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Kreisschreiben des

Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen betreffend die Bezeichnung der schiffbaren oder .noch schiffbar zu machenden Gewässerstrecken.

(Vom 29. September

1919)

Getreue, liebe Eidgenossen !

I.

Gemäss Artikel 24bis der Bundesverfassung, angenommen vom Volke am 25. Oktober 1908, steht die Nutzbarmachung der Wasserkräfte unter der Oberaufsicht des Bundes (Absatz 1). In diese Nutzbarmachung wurde bereits damals die Schiffahrt miteinbezogen. Absatz 2 des genannten Artikels bestimmt, dass die Binnenschiffahrt nach Möglichkeit zu berücksichtigen sei.

In den Artikeln 24--27 des B u n d e s g e s e t z e s ü b e r die Nutzbar m a c h u n g der W a s s e r k r ä f t e vom 22. Dezember 1916, in Kraft getreten am 1. Januar 1918, sind dann diejenigen allgemeinen Vorschriften niedergelegt worden, welche in näherer Umschreibung des genannten Artikels 24 bis , Absatz 2, der Bundesverfassung d i e W a h r u n g d e r I n t e r e s s e n d e r S c h i f f a h r t bezwecken.

Einer nähern Regelung durch b u n d e s r ä t l i c h e V e r o r d n u n g bedürfen nunmehr noch : Art. 24, Abs. 2: Der Bundesrat bezeichnet nach Anhörung der beteiligten Kantone die Gewässerstrecken, die als schiffbar zu betrachten sind, sowie diejenigen, deren Schiffbarmachung in Aussicht genommen ist, und erlässt die erforderlichen Vorschriften.

Art. 27, Abs. 1: Der Bundesrat wird nach Anhörung der beteiligten Kantone dafür sorgen, dass die Schiffbarkeit der von ihm bezeichneten Gewässerstrecken nicht durch Bauten oder künstliche Veränderung der Wasserrinne beeinträchtigt wird.

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Ans Artikel 24 ergibt sich, dass es sich in diesem Artikel um die Vorschriften handelt, die für die W a s s e r w e r k e mit Rucksicht auf die Schiffahrt zu erlassen sein werden ; Artikel 27 hingegen bezieht sich auf sonstige Strombauten (Brücken, Korrektionen und dgl.).

Aus den genannten Gesetzesbestimmungen geht hervor, dass A. grundsätzlich diejenigen G e w ä s s e r st r e c k e n bezeichnet werden sollen, die überhaupt als schiffbar zu betrachten oder die noch schiffbar zu machen sind (Art. 24, Abs. 2) ; B. dieses so festgelegte gesamte Wasserstrassennetz daraufhin zu untersuchen ist, welche K a h n t y p en für die einzelnen Teile dieses Netzes zugelassen werden können (Art. 24, Abs. 2) ; C. Vorschriften zu erlassen sind über den A u s b a u und die Erhaltung der als natürlich schiffbar bezeichneten Gewässerstrecken, sowie derjenigen Strecken, welche künstlich schiffbar zu machen sind (Art. 24, Abs. 2, und Art. 27, Abs. 1) unter Berücksichtigung der für ein bestimmtes Teilnetz grundsätzlich zugelassenen Kahntypen.

Die unter C genannten Vorschriften umfassen: 1. mit Bezug auf die B a u a u s f ü h r u n g : die Abmessungen der Schiffsschleusen ; die Festsetzung der Normalprofile in regulierten Strecken, sowie in Schiffahrtskanälen und kombinierten Schiffahrtsund Kraftwerkkanälen; die Festsetzung der Profile in Fels, für Kanaltunnel, Kanalbrücken, zwischen Pfeilern und Widerlagern ; die Festsetzung der Lichtraumprofile ü b e r dem Wasserspiegel ; Vorschriften über die zulässigen Krümmungen, über Ruheplätze, Wendebecken, Strömungsgeschwindigkeit und dgl.

Die Festlegung der lichten Weiten und dgl. ist nun vollständig unabhängig davon, ob es sich um ein Bauwerk handelt, das in Verbindung mit einem Kraftwerk zu erstellen ist oder um andere Strombauten. Die Vorschriften, die u n t e r C genannt sind, stehen unter sich in engem organischem Zusammenhang.

Sie werden daher seinerzeit in einer V e r o r d n u n g ü b e r die b a u l i c h e A n l a g e d e r S c h i f f a h r t s w e g e zusammengefasst (Schiffahrtsnormalien).

2. Für die B e t r i e b s Verhältnisse werden später weitere grundsätzliche Bestimmungen zu erlassen sein.

127 II.

Die Wahl der K a h n t y p e n , welche für die einzelnen Gebiete zugelassen werden (S. 2, B.) ist von sehr weittragender Bedeutung. Der Entschluss ist daher mit grosser Vorsicht zu fassen. Jedenfalls ist in weitgehendem Masse darauf Rücksicht zu nehmen, welche Arten von Schiffsgefässen in Europa gegenwärtig in Verwendung sind, für welche Grossen neue, sowie zu erweiternde Wasserstrassen bemessen werden und insbesondere auch, nach welcher Richtung hin überhaupt die Entwicklung voraussichtlich geht.

Noch vor ganz kurzer Zeit wurde allgemein hinsichtlich der Rhone die Ansicht vertreten, dass sie höchstens für 600 t-Kähne ausgebaut werden könne ; heute spricht man von der Zulassung von 1000 t-Kähnen. Die letzten Meldungen der Fachpresse sprechen nun vom 1200 t-Kahn, der auch auf dem zu erweiternden RheinRhone-Kanal Fahrrecht erhalten solle. Für den Ausbau der Seine wird die Berücksichtigung von 1400--1800 t-Schiffen gefordert.

Die württembergischen und die preussischen Verwaltungsorgane verlangten in den letzten Jahren,, dass Entwürfen für neue Hauptwasserstrassen der 1000 t-Kahn zugrunde gelegt werde, wogegen der südwest-deutsche Kanalverein den 1200 t-Kahntyp in Betracht zog; die bayrischen Donau-Main-Kanalprojekte berücksichtigten zum Teil das 1500 t-Lastschiff.

Wenn es sich auch bei, den neuen Vorschlägen nicht um amtliche Angaben handelt und es noch ungewiss ist, wie die massgebenden Organe, denen die Entscheidung obliegt, urteilen, so rühren diese Anregungen doch zum Teil von Fachleuten her, die amtlichen Stellen sehr nahe stehen.

In Anbetracht dieser Umstände wäre es nun einerseits erwünscht, wenn mit der Festlegung der Schiffstypen für unser Wasserstrassennetz einige Zeit zugewartet werden könnte. Anderseits drängt aber insbesondere die fortschreitende Nutzbarmachung der Gewässer für die Kraftgewinnung doch sehr dahin, die Verhältnisse so rasch wie möglich abzuklären. Beide Nutzungsformen sind eng miteinander verknüpft.

Die Schiffahrt erfordert bei Neu- und Umbauten jeglicher Art eine vorsorgliche Rücksichtnahme, damit im Verlaufe der Entwicklung ein Ganzes geschaffen wird, das seinen Zweck erfüllen kann.

Um unserseits den endgültigen Plan zu einem schweizerischen Wasserstrassennetz aufstellen zu können, welcher Ihnen hernach

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unterbreitet werden soll, bitten wir Sie, uns bis Ende November Ihre Ansichtsäusserung darüber zukommen zu lassen : 1. Welche Gewässerstrecken Ihres Kantons als natürlich schiffbar zu betrachten seien ; 2. für welche Gewässerstrecken Sie die künstliche Schiffbarmachung in Vorschlag bringen ; 3. welche grösste Kahntype Sie für diese Strecken vorzusehen wünschen.

Vorsichtshalber sollen für unsere Wasserstrassen jedenfalls die Lastschiffe eher zu gross als zu klein gewählt werden, um womöglich kostspielige Erweiterungen später vermeiden zu. können.

(Kaum ist z. B. der neueste deutsche Schiffahrtskanal, der Mittellandkanal Ems-Hannover, für 600 t-Schiffe in Betrieb gesetzt worden, als nun auch schon seine Vergrösserung für die Zulassung von 1000--1200 t-Kähne verlangt wird.)

Das Amt für Wasserwirtschaft unseres Departements des Innern steht für allfällige Besprechungen und Auskünfte sehr gerne zu Ihrer Verfügung.

Wir benutzen auch diesen Anlass, Sie, getreue liebe .Eidgenossen, samt uns dem Schütze Gottes zu empfehlen.

B e r n , den 29. September 1919.

Im Namen des Schweiz. Bundegrates, Der Bundespräsident: Ador.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Steiger.

-»-Sfr-t

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Kreisschreiben des Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen betreffend die Bezeichnung der schiffbaren oder noch schiffbar zu machenden Gewässerstrecken. (Vom 29. September 1919)

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08.10.1919

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