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Schweizerisches Bundesblatt mit schweizerischer Gesetzsammlung.

7l. Jahrgang.

Bern, den 31. Dezember 1919.

Band V.

Erscheint wöchentlich. Preis 1% Franken im Jahr, O Franken im Salbjahr, anzüglich ,,Nachnahme- und Postbestellnngsgel/tHir".

Einrlicknngsgebühr : 16 Rappen die Zeile oder deren Raum. -- Anzeigen franko an die Bachdruckeret Stämpflt de. in Bern.

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Errichtung neuer schweizerischer Gesandtschaften im Auslande.

(Vom 11. Dezember 1919.)

Ï.

Im Voranschlag für das Jahr 1920 finden sich im Abschnitt Politisches Departement, Abteilung für Auswärtiges", unter Ziffern 12. 16, 21 und 23 die Kredite angegeben, die vorgesehen ·sind für die Errichtung von schweizerischen Gesandtschaften in Stockholm, Warschau, Prag, Belgrad und Athen, sowie einer selbständigen Gesandtschaft in Brüssel und eines Generalkonsulates in Konstantinopel.

Dieser Beschluss des Bundesrates, der bereits im vergangenen Monat September veröffentlicht wurde, und den er nunmehr den Räten zur Gutheissung vorlegt, mit dem Ersuchen, die zu seiner Vollstreckung erforderlichen Kredite gewähren zu wollen, ist das Ergebnis eines durchgreifenden Studiums der Frage und eingehender Beratungen. Der von ihm übernommenen Verpflichtung gemäss beehrt sich der Bundesrat, in nachstehendem die Erwägungen darzulegen, die ihn dabei geleitet haben.

Im Jahre 1917 haben die eidgenössischen Räte einstimmig das Postulat der Herren" Meyer, Bühler und Micheli betreffend die Reorganisation und den Ausbau der schweizerischen Auslandsvertretung angenommen. Auch der Bundesrat hat schon lange die Notwendigkeit einer solchen Neuordnung empfunden, die während des Krieges besonders deutlich hervorgetreten ist. Der Krieg hat die Wichtigkeit direkter Beziehungen der Schweiz mit den neutralen Staaten sowohl in kommerzieller, als auch in politischer Hinsicht nachgewiesen. Insbesondere offenbarten sich die Schwierigkeiten, denen die Schweizerkolonien im Auslande beBundesblatt. 71. Jahrg. Bd. V.

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gegneten, und die Schäden, die sie infolge ungenügender Organe der Eidgenossenschaft erlitten. Diese Nachteile machten sieh namentlich in den nordischen Staaten fühlbar, als anlässlich der Ereignisse in Russland beinahe unüberwindliche Schwierigkeiten sich der Rückkehr der schweizerischen Flüchtlinge durch die Nachbarstaaten der Schweiz nach der Heimat entgegenstellten.

Eine diplomatische Aktion, die mit Erfolg zugunsten unserer Landsleute hätte intervenieren können, fehlte vollständig, und die Folgen dieses Mangels an einer offiziellen Vertretung sind sicherlich zu bedauern. Ebenso verhielt es sich in den Ländern, die zum Kriegsschauplatz gemacht wurden, so insbesondere im> Osten Europas, wo die Schweizer, gänzlich auf sich selbst angewiesen, die schwersten Verluste, erlitten haben, ohne sich dagegen schützen zu können. Es lässt sich nicht bestreiten, dass die ungenügende diplomatische Vertretung der Schweiz im Auslande während des Krieges sich sehr stark fühlbar gemacht hat und dies für den einzelnen wohl mehr noch als für den Staat.

Der Bundesrat hat schon früher versucht, diesem Übelstande teilweise abzuhelfen. Bereits zu Beginn des Krieges hat er einen Geschäftsträgerposten in Rumänien geschaffen und hernach, im Jahre 1917, eine selbständige Gesandtschaft im Haag errichtet..

Ferner hat er die Vertreter der Schweiz in Bukarest und Madrid zu bevollmächtigten Ministern ernannt, den schweizerischen Gesandten in Frankreich auch bei der belgischen und den Gesandten in Spanien bei der portugiesischen Regierung akkreditiert. Er hat zudem noch verschiedene finanzielle Massnahmen getroffen, um den Schwierigkeiten einigermassen zu begegnen, die den Missionschefs aus der Verteuerung der Lebenshaltung entstanden sind.

Immerhin hat der Bundesrat von vornherein alle diese Massnahmen nicht als hinreichend betrachtet. Die Presse und das Parlament selbst haben ihm deutlich zu verstehen gegeben,, dass man noch mehr von ihm erwarte, und dadurch fand er sich in seiner Ansicht bestärkt, dass der Ausbau der schweizerischen diplomatischen Auslandsvertretung ganz allgemein gewünscht wird..

II.

Bei Prüfung der Frage, in welchen Staaten eine Vertretung der Schweiz notwendig erscheint, ergaben sich zwei Gruppen von Staaten, mit welchen der Bundesrat ungleiche Beziehungen unterhält. Einerseits handelte es sich darum, bereits bestehende Vertretungen auszubauen, und anderseits darum, solche neu zu errichten oder von Grund aus zu reorganisieren. Die erste Gruppe.

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die man als diejenige der alten Staaten bezeichnen kann, bilden die nordischen Staaten Schweden, Norwegen und Dänemark, deren politische Struktur durch den Krieg nicht verändert wurde.

Zur · anderen Gruppe gehören die neuen Staaten (Polen, Tschechoslowakei) und diejenigen, die sich vergrössert haben oder von Grund aus umgestaltet wurden, wie dies bei Jugoslawien, Griechenland und der Türkei der Fall gewesen ist.

Schon seit langem befasste sich der Bundesrat mit der Frage der Errichtung einer Gesandtschaft für die drei bedeutendsten nordischen Staaten mit Sitz in Stockholm. Dabei handelt es sich nicht um eine unvermittelte Anknüpfung diplomatischer Beziehungen, sondern um die Weiterentwicklung der bereits bestehenden und die Loslösung des Gesandtschaftspostens in Stockholm von demjenigen in Berlin, mit dem er gegenwärtig noch verbunden ist. Die Nachteile aller Art, die diese Verbindung zur Folge hatte, sind vom Bundesrat schon zu Beginn des Krieges erkannt worden und haben sich in der Folge noch vergrössert, als infolge der russischen und hernach der deutschen Krisis die allgemeine Lage im Norden immer unsicherer wurde.

Anderseits sind die Staaten, die sieh in das Erbe der österreichischen Monarchie geteilt haben, auch abgesehen von den überaus wichtigen kommerziellen Interessen, die in Frage stehen, für die Schweiz von hervorragender politischer Bedeutung geworden. Diese Bedeutung wird in der ganzen Welt anerkannt : die ehemaligen Kriegführenden wie die Neutralen haben sich beeilt, diplomatische Vertretungen in allen diesen Ländern einzurichten oder, soweit sie bereits bestanden, neu zu organisieren.

So hat -- um ein Beispiel anzuführen -- Spanien, das seine Botschaft in Wien durch eine Gesandtschaft zweiter Klasse ersetzt hat, kürzlich in Warschau, Belgrad und Athen Gesandtschaften erster Klasse errichtet. Auch die Schweiz soll in diesen Ländern, die einer gewaltigen Entwicklung entgegengehen, vertreten sein.

Sie ist es ihrem Handel und ihrer Industrie wie auch ihrer politischen Stellung schuldig. Es hiesse die wirtschaftliche Bedeutung dieser Gegenden, die ein Expansionsgebiet ersten Banges für Handel und Industrie darstellen, verkennen, glaubte man 'sie ausser acht lassen zu dürfen, und es würde dadurch auch eine Quelle von Rohstoffen vernachlässigt, deren Produktion ausserordentlich gross
ist. Vor allem aber müsste ein solches Verhalten von diesen Staaten, die der Schweiz während des Krieges Beweise ihres Zutrauens und ihrer Sympathie entgegengebracht haben, als Zeichen des Mangels an freundschaftlichen Gefühlen ihnen gegenüber aufgefasst werden.

99 i Alle diese Staaten sind gegenwärtig in Bern vertreten und haben hier Gesandtschaften errichtet; Schweden und die Türkei schon im Jahre 1915, Serbien und Griechenland 1917, Norwegen und Dänemark 1918, Polen und die Tscheche-Slowakei 1919.

Endlich ist auch im gleichen Jahre die serbische Gesandtschaft durch diejenige des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen ersetzt worden, die ganz Jugoslawien vertritt.

Diese Beweise ihres Wohlwollens und ihrer freundschaftlichen Gefühle haben jene Staaten der Schweiz nicht allein deshalb entgegengebracht, weil Bern während des Krieges an internationaler Bedeutung gewonnen hat, sondern auch deshalb, weil die Schweiz dank ihrer politischen Einrichtungen, ihrer Geschichte, ihrer Zivilisation in diesen Ländern besondere Achtung und besonderes Ansehen genièsst. Griechenland vergisst die Philhellenen nicht, und Polen nicht das Gastrecht, das seine bedeutendsten Landsleute im Exil bei uns genossen haben, und bei allen Völkern haben die Wohltaten des Roten Kreuzes Sympathien für das Land erworben, in welchem diese Institution entstanden ist.

Die internationalen Beziehungen fassen auf gegenseitigem Entgegenkommen; und da.jene Staaten der Schweiz wertrolle Beweise ihrer Freundschaft gegeben haben, so hätte es den Anschein, als unterschätze das Schweizervolk diese Freundschaft, .wenn es die Errichtung der diplomatischen Missionen in der Schweiz nicht mit der Entsendung von Vertretern nach diesen Ländern beantworten würde. Es sind dies Erwägungen von so offensichtlicher Tragweite, dass wir uns füglich mit einem blossen Hinweis darauf begnügen können. Die günstige Stellung, die der Schweiz in der Welt eingeräumt wird, macht es ihr zur unabweisbaren Pflicht, nichts zu unterlassen, "was geeignet ist, die Bande, die sie mit der übrigen Welt verbinden, zu stärken, sie noch enger und noch 'herzlicher zu gestalten.

Die Schweiz muss um so mehr darauf bedacht sein, als auch sie die Folgen des Krieges spüren musste. Die Umgestaltung aller Handelsbedingungen wie auch die Folgen verschiedener von den kriegführenden Staaten getroffenen Massnahmen wirtschaftlicher Natur haben die Handelsbeziehungen, die die Schweiz mit einer Anzahl anderer Staaten unterhielt, in erheblichem Masse beeinträchtigt. Sie hat Absatzgebiete verloren, und sie ist unbedingt darauf angewiesen, solche
wieder zu finden, deren Bedeutung ihr gestatte, ihre Verluste wieder einzubringen und Handel und Industrie in normaler Weise weiter zu entwickeln.

Nun werden aber die kleineren Nationen durch die allgemeine politische Lage und die Anforderungen des Gleichgewichtes

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unter den Staaten unbedingt dazu gezwungen, einander näher zu kommen und sich zu gruppieren. Infolge des Verschwindens eines grossen Nachbarstaates, an dessen Stelle eine Anzahl Staaten getreten sind, deren gegenseitige Politik sich noch nicht klar beurteilen lässt, und die noch eine Weile nicht in der Lage sein werden, einen bestimmenden Einfluss auszuüben, gewinnt die Stellung der Eidgenossenschaft ganz von selbst verhältnismässig erheblich an Bedeutung. Das Verhalten jener Staaten unserem Lande . gegenüber liefert hierfür immer wieder neuen Beweis. Es darf endlich auch nicht ausser acht gelassen werden, dass ein neuer Geist in der Welt erwacht ist, namentlich bei den Völkern, die kürzlich die Freiheit erlangt haben.

So schuldet es auch die Schweiz ihrer hergebrachten liberalen Politik, diese Bestrebungen, bei denen ihr Name und ihr Beispiel so oft angerufen wurden, näher zu verfolgen und ihnen mit Sympathie · zu begegnen. Sie kann hier berufen sein, einen moralischen und politischen Einfluss auszuüben, dessen Rückwirkung auf wirtschaftlichem Gebiet nicht ausbleiben wird.

III.

Es ist kein leichtes, die wirtschaftliche Bedeutung der Staaten, in denen die Schweiz nunmehr vertreten sein soll, ohne Zuhilfenahme von Statistiken darzustellen; immerhin soll versucht werden, im nachstehenden hiervon ein Bild zu geben und auch in Kürze die Bedeutung des Handels nachzuweisen, den die Schweiz mit ihnen führt.

In diesem Zusammenhang wird auch zu erwähnen sein, wie sich die Stellung der Schweiz zu diesen Staaten in rechtlicher Beziehung gestaltet, wobei aber schon jetzt bemerkt sei, dass in der Regel keine Niederlassungs- und Handelsverträge mit diesen Ländern bestehen. Danach zu trachten, diesem Übelstande abzuhelfen, wird eine der ersten Aufgaben unserer Auslandsvertretungen sein.

t. Gruppe der nordischen Staaten.

Schweden. Norwegen, Dänemark.

Während der Dauer des Krieges wurden die Beziehungen zwischen den nordischen Staaten und der Schweiz beständig beeinträchtigt durch Transitschwierigkeiten und Hindernisse, die die Nachbarstaaten der Schweiz, deren Gebiet in Anspruch genommen werden musste, dem Transit in den Weg legten.

Immerhin haben unsere Handelsbeziehungen namentlich mit

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Schweden, dem für uns in dieser Hinsicht gegenwärtig von allen nordischen Ländern am meisten Bedeutung zukommt, trotz diesen Hindernissen und anderen mit den Ein- und Ausfuhrverboten zusammenhängenden Nachteilen sich stark entwickelt. Die früheren Beziehungen wurden aufrechterhalten und gefestigt, und neue worden begründet.

Zusammenfassend darf gesagt werden, dass der Handel zwischen der Schweiz und Schweden, sowohl was die Einfuhr als auch die Ausfuhr anbelangt, sich in aufsteigender Linie bewegt und einer schönen Zukunft entgegengehen könnte. Die gegenwärtig bereits ansehnliche Ausfuhr von Luxusartikeln und Erzeugnissen der Uhren- und Textilindustrie könnte nach Ansicht der Sachverständigen erheblich vermehrt und auch durch andere Artikel ergänzt werden.

Die Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und Norwegen und Dänemark, wenn auch weniger bedeutend, bewegen sich ebenfalls in aufsteigender Linie.

Alle diese drei Länder haben Gesandtschaften in der Schweiz und zudem eine ziemlich ausgedehnte konsularische Vertretung.

Kürzlich ist auch eine schwedische Handelskammer in Genf gegründet worden.

Die Schweiz ihrerseits besitzt Konsulate in Christiania und Kopenhagen; in Schweden ist seit 1915 der schweizerische Gesandte in Berlin akkreditiert. Dazu kommen noch Konsulate in Stockholm und Malmö, die jedoch gegenwärtig infolge Hinscheides der beiden Inhaber unbesetzt sind. Eine Neuordnung der schweizerischen Vertretung im Norden erscheint somit unbedingt notwendig.

Was nun die zwischen der Schweiz und diesen Staaten abgeschlossenen Verträge anbetrifft, so sind, von den verschiedenen internationalen Abmachungen (Post,Telegraph, Eisenbahnen, Haagerkonvention, Rotes Kreuz usw.), denen sie zu gleicher Zeit wie die Eidgenossenschaft beigetreten sind, abgesehen, folgende Handelsund Niederlassungsverträge zu nennen: Der Freundschafts-, Handelsund Niederlassungsvertrag zwischen der Schweiz und Dänemark vom 10. Februar 1875 mit Zusatzartikel vom 22. Mai gleichen Jahres betreffend die Gleichstellung der Angehörigen beider Länder hinsichtlich der freien Berufsausübung. Zwischen der Schweiz und Norwegen besteht ein Vertrag vom 4. Dezember 1842 betreffend die Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter.

Auf Grund eines Notenaustausches, der am 5. und 20. Mai 1906 stattgefunden hat, gewähren sich beide Staaten überdies mit Be-

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zug auf ihre Angehörigen und den gegenseitigen Handelsverkehr bis auf weiteres die Rechte der meistbegünstigten Nation. Zwischen der Schweiz und Schweden ist der vorerwähnte zwischen der Eidgenossenschaft und den Vereinigten Königreichen Schweden und Norwegen abgeschlossene Vertrag vom 4. Dezember in Kraft geblieben.

Die Rechtsverhältnisse unserer Landsleute in Norwegen und Schweden sind demnach nur dürftig geregelt. Namentlich weisen grosse Lücken auf unsere internationalen vertraglichen Beziehungen mit Schweden, mit dem wir als einzige Vereinbarung über diesen Gegenstand die wenig ausführlichen Spezialbestimmungen der Konvention von 1842 aufzuweisen haben. Die Nachteile, die hieraus für die Entwicklung unserer Beziehungen mit Schweden entstehen, wurden bereits an früherer Stelle angedeutet.

Unseren Vertretern in den nordischen Staaten steht somit eine wichtige Aufgabe bevor, die für die Zukunft unseres Landes von grosser Bedeutung sein wird. Die Fortentwicklung unserer Beziehungen mit dem Norden Europas scheint eine gesicherte zu sein, wobei namentlich noch zu berücksichtigen ist, dass sie durch die Rheinschiffahrt wesentlich gefördert werden wird. Auf diesem Wege wird insbesondere die Einfuhr in die Schweiz von solchen Rohstoffen in hohem Masse erleichtert werden, die sich hierzu eignen.

Von den Handelsbeziehungen abgesehen, muss es der Schweiz auch daran gelegen sein, die freundschaftlichen Bande, die sie mit den drei bedeutendsten Staaten im Norden Europas verbindet, noch enger zu gestalten. Zweifelsohne weisen diese Staaten in bezug auf Kultur und Temperament grosse Ähnlichkeit mit unserem Lande auf.

II. Polen.

Das heutige Polen setzt sich aus Provinzen zusammen, die vor dem Kriege zu Russland, Österreich und Deutschland gehörten. Seine Grenzen sind noch nicht genau festgesetzt. Zu Russi seh-Polen, Galizien, Posen und dem Freistaat Danzig werden nach dem Plebiszit möglicherweise noch Preussisch-Schlesien und die masurischen Provinzen (Bezirk Allenstein) hinzukommen, und die Ostgrenze wird erst dann zu bestimmen sein, wenn über die politische Zukunft Lithauens und der von Polen besetzten Gebiete Wolhyniens, Podoliens und der Ukraine entschieden ist. Von diesen letztgenannten Provinzen abgesehen, hat Polen 25,971,000 Einwohner (gemäss Zählung von 1910 und einschliesslich der dem Plebiszit unterliegenden Provinzen) und einen Flächeninhalt von ungefähr 288,000 km 2 .

'

998 Es handelt sich also um ein Land von hervorragender Bedeutung, das sich vor allem durch seine grosse Rohstoffproduktion kennzeichnet. Landbau und Industrie sind dort stark entwickelt und geben dem Lande die Möglichkeit, Landprodukte, namentlich aber auch Mineralien, wie Kohle und Petrol, in ganz grosse» Mengen auszuführen. Im Jahre 1913 wurden in den polnischen Gebieten über 57 Millionen Tonnen Kohle zutage gefördert, wozu noch unübersehbare Eisen-, Pottasche-, Salz- und Kupferlager usw. zu rechnen sind. Auch die Textilindustrie, die Lebensrnittel- und Holzindustrie ist dort sehr blühend. Es ist beinahe unmöglich, eine erschöpfende Darstellung der Reichtümer und der Produktionsfähigkeit Polens zu geben, ohne auf weitläufige Einzelheiten einzutreten und viele Zahlen anzuführen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Polen in der Lage ist, eine sehr grosse Menge Rohstoffe allererster Bedeutung, wie insbesondere Eisen und Kohle auszuführen. Zudem bildet es dank seinem wirtschaftlichen Aufschwung und seinen Bedürfnissen nach Fabrikaten, insbesondere Erzeugnissen der Industrie, für den ausländischen Handel ein sehr wichtiges Expansionsgebiet.

Polen ist gegenwärtig in der Schweiz durch eine Gesandtschaft vertreten, die im Jahre 1919 errichtet wurde. Es besitzt ausserdem Konsulate in Bern, Zürich und Genf. In Genf besteht zudem eine polnische Handelskammer.

Die Schweiz unterhält in Warschau ein Konsulat, das gegenwärtig infolge Demission des Inhabers unbesetzt ist und provisorisch verwaltet wird.

Da die Rechtsverhältnisse zwischen den beiden Ländern zurzeit noch durch keinerlei Übereinkunft geregelt sind, hat der Bundesrat, im Bestreben diesem bedauerlichen Zustande ehestens abzuhelfen, im Oktober abbin Herrn Junod, ehemaliger Ministerresident in Petrograd, in Spezialmission dorthin entsandt, um ein vorläufiges Abkommen zu treffen. Doch wird es notwendig sein, möglichst bald einen definitiven Vertrag abzuschliessen, der den diplomatischen und Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern feste Grundlage verleihe. In der Tat sind die schweizerischen Interessen in Polen gegenwärtig sehr bedeutend ; man denke beispielsweise an diejenigen, die an den Kohlenbergwerken im Dombrowabecken und an dem Unternehmen der Société d'éclairage de 1886 à Pétrograde in Lodz bestehen. Sie sind infolge des Krieges
beeinträchtigt worden, so dass es dringlich erscheint, die Interessen der schweizerischen Inhaber solcher Werte zu wahren.

Von allen aus dem Krieg hervorgegangenen Staaten ist sowohl in wirtschaftlicher als in politischer Hinsicht Polen wohl

99» der bedeutendste. Alle Staaten der Welt haben dies bereits eingesehen und trachten danach, ihre Beziehungen mit diesem Lande zu entwickeln, so vor allem Deutschland und die Vereinigten Staaten. Auch die Schweiz ist in die Konkurrenz getreten, und die erzielten Resultate eröffnen gute Aussichten.

Auch in politischer Hinsicht nimmt Polen eine wichtige Stellung ein. Es ist der zurzeit mächtigste Staat zwischen dem Westen Europas und Russland und bildet zudem den notwendigen Übergang zwischen den westlichen Ländern und Russland und der Ukraine und wird in dieser Eigenschaft in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen. Zurzeit lassen sich die Ereignisse in Russland von dort aus am zuverlässigsten verfolgen, was namentlich für die Schweiz, deren Angehörige in grosser Zahl in jenem Lande zurückgeblieben sind, keineswegs zu unterschätzen ist.

Die polnische Regierung hat ihrem Wunsch, eine offizielle Vertretung der Schweiz in Warschau zu empfangen, deutlich Ausdruck gegeben, und es wäre zu bedauern, wenn die Eidgenossenschaft diesen Anlass nicht gerne benützen würde, um enge freundschaftliche Bande mit einer Nation zu knüpfen, der sie von jeher aufrichtigste Sympathien entgegenbrachte.

III. Sukzessionsstaaten Österreich-Ungarns.

Vor dem Kriege waren die Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und Österreich-Ungarn, sowohl was den Export als auch den Import anbetrifft, von geringerer Bedeutung als diejenigen, die wir mit den anderen Nachbarstaaten unterhielten. Dies seheint damit zusammenzuhängen, einerseits, dass eine einzige Eisenbahnlinie, auf der ein intensiver Verkehr stattfinden kann, beide Länder verbindet, und anderseits damit, dass der Warenaustausch zwischen ihnen einer bestimmten Orientierung entbehrte. Zudem waren, die bestehenden vertraglichen Bestimmungen der Entwicklung der Handelsbeziehungen nicht besonders günstig. Immerhin haben die Zahlen der Statistik für die Zeit von 1901--1911 eine ziemliche Erhöhung aufzuweisen.

Bei der Weiterführung unserer Handelsbeziehungen mit den Sukzessionsstaaten Österreich-Ungarns handelt es sich einmal um die Wiederaufnahme der allmählich im Zunehmen begriffenen Beziehungen mit diesen Ländern, sodann aber auch darum, sie gemäss den besonderen Verhältnissen der einzelnen Staaten neu zu gestalten und zu entwickeln.

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A. Tscheche-Slowakei.

Zur Tscheeho-Slowakei gehören gegenwärtig Böhmen, Mähren, österreichisch Schlesien und die Slowakei, deren Bevölkerung nach der Volkszählung von 1910 folgende Zahlen aufweist: Böhmen 6,?69 Millionen Mähren 2,622 ,, Schlesien 0,757 ,, Zusammen 10,us Millionen Somit ergibt sich, wenn die Bevölkerung der Slowakei auf zirka 5 Millionen Seelen geschätzt wird, eine Gesamtzahl von 15 Millionen Einwohner. Das Gebiet dieses Staates umfasst zirka 140,000 km2. Sowohl hinsichtlich der Bodenfläche als auch der Bevölkerungszahl bildet die Tscheche-Slowakei den Fünfteil der ehemaligen Doppelmonarchie.

Die Tscheeho-Slowakei weist fruchtbare, für den Landbau besonders geeignete Gegenden auf und hat daneben auch ziemlich grosse Bergwerke, worunter namentlich die Silber-Bergwerke in der Umgebung Prags und die Kohlenbergwerke Schlesiens, Böhmens und Mährens Erwähnung verdienen ; ihre Ertragsfähigkeit ist allerdings im Abnehmen begriffen.

Was den Ackerbau und die landwirtschaftlichen Unternehmen anbetrifft, so ist vor allem der Anbau von Gerste, Hopfen, Kartoffeln und Zuckerrüben zu nennen, Produkte, die vornehmlich zur Herstellung von Malz, Bier, Alkohol und Zucker dienen. Der Grossteil des von Österreich der Schweiz gelieferten Zuckers rührte aus den tschechischen Zuckerfabriken her. Auch der Holzexport ist beträchtlich.

Aus der Industrie, die sehr blühend ist, seien erwähnt die Glas- und Porzellanindustrie, die Metall- und Textilindustrie und die damit zusammenhängenden Unternehmen..

Gegenwärtig hat die Tscheeho-Slowakei mit allerlei Schwierigkeiten wirtschaftlicher Natur zu kämpfen, und die einheimische Industrie ist infolge Mangels an Kohlen und Rohstoffen nicht in der Lage, die Bedürfnisse des Landes zu decken. Dies veranlasste den Staat, die Beschaffung von Rohstoffen für die Industrie an die Hand zu nehmen und geeignete Massnahmen zu ergreifen, um den Ankauf von Lebensmitteln im Ausland zu erleichtern.

Diese staatlichen Organisationen habon sich zu diesem Zwecke unverzüglich mit den Entente-Staaten in Verbindung gesetzt und auch die Schweiz konnte Lebensmittel, Textilprodukte usw. dorthin ausführen, die im Zeitpunkte des Waffenstillstandes auf Lager

1001 waren und mit eigens dazu eingerichteten Warenzügen unter militärischer Eskorte befördert wurden. Auf diesem Wege wurde der Handel zwischen der Schweiz und der Tschecho-Slowakei erheblich gefördert.

Die Tschecho-Slowakei wird in der Schweiz durch eine Gesandtschaft vertreten. · Die Schweiz besitzt ein Konsulat in Prag.

Handels- oder Niederlassungsverträge bestehen zwischen der Schweiz und der Tschecho-Slowakei noch nicht, und es wird daher eine der ersten Aufgaben der schweizerischen Vertretung sein, solche Abkommen anzubahnen. Der ßundesrat hat bereits Herrn Junod, ehemaliger Ministerresident in Russland in Spezialinission nach Prag entsandt, um die Aufnahme offizieller Beziehungen zwischen beiden Regierungen vorzubereiten. Die Tschecho-Slowakei ist eines der Länder der früheren österreichisch-ungarischen Monarchie, das in jeder Hinsicht am weitesten fortgeschritten ist.

Der freundliche Empfang, welcher der schweizerischen Mission in Prag bereitet wurde und die Erklärungen, die ihr abgegeben wurden, lassen darauf schliessen, dass die tschecho-slowakische Regierung den aufrichtigen Wunsch hegt, seine Beziehungen mit der Schweiz nach allen Richtungen hin zu vermehren.

B. Jugoslawien, Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen.

Das frühere Serbien, dessen Bevölkerung zirka 6 Millionen Seelen zählt, hat infolge seiner Vereinigung mit den Nachbarländern, mit welchen es jetzt das neue Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen bildet, einen Bevölkerungszuwachs von ungefähr 6 Millionen Seelen erhalten; das gegenwärtige Königreich weist demnach eine Bevölkerungszahl von ungefähr 12 Millionen Seelen auf.

Der serbisch-kroatisch-slowenische Staat wird für die Schweiz wertvolle Absatzgebiete bieten können, so dass ein Ausbau der gegenwärtigen schweizerischen Vertretung in diesem Lande wünschbar erscheint. Dank seinem Zusammenschlüsse mit den jugoslawischen Gebieten, die reich an Bergwerken sind, wird Serbien in Zukunft zweifelsohne eine Stelle ersten Ranges im Balkan einnehmen. An sich bleibt es ein Agrarstaat und verdient von diesem Standpunkt aus alle Beachtung seitens des schweizerischen Handels. Es haben denn auch schweizerische Handelskreise, von der Annahme ausgehend, dass die schweizerischen Erzeugnisse in Jugoslawien ein günstiges Absatzgebiet finden dürften, bereits

1002 Anstrengungen gemacht, um den Export nach diesen Gegenden zu organisieren.

Sobald die Wiederherstellungsarbeiten so weit gediehen sind, dass das Eisenbahnwesen und die Flussschiffahrt in zuverlässiger Weise funktionieren können, wird das neue Königreich in grossen Mengen Getreide, Gemüsepflanzen, Kartoffeln, Rüben, Kohl, Früchte, Wein, Tabak, Geflügel und Eier ausführen können. Ferner sind zahlreiche Bergwerke zu nennen, insbesondere die Eisenbergwerke von Vares, die Kupferbergwerke von Bor und die Kohlenbergwerke von Trifail.

Für einen Industriestaat wie die Schweiz, der auf grosse.

Absatzgebiete für seine Erzeugnisse angewiesen ist, bietet Jugoslawien die günstigsten Bedingungen für den Austauschhandel.

Es macht sich dort das Verlangen bemerkbar, neben der politischen auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erlangen.

Jugoslawien wird durch eine Gesandtschaft in Bern vertreten und besitzt ausserdem ein Generalkonsulat und eine Handelsagentur in Genf.

Die Schweiz hat ein Generalkonsulat in Belgrad.

Die Rechtsverhältnisse zwischen der Schweiz und Serbien werden, abgesehen von den internationalen Konventionen und Abmachungen, geregelt: Im Niederlassungsvertrag vom 16. Februar 1888 und im Handelsvertrag vom 28. Februar 1907. Beide Verträge haben auch in den neuen Gebieten dieses Staates Geltung.

Die schweizerischen Vertreter werden dessenungeachtet wichtige und schwierige Fragen zu lösen haben, die mit den Kriegsschäden zusammenhängen und genauer Prüfung bedürfen. Diese Fragen werden notwendigerweise von beiden Regierungen gemeinsam untersucht werden müssen, was die Anwesenheit von schweizerischen Vertretern in Belgrad bedingt, die dieser Aufgabe gewachsen seien und auch die erforderliche Stellung einnehmen, um darüber verhandeln zu können.

Schon seit langem haben die herzlichen Beziehungen, die die Schweiz mit Serbien unterhält, sich in einer für die Zukunft beider Völker erfreulichen Weise vermehrt. Nun bietet sich uns die Gelegenheit, zu bekunden, dass uns daran gelegen ist, sie noch herzlicher zu gestalten. Wir wissen, dass das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen Wert darauf legt, dass die Schweiz in Belgrad eine diplomatische Vertretung besitze, und so hält es der Bundesrat für seine Pflicht und als im Interesse des Landes liegend, diesem Wunsche zu entsprechen, dessen Vorhandensein ihm bekannt ist, und dessen Wert er zu schätzen weiss.

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IV. Griechenland.

Griechenland hat eine Ausdehnung von 120,060 km 2 Bodenfläche, Kreta mitgerechnet, und eine Bevölkerung von 5 Millionen Einwohner. Ausserdem ist noch der Gebietszuwachs zu berücksichtigen, der diesem Lande in Kleinasien und Thrazien zugestanden ist oder noch werden soll und wodurch seine Bodenfläehe um das Doppelte vergrössert und seine Bevölkerung um zirka 2 Millionen 600,000 Seelen vermehrt würde. Die Schweizerkoionie darf ungefähr auf zirka 1000 Personen geschätzt werden, Griechenland führt namentlich Südfrüchte und Weine nach der Schweiz aus, wogegen ein grosser Teil unserer Industrien, insbesondere die Uhrenindustrie, die Lebensmittel-und die chemische Industrie, ihre Erzeugnisse nach Griechenland ausführen. Man kann zusammenfassend sagen, dass das Interesse der schweizerischen Produzenten für den griechischen Markt ein ganz allgemeines ist.

Griechenland wird in der Schweiz durch eine im Jahre 1917 errichtete Gesandtschaft vertreten. Es besitzt ausserdem Generalkonsulate in Bern, Zürich und Genf und ein Konsulat in Lugano.

Die Schweiz 'hat ein Generalkonsulat in Athen. Der Posten eines Konsuls, der- in Patras, der wichtigsten Hafenstadt im Peloponnes, bestand, ist gegenwärtig unbesetzt.

Die Rechtsverhältnisse zwischen beiden Ländern werden der Hauptsache nach in einer provisorischen Handelsübereinkunft vom 10. Juni 1887 geordnet.

Wenn auch die Handelsbeziehungen zurzeit noch nicht sehr enge sind, so nimmt doch die Zahl der abgeschlossenen Geschäfte stets zu und lässt namentlich auch im Hinblick auf die allmähliche Verbesserung der Verkehrsmöglichkeiten die Zukunft in günstigem Lichte erscheinen.

Hinzu kommt noch, dass Griechenland durch die Friedensverträge einen erheblichen Gebietszuwachs erhalten wird, dank dem es unter den Ländern am Mittelmeer eine erste Stelle wird einnehmen können. Grosse Gebiete Kleinasiens werden zu Griechenland kommen, die reich, bevölkert und entwicklungsfähig sind.

Bis anhin standen sie unter türkischer Herrschaft und damit auch unter dem wirtschaftlichen Einfluss Deutschlands; indessen deutet alles darauf hin, dass sie unter der griechischen Herrschaft der internationalen Konkurrenz offen stehen und für den Handel ein reiches Expansionsgebiet gewähren werden. Ausserdem ist Griechenland, das, was die Eisenbahnverbindungen anbetrifft, vom

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übrigen Europa abgeschlossen war, nunmehr infolge der während des Krieges erfolgten Eröffnung der Eisenbahnlinie von Canisa im Besitze einer internationalen Linie, der für die Verbindung Europas mit dem nahen Orient und den Ländern östlich des Mittelmeeres grosse Bedeutung zukommt.

In richtiger Erkenntnis der ausserordentlich günstigen Aussichten, die der Schweiz in Griechenland dank der Sympathien, die sie dort erworben hat, gesichert sind, ist die Schweizerkolonie in Athen mit Eifer an die Arbeit gegangen. Im Jahre 1918 wurde unter dem Protektorat des Herrn Venizelos und des schweizerischen Generalkonsuls in Athen, Herrn Schneider, die Ligue Gréco-Suisse Jean J. Eynard gegründet, mit der Aufgabe, die zwischen beiden Ländern bestehenden Freundschaftsbande enger zu knüpfen und ihre gegenseitigen Beziehungen auf moralischem und materiellem Gebiet nach Kräften zu fördern.

Diese freundschaftlichen Beziehungen datieren aus der Zeit derersten Freiheitsbestrebungen in Griechenland. Sie sind ein Jahrhundert lang aufrechterhalten worden und haben sich inzwischen noch enger gestaltet, dies sowohl dank der Tätigkeit der Schweizer, die sich in grosser Zahl in Griechenland niedergelassen haben, wo ihre Arbeit geschätzt wird und wo sie sehr oft bedeutende Stellungen eingenommen haben, als auch dank dem immer wieder bekundeten Wohlwollen der griechischen Regierung. Die Teilnahme dieser Regierung an den jüngsten Bestrebungen der in Griechenland niedergelassenen Schweizer zur Förderung der gegenseitigen Beziehungen bietet uns sichere Gewähr und neben vielen ändern auch ein weiteres wertvolles Zeugnis dafür, dass in.

Griechenland auf die Freundschaft der Schweiz Wert gelegt wird. Es entspricht daher den höheren Interessen beider Nationen, wenn wir das Wohlwollen, das uns entgegengebracht wird, nicht unbeachtet lassen.

V. Türkei.

Seit vielen Jahren ergeht immer wieder die Aufforderung an den Bundesrat, eine schweizerische Vertretung in der Türkei zu errichten. Es wurde wiederholt auf die hervorragende Stellung dieses Landes im Orient und auf die unbedingte Notwendigkeit hingewiesen, dass die Schweiz dort geziemend vertreten sei. Der Bundesrat wäre diesem Wunsche gerne nachgekommen; er ist aber immer wieder auf den Widerstand der ottomanischen Regierung gestossen, der es widerstrebte, die Zahl der Kapitularstaaten zu vermehren. So musste denn dieses Projekt fallen gelassen werden und die Schweiz sich mit dem Schütze begnügen, den

1005 die in Konstantinopel vertretenen Mächte unseren Landsleuteiï gewährten, die darum nachsuchten.

Die Lage verschlimmerte sich noch ganz bedeutend, als die Türkei zu Beginn des Krieges die Kapitulationen abschaffte, und es steht ausser Zweifel, dass unsere Landsleute hierunter schwer zu leiden hatten. Sobald die Verbindungen mit der Türkei wieder hergestellt wurden, gelangten zahlreiche Klagen nach Bern, worin mit Nachdruck auf die sehr bedauerlichen Folgen hingewieser« wurde, die der Mangel an Schutz für die von der Heimat im Stich gelassene Schweizerkolonie gezeitigt hatte, und hervorgehoben, dass die Anwesenheit eines offiziellen Agenten der Eidgenossenschaft in der Türkei der Kolonie die grössten Dienste hätte leisten können. Jetzt heisst es, das Verlorene wieder zurückgewinnen und der Schweiz ihre Stelle in der Weltkoakurrenz sichern, die gegenwärtig in der Türkei Platz greift.

und der Bundesrat glaubt daher, aus der bisher beobachteten Reserve heraustreten zu sollen.

Anderseits ist es unbedingt notwendig, dass die Schweizerkolonie in Konstantinopel sich zusammenschliesse und ein einheitliches Ganzes bilde. Es steht ausser Zweifel, dass das Bewusstsein nationaler Tradition durch die Tatsache wenig gestärkt wurde, dass die Schweizer in ihrer Eigenschaft als Schutzbefohlene verschiedenen fremden Missionen sich zuwandten, die oft einander feindlich gegenüberstanden.

Wenn grössere Nachteile hieraus nicht entstanden sind, so ist dies lediglich dem Umstände zu verdanken, dass das Zusammengehörigkeitsgefühl unter Schweizern trotz allem lebendiggeblieben ist. Dieses Gefühl darf aber nicht vernachlässigt werden.

und dürfen unsere Landsleute nicht den Eindruck erhalten, dass sie von der Heimat im Stiche gelassen werden; gerade jetzt nicht, wo alle Staaten bestrebt sind, ihre Angehörigen im Auslande zu gruppieren und ihr patriotisches Solidaritätsgefühl zu stärken. Es muss daher sowohl im Interesse der Schweizer in der Türkei als auch in demjenigen der Eidgenossenschaft selbst wünschbar erscheinen, dass die Kolonie in der Person eines Vertreters der Eidgenossenschaft bei der Hohen Pforte ein natürliches Oberhaupt erhalte, das sie bei der Regierung vertrete.

Ausser dieser wird der Vertreter der Schweiz noch andere zahlreiche Aufgaben auf dem Gebiete der Volkswirtschaft und des Handels zu erfüllen haben.

In der Zeit vor dem Kriege war der Ausfuhrhandel aus der Türkei nach der Schweiz nicht besonders entwickelt, wenn auch

1006 eher im Zunehmen begriffen ; unter dem Krieg hat er sehr stark .gelitten.

Auch die Ausfuhr aus der Schweiz nach der Türkei, die sich in den Jahren 1907--1913 noch in einem bescheidenen Rahmen bewegte, schien einer günstigen Entwicklung entgegenzugehen, bis sie der Krieg jäh unterbrach.

Das Gesagte trifft namentlich für die europäische Türkei zu, und hier ist der durch den Krieg verursachte Rückgang der Geschäfte seit 1917 beinahe wieder gänzlich behoben worden.

Die Schweiz führte vor dem Kriege neben Seiden- und Baumwollstoffen, Uhren und Bijouterie namentlich Schokolade, Käse und kondensierte Milch nach der Türkei aus. Es ist sehr interessant, die Anstrengungen zu verfolgen, die die schweizerische Produktion gegenwärtig macht, um ihre in der Türkei vorübergehend verloren gegangene Stellung wieder zurückzugewinnen und den Handel mit diesem Lande zu fördern. So haben sich kürzlich in Bern ·zwei Gesellschaften mit schweizerischem Kapital zu 'diesem Zwecke gegründet.

Auf industriellem Gebiet, anderseits, liegt Grund zur Annahme vor, dass die Türkei, nachdem sie sich vom deutschen Einfluss befreit hat, ihre Absatzgebiete wieder für die allgemeine Konkurrenz offen halten wird und dass die Schweiz, die während des Krieges politisch neutral blieb, hieraus gewisse Vorteile wird ziehen können.

Endlich sei auch daran erinnert, dass zahlreiche Schweizer in der Türkei hohe Verwaltungsstellen bekleidet haben, und es ist durchaus nicht ausgeschlossen, dass dieser für unsere LandsJ'eute besonders vorteilhafte Umstand sich neuerdings verwirkliche.

Auch in dieser Hinsicht könnte eine schweizerische Vertretung von grossem Nutzen sein.

Zu erwähnen sind noch die bedeutenden finanziellen Interessen der Schweiz in der Türkei, so insbesondere diejenigen ·der Bank für Orientalische Eisenbahnen in Zürich, die nach der Bilanz vom 30. Juni 1917 mit 44 Millionen Franken an türkischen Eisenbahnunternehmungen interessiert ist, wobei allerdings auch noch ausländische Finanzgruppen mit beteiligt sind.

Die Türkei ist in Bern durch eine Gesandtschaft vertreten, ·die im Jahre 1915 gegründet wurde. Sie besitzt ausserdem ein Generalkonsulat in Zürich und ein Konsulat in Genf. In Lausanne besteht eine türkische Handelskammer.

Die gegenseitigen Verhältnisse beider Staaten in rechtlicher Beziehung sind lediglich durch einen am 21. Mai 1917 in Bern und

1007 am 22. Mai gleichen Monats in Berlin erfolgten Notenaustausch einigermassen geregelt worden. Dadurch wurden die unter deutschem Schütze stehenden Schweizer in der Türkei der Stellung teilhaftig erklärt, die den Deutschen auf Grund des deutsch-türkischen Vertrages zukommt. Den ändern Schweizern stand es frei, sich unter den Schutz einer ändern Macht zu stellen, die aber für alle ·dieselbe sein sollte. In diesem zweiten Fall unterliegen unsere Landsleute einzig den Bestimmungen des allgemeinen Völkerrechts.

In einem späteren Spezialabkommen wurde Holland zu diesem weiten Schutzstaat erwählt. Dieses Abkommen, das provisorischen Charakter trägt, ist seit dem 22. Mai 1919 widerruf bar.

Während der Besetzung Konstantinopels durch die Ententetruppen hat Schweden die Vertretung der deutschen Interessen übernommen, so dass unsere Landsleute gegenwärtig die Wahl zwischen dem holländischen und dem schwedischen Protektorate haben.

Daraus ergibt sich, dass die erste Aufgabe eines Vertreters der Schweiz in der Türkei sein wird, die Handelsbeziehungen zu reorganisieren und die Verhandlungen zum Abschlüsse des künftigen Vertrages anzubahnen, der es uns ermöglichen soll, unsere Landsleute, und ihre Interessen zu schützen. Diese Aufgabe ist dringlicher Natur und daher hat der Bundesrat grundsätzlich beschlossen, eine schweizerische Vertretung in Konstantinopel zu schaffen.

IV.

Es wurde im vorangegangenen versucht, ein Bild zu geben Ton der Bedeutung der in Frage stehenden Länder und der Zukunft, die dem schweizerischen Handel dort beschieden sein'kann.

Die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und .soziale Umwälzung wird lange noch die Rückkehr zu gesicherten politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen erschweren. Die allgemeine Unsicherheit erheischt, dass die politische und wirtschaftliche Lage beständig im Auge behalten werde, damit ihre Schwankungen festgestellt und, wenn möglich, auch vorausgesehen werden können. Es ist mithin unerlässlich, dass die Schweiz im Interesse ihrer Politik und ihres Handels beständig Fühlung behalte, namentlich mit den neuen Staaten, wo diese Umwälzungen besonders tiefgreifend und heftig gewesen sind und wo infolgedessen auch die Rückkehr zu normalen Verhältnissen länger auf sich warten lassen wird. Probleme dieser Art können nur an ·Ort und Stelle untersucht und näher verfolgt werden.

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1008 Das gleiche gilt von den Handelsnachrichten. Solche Nachrichten, deren eine zielbewusste Politik unbedingt bedarf, müssen selbstverständlich im betreffenden Lande selbst und bei der Regierung, mit der man zu verhandeln haben wird, eingeholt werden. Deshalb ist der Bundesrat überzeugt, dass es eine Lebensfrage für die Schweiz ist, in diesen Ländern regelmässig vertreten zu sein, in denen sie ein reiches Arbeits- und Absatzgebiet finden wird. Auch im Hinblick auf den Schutz, dessen unsereLandsleute unter den durch den Krieg geschaffenen Verhältnissen in vermehrtem Masse bedürfen, erscheint ihm eine solche Vertretung dringend wünschbar.

Bei Ausarbeitung des nunmehr der Bundesversammlung vorgelegten Planes haben sich zudem noch Fragen anderer Natur' gestellt.

Einmal konnte es sich fragen, ob es nicht zweckmässig sei, zum mindesten für den Anfang, in diesen Ländern in gleicherweise vorzugehen, wie es beispielsweise in Süd-Amerika geschehen ist, und den gleichen Gesandten, der Chef eines bereits bestehenden Postens wäre, auch in den neu zu errichtenden Posten zuakkreditieren. Die bereits erwähnten Nachteile, die die Vereinigung des Postens von Stockholm mit demjenigen von Berlin nach sich zog, Hessen indessen von vorneherein eine solche Lösung nicht als wünschbar erscheinen. Zudem fiel noch eines in Betracht. Trotz des unbestreitbaren Eifers unserer Vertreteritn Auslande und trotz der Vermehrung des Gesandtschaftspersonals, ist die Aufgabe unserer bestehenden Auslandsvertretungen eine so grosse, dass sich der Bundesrat von der Unmöglichkeit überzeugen musste, den Missionschefs ausserdem noch die Leitung neuer Missionen anzuvertrauen. Dadurch würde in der Tat die Geschäftsführung der bereits bestehenden Posten schwer beeinträchtigt und die neuen Posten würden beinah notwendigerweise illusorisch gemacht. Die Schweiz bedarf aber keiner Vertreter im Auslande, deren Tätigkeit sich darauf beschränken' würde, den Regierungen, bei denen sie akkreditiert sind, alljährlich einen oder zwei Besuche abzustatten ; sie muss eine tätigeund erfolgreiche Vertretung besitzen. Aus diesen Gründen wurde der Plan, die neuen Posten mit bereits bestehenden zu verbinden,, aufgegeben.

Was die Wahl der Hauptstädte anbetrifft, in denen die neuen Gesandtschaften akkreditiert werden, so glaubte der Bundesrat, in den nordischen Ländern Stockholm auserwählen und den schweizerischen Minister in Schweden gleichzeitig in Christiania, und Kopenhagen akkreditieren zu sollen.

1009 Die nordischen Staaten bilden vom geographischen, ethnischen und bis zu einem gewissen Grade auch "vom historischen Standpunkte ein einheitliches Ganzes. In der Begierungsform, in sozialer Beziehung und in bezug auf den allgemeinen Bildungsgrad weisen sie zahlreiche Ähnlichkeiten auf, und ihre politischen wie wirtschaftlichen Interessen sind, was uns anbetrifft, voneinander kaum verschieden. Unter diesen Umständen schien es angezeigt, die Vertretung der Schweiz im Norden Europas in Stockholm zu zentralisieren, als der Hauptstadt des bedeutendsten, und auch von allen dreien am längsten in Bern vertretenen Landes.

In den Oststaaten dagegen wäre eine solche Organisation nicht durchführbar. Diese Staaten bilden jeder für sich geographisch, ethnisch und politisch ein angeschlossenes Ganzes, und ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen sind durchaus verschieden, manchmal auch einander entgegengesetzt.

Sodann erhob sich die wichtige Frage nach der Gestaltung dieser Missionen, genauer nach der Kategorie von offiziellen Agenten, der die Vertreter der Schweiz in diesen Ländern angehören sollen, und zunächst einmal, ob eine diplomatische oder eine konsularische Vertretung vorzuziehen, ob Gesandtschaften oder Generalkonsulate zu errichten seien.

Kein Zweifel besteht in dieser Hinsicht, soweit es sich um die nordischen Staaten handelt. Einzig der diplomatische Vertreter kann gleichzeitig bei mehreren Regierungen akkreditiert sein.

Der Agent, der die Schweiz in drei verschiedenen Ländern vertreten soll, wird also dieser Kategorie angehören müssen.

Zudem ist der Posten in Stockholm schon an sich und dann auch dank der erweiterten Aufgaben, die der Vertreter der Schweiz in dieser Hauptstadt zu erfüllen haben wird, derart wichtig, dass es nicht angezeigt erscheint, einen anderen Vertreter als einen bevollmächtigten Minister dorthin zu entsenden.

Diese Lösung rechtfertigt sich durch wohlbegründete Erwägungen politischer und wirtschaftlicher Natur.

Für die Oststaaten lässt sich die Frage eher diskutieren und ist in der Tat auch eingehend erörtert worden. Erst nach reif-, lieber Überlegung und genauem Abwägen hat sich der Bundesrat entschlossen, den Räten die Errichtung diplomatischer Posten vorzuschlagen. Dabei haben ihn, vom rein politischen Gesichtspunkt abgesehen, folgende Erwägungen geleitet:
Zunächst einmal wäre es mit der diesen Staaten geschuldeten Courtoisie und auch mit dem Wunsche .des Bundesrates, mit ihnen dauernde freundschaftliche Beziehungen zu unterhalten,

1010 unvereinbar gewesen, verschiedene Lösungen anzunehmen, die, ganz zu Unrecht, den Anschein erweckt hätten, die Schweiz sei gewissen Staaten gegenüber -weniger günstig gesinnt als ändern.

Die Anhänger einer ausschliesslich handelsmännischen Vertretung legen das Hauptgewicht auf die Handelsbeziehungen und heben hervor, dass die Schweiz, die keine internationale Politik treiben wolle, keiner diplomatischen Vertretung bedürfe. Der Bundesrat kann dieser Auffassung nicht beipflichten, denn sie scheint ihm den Anforderungen einer Auslandsvertretung, wie sie sich in Wirklichkeit gestalten, keineswegs Rechnung zu tragen. Es ist zwar durchaus zutreffend, dass die neuen Staaten für die Schweiz, die eine bescheidene Rolle in der Welt zu spielen wünscht, mehr wirtschaftliche als politische Bedeutung haben. Man muss sich aber davor hüten, zwischen wirtschaftlichen und politischen Fragen einen Gegensatz zu schaffen, der in Wirklichkeit nicht existiert und auf Grund dieser unhaltbaren petitio principii die einen zugunsten der ändern zu vernachlässigen.

Die gegenseitige Abhängigkeit politischer und wirtschaftlicher Fragen ist eine unbestreitbare Tatsache; die Ereignisse der letzten fünf Jahre haben hierfür überzeugenden Beweis geliefert.

Im modernen Staat werden manche Beschlüsse der Regierung, die die wirtschaftliche Lage beeinflussen, aus politischen Erwägungen heraus gefasst, und dies gilt namentlich für die neuen Staaten, die eine intensive soziale Krisis durchgemacht haben.

Welche Tragweite aber offizielle Schritte, die eine Regierung bei einer ändern befreundeten Regierung im Interesse ihrer einheimischen Industrie unternimmt, haben kann, ist ohne weiteres klar. Die Staaten im Osten Europas haben dem Wunsche Ausdruck verliehen,, die Schweiz möchte der Entwicklung ihres Handels und ihrer Industrie Interesse entgegenbringen und auch daran beitragen, und so müsste man sich dem berechtigten Vorwurf aussetzen, das allgemeine Wohl ausser acht gelassen zu haben, würde man ein so wertvolles Expansionsgebiet vernachlässigen.

Zudem liegt klar vor Augen, wie wichtig und schwierig die Aufgabe der Vertreter sein wird, die die Schweiz zum ersten Male in diese Gegenden entsendet. Auch für sie gilt es, Neues zu schaffen und Zerstörtes wiederherzustellen; sie werden die Verluste zahlreicher einheimischer Unternehmen
im Kriege wieder gut zu machen und die zukünftige Entwicklung unserer Beziehungen mit jenen Ländern anzubahnen haben. Vom Erfolg ihrer Anstrengungen wird zum Teil die Zukunft der Schweiz abhängen.

1011 Der Bundesrat steht nicht an, zu behaupten, dass ein Generalkonsul nicht die gleichen Dienste leisten kann wie ein diplomatischer Agent, und dass ein Konsularagent der Grosse der Aufgabe, die unseren Vertretern im Osten Europas bevorsteht, nicht gewachsen ist. Der konsularische Vertreter kann in der Tat den diplomatischen Agenten nicht ersetzen und ihm in keiner Weise gleichgestellt werden. Einzig der diplomatische Agent hat zu den obersten Regierungsorganen Zutritt; er allein ist in der Lage, der fremden Regierung gegenüber als Vertreter seiner Regierung aufzutreten, sobald es sich um Fragen allgemeiner Natur handelt, wogegen die Generalkonsuln sich nur mit untern Behörden in Verbindung setzen können. Die Schweiz folgt in dieser Hinsieht dem Beispiel dessen, was bei allen ändern Staaten Übung ^o ist.

Um ihrer Aufgabe, die zukünftigen Beziehungen vorzubereiten, gerecht zu werden, müssen unsern Vertretern alle Stellen der offiziellen Auskunfterteilung zugängig sein, damit sie ihrer Regierung alle Mitteilungen verschaffen können, die für sie von Interesse sind. Einzig der diplomatische Agent kann dies tun.

Die schweizerische Regierung muss unbedingt über die Orientierung der wirtschaftlichen Politik des Landes, in dem sie vertreten ist, rechtzeitig unterrichtet sein, und wäre es auch nur, um über die Anstrengungen der ändern konkurrierenden Mächte hinlänglich auf dem laufenden zu sein. Dies ist namentlich in solchen Ländern wichtig, die noch mitten in der politischen und sozialen Evolution stehen. Aus diesen Gründen scheint uns hervorzugehen, dass eine diplomatische Vertretung notwendig ist, um die wirtschaftliche Aktion zu unterstützen.

Endlich darf auch nicht ausser acht gelassen werden, dass der wirksame Schutz unserer Landsleute und unserer Interessen in hohem Masse von der Stellung abhängt, die unsere Vertreter im Auslande einnehmen werden. Es wird nicht selten Fälle geben, wo ein Konsul sich vergeblich an die Lokalbehörden wenden, ein diplomatischer Vertreter aber Erfolg haben würde, dank der Möglichkeit, die er besitzt, sich direkt mit der Zentralregierung in Verbindung zu setzen und mit dem ganzen Gewicht seiner Stellung und seiner Beziehungen für die Sache einzutreten.

Die ausserordentliche Bedeutung dieser Tatsache, die sich wähnend des Krieges deutlich genug offenbart hat, darf nicht unterschätzt werden. Unsere Konsuln, die selbst so oft die Intervention unserer Gesandtschaften anrufen, werden die ersten sein, ·dies -zu bestätigen.

1012 Bei der Wahl der Kategorie der zu entsendenden diplomatischen Agenten musste der Bundesrat sowohl den Anforderungen des Budgets als auch den Bedingungen Rechnung tragen, unter denen seine zukünftigen Vertreter ihre Tätigkeit werden auszuüben haben. Das Budget gestattet es der Schweiz nicht, über die erheblichen Summen zu verfügen, die die Entsendung von bevollmächtigten Ministern erfordern würde. Deshalb glaubte der Bundesrat, sich damit begnügen zu sollen, die neuen Posten mit Geschäftsträgern zu versehen, die der untersten Kategorie der diplomatischen Agenten angehören, aber trotzdem gemäss internationalem Recht und Übung aller Prärogativen und Immunitäten teilhaftig sind, die die Diplomaten geniessen.

Damit hat der Bundesrat gleichsam eine neue Kategorie diplomatischer Vertretungen eingeführt, die den bescheidenen Mitteln, über die die Schweiz verfügt, angepasst ist. Dieses Vorgehen stützt sich übrigens auf eine bereits bestehende Übung, derzufolge die Schweiz in den grössten Staaten Europas viele Jahre hindurch durch Geschäftsträger vertreten gewesen ist.

Nur in der Türkei mag es angesichts der zurzeit nicht hinlänglich abgeklärten politischen Lage noch nicht zweckmässig erscheinen, sich in diesem Lande durch einen diplomatischen Agenten vertreten zu lassen, und hält der Bundesrat dafür, dass hier einem Generalkonsul der Vorzug zu geben sei. Immerhin können die Verhältnisse in der Türkei es von einem Tag auf den ändern erfordern, dass auch dort eine diplomatische Vertretung bestehe, und der Bundesrat glaubt sich daher schon jetzt die Befugnis vorbehalten zu sollen, einen diplomatischen Posten in Konstantinopel zu errichten und ihn durch einen Geschäftsträger zu besetzen.

Gemäss der bis jetzt befolgten Praxis erhalten die Generalkonsuln einen Jahresgehalt von 25,000 Franken, die Kanzleikosten nicht inbegriffen. Für eine Gesandtschaft unter Leitung eines Geschäftsträgers werden die Kanzleikosten so ziemlich die gleichen sein wie bei einem Generalkonsulat, so dass vom finanziellen Standpunkte einzig der Unterschied im Gehalt des Inhabers des Postens in Betracht kommt, der nach den im Voranschlag enthaltenen Vorschlägen für die Geschäftsträger 30,000 Franken betragen soll. Die] Ernennung von Generalkonsuln an Stelle von Geschäftsträgern bedeutet somit eine Ersparnis, die ganz offenbar ·die Nachteile nicht aufwiegt, die die Entsendung eines konsularischen Vertreters vom politischen und wirtschaftlichen Standpunkte aus nach sich ziehen würde.

1013 II. Teil.

Errichtung einer selbständigen Gesandtschaft in Belgien.

Am 15. November 1918 beschloss der Bundesrat, eine schweizerische Gesandtschaft in Belgien zu errichten und den schweizerischen Gesandten in Frankreich in der Eigenschaft eines bevollmächtigten Ministers und ausserordentlichen Gesandten in Brüssel zu akkreditieren. Erwägungen finanzieller Natur hatten den Bundesrat daran verhindert, schon damals eine selbständige Gesandtschaft zu errichten ; da aber zahlreiche Fragen in Brüssel selbst verhandelt werden mussten, sah er sich gezwungen, einen Diplomaten dorthin zu entsenden, um die Gesandtschaft an Ort -und Stelle zu verwalten. So wurde vom November 1918 an die .schweizerische Gesandtschaft in Brüssel unter die Leitung eines Geschäftsträgers gestellt, dem das übliche Kanzleipersonal beigegeben wurde.

Das Politische Departement hat gleich von Anbeginn an vorausgesehen, dass die Verbindung zwischen den Gesandtschaften in Brüssel und Paris eine lockere sein würde ; es muss indessen gestehen, dass diese Voraussicht durch die Tatsachen noch übertroffen wurde. Die schweizerische Gesandtschaft in Belgien hat sich in der Tat gleich von Anfang an in unerwarteter Weise entwickelt, so dass sehr bald das Kanzleipersonal vermehrt und kurze Zeit hernach ein Gesandtschaftssekretär dorthin entsandt werden musste, um den Geschäftsträger zu entlasten. So hat denn, von wenigen Besuchen kurzer Dauer, die ihr der Gesandte von Paris aus abstattete, abgesehen, die Gesandtschaft in Brüssel ganz selbständig bestanden und blieb dem Politischen Departement direkt unterstellt.

Unter diesen Umständen sah sich der Bundesrat veranlasst, auf seinen ursprünglichen Plan, eine selbständige Gesandtschaft in Brüssel zu errichten, zurückzukommen.

Seit seiner Befreiung unterhalten wir mit Belgien dauernde Beziehungen, die sich immer mehr entwickeln. Es ist das Land, auf das wir hinsichtlich der Kohlen Versorgung in erster Linie angewiesen sind. Zudem ist die Schweizerkolonie in Belgien zahlreich, und da sie unter den Kriegsereignissen zu leiden hatte, wünscht sie, dass ihre Interessen hinlänglich wahrgenommen werden.

Unter diesen Umständen und mit Rücksicht darauf, dass die schweizerische Gesandtschaft in Frankreich eine grosse Arbeitslast zu bewältigen hat, die es ihrem Chef unmöglich macht, auch noch die Gesandtschaft in Belgien effektiv zu leiten, hat der

1014 Bundesrat beschlossen, beide Posten voneinander zu trennen und damit den bereits tatsächlich bestehenden Zustand zu einem gesetzmässigen zu machen.

Wenn dadurch eine gewisse Vermehrung der Auslagen bedingt ist, so muss anderseits hervorgehoben werden, dass diese Vermehrung unter allen Umständen" notwendig geworden wäre. Der gegenwärtige Geschäftsträger in Brüssel hat sich in uneigennütziger Weise mit einem Gehalt begnügt, der ganz offensichtlich ungenügend ist und der ohnehin in ganz erheblichem Masse erhöht werden müsste.

Der Buadesrat glaubt daher im Interesse des Landes zu handeln, wenn er einen Minister an die Spitze dieses Postens stellt, und gibt sich der Hoffnung hin, dass die Bundesversammlung die zur Ausführung dieses Beschlusses notwendigen Kreditegewahren wird.

Der Bundesrat empfiehlt daher den eidgenössischen Räten die Annahme des Vorschlages, den er ihnen zu unterbreiten dieEhre hat. Er tut es im ßewusstsein, bei den gefassten Entschlüssen vom Bestreben geleitet gewesen zu sein, die Weiterentwicklung ^o und die Wohlfahrt des Landes zu fördern.

B e r n , den 11. Dezember 1919.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Ador.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Steiger.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Errichtung neuer schweizerischer Gesandtschaften im Auslande. (Vom 11. Dezember 1919.)

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