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Ergänzung zur Botschaft des

Bundesr ates vom 9. Dezember 1918 an die Bundesversammlung, betreffend Beteiligung des Bundes an den Vorkehren der Kantone und Gemeinden, zur Beseitigung des Mangels an Wohnungen.

(Vom 18. März 1919.)

Die Kommission des Nationalrates, welchem zur Beratung der oben bezeichneten Botschaft die Priorität zukommt, verlangt eine Ergänzung dieser Vorlage durch einen Bericht über den neuen Gesichtspunkt der Arbeitsbeschaffung. Ferner wünscht sie eine Ermittlung des Umfanges der Wohnungsnot.

Nach Einvernahme der Regierungen der Kantone, deren Berichte wir Ihren Kommissionen zur Verfügung halten, haben wir folgendes anzubringen : Die Wohnungsnot erstreckt sich nach den Berichten der letztern : Im K a n t o n Z ü r i c h über die Städte Zürich und Winterthur und die Gemeinden Oerlikon, Schlieren, Höngg, Küsnacht, Affoltern bei Zürich, Adliswil, Altstetteu, Töss, Horgen, Thalwil, Wädenswil, Rüti, üstcr und Pfäffikon.

Im K a n t o n B e r n namentlich über die Städte Bern, Biel, Thun, Burgdorf und über die Gemeinden Lengnau, Münster, Wirb, sowie einige Industrieorte des Jura. Ausserdem gibt der Bericht des Regierungsrates eine Zahl von 76 Ortschaften, die in verschiedenem Grade an Wohnungsmangel leiden.

Im K a n t o n L u z e r n über die Stadt Luzern und die Gemeinden Kriens und Emmen.

Im K a n t o n Glarus über den Hauptort Glarus und die Gemeinden Schwanden und Niederurnen.

Im K a n t o n Z u g über die Stadt Zug und die Gemeinde Baar.

Im K a n t o n F r e i b u r g über die Stadtgemeinden Murten und Bulle.

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Im K a n t o n S o l o t h u r n über die Stadt Solothurn und die ·Gemeinden Ölten und Grenchen.

Im K a n t o n B a s e l - S t a d t über die Stadt Basel.

Im K a n t o n S c h a f f h a u s e n über die Gemeinden Schaffhausen, Neuhausen, Stein, Thayngen und Hemmenthal.

Im K a n t o n St. G a l l e n über die Gemeinde Wattwil. In der Stadt St. Gallen besteht zurzeit Wohnungsknappheit, wenn auch nicht gerade Wohnungsnot.

Im K a n t o n A a r g a u über die Stadt Aarau, sowie die Gemeinden Erlinsbach, Suhr, Baden, Fislisbach, Turgi, Untersiggenthal, Wettingen, Wohlen, Brugg, Windisch, Lenzburg, Scon, Zofingen, Aarburg, Oftringen, Rothrist, Brittnau, Kölliken, Safenwil, Mühlethal, Uerkheim, Staffelbach, endlich über alle 23 Gemeinden des Bezirkes Zurzach.

Im K a n t o n T h u r g a u über die Stadt Frauenfeld und die Gemeinden Arbon, Egnach, Amriswil, Basadingen, Diessenhofen, Kreuzungen, Illighausen, Sirnach, Wängi, Emmishofen, Ermatingen, Scherzingen, Tägerwilen, Müllheim und Salenstein. In 16 weitern Gemeinden herrscht Wolmungsknappheit in der Weise, dass alle Wohnungen besetzt sind.

Im K a n t o n W a a d t über einige industrielle Gemeinden, als Nyon, Renens, Cossonay, Daillens, Orbe, Chavornay, Yverdon, sowie besonders über St. Croix und das Jouxtai. Villeneuve geht, weil dort die Eröffnung einer industriellen Anlage bevorstehe, einer Wohnungskrise entgegen, und Lausanne, wo dermal noch mehr als 200 Wohnungen verfügbar seien, werde in einiger Zeit Wohnungsmangel haben.

Im K a n t o n W a l l i s über die Gemeinde Brig. Für Visp, Monthey, Martigny-Ville, Sitten, Sierre und Vernayaz wird Wohnungsknappheit gemeldet.

Im K a n t o n N e u e n b u r g über die Gemeinden La Chaux<3e-Fonds und Locle.

Wohnungsmangel ist noch nicht eingetreten in den Kantonen Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwaiden, Basel-Land, Appcnzell A.-Rh.

und Appenzell I.-Rh., Graubünden, Tessin und Genf.

Vorstehende Angaben zusammengefasst, ist zu sagen, dass zurzeit von den 3012 Gemeinden der Schweiz 194 (d. h. 6,4 °/o) an Wohnungsmangel leiden. Für 24 derselben, d. h. für Zürich,

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Winterthur, Oerlikon, Schlieren, Höngg, Küsnacht, Afifoltern bei Zürich, Adliswil, Altstetten, Töss, Horgen, Thalwil, Wädenswil, Rüti, Uster, Pfäffikon, ' Bern, Biel, Tramelan-Dessus, Corgémont, Solothurn, Ölten, Grenchen und La Chaux-de-Fonds, ist schon die Bundeshilfe für eine Bausumme nachgesucht worden, welche die Berechnung, von der unsere Botschaft vom 9. Dezember 1918 ausgeht, bedeutend übersteigt.

* « $ Die für die Ausführung der notwendigen Wohnungsbauten gewünchte Hilfe empfiehlt sich nicht nur vom allgemeinen in Art. 2 der Bundesverfassung vorgesehenen Gesichtspunkte der Förderung gemeinsamer Wohlfahrt, sondern ganz besonders auch, von demjenigen des wirtschaftlichen Bedürfnisses der Arbeitsbeschaffung. Wir können in bezug hierauf reproduzieren was die Regierungen der zwei am meisten von der Wohnungsnot bedrückten Kantone Zürich und Bern darüber anbringen.

Der Regierungsrat von Zürich schliesst seinen Bericht indem er sagt: ,,Die Förderung der Bautätigkeit, wie wir sie hier vorgesehen haben, wird gleichzeitig auch die im ganzen Kanton verbreitete, ausserordentlich starke Arbeitslosigkeit im Baugewerbe zu heben imstande sein, für deren momentane Behebung der Kanton gegenwärtig grosse Summen auslegt durch Erstellung von Umbauten und Neubauten. Wird nicht heute schon iür künftige neue Arbeitsgelegenheit im Baugewerbe gesorgt, wozu die Ausführung von Wohnungen zu zählen ist, so wird im Frühjahr oder Sommer 1919 die Arbeitslosigkeit noch weiter um sich greifen. a ,,Die vom Bund auszurichtenden Beträge sind daher auch vom Gesichtspunkt der Beseitigung der Arbeitslosigkeit und deren schlimmen Folgen zu beurteilen. Der Bund sollte daher in entgegenkommender Weise den Bedürfnissen der Kantone und speziell des Kantons Zürich mit seiner ausgedehnten Industrie gerechnet werden.a Und die neue Eingabe der Regierung von Bern äussert folgendes : ,,Nun ist leicht begreiflich, dass zurzeit diejenigen Bevölkerungszentren, die am empfindlichsten unter der Wohnungsnot leiden, auch die grösste Arbeitsnot zu verzeichnen haben ; die Schaffung von Arbeitsgelegenheit ist da aus finanziellen und ethischen Gründen ein Gebot der Notwendigkeit."

,,So muss mit aller Schärfe betont werden, dass in erster Linie für die Stadt Bern, aber weiterhin auch für einige weitere

472 Orte unseres Kantons dio in Rede stehende bundesrätliche Vorlage dem allgemeinen Bedürfnis nach Arbeitsbeschaffung in hohem Masse entgegenkommen, ja eine eigentliche Erlösung bedeuten würde.'1 ,,Gerade diejenigen Gemeinden, die hier in Frage kommen, haben während der Kriegszeit in einem solchen Masse Opfer bringen müssen, dass sie aus eigener Kraft heute unmöglich eine wirksame Bekämpfung der Wohnungsnot durchzuführen vermögen.

Unterstützungen aller Art sollen nun weiterhin gebracht werden, während anderseits Hunderte und Tausende von Arbeitskräften infolge Mangels an Arbeitsgelegenheit brachliogen. Solche Zustände können ohne schwere Schädigung des Staatsganzen nicht auf die Dauer bestehen bleiben. Die Beihülfe, die der Bund auf diesem Gebiete zu bringen gedenkt, ist notwendig und kann zur Wohltat für weitere Bevölkerungskreise werden.a -- Diese Ausführungen, deren Richtigkeit Ihnen nicht entgehen wird, rechtfertigen vollauf die Bedeutung der Unterstützung, welche der Bund den Kantonen und Gemeinden zur Linderung der Wohnungskrise, sowie der Arbeitslosigkeit zu leisten bereit ist.

Zum Schlüsse haben wir noch zur Eingabe Stellung zu nehmen, welche der Schweizerische Städteverband unter dem 21. Februar laufenden Jahres an uns gerichtet hat. Es wird darin die Ansicht vertreten, dass unsere Vorschläge, angesichts der Finanzlage der am meisten betroffenen Gemeinden, eine zu ungenügende Hülfe in Aussicht stellen. Es sollte an die Darlehn des Bundes nicht die Bedingung einer gleichen Leistung von Seiten der Kantone und der Gemeinden gestellt werden. Überdies sollten die Massnahmen des Bundes zur Linderung der Wohnungsnot nicht allein auf Darlehn zu billigem Zinsfuss beschränkt bleiben.

Mit solchem sei für die Verbilligung des Bauens und für die Aufmunterung der Privatinitiative noch nichts geleistet. Zu letzterm Zwecke sollten auch Massnahmen zur Verbilligung der wichtigsten Baumaterialien, wie Zement, Ziegel und Holz, getroffen werden ; ferner sollte eine Zentralisierung aller Bestrebungen für den Kleinwohnungsbau eintreten ; es sollte auf Erleichterung des Verkehrs durch Einschalten von Tramzügen in der Nähe grosser Bevölkerungszeutren zur Zerstreuung der Volksanhäufung Bedacht genommen werden. Endlich sollten Massnahmen erfolgen zürn Schütze der Mieter gegen ungerechtfertigte übermässige
Zinsforderungcn von seite der Besitzer der vor dem Kriegsausbruch erstellten Wohnungen.

Diese Begehren stimmen, abgesehen von der Aussetzung, die an den in unserer Botschaft empfohlenen Darlehn gemacht

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wird, mit den Vorschlägen übercin, welche der Vorsteher des eidgenössischen Fürsorgeamtes in seiner unter dem 14. November 1918 an unser Volkswirtschaftsdepartement gerichteten Eingabe aufgestellt, hat und die nebst noch ändern, nach seiner und der eidgenössischen Notstandskommission Meinung, durch eine besondere Fachkommission abschliessend zu prüfen wären.

Wir sind noch nicht zur definitiven Behandlung dieser letztern Eingabe gelangt, müssen aber schon jetzt darauf aufmerksam machen, dass Massnahmen der vorgeschlagenen Art -- Erleichterung der Beschaffung der Baumaterialien, Zentralisierung aller Bestrebungen für den Kleinwohnungsbau und staatliche Reglierung der Mietzinsforderungen -- schwierig und, was den letzten Punkt anbetrifft, von zweifelhaftem Werte sind. Die in vielen Gemeinden unerträglich gewordene \Yohnungskrise lässt zeitraubende Beratungen nicht mehr zu, sondern es ist rasches Handeln erforderlich. Diesem leistet unser Vorschlag Vorschub. Von der Richtigkeit der Aussetzung, welche der Schweizerische Städteverband an der durch uns vorgeschlagenen finanziellen Hülfe erhebt, vermögen wir uns nicht zu überzeugen ; wir sind im Gegenteil der Ansicht, die Gemeinden können damit schon Erkleckliches leisten.

Was die Wiedererweckung der Bautätigkeit der Privaten betrifft, ist zu hoffen, dass das durch den Friedenszustand herbeigeführte Sinken der Material- und Arbeitspreise von nicht zu unterschätzender Wirkung sein wird. Endlich glauben wir mit unserer Hülfe, da sie eine ausserordentliche Massregel ist, nicht über die notwendigen Schranken hinausgehen zu dürfen. Es wäre ein Irrtum, zu glauben, dass der Bund die Last der in die Kompetenz der Kantone und der Gemeinden fallenden Arbeiten ganz auf sich nehmen könne. Der Bund muss sich darauf beschränken, ihnen zu Hilfe zu kommen, indem er ihnen Kredit verschafft. Angesichts dieser. Umstände scheint es uns vorläufig nicht angezeigt, in irgendeiner Weise von den in unserer Botschaft vom 9. Dezember 1918 enthaltenen Vorschlügen abzugehen, sondern wir erlauben uns, sie Ihnen zur Gutheissung zu empfehlen.

B e r n , den 18. März 1919.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Ad or.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Steiger.


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Ergänzung zur Botschaft des Bundesrates vom 9. Dezember 1918 an die Bundesversammlung, betreffend Beteiligung des Bundes an den Vorkehren der Kantone und Gemeinden, zur Beseitigung des Mangels an Wohnungen. (Vom 18. März 1919.)

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