440

# S T #

z u

1 0 3

IV. Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigunggesuche (Sommersession 1919).

(Vom 2. Juni 1919.)

Wir beehren uns, unter Vorlage der Akten, Ihnen über folgende Begnadigungsgesuche Bericht zu erstatten und über deren Erledigung Antrag zu stellen: 117. Gino, Andrei, geb. 1881, Kaufmann und Journalist, z. Z. in der Strafanstalt Regensdorf (Zürich).

(Sprengstoffverbrechen und Neutralitätsverletzung.)

Gino Andrei wurde zusammen mit Rudolf Engelmann, gewesener Angestellter des deutschen Generalkonsulates in Zürich, am 10. Oktober 1918 vom Schweizerischen Bundesgericht (Bundesstrafgericht) schuldig erklärt des Sprengstoffverbrechens im Sinne des Artikels 3 des Bundesgesetzes vom 12. April 1894 betreffend Ergänzung des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 4. Februar 1853 und der Widerhandlung gegen Ziffer 2 der Verordnung des Bundesrates betreffend Handhabung der Neutralität der Schweiz vom 4. August 1914 (A. S. n. F. XXX, 353).

Der heutige Gesuchsteller Andrei wurde verurteilt zu 20 Monaten Zuchthausstrafe, unter Anrechnung der erstandenen Untersuchungshart von 8 Monaten, zu Fr. 1000 Busse und lebenslänglicher Landesverweisung. (Gegen den Mitangeklagten Engelmann wurde in contumaciam erkannt auf 2 1/2 Jahre Zuchthausstrafe, Fr. 5000 Busse und lebenslängliche Landesverweisung.)

Anlässlich einer am 22. Januar 1918 vorgenommenen Hausdurchsuchung in einem von dem italienischen Anarchisten Gino Andrei gemieteten Stall an der Nordstrasse 95 in Zürich beschlagnahmte die Zürcher Polizei 50 grosse Pakete mit Zeitschriften und Flugblättern, in italienischer Sprache abgefasst und nach ihrem Inhalt bestimmt, Bürger und Soldaten in Italien zur Re-

441

volution aufzureizen. Ferner wurden gefunden sieben Kisten mit 102 Revolvern und einigen tausend Patronen, und eine Kiste mit fünfzig Handgranaten.

Das eingeleitete Strafverfahren, das zur Überweisung der Sache an das Bundesstrafgericht führte, erbrachte, dass sowohl die Drucksachen, wie das Kriegsgerät in die Schweiz vermittels der Valise des deutschen Konsulats in Zürich eingeführt worden waren. Von da sollten sie zu revolutionären Zwecken nach Italien verbracht werden.

Anhand bestimmter Zeugenaussagen stellte das Bundesstrafgericht fest, dass der Angeklagte Gino Andrei die Kisten und Pakete zwecks Verbringung nach Italien aus dem Bureau des deutschen Konsulatsangestellten Engelmann erhalten und er selbst in jenem Bureau mit Eogelmann geheime Unterredungen gehabt hatte. Dabei schloss das Gericht, was hervorzuheben ist, die Möglichkeit nicht aus, dass ein gewisser Monanni die Beziehungen zwischen Andrei und Engelmann vermittelt hatte.

Das vom Verteidiger des Andrei eingereichte Gesuch um Erlass der noch nicht erstandenen Zuchthausstrafe, allfällig urn Umwandlung in Landesverweisung, stellt vorerst fest,' dass Andrei die gegen ihn am 10. Oktober 1918 erkannte Zuchthausstrafe von 20 Monaten, abzüglich acht Monat3 Untersuchungshaft, am 10. Oktober 1919 erstanden haben wird. Mit dem Abzug von acht Monaten habe jedoch das Bunde^strafgericht die Untersuchungshaft lediglich vom Februar 1918, d. h. von der Einleitung der Sprengstoffuntersuchung an gerechnet. Tatsächlich sei aber Andrei schon seit dem 8. November 1917 in Haft, da er damals wegen Beleidigung des italienischen Königs in Untersuchung gezogen worden sei, welcher Anklagepunkt bekanntlich zu einem Freispruch geführt habe. Es hätten ihm richtigerweise elf Monate Untersuchungshaft angerechnet werden sollen, so dass die Zuchthausstrafe von 20 Monaten statt am 10. Oktober bereits am 10. Juli 1919 zu Endo gehen würde.

Insbesondere wird aber der in der Untersuchung und der Hauptverhandlung geltend gemachte Einwand wiederholt, dass Andrei die Kisien, die sich in seinem Stalle vorfanden, nicht von »Leuten des deutschen Konsulates, sondern von Monanni erhalten habe. Dieser habe damals alles bestritten, die nunmehrige SprengstoffuntersuchuDg gegen Bertoni und Mitangeklagte kläre jedoch Monannis Tätigkeit auf und zeige, dass Andrei mit der vom deutschen Konsulat ausgegangenen Sprengstoffverteilung nichts zu tun hatte.

442

Der Verurteilte habe körperlich und geistig sehr gelitten, zumal er herzleidend und starken Migränebeschwerden unterworfen sei. Da seine Verfehlungen nach der nunmehrigen Sachlage erheblich geringer seien, und er sich in der ganzen Zeit seiner Haft einwandfrei verhalten habe, möge man ihm die noch zu erstehende Gefängnisstrafe erlassen und die Möglichkeit geben, die Schweiz zu verlassen.

Diesen Anbringen gegenüber ist einmal zu bemerken, dass Andrei am 8. November 1917 nicht wegen Beleidigung des italienischen Königs verhaftet wurde. Vielmehr befand er sich zur Zeit der Einleitung jener Untersuchung, d. h. am 22. November 1917 in Haft wegen Spionageverdachtes und mit Rücksicht auf den später vom Bundesrat zum Beschluss erhobenen Antrag der Polizeidirektion des Kautons Zürich auf Internierung, da er immerfort zu polizeilichem Einschreiten Anlass gebe. Diese Verhaftung wurde am 15. Dezember 1917 vom a. o. eidgenössischen Untersuchungsrichter in der Spionagesache aufrechterhalten, wonach dann Andrei im Februar/März 1918 zuhanden der hier in Betracht kommenden Sprengstoffuutersuchung in Haft belassen wurde.

Die Bemängelung ungenügender Anrechnung erstandener Untersuchungshaft ist deshalb unbegründet.

Soweit behauptet wird, die Tätigkeit des Andrei erscheine nach der nunmehrigen Untersuchung in Sachen Bertoni und Mitangeklagte in günstigerem Lichte, ist zu sagen, dass die Ergebnisse der gegen Bertoni und Mitangeklagte, insbesondere gegen Monanni, Jores und Vengh geführten Uni ersuchung wegen Sprengstoffrerbrechens und Neuti-alitätsverletzung -- worüber das Bundesstrafgericht am 2. Juni und folgende Tage urteilen wird -- an den Feststellungen des Bundesstrafgerichtes, die wir hiervor kurz wiedeigegeben haben, nichts ändern.

Die neue Untersuchung hat die Vermittlerlätigkeit des Monanni klargestellt und im weitern ergeben, dass nicht nur Engelmann, sondern namentlich Jores und Vengh als Agenten des terroristischen Dienstes des deutschen Generalstabes mit den italienischen Anarchisten Andrei und Monanni in Verbindung getreten sind, wobei Jores mit Monanni über den Transport der Kiste mit den Handgranaten, die im Konsulatsgebäude lagerte und nachher zu Andrei gebracht wurde, verhandelte. Die Beziehungen des Monanni zu Jores schliessen diejenigen zwischen Engelrnann und Andrei nicht aus. Auf jeden Fall steht fest, dass Andrei die Kisten mit den Handgranaten und den Waffen aus dem Generalkonsulat erhalten und im Stall an der Nordstrasse

pg* "

443

versteckt hat, in der Absicht, sie im Interesse der deutsche!)

Kriegsführung zur Unterstützung der Revolution nach Italien zu verbringen.

An diesem strafrechtlich wesentlichen Tatbestand ändert es für Andrei nichts, ob er neben Engelmann auch mit den Agenten Jores und Veogh oder dem Vermittler zwischen diesen Agonien und den italienischen Anarchisten, mit Monanni, über den Sprengstoff- und Waffentransport verhandelt hat.

An der Schuldfrage gegenüber Andrei können demnach keine Zweifel bestehen.

Obschon es mit Rücksicht auf den rechtskräftigen Entscheid des Bundesstrafgerichtes vom 10. Oktober 1918 ohnehin nicht Sache der Bundesversammlung als 'Begnadigungsbehörde sein kann, diese Tatbestandr>fragen zu überprüfen, legen wir in der vorliegenden Angelegenheit doch Gewicht darauf, in unserem Antrag auch die diesbezüglichen Anbringen des Begnadigungsgesuches richtigzustellen.

Soweit das Begnadigungsgesuch den Erlass der noch zu erstehenden Gelängnisstral'e bezweckt, beantragen wir Abweisung; Auf den Antrag, dun Rest der Zuchthausstrafe in Landesverweisung umzuwandeln, ist in dieser Form nicht einzutreten.

A n t r a g : Abweisung, soweit eingetreten wird.

118. Jakob Schlegel, Jäger, Weite-Trübach (St. Gallen).

(Jagd- und Vogelschutz.)

Jakob Schlegel ist am 27. Oktober 1917 vom Kreisgerichtsaussohuss Oberengadin wegen Tragens und Gebrauchs einer verbotenen Waffe verurteilt worden zu Fr. 50 Busse und Konfiskation der Waffe.

Daraufhin hat Jakob Schlegel mit einmaliger Eingabe vom 24. Dezember 1917 1. eine Beschwerde an den Bundesrat, 2. eine event. Beschwerde an die Bundesversammlung und 3. ein subevent. Begnadigungsgesuch an die Bundesversammlung (um Erlass der Busse und Rückgabe der konfiszierten Waffe) eingereicht.

Der Bundesrat hat durch BescMuss vom 5. März 1918 Nichteiutreten auf die Beschwerde und Überweisung derselben an die Bundesversammlung verfügt (zu vergleichen Bundesblatt

444

1918, III, 463 ff.). Die eidgenössischen Räte haben, der Nationalrat am 3. Oktober, der Ständerat zustimmend am 11. Dezember 1918, beschlossen, auf die Beschwerde ebenfalls nicht einzutreten, dagegen das Begnadigungsgesuch Schlegels an den Bundesrat /um Bericht zurückzuweisen.

Schlegel ist verurteilt worden auf Grund des Jagdgesetzes des Kantons Graubünden, insbesondere des Artikels 20 der bündnerischen Ausführungsverordnung vom 22. August 1905 zum kantonalen Jagdgesetz. Dieser bestimmt, dass unter minimalkalibrigen Gewehren solche Gewehre verstanden seien, deren Kaliber weniger als 10,2 mm beträgt. Das eidgenössische Jagdgesetz schreibt ein Minimalkaliber von 9 mm vor. Der besagte Artikel 20 stellt sich also dar als eine kantonalrechtliche Erweiterung der Schutzbestimmungen des Bundesgesetzes (Eidgenössisches Jagdgesetz, Artikel 7, Absatz 2).

Die Verurteilung erfolgte somit auf Grund von kantonalem Recht und es steht deshalb auch das Begnadigungsrecht nicht dem Bunde sondern dem Kanlon zu.

Wie in der Begnadigungssache Haager (zu vergleichen Antrag 22 im I. Bericlit tur die Sommersession 1919, Bundesblatt 1919, I, 499/504) beantragen wir daher, auf das Begnadigungsgesuch Schlegels nicht einzutreten.

A n t r a g : Nichteintreten.

119. Jules Beuret, Landwirt, Delsberg (Bern).

120. Etienne Dodin, Landwirt, Courlételle (Bern).

121. Rudolf Hänni, Landwirt, Delsberg.

122. Léon Biedermann, Landwirt, Delsberg.

123. Andreas Stiffler, Landwirt, Davos-Dorf (Graubünden).

(Milchversorgung.)

Es wurden erkannt : «. vom schweizerischen Volkswirtschaftsdepartement am 4. Februar l V> 18, in Anwendung der Artikel l, 2, 3 und 21 der Verfügung betreffend die Milchversorgung im Winter 1917/18 vom 18. Oktober 1917 in Verbindung mit den Artikeln 14 und 15 des Bundesr&tsbeschlusses betreffend die Versorgung des Landes mit Milch und Milchprodukten vom 18. April 1917 (A. S. n. F. XXXIII, S. 218 ff. und 857 ff.), gegen Jules ßeuret eine Busse von Fr. 200;

445

b. von der eidgenössischen Kommission für Wirtschaftliche Straffälle am 12. Dezember 1918, in Anwendung des Artikels l der Verfügung betreffend die Weichkäserei vom 21. Mai 1917 (A. 8. n. F. XXXIII, 280) und der Artikel 3, 10, lit. ô, und 15 der Verfügung betreffend Milchversorgung im Sommer 1918 vom 22. April 1918 (A. S.

n. F. XXXIV, 450 ff.) in Verbindung mit kantonalen Ausführungsbestimmungen und den Artikeln 14 und 15 des Bundesratsbeschlusses betreffend die Versorgung des Landes mit Milch und Milchprodukten vom 18. April 1917, gegen denselben Jules Beuret eine Busse von Fr. 1000, gegen Etienne Dodin von Fr. 3000, gegen Rudolf Hänni von Fr. 1000 und gegen Léon Biedermann von Fr. 500; c. von der eidgenössischen Kommission für Wirtschaftliche Straffälle am 20. Februar 1919 in Anwendung der Artikel l und 34 der Verordnung betreffend Milchversorgung im Sommer 1918 gegen Andreas Stiffler eine Busse von Fr. 400.

Zu a. Mit Schreiben vom 4. und 17. Januar 1918 wies das eidgenössische Milchamt Jules Beuret an, die Milch aus seinem Betrieb der Milchgenossenschaft Delsberg zu liefern.

Beuret fügte sich diesen Anordnungen nicht.

Am 4. Februar 1918 erfolgte der Strafentseheid des Volkswirtschaftsdepartements. Ein im Auftrage Beurets eingereichtes Gesuch um Wiedererwägung des Strafentscheides wurde am 9. März abgewiesen, hierauf Beireibung eingeleitet und Beuret ausserdem schriftlich zur Zahlung aufgefordert. Das von einem weiteren Vertreter Beurets verfasste zweite Wiedererwägungsgesuch wurde mit Rücksicht auf die einlässliche Behandlung des ersten Gesuches durch Nichteintretens-Verfügung des Volkswirtschaftsdepartements vom 19. Juni erledigt. Am 28. November 1918 erteilte im Betreibungsverfahren der Richter die definitive Rechtsöffnung.

In dem nunmehr für Beuret im Begnadigungswege eingereichten Gesuch um gänzlichen Erlass der Busse von Fr. 200 werden in der Hauptsache die in den Wiedererwägungsgesuchen geltend gemachten Anbringen wiederholt.

Erneut wird darauf Gewicht gelegt, die Verfügung vom 18. Oktober 1917 sei im Amtsblatt für den Jura nicht erschienen und gegenüber den Anordnungen des eidgenössischen Milchamtes zur Rechtfertigung Beurets der Wortlaut einer kantonalen Ausführungsbestimmung herangezogen.

446

Ferner wird behauptet, Beuret sei in seinen Verteidigungsrechten verkürzt worden und sehliesslich das stattgefundene administrative Strafverfahren dem Grundsätze nach beanstandet.

Aus all diesen in längeren Ausführungen dargelegten Gründen werde die nachgesuchte Begnadigung nicht nur einen Gnadenakt, sondern die offenbar gerechte Erledigung der Angelegenheit bedeuten.

Das Begnadigungsgesuch wurde in der Folge sowohl dem eidgenössischen Ernährungsamt wie dem schweizerischen Volkswirtschaftsdepartement zur Stellungnahme überwiesen.

Das Ernährungsamt betont in seiner Antwort, Beuret habe seither die gleiche Widersetzlichkeit an den Tag gelegt und sei inzwischen von der eidgenössischen Kommission für Wirtschaftliche Straffälle mit weiteren Fr. 500 gebilsdt worden. Damit wird auf den Entscheid der eidgenössischen Kommission für Wirtschaftliche Straffälle vom 12. Dezember 1918 Bezug genommen, gegen den Beuret mit drei weiteren Landwirten ebenfalls ein Begnadigungsgesuch eingereicht hat, das hiernach unter b zu behandeln sein wird.

Das Generalsekretariat des schweizerischen Volkswirtschaftsdepartements hebt in längerem Mitbericht namentlich hervor, dass die Erörterung der Vollmachten des Bundesrates nicht in ein Begnadigungsverfahren gehöre. Ferner wird darauf hingewiesen, dass die Verfügung vom 18. Oktober 1917 in der schweizerischen Gesetzsammlung erschienen und Beuret überdies am 4. Januar 1918 vom eidgenössischen Milchamt besonders zur Kenntnis gebracht worden ist. Die Berufung Beurets, er stehe auf dem Boden einer kantonalen Ausführungsbestimmung, wird entkräftet und erneut mit Nachdruck dargetan, dass die gezeigte Widersetzlichkeit, das trölerische Verhalten in keiner Weise eine Herabsetzung des nicht zu hohen Bussenentscheides rechtferligen könne.

Wir halten dafür, es genüge wie in anderen Begnadigungssachen, daran festzuhalten, dass die Bundesversammlung in diesem Verfahren lediglich als Begnadigungs- und nicht als Rekursbehörde zu entscheiden hat. Eigentliche ßegnadigungsgründe werden in der Tat nicht geltend gemacht, sondern hauptsächlich die Form des Vorgehens des Volkswirtschaflsdepartements und die Würdigung der Verumständungen in materieller Hinsicht bemängelt.

Wir beantragen Abweisung.

447

Zu b. In Sachen Dodin und Mitangoschuldigte ging die eidgenössische Kommission für Wirtschaftliche Straffalle von folgenden Erwägungen aus : Die Angeschuldigten gründeten am 1. Mai 1918 in Delsberg unter dem Namen ,,l'Indépendante1" eine Milchgenossenschaft.

Da in Delsberg bereits eine Genossenschaft bestand, die die Milchversorgung in befriedigender Weise gewährleistete, wurde der Milchvertrieb der Indépendante durch Anordnung des kantonalen Milchamtes eingestellt. Gegen diese Verfügung rekurrierten die Genossenschafter an den Regierungsrat des Kantons Bern, der, was vorweg gesagt sei, dann den Rekurs am 6. September 1918 durch Nichteintretens-Entscheid erledigte.

Im Anschluss an dringliche Vorstellungen des Verbandes der nordwestschweizerischen Milch- und Käsereigenossenschaften, dem die Milchversorgung der Gegend obliegt, beschlagnahmte das eidgenössische Milchamt am 24. Juli 1918 die in den Betrieben der Angeschuldigten erzeugte Milch gemäss Artikel 3 der Verfügung vom 22. April 1918 (A. S. n. F. XXXIV, 451). Den Angeschuldigten wurde vorgeschrieben, die Milch vom 30. Juli an die Laiterie centrale in Delsberg y,u liefern. Dieser Anordnung wurde jedoch ebenfalls nicht Folge geleistet. Dodin und Genossen beanspruchten vielmehr das Recht, eine unabhängige Milchgenossenschaft zu gründen und verlangten, dass die Angelegenheit vorerst durch den Regierungsrat des Kantons Bern entschieden werde.

Nach dem Nichteintretens-Entscheid des bernischen Regierungsrates wurde der Milchvertrieb der Indépendante geschlossen.

Dio Mitglieder dieser Genossenschaft weigerten sich jedoch erneut, die Milch der Laiterie centrale in Delsberg zu liefern. Sie verwendeten die Milch vielmehr nach eigenem Gutdünken, so zur unbefugten Herstellung von Weichkäse, zum Vertrieb an Kunden ohne Bewilligung und ohne die Milchkarten abzuverlangen.

.Unter diesen Verumständungen erfolgte das administrative Strafverfahren.

Gegenüber dem Entscheid der eidgenössischen Kommission für Wirtschaftliche Straffälle wird nun für sämtliche Verurteilte bei der Bundesversammlung das .Gesuch um gänzlichen oder doch ·weitgehenden gnadenweisen Erlass der Bussen gestellt.

Hierzu wird vorerst in weitgehenden Ausführungen die Entstehungsgeschichte der Indépendante und das Verhalten ihrer Blitglieder gegenüber den eidgenössischen und kantonalen Behörden vom Standpunkt der Gesuchsteller dargetan. Wir verweisen hierfür auf die Seiten l bis 5 des gemeinsamen Gesuches.

Bandesblatt. 71. Jahrg. Bd. III.

29

448

Es soll dadurch gezeigt werden, dass und weshalb sich die Gründer der Indépendante berechtigt glaubten, unabhängig vom Verband nordwestschweizerischer Milch- und Käsereigenossenschaften den Milchvertrieb selbständig vorzunehmen. Daraus soll sich dann ergeben, dass die beharrliche Weigerung der betreffenden Landwirte, zur Milchversorgung des Landes gemäss den ihnen zugekommenen Anordnungen des kantonalen und eidgenössischen Milchamtes beizutragen, nicht eine unentschuldbare Widersetzlichkeit bedeute, sondern besondere Verumständungen in Betracht zu ziehen seien.

Die umfangreiche Eingabe erweist sich inhaltlich als eigentliche Berufungsschrift gegen den Entscheid der eidgenössischen Kommission für Wirtschaftliche Straffälle und will versuchen, der Bundesversammlung die insgesamten tatbeständlichen und rechtlichen Gesichtspunkte zwecks milderer Beurteilung zu unterbreiten.

Da dies aber in der Art, wie es hier von den Gesuchstellern erwartet wird, nicht Sache der Bundesversammlung als Begnadigungsbehörde sein kann, halten wir es auch nicht fUr notwendig, auf die Einzelheiten der umfangreichen Anbringen einzutreten, sondern verweisen in erster Linie auf die Erwägungen der eidgenössischen Kommission für Wirtschaftliche Straffälle, deren Entscheid sich in den Akten befindet.

Die bedauerliche Eigenmächtigkeit der in Betracht kommenden Landwirte wird insbesondere gekennzeichnet durch einen Inspektionsbericht des eidgenössischen Milchamtes vom 6. November 1918.

In den Akten befinden sich ferner eine ausführliche Vernehmlassung des eidgenössischen Milchamtes vom 25. Februar 1919 und eine Stellungnahme des Generalsekretariates des eidgenössischen Ernährungsamtes vom 27. Februar 1919, in der hervorgehoben wird, dass die Verurteilten noch damals die Milch ihrer Betriebe nach eigenem Gutdünken verwendeten. Laut Mitteilung des Milchamtes vom 3. Mai 1919 ist auch inzwischen keine Änderung eingetreten.

Wir würden mit Rücksicht auf die Durchführung der Vorschriften über die Milchversorgung des Landes die teilweise oder gar gänzliche Begnadigung der Verurteilten für überaus verhängnisvoll betrachten. Aus diesem Grunde scheint uns die Erledigung der Begnadigungssache, über die vorliegenden Einzelfälle hinausgehend, sogar von einer gewissen allgemeinen Bedeutung z\\ sein. Dodin gegenüber, der am schwersten belastet ist, darf

449 auch betont 'werden, dass er als Landesfremder ganz besonders Grund hätte, sich den Anforderungen der Kriegs- und Übergangswirtschaft unseres Landes gleich ändern zu fügen.

Wir beantragen, sämtliche Gesuchsteller abzuweisen.

Zu c. Andreas Stiffler hat trotz wiederholten Aufforderungen seine nicht von der Beschlagnahme befreite Milch nicht in die allgemeine Kontroll- und Zentralmolkerei Davos abgeliefert, sondern auf eigene Rechnung an Kunden vertrieben.

In dem für Stiffler bei der Bundesversammlung eingereichten Begnadigungsgesuch wird zur Begründung ,,auf die Akten verwiesen, sowie insbesondere auf die Eingabe des Unterzeichneten vom 8. Februar 1919". Nach der Meinung des Gesuchstellers handelt es sich lediglich um eine formelle Übertretung aus entschuldbaren Beweggründen. Die Prüfung der Angelegenheit ergebe zwingend, dass Stiffler das Gefühl der ungleichen Behandlung habe bekommen müssen, das ihn in seiner Stellungnahme beharren Hess.

Da besondere Anbringen nicht geltend gemacht werden, beziehen wir uns auf Akten und Entscheid der eidgenössischen Kommission für Wirtschaftliche Straffälle und beantragen, den Gesuchsteller abzuweisen.

A n t r ä g e : Abweisung sämtlicher Gesuchsteller.

124.

125.

126.

127.

128.

Albert Nötzli, geb. 1886, Kaufmann, Basel.

Rudolf Derrer, geb. 1889, Revolverdreher, Roggwil (Bern).

Johann Berglas, geb. 1885, Händler, Feuerthalen (Zürich).

Ernst Pfeuti, geb. 1896, Kranführer, Bern.

Oskar Weiss, geb. 1893, Schuhmacher, zureit im Bezirksgefängnis Andelfingen (Zürich).

129 und 130. Jaroslaw und Marie Stastny-Hoffmann, beide geb. 1896, Schneider, Schaffhauseu.

131. Gottlob Frey, geb. 1868, Kaufmann, Binningen (BaselLandschaft).

132. Arnold Küster, geb. 1882, Bote, Diepoldsau (St. Gallen).

(Ausfuhrschmuggel.)

Gestützt auf den Bundesratsbeschluss betreffend Bestrafung der Widerhandlungen gegen das Ausfuhrverbot vom 30. Juni 1917 (A. S. n. F. XXXIII, 459) oder 12. April 1918 (A. S. n. F.

XXXIV, 467) wurden verurteilt:

450

a. Albert Notali am 27. Mai 1918 zu Fr. 1200 Busse, solidarisch zu Fr. 500 Wertersatz und Fr. 32. 30 Kosten ; b. Rudolf Derrer am 14. September 1918 zu Fr. 1500 Busse.

Fr. 1070 und solidarisch zu weiteren Fr. 1215 Wertersatz; c. Johann Berglas am 10. Oktober 1918 zu Fr. 500 Busse und solidarisch zu Fr. 376. 20 Wevtersatz ; d. Ernst Pfeuti am 23. Febiuar/24. Juni 1918 zu Fr. 1200 Busse und Fr. 850 Wertersatz; e. Oskar Weiss am 4. Februar 1918 zu Fr. 700 Busse alle durch zollbehördliche Strafverfügungen ; f. Jaroslaw und Marie Stastny-Hoffmann am 21. September 1918 vom Bezirksgericht Diessenhofen zu je l Monat Gefängnis und Fr. 200 Busse ; g. Gottlob Frey am 24. September 1918 vom Obergericht des Kantons Basel-Landschaft zu l Monat Gefängnis und Fr. 300 Busse; h. Arnold Küster am 5. Juli 1918 vom Bezirksgericht Unterrheintal zu 2 Monaten Gefängnis, Fr. 2000 Busse und beträchlichem Wertersatz.

Zu a. Albert Nötzli machte sich der Beihülfe zum Ausfuhrschmuggel schuldig, indem er in den Monaten Januar bis April 1918 an einen gewissen Katenhausen 40 kg Sacharin lieferte, von denen er wusste oder annehmen musste, dass sie ohne Ausfuhrbewilligung ausgeführt werden sollten. Die Ware wurde in der Folge auch ausgeschmuggelt.

Den Entscheid der Oberzolldirektion vom 27. Mai 1918 zog Nötzli an das Zolldepartement weiter. Der Abweisung dieses Rekurses folgte ein Wiedererwägungsgesuch, das ebenfalls abgewiesen wurde.

Im Gesuch um Erlass der Busse im Wege der Begnadigung beanstandet Nötzli erneut den erfolgten Strafentscheid. Man habe lediglich auf die Aussagen des Mitangeschuldigten Katenhausen abgestellt, der sich und einen Dritten derart entlasten wollte.

Ferner wird gesagt, Nötzli falle seit dem Jahre 1914 seiner betagten Mutter zur Last, da es ihm seiner körperlichen Missgestalt wegen nicht möglich gewesen sei, angestellt zu werden.

Der Gesuchsteller bringt keine Gründe an, die nicht im Administrativverfahren geltend gemacht worden wären. Auf Beweisfragen hat die Begnadigungsbehörde nicht einzutreten. Die Vernehmlassung der Oberzolldirektion über Nötzli lautet ungünstig.

Er soll sich während der ganzen Dauer des Krieges mit Schieberund ändern zweifelhaften Geschäften abgegeben haben. So wird

451

erwähnt eine Verurteilung durch das Strafgericht des Kantons Basel-Stadt. Der Berufung des Gesuchstellers auf seine körperliche Missgestalt wird sein lockerer Lebenswandel entgegengehalten.

Wir beantragen Abweisung.

Zu b. Im April 1918 hat Rudolf Derrer im Komplott mit neun ändern in fortgesetzter Weise Vanillestengel, Schokolade, Kakao, Seife, Nähfaden und Schuhnestel im Gesamtwert von über Fr. 6000 ausgeschmuggelt. Ausserdem machte er sich durch unbefugtes Betreten der militärischen Zone der wiederholten Grenzverletzung schuldig.

Da die Zollbehörden im Laufe ihrer Untersuchung den Zusammenhang mit dem militärgerichtlich zu bestrafenden Vergehen feststellten, überwiesen sie die Akten am 5. Juni 1918 dem Kommando des Grenzdetachementes Nordostschweiz zuhanden des Militärgerichtes. In der Folge ergab sich, dass Derrer wegen des militärischen Deliktes mit vier ändern bereits am 23. Mai zu fünf Monaten Gefängnis und zwei Jahren Einstellung im Aktivbürgerrecht verurteilt worden war. Die Ahndung der Widerhandlungen gegen das Ausfuhrverbot wurde deshalb den Zollbehörden belassen, worauf es zum Entscheid der Oberzolldirektion vom 14. September 1918 kam. Auf einen von Derrer gegen diesen Entscheid eingereichten Rekurs wurde wegen verspäteter Einreichung nicht eingetreten.

In seinem an die Bundesversammlung gerichteten Gesuch um Erlass der Fr. 1500 Busse verweist Derrer auf die wegen des militärischen Vergehens erstandene Freiheitsstrafe und schreibt, den geschuldeten Betrag nicht aufbringen zu können. Er habe inzwischen geheiratet und müsse für seine Familie sorgen. Die erstandene Freiheitsstrafe sei Sühne genug.

Die in Betracht kommenden Widerhandlungen gegen die Ausfuhrverbote sind schwerer Art. Dem Lande wurden bedeutende Warenmengen in hohem Werte entzogen. Laut Akten missbrauchte Derrer die im aktiven Dienst erlangte Kenntnis der Grenzverhältnisse und hat andere zum Schmuggel verleitet.

Wir haben deshalb keine Veranlassung, das Gesuch zu empfehlen.

Zu c. Johann Berglas verkaufte in seinem Laden in Feuerthalen einem Albert Schättin am 13. Mai 1918 57 kg Schokolade für Fr. 376. 20 und am nächsten Tage 100 kg für Fr. 661.

Die 57 kg wurden in der Nacht vom 13./14. Mai durch Schättin und Genossen ausgeschmuggelt. Dasselbe war für die

452

folgende Nacht mit den 100 kg geplant. Das Vorhaben wurde aber durch Militär- und Zollorgane vereitelt und die Ware beschlagnahmt.

Schättin wurde dann mit vier ändern vom Territorialgericht 5 am 5. August 1918 wegen komplottmässiger Widerhandlung gegen Bekanntmachungen des Kommandos des Grenzdetachements Nordostschweiz (betreffend die verbotene militärische Zone) und gegen das Ausfuhrverbot zu 6 Monaten Gefängnis, abzüglich 54 Tage bereits erstandenen Polizei- und Untersuchungsverhaftes, zu Fr. 1000 Busse und drei Jahren Einstellung im Aktivbürgerrecht verurteilt. Gegen den Hauptbeteiligten wurde auf 7 Monate und Fr. 2000, gegen einen Dritten auf vier Monate und Fr. 500, gegenüber zwei weiteren auf je zwei Monate Gefängnis und Fr. 100 Busse erkannt.

Aus den Akten geht hervor, dass der heutige Gesuchsteller Berglas vorerst von den Zollbehörden abgehört wurde, worauf diese die Akten dem Untersuchungsrichter des Territorialgerichtes 5 übermittelten. Dieser dehnte die Untersuchung auf Berglas aus, und Berglas blieb sechs Wochen in Untersuchungshaft. In der Folge wurde er aber nicht im militärgerichtlichen Verfahren abgeurteilt. Es war dies vor dem Buudesratsbeschluss vom 17. September 1918 (A. S. n. F. XXXIV, 949), der nun abklärend bestimmt, dass in derartigen Fällen die Militärgerichte sämtliche Mitschuldigen beurteilen können, also auch diejenigen, denen ein militärgerichtlich zu bestrafendes Vergehen nicht zur Last fällt.

Dagegen wurde Berglas, der zweifellos gegen das Ausfuhrverbot gehandelt hat, nunmehr von den Zollbehörden mit ändern Warenlieferanten und Warenabnehmern endgültig ins Recht gefasst und mit Fr. 500 gebüsst, unter solidarischer Haftbarerklärung für einen Wertersatzanteil von Fr. 376. 20.

Gegen diesen Strafentscheid wendet sich Berglas, der an die Busse Fr. 300 abbezahlt hat, an die Bundesversammlung, mit dem Ersuchen, im Begnadigungswege die Restbusse aufzuheben.

In zwei Eingaben sucht er in längeren Ausführungen sein damaliges Verhalten Sehättin gegenüber zu rechtfertigen, beklagt sich über Einzelheiten der längeren Untersuchungshaft und beanstandet das nachträgliche zollamtliche Administrativ verfahren.

Schliesslich schildert er seine misslichen Verhältnisse und findet, die erstandene Untersuchungshaft müsse in Betracht gezogen werden und lasse die gesprochene Busse als zu hart erscheinen.

Die schweizerische Oberzolldirektion spricht sich in ausführlicher Stellungnahme und unter Hinweis auf die Akten gegen eine Begnadigung aus.

453

Es ist hinsichtlich des Strafmasses gerechtfertigt, die vom Territorialgericht 5 gegenüber den Urhebern des Ausfuhrschmuggels ausgesprochenen Strafen vergleichend herbeizuziehen. Es zeigt sich, dass den weniger schwer belasteten Urhebern gegenüber Gefängnisstrafen von vier Monaten und Fr. 500 Busse, in zwei Fällen von zwei Monaten und Fr. 100 Busse gesprochen worden sind. Damt wurde zugleich das unbefugte Betreten der militärischen Zone geahndet. Ferner wurde die erstandene Untersuchungshaft jeweils in Abzug gebracht.

Berglas blieb in demselben militärgerichtlichen Untersuchungsverfahren vom S.Juni bis 16. Juli 1918, somit sechs Wochen, in Haft.

Dies kann nach der Aktenlage und in Verbindung mit dem Umstand, dass er Fr. 300 geleistet hat, von der Begnadigungsbehörde derart berücksichtigt werden, dass ihm die noch verbleibenden Fr. 200 erlassen werden, was wir beantragen.

Zu d. Ernst Pfeuti ersucht erneut um Erlass der durch Umwandlung der Busse entstandenen Gefängnisstrafe von 240 Tagen.

Ein ebenfalls wiederholtes Gesuch um Strafaufschub wurde vom schweizerischen Justiz- und Polizeidepartement (Polizeiabteilung) am 20. Februar 1919 abgewiesen.

Wir beziehen uns auf den von der Bundesversammlung zum Beschluss erhobenen Abweisungsantrag 88 im III. Bericht für die letzte Wintersession vom 4. Dezember 1918 (Bundesbl. 1918, V, 485/487).

Pfeuti betont in seiner Eingabe vom 20. Januar 1919 ausser dem früheren Anbringen, er arbeite an einer bedeutenden Erfindung, die durch seine Inhaftierung verloren ginge.

Demgegenüber bestätigen wir unsere Ausführungen vom 4. Dezember 1918 und beantragen in Anbetracht der erfolgten Abweisung, auf das erneute Gesuch nicht einzutreten.

Zu e. Oskar Weiss, damals Schuhmacher in Jestetten (Baden), war derart Teilnehmer an einem Schmuggelkomplott, dass er vom Ausland aus andere zur Ausschmuggelung von Velomänteln, Ventilschläuchen, Sohlenleder, Schokolade usw. im Werte von rund Fr. 530 anstiftete und ihnen die Ware in Jestetten abnahm.

Weiss, der in seiner Eingabe an die Bundesbehörden in verworrener Weise über seine Verhältnisse und bisherige Lebensführung berichtet, hat am 28. Februar 1919 die auf dem Wege

454

der Umwandlung entstandene Gefängnisstrafe von 140 Tagen angetreten. Mit seinem Gesuch um Begnadigung haben sich die eidgenössischen Behörden nur soweit zu befassen, als die vom eidgenössischen Zolldepartement gesprochene Busse von Fr. 700 in Betracht kommt.

Aufschluss über den Gesuchstellcr gibt ein Bericht der Justizdirektion des Kantons Zürich, wonach "Weiss durch Verfügung des Bezirksrates Affoltern vom 9. Oktober 1917 wegen liederlichen Lebenswandels, Arbeitsscheu, wiederholten böswilligen Verlassens der Familie und dergleichen für die Dauer eines Jahres in eine staatliche Korrektionsanstalt versetzt wurde. Er entwich dreimal. Er ist ausserdem mehrfach vorbestraft und nach dem Bericht, auf den wir für Einzelheiten verweisen, ein in hohem Masse liederlicher Mensch.

Das schweizerische Justiz- und Polizeidepartement (Polizeiabteilung) hielt als Strafvollzugsbehörde am 31. März 1919 dafür, es liege kein Grund vor, in den stattfindenden Strafvollzug einzugreifen.

Mangels ernstlicher Begründung sollte auch das Begnadigungsgesuch ohne weiteres abgewiesen werden, was wir beantragen.

Zu f. Die Eheleute Stastny wurden zusammen mit acht ändern Angeschuldigten verurteilt. Stastny und seine Frau, damalige Marie Hoffmann, waren in einer Schnraggelaugelegenheit in fortgesetzter Weise derart tätig, dass sie Schokolade und Seife zuhanden des am stärksten belasteten Schmugglers aufkauften und ihm zukommen Hessen.

Im gemeinsamen Gesuch um Erlass der beiden Gefängnisstrafen werden zum Teil die tatbeständlichen Feststellungen bestritten und anschliessend die Familienverhältnisse geschildert.

Stastny sei ein kranker Mann und die Last der Familie ruhe auf der Frau, die zudem ihr zweites Kind erwarte. Um grusseres Elend zu verhüten, möge man entgegenkommen.

Ein Arztzeugnis bescheinigt, dass Stastny an einem gefährlichen, unheilbaren Herzfehler leide.

Die ausgesprochenen Strafen können mit Rücksicht auf die fortgesetzten Verfehlungen und im Vergleich zu den Straferkenntnissen den Blitangeklagten gegenüber nicht als zu scharf bezeichnet werden. Die ausgewiesene Krankheit Stastnys, die Schwangerschaft der Ehefrau sind gemäss Art. 197 des Bundesstrafprozesses von den eidgenössischen Strafvollzugsbehörden ohnehin bei der Anordnung des Strafvollzuges entsprechend zu berücksichtigen.

45»

In Anbetracht der fortgesetzten Verfehlungen, und da Widerhandlungen gegen das Ausfuhrverbot nicht leicht zu nehmen sind, beantragen wir trotz den geschilderten Familienverhältnisse Abweisung der Gesuchsteller.

Wir haben nicht verfehlt der zuständigen Strafvollzugsbehörde von den besonderen Verurnständungen Kenntnis zu geben. Dies kann nach Erledigung der Begnadigungsgesuche erneut erfolgen.

Zu g. Gottlob Frey lieferte Saccharintabletten, Schokoladenpulver und einige weitere mit Ausfuhrverbot belegte, insgesamt auf Fr. 1600 geschätzte Waren, von denen er wusste oder annehmen musste, dass sie ohne Ausfuhrbewilligung ausgeführt werden sollten.

Im Bognadigungswege wird das Gesuch gestellt, Frey die Gefängnisstrafe zu erlassen, allfällig sie in eine angemessene Geldbusse umzuwandeln.

Hierzu wird das Verhalten Freys in einer ihm günstigen Weise dargestellt und sein Verschulden als sehr gering bezeichnet.

Es sei ,,geradezu unbegreiflich, dass das Gericht auf eine Gefängnisstrafe erkannt1'' habe, die geeignet sei, den Ruf Freys uad seiner rechtschaffenen Familie zu untergraben. Überdies sei nunmehr wegen Vergehen gegen Kriegserlasse ein ganzer oder teilweiser Straferlass gerechtfertigt.

Für Einzelheiten verweisen wir überdies auf die längeren Ausführungen des Gesuches und seiner Beilagen, wo insbesondere auf eine im Nationalrat eingereichte Motion über Amnestie oder weitgehende Begnadigung Bezug genommen wird.

Die Gesuchsanbringcn bedeuten offensichtlich eine Wiederholung der Verteidigung im .gerichtlichen Verfahren, wo der Tatbestand nicht bestritten, sondern bloss beantragt wurde, nicht auf Gefängnisstrafe zu erkennen.

Wie die Erwägungen der Gerichte des Kantons Basel-Landschaft zeigen, ist die Gefängnisstrafe durchaus gerechtfertigt.

Namentlich ist hervorzuheben, dass Frey als Lieferant von Schmuggelware rückfällig ist.

"Wir beantragen deshalb, die Gefängnisstrafe nicht zu erlassen, in der Meinung, die Gesuchsanbringen seien nicht geeignet, im vorliegenden Fall oder ganz allgemein derartigen Strafsachen gegenüber die Zweckmässigkeit einer milderen Ahndung zurzeit ernstlich dartun zu können.

Auf den Antrag der Umwandlung der Gefängnisstrafe in Geldbusse ist nicht einzutreten.

456

Zu li. Arnold Küster war mit 41 ändern in einem Strafverfahren zu beurteilen, das mit 37 Verurteilungen und 5 Freisprüchen endigte. Es handelt sich um drei sehr beträchtliche Garntransporte von Diepoldsau (St. Gallen) nach Österreich, vorgenommen in der Nacht vom 12./13., 13./14. und 17./18. August 1917. Bezüglich der besonderen Verumständungen verweisen wir auf die umfangreichen Urteilserwägungen.

Nach den Akten liess Arnold Küster wissentlich zu, dass zum Schmuggel bestimmtes Garn in sein Haus gebracht wurde.

Die Schmuggler der drei Transporte hatten bei Küster ihr Stelldichein und empfingen dort ihre Weisungen. Auch trug Küster jeweils einen Sack mit an den Rhein. Bei der Hausdurchsuchung wurde ein Sack mit 10 kg Baumwollgarn im Werte von Fr. 200 vorgefunden.

Der Gesuchsteller bittet in eindringlichen Worten, ihm im Begnadigungswege den bedingten Straferlass zu gewähren. Man möge ihm entgegenkommen mit Rücksicht auf seine unschuldige Familie, seine vier noch unerwachsenen Kinder. Er habe aus Not gehandelt und bereue seine Verfehlungen aufrichtig. Er nehme die Busse, deren Entrichtung ihm sehr schwer falle, willig auf sich, nur möge man ihm und seinen Angehörigen die Schande der Gefängnisstrafe ersparen.

In den Akten befindet sich eine ausführliche Vernehmlassung der schweizerischen Oberzolldirektion, die Abweisung des Begnadigungsgesuches beantragt. Wie schon vom urteilenden Gericht wird hervorgehoben, dass es sich um einen schweren Fall handelt. Es wird an die nachteiligen Folgen derartiger Machenschaften für unser Land erinnert und erklärt, Arnold Küster sei in der hier zu behandelnden Schmuggelsache einer der Hauptschuldigen. Ein Straferlass würde eine Ungleichheit bedeuten gegenüber den ändern Mitverurteilten.

Nach Artikel 174 des Bundesstrafprozesses bewirkt die Begnadigung die ganze oder teilweise Aufhebung der Strafe. Dagegen ist die Möglichkeit des bedingten Straferlasses im Begnadigungaverjahren nicht vorgesehen, weshalb ein derartiger Antrag durch Nichteintreten zu erledigen ist.

Soweit die Begnadigungsbehörde über den Antrag des Gesuchstellers hinausgehend die bei ihr anhängig gemachte Begnadigungssache vom Gesichtspunkt einer ganzen oder teilweisen Aufhebung der Strafe behandeln will, beantragen wir, in Anbetracht des grosszügig und raffiniert angelegten Schmuggelkomplottes, ohne weiteres den Gesuchsteller abzuweisen.

457

A n t r ä g e : Erlass der noch zu entrichtenden Fr. 200 bei Berglas, Abweisung der übrigen, soweit eingetreten wird.

133. Theophil Augustin Malan, geb. 1881, Handelsvertreter, zurzeit in Italien.

134. Maurice-Albert Croix, geb. 1897, früher Postangestellter, Genf.

135. Gabriel-Jean Serve, geb. 1900, Genf.

136. Arnold Letsch, geb. 1900, Koch, Laufenburg.

137. Alfred Flühmann, geb. 1895, Konsulatsangestellter, Basel.

(Verbotener Nachrichtendienst.)

Das schweizerische Bundesgericht (Bundesstrafgericht) hat in Anwendung des Art. 5 der bundesrätlichen Verordnung betreffend Strafbestimmungen für den Kriegszustand vom 6. August 1914 (A. S. n. F. XXX, 370), und ausserdem der Art. 54« und 56 des Bundesstrafrechtes bei Croix, verurteilt: a. Theophil Augustin Malan am 18. Dezember 1917 zu 5 Monaten Gefängnis, unter Anrechnung der erstandenen Untersuchungshaft von 48 Tagen, und Fr. 200 Busse.

b. Maurice-Albert Croix am 13./14. März 1919 zu 3 Monaten Gefängnis, unter Anrechnung der erstandenen Untersuchungshaft von 66 Tagen, und Fr. 100 Busse; c. Gabriel-Jean Serve am 2./3. und 4. Dezember 1918 zu l Monat Gefängnis und Fr. 100 Busse.

d. Arnold Letsch, Sohn, am 12. Oktober 1918 zu l Monat Gefängnis, unter Anrechnung der erstandenen Untersuchungshaft von 13 Tagen, und Fr. 30 Busse; e. Alfred FlUhmann am 22. März 1919 zu l Monat Gefängnis, unter Anrechnung der erstandenen Untersuchungshaft von 18 Tagen, und Fr. 100 Busse.

Zu a. Im Sommer 1916 ersuchte ein Agent einer fremden Macht einen gewissen Kissling, ihm bei der Sammlung von Nachrichten über die wirtschaftlichen, namentlich aber über die-militärischen Verhältnisse in den Zentralmächten behilflich zu sein.

In Ausführung dieses Auftrages wandte sich Kissling zunächst an den sich in Bern aufhaltenden italienischen Staatsangehörigen Theophil-Augustin Malan, um in Bern Personen ausfindig zu machen, die bereit wären, sich in entsprechendem Sinne zu betätigen.

Die in der Folge unter anderem von dem hier in Betracht kommenden .Malan entwickelte Tätigkeit wird vom Bundesstraf-

458

gericht als bedeutend bezeichnet und hauptsächlich atraferschwerend in Betracht gezogen, dass die Angeklagten nicht davor zurückscheuten, Schweizerbürger zu Spionagereisen ins Ausland anzuwerben und dadurch einer grossen Gefahr auszusetzen.

Für Malan ersucht die Ehefrau um Erlass der Gefängnisstrafe soweit sie noch zu erstehen ist.

Es handle sich zurzeit darum, Malan die Rückkehr zur Familie zu erleichtern. Seit seiner Abwesenheit sorge die Ehefrau für sich und ihre drei Kinder und habe sich seit mehr als einem Jahr als Bureaulistin durchgeschlagen. Entbehrungen, Überanstrengung und Krankheit hätten ihre Gesundheit untergraben.

Die zwei, neun- und elfjährigen Kinder seien ausserstande ihr beizustehen, und die Heimkehr des Familienhauptes sei dringend nötig.

Für den Fall, dass der Straferlass nicht gewährt werden könne, wird ersucht, den Strafvollzug bis nach einigermassen wieder hergestellter Gesundheit der Ehefrau aufzuschieben, Schliesslich wird die gute Aufführung der Familienglieder und das einstige schweizerische Bürgerrecht der Frau Malan hervorgehoben und ein ärztliches Zeugnis über den geschwächten Gesundheitszustand der letzteren beigebracht.

Der verurteilte Malan entzog sich seinerzeit dem Strafvollzug durch Flucht ins Ausland. Dort wurde er militärisch eingezogen, hinter der Front verwendet und ist nunmehr demobilisiert.

Die Polizeiberichte lauten über ihn ungünstig. Er wird als zweifelhafter Mensch bezeichnet. Die in Betracht kommenden Behörden des Kantons Bern beantragen sämtliche, von einer Begnadigung abzusehen.

Die eidgenössische Zentralstelle für Fremdenpolizei hat im Anschluss an dahingehende Anträge der Polizeidirektion des Kanton Bern und im Einverständnis mit der Polizeiabteilung des schweizerischen Justiz- und Polizeidepartements als Strafvollzugsbehörde Malan die Einreise verweigert.

Es sind im vorliegenden Falle die Interessen der vom Verurteilten seinerzeit im Stich gelassenen Familie unter anderem gegenüber den allgemeinen Gesichtspunkten der Fremdenpolizei abzuwägen. In Anbetracht der zurzeit herrsehenden Verhältnisse und da Malan selbst unseres Erachtens kein Entgegenkommen verdient, eine Begnadigung einzig mit Rücksicht auf die gut beleumdete schwer bedrängte Ehefrau und die unmündigen Kinder in Betracht kommen könnte, beantragen wir, das Begnadigungsgesuch abzuweisen und die weitern Massnahmen den Behörden für Fremdenpolizei und Strafvollzug zu überlassen.

459

Zu b. Maurice-Albert Croix war als Teilnehmer in der bedeutenden Spionageangelegenheit Konopka und Mitangeklagte derart tätig, dass er gegen Bezahlung Adressen französischer Frontsoldaten vermittelte, die er sich in seiner Eigenschaft als Postbeamter verschaffte. Er lieferte überdies eine ßeihe Postkarten als Belege für die Richtigkeit der genannten Adressen. Davon wurden einige der Post wieder zurückgestellt, andere dagegen verbrannt.

Das schweizerische Justiz- und Polizeidepartement (Polizeiabteilung) hat am 3. April 1919 als Strafvollzugsbehörde ein Gesuch um Aufschub abgewiesen.

Wie Hermann Rahm (zu vergleichen Antrag 67 im III. Bericht für die Sommersession 1919, Bundesbl. 1919, S. 171/173) machte sich Croix nicht einzig des verbotenen Nachrichtendienstes schuldig. Es musste ihm überdies im Sinne des Artikels 54, lit. a des Buridesstrafrechtes ein Unterschlagen von Schriftstücken und nach Artikel 56 desselben Gesetzes das Delikt der passiven Bestechung zur Last gelegt werden.

Da mit Rücksicht auf den Stand des Strafvollzuges eine ganze oder teilweise Aufhebung der Strafe im Begnadigungswege möglich ist, ist auf das Gesuch nicht mehr einzutreten.

Namentlich mit Rücksicht auf die Amtsdelikte hätten wir, wie in der Begnadigungssache Rahm hiervor, ohne weiteres beantragt, das Gesuch abzuweisen.

Zu c. und ä. Zu den von Gabriel-Jean Serve und Arnold Letsch, Sohn, eingereichten Begnadigungsgesuchen ist ebenfalls zu bemerken, dass sie durch Vollzug der Strafen gegenstandslos geworden sind, weshalb wir auch hier Nichteintreten beantragen.

Zu e. Alfred Flühmann, Angestellter des englischen Konsulates in Basel, veranlasste einen Angestellten der Bundesbahnen, indem er ihm Geldgeschenke in Aussicht stellte und in der Folge auch gab, auf dem Schriftenkontrollbureau des Güterbahnhofes Basel während etwa zwei Monaten über Absender, Empfänger und Art gewisser Waren Notizen zu machen, worauf sich Flühmann auf Weisung des englischen Konsulates diese Angaben verschaffte.

In dem Gesuch um Erlass der noch zu erstehenden 12 Tage Gefängnis schildert Flühmann vorerst die für sein Verhalten in Betracht kommenden Verumständungen und versichert, mit seiner Handlungsweise niemals bezweckt zu haben, der Schweiz zu

460

schaden, sondern der Meinung gewesen zu sein, damit sowohl der Gesellschaft für chemische Industrie in Basel wie dem englischen Konsulate, wo er seit bald vier Jahren, zurzeit als Prokonsul tätig sei, zu dienen.

Er habe ohne Gewinnabsicht gehandelt, sei gut beleumdet und ohne Vorstrafen.

Dem Gesuch werden einige Zeugnisabschriften beigelegt, die sich im Original in den Strafakten befinden.

Man möge einem jungen Schweizerbürger, der stets zu seinem Lande gehalten habe, auch seinen Militärdienst leiste, entgegenkommen. Die Erstehung der Gefängnisstrafe würde für ihn und seine Angehörigen eine Entehrung bedeuten.

Das milde Urteil des Bundesstrafgerichtes erklärt sich lediglich aus den nunmehrigen Zeitverhältnissen und der Berücksichtigung der Jugend, des sonst unbescholtenen Leumundes und der wirtschaftlichen Abhängigkeit Fluhmanns vom englischen Konsulate.

Flühmann machte sich ausser des verbotenen Nachrichtendienstes der Bestechung schuldig.

Wie in früheren Fällen beantragen wir, namentlich auch mit Rücksicht auf die Integrität der Verwaltung, das Begnadigungsgesuch abzuweisen.

A n t r ä g e : Nichteintreten bei Croix, Serve und Letsch, Abweisung der übrigen.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 2. Juni 1919.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der

Bundespräsident:

Ador.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft r Steiger.

a®e>--

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

IV. Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Sommersession 1919). (Vom 2. Juni 1919.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1919

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

22

Cahier Numero Geschäftsnummer

1034

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

04.06.1919

Date Data Seite

440-460

Page Pagina Ref. No

10 027 135

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.