. Diesem folgen Bürgerrechtseinstellungen unr Verbannungen und die Autorisation der Polizeigwalt int galle von politischen Umtnc.>:.t, Sandesverwrisungen aufzusprechen.

-- Die Tarationen des Stvt.itvv.ithe.? find dann erschienen. ...Dif Sistc der Vm.v.ïu'.lirn beschlägt 214 Personen oder gamilien und 13,(i (Gemeinden. Ob die Verurtheiltcn je angehört werden, .welche Beweise dem Staatsrathe über Schuld oder Nichtschuld vorlagen,

wo derselbe die ©ranze zwischen Schuld und Nichtschuld

257 fand, wo die Berechtigung hergenommen wurde, Wittwen und Waisen und ganze Gemeinden zu tarnen, u. f. w. darüber schweigen die Akten. -- Wir haben darüber nichts vor uns liegen, als die Argumentation der freiburgischen Staatsschrift, die uns, um uns des mildesten Ausdruckes zu bedienen, mit dem größten Erstaunen erfüllte. Da wird von Volksjustiz, Wiedervergeltung, Entrichtung von Vermögen als Präventivmittel gegen künftige Revolutionen, von Rechten der Gesellschaft gegenüber dem Individuum in einer Weise gesprochen, die am Schlagendsten beweist, wie unerläßlich es ist, die verfassungsmäßigen Zustände mit eiserner Hand festzuhalten, wenn nicht die Grundfesten aller gesellschaftlichen Ordnung zusammenbrechen xtnd Despotismus, Kabinetsjustiz und nafte Wülfür an ihre Stelle treten sollen. -- Statt solcher Argumentationen hätten wir lieber nähern Aufschluß über die materielle Erledigung der Schuldigerklärung und Taxation erhalten, da wir in der Form, wie die Sache behandelt wurde, feinen Trost finden. -- Auch bleibt uns die Aushebung reicher Klöster mit einem diesjährigen Defizit von Fr. 48,000, wie uns die sreiburger Staateschrist versichert, so wie überhaupt die sreiburgische Finanzlage ein ungelöstes Räthsel.

Wenn nun der Große Rath von Freiburg unterm 23. Dezember 1848 die Kontribution von gr. 1,600,000 in ein unzinsbares Zwangsanleihen umwandelte, dessen Rückzahlung nach einem spätern ...Dekret in 35 Iahren erfolgen soll, so hat er damit allerdings das Kontributionsgese..1. zurückgenommen und die Einfodcrung der Summe auf eine ganz veränderte Grundlage bafirt, allein eben fo gut die Kontribution ein Eingriff in das

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Vermögen der Betheiligten ist, eben fo gut ist es auch das Zwangsanleihen.

In Zeiten großer Gefahr und Noth, wo die hochsten Interessen eines Staates in Frage stehen, kann allerdings ein Zwangsanleihen seine Rechtfertigung finden. Dabei dürften aber nie zwei wefentliche ©rundfäize außer Acht gelassen werden. Für einmal dürfte sich ein solches Gesetz nie gegen einzelne Individuen, sondern die tarin aufgestellten Prinzipien müßten fich gegen Alle richten, sei es nach Maßgabe des Vermögens, oder sonstiger Befähigung zur Herbeischaffung baarer Summen. .-Tann soll das Zwangsanleihen den Charakter als Anleihen immer behalten, wonach die Vergütung landesüblicher oder gesetzlicher Interessen an die Darleiher erfolgen müßte. Ein Zwangsanleihen, wie es grcilMrg' dekretirte, greift in hohem Maße in das Vermögen der Betheiligten ein, fca der Jnteressenverlnjl bei der Unverzintfl'arfeit während 35 Iahren den Betrag des Kapitale selbst um zwei bis drei Mal übersteigt.

Ein während 35 Iahren unvcrzinsbares Kapital ist îauî» einen Dritttbeil eines zinstragenden werth.

Wir könnten uns der Mühe überheben, nachzuweisen, daß die sreiburgischen Dekrete die offenbarsten Versassungsverletzungen enthalten, zumal die wiederholt citirte Staatsschrift dieses so ziemlich unumwunden zugesteht und zu verstehen gibt, daß unter gewissen Umständen eine Verfassungoverlejjung eben keine fo große Sünde fei. Da möchten wir aber fragen, warum wollt ihr eure ©egner wegen Verfassungsbruch strafen, denn offenbar war der Sonderbund nichts Anderes als eine Auflehnung und G.itpönmg gegen verfassungsmäßige Zustände, wenn ihr in einer Zeit des tiefsten Friedens euch über die von euch selbst gemachte Verfassung hin-

259 wegsetzt? Ist etwa nur das Volk an eine Verfassung gebunden; bürdet die Verfassung dem Volke nur Pflichtcn aus, hat es damit nicht bestimmte Rechte erworben?

Und wer ist das Volk, besteht es nur aus einer Partei mit einer bestimmten politischen Färbung, oder ist es die Vereinigung aller Staatsbürger mit dem demokratischen Rechte der Gleichheit vor dem Gesetze ? Vor Allem aus find die Behörden an die Verfassung gebunden, denn was sie zu rechtmäßigen Behörden macht, ist eben die Verfassung.

Die freiburgische Verfassung vom 4. März 1848 trat zu einer Zeit in's Leben, wo die politischen Zustände dieses Kantons gewiß noch weniger beneidenswerth waren, als sie es gegenwärtig find. Man wußte nur zu gut, daß mit dem Sturze des Sonderbundes der Geist der Sonderbündlerei noch nicht vertrieben war.

Man kannte die Gegner des neuen politischen Systems so gut, als man sie heute kennt. Und doch hat man in die Verfassung die die Rechte eines jeden Staatsbürgers schirmenden Grundsätze aufgenommen: perfönliche .Jrei-

heit, -- Unverletzlichkeit des Eigenthums, -- Gewalten-

irennung mit dem bestimmtesten Zusatz: die bürgerliche

und die Strafrechtspflege fällt einzig den durch die Verfassung aufgestellten Gerichten anheim.

Und was thut der Große Rath von greiburg, die

einzig zur Gefetzgebung befähigte Behörde, nicht einmal drei Monate später ? Er spricht Bürgerrechtseinstellungen und Verbannungen aus, er erkennt Eingriffe in das Vermögen einzelner Staatsbürger, er betraut den.Staatsrath mit Funktionen, die rein richterlicher Natur find.

Die Revolution ist kein Prärogativ des Volkes,

auch die Behörden können revolutionär werden, wenn fie die Verfassung unter die güße treten.

Bnndesblatt. Jahrg. II. Bd. II.

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260 B. Der Tagfatzungsbeschluß und das Recht des Rückgriffs der Sonderbundskantone auf

die S.chuldigen..

Wenn die Tagsatzung durch Beschluß vom 4. Des zember 1847 in Bezug der Kriegskosten gegen den Sonderbund den Kantonen das Rückgriffsrecht gegen diejenigen vorbehielt, welche sie als schuldig finden m ö g e n , -so läßt sich dabei unmöglich voraus setzen,

daß die Ansicht waltete, die Großräthe und Regierungen

der Sonderbundsständc seien berechtigt, von sich aus ohne Dazwifchenkunft des verfassungsmäßigen Richters aus der Anzahl der Bevölkerung die Schuldigen nach Belieben herauszulesen. Eine solche Voraussetzung kann und darf man bei einer Behörde nicht haben, die die Gefahren eines Krieges nicht fürchtete und das Blut des Schweizervolfes nicht zu kostbar fand, um die verfassungsmäf igen Zustände der Eidgenossenfchaft zu retten.

Und diese Behörde sollte den glücklichen Ausgang des Sonderbundskrieges nur bazn benuct haben, um den Verfassungen der schweizerischen Kantone den empfindlichfien Streich zu versetzen? So haben es die Sonderbundskantone auch nicht verstanden, wie uns namentlich das von Kriegskosten hart belastete Luzern beweist.

Auch greiburg wußte das wohl, wie die Schlußnahmen der provisorischen Regierung und des Großen Rathes, wie wir vorne zeigten, deutlich darthun. Ein fernerer Beweis liegt in der sreiburgischen Verfassung, sonst wäre wohl dort bei der Gewaltentrennung in Bezug aus die Anstifter und Begünstiger des Sonderbundeg eine Ausnahme gemacht .worden« Wenn der Tagsatzungsbeschlujj den Kantonen das Rückgriffsrecht auf die Schuldigen einräumt, fo wfrd

261 darunter gewiß nicht der Große Rath oder ein Staatsrath verstanden, sondern eben die verfassungsmäßige

Behörde, welche über Schuld oder Nichtschuld entscheidet.

Jeder gilt für unschuldig, bis das Gegentheil er*» »viesen ist,, lautet eine allgemeine Rechtsregel.

Daß die Regierung von Freiburg wenig Hossnung zu haben scheint, bei ihren eigenen Gerichten gegen die Anstifter des Sonderbundes durch zudringen, dürfte wohl die eidgenosfischen Behörden kaum bewegen, die Sache dem ordentlichen Rechtsgang zn entziehen. Ueberhaupt erregen die wenigen materiellen Begründungen der Schuld der Betheiligten, wie fie in der freiburgischen Staatsschrift zum Vorschein kommen, großes Bedenken, besonders unter Hinblick auf das Groprathsreglement, welches einer liberalen Regierung sein Entstehen ver.dankt, und das die Unverantwortlichkeit der Mitglieder des Großen Rathes für ihre Voten zum Grundsätze macht.

Es liegt wohl in der Natur der Sache, daß die Tagsatzung, die das Kriegsrecht für fich hatte, den Sonderbundskantonen für die Kriegekosten keinen Prozeß zu machen hatte. Ungefähr mit gleichem Fug konnte man auch behaupten, anstatt mit den Waffen hätte man den Sonderbundshandel auf dem prozeßualischen Wege ausmachen sollen.

Die Motivirung des bundesräthlichen Antrags über

diese Frage drückt vollständig auch unsere Ueberzeugung aus. --

C. Berechtigung des Bundes zum dinschreiten.

2)as Verhältniß in Bezug der Garantie der Kantonalverfassungen zwischen dem Bundesvertrag von 1815 und der Bundesverfassung von 1848 ist kein wesentlich

262 .verschiedenes. An beiden Orten wird der Grundsatz festgehalten, daß die Kantonalverfassungen unter die Garantie des Bundes gestellt werden müssen. Freilich hat der Egoismus der einzelnen Kantone -- besonders von 1848 -- häufig ein energisches Einschreiten des Bundes bei Verfassungsverletzungen verhindert, indessen bleibt doch immer der Begriff feststehen, daß unter Garantie der Verfassungen nie und nimmermehr ein Schutz- und .strutzbündniß der Regierungen unter fich, fondern auch der Schutz der verfassungsmäßigen Rechte des Volkes verstanden werden mußte. Dieser keineswegs neuen, sondern schon im frühern schweizerischen Staatsrecht bcgründeten Anficht hat nun der Art. 5 des neuen Bundes ein festes Gepräge gegeben. Er lautet: ,,Der Bund gewährleistet den Kantonen ihr Gebiet, ihre Souveränetät innert den Schranken des Art. 3" (soweit dieselbe nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist), ihre Verfassungen, die Freiheit, die Rechte des Volkes itnd die verfassungsmäßigen Rechte der Bürger gleich .den Rechten und Befugniffen, welche das Volk den Behörden übertragen hat."

Man fand fogar für nöthig, einige wefentliche Rechte des Volkes ausdrücklich in die Bundesverfassung aufzunehmen, namentlich auch, daß zur Garantie einer Kantonalaerfassung durch den Bund die Annahme derfelben durch das Volk und das Revifionsrecht, wenn die abfolute Mehrheit der Bürger dasfelbe beanfpruche, erforderlich sei (Art. G litt, c der Bundesverfassung). Freilich letzte dann der Art. 4 der Übergangsbestimmungen fest, daß die in litt. .? des Art. 6 enthaltenen Bestimmungen auf die schon in Kraft befiehcnden Verfassungen der Kantone keine Anwendung finde.

263 Wem wurde dieses schwere Opfer gebracht? -- Die Regierung von Freiburg mag es am Besten wissen.

Die Art. 74, Nr. 7 und 8, und Art. 90, Nr. 2

und 3 weisen die Garantie der Kantonalverfassungen dem Geschäftskreise der Bundesbehörden zu.

Nach diesem stellen wir den einfachen Satz auf: das hergebrachte Recht der fchweizerifchen Zentralbehörde aus Garantie der Kantonalverfassungen berechtigt sie, gegen alle und jede Verfassungsverletzungen, kommen sie von oben oder unten, einzufchreiten, und sei die Verfassung zur Garantie vorgelegt worden oder nicht. -- Die nachträgliche Einholung einer Verfassungsgarantie von Seite einer Regierung berechtigt fie keineswegs, die Zwischen.« zeit von der Verfassungsannahme bis zur Garantie zu Verfassungsverletzungen zu benutzen, sondern jede Re# gierung ist schon durch die Annahme der Verfassung zu Einhaltung und die eidgenösfischen Behörden zum Schutze derselben nicht bloß berechtigt, sondern förmlich verpflichtet.

Diese Verpflichtung ist nur insofern nicht vorhanden, als eine solche Kantonalverfassung mit den ...Bestimmungen der Bundesverfassung in Widerspruch stünde.

Ein Theil der in der Kontributionssache Betheiligten haben auch nicht unterlassen, schon unterm 12. Oktober 1848 (also kurze Zeit nach dem von der Regierung von ·greiburg erlassenen Erekutionsbeschluß über das Dekret vom 20. Mai) bei dem Vorort Beschwerde zu sühren.

Sie stellten das ganz gleiche Gesuch, welches heute zur Behandlung vorliegt, nur ist seither die Kontribution in ein Zwangsanleihen umgewandelt worden.

Wenn nun die eidgenösfischen Behörden nicht sofort auf die Sache eingingen, so ist dieß gewiß kein Grund, die Petenten abzuweisen.

Vor Publikation des Exekutivbeschlusses der Regie*

264

rnng von greiburg, die übrigens erst nach Annahme und in Krafterklärung der Bundesverfassung vorn 12. September 1848 erfolgt sein soll, konnten die Be-

theiligten doch nicht wohl Schritte bei den eidgenössischen Behörden thun, da je erst durch den Erekutionsbeschluß

die angeblich Schuldigen ausgemittelt wurden. -- Das Gesetzjvom 20. Mai hatte nur Grundsätze ausgesprochen, ohne Namen zu nennen.

Wer soll nun über die zur rechten Zeit hängig ge* wordenen Reklamationen der Betheiligten entscheiden?

Soll man die alte Tagsatzung noch einmal zusammen* rufen, oder find es die gegenwärtigen Behörden, die zu entscheiden haben? -- Die Antwort ist nicht schwer. Wo der Organismus irgend eines Staates wechselt, gehen auch die alten unerledigten Geschäfte an die neuen Behörden über. Unter diesem hat wohl noch kaum jemand im Ernste die rückwirkende Kraft eines Gesetzes verftanden.

Indessen wollen wir für einen Augenblick den jedem Gefühle und dem strengsten Rcchtsfinne widersprechenden Satz annehmen, den eidgenössischen Behörden stehe kein Recht zu, gegen das verfassungswidrige Dekret vom 20. Mai einzuschreiten, wie würde es fich dann mit dem erst den 23. Dezember 1848 erlassenen Dekret über das Zwangsanleihen verhalten, das sogar erst durch ein im letzten März hinzugefügtes Dekret über die fünfund-

dreißigjährige Rückzahlungsfrist vervollständigt würde?

Den 23. Dezember 1848 waren die neuen eidgenöffifchen Behörden vollständig organifirt. Kann greiburg unter dieser Ordnung der Dinge Zwangsanleihen [dekretiren, die alle Sicherheit von Besitz und Eigenthum in Frage stellen, so wird es anderwärts auch erlaubt sein, auf beliebige Termine unzinsbare Gelder bei politischen Geg-

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nern zu erheben. -- Dann hätte man freilich die wesentlichsten Bestimmungen unsrer Bundesverfassung füglicher weggelassen und statt eines auf den Grundsa$ der Demo« fratte gestützten Bundes der schweizerischen Bevölkerun* Öen einen Herrenbund errichtet.

Halten wir sejl an Recht und Gerechtigkeit, den ein&igen Nutzen des greistaates ; fallen wir nicht in die unverantwortlichen gehler unserer politischen Gegner, um nicht auch einmal ihr wohlverdientes Schicksal zu theilen.

Das ist die Bedeutung des greiburgerhandels.

Nach einer Beschwerde des grans Wek führt die Regierung von greiburg mit der auf die bekannten Dekrete bezüglichen Crekutivmaßregeln fort. Es ist eine unerläßliche Folge der Annahme des bundesräthlichen Antrages, die Exekution zu suspendiren, bis der Richter entschieden hat, was wohl einer nähern Erörterung nicht bedarfDie Minderheit stellt nun folgende Anträge: ·I. ' Der Antrag des Bundesrathes: ,,Es sei die Regierung von greiburg einzuladen, die Beschlüsse vom 20. Mai, 7. September und 23. Dezember 1848 (mit Einschluß des Dekretes vom 14. März 1850) in dem Sinne zu modifiziren, daß den betheiligten Personen, während einer zu bestimmenden grist der Rechtsweg eröffnet werde," ist zum Beschlüsse erhoben.

266 II.

Die Srekutionsmaßregeln gegen die durch die zitirten Beschlüsse Betheiligten sind fuf.pendi.rt.

Bern, 26. April 1850.

Der Berichterstatter der Minderheit: Trog.

G. H. Dufour.

B e r icht i g u n g.

Statt des wirklichen Befchlusses der Bundesversammlung über die nachgesuchte Garantie der Verfassung von Unterwalden nid dem Walde ist der Redaktion dieses Blattes der abweichende Entwurf zu Handen gekommen.

Diefer Jrrthum foll nun durch Aufnahme des folgenden Dekretes, wie es am 9. Mai erlassen worden, abgehelfen werden.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht der Verfassung des Kantons Unterwalden nid dem Walde, vçm 1. April 1850 und des darauf bezüglichen Berichtes des Bundesrathes

in Erwägung: 1) Daß der Art. 77 diefer Verfassung im Widerspruche steht mit Art. 6 litt, c der Bundesverfassung, welcher vorfchreibt, es müsse jede Kantonalverfassung revidirt werden können, wenn die abfolute Mehrheit der ·Bürger es verlangt; 2) daß im Uebrigen diese Verfassung nichts enthält, was den Vorschriften der Bundesverfassung zuwiderläuft,

267

indem namentlich der in Art. 4 der erstern gewährleistete fortbestand der Klöster nicht anders als unter Vorbehalt der in Art. 44 und 46 der letztern dem Bunde eingeräumten Rechte und so lange die oberste souveräne Behörde von Unterwalden nid dem Wald die Klöster beibehalten wissen will, verstanden werden kann,

beschließt: 1) Es sei die nachgesuchte eidgenössische Garantie der Verfassung des Kantons Unterwalden nid dem Wald für so lange nicht zu ertheilen, bis der Landrath dieses Staudes kraft der ihm am 1. April d. I. von der Sandsgemeinde übertragenen Vollmacht, den erwähnten Art. 77 abgeändert und mit der Bundesverfassung in Einklang gebracht haben wird.

2) Artikel 4 der gedachten Kantonsverfassung kann nicht Gegenstand eidgenössifcher Garantien sein.

3) Der Bundesrath wird mit der Vollziehung beauftragt.

Also beschlossen Bern, den 9. Mai Also beschlossen Bern, den 9. Mai

#ST#

vom schweizerischen Ständerathe, 1850.

vom schweizerischen Nationalrathe, 1850.

Ans den Verhandlungen des Bundesrathes.

(Vom 3. Iuli 1850.)

Das Bundesgericht übermittelt mit Zuschrift vom 26. vorigen Monats einen von demselben gefaßten Beschluß, betreffend die Anordnung der Erneuerungs*

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht und Anträge der Minderheit der vom Nationalrathe in der FreiburgerAngelegenheit niedergesetzten Kommission.

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1850

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32

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13.07.1850

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