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Schweizerisches Bundesblatt mit schweizerischer Gesetzsammlung, 7l. Jahrgang.

Bern,, den 3. Dezember 1919.

Band V.

Erscheint wöchentlich. Preis 13 Franken im Jahr, 6 Franken im Saltjahr, anzüglich ,,Nachnahme- und Postbestellungsgebühr.

Einrückungsgebühr : 15 Rappen die Zelle oder deren Baum. -- Anzeigen franko an die Buchdruckerei Stämpfli & de. in Bern.

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II. Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Wintersession 1919).

(Vom 2. Dezember 1919.)

r Strafanstalt Regensdorf (Zürich).

(Sprengstoffverbrechen und Neutralitätsverletzung.)

gericht mit mehreren Mitangeklagten schuldig erklärt des Sprengstoffverbrechens im Sinne des Artikels 3 des Bundesgesetzes vom 12. April 1S94 betreffend Ergänzung des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 4. Februar 1853 und der Widerhandlung gegen Ziffer 2 der Verordnung des Bundesrates betreffend Handhabung der Neutralität der Schweiz vom 4. August 1914 (A. S. n. F., XXX, 353) und verurteilt zu 20 Monaten Zuchthaus, unter Anrechnung der erstandenen Untersuchungshaft von 384 Tagen, zu Fr. 300 Busse und zu lebenslänglicher Landesverweisung.

Monanni ersucht um Erlass der noch zu verbüssendeu Zuchthausstrafe und bringt zur Begründung des Gesuches an : er sei wegen Neutralitätsverletzung verurteilt worden, habe 13 Monate in strenger Untersuchungshaft gesessen, habe sich während der ganzen Haftzeit immer gut betragen und könne sich unverzüglich nach Italien begeben. Er weist noch darauf hin, dass er die Busse am 13. September bezahlt habe.

Monanni wurde bereits in die Untersuchung gegen wegen Sprengstoffverbrechen und Neutralitätsverletzung einbezogen, die Untersuchung gegen ihn wurde aber mangels genügender Schuldbeweise aufgehoben. (Vergleiche Begnadigungssache Bundesbl. 1919, III, 440.) Im grossen Zürcher Bombenprozesse wurde die Untersuchung gegen ihn wieder aufgenommen, Bundesblatt. 71. Jahrg. Bd. V.

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da neue Tatsachen gegen ihn bekannt geworden waren. Die Untersuchung und die Hauptverhandlung im neuen Verfahren hat gegenüber Monanni folgendes ergeben: Im Auftrage der Sektion Stuttgart des terroristischen Dienstes des deutschen Generalstabes setzten sich die Verbindung, um durch deren Vermittlung Sprengstoffe, Waffen, Munition und revolutionäre Propagandaliteratur nach Italien zur Entfachung und Unterstützung der Revolution zu schaffen, indem sie getrennt mit übergab unter dem Namen näre Propagandaliteratur de8 Transportes und der Verteilung der Sprengstoffe und Waffen in Beziehung. e Zusammenkünfte im Dolder und am Seeufer. Monanni gewann den Andrei zur Entgegennahme von mehreren im deutschen Generalkonsulat in Zürich aufbewahrten Kisten mit Waffen, Munition und Handgranaten, die später in dem von an der Nordstrasse in Zürich gefunden wurden. Das Gericht hat trota den lebhaften Bestreitungen des dessen Beteiligung an der Aufbewahrung der Sprengstoffe, gestützt auf die Aussagen des Andrei, des Konsulatsbeamten Dr. Heinrich und die Mitteilungen von Edeler und Schreck, als erbracht angenommen.

büsst haben. Wir können den Erlass dieser Strafe nicht empfehlen. Monanni hat dadurch, dass er im Interesse der deutschen Kriegsführung Sprengstoffe, Munition und Waffen in unserm Lande aufbewahren half, um sie zur Unterstützung der Revolution nach Italien zu verbringen, die öffentliche Sicherheit und die schweizerische Neutralität im höchsten Grade gefährdet. Eine Zuchthausstrafe von 20 Monaten ist für diese Tat nicht übersetzt.

A n t r a g : Abweisung.

5 zeit in der Strafanstalt Basel.

(Sprengstoffverbrechen.)

dem französischen Staatsangehörigen vember 1918 vom Bundesstrafgericht wegen Versuchs der Zuwiderhandlung gegen Artikel l des Bundesgesetzes vom 12. April 1894 betreffend Ergänzung des Bundesgesetzes über das Bundes-

671 strafrecht (Verbrecherischer Gebrauch von Sprengstoffen) zu fünf Jahren Zuchtbaus, abzüglich 174 Tage Untersuchungshaft, und zu fünf Jahren Einstellung im Aktivbürgerrecht verurteilt.

Der französische Spionagedienst verfolgte seit dem Frühjahr 1917 den Plan, die bei Waldshut (Baden) gelegene Fabrik der Lonzawerke, die über 500 auf Schweizergebiet wohnende schweizerische Staatsangehörige als Beamte und Arbeiter beschäftigte, durch Verwendung von Sprengstoffen zu zerstören. Der Chef dieser Spionageorganisation, Dienste stehenden Gesuchsteller Fricker gegen eine Belohnung von Fr. 5000 den Auftrag, die Zerstörung dieses Werkes an die Hand zu nehmen. Fricker suchte in der Schweiz Leute zur Ausführung des Sprengstoffattentates zu gewinnen. Es gelang ihm, den Karl Zahnd, geb. 1897, der bei den Lonzawerken in Arbeit stand und in Koblenz (Kanton Aargau) wohnte, gegen das Versprechen einer Geldsumme von Fr. 1000 zur Ausführung des Attentates zu bewegen.

die Ausführung des Anschlages in allen Einzelheiten zu besprechen.

Bei einem dieser Besuche leistete er ihm eine Aufmunterungszahlung von Fr. 100. Zwischenhinein reiste Auftraggebern, um über die Abmachungen mit Zahnd Bericht zu erstatten und weitere Weisungen, sowie endlich das Sprengmaterial entgegenzunehmen. Dieses Material bestand aus über hundert mit Pikrinsäure geladenen Sprengbilchsen (französisches Armeesprengmaterial), drei Glühzündern und zwei Kontaktuhren.

mit dem Material durch die Schweiz nach Koblenz, übergab es dort dem Zahnd und unterrichtete ihn im Gebrauch der Sprengkörper und der Zündvorrichtung. Es wurde vereinbart, das Attentat am Freitag, den 4. Mai 1917, nachts 11 Va Uhr, auszuführen.

Während der nächsten Tage nahm Zahnd etwa 60 Sprengkörper von Koblenz über den Rhein in die Fabrik und verbarg sie dort in seinem Kleiderschränkchen. Am 4. Mai nahm er auch die Zündvorrichtungen mit in die Fabrik, nachdem' er die Uhren gemäss der mit Fricker getroffenen Vereinbarung auf 11 Va Uhr nachts eingestejlt hatte. Einige Zeit vor seiner um 10 Uhr zu Ende gehenden Arbeitsschicht verbrachte er unter verschiedenen Malen das Sprengmaterial und die Zündvorrichtungen aus dem Kleiderschrank in eine zwischen einem Ofenraum und dem Transformatorenraume gelegene Staubkiste, weil er nicht unbemerkt zu einem der Öfen gelangen konnte, wie er mit Fricker
abgemacht hatte. Hier schichtete er die Sprengkörper auf einen Haufen, verband zwei Sprengkörper mit den Glühzündern und diese mit den Kontaktuhren und brachte die Uhren in Gang. Als er die zweite Zündvorrichtung wieder in den Haufen legte, erfolgte eine vorzeitige Explosion des Glühzünders, ohne aber den Sprengstoff zur

,672 Detonation zu bringen. Das Misslingen der Explosion des Spreng,.stoffes ist darauf zurückzuführen, dass die zur Zündvorrichtung gehörende Knallquecksilberladung fehlte. Zahnd riss sofort die Uhrwerke von den Verbindungsdrähten, steckte sie zu sich, verliess die Fabrik und kehrte nach Koblenz zurück. Hier traf er verabredungsgemäss mit stiger Stelle zur Beobachtung der Sprengung der Fabrik aufgestellt Jiatte. Zahnd orientierte ihn über das Fehlschlagen der Ausführung und übergab ihm die Zündvorrichtung und die Uhren.

machte dem Zahnd Vorwürfe wegen des Missliugens des Planes und zahlte ihm auch den Rest der versprochenen Belohnung nicht aus, sondern machte sich aus dem Staube.

Für den Verurteilten sein Schwager Begnadigungsgesuche ein, die stätigte und wiederholte. In diesen Gesuchen wird darauf hingewiesen, dass die Familie des und a der Inhaftierung des zu bringen. Im Gesuche des Schwagers wird noch geltend gemacht, dass Fricker immer ein guter Familienvater gewesen und .noch nie bestraft worden sei. Dieses Gesuch nimmt an, dass i pfarrer von Bévilard unterstützt das Gesuch ebenfalls, indem er auf die schwierige Lage der Familie des Begnadigungsgesuch wird im weitern vom Anstaltsgeistlichen empfohlen, der den impulsivem Charakter schildert und der Meinung Ausdruck gibt, dass das Unglück, das mit all den traurigen Spuren des Krieges baldmöglichst getilgt werden sollte. Der Strafanstaltsdirektor berichtet, duss Fricker in der Anstalt fleissig sei, aber sich frech und ungezogen gegenüber dem Personal verhalte, so dass er schon Verweise und eine Arreststrafe erhalten habe.

Das Begnadigungsgesuch muss abgewiesen werden. Die Tatsache, dass t hat, vermag für sich allein eine Begnadigung nicht zu rechtfertigen.

Er hat diese Folge seiner verbrecherischen Tat mit in den Kauf genommen. Das Verbrechen des dass die Strafe nicht schon vor der Verbüssung von kaum 1la der Strafzeit erlassen werden darf.

schuldige. Er hat den unerfahrenen Zahnd zur Verübung eines Verbrechens bestimmt, das einer grossen Zahl von Schweizerarbeitern das Leben gekostet haben würde, wenn nicht zufälligerweise die Knallquecksilberpatrone gefehlt hätte. Er hat dem Zahnd die Ausführung der Tat überlassen und sich im Versteck gehalten.

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Das Gericht hat ihm jeden Milderungsgrund verweigert, weil er ausschliesslich aus Gewinnsucht handelte. Fricker ist bereits zwei-1 mal wegen verbotenen Nachrichtendienstes bestraft worden. Gegen' die zweite auf neun Monate Gefängnis und Fr. 400 Busse lautendeStrafe reichte er ein ebenfalls mit der prekären Lage seiner' Familie begründetes Begnadigungsgesuch ein, das in der Sommersession 1918 abgewiesen wurde. (Bundesbl. 1918, III, 12 ff.,.

Nr. 55.) Von einer Begnadigung kann heute noch keine Rede sein. Ein Erlass der Strafe würde gegenüber dem von Fricker verführten Zahnd eine Ungerechtigkeit bedeuten. Sollte Fricker in der Strafanstalt zu keinen Beschwerden mehr Anlass geben, so kann später die Frage der Begnadigung mit Rücksicht auf die unglücklichen Familien Verhältnisse des Fricker neuerdings geprüft' werden.

· ' A n t r a g : Abweisung.

h (Bern).

5 (Bern).

(Bern).

(Jagd und Vogelschutz.)

'

Gestützt auf das Bundesgesetz über Jagd und Vogelschutz vom 24. Juni 1904 und kantonale Ausführungserlasse wurden verurteilt : : a. Gottfried Bettschen am 3. Mai 1919 vom Gerichtspräsidenten von Frutigen in Anwendung von Artikel 21, Ziffer 3, lit. &,; des Bundesgesetzes und der bernischen Jagdverordnung für 1918; zu Fr. 100 Busse; b. Ernst Heimberg am 2. August 1919 vom Gerichtspräsi-i denteu von Aarberg in Anwendung von Artikel Ö, lit. d, und 21,' Ziffer 5, lit. a, des Bundesgesetzes zu Fr. 40 Busse; c. Walter Gränicher am 24. April 1919 vom Gerichtspräsi« denten von Wangen in Anwendung von Artikel 21, Ziffer 4, lil. a, des Bundesgesetzes zu Fr. 50 Busse; d. Fritz Affolter, e. Fritz Käsermann, f. Hans Eymann gemeinsam am 12. Februar 1919 vom Gerichtspräsidenten von Buren in Anwendung von Artikel 21, Ziffer 4 a und 5 a, jeder zu Fr. 55 Busse.

674 Zu a. Die von einem Wildhüter am 23. April 1919 vorgenommene Durchsuchung einer dem Eanton Bern gehörenden Sennhütte auf der Rafliweide, gelegen im Bannbezirk Kander-KienSuldtal, ergab, dass in einem Bett versteckt ein Vetterlistutzer und Munition aufbewahrt wurde. Der mit seinem Bruder in der Nähe mit Holzrüsten beschäftigte Gottfried ßettschen hat zugegeben, Flinte und Munition mitgenommen zu haben. Er will beabsichtigt haben, Rehe,' die in seiner Baumschule Schaden anstifteten, mit Schreckschüssen zu verscheuchen.

Das Betreten eines Baunbezirkes mit einem Gewehr wurde entsprechend ständiger Rechtsprechung als Jagen betrachtet.

In dem für Bettschen zwecks Erlass der Fr. 100 eingereichten Gesuch wird erneut betont, Bettschen habe nicht wildern wollen.

Dem Gesuchsteller, der damals als Angestellter des Unterförsters Wittwer gearbeitet habe, sei von Wittwer erklärt worden, er stehe dafür gut, wenn Rehe durch Schreckschüsse verjagt würden.

Bettschen sei nicht vorbestraft.

Der zuständige Regierungsstatthalter befürwortet das Gesuch.

Die Forstdirektion und die Polizeidirektion des Kantons Bern können dagegen für Bettschen in keiner Weise eintreten. Eingeholte Berichte der Forstbehörden hätten ergeben, dass der betreffende Unterförster eine derartige Zusicherung nie gegeben habe. Dass der Stutzer in der Hütte versteckt worden sei, spreche zu ungunsten des Gesuchstellers.

Mit der. eidgenössischen Inspektion für Forstwesen, Jagd und Fischerei übernehmen wir die Abweisungsanträge.

Zu b. Ernst Heimberg ist geständig, im Frühjahr 1918 in einem Walde der Umgegend einen jungen Fuchs auagegraben und gefangen gehalten zu haben.

In dem zwecks Erlass der Fr. 40 verfassten Gesuch wird wie im Strafverfahren betont, ein Fuchs habe in den Hühnerställen arg gehaust, Heimberg sei dann seinen Spuren nachgegangen und habe dabei ein Junges ausgehoben. Der Gesuchsteller sei im Glauben gewesen, damit keine Gesetzesübertretung zu begehen. Er habe bloss einen Hühnerräuber unschädlich machen wollen.

Die Urteilserwägungen stellen fest, dass zweifellos eine Verfehlung vorliegt. Allerdings bestimmte das frühere bernische Jagdgesetz, dass ,,reissende, gefährliche und schädliche Tiere zu allen Zeiten und an allen Orten gefangen und gefällt werden mögentt, allein das Bundesgesetz in Verbindung mit der kantonalen Verordnung
gestattet nunmehr dem Grundeigentümer Raubwild, das seinen Gütern Schaden zufügt, lediglich innert den Marken zu behändigen.

Dabei bemerkt jedoch der Richter in den Erwägungen, er betrachte die Mindestbusse von Fr. 40 im vorliegenden Fall als zu hoch, denn

675 es sei allgemein bekannt, dass die Füchse den Hühnerbeständen ausserordentlich aufsätzig seien und es höchst selten gelingen werde, den Fuchs beim Raub zu erwischen.

Der Gemeinderat Radelfingen empfiehlt das Gesuch. Der Regierungsstatthalter von Aarberg beantragt angemessene Herabsetzung im Sinne der Urteilserwägungen. Die Forstdirektion des Kantons Bern wirft die Frage auf, ob die ungesetzliche Selbsthülfe geschützt werden soll. Im Winter 1918 sei die Fuchsjagd 'gestattet gewesen und unter den Füchsen gehörig aufgeräumt worden.

Heimberg insbesondere habe sich weder über Schädigungen beklagt noch Abhülfe verlangt. Vielmehr sei er selbst vorgegangen, auf die Gefahr hin, erwischt zu werden. Unter anderm frage sich auch, ob die Unsitte, junge Füchse gefangen zu halten, zu dulden sei. Wenn in der Jagdgesetzgebung Klarheit herrschen solle, dürfe auch in der Begnadigungspraxis nicht in einer Weise entschieden werden, die zur Ungerechtigkeit werde gegenüber denjenigen, die sich den Vorschriften fügen. Die Busse von Fr. 40 erscheine nicht als übersetzt, immerhin könne sich die Forstdirektion mit einer Herabsetzung bis Fr. 20 einverstanden erklären.

Die bernische Polizeidirektion beantragt Herabsetzung bis Fr. 20. Dagegen spricht sich die eidgenössische Inspektion für Forstwesen, Jagd und Fischerei für Abweisung aus. Mit dem Ansatz der Mindestbusse seien die Verumständungen berücksichtigt, und die Abweisung liege im Interesse der Wirksamkeit der jagdrechtlichen Strafbestimmungen.

Wir übernehmen, besonders da ärmliche Verhältnisse nicht in Betracht kommen, die Abweisungsanträge.

Zu c. Walter Gränicher machte am Palmsonntag dieses Jahres mit einer Flobertpistole Jagd auf Eichhörnchen.

Für den Gebüssten, der am 13. Dezember 1919 mehrjährig wird, lässt der Vater ein Gesuch um Herabsetzung der Busse bis Fr. 10 einreichen.

Walter Gränicher sei noch Lehrling, beziehe keinen Lohn, der Vater sei Handlanger ohne Vermögen und müsse die Busse für den Sohn aus dem eigenen Verdienst aufbringen. Dies bedeute für Vater Gränicher ein grosses Opfer. Anderseits sei das Verschulden des Sohnes kein grosses, er habe aus jugendlicher Unbedachtsamkeit gehandelt.

Die Angaben des Gesuches über die Verdienstverhältnisse der beiden Gränicher werden vom Gemeinderat von Herzogenbuchsee bestätigt. Vater Gränicher besitze eine
kleine Liegenschaft geschätzt auf Fr. 10,000 und belastet mit Fr. 4000.

Der Regierungsstatthalter von Wangen befürwortet das Gesuch.

Die Forstdirektion des Kantons Bern, deren Antrag sich die bernische Polizeidirektion anschliesst, schreibt, vom jagdlichen Standpunkt sei

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eine Begnadigung nicht angebracht-. Eine Herabsetzung bis Fr. 10 wUrde auf die jungen Leute, die der Flobertjagd an Sonntagen mit Vorliebe oblägen, geradezu ermutigend wirken. Die Vermögensverhältnisse des Vaters des Verurteilten seien nicht derart, dass die Entrichtung der Busse unmöglich wäre. Bei einer allfälligen Herabsetzung sollte in keinem Falle unter Fr. 30 gegangen werden.

Man kann sich fragen, ob nicht, ausgehend von den Verhältnissen Gränichers, der noch Lehrling ist, ein teilvveiser Erlass zu befürworten wäre.

Jedoch beantragen wir mit der eidgenössischen Inspektion für Forstwesen, Jagd und Fischerei aus jagdpolizeilichen Gründen Abweisung.

Zu d, e und f. Fritz Käsermann, Frilz Affolter und Hans Eymann, letztere zwei mit Flinten bewaffnet, machten an einem Februarsonntag dieses Jahres Jagd auf ein Wildschwein.

Im Begnadigungswege ersuchen Affolter und Käsermann um Herabsetzung der Fr. 55 bis zu einem Mindestmass, Eymann um gänzliche Begnadigung.

Nach der Eingabe sollen die in der Gegend hausenden Wildschweine kurz vorher zu einer Treibjagd Anlass gegeben haben, und die drei jungen Leute hätten dann dasselbe tun wollen, ohne zu ahnen, dass hierzu eine Bewilligung erforderlich sei. Es handle sich um einen harmlosen Vorfall, Käsermann habe ohne Gewehr mitgemacht, und der geistig abnormale Eymaun sei einfach mitgenommen worden. Für Eymann wird ein Arztzeugnis beigelegt, das ihn als geistig beschränkt und körperlich zurückgeblieben bezeichnet.

Der Gemeinderat Leuzigen und der Regierungsstatthalter von Buren empfehlen das Gesuch. Die Forstdirektion und die Polizeidirekiion des Kantons Bern beantragen im Hinblick auf das Arztzeugnis bei Eymann völligen Erlass, dagegen Abweisung der andern, bei denen es sich um unternehmungslustige Burschen handle. In derartigen Fällen erscheine eine Begnadigung unbedingt verwerflich, da sie nur anspornend wirke.

Die eidgenössische Inspektion für Forstwesen, Jagd- und Fischerei beantragt bei Eymann Herabsetzung bis Fr. 5 und Abweisung in den andern Fällen. Indem wir auf den ähnlichen, allerdings schwereren Gesuchsfall Latscha Bezug nehmen (Antrag 14 des I. Berichtes für die Sommersession 1919, Bundesbl. 1919, I, 499 ff.), halten wir dafür, es sollte bei der Herabsetzung bis Fr. 10 bei Eymann sein Bewenden haben und im übrigen Abweisung erfolgen.

A n t r ä g e : Abweisung Bettschens, Heimbergs, Gränichers, Affolters, Käsermanns, Herabsetzung bis Fr. 10 bei Eymann.

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(Aargau).

(Vergehen gegen das Postgesetz.)

Konrad Baumann wurde am 4. Juni 1919 vom Bezirksgericht Baden in Anwendung von Artikel 114 des Bundesgesetzes betreffend das schweizerische Postwesen vom 5. April 1910 und 61 des Bundesstrafrechtes verurteilt zu einem Tag Gefängnis und Fr. 10 Busse.

Nach Artikel 114 des Postgesetzes wird ,,betrügerische Nachahmung oder betrügerische Veränderung geltender schweizerischer Postwertzeichen, Poststempel, Postsiegel oder in betrügerischer Absicht stattfindender Gebrauch oder Verkauf solcher Nachahmungen und Fälschungen nach den Bestimmungen des Artikels 61 des Bundesstrafrechtes vom 4. Februar 1853 bestraft*.

Baumann änderte im Jahre 1914 zwei geltende Zwölfrappenmarken derart ab, dass er die Zahl 12 mit Tinte dreimal durchstrich und über den Strichen die Zahl 13 anbrachte. Er will beabsichtigt haben, eine philatelistische Seltenheit zu schaffen. Da die plumpe Änderung auffällig war, legte er die Marken auf die Seite. Im April dieses Jahres gerieten sie ihm mit andern Marken wieder in die Hände, und er benutzte sie als Frankatur eines nach Wien aufgegebenen Briefes. Der Brief wurde jedoch von dem Postbureau Turgi zurückgehalten und in der Folge das Strafverfahren eingeleitet.

Baumann ersucht das Bezirksgericht Baden mit Schreiben vom 28. Juni 1919 um Milderung der Strafe, insbesondere um Gewährung des bedingten Straferlasses.

Das Bezirksgericht, das die Zuschrift zuhanden des Begnadigungsverfahrens weiterleitete, empfiehlt Baumann in Anbetracht des geringen Schadenbetrages zur Begnadigung.

In der Eingabe schreibt Baumann, er wiase, dass er eine Dummheit begangen habe. Jedoch sei er nicht vorbestraft und ersuche einerseits, ihm die Schande des Gefängnisses zu ersparen, anderseits, ihm angesichts der schweren Zeiten auch hinsichtlich der Busse entgegenzukommen. Die ausgestandene Angst und Aufregung, der Lobnausfall an den Gerichtstagen seien Strafe genug.

Zum Tatbestand macht-Baumann insbesondere geltend, er habe die Marken, als sie ihm nach Jahren wieder unter die Augen gekommen seien, lediglich verwendet, weil ihn der Verlust des doch vorhandenen Nominalwertes von 24 Rappen gereut habe.

Fälschung oder Betrug zum Schaden der Post sei ihm ferne gelegen.

Er halte ja in Anbetracht der ungeschickten Veränderung ohne weiteres mit Entdeckung rechnen müssen und sieh wegen eines Rappsns sicherlMi der Gefahr einer derartigen Anschuldigung

678 nicht ausgesetzt. Er habe vieiraehr damit gerechnet, der Brief sei schlimmstenfalls um den Betrag eines Rappens zu wenig frankiert und werde ihm unter Umständen zurückgegeben oder vernichtet.

Aus einem Bericht des Postverwalters von Turgi an die Oberbehörde ist ersichtlich, dass Baumann ein leidenschaftlicher Briefmarkensammler ist. Die Machenschaften zu denen er sich als Sammler hat hinreissen lassen, sind ungehörig.

Von einer gänzlichen Begnadigung sollte daher nicht die Rede sein. Anderseits ist zu sagen, dass Baumann sonst unbescholten und ohne Vorstrafen ist. Mit dem urteilenden Gericht ist der Fall als geringfügig zu bezeichnen. Die vorgenommenen Veränderungen sind läppisch und der Eindruck, Baumann habe vor allem eine Dummheit begangen, bleibt bestehen. Bereits die Kreispostdirektion Aarau hätte vorgezogen, die Angelegenheit mit einer geringen Busse zu erledigen, was jedoch nicht möglich war.

In der Meinung, Baumann werde nach diesem Vorfall gewarnt sein, beantragen wir, ihm den Tag Gefängnis zu erlassen.

A n t r a g : Erlass der Gefängnisstrafe.

(Bern).

(Militärpflichtersatz.)

Constant Greppin wurde am 6. Februar 1919 vom Polizeirichter von Münster wegen schuldhafter Nichtentrichtung des Militärpflichtersatzes in Anwendung; des Ergänzungsgesetzes über den Militärpflichtersatz vom 29. März 1901 verurteilt zu drei Tagen Gefängnis.

Laut Dienatbüchlein war der in Betracht kommende Pflichtersatz jedoch bereits am 10. Januar 1919 entrichtet worden. Gemäss ständiger Übung beantragen wir ohne weiteres Begnadigung.

A n t r a g : Erlass der drei Tage Gefängnis.

(Massnahmen zur Einschränkung des Verbrauches an Brennmaterial und elektrischer Energie.)

Der Cercle Littéraire et de Commerce de Fribourg ist eine politische Vereinigung zur Förderung demokratischer und nationaler Grundsätze. Er besitzt in Freiburg ein Haus, in dem seine Mit-

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glieder und ihre Familien ihre Zusammenkünfte haben, Literatur und Spiele zur Verfügung stehen und ausserdem verschiedene Getränke ausgeschenkt werden, die der Cercle ira grossen einkauft und durch eine .,,concierge-tenancière"' vertreiben lässt. Gegenwärtig ist dies Frau Eugénie Gougler-Avanthey.

Diese Cercles unterstehen, wie insbesondere in einer Vernehmlassung der freiburgischen Polizeidirektion vom 30. September 1919 betont wird, im Kanton dem Gesetz vom 28. September 1888 über die Wirtschaften und haben beispielsweise das ordentliche Wirtschaftspatent zu lösen. Tatsächlich wurde ihnen gegenüber jedoch eine gewisse Toleranz beobachtet, insbesondere mit Bezug auf die Polizeistunde.

Dies änderte, als der freiburgische Regierungsrat erstmals mit ^Beschlüssen vom 23. Oktober und 1. Dezember 1917 daran ging, die vom Bundesrate getroffenen Massnahmen zur Einschränkung des Verbrauches an Brennmaterial und elektrischer Energie im Kantone durchzuführen, indem der Regierungsratseine Beschlüsse ausdrücklich auch auf die Cercles bezog.

Der Cercle Littéraire et de Commerce fügte sich jedoch diesen Erlassen nicht, sondern fuhr fort, seine Räume den Mitgliedern bis um Mitternacht und noch darüber hinaus zur Verfügung zu halten. In der Folge kam es zu einer Vorzeigung nach der andern, wobei die vom Cercle angestellte Inhaberin des Betriebes, Frau Gougler, ins Recht gefasst und regelmässig verurteilt wurde. Die Angelegenheit hat auch das Bundesgericht beschäftigt, dessen staatsrechtliche Abteilung einen für Frau Gougler gegen einen Entscheid des freiburgischen Kassationshofes vom 24. April 1918 eingereichten Rekurs am 11. November 19Ì8 abwies.

Heute ersucht nun der Cercle um gnadenweisen Erlass der Bussen.

In Betracht kommen laut Begnadigungsgesuch Bussen im Gesamtbetrag von Fr. 1900 (wobei als Kosten Fr. 1333. 85 hinzukommen). Diese wurden erkannt vom Tribunal correctionnel de l'Arrondissement de la Sarine in einer Reihe von Entscheiden, ergangen in Anwendung der Bundesratsbeschlüsse vom 12. April oder 12. Oktober 1918 (A. S. n. F. XXXIV, 431 und 1028) und kantonaler Bestimmungen.

In seiner Eingabe an die Bundesversammlung nimmt der Vorstand des Cercle Bezug auf die hier kurz wiedergegebene Vorgeschichte. Im Vertrauen auf frühere Zusicherungen anlässlich kantonaler Gesetzesberatungen im Jahre 1893 sei
hinsichtlich der Polizeistunde im Cercle nach alter Weise fortgefahren worden.

Immerhin habe man des Abends den grossen Saal abgeschlossen und in dieser Richtung den Einschränkungen nachgelebt. Im übrigen sei der Cercle durch eine Meinungsäusserung des eid-

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genössischen Volkswirtschaftsdepartementes, wonach die Bundesratsbeschlüsse ihrerseits nur von öffentlichen Betrieben handelten, in seiner Stellungnahme bestärkt worden. Das erste Urteil der untern Instanz vom 24..April 1918 sei weitergezogen, inzwischen jedoch vom Gerichtspräsidenten nicht zugewartet worden, vielmehr habe es Anzeigen und Vorladungen geradezu geregnet. Dabei hätten die Polizeiorgane nicht berücksichtigt, dass das dem Cercle gehörende Haus noch von Drittpersonen, worunter ein Arzt, bewohnt werde, sondern in allen Leuten, die das Haus nach 11 Uhr verliessen, Mitglieder des Cercle gesehen. Das in der Folge ergangene bundesgerichtliche Urteil habe seinerseits nicht abgeklärt, ob eidgenössische oder kantonale Bestimmungen auf den Cercle angewendet worden seien.

Derart sei es schliesslich zu dem gewaltigen Bussenbetrag von Fr. 1900 gekommen. Der Regierungsrat des Kantons Freiburg habe auf Vorstellungen hin erklärt, zu einer alìtalligen Begnadigung sei die Bundesversammlung zuständig, gleichzeitig jedoch zugesichert, ein Begnadigungsgesuch zu empfehlen.

Diesbezüglich kann denn auch verwiesen werden auf einen Bericht der Polizeidirektion des Kantons Freiburg vom 30. September 1919, der allerdings dem Rechtsstandpunkt des Cercle entgegentritt und dafür hält, rechtlich seien die ergangenen Urteile kaum anfechtbar. Immerhin werden die Bussen als sehr hoch bezeichnet, weshalb die Polizeidirektion dafür hält, es stehe der Bundesversammlung kein Hindernis entgegen, von ihrem Begnadigungsrechte einen teilvveisen Gebrauch zu machen.

Da das Begnadigungsgesuch auf eine Meinungsäusserung des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes verweist, ist dessen Generalsekretariat um Stellungnahme ersucht worden In Zustimmung zu seiner Vernehmlassung vom 27. Oktober 1919 gehen wir davon aus, dass das Begnadigungsrecht der Bundesversammlung zukommt, da die in Betracht kommenden Bundesratsbeschlüsse ihre Strafandrohungen auch erstrecken auf die weitergehenden von den Kantonen zwecks Einschränkung des Verbrauches an Brennmaterial und elektrischer Energie erlassenen Bestimmungen.

Allerdings könnte sich fragen, ob nicht vorgängig der weitern Behandlung der Begnadigungssache zu verlangen wäre, dass Frau Gougler dem Gesuche beitrete, da formell sie und nicht der Vorstand des Cercle verurteilt ist. Da jedoch
in Wirklichkeit der Cercle als beteiligt erscheint, der, wie sich aus den Akten ergibt, schon die Strafverfahren im Grunde als gegen sich gerichtet betrachtete und laut Gesuch tatsächlich die Bussen und Kosten übernehmen wird, unterbreiten wir Ihnen unter diesen Verumständungen Gesuch und Antrag, indem wir von der Möglichkeit von Artikel 172

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Schlusssatz des Bundesstrafprozesses vom 27. August 1851 Gebrauch machen.

In der Sache selbst übernehmen wir die Erwägungen des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes : Der Cercle hat einen bedauerlichen Widerstand an dea Tag gelegt. Die ersten Verurteilungen hätten Anlass geben sollen, die Haltung zu ändern.

Dies unterblieb, die gerichtlichen Vorladungen wurden vielfach nicht beachtet, und der Eindruck drängt sich auf, der Cercle habe sich unter allen Umständen durchsetzen wollen.

Immerhin kann, da auch die freiburgische Polizeidirektion einen teilweisen Erlass nahe legt, der Gesamt bussenbetrag aus Billigkeitsgründen etwas herabgesetzt werden.

Wird dabei vergleichsweise abgestellt auf die Höhe der Bussen in Entscheiden der Kommission für wirtschaftliche Straffâlle, so glauben wir Herabsetzung der Bussen bis zu Fr. 1000 beantragen zu dürfen. Dagegen können wir schon aus Gründen der Rechtsgleichheit ein weiteres Entgegenkommen nicht befürworten. Auf die Frage eines allfälligen Kostenerlasses hat die Bundesversammlung mangels Zuständigkeit nicht einzutreten.!

A n t r a g : Herabsetzung der Busse um Fr. 900, d. h. bis zum Betrage von Fr. 1000.

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(Rationierung von Futtermitteln.)

Es wurden verurteil! : i in Anwendung der Bundesratsbeschlüsse vom 2. Februar und 30. Oktober 1917 betreffend Abgabe von Monopolwaren durch Vermittlung der Kantone (A. S. n. F. XXXIII, 46 und 889) zu Fr. 20 Busse, Fr. 74 Kosten und Fr. 15 Staatsgebühr; , c des Gerichtspräsidenten von Muri, in Anwendung des Bundesratsbeschlusses vom 11. Oktober 1918 über die Abgabe von Monopolwaren durch Vermittlung der Kantone (A. S. n. F.

XXXIV, 1017) und der kantonalen Ausführungsverordnung,

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einen Dritten in Empfang genommen und im Einverständnis mit diesem einen Teil verfüttert.

In dem Begnadigungsgesuch wird wieim Strafverfahren die Frage aufgeworfen, ob hinsichtlich der Haferrationierung eine verbindliche kantonale Vorschrift ergangen sei. Blättler habe jedenfalls durchaus gutgläubig gehandelt und den Hafer nur infolge drückender Futternot verfuttert. Er müsse alle Kosten tragen und habe wegen der 25 kg Hafer Auslagen von über Fr. 70. Mit Rücksicht auf seine bescheidenen Verhältnisse möge man ihm die Busse erlassen.

Nach den Bundesratsbeschlüssen vom 2. Februar und 30. Oktober 1917 werden die ausführenden Massnahmen, wie die Rationierung durch Ausstellung von Bezugskarten, den kantonalen Regierungen anheimgestellt. Ferner waren die von den Kantonsregierungen getroffenen Massnahmen dem Bundesrate zur Genehmigung zu unterbreiten.

Gestützt darauf bezeichnete damals der aargauische Regierungsrat das kantonale Lebensmittelamt als Verteiluogsstelle.

Die näheren Vollzugsbestimmungen ergeben sich aus den Bezugsscheinen, die insbesondere den Vermerk ,,nicht übertragbar*1 enthalten. Eine besondere Verordnung ist nicht ergangen und eine Genehmigung der getroffenen Massnahmen hat nicht stattgefunden.

Die Mehrheit des urteilenden Bezirksgerichtes hielt dafür, der Rationierungsbeschluss des aargauischen Regierungsrates sei eine ,,Verfügung" im Sinne des Bundesratsbeschlusses und Zuwiderhandlungen deshalb auf Grund des, Bundesratsbeschlusses strafbar.

Zu dem nunmehrigen Begnadigungsgesuch nimmt das Bezirksgericht Muri ,,in Anbetracht der nicht allzuklaren Vorschriften tt keine Stellung.

Für die Erledigung des Gesuches ist bemerkenswert, dass sein Verfasser selbst erklärt ,,die Begnadigungsbehörde habe die Richtigkeit des Urteils nicht zu überprüfen1*. Sachlich widerspricht jedenfalls die kantonale Regelung dem in Betracht kommenden Bundesratsbeschluss nicht, auch steht unseres Erachtens der Meinung der Gerichtsmehrheit Artikel 5 des Bundesratsbeschlusses vom 2. Februar 1917 in der am 30. Oktober 1917 erhaltenen Fassung (A. S. n. F. XXXIII, 889) nicht entgegen. Es hatte ferner Blättler die Möglichkeit, das erstiastanzliche Urteil weiterzuziehen. Die Busse selbst ist nicht übersetzt, und der hohe Kostenbetrag erklärt sich aus dem Umstand, dass dem Strafverfahren ursprünglich eine weitere
Anschuldigung zugrunde lag, hierin jedoch in der Folge die Untersuchung mangels Beweises eingestellt wurde. Diesbezüglich ist bezeichnend, dass die Minderheit Blättler zwar freigesprochen, ihm aber nach den gesamten Verumständungen die Kosten ebenfalls auferlegt hätte.

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Im Hinblick auf die nicht hohe Busse beantragen wir Ablung.

Villiger ersucht um Erlass oder doch weitgehende Herabsetzung der ßusse von Fr. 80. In längeren Ausführungen beruft er sich auf den Umstand, dass ihm sein Kavalleriepferd erkrankt sei und er um jeden Preis Hafer habe beschaffen müssen.

Das Bezirksgericht Muri befürvrortet teilweise Begnadigung.

Das eidgenössische Militärdepartement hält dafür, der Gesuchsteller, der Guide ist, habe nicht aus gewinnsüchtiger Absicht, sondern mehr aus Angst und Aufregung, sein Pferd verlieren zu können, derart gehandelt.

Die Akten ergeben, dass Villiger ausserdem den Namen eines Dritten, allerdings mit dessen Einwilligung, in die Verteilungsliste eintrug, um sich derart einen weitern Bezugsschein und eine erneute unrechtmässige Erhöhung der ihm zukommenden Hafermenge zu beschaffen. Immerhin kann ihm der tierärztlich bestätigte Zustand seines Pferdes zugute gehalten werden, jedoch beantragen wir im Hinblick auf die geschehenen Unregelmässigkeiten lediglich Herabsetzung der Busse bis Fr. 40.

rseits um Erlass der Fr. 30 ersucht, will den Schein einzig mit Rücksicht auf das erkrankte Pferd Villigers abgetreten haben.

teintreten. Für den Fall materieller Behandlung hätten wir ohne Entgegenkommen gegenüber Villiger schlecht damit zusammenpasst, dass er sich für den Schein Fr. 20 geben liess.

A n t r ä g e : Abweisung Blättlers, Herabsetzung bis Fr. 40 .

.

(Vorschriften betreffend Motorfahrzeuge.)

23. Juli 1919 vom Amtsgericht Bucbeggberg-Kriegstetten gestützt auf den Bundesratsbeschluss vom 23. Februar 1917 betreffend die Meldepflicht der Besitzer von Motorwagen und Motorrädern (A. S.

n. F. XXXIII, 90) verurteilt zu Fr. 200 Busse.

Müller kaufte im Mai dieses Jahres ein Motorrad in gebrauchsunfähigem Zustand unter der Bedingung, dass ihm die Instandstellung möglich sei. Diese gelang in der Folge.

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Das Polizeidepartement des Kantons Solothurn, das von der Handänderung Kenntnis erhalten hatte, übermittelte Müller die Anmeldeformulare am 22. Mai. Müller unterliess jedoch vorerst die Anmeldung und nahm sie erst am 8. Juni vor, nachdem er zudem zwei Tage vorher das Rad in den Kanton Bern veräussert hatte.

r Mindestbusse von Fr. 200 verurteilte, beschloss gleichzeitig, ihn dem Regierungsrate des Kantons Solothurn zum ganzen oder doch teilweisen Erlass der Busse auf dem Wege der Begnadigung zu empfehlen. Hierzu veranlasse die Meinung, auch der Mindestansatz der Busse sei vorliegend als zu hoch zu betrachten. Das Justizdepartement des Kantons Solothurn übermittelte richtigerweise Akten und Antrag des Amtsgerichtes den Bundesbehörden, da eine eidgenössische Begaadiguugssache in Frage kommt.

In.

Er schreibt, er sei auf seinen Verdienst angewiesen, bringe sich ehrlich und selbständig durch, und die Busse bedeute für ihn keine Kleinigkeit. Man möge im deshalb entgegenkommen.

Zu der Begnadigungssache äussert sich ausführlich die Sektion für Etappen- und Automobildienst, deren Ausführungen von dem Militärdepartement übernommen werden. Es wird insbesondere hervorgehoben, dass Müller, obschon ihm von den solothurnischen Behörden die Anmeldescheine in zuvorkommender Weise zug3schickt wurden, die Meldung zu gegebener Zeit unterliess. Einem Antrag auf gänzlichen Erlass der Busse könne unter keinen Umständen zugestimmt werden. Bezüglich der Verordnung betreffend die Meldepflicht der Besitzer von Motorwagen und Motorrädern wird betont, dass auf die Meldepflicht auch fernerhin nicht verzichtet werden könne, denn nur damit sei es möglich, die im Lande vorhandenen Wagen zu kennen. Wenn abor die Meldepflicht für eine richtige Ordnung im militärischen Transportdieust notwendig sei, so müssten auch die Bussbestimmungen für ihre Nichterfüllung beibehalten werden. Immerhin wird als möglich erachtet, die Bussenminima herabzusetzen und bis dahin vorkommende Härten auf dem Wege der Begnadigung auszugleichen.

In dieser Richtung verweisen wir nunmehr auf den Bundesratsbeschluss vom 28. Oktober 1919 betreffend Abänderung dieser Minima (A. S. n. F. XXXV, 892). Die Mindestbusse beträgt seit dem 1. November 1919 Fr. 50 statt Fr. 200.

Im vorliegenden Fall beantragen wir mit dem Militärdepartement Herabsetzung der Busse bis Fr. 100.

A n t r a g : Herabsetzung bis Fr. 100.

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Bezirksgefängnis in Pfàffikon (Zürich).

(Sprengstoffverbrechen und Diebstahlsversuch.)

gericht schuldig erklärt des Sprengstoffverbrechens im Sinne des Artikels 3 des Sprengstoffgesetzes, begangen im Komplott, und zudem des Versuchs des ausgezeichneten Diebstahls (Artikel 131, 132, lit. a, des Militärstrafgesetzbuches). Bertschi wurde verurteilt zu dreizehn Monaten Gefängnis unter Abzug von 196 Tagen Untersuchungshaft und zu zwei Jahren Einstellung im Aktivbürgerrecht.

Zeit des Generalstreiks, mit Bertschi, der Mitglied der kommunistischen Partei Zürich ist, und Strasser, Vorstandsmitglied und Aktuar des Holzarbeiterverbandes Zürich sowie Kassier der sozialdemokratischen Soldatenorganisation Zürich, in Verbindung.

Sonntag den 17. November 1918 fand zwischen ihnen eine Unterredung statt, die die Beschaffung von Sprengstoffen zum Gegenstand hatte. Nach der Darstellung des Dätwyler hätten Bertschi und Strasser auf seine Mitteilung, dass sich in Brugg ein verhältnismässig leicht zugängliches Munitionsmagazin der Eidgenossenschaft befinde, worin Sprengstoffe aufbewahrt werden, ihn aufgefordert dort einzudringen und von den Sprengstoffen zu entwenden, damit sie bei einem zu erwartenden neuen politischen Streike als Waffe und zur Herbeiführung von Verkehrsstörungen gebraucht w habe erklärt, aus seiner frühern Tätigkeit als französischer Spion zu wissen, dass sich in einer Höhle unter der Ruine Habsburg ein von französischen Internierten angelegtes Waffen- und Munitionslager der Entente befinde, das bei Gelegenheit nach Deutschland zur Begünstigung revolutionärer Umtriebe hätte geschmuggelt werden sollen. Dätwyler erklärt, diese Darstellung sei von vornherein für den Fall der Entdeckung erfunden worden. Tatsache ist, dass wyler von Zürich nach Schinznach reisten, sich dort zuerst nach der erwähnten Höhle und von da auf Umwegen nach dem Munitionsmagazin in Brugg begaben, die Umfassungsmauer überkletterten, mit einem Gerüsthaken und mitgebrachten Schlüsseln die Türen zu öffnen versuchten, und als ihnen dies bei der iunern Türe nicht gelang, gewaltsam einen Laden öffneten in der Absicht, durch das Fenster in das Gebäude einzudringen. Als sie glaubten, Lärm zu hören und fürchteten, überrascht zu werden, verliessen sie den Bundesblatt. 71. Jahrg. Bd. V.

.49

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Ort. Zwei Tage später wiederholte klagten Wirz, den Bertschi brieflich zu einer Zusammenkunft eingeladen hatte, das Unternehmen, wohei es ihnen gelang, 38 TrotylSprengpatronen, 14 Trotyl-Rohrpatronen, sowie 30 elektrische Zunder zu entwenden. Am folgenden Tage wurde das Material in die Wohnung des Bertschi nach Zürich gebracht. Am gleichen Abend brachten es Dätwyler und Strasser in das Bureau des Holzarbeiterverbandes im Volkshaus Zürich, wo sie es zusammen mit dem nachträglich hinzugekommenen Strasser nahm 4 Patronen und 4 Zünder in seine Wohnung mit.

Was mit dem Reste geschah, konnte nicht aufgeklärt werden.

Während Strasser erklärt, das Sprengmaterial unter der Deckadresse ,,Heinrich Herter* zuhanden des geheimen Vorstandes der sozialdemokratischen Soldatenorganisation im Volkshaus zurückgelassen zu haben, soll er es nach den Angaben de ebenfalls mit sich genommen haben. Die erwähnten 4 Patronen ub und übergab sie dem Dritten nach der Höhle bei Schinznach begaben und mit Hülfe des mitgebrachten Sprengmaterials und eigens dazu angeschaffter Zündschnüre und Akkumulatoren dort und an der Aare Zündund Sprengversuche anstellten.

sich und zuhandeu des geheimen Vorstand der sozialdemokratischen Soldatenorganisation erhalten haben will. Das entwendete Material sollte nach der Absicht der Angeklagten und ihrer Hintermänner bei einer kommenden revolutionären Bewegung verwendet werden.

Die Untersuchung wurde zuerst durch den militärischen Untersuchungsrichter geführt. Durch Verfügung des schweizerischen Militärdepartementes vom 4. April 1919 wurde die Beurteilung des Einbruchdiebstahls und des Sprengstoffverbrechens dem BundesStrafgericht übertragen. Bertschi wurde am 25. November 1918 verhaftet. Am 4. Juni trat er eine vom Territorialgericht 5 am 22. März 1919 gegen ihn wegen Meuterei ausgefällte Gefängnisstrafe von sechs Monaten an. Nach Erstehung dieser Strafe hat er die ihm vom Bundesstrafgericht zuerkannte Gefängnisstrafe von 13 Monaten, abzüglich 196 Tage Untersuchungshaft, zu verbüssen.

Bertschi ersucht nun um Erlass eines Teils dieser noch zu verbüssenden Gefängnisstrafe. Er weist auf die lange Untersuchungshaft, die wegen Meuterei zu verbüssende Strafe, sowie auf den Umstand hin, dass er während der langen Haftzeit keinen Verdienst habe und seine sechzigjährige kränkliche Mutter nicht mehr unterstützen könne. Er macht im weitern geltend, dass er bisher nicht bestraft worden sei und die beiden Verbrechen in einer politisch

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bewegten Zeit (November 1918) begangen habe, in welche Bewegung er ohne Kenntnis und Erfahrung hineingezogen worden sei. Bertschi erklärt endlich, er sei fest entschlossen, sich ,,gänzlich von der politischen Tätigkeit zurückziehen14 zu wollen.

Wir können die Begnadigung nicht empfehlen. Bertschi ist ein gefährlicher Kommunist, der vor nichts zurückschreckt. Im vorliegenden Sprengstoffverbrechen spielte er .eine führende Rolle.

Er war in die Geheimnisse des Komplottes eingeweiht, neben Strasser wusste er am besten, wie die Sprengstoffe verwendet werden sollten. Eine Gefängnisstrafe von dreizehn Monaten für den Versuch, durch Einbruch in ein Munitionsmagazin iu der Nachtzeit Armeematerial zu entwenden und für die Bereitstellung dieses von Mitangeklagten entwendeten Materials zur Bewaffnung revolutionärer Gruppen und zur Verhinderung der Truppentransporte ist eine sehr gelinde Strafe, zumal mit der Abrechnung von 196 Tagen Untersuchungshaft. Bei einer solchen Strafausmessung muss auch der von Bertschi im Begnadigungsgesuch angeführte Umstand, dass das Verbrechen in politisch bewegter Zeit begangen worden sei, als mitberücksichtigt gelten, sofern dies überhaupt in Rechnung gezogen werden darf. Mit Rücksicht auf diese milde Strafausmessung braucht im Begnadigungsverfahren auch dem Umstände nicht Rechnung getragen zu werden, dass Bertschi das Sprengstoffverbrechen zu gleicher Zeit begangen hat, wie das dem Territorialgericht überwiesene Verteilen von aufreizenden und zur Dienstpflichtverletzung auffordernde Flugblättlein an die Ordnungstruppen in Zürich, so dass bei der Beurteilung aller Verbrechen durch das gleiche Gericht eine Gesamtstrafe ausgesprochen worden wäre. Es mag hier noch erwähnt werden, dass Bertschi selbst revolutionäre Propagandaliteratur herausgegeben hat. Angesichts der grossen Gefahr für die innere Sicherheit des Landes, die das Entwenden und Bereitstellen der Armeesprengstoffe für revolutionäre Zwecke mit sich gebracht hat, kann die Strafe auch nicht deshalb ermässigt werden, weil seine Mutter unterstützen muss. Die Versicherung des Gesuchstellers, dass er sich von der politischen Tätigkeit zurückziehen wolle, vermag eine Reduktion der Strafe nicht zu begründen, da Bertschi nicht wegen seiner Zugehörigkeit zu den Kommunisten bestraft worden ist. Nach seinen Verbrechen und seinem Verhalten in der Untersuchung und in der Hauptverhandlung sind übrigens Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Zusicherungen berechtigt.

A n t r a g : Abweisung.

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.

(Sprengstoffverbrechen.)

tad

t wegen Übertretung des Artikels 3 des Bundesgesetzes über Ergänzung des Bundesstrafrechtes vom 12. April 1894 durch verbotene Übernahme und Aufbewahrung von Sprengstoffen veiurteilt zu drei Jahren Zuchthaus, zu zehnjähriger Einstellung, im Aktivbürgerrecht nach Erstehung der Strafzeit und ferner zu lebenslänglicher Verweisung aus dem Gebiete der Eidgenossenschaft und zur Tragung der Kosten unter Konfiskation der corpora delicti.

Die von , ebenso die Kassationsbeschwerde (zu vergleichen Urteil des Kassationshofes vom 21. Dezember 1914, A. S. 40,1, 559 ff.).

Den Urteilen liegt zugrunde, dass man am 2. August 1914 im Keller der damaligen Wohnung t Pikrinsäure gefüllte Sprengbombe samt Zündschnur, Sprengkapseln und Klammern aus Eisen und Kupferblech vorfand. Die Sprengbombe hätte genügt, um Eisenbahnschienen, Weichen,. leichtere Brückenträger usw. gründlich zu zerstören.

Material von einer auswärtigen Militärmacht erhalten, um nach Ausbruch des Krieges Eisenbahnlinien auf feindlichem Gebiet zu zerstören und die Mobilisation des Feindes zu beeinträchtigen.

Einem in der Folge von Bundesversammlung gerichteten Begnadigungsgesuch wurde in der Sommersession 1916 dahingehend entsprochen, dass er nach Erstehung von zwei Dritteln seiner Strafe am 29. September 1916 unter Vollzug der Landesverweisung aus der Strafanstalt entlassen wurde. (Zu vergleichen Antrag 33 des Berichtes des Bundesrates für die Sommersession 1916, Bundesblatt 1916, Band II, S. 677 ff.)

Heute wendet sich Reisser an die Bundesversammlung mit dem Ersuchen um gänzliche Amnestie, Rehabilitation und Entschädigung für seine Verluste von annähernd Fr. 20,000.

Nach den Ausführungen des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 16. Juni 1919 über die Amnestiegesuche zugunsten der Teilnehmer am Generalstreik (zu vergleichen Bundesblatt 1919, Band 111, namentlich S. 730 und 731) haben wir keine Bedenken, die erneute Eingabe Reissers als Begnadigungsgesuch zu behandeln.

Insbesondere handelt es sich nicht um eine Mehrheit von Verurteilten und besteht auch sonst kein Grund zu einem Amnestieverfahren.

689 Reisser betont in seiner Eingabe, kein Anarchist zu sein, nimmt für seine damalige Tätigkeit Bezug auf seine Pflicht als französischer Patriot, behauptet, man habe ihm Zwang angetan, um ein Geständnis zu erlangen, ihn in der Verteidigung beschränkt und das ganze Verfahren sei unter dem Einfluss der Stellungnahme für eine fremde Kriegsmacht gestanden.

Demgegenüber ist für die Behandlung des Begnadigungsgesuches von Bedeutung, dass die Bundesversammlung als Begnadigungsbehörde unzuständig ist, soweit Schadenersatz und Wiedereinsetzung in die bürgerlichen Rechte verlangt wird. Für letzteres verweisen wir namentlich auf Artikel 145, Ziffer 4, der Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893, wonach über Rebabilitationsgesuche in den B'ällen, wo den kantonalen Gerichten die Rechtsprechung durch einen Beschluss des Bundesrates übertragen wurde, der Kassationshof entscheidet.

Einzutreten ist demnach lediglich, soweit der Erlass der Landesverweisung in Betracht kommt. Hierin beantragen wir jedoch ohne weiteres Abweisung. Wir berufen uns dabei auf unsern Antrag anlässüch des bereits genannten ersten Begnadigungsgesuches.

Der damalige weitgehende Erlass eines Jahres der Zuchthausstrafe wurde insbesondere zugebilligt in der Meinung, die lebenslängliche Landesverweisung Reissers biete Gewähr, dass er nicht mehr in den Fall kommen werde, sich auf unserm Gebiete zu vergehen. Wir haben keinen Anlass, heute bezüglich der Landesverweisung im vorliegenden Falle eine andere Stellung einzunehmen.

A n t r a g : Abweisung, soweit eingetreten wird.

6

ner Bnndesakte

und wissentliches Geltendmachen.)

Pio Petrini wurde am 6. Juni in Lugano von den tessinischen Assisen in Anwendung der Artikel 61, 4, 8 und 31 des Bundesstmfrechtes verurteilt zu einem Jahr Gefängnis, berechnet vom 21. Mai 1919, und Fr. 100 Busse.

Petrini übergab am 31. Juli 1918 als Angestelltor einer Uhrenfabrik der Post in Magliaso ein Wertpaket. Bei der Empfangsbescheinigung im Büchlein des Absenders hatte der diensttuende Postangestellte das Missgeschick, den Poststempel an unrichtiger Stelle anzubringen, wobei er jedoch den Irrtum bemerkte und den Stempel sofort vermittels Durchstreichen als ungültig kennzeichnete.

Petrini entfernte in der Folge diese Striche, brachte auf dem freien

690

Raum über dem Stempel eine Bescheinigung für Fr. 600 an und fälschte die Unterschrift des Postangestellten. Am 1. Februar 1919 wies er das Büchlein vor in der Absicht, den Gegenwert für das aageblich aufgegebene, dem Adressaten aber nicht zugekommene Wertpaket von Fr. 600 zu erlangen.

Petrini wendet sich mit Eingaben vom 19. September und 9. November 1919 an die Bundesbehörden und ersucht, ihm den Rest der Gefängnisstrafe zu erlassen oder ihn doch vorläufig in Freiheit zu setzen. Die Familie befinde sich in grosser Not, die Ehefrau des Gesuchstellers werde im Dezember niederkommen, sei ohne Hülfe und habe für ihre zwei Kinder sämtliche Ersparnisse aufgebraucht. Dasselbe schreibt die Ehefrau in einem Gesuch vom 25. Oktober 1919.

In seiner ersten Eingabe vom 19. September 1919 nimmt Petrini ausserdem Bezug auf Einzelheiten aus dem Strafverfahren, bezeichnet das Urteil der Assisen als irrtümlich und will insbesondere nur gestanden haben, um das Strafmass zu beeinflussen.

Aus dieser Eingabe geht ferner hervor, dass Petrini sowohl gegen einen Gerichtsbeschluss vom 21. Mai, der die ihm gewährte vorläufige Haftentlassung rückgängig machte, wie gegen das verurteilende Erkenntnis der Assisen vom 6. Juni im Rechtsmittelwege an den tessinischen Kassationshof gelangte. Ferner reichte er mit Bezug auf die Entscheide, die seine Haft verfügten, beim Bundesgerichte einen staatsrechtlichen Rekurs ein. Wie sich aus den Akten ergibt, ist das Bundesgericht am 3. Oktober auf den Rekurs infolge verspäteter Einreichung überhaupt nicht eingetreten und hat anderseits der tessinische Kassationshof den gegen die Verurteilung durch die Assisen gerichteten Rekurs am 3. November 1919 abgewiesen.

Für die Behandlung des Begnadigungsgesuches kommt die Schuldfrage nicht in Betracht, ganz abgesehen davon, dass die ·diesbezüglichen Ausführungen durchaus verworren und unklar sind. Es entsteht einzig die Frage, ob Petrini in Anbetracht der geltend gemachten Notlage seiner Angehörigen und der bevorstehenden Niederkunft seiner Frau etwelches Entgegenkommen zuteil werden soll.

Dies muss aber verneint werden. Allerdings kann der Directione Centrale di Polizia des Kantous Tessin darin nicht zugestimmt werden, dass sich die Bundesversammlung mit der Angelegenheit überhaupt nicht befassen könne. Die Zuständigkeit der kantonalen
Begnadiguogsbehörde wird zu Unrecht beansprucht, wie der auf den vorliegenden Fall zutreffende Artikel 125, Absatz 2, der Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 zeigt, der das Begnadigungsrecht in Straffallen, die vom Bundesrat

691 den Kantonen zur Untersuchung und Beurteilung überwiesen werden, ausdrücklich vorbehält.

Mit den Berichten der tessinischen Behörden ist dagegen festzustellen, dass Petrini in der Tat ein durchaus minderwertiges Subjekt ist und eine Reihe beträchtlicher Vorstrafen aufweist.

Wir verweisen hierin auch auf den Vorstrafenbericht vom 13. November 1919. Die Polizeiabteilung des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes hat ein Gesuch Petrinis um Unterbrechung des Strafvollzuges am 14. November abgewiesen und wir halten dafür, dass auch das Begnadigungsgesuch abgewiesen werden müsse. Dagegen haben die Behörden des Kantons Tessin von den Eingaben, insbesondere soweit sie von der Notlage der Familie Petrini handeln, Kenntnis erhalten.

A n t r a g : Abweisung.

7

Ausland.

(Graubünden).

8 (St. Gallen).

.

.

-

(Thurgau).

wilen (Thurgau).

692

(Zürich).

.

(Ausfuhrschmuggel.)

Gestützt auf die Bundesratsbeschlüsse vom 30. Juni 1917 oder 12. April 1918 betreffend Bestrafungen der Widerhandlun^en gegen das Ausfuhrverbot (A. S. n. F. XXXIII, 459 ; XXXIV, 467) wurden verurteilt: am 3. Dezember 1918 zu Fr. 350 Busse ; , Busse; f zu Fr. 2000 Busse und Fr. 1800 Wertersatzanteil, letzterer zu Fr. 1600 Busse und Fr. 1200 Wertersatzanteil, beide überdies solidarisch haftbar erklärt für Bussen- Wertersatz und Kostenanteile von sechs Mitverurteilten, alle durch zollbehörd liehe Strafentscheide; fängnis und Fr. 5000 Busse, am 4. September 1919 zu zwei Monaten Gefängnis, Fr. 20UO Busse und zwei Jahren Einstellung im Aktivbürgerrecht, beidemal vom Obergericht des Kantons Thurgau; i Busse, k Busse,

se, alle am 17. Dezember 1918 vom Bezirksgericht Unterrheintal, Halter überdies in Abweisung seiner Appellation am S.März 1919 vom Kantonsgericht St. Gallen; , n am 25. September 1918 vom.Kantonsgericht St. Gallen in Bestätigung eines erstinstanzlichen Urteils; o.

Unterrheintal zu sechs Wochen Gefängnis und Fr. 1600 Busse; p.

gericht St. Gallen in Bestätigung eines erstinstanzlichen Urteils zu Fr. 500 Busse und solidarischer Haftbarkeit für die Busse des

693 g.

delfingen zu Fr. 3000 Busse ; r.

s., t.

alle am 2. April 1919 vom Bezirksgericht Zurzach ; u.

und Fr. 500 Busse sowie Einstellung im Aktivbürgerrecht für ;zwei Jahre, am 6. Mai 1919 zu vier Monaten Gefängnis, Fr. 2000 Busse und Einstellung im Aktivbürgerrecht für weitere zwei Jahre, beidemal vom Bezirksgericht Diessenhofen ; v..des Kantons Thurgau zu \ lk Monaten Gefängnis, Fr. 500 Busse, Fr. 1615.90 Wertersatz; w.

ungen zu zwei Wochen Gefängnis, Fr. 200 Busse, Fr. 1615.90 Wertersatz ; .

x., y.

beide am 15. April 1919 vom Kantonsgericht St. Gallen.

Die Bundesversammlung hat sich in den bisherigen Sessionen Begnadigungsgesuchen betreffend Ausfuhrscbmuggel gegenüber durchaus ablehnend verhalten. Allerdings kommen vielfach empfindliche Strafen in Betracht. Jedoch darf, was vom Präsidenten der Begnadigungskommission namentlich in der Herbstsession 1919 betont wurde, nicht übersehen werden, dass die Übertretung der Ausfuhrverbote unserm Lande schweren Schaden zugefügt hat und noch zufügt und dass durch den Schmuggel Treu und Glauben in einzelnen Grenzgegenden auf Jahre hinaus untergraben worden sind.

Da in der Regel weder die Behörden, welche die Behandlung der Gesuche vorbereiten, noch die Begnadigungskommission in den Stand gesetzt werden, im einzelnen Fall genau abzuwägen, ob eine teilweise oder die gänzliche Begnadigung sich rechtfertigt, ist im allgemeinen an der Strenge des Gesetzes festzuhalten, selbst wenn dabei einzelne Härten vorkommen. Immerhin sind die Vcrumständungen der einzelnen Begnadigungssache eingehend zu überprüfen und soll bestehenden ausserordentlichen Verhältnissen Rechnung getragen werden können. Insbesondere liegt es nahe, in Fällen von monatelangen im Wege der Umwandlung unerhältlicher Bussen entstandenen Gefängnisstrafen dem Ruine ganzer Familien vorzubeugen.

Zu a. Der Chemiker Ellermann stellte im Jahre 1917 in Plainpalais (Genf), wo er damals niedergelassen war, Zahnkautschuk her. Obschon das Erzeugnis minderwertiger Art war, setzte

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er es zu derart übersetzten Preisen ab, dass ihm bewusst sein musste, die Ware werde ausgeschmuggelt werden.

Trotzdem Ellermann durch das eingeleitete Strafverfahren und zahlreiche Einvernahmen auf das Ungehörige seines Treibens aufmerksam gemacht wurde, lieferte er im Mai und August 1918 in derselben Weise weitere Schmuggelware.

Ellermann ersucht, ihm die Bussen im Betrage von Fr. 850 zu erlassen oder von der Umwandlung in Gefängnis abzusehen. Er habe aus seiner Tätigkeit keinen Gewinn, sondern grosse Verluste gehabt. Ende letzten Jahres sei ihm das Rohmaterial ausgegangen, mit den veränderten Verhältnissen habe er die vorhandene Ware nicht mehr absetzen können und sei in grosse Not geraten. Er gedenke, seine Familie nunmehr mit wissenschaftlichen Arbeiten zu erhalten. Wenn man ihm die Busse nicht erlassen wolle, möge man ihm deshalb mindestens ermöglichen, in der Strafanstalt an seinen Werken schreiben zu können.

Nach dem ausführlichen Bericht der eidgenössischen Oberzolldirektion wurde bei der Bemessung der Bussen auf die Verhältnisse Eilermanns weitgehend Rücksicht genommen. Er soll, allerdings auf den Namen seiner Frau, seither in Gümligen ein Haus erworben haben und dürfte bei gutem Willen in der Lage sein, die Bussen aufzubringen. Wir übernehmen deshalb den Abweisungsantrag der Oberzolldirektion.

Zu 6. und c. Die Gebrüder Kasimir und Joseph Bulloni übergaben im November/Dezember 1915 der Firma Gebrüder Berla in Bern drei Frachtbriefe für aus dem Tessin bezogene Kastanien.

Ebenso Hessen sie durch die Gemeindebehörde in Stabio eine Bescheinigung anfertigen, nach welcher sie durch eine Firma in Stabio von einem Posten von 100 Zentnern Tessiner Kastanien den grössten Teil bezogen haben wollten. Diese Bescheinigung übergaben die Gebrüder Bulloni gleichfalls der Firma Berla in Bern. Diese verwendete die Frachtbriefe und die Bescheinigung zur Er Wirkung einer auf den Namen der Beklagten lautenden Ausfuhrbewilligung für eine Sendung von 10,000 kg Tessiner Kastanien nach Deutschland.

Damals durften Ausfuhrbewilligungen nur für .nachweislich schweizerische Ware erteilt werden. Die von Bulloni zur Verfügung gestellten Ausweise wurden missbräuchlicherweise benützt um Ausfuhrbewilligung für schweizerische Ware zu erhalten, während dann Kastanien italienischer Herkunft damit ausgeführt wurden.
Berla legte ein volles Geständnis ab, die beiden Bulloni dagegen bestreiten, an der Übertretung irgendeinen Anteil zu haben.

In den zwecks Erlass der Fr. 300 getrennt eingereichten Gesuchen wird für Kasimir Bulloni gesagt, eine Gehülfenschaft falle

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ihm bei diesem Ausfuhrschmuggel in keiner Weise zur Last, und er habe erst nach Jahren erfahren, dass die von ihm bezogenen Schriftstücke missbraucht worden seien.

Dem Mitinhaber der Firma, Joseph Bulloni, soll der Strafentscheid nie eröffnet worden sein. Er habe von der ganzen Anschuldigung gegen ihn kein Wort gewusst und mit Berla nie verkehrt. Man habe ihn ohne Grund in das Strafverfahren einbezogen.1 Dem gegenüber verweisen wir auf die ausführlichen VernehmJassungen der eidgenössischen Oberzolldirektion, die sich mit den Verumständungen des Straffalles eingehend auseinandersetzt. Kasimir und Joseph Bulloni sind als Inhaber der Firma. Bulloni frères ins Recht gefasst worden, wie denn auch in den Akten, beispielsweise in den Erklärungen zum Protokoll vom 15. November 1918 regelmässig von den Bulloni frères die Rede ist.

Da die Bundesversammlung sich nicht als Rekurs- sondern als Begnadigungsbehörde mit der Angelegenheit zu befassen hat, kann sie ihr nicht zwecks allseitiger Überprüfung unterbreitet werden. Eigentliche Begnadigungsgründe liegen nicht vor. Beide Bulloni sind vorbestraft, insbesondere wurde gegen Kasimir Bulloni im Jahre 1917 wegen Betrugsversuches 45 Tage Einzelhaft erkannt.

Wir beantragen ohne weiteres Abweisung.

Zu d. Herbert von der Marwitz hat, wie sich aus den Akten ergibt, im Oktober 1916 dem ihm bekannten Dr. Oberdörffer auf Schloss Rheinburg bei Gailingen drei gebrauchte Wagen mit dem zugehörigen Pferdegeschirr sowie ein gebrauchtes Pferdereitzeug im Werte von zusammen Fr. 2047 verkauft.

Da der Käufer im Auslande wohnt, liegt es in der Natur der Sache, dass die Wagen usw., um von ihm in Gebrauch genommen werden zu können, ausgeführt werden mussten. Darüber war sich der Verkäufer von der Marwitz durchaus klar. Nichtsdestoweniger glaubt er, sich nicht verfehlt zu haben, da der Verkauf in der Schweiz stattgefunden hat und ihm der Kaufpreis in Schweizergeld bezahlt worden sei.

In der für den Gesuichsteller verfassten Eingabe, die eine eigentliche Rekursschrift ist, wird von der Bundesversammlung eine erneute Überprüfung des Falles erwartet.

Da die Bundesversammlung aber zu diesen Strafsachen, wie wir schon unter c hiervor betonten, nicht als Rekurs- sondern als Begnadigungsbehörde Stellung zu nehmen hat, kann eine derartige Überprüfung nicht stattfinden. Dem Entscheide des eidgenössischen Zolldepartements kommt die Bedeutung ' eines rechtskräftigen Urteiles zu. Gründe, die Strafe im Begnadigungs-

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wege- zu erlassen, liegen keine vor. Für Einzelheiten verweise» wir auf die Vernehmlassuug der Oberzolldirektion und beantragen Abweisung;.

"oZu e. Um zu verhindern, dass die Durchführung der Ausfuhrverbote im kleinen Grenzverkehr längs der Landesgrenze bei Genf für die Inhaber von Kaufläden zu harte Folgen nach sich ziehe und die einheimischen Interessen allzusehr schädige, bewilligten die eidgenössischen Zollbehörden gewisse Erleichterungen, so unter gewissen Bedingungen die Abgabe von Waren an Bewohner der jenseitigen Grenzzone. Dabei durfte aber unter anderem in einem derartigen Kaufladen für die Warenbezüge aus dor Schweiz, ein von der Zolldirektion Genf festgesetzter monatlicher Kredit nicht überschritten werden.

In der Folge zeigte sich, duss eine Reihe Händler Zigarren und Tabak über den bewilligten Kredit hinaus bezogen und unbefugt über die Grenze verkauft hatten. Versorger dieser Leute war der heutige Gesuchsteller Joseph Garnen, Angestellter der Firma Vautier frères in Chêne-Bourg, der in grösseren Mengen lieferte, obschon er wissen oder annehmen mussle, dass die Ware ohne zollamtliche Kontrolle zur unerlaubten Ausfuhr diente.

Für Camen hat ein gewisser Failletaz in Genf eine Reihezum Teil umfangreiche Eingaben verfasst, in denen um gnadenweise Herabsetzung der Busse, Zahlungserleichterungen und Überweisung der Sache an die zuständigen Gerichte ersucht wird.

Camen sei ein rechtschaffener Mann, habe eine schwere Familie, und der Strafvollzug werde die ganze Familie ins Elend bringen.

Er sei das Opfer willkürlicher Berichte eines Zollbeamten und die Busse in hohem Masse übersetzt.

In weitgehender Weise wird auf das Tatbeständliche desStraffalles zurückgegriffen, in langem Ausführungen versucht,, Camen zu entlasten, und von der Bundesversammlung als Begnadigungsbehörde erwartet, sie werde sich gleichsam als oberinstanzliche Berufungsbehörde mit der Angelegenheit befassen.

Da dies jedoch auch in diesem Falle nicht Sache der Begnadigungsbehörde sein kann, verzichten wir, auf Einzelheiten einzugehen."

Die Oberzolldirektion nimmt in längeren Vernehmlassungenvom 11. Juli und 11. Oktober 1919 Stellung und beantragt abschliessend, aus Kommiserationsgründen für die Familie Came» die Busse um Fr. 1000 zu ermässigen. Soweit die Eingaben gegenüber einem Zollbeamten Beschuldigungen wiederholen,
wird der Sachverhalt richtiggestellt. Wir fügen bei, dass ein RekursCamens vom eidgenössischen Zolldepartement abgewiesen wurde und beziehen uns im übrigen auf die Berichte der Oberzolldirektion.

697 Der Erlass von Fr. 1000 und die Zubilligung von Abschlagszahlungen sind geeignet, die Folgen des Strafentscheides für den Gesuchsteller zu mildem. Dagegen scheint uns eine weitergehende Begnadigung nicht am Platze. Das Verhalten Camens in der ganzen Angelegenheit ist bedauerlich und nicht zu entschuldigen.

Erschwerend muss in Betracht fallen, dass er als ehemaliger Grenzwächter früher erworbene Kenntnisse benutzte, um den Schmuggel zu organisieren. Die übrigen in den Straffall verwickelten Personen haben mit einer einzigen Ausnahme die Bussen bezahlt, und es wäre auch aus diesem Grunde nicht richtig, Camen weiter entgegenzukommen.

Das schliesslich gestellte Begehren, die Sache den Gerichten zu überweisen, ist im Hinblick auf den rechtskräftigen Administrativentscheid gegenstandslos und fällt an sich nicht in denBereich der Bundesversammlung als Begnadigungsbehörde.

Mit der Oberzolldirektion beantragen wir Herabsetzung deiBusse bis Fr. 3000.

Zu f und g. Die Eheleute Anna und Rageth Camenisch wohnten im Jahre 1917 in Schaff hausen in einem dem Mechaniker Trunk aus Gailingen gehörenden Hause, in welchem sich ein in jenem Zeitpunkte leer stehendes Ladenlokal befindet. Unterm 28. April jenes Jahres kam die Schwiegertochter des Hausbesitzers, ·eine Frau Trunk aus Gailingen, zu Frau Camenisch und mietete im Auftrage eines Ludwig Kurz, deutscher Landsturmsoldat in Gailingen, das betreffende Lokal auf zwei Monate zum Preise von monatlich Fr. 50, um darin Schmuggelwaren einzulagern, was Frau Camenisch bekannt war.

In der Folge wurden denn auch mit Ausfuhrverbot belegte Waren der verschiedensten Art (Gummisauger, Toilettenseife, Gummibänder und Saccharin) im Gesamtwerte von Fr. 14,100 dort untergebracht und teils von Camenisch selbst, zum Teil von anderen Mitbeklagten über die Grenze ausgeschwärzt. Anfangs Juli 1917 hallen wiederum Gummisauger im Werte von Fr. 3095. 80 im vorerwähnten Lokale eingelagert werden sollen, die dann aber durch die Grenzwachtorgane in Schaffhausen beschlagnahmt werden konnten, weshalb es hier beim blossen Schmuggelversuche blieb.

co^ Der Ehemann Camenisch hat sich, bevor der Straf entscheid vom 18. März 1918 getroffen war, unbemerkt nach Deutschland verziehen können, wohin ihm Frau Camenisch im Februar 1918 nachgefolgt ist. Es mussten ihnen daher sowohl die Mitteilung des Strafentscheides als die Zahlungsaufforderungen nach ihrer

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vermittels Ausschreibung im schweizerischen Polizeianzeiger ausfindig gemachten Adresse in Esslingen zugesandt werden. Ein Erfolg blieb aus.

Im März 1919 sind dann die beiden Beklagten nach der Schweiz zurückgekehrt, worauf denselben unterm 5. Juli abbin eine erneute Zahlungsaufforderung nach Zürich zugestellt werden konnte, ohne dass aber seither bezahlt worden wäre. Unter diesen Umständen steht den Eheleuten Camenisch bevor, die Bussen im Wege der Umwandlung im Gefängnis erstehen zu müssen.

In der für sie von der Zentralauskunftsstelle für Armenpflege und soziale Fürsorge in Zürich verfassten Eingabe wird deshalb ersucht, die Bussen zu erlassen. Hierzu wird angebracht, die Eheleute hätten damals keine Kenntnis gehabt, dem Schmuggel zu dienen. In Zürich sei Camenisch auf seinen Tagesverdienst angewiesen, der knapp ausreiche. Die Bezahlung der Bussen sei ausgeschlossen, bei einer Umwandlung in Gefängnisstrafe aber müsste die Familie aufgelöst und der achtjährige Knabe versorgt werden. Die Leute seien durch das Strafverfahren und die Schrecken der Strafzumessung gebüsst genug und würden sich jedenfalls nicht mehr in derartige Sachen hineinlassen.

Entgegen den Gesuchsanbringen steht jedoch fest, dass die Eheleute über die Bestimmung der eingelagerten Waren von, Anfang an durchaus im klaren waren. Sie haben das auch zugegeben. Es handelt sich um eine ganze Reihe wohlüberlegter, andauernder Handlungen, und da der Mann damals eine gut bezahlte Stelle als Werkzeugschmied innehalte, ist auch zu sagen, dass der Schmuggel nicht aus Not geschah.

immerhin ist zuzugeben, dass nach den vorhandenen Verhältnissen die Entrichtung der Bussen ausgeschlossen erscheint und die Folgen ihrer Umwandlung in Gefängnisstrafen zutreffen.

Eia teilweiser Erlass der Bussen ist deshalb zu befürworten.

Da die ausländischen Beteiligten nicht gefasst werden können und die Eheleute Camenisch solidarisch haftbar erklärt sind, kann auch in dieser Richtung vorgesorgt werden. Dabei nehmen wir keinen Anstand, die Möglichkeit der Begnadigung auch zu bejahen, soweit eigener Wertersatzanteil und Solidarhaft für Bussen und Wertersatzanteile Dritter in Betracht kommen. Wir erblicken darinMassnahmen, die sich aus der Eigenartigkeit der Schmuggelvergehen ergeben und denen die Bedeutung von Strafen zukommt.

Aus diesen Erwägungen übernehmen
wir den Antrag der Oberzolldirektion und beantragen bis auf weiteres : 1. es seien die ausgesprochenen Geldbussen von Fr. 2000 und Fr. 1600 um je die Hälfte herabzusetzen;

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2. es seien die beiden Beklagten von der Solidarhaft für die Bussen der Mit beklagten zu entheben; 3. es seien dieselben ausserdem aus der eigenen Wertersatzpflicht und der Solidarhaft für die Wertersatzanteile der Mitbeklagten zu entlassen..

Wie in andern Fällen wird die Oberzolldirektion ausserdem den Gebüssten zubilligen, Ratenzahlungen zu leisten.

Zu h. Placidus Berther hat in der vom Thurgauischen Obergericht am 1. März 1919 erledigten Strafsache Waldburga Höness und Mitverurteilte der Hauptangeklagten Höness durch Mittelspersonen etwa 7500 Gummisauger im Gesamtwerte von Fr. 5400 geliefert. Hiervon sind 6840 Stück ausgeschtmiggelt worden, der Rest wurde beschlagnahmt. Es handelt sich um dieselbe Schmuggelangelegenheit, in die als Mittelspersonen die in der Herbstsession 19Ì9 abgewiesenen Eheleute Hermann und Julie Müller verwickelt waren. (Zu vergleichen I. Bericht des Bundesrates für die Herbstsession 1919, Anträge 20 und 21, Bundesbl. 1919, IV, 419 ff.)

Die letzte Strafe Berlhers vom 4. September 1919 erging, weil Berther in einer gross angelegten und weitverzweigten Schmuggelaogelegenheit wiederum Waren, diesmal Gummisauger und Nähfaden, geliefert hatte.

Ein gegen die Verurteilung vom 1. März 1919 erstmals eingereichtes Begnadigungsgesuch wurde von Berther zurückgezogen.

In einer erneuten Eingabe vom 19. September ersucht ßerther, ihm die beiden Gefängnisstrafen zu erlassen und für die Bussen eine längere Frist und Teilzahlungen zu gewähren. Er befindet sich zurzeit im Ausland und will sich der Strafe entzogen haben, weil ihm ein Aufschub des Strafvollzuges bis nach Erledigung de» Gesuches nicht gewährt worden sei. Die Familie sei auseinandergerissen, die weitere Ausbildung seiner beiden 16 und 17jährigen Söhne unterbrochen, und einzig die Begnadigung werde ermöglichen, das zerrüttete Familienleben wieder aufzubauen. Die den Verurteilungen zugrunde liegenden Warenlieferungen werden als harmlos dargestellt und beigefügt, das Ausland habe mit Beendigung des Weltkrieges für derartige und noch viel schwerere Handlungen vollständige Amnestie gewährt.

Demgegenüber beantragen wir mit der eidgenössischen Oberzolldirektion ohne weiteres Abweisung. Berther, der im Jahre 1913 vom Obergericht des Kantons Zürich wegen Betrugs zu drei Jahren Arbeitshaus und drei Jahren Einstellung im Aktivbürgerrecht
verurteilt wurde, ist ein Abenteurer, der sich in den vergangenen Jahren als Schieber und berufsmässiger Lieferant von Schmuggelware sattsam bekannt gemacht hat. Wiederholte zollamtliche Straf-

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Verfügungen vermochten nicht, ihn von seinen Machenschaften abzubringen, und die Gefängnisstrafen sind durchaus am Platze.

Zu i, k und l. Tertullian Halter erhielt im Frühjahr 1918 von einem gewissen Pümpel, Agent in Feldkirch, Auftrag, Stickgarn in Waschkörben verpackt als Passagiergut in beliebigem Wechsel nach verschiedenen Stationen zu schicken. Die Passagiergutscheine und Waschkorbschlüssel sollte Halter abwechslungsweise an Peter Thöny in Castols und Christian Thöny in St. Antönien senden. Halter nahm den Auftrag an. lu der Folge wurden zunächst vier Körbe Garn verschickt, worauf Pümpel die Sendungen an Halter bezahlte. Dieser übermittelte den Rest des erhaltenen Geldes nach Abzug der Beträge für das Gara unter Angabe eines fingierten Absenders den beiden Thöny.

Weitere Garnsendungen wurden beschlagnahmt, bevor sie in den Besitz der Brüder Thöny gelangten.

Sowohl Halter wie die beiden Thöny reichen Begnadigungsgesuche ein.

Halter ersucht mit Eingabe vom 22. August 1919 um Erlass der Gefängnisstrafe. Vor dem Weltkrieg sei er im Vorarlberg als Ferggermeister tätig gewesen, habe dann infolge Stillegung des Betriebes eine selbständige Ferggerei im Rheintal betrieben und mit dem Abnehmen der Stickereiindustrie den mit der Ferggerei an sich verbundenen Garnhandel etwas erweitert. Dabei sei er das Opfer skruppelloser Elemente geworden, in Schulden geraten und in seiner Not zum Schmuggeln gelangt. Die ergangenen Urteile seien sehr hart: die finanzielle Seite belaste ihn ausserordentlich, da von den ausländischen Mitverurteilten nichts zu holen sei.

Die Gefängnisstrafe drücke schwer auf ihn, namentlich auch in Anbetracht der Nervenkrankheit seiner Frau, die zudem der Niederkunft entgegensehe. Er werde sein Äusserstes tun, die Bussen zu tilgen, jedoch sei es keine Übertreibung, wenn er versichere, die Gefängnisstrafe und der daherige Verdienstausfall während drei Wochen würden ihn ruinieren.

In den Akten befinden sich ein Leumundszeugnis und ein ärztlicher Ausweis betreffend den infolge der Schwangerschaft notwendig gewordenen längern Spitalaufenthalt der Frau Halter.

Die eidgenössische Oberzolldirektion nimmt Stellung in Berichten vom 1. und 22. Oktober. Danach ist richtig, dass Halter guten Willen zeigt, seinen beträchtlichen Verbindlichkeiten nachzukommen. Anderseits ist er rückfällig und war,
wie das Kantonsgericht des Kantons St. Gallen betont, die Beteiligung Halters als Lieferant im vorliegenden Fall für das Zustandekommen des Vergehens von grösster Bedeutung, indem ohne Beschaffung der Ware ein Schmuggel überhaupt nicht möglich gewesen wäre.

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Mit der Oberzolldirektion, die nach Kenntnisnahme des obergerichtlichen Urteils das Gesuch nicht befürworten kann, ist hervorzuheben, dass sich die Appellation nicht gegen die Gefängnisstrafe richtete. Halter muss somit selbst eingesehen haben, dass sie den Verumständungen des Straffalles entspricht.

Wenn wir Abweisung beantragen, nehmen wir auch Bezug auf den Bericht der örtlichen Zollorgane, denen eine Begnadigung Halters unverständlich wäre, indem er sich ,,höchstens darüber gross und lustig machen"1 würde.

Dagegen wird es Sache des Strafvollzuges sein, ausserordentliche Verhältnisse in der Familie und dem Geschäftsbetrieb des Verurteilten durch geeignete Anordnung des Strafvollzuges zu berücksichtigen.

Auch die Brüder Thöny ersuchen um Erlass der Gefängnisstrafen. Soweit die Eingabe vom 19. August 1919 bezweckte, mit Rücksicht auf die dringenden landwirtschaftlichen Arbeiten den Aufschub des Strafvollzuges bis anfangs November zu erlangen, ist entsprochen worden.

Zwecks Erlasses der Gefängnisstrafen wird die Mühsal des Schmuggels ,,auf unwirtlichen Gebirgspfaden" hervorgehoben und betont, Peter Thöny sei nicht vorbestraft und habe die Überweisung an die Gerichte lediglich dem Umstand zuzuschreiben, dass andere von den Beteiligten rückfällig waren.

Die Oberzolldirektion bezeichnet Christian Thöny als geriebenen und unverbesserlichen Schmuggler, der schon vor dem Kriege dem Schmuggel oblag. Peter Thöny ist seit der gerichtlichen Verurteilung neuerdings in einem Komplottschmuggel .beteiligt gewesen.

Unseres Erachtens ist beiden Thöny gegenüber eine Begnadigung nicht gerechtfertigt.

Zu m, n und o. Die Diepoldsauer Schmuggelsache, die 42 Angeklagte umfasste, ist im Begnadigungsverfahren bereits anlässlich der Behandlung des Gesuches Arnold Küsters zur Sprache gekommen. (Zu vergleichen IV. Bericht des Bundesrates für die Sommersession 1919, Antrag 132, Bundesbl. 1919, III, 449 u. 456.)

Es handelt sich um drei sehr beträchtliche Garntransporte von Diepoldsau (St. Gallen) nach Österreich, vorgenommen in einigen Augustnächten des Jahres 1917. Von den heutigen Gesuchstellern Eugen Good, Ferdinand Schauert und Josef Hutter steht folgendes fest: Good war damals Angestellter der Stickereifirma Schauert in Nenzing (Vorarlberg). Good nahm ein Angebot von insgesamt 355 kg.geschmuggelten Garns, lagernd beim österreichischen ZollBundesblatt. 71. Jahrg. Bd. V.

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arate Mäder, zuhanden seiner Firma an. Schauert erkundigte sich auf die Mitteilungen Goods beim österreichischen Zollamt nach der Ware, erhielt Bescheid, es seien 180 kg vorhanden, und liess hierfür durch einen Wechselagenten 50 Fr. für das kg anweisen.

Good wie Schauert wurden als Begünstiger verurteilt, da sie über die Eigenschaft des Garnes als Schmuggelware unter den obwaltenden Umständen nicht im Zweifel sein konnten. Straferschwerend wirkte, dass beide wegen Schmuggels dreimal vorbestraft waren.

Josef Hutter, Ferggers, hat einen Teil der Ware mit seinem Bruder auf gemeinsame Rechnung geschmuggelt. Er wusste, dass er als Glied eines gröasern Schmuggelunternehmens mitmache.

Für Schauert ersucht sein früherer Verteidiger um Erlass der Gefängnisstrafe von einem Monat. Die finanziellen Verbindlichkeiten sind getilgt. Schauert leidet an Herzneurose, weshalb ihm jeweils Strafaufschub zugebilligt wurde. Unter Berufung auf die vorhandene Krankheit wird nunmehr ein Begnadigungsgesuch gestellt und beigefügt, die strafbare Betätigung des Gesuchstellera sei keine grosse gewesen. Insbesondere werde er durch die damaligen österreichischen Vorschriften gedeckt, indem er die zum Ankauf der Ware von der österreichischen Baumwollzentrale notwendige Bewilligung erhalten habe. Die Strafe liege nun zwei Jahre zurück, Schauert habe sich inzwischen klaglos aufgeführt und sei überdies bereit, an Stelle des Gefängnisses nach Möglichkeit eine weitere Busse zu entrichten. Für Einzelheiten, wie Belege für den Krankheitszustand, verweisen wir auf das Gesuch selbst.

Good ersucht um Erlass der zwei Wochen Gefängnis, allfällig um ,,Gewährung des bedingten Straferlasses". Er will einzig infolge seines Anstellungsverhältnisses gehandelt haben und versucht in längern Ausführungen darzutun, dass seine Tätigkeit harmlos und nach seinem'Dafürhalten nicht strafbar gewesen sei. Seit sechs Monaten arbeite er nicht mehr bei Schauert, der ihn in diese Angelegenheit hineingezogen habe, sei sonst gut beleumdet und die Stütze seiner verwitweten Mutter. Ferner spricht er von einem Herzfehler, der durch die vierzehn Tage Gefängnis verschlimmert werden könnte.

Zu den Gesuchen Schauert und Good ist vorab festzustellen, dass laut Bericht der Oberzolldirektion von den 37 damals Verurteilten 24 ihre Freiheitsstrafen erstanden haben. Es kann
nun nicht Sache des Begnadigungsverfahrens sein, nachträglich einzelnen ohne zwingende Gründe die Möglichkeit zu verschaffen, dem Strafvollzuge zu entgehen. Dass Good nach drei Vorstrafen wegen Schmuggels mit zwei Wochen Gefängnis bestraft wurde, bedeutet offensichtlich keine besondere Härte.

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Auch die Frage nach der Möglichkeit und Wünschbarkeit einer bedingten Begnadigung unter Auferlegung einer bestimmten Probezeit kann nach den Verumständungen des Falles offen gelassen werden.

Dasselbe gilt bei Schauert, soweit angeregt wird, eine Begnadigung dergestalt vorzunehmen, dass die Gefängnisstrafe in Busse umgewandelt würde.

Wir haben schon in der erwähnten Begnadigungssache Küster gesagt, es handle sich hier um ein grosszügig und raffiniert angelegtes Schmuggelkomplott. Nun ist klar, dass der Ausfuhrschmuggel seinen Zweck und Anreiz überhaupt verlieren müsste, wenn es im Ausland keinen Erwerber der geschmuggelten Ware gäbe. In Betracht kommen Tatbestände aus dem Jahre 1917, und die Bestrafung des ebenfalls rückfälligen Schallerls fällt in keiner Weise aus dem Rahmen des Angebrachten. In der Hauptsache wird nun dem Begnadigungsgesuch die vorhandene Krankheit zugrunde gelegt. Wir halten aber dafür, es sei an der bestehenden Praxis festzuhalten und, abgesehen von ganz besonderen Verumständungen, die Berücksichtigung einer Krankheit den Strafvollzugsbehörden zu belassen. Nach Artikel 197 des Bundesstrafprozesses ist die Vollziehung einer Gefängnisstrafe aufzuschieben, wenn erwiesen ist, dass sie nicht ohne Gefahr für den Verurteilten erfolgen könnte.

Mit der Oberzolldirektion beantragen wir sowohl bei Good wie Schauert Abweisung.

Für Josef Hutter, der am 3. September 1919 seine sechs Wochen Gefängnis in der kantonalen Strafanstalt St. Gallen angetreten hat, ersucht der Vater mit Eingabe vom 26. September 1919 um teilweise Begnadigung oder doch um Anordnung des Strafvollzuges in einem Bezirksgefängnis. Da sich die Strafvollzugsbehörden nach Prüfung des Falles zu weiteren Massnahmen nicht veranlasst sahen, ist das Gesuch gegenstandslos geworden.

Zu p. Johann Werner Gerster, der als Schweizer im Vorarlbergischen ansässig ist, hat Schmugglern von Fadenspulen einen österreichischen Abnehmer vermittelt.

Gerster, der zwecks Entlassung aus der Untersuchungshaft als Kaution Fr. 2000 hinterlegt hatte, ersucht, ihm die Fr. 1300, die man aus der Kaution zwecks Tilgung seiner Busse und der solidarischen Haftbarkeit für die Busse des Mitverurteilten Georg Hutter im Betrage von Fr. 800 verwendet habe, ganz oder doch bis zu Fr. 100 zu erlassen. Die Kaution sei von einem Dritten aufgebracht worden, dem er nun Fr. 1300 oder, in Kronen umgerechnet, einen weit höheren Betrag schulde. An Hutter, der

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flüchtig und ohne Vermögen sei, könne er sich nicht halten, und er selbst sei durch den Krieg um seinen bescheidenen Wohlstand gekommen. Er sei schwer herzleidend, in seiner Arbeitsmöglichkeit gehemmt, und die Schuld von Fr. 1300 geeignet, ihn und seine Angehörigen zu vernichten. Man möge deshalb Gnade walten und seinem Gläubiger die Fr. 1300 zukommen lassen. Beigelegt werden- ein Leumunds- und ein Mittellosigkeitszeugnis.

Man kann sich fragen, ob in Anbetracht der Tilgung der Bussen durch Entnahme aus der geleisteten Kaution auf den Strat'vollstreckungsanspruch im Wege der Begnadigung noch zurückzukommen ist.

Für den Fall, dass überhaupt, eingetreten wird, beantragen wir mit der Oberzolldirektion, Gerster abzuweisen. Die Urteilserwägungen ergeben, dass in Würdigung der von dem Verteidiger Gersters geltend gemachten Anbringen von der Fällung einer Freiheitsstrafe abgesehen wurde. Den urteilenden Gerichten waren die erneut vorgebrachten Verhältnisse bekannt und ein weiteres Entgegenkommen wäre im Vergleich zu den Mitverurteilten nicht gerechtfertigt.

Zu q. Julius Reutemann hat im Frühjahr und Sommer 1917 und 1918 teils Waren selbst geschmuggelt, teils zu Schmuggelzwecken geliefert. In Betracht kommen Seife und Armbanduhren.

Reutemann ersucht, ihm die Busse von Fr. 3000 um die Hälfte zu erlassen. Fr. 1500 sind aus der geleisteten Hinterlage gedeckt. Reutemann will mit dem Schmuggel beabsichtigt haben, wieder einzubringen, was ihm 600 Militärdiensttage an Verdienst entzogen hätten. Er sei ohne Vermögen und müsse gewärtigen, dass der Rest der Busse in Gefängnis umgewandelt werde.

Das Gesuch verschafft nicht den Eindruck vorhandener Notlage. Belege werden keine beigebracht. Reutemann soll den Zollbehörden am 25. September die baldige Tilgung versprochen haben. Die Eingabe an die Begnadigungsbehörde ist ein letzter Versuch, die Bezahlung zu umgehen.

Da Reutemann sich während anderthalb Jahren in fortgesetzter und gewohnheitsmässiger Weise mit dem Ausfuhrschmuggel befasst hat, sind wir mit der Oberzolldirektion der Meinung, er verdiene keine Nachsicht, und beantragen Abweisung.

Zu r, s und t. Gerold Fiera, Otto Eichenberger, Adolf Gersbach waren mit 17 andern zu beurteilen wegen komplottmässigen Ausschmuggeins von Seife, Saccharin, Seidenstoff, Nähfaden, Gummiwaren, Uhren, ausgeführt im Winter 1917 und

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Frühling 1918, wobei von den Hauptbeteiligten Fierz und Berner Waren im Werte von mindestens Fr. 8000 ausgeschwärzt und Fr. 5000 Reingewinn erzielt wurden.

Bichenberger und Gersbach schmuggelten Waren im Betrage von Fr. 1755. Es handelt sich um dieselbe Angelegenheit wie in der Begnadigungssache des in der Herbstsession 1919 abgewiesenen Birchler (zu vergleichen II. Bericht des Bundesrates vom 14. August 1919, Antrag 41, Bundesbl. 1919, IV, 433/434).

Fierz, Eichen berger und Gersbach ersuchen alle um Erlass der Gefängnisstrafen, Eichenberger und Gersbach ausserdem um Erlass der Bussen.

Fierz, geb. 1892, kam als Auslandschweizer 1914 aus Amerika, um seiner Dienstpflicht zu genügen. In der dienstfreien Zeit sei er stellenlos gewesen, in der Folge in Bedrängnis geraten und habe sich 1916 in den Waldshuter Lonzawerken mit einer Anstellung von Fr. 140 begnügen müssen. So sei er dem Schmuggel unterlegen. Er bereue seinen Fehltritt, habe nunmehr Aussicht auf eine erfolgreiche Lebensstellung, ferner eine ehrsame Bekanntschaft, alles würde jedoch in Mitleidenschaft gezogen, wenn er die sieben Tage Gefängnis erstehen müsste. Er sei ohnehin noch mit Fr. 2400 belastet.

Für Eiehenberger, geb. 1891, Gersbach, geb. 1897, wird in ähnlicher Weise hervorgehoben, die Gefängnisstrafen seien geeignet, den jungen Kaufleuten ein lebenslängliches Hindernis zu werden.

Nach den Akten ist Fierz wegen Schmuggels mit Fr. 100, Gersbach mit Fr. 25 vorbestraft. Die ausführlichen Urteilserwägungen ermöglichen festzustellen, dass die neuerdings geltend gemachten Verumständungen dem urteilenden Gerichtshof bekannt waren. Die Oberzolldirektion, die in Berichten vom 14. und 22. Oktober, bei Fierz vom 27. Oktober Stellung nimmt, hält dafür, die Ausführungen der Gesuche seien im allgemeinen als don Tatsachen entsprechend zu bezeichnen, gelangt abschliessend jedoch ebenfalls dazu, es sollte bei den Urteilen sein Bewenden haben.

Man kann sich fragen, ob den jungen Leuten im Hinblick auf ihr weiteres Fortkommen die Gefängnisstrafen erlassen werden sollten. Anderseits hat aber das urteilende Gericht in der Tat den vorhandenen Verhältnissen bereits weitgehend Rechnung getragen. Im Vergleich zu andern Fällen handelt es sich um milde Strafen. Mit der Oberzolldirektion beantragen wir deshalb Abweisung.

Zu u. Bei Robert Itel kommen zwei Verurteilungen in Betracht: Das Urteil des Bezirksgerichtes Diessenhofen vom

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26. Oktober 1918 umfasst eine Übertretung vom 20. November und eiue zweite vom 15. Dezember 1917. Am 20. November 1917 wurde Itel, der vom Rheine herkam, von einer Militärpatrouille in der Nähe von Diessenhofen angehalten, und die Verumstäodungen ergaben, dass er dort mindestens Wache gestanden hatte, indes ein Boot ans ausländische Ufer gelangte. Am 15. Dezember fuhr der Mitangeklagte Maier mit einer aus Segeltuch hergestellten Gondel über den Rhein. Bei seiner Rückkehr von Zollorganen angehalten, gab er zu, 20 kg Schokolade ausgeführt zu haben.

Es ist bezeichnend, dass Itel den Anstifter gespielt und nicht selbst die Ware ausgeschmuggelt hat, ,,weil man auf ihn zu sehr aufmerksam geworden sei".

Das Urteil derselben Gerichtsbehörde vom 6. Mai 1919 betrifft einen Schmuggelversuch vom 15. Juni 1918. Itel erhielt sechs Blechkannen süssen Orangenschalenöles im Werte von etwa Fr. 5400, die er auszuschmuggeln übernommen hatte. Zusammen mit andern schaffte Itel die Kannen in der gleichen Nacht in einen Wald unweit Rheinklingen, wo er sie vergrub. Gleichzeitig hatte Itel zwei Blechbüchsen Vanillestengel erhalten und auf einen Acker verbringen lassen. Alle Waren hätten über den Rhein geschafft werden sollen, wurden aber von Zollorganen beschlagnahmt.

Das für Itel eingereichte Gesuch bezweckt den Erlass eines wesentlichen Teils seiner Strafen. Die erste im August eingereichte Eingabe wird vorab mit den ärmlichen Verhältnissen der Familie begründet, die in der Tat laut einem befürwortenden Schreiben des evangelischen Pfarramtes Basadingen-Schlattingen (Thurgau) von der Kirchenvorsteherschaft unterstützt wird. Itel hat laut Gesuch vor dem Kriege ein Baugeschäft betrieben. Während der Mobilisation habe er die aktiven Dienste mitgemacht. Die in der Folge lahmgelegte Bautätigkeit und die öftere militärdienstliche Abwesenheit sollen ihn nach und nach in eine bedrängte Lage gebracht haben, so dass er schliesslich dem Schmuggel unterlegen sei. Er habe jedoch lediglich an einigen Schmuggelfällen teilgenommen und sei einzig auf ,,unsinnige Gerüchte'1 hin zum Schmugglerkönig gestempelt worden. Zurzeit befinde sich Itel im Badischen, wo er nach Möglichkeit arbeite, um aus seinem Verdienst die Familie unterstützen zu können. Die Gefängnisstrafen, die Umwandlung der Bussen in weitere Gefangenschaft würden ihn vernichten
und die Angehörigen dem Armenhaus verfallen lassen. Dies könne aber nicht gewollt sein. Schliesslich wird noch besonders hervorgehoben, das Begnadigungsgesuch wäre nicht gewagt worden, wenn Itel nicht infolge des Verlustes seines regelmässigen Auskommens zum Schmuggel gegriffen hätte.

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Die eidgenössische Oberzolldirektion hält ebenfalls dafür, Itel sei durch die Verhältnisse im Baugewerbe und den öftern .Militärdienst schwer betroffen worden. Anderseits scheine er aus dem Schmuggel ein eigentliches Gewerbe gemacht zu haben, weshalb Abweisung beantragt wird.

Nach den Urteilen wird Itel als gewerbsmässiger Schmuggler, sein deliktischer Wille als intensiv und andauernd bezeichnet.

Auch die Zuschrift des Pfarramtes Basadingen-Schlattingen geht ·davon aus, Itel werde kaum erwarten können, in vollem Umfang begnadigt zu werden, dagegen möge man ihm, wenn immer möglich, so weit entgegenkommen, dass Frau und Kinder nicht während langer Jahre unter den Folgen der Vergehen des Familienhauptes zu leiden hätten.

Dem Anwalte Itels, der sich nach dem Stand der Begnadigungssache erkundigte, wurde am 14. November mitgeteilt, dass sie der Begnadigungsbehörde demnächst unterbreitet werde. Gleichzeitig wurde beigefügt, dass Itel gut daran täte, sich vor allem den Strafvollzugsbehörden zu stellen. Nach den insgesamten VerumständuQgen könnte bestenfalls eine teilweise Begnadigung in Frage kommen, aber die vorhandene Flucht scheine uns auch hierfür ein ernstliches Hindernis zu sein.

Laut in letzter Stunde eingelangter Zuschrift hat Itel nunmehr den Rückweg gefunden und ist seit dem 21. November in Frauenfeld im Gefängnis.

Wir beantragen, das Gesuch zurzeit abzuweisen. Mit den Behörden des Kantons Thurgau haben wir Verbindung aufgenommen.

Sollte die Notlage der Familie ein teil weises Entgegenkommen möglich machen, so wird allfällig der Strafvollzug unterbrochen werden können, um der Bundesversammlung Gelegenheit zu geben, in der Sommersession 1920 die Angelegenheit endgültig zu erledigen.

Zu v und w. Jakob Bgloff und Marie Schnee wurden mit fünf weitern Beteiligten verurteilt, Jakob Egloff als Urheber, Marie Schnee als Gehülfln.

In Betracht kommt die Ausschmuggelung von rund 45 kg Vanille in der Zeit vom 12. April bis 18. August 1918. Die Ware war von einer Frau Schmid in Emmishofen erworben worden.

25 kg verkaufte sie einer Frau Emilie Egle und weitere 20 kg einem Adolf Mayer, beide in Konstanz. Von den an Frau Egle verkauften 25 kg übergab Frau Schmid 15 kg in drei Paketen einem Theodor Bleicher, der sie im Auftrage der Frau Egle nach Tägerwilen zu verbringen hatte. Zwei Pakete zu 5 kg
erhielt Marie Schnee mit dem Auftrag, sie in einem Getreideacker bei Tägerwilen niederzulegen. Die derart nach Tägerwilen geschaffte Ware wurde von Jakob Egloff ausgeschmuggelt, indem er sie

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jeweils unter dem Kutschersitz seines Milchfuhrwerkes versteckte und allmählich nach Konstanz verbrachte.

Marie Schnee will für ihre Dienstleistungen Fr. 10 per Paket, Egloff insgesamt 200 Mark erhalten haben.

Die Eheleute Emilie und Johann Egle wurden als Veranstalter des Schmuggelkomplottes mit 4*/2 und 4 Monaten Gefängnis, ausserdem zu je Fr. 1000 Busse, Adolf Mayer zu 3 Monaten Gefängnis und Fr. 1000 Busse, Frau Schmid zu l Monat Gefängnis und Fr. 500 Busse, Theodor Bleicher vom Obergericht des Kantons Thurgau in atrafmindernder Abänderung des erstinstanzlichen Entscheides zu Fr. 200 Busse, alle ausserdem zu Wertersatz verurteilt.

Für Jakob Egloff wird im Begnadigungswege -in einer ersten Eingabe ersucht, ihm die Gefängnisstrafe von 1^/2 Monaten zu erlassen und die Busse von Fr. 1000 um die Hälfte zu ermässigen.

Eine nachträgliche Eingabe ersucht ferner, es bei den bereits verfallenen Fr. 1500 für Wertersatz bewenden zu lassen und von den weiteren Fr. 1156.16, die man aus Solidarhaft verlange, abzusehen.

Egloff habe aus Gefälligkeit gehandelt, die angeblich erhaltenen 200 Mark seien bei dem Kursstand ein nicht hohes Trinkgeld. Die Verurteilung habe überdies seine Frau schwer getroffen und bedrohe die Zukunft und das Glück der Familie. Egloff sei in bescheidenen Verhältnissen und auf seinen Verdienst angewiesen.

Auch eine Busse von Fr. 500 werde noch in einem richtigen Verhältnisse zu andern Straffällen stehen. Am schwersten betroffen würde er jedoch durch die Gefängnisstrafe, die zur Aufgabe seiner Tätigkeit und zum Verlassen der Gegend führen müsste. Zu dem Begehren bezüglich des Wertersatzes wird gesagt, in neueren Schmuggelfällen sei kein Wertersatz mehr ausgesprochen worden.

Demgegenüber beantragen wir mit der eidgenössischen Oberzolldirektion, Egloff gänzlich abzuweisen. Wie sich aus den Akten ergibt, erfolgte die Überweisung der Angelegenheit an die Gerichte gerade mit Rücksicht auf die bedauerliche Tätigkeit Egloffs. Den urteilenden Gerichten ist darin durchaus beizupflichten, dass sich Leute, denen in den vergangenen Jahren der Grenzübertritt regelmässig gestattet war, um in Konstanz ihrem Gewerbe nachzugehen, gegenüber den Zoll- und Grenzwachorganen eines groben Vertrauensmissbrauches schuldig machen, wenn sie die ihnen gewährte Vergünstigung missbrauchen.

Was die mit Bezug
auf den Wertersatz angerufene nunmehrige mildere Praxis anbelangt, erklärt sie sich aus den veränderten Verhältnissen und kann auf zurückliegende Tatbestände keine Anwendung finden.

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Für Frau Marie Schnee wird das Gesuch gestellt, die zwei Wochen Gefängnis zu erlassen, allenfalls die Busse von Fr. 200 auf Fr. 300 zu erhöhen.

Die rechtsunkundige Frau Schnee habe verpasst, gegen das erstinstanzliche Urteil zu appellieren. Das Ergebnis des Strafverfahrens sei nunmehr ein schreiendes Missverhältnis zwischen der Strafe des Bleicher und der Frau Schnee. Dies wird in längeren Ausführungen, auf die wir verweisen, zu erhärten versucht. Die Gesuchstellerin sei eine einfache Fabrikarbeiterin, die sehen müsse, wie sie sich durchs Leben schlage und der Versuchung, ein paar Franken zu verdienen, erlegen sei. Im vorliegenden Fall sei sie in ähnlicher Weise beteiligt, wie Bleicher, den der Verfasser des Gesuches vor oberer Instanz vertreten habe, und dem gegenüber die erstinstanzlich gesprochene Gefängnisstrafe nicht aufrechterhalten wurde.

Wie die oberinstanzlichen Erwägungen ergeben, war bei Bleicher, geb. 1900, insbesondere ausschlaggebend die Jugend" und der gute Leumund.

Nun hat Frau Schnee in der Tat lediglich zwei, Bleicher dagegen drei Gänge besorgt. Erschwerend muss dagegen in Betracht fallen, dass sie, anders als Bleicher, die administrative Voruntersuchung durch anfängliches Leugnen erschwerte, dass zu ihren Gunsten nicht Jugendlichkeit geltend gemacht werden kann, denn sie ist 1881 geboren, und dass sie wegen Schmuggels mit einer, wenn auch geringfügigen Vorstrafe belastet ist.

Immerhin können wir, wie die Verhältnisse liegen, eine gewisse Milderung befürworten und beantragen mit der Oberzolldirektion Herabsetzung der Gefängnisstrafe von zwei bis zu einer Woche.

Zu x und y. Hans Eberhardt war im Frühjahr 1918 mit 14 andern in eine Schmuggelangelegenheit verwickelt.

Der in der Folge zu vier Monaten Gefängnis und Fr. 1000 Busse verurteilte Karl Federer, Zeichner bei einer Firma in Reute CAppenzell A.-Rh.), wurde durch einen früheren Militärkameraden zum Ankauf von Nähfaden bewogen. Er teilte die sich bietende Gelegenheit, auf diese Weise Geld zu verdienen, seinem Tischgenossen, dem Lehrer Hans Eberhardt mit. Dieser war sofort dafür eingenommen, und setzte sich mit einem Stickereifabrikanten in Kreuzungen, ferner mit seinem Vater Johann Eberhardt (später verurteilt zu vier Wochen Gefängnis und Fr. 800 Busse) in Aadorf in Verbindung, worauf drei von Hans Eberhardt bestellte Sendungen im Werte von Fr. 4536 abgingen und von Federer in Empfang geaommen wurden. Drei weitere Sendungen veranlasste

710

Vater Eberhardt. Die in der Folge im Auftrage Federers weiter geschafften, vorab bei Johann Frei-Kobler teilweise umgepackten und auf dessen Anraten in einem Sehweinestall untergebrachten Waren sollten dem Schmuggel zugeführt werden. In der Hauptsache kam es jedoch zur Beschlagnahmung.

Johann Frei-Kobler hat sich beim Empfang, Weitersenden und Verkauf der verschiedenen Warenlieferungen mehrfach betätigt.

Hans Eberhardt, der um Erlass der sechs Wochen Gefängnis ersucht, schildert in längerer Eingabe seine Lebensgeschichte und die Verumständungen des Schmuggelfalles.

Von dem 1892 geborenen Gesuchsteller steht fest, dass er schlecht erzogen wurde. Sein Vater wird als Trinker bezeichnet und soll an den Geschicken, die den Sohn betroffen haben, reichlich Schuld tragen. Immerhin gelang es Eberhardt, das Lehrerseminar in Kreuzungen zu absolvieren. Im Frühjahr 1912 wurde ihm das thurgauische Primarlehrerpatent erteilt. Eine Reihe Zeugnisabschriften, so vom Mai 1912, Septem-ber 1913, Mai 1916, aus dein Jahre 1917 lauten gut. Anders ein Auszug aus dem ZentralStrafenregister vom 16. September 1919, der namentlich aufweist einen Monat Gefängnis und Entsetzung vom Wachtmeistergrade, erkannt am 14. November 1914 vom Divisionsgericht 4 wegen Betrugs und Veruntreuung, und vier Wochen Gefängnis, erkannt am 9. August 1916 vom Bezirksgericht Winterthur wegen wiederholten einfachen Diebstahles.

Bürgschaften, eingegangen für den zum Konkursiten gewordenen Vater, führten im Juli 1914 zur fruchtlosen Auspfändung Eberhardts, verbunden mit der Einstellung in den bürgerlichen Rechten bis 1918. Um die Lehrerstelle im Inland war es einstweilen geschehen. Ein Zeugnis über Schultätigkeit in Danzig umfasst den Zeitraum vom Frühjahr 1915 bis 1916, ein Ausweis der Aktiengesellschaft Sulzer in Winterthur die Zeit von Ende August bis Ende Dezember 1916. Im Jahre 1917 gelang es Eberhardt, Fr. 1000 aufzunehmen und sich mit seinen früheren Gläubigern zu vereinbaren, worauf er rehabilitiert und im Inland auch wieder als Lehrer angestellt wurde. Zurzeit ist er erneut stellenlos, verheiratet, Vater von zwei Kindern und wird von seinem Schwiegervater in Oberwinterlhur als Säger beschäftigt.

In die ihm wieder zum Verhängnis gewordene Schmuggelsache will Eberhardt zu Unrecht hineingezogen worden sein. Gegenüber Federer, der den Kaufladen
eines Bruders regelmässig mit Faden versorgt habe, sei er ohne Argwohn gewesen. Dem Stickereifabrikanten in Kreuzungen will er die Lieferungen zugehalten haben, um ihm eine Dankesschuld abzutragen, denn dieser habe bei dem Konkurse des alten Eberhardt viel verloren und

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dem Sohn dea Abschluss seiner Seminarzeit ermöglicht. In längeren Ausführungen, auf die wir verweisen, wird versucht, die Haltung in der Schmuggelsache begreiflich zu machen und ihr das Strafbare zu nehmen. Das Zugeständnis, von dem beabsichtigten Schmuggel Kenntnis gehabt zu haben, sei einzig erfolgt auf die Zusicherung hin, die Angelegenheit werde administrativ erledigt.

Einzig durch das ihm abgezwungene Geständnis habe Eberhardt vermeiden können, in Haft gesetzt zu werden und die Schule im Stich lassen zu müssen. Wäre er aber der Schule fern geblieben, so hätte ihn dies die Stelle gekostet, und das habe er im Hinblick ,auf seine schwer errungene Rehabilitation verhindern wollen. Man möge trotz der Vergangenheit, die gegen ihn spreche, Gnade walten lassen und ihm durch den Erlass der Gefängnisstrafe erleichtern, ^wiederum zu einer Lehrerstelle zu gelangen.

Die eidgenössische Oberzolldirektion könnte sich damit einverstanden erklären, Eberhardt die Gefängnisstrafe zu erlassen.

.Jedoch geht ihr Mitbericht von der Meinung aus, der Gesuchsteller sei ohne Vorstrafen, sonst gut beleumdet, und es sei ihm sein Fortkommen als Lehrer nicht zu untergraben. Wie gezeigt, haben spätere Erhebungen leider zu anderen Feststellungen geführt. Soweit die Gesuehanbringen dartun wollen, es handle sich urn ein erpresstes, aus den Umständen erklärliches, aber der Sachlage nicht entsprechendes Geständnis wird von der Oberzolldirektion betont, dass gerade Eberhardt gegenüber in der Voruntersuchung angesichts seiner damaligen Stellung als Lehrer in Reute grosse Rücksicht genommen wurde. Überdies hat sich bereits das Kantonsgericht St. Gallen ausführlich mit dieser Behauptung befasst und sie widerlegt. Soweit die Schuldfrage erneut aufgeworfen wird, begnügen wir uns, im ganzen Umfang auf die sorgfältigen Urteils·erwägungen hinzuweisen.

Ein Bericht des Gemeindeammannamtes von Oberwinterthur spricht sich dahin aus, Eberhardt erscheine als aufgeweckter fleissiger Mann, der aber durch die Schuld seiner Eltern vom Schick.sal schwer verfolgt werde. Der Bezirksstatthalter von Winterthur hält nach den Umständen für angezeigt, Gnade für Recht ergehen zu lassen.

Bei der Behandlung des Gesuches sind ausser den Akten der iSchmuggelstrafsacbe auch die Akten der militärgerichtlichen Verurteilung von 1914 herbeigezogen worden. Eberhardt
hat damals ·als Wachtmeister von Füsilieren seines Zuges unter täuschenden Angaben Geld entlehnt und für bestellte Photographien eingezogenes Geld nicht abgeliefert.

Ferner wurde in die Akten des Bezirksgerichtes Winterthur -vom 9. August 1916 betreffend wiederholten einfachen Diebstahls

712 Einsicht genommen. Eberhard t-, der damals als Magaziner bei der Lokomotivfabrik Winterthur angestellt war, hat der Firma in mehreren Malen bearbeitete Kupferscheiben und fertige Putzzapfen aus Bronzemetall im Gesamtwert von Fr. 193 entwendet. Gegenüber dem Strafantrage der Bezirksanwaltschaft, lautend auf sechsWochen Gefängnis, berücksichtigte das urteilende Gericht ,,den guten Zweck für den das Ergebnis dieser Diebstähle bestimmt war". In den Akten befindet sich ein Brief der Mutter Eberhardts, die den Sohn ersucht, ihr, wenn irgend möglich, etwas Geld zukommen zu lassen. Dieser Brief habe zu den Diebstählen veranlasst.

Eberhardt macht den Eindruck eines Willensschwächen, leicht entgleisenden Menschen. Seine Versicherung, durch Erfahrungen geläutert zu sein, muss nach dem Vergangenen mit Zurückhaltung aufgenommen werden. Immerhin ist er nun verheiratet und ist es denkbar, dass ihm die Sorge um Frau und Kinder dauernd beeinflussen kann.

Nach den Verumständungen des Falles wird demnach zur Diskussion gestellt, ob eine Begnadigung wohl geeignet wäre, Eberhardt zu kräftigen und allfällig gute Vorsätze zu fördern.

Dabei ersucht Eberhardt vornehmlich um Begnadigung in der Meinung, diese Erledigung werde ihm eine weitere Betätigung als Lehrer erleichtern. Nach seinem Vorleben muss aber in dieser Richtung erwogen werden, ob es nicht vielmehr Pflicht der Behörden ist, Eberhardt, der sich immer wieder als Mann ohne Selbstdisziplin und Beherrschung ausgewiesen hat, nunmehr von der Schule fernzuhalten. Ferner fragt es sich, gerade kriminalpolitisch, ob dem Besserungszwecke nicht der Vollzug der Strafe statt der Erlass besser dient.

Ausser diesen Überlegungen, die sich aus der Besonderheit des Falles aufdrängen, müssen ferner die gegenüber Begnadigungssachen betreffend Ausfuhrschmuggel schon wiederholt ausgesprochenen allgemeinen Erwägungen berücksichtigt werden. Bekanntlich hat in den vergangenen Jahren die Gerichtspraxis in Schmuggelsachen notgedrungenerweise dazu gelangen müssen, sowohl im Sinne der General- wie der Spezialprävention durch hohe Strafen den Gedanken der Abschreckung hervorzukehren. Damit muss sich unseresErachtens auch die Bundesversammlung als Begnadigungsbehörde abfinden.

Ausgehend von diesen allgemeinen Gesichtspunkten und den besondern Verumständungen im vorliegenden Falle, insbesondere im Hinblick auf die Vergangenheit Eberhardts, entscheiden wir uns absehliessend auch in diesem Falle zu dem Antrag, den Gesuchsteller abzuweisen.

713 Zu y: Johann Frei-Kobìer ersucht um Erlass der vierzehn Tage Gefängnis oder Umwandlung in entsprechende Busse. Er hat im Konkurse eines Bruders sein Vermögen verloren und will sich mit Rücksicht auf seine misslichen Familienverhältnisse an dem Vorhaben Federers, seines Schwiegersohnes, beteiligt haben.

Ein Gesuch um Strafaufschub ist von den Strafvollzugsbehörden abgewiesen worden, da Frei keinen genügenden Grund anzugeben wusste. Dies trifft auch für das Begnadigungsgesuch zu. Frei hätte gewiss besser daran getan, dem ihm von den Behörden des Kantons St. Gallen gegebenen Rate Folge zu leisten, und sich ohne diese letzten Versuche in das Unvermeidliche zu schicken.

Da er am 15. November 1919 seine Strafe antreten sollte, ist sie voraussichtlich erstanden und das Gesuch gegenstandlos. Andernfalls beantragen wir Abweisung.

Anträge: Abweisung Eilermanns, der Gebrüder Bulloni, des von der "Marwitz, Herabsetzung der Busse bis Fr. 3000 bei Camen, der Bussen von Fr. 2000 und Fr. 1600 um die Hälfte, sowie Befreiung von Solidarhaft und Wertersatz bei den Eheleuten Camenisch, Abweisung Berthers, Halters, der beiden Thöny, Goods, Schallerts, Nichteintreten bei Hutter und Gerster, Abweisung Reutemanns, des Fierz, Eichenbergers, Gersbachs, Itels, Egloffs, Herabsetzung ·der Gefängnisstrafe von 14 bis zu 7 Tagen bei Marie Schnee, Abeisung Eberhardts und Preis.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 2. Dezember 1919.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident: Motta.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Steiger.

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II. Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Wintersession 1919). (Vom 2. Dezember 1919.)

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