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Schweizerisches

·» Jahrgang II. Band I.

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Dienstag, den 0. Aprir 1850.

Man abonnirt ausschließlich beim nächsta.elec)enen Pcstamt. Preis für das Jahr 1850 im ganzen Umfange der Schweiz p o r t o f r e i S5rfn. 3.

Jnser(.te sind sranlirt an die Expedition einjtifenden. Gebühr 1 Batzen per Zeile oder deren Rannt.

Verhandlungen der 'Bundesversammlung, des tlatijtnal- «nd .Stflndt.'ra.heö.

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des

Herrn Dr. Alfred Escher, P räsidenten des National= rathes, gehalten bei Eröffnung desselben, am

5. April 185O.

Meine Herren!

Sie sind zu der vierten Abtheilung der wichtigen ordeutlichen Sitzung des Nationalrathes vom Jahre 1849 zusammengetreten. Wenig mehr als ein Vierteljahr ist verstrichen, feit wir uns getrennt haben. Obgleich dieser Zeitraum ein sehr kurzer genannt werden darf, sind doch während desselben manche Erscheinungen zu Tage getreten, welche für den schweizerischen Bundesstaat von großer Bedeutung sind. Jch würde meiner Aufgabe nicht zu genügen glauben, wenn ich nicht vor dem Beginne unferer .·Bundesblatt I. Iahrg. II. Bd. I.

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246 Verhandlungen Jhre Aufmeïfsan.keit aus jene Erscheinungen hinlenken würde. Es scheint mir dieß um so eher in meiner Stellung zu liegen, als ein würdigender Blick aus dieselben vielleicht nicht ohne Einfluß auf den Gang der uns bevorstehenden inhaltsschweren SSerhandlungen fein wird.

Die B e z i e h u n g e n der Schweiz zu dem Auslande anlangend, gewann es vor einiger Zeit den Anschein, als wollte von Seite besonders zweier ©roßmächte eine seindselige Stellung gegenüber der -Schiveiz eingenommen werden. Es ist zwai. nicht zu lchtjiucn, daß von bedrohliche..

3umutt.wn.3Cn des Auslandes, 'Oic in Aussicht stehen oder bereits erfolgt seien, nirgends «.ehr die Rede war, als in der schwcizcrijchen Preise, Me, wenn auch mit anerkennensvm'.Ocn Ausnaln......, fcoch im Ganzen gcnommen in dieser BezicCuug eine wenig erquidliche @eschästigifd.. ou tcn Tag gelegt l.ct. Dessenungeachtet ïarnt aber nicht duran gezweifelt '.ycrlcu, baß die Rcftftion in Europa ct»c-3 'ceï <3ch.if.eij uCöci.iu'U1 im Schilde fuVï-.c, ja daß, »aö sie sui. einmal aufzukleben für gut gesunyen haben mag, ...·cßwegen noà; «ticht dò ohne weiier..? aufgehoben ï>.;iva..».t.:t werben bavf. C.?<5 ist nun einßiat der SieakHon d a ß Land vor allen Pin "icyijerniß, das nicht ciwa durch eine iväSievische Propaganda, sondern einzig burcî) die ruhig: Wlùty des ...Scis.Htï.-o tnit den Ansiof zu dcï letzten tc;îï'.vuïtigen ©rhe'oaug fcer Völfev Europa'..? ge« geben und bas |)inwieder ai'3 .C'crn Sturme, ber involge dieser Et.hc-.nmg itnscrn ...3Scu.i':ca c-vschütterte, bic gcaichtigstcn un.) -jaucvhflf.estcn (rrturu-jcHscIjaftcr.: gerettet hat: die Schv.;ciz als gefräftiglev .oemcivatischcr Freistaat ijî der. Dont in dem -..luge der europäischen OïeafiiOtt, Scr Vorwurf, welchen sie der (cchtoeij macht, ist also cigciulich der, iHiß tie Schweiz ci-en i ft, ivas sie zum Theile

247 fchon von Alters her war und nun nach ihrer neu errungenen Verfassung in noch erhöhtem Maße fein foll. Aber fo offen wird dann freilich nicht gesprochen, wenn es darum zu thun ist, der Schweiz zu Leibe zu gehen.

Gründe brauchen ja nicht angeführt zu werden, wo Vorwände denselben Dienst leisten. Die eigentliche Anklage gegen die Schweiz bleibt dann also im Hintergrunde der Gedanken und aus dem Papiere werden Beschwerden irgend welcher Art erhoben, die ja, wenn man sie finden will, auch immer gefunden werden können. Wie foll sich nun aber bei solcher Stimmung der europäischen Reaktion gegen die ©chweiz unser Vaterland dem Anslande gegenüber verhalten? Jch habe im legten Sommer, als wir am Schlüsse der ersten Sitzungsabtheilung von einander Abschied nahmen, von dieser Stelle aus Ihnen zugerufen, der Wille des schweizerischen Öoifes gehe dahin, ,,daß die Schweiz {Ich nicht ohne dringende Noth in "auswärtige Händel einmischen, daß sie aber, wenn ihr ,,voin Sïuslande in irgend welcher Weise zu nahe getreten //werden wollte, dicß mit aller Entschiedenheit und unter ,,Anwendung aller der Schweiz zu Gebote stehenden Kra'stc ,,zurückweisen solle." Was ich damals g.-sagt, fann ich jetzt nur 'wieberholen. Der Wille unserco Soi't'es ist derselbe geWicben. Er beruht aus einer richtige» SBürdigung der besondern Verhältnisse unsere ...ßaterlante...'. @s darf nicht aus dem Auge gelassen werden, dafj bie ©chweiz ein kleines Sand ist. Dieser Umstand kann nicht in Beröcksichtigung falle», wenn es sich um ?...fmy,.'.al.:w.g der Unabhängigkeit der Schweiz hanbelt. .Sein Sand in zu klein, um seine Selbstständigfeit zu vcrtheibigen.

Dagegen dürfen wir unsere Duadratmeiien und unsere Bevölkerung wohl zählen, wenn es um eine Einwirkung der Schweiz auf den Gang der politischen Verhältnisse in

248 andern Ländern zu thun ist. Und hier komme ich auf die ...Öölkersolidarität zu sprechen, über deren Aufnahme in das politische Glanbcnsbekenniß der Schweiz fortwährend fo viel Streit waltet. Jch habe es nie begreifen und noch weniger billigen können, wenn von freisinniger Seite über

die Völkersolidarität gespottet wurde. Wenn es gewiß scheint, daß in Europa eine wohl über alle Länder verzweigte Partei besteht, welche dazu verschworen ist, die Demokratie niederzuhalten und demnach die Völker zu unterdrücken, ist dadurch nicht um diese letztern das natürgemäße Band eines gemeinsamen Interesses, jenem Treiben entgegenzuwirken und ihre unveräußerlichen Rechte geltend zu machen, wie von selbst, ja geradezu mit Nothwendigkeit geschlungen? Und wenn jene erstere Partei, die Reaktion in Europa, überall wohl organisirt und nach einem einheitlichen Plane geleitet, schlagfertig dasteht, die Völker dagegen zur Wahrung der ihnen gemeinschastlichen Interessen wenig oder eigentlich gar nicht geeinigt sind, verdient die Jbee der Völkerfolidarität deßwegenals ein Hirngespinnst müßiger Köpfe verlacht zu werden, oder wäre jene Erscheinung nicht lediglich eine Bestätigung davon, daß die innere Berech-

tigung und die Notwendigkeit der Völkersolidarität noch

nicht genugsam zu allgemeiner Anerkennung gebracht, daß noch zu wenig sür eine wirksame Betätigung derselben geschehen sei? Jch erblicke also in der Jdee der Völkersolidarität eine der schönsten, welche wir den politischen Denkern der Gegenwart zu verdanken haben. Jch gehe noch weiter und sage, daß diejenigen, welche ein Herz haben für die Freiheitsbestrebungen der Völker und denen darum das Herz blutete bei den Erfolgen, welche die Reaktion in unaufhaltsamem Siegeslaufe über jene Bestrebnngen davon getragen hat, auf diefem Schlachtfelde der europäischen Demokratie in der Jdee der Völkersolidarität

249 und wesentlich auch in dieser noch etwelchen Trost für die bittere Täuschung ihrer schönsten Hoffnungen gefunden haben.

Aber wenn wir in dieser Weife die Jdee der Völkersolidarität sreudig begrüßen, so müssen wir uns über die Art ihrer Anwendung aus das Verhalten der Schweiz dem Auslande gegenüber noch näher erklären. Man hört bisweilen die Lehre aufstellen, es liege kraft der Völkerfolidarität in der Pflicht der Schweiz, so oft in einem andern Lande ein Kampf um die Volksfreiheit entbrenne, die Waffen zu ergreifen und denen zu Hülfe z« eilen, die in diefem Kampfe für die gute Sache streiten. Oder es wird

.....enigstens behauptet, gemäß der Völkerfolidarität müsse die Schweiz, um mich bildlich auszudrücken, die Festung fein, aus der ein schlagfertiges Freiheitsheer fortwährend Ausfälle in das Gebiet anderer Staaten zu machen hätte, um im günstigen Falle dort den Kamps für die Volkssreiheit zu entzünden und zum Siege zu wenden, im ungünstigen Falle aber sich wieder in den sichern Gewahrsam der Festung zurückziehen zu können. Die Begeisterung

sür die Verwirklichung herrlicher politischer Jdeale möchte wohl zu dem Wunsche hinreißen, die Schweiz kraft der Völkerfolidarität diefe Stellung einnehmen zu sehen. Aber es ist der großen Sache der Volksfreiheit nicht mit bloßer

Begeisterung gedient : sie erheifcht auch wohl überlegende Klugheit. Und die Klugheit gebietet nun eben, den Unterschied, der in dieser Beziehung zwischen einem großen und einem kleinen Staate besteht, wohl ins Auge zu fassen.

Ein großer demokratifcher Staat mag die Pflichten, welche

ihm die Völkerfolidarität auflegt, in der eben geschilderten Weife verstehen. Für einen kleinen Staat, wie unser Vaterland, könnten diese Pflichten unmöglich dieselben fein.

Die Gefahren, denen sich die Schweiz bei einer folchen Politik aussetzen würde, wären außer Verhältniß mit dem

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Nutzen, den sie damit zu stiften vermöchte. Das Prinzip

der Selbsterhaltung verbietet ihr alfo, diese Politik zu »erfolgen. Aber auch den Anhängern der Demokratie außer unferm Vaterlande unterfagt ebenfalls das Prinzip der Selbsterhaltung, der Schweiz jene Politik anzurathen.

Jhre Interessen sind zu enge mit dem Bestehen einer dentokratischen Republik in dem Herzen Europa's verknüpft.

Und nun sind wir unmerklich aus die große Aufgabe gekommen, welche unser Vaterland in Europa im Jnteresse der Demokratie zu lösen hat, auf die wahre Art und Weise, wie die Schweiz ihrerseits die Völkersolidarität

bethätigen soll. Die Schweiz ist dazu berusen, durch die Macht des Beispieles der heiligen Sache der Völkersreiheit Vorschub zu leisten. Ja, meine Herren, unser Alpenland soll der Hochaltar der Freiheit in Europa sein. Diesen Hochaltar rein und unbefleckt zu erhalten, ihn zu erhalten in seiner vollen Würde und in seiner ganzen Erhabenheit, das ist die schöne Ausgabe, welche die Vorsehung unferm Volke in der Reihe der Kämpfer sur die Demokratie zu

lösen übertragen hat. Erfüllt das Schweizervolk diese Auf-

gabe gewissenhaft, fo wird dieß zu feinem eigenen Frommen und auch zum Frommen aller derer gereichen, die außer unferm Vaterlande für die Völkerfreiheit erglühen.

Es wird zum Frommen dieser letzten, dienen : denn, wenn an dem Beispiele der Schweiz die Kraft und das Glück eines freien Volfes sich vor den Augen Europa's fortwährend lebendig beurkunden, fo wird sich um diesen hellleuchtenden Freiheitsaltar herum um so eher auch ein europäischer Freihcitstempel erheben: in bittern Stunden des Leidens aber, welche auch fïirder den Streitern für die Freiheit der Völker nicht erspart fein werden, wird ein Blick auf jenen Hochaltar, auf dem die Leuchter der Freiheit, fo Gott will, nie erlöfchcn werden, die treuen

251 Streiter zu neuem Ringen ermuthigen und begeistern, wie das fromme Gemüth, wenn es im Lebenskampfe oft fast verzagen will, in dem Gottestempel wieder lindernden Trost und heilfame Stärkung findet. Jene fchöne dem Schweizervolke unter den Kämpfern für die Demokratie angewiefene Stellung wird aber auch zu seinem eigenen Frommen gereichen. Die erhabene Aufgabe, den Hochaltar der europäischen Freiheit zu wahren und zu schirmen, wird sein ganzes Thnn und Lassen heben, adeln und verklären, und sollte die Reaktion je an diesem Hochaltare, unserm sreien Alpenlande, sich mit srevler Hand vergreifen wollen, fo könnte aller derer, welche der heiligen Sache der Volksfreiheit, wo immer es auch fein

möchte, dienen, nur Ein Gefühl sich bemächtigen, das Gefühl, daß nun Hand an das innerste Heiligthum der Völkerfreiheit gelegt fei, das Gefühl, daß nicht blos der Schweiz, fondern der Demokratie überhaupt der Untergang bereitet werden wolle, das Gefühl, daß darum nicht nur die Schweiz, fondern alle, welche die Völkerfreiheit nicht aus unserm Welttheile verbannt wissen wollen, den hingeworfenen Handschuh aufzuheben haben. Dieses Gesuhl würde eine snrchtbare Macht zur natürlichen Verbündeten nnsers Vaterlandes machen und diese Verbündete hätte die Schweiz der Völkersolidarität zu verdanken. -- So verstehe ich, Tit., die Völkersolidarität, fo weit sie d urch die Eibaenosscnschaft und für dieselbe bethätigt werden soll. So ...erjtanden befindet sie sich auch mit der Politik, die ich heute neuerdings der Schweiz als die richtige empfehlen zu sollen glaubte, sich in fremde Handel ohne Noih nicht einzumischen, die Unabhängigkeit des Vaterlandes aber mit Gut und Blut zu vcrthcidigen, in dem vollsten (.Sinklange.

Ein für unser Bundeeleben wichtiges Ereigniß, das

252 feit unserer Trennung Statt gefunden hat, ist die Einführung d e s neue-n f c h w e i ' z e r i f c h e n Z o l l g e f e t z e s .

Wenn auch, feit dieses Gefetz ins Leben getreten ist, in einigen Grenzgegendcn Klagen über dasselbe laut geworden sind, fo war dieß doch nur an verhältnißmäßig we-

nigen Orten der Fall und diefe nicht zahlreichen Klagen kamen größtentheils von denen her, die sich mit keinem Zollgesetze, es möchte beschaffen sein, wie es wollte, werden befreunden können. Es verdient daher als Haupterscheinung, die bei der Einführung des schweizerischen Zollgesetzes zu Tage trat, die ebenso erfreuliche al$ überrafchende Thatsache hervorgehoben zu werden, daß der Bezug des neuen Zolles an den meisten Orten sast unmerklich und ohne zu Beschwerden Veranlassung zu geben, ins Werk gesetzt werden konnte. Wird einmal der Zoll an den sämmtlichen Grenzen der Schweiz mit jener Sicherheit und Uebereinstimmnng in der Anwendung des Tarifs eingenommen, die nicht sogleich von Anfang an von den eidgenössischen 3ollh e amtet-n erwartet werden konnten, hinsort nun aber immer mehr von denselben werden gefordert werben dürfen, fo läßt sich trotz der vielen Besorgnisse, welche bei der Berathnng des Zollgesetzes laut geworden waren, einer durchaus befriedigenden Gestaltung dieser wichtigen Einnahmsciuelle für die Eidgenossenschast mit Sicherheit entgegenfehen.

Die M ü n z s r a g e hat, wie dieß zu erwarten stand, in dem Zwischenroume zwischen der letzten Sitzungsabtheilnng und der gegenwärtigen die öffentliche Ausmerksamkeit in hohem Maße in Anspruch genommen. Die Brochüren, die über diesen Gegenstand erschienen sind, würden bald dazu hinreichen, eine ganze Bibliothek zu füllen. Die Münzfrage betreffende Petitionen werden Jhnen in großer Menge und mit fehr zahlreichen Unter-

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fchriftcn verfehen vorgelegt werden. Die Theilnahme, welche diefer Angelegenheit geschenkt wird, ist der Wichtigkeit derfelben ganz angemessen. Gewiß erwarten Sie nicht, Tit., daß ich diefe Gelegenheit dazu benutzen werde, um demjenigen der einander gegenüberstehenden Systeme, zu dem ich mich bekennen zu follen glaubte, das Wort zu reden.

Dagegen halte ich mich für verpflichtet. Sie jetzt schon zu bitten, b e i Erledigung der Münzangelegenheit, die, wie gewiß kein anderer Gegenstand in höherem Maße, eine klare,

ruhige und umsichtige Würdigung aller dabei in Betracht kommenden Verhältnisse erheischt, jegliche Leidenschaftlichkeit, die eine solche unbefangene Prüfung nur trüben könnte, ans Jhrem Kreise z« verbannen und nach Erledigung der Münzangelegenheit, ob die Entfcheidung in dem einen oder in dem andern Sinne ausfalle, nicht zu vergessen, was das Gesammtvaterland von uns zu fordern berech-

tigt ist.

Seit unserer Trennung haben anch im kantonalen L e b e n Ereignisse Statt gefunden, welche die volle Aufmerkfamkeit der Bundesbehörden auf sich zu ziehen geeignet sind.

Jm Kanton Thurgau |Tnd, nachdem die revidirte Verfassnng von dem Volke angenommen worden, die fämmtlichen Kantonalbehörden neu bestellt worden. Die Art

und Weife, wie dieß geschehen ist, bietet volle Bürgschaft dafür, daß der Kanton Thurgau die ehrenvolle Stellung, die er seit einer langen Reihe von Jahren in der Eidgenossenschast eingenommen hat, auch sürder behaupten werde und daß er nach wie vor zu den festesten Stützen der freisinnigen Jnstitntionen unfers Gefammtvaterlandes gezählt werden dürfe.

Den Vorgängen in denjenigen Kantonen, welche dem Sonderbunde angehört haben, werden wachsame Bun-

254 desbehörden ihre besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden nicht unterlassen. Jn einem diefer Kantone hat seit unserer letzten Versammlung in Folge von Erneuerungswahlen, die verfassungsgemäß vorzunehmen waren, ein Regierungs*

..vechsel Statt gefunden. Es wurden Behörden befeitigt, die vor allem von einem 'aufrichtigen Anschlüsse an unfer wiedergebornes Gesammtvaterland und von treuer An-

hänglichkeit an das gegenwärtige Grundgesetz der Eidge..

nossenfchaft die Heilung der tiefen Wunden erwarteten,

welche eine uneidgenöfsifche Politik ihrem sonst so glücklichen Kantone geschlagen hatte, Behörden, die sich über-

dieß bei ihrer Amtsführung fo sehr der Mäßigung und der Milde beflissen hatten, daß sie von keiner Seite rücksichtsloser Schroffheit beschuldigt werden konnten, wohl aber wenigstens von einem Theile ihrer eigenen Gesinnungsgenoffen mitunter dem Vorwurse der Unentschiedenheit und der Schwäche ausgefetzt waren. An ihre Stelle sind nun Behörden gesetzt worden, welche unter der Leitung von Männern stehen, die sich wenigstens theilweise bei der Auflehnung des Sonderbundes gegen die Eidgenossenschast in hervorragender Stellung betheiligt haben. Das Volk des Kantons Zug hat, indem es diese Wahlen traf, Kraft eines ihm unbestritten zustehenden Rechtes gehandelt.

Aber ebenso unbestritten wird das Recht der Stellvertreter des schweizerischen Volres sein, ans die Gesinnung, welche das zugerischc 8Mf durch jene Wahlen der Eidgenossenschaft gea,e..übcr a« den Tag gelegt- hat, hinwieder bei ihrem Verhalten gegenüber dein Kanto;. Zug in vorkominenden Fällen die geeignete Stückjtcht z« nehmen. Und denen, welche sich dem Glauben hingeben, mit der Auflöjung des Sonderbundes fei auch der sonderbündische Geist in der Eidgenossenschaft untergegangen, werden die zuger'fchen Januarwahlen, wenn es dessen noch bedurft

255 hätte, neuerdings den Beweis geleistet haben, daß ihr Glaube ein eitler Wahn ist. Diejenigen aber, welche nicht aus Lust am Hader, fondern im Gefühle ihrer Pflicht beständig daran erinnern zu müssen glauben, daß die Eidgenossenschaft, wie sie durch die neue Bundesverfassung in Folge der ruhmvollen Wiedergeburt unsers ..·Baterlandes geschaffen worden ist, nicht bloß äußere Feinde, sondern auch innere Widersacher habe, können nun leider eine Thatsache mehr für die Begründetheit ihrer Warnungen anführen.

Eine Frage, welche in unserer letzten Sitzungsabtheilung unerledigt geblieben ist und die nunmehr in der gegenwärtigen zum Entscheide gebracht werden dürfte, ist in der Zwischenzeit in dem Großen Rathe des Kantons W a ad t zum Gegenstande langer und fehr lebhafter Berathungen gemacht worden. Jch kann mich um so eher enthalten, mich über den Gang, den diese Verhandlungen genommen haben und über das Ergebniß derselben hier weiter zu verbreiten, als jene Frage bereits in unserer Mitte behandelt worden ist und noch ferner behandelt werden wird. Dessenungeachtet würde ich dem Zwecke,

den ich mir bei diesem Rückblicke vorgesetzt habe, nicht zu genügen glauben, wenn ich nicht wenigstens Einem Eindrucke Worte leihen würde, welchen die berührten Vorgänge im Kanton Waadt auf mich und wohl auf viele von Ihnen mit mir gemacht haben. Es wollte mir fcheinen nnd ist noch jetzt meine Meinung, daß solche Gegenstände, welche in die Kompetenz der Bundesbchörden fallen und mit Beziehung auf welche weder eine Petition der letzteren eingereicht, noch von dem den Ständen zustehenden Rechte der Initiative Gebrauch gemacht werden will, nicht in den Kreis der Berathungen der kantonalen

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Großen Räthe gezogen werden sollten. Es läßt sich nämlich nicht verkennen, daß, wenn der Große Rath eines Kantons mit Beziehung auf einen folchen Gegenstand einen Beschluß gesaßt hat, die diesem Kantone angehörenden Mitglieder der Bundesbehörden bei den in den letztern stattfindenden Berathungen nicht mehr völlig freie Hand haben, fondern in einer mehr oder minder gebundenen Stellung sich befinden, daß sie, um mich kurz auszudrücken, in eine Lage gebracht werden, die derjenigen ähnlich ist, in welcher unter dem aufgehobenen Bnndesvertrage die von den kantonalen Großen Räthen instruirten Gesandten an der Tagfatznng sich befanden, und doch schreibt unsere gegenwärtige Bundesverfassung ausdrücklich vor, die Mitglieder beider Räthe hätten ohne Instruktionen zustimmen!

Die Gefahr einer Verrücknng der Stellung, welche den Mitgliedern der Bundesbehörden durch die Bundesverfassung angewiesen ist, wird sich also nicht in Abrede stellen lassen. Aber noch eine zweite Gesahr dürfte ebensowenig gelängnet werden können. Wer bürgt dafür, daß die Großen Räthe der Kantone in solchen Fällen immer in demselben Sinne beschließen werden, wie die Bnndesbel;örden ? Geschähe dieß aber nicht, so wäre zwar ein Kompetenzkonflift, salls ein solcher erhoben würde, durch einen

Beschluß der Bundesbehörden bald erledigt. Ob aber mit diesem Beschlüsse dann auch alle Schwierigkeiten und Nach-

theile beseitigt wären, welche eine Behandlung desselben Gegenstandes durch z w e i B e h ö r d e n in e n t g e g e n -

gesetztem Sinne nach sich ziehen muß, darf billig in Zweifel gezogen werden. Es gereicht mir zu besonderer Befriedigung, hier hervorheben zu können, daß der Landrath von Glarus letzthin in einem ähnlichen Falle, nur mit Beziehung auf eine andere Frage, durch die eben entwickelten Erwägungen geleitet, sich der Behandlung jener

257 Frage zu entmüßigen und sie den kompetenten Bundesbehörden zu überlassen beschloß.

In mehrern Kantonen sind Verfassungsrevisionen eingeleitet. Jch glaube, in diesem Kreise mit befonderrn Nachdrucke darauf aufmerksam machen zu sollen, daß dieß auch in demjenigen Kantone der Fall ist, der schon oft und wohl nicht ganz mit Unrecht der Schicksalokanton der Schweiz genannt worden ist, und ebenso hinwieder in jenem Kantone, welcher durch die Treue, mit der er während der letzten Krise in der Eidgenossenschaft, unbeirrt durch das Glaubensbekenntniß feiner Bewohner, zu dem Gefammtvaterlande gestanden ist, sich nm dasselbe ein bleibendes Verdienst erworben hat. Die ganze Cidge» nossenschast hat ein großes Jnteresse daran, daß die Verfassungen, welche in diesen Kantonen werden erlassen werden, denselben Geist beurkunden, von dem unsere neue Bundesverfassung durchdrungen ist, und gewiß werden S o l o t h n r n und A a r g a u das Zutrauen, welches die Eidgenossenschaft in ihren .....Öilfen und in ihre .frast zu setzen gewohnt ist, auch bei diesem Anlasse zu rechtsertigen wissen.

Die in diesem Jahre und zum Theile in nächster Zeit bevorstehenden Erneuerungswahlen der Großen Räthe mehrerer und gerade auch der beiden bevölkertsten Kantone nehmen in diesem Augenblicke das öffentliche Jnteresse wohl am meisten in Anspruch. Sie sind auch in hohem Grade dazu geeignet, die volle Ausmerksamkeit der Bundesbehörden aus sich zu ziehen. Nie genug kann nämlich daran erinnert werden, daß auch nach der gegenwärtigen Bundesverfassung immerhin die Kantone die Säulen sind, auf denen das ganze Bundesgebäude ruht. Es ist indessen die öffentliche Aufmerksamkeit nicht auf alle diese Kantone, in denen die obersten Landesbehörden in nächster Zeit

258 einer Erneuerungswahl unterliegen, in gleichem Maße hingerichtet. Mit Beziehung auf die in dem Kantone, welchem ich anzugehören die Ehre habe, bevorstehenden Wahlen waltet zur Zeit ein Stillschweigen, das mit der Ruhe, welche bis zu diesem Augenblicke in demselben geherrscht hat, durchaus im Einklange steht. Jch kann dieses Stillschweigen füglich statt meiner reden lassen und mich darauf beschränken, die zuversichtliche Hoffnung gegen Sie ansznsprechen, daß die neue Eidgenossenschast an dem Kanton Zürich auch nach dem bevorstehenden Mai eine feste und kräftige Stütze haben wird. Auch die Ernenerungswahl des Großen Rathes, die im Kanton Ge nf in kurzer Zeit vorzunehmen ist, wurde bisanhin wenig zum Gegenstande der öffentlichen Besprechung gemacht. Es dürfte sich dieß besonders daraus erklären lassen, daß der lebhaste Wahlkampf, der gerade während der letzten Sitzungsabtheilung des Nationalrathes in bt'cscm wichtigen Kantone stattgefunden hat, als maßgebend auch fur die bevorstehenden SBahïen anzusehen fein wird. Dagegen ist die öffentliche Sufmerffamkeit beinahe nngetheilt der im nachsten Mai im Danton B e r n vorzunehmenden Erneuerungs« wähl des Großen Rathes zugewendet, und ich zweifle nicht daran, daß auch Jhre Blicîe, Tit., in besonder« Maße aus dieselbe hingerichtet sein werden. Ein überraschendes ©chaufpiel stellt sich da unferm forschenden Auge dar. Wir sehen den Kanton Bern in einer Aufregung, die wohl ohne Uebertreibnng eine bedeutende wird genannt werden dürfen. .-..Sir sehen in ihm swei Parteien sich gegen* überstehen, die einander auf das heftigste befeinden. Un!» wenn wir dann nach der Fahne fragen, der jede biefer Parteien folge, fo werden uns zwei Programme vorgewiesen, die, wenn man sich nicht bei Worten aufhält, fondern auf

259 das W e f e n eingeht, einander fo ähnlich sehen, wie ein Tropsen Wasser dem andern. Das Programm, das uns von der einen Partei vorgewiesen wird, setzt uns nicht in Verwuitdsrung. Es enthält das, was von jeher von dieser Seite her behauptet, versuchten und was auch vonihr ins Werk gesetzt worden ist. Das Programm, das uns von der andern Partei vorgelegt wird, muß uns dagegen mit dem größten Erstaunen ersüllen, denn in ihm ist zu großem Theile das gerade Gegentheil von dem zu lesen, was bisher von dieser Seite her als politisches Glaubensbekeniifniß geltend gemacht worden ist. Der Schluß, der sich au.J dieser Erscheinung mit Nothwendig* keit ergibt, ist ein sehr einfacher. Er geht dahin, daß die Grundsätze, die nun in den beidseitigen Programmen einen Platz gefunden haben, keinen schönern Triumph hätten feiern können, als den, der ihnen durch diese all-

seitige Huldigung zu Theil geworden ist. Und wenn die G r u n d s ä t z e also nicht mehr bestritten sind, sondern nur noch die P e r s o n e n in Frage kommen, die jene Grnndsätze wahren und entwickeln sollen, so fragen wir, ob diejenigen eher dazu berufen seien, die von jeher jene Grundsätze aufgestellt, für sie gekäinpft und die ihnen anch zum Siege verhelfen haben, oder diejenigen, die sich früher immer gegen diese Grundsätze aussprachen, die, wenn sie den Sieg derselben nicht zu verhindern gefucht, ihn doch auch nicht gefördert haben, die jene Grundfätze noch bis vor kurzer Zeit als Waffe gegen ihre -politischen Gegner brauchten, nun aber auf einmal für nöthig gefunden haben, sie auch in ihr Parteiprogramm auszunehmen? D.ese Frage scheint mir so durchaus nur Einer Beantwortung fähig zu sein, daß ich keinen Anstand nehinen würde, sie selbst an diejenigen zurichten, die sie nur zu ihren Ungunsten beantworten könnten.

260 Ich habe nun Jhre Aufmerksamkeit, Tit., auf die für unser Bundesleben wichtigen Erscheinungen, die feit unserer Trennung zu Tage getreten sind, gerichtet. Getrost darf ich sagen, daß ich es nach bestem Wissen und Gewissen gethan und dabei nur die ernsten Pflichten, welche wir als Schutzwächter der neuen Eidgenossenschaft zn ersüllen berufen sind, vor Augen gehabt habe. Ueberblicke ich aber jene Erscheinungen noch einmal und frage ich mich, wozu sie uns mahnen, so drängt sich mir sogleich jener Ruf wieder auf, mit dem ich die letzte Sitznngsabtljeilung des Nationalrathes eröffnet habe, der Ruf nämlich : " Jhr Männer des Fortschrittes ! Zur @ammlnng!" Und mit diesem erneuten Rufe, der noch nicht genugfam gehört worden zn sein scheint, den ich aber ohne Unterlaß wiederholfn werde, bis er in den Herzen aller, denen er gilt. Wiederhall gefunden hat, erkläre ich die auf den 4. îîpril 1850 vertagte ordentliche Sitzung des Nationalrathes vom Jahre 1849 für eröffnet.

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Rede des Herrn Dr. Alfred Escher, Präsidenten des Nationalrathes, gehalten bei Eröffnung desselben, am 5. April 185O.

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09.04.1850

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