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Zweiter Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über das Volksbegehren betreffend Unterstellung von Staatsverträgen unter das Referendum.

(Vom 9. Mai 1919.)

I.

Der Bundesrat hat am 29. Mai 1914 der Bundesversammlung einen Bericht über das Volksbegehren betreffend Unterstellung von Staatsverträgen unter das Referendum erstattet und dabei den Antrag auf Ablehnung des Volksbegehrens gestellt.

Die Behandlung dieses Geschäftes ist mit Rücksicht auf die durch den Weltkrieg geschaffene äussere und innere Lage von den Räten zurückgestellt worden. Nachdem mehr als vier Jahreseit Erstattung des ersten Berichtes verflossen sind -- Jahre, die nicht ohne tiefgreifenden Einfluss auf das öffentliche Leben unseres Landes geblieben, hat es der Bundesrat als seine Pflicht erachtet, seine seinerzeitige Stellungnahme einer erneuten Prüfung zu unterziehen. Nachdem sich das Politische Departement, sowie das Justizund das Volkswirtschaftsdepartement in besondern Gutachten zu der Frage geäussert hatten, ist der Bundesrat dazu gelangt, auf seinen Antrag vom 29. Mai 1914 zurückzukommen und der Bundesversammlung statt Verwerfung des Volksbegehrens einen Gegenvorschlag zu beantragen, der der grundsätzlichen Auffassung der Initiative entspricht.

Der Gegenvorschlag, der ° als Absatz 3 und 4 des Art. 89 der Bundesverfassung redigiert ist, hat folgenden Wortlaut: ,,Alle Staatsverträge der Eidgenossenschaft mit dem Auslande, welche auf unbegrenzte Zeit oder auf eine Dauer von mehr als fünfzehn Jahren abgeschlossen sind und nicht auf einen früheren

223 Zeitpunkt gekündigt werden können, sowie Bündnisse, ohne Rücksicht auf die Dauer ihrer Gültigkeit, sollen ebenfalls dem Volkezur Annahme oder Verwerfung vorgelegt werden, wenn es von 30,000 stimmberechtigten Schweizerbürgern oder von acht Kantonen verlangt wird.

,,In Zeiten von Krieg und Kriegsgefahr kann die Bundesversammlung den Besehluss betreifend Genehmigung eines Staatsvertrages dringlich erklären. In diesem Falle kann eine Volksabstimmung nicht verlangt werden."

Dieser Gegenvorschlag deckt sich im wesentlichen mit dem Volksbegehren. Immerhin weicht er, abgesehen von einigen redaktionellen Abänderungen, die im Interesse der Klarheit geboten erscheinen, in zwei Punkten von dem Vorschlage der Initianten ab : Einmal wird für Bündnisse schlechthin, also ohne Rücksicht auf deren Dauer, das Referendum zugelassen. Sodann wird der Bundesversammlung die Möglichkeit gegeben, in Zeiten von Krieg, und Kriegsgefahr das Referendum -durch eine Dringlichkeitserklärung auszuschliessen. Während die Dringlichkeitsbestimmung, eine Einschränkung des Anwendungsgebietes des Referendums,, wie es im Volksbegehren 'umschrieben ist, bedeutet, stellt die andere Abänderung eine Erweiterung der Volksrechte dar. · In beiden Fällen handelt es sich um eine Ordnung ausnahmsweiser, voraussichtlich selten eintretender Verhältnisse ; das schliesst aber keineswegs aus, dass die gedachten Bestimmungen von hohempolitischen Wert sein würden.

II.

Ehe der Gegenvorschlag, soweit er vom Volksbegehren abweicht, begründet wird, ist es notwendig darzulegen, weshalb der Bundesrat von seinem frühern Standpunkt abgegangen ist.

Die Argumente, die im Bericht von 1914 gegen das Volksbegehren vorgebracht worden sind, haben ihre Richtigkeit und ihre, Bedeutung behalten ; aber es sind im wesentlichen nur Argumente der Opportunität, die dem Grundsatz der unmittelbaren Demokratie entgegengestellt werden. Dass die Verträge, durch welche der Staat auf lange Zeit sich gegenüber dem Ausland bindet, dem Volk als obersten Träger der Staatsgewalt zur Genehmigung vorgelegt werden sollen, ist eine Forderung,, die unbestreitbar in dem folgerichtigen Ausbau des demokratischen Staatsrechtes liegt. Schon in der alten Eidgenossenschaft wurden nicht nur in den Länderkantonen, sondern zeitweise auch ia

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Stadtkantonen Bündnisse und andere wichtige Verträge der Bürgerschaft und der Landbevölkerung vorgelegt. Von den heutigen kantonalen Verfassungen haben mehrere das Referendum für Staatsverträge, sei es für alle, sei es für gewisse wichtigere Arten derselben, vorgesehen. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass dem Vertragsreferendum in den Kantonen nicht die gleiche politische Bedeutung zukommt wie im Bunde, der ausschliesslich mit dem Auslande Vertragsverhältnisse eingeht.

Die gewaltigen Rückwirkungen des Krieges auf das politische und soziale Denken der Völker macheu sich geltend in dem stärkern Hervortreten grundsätzlicher Standpunkte gegenüber Überlegungen reiner Zweckmässigkeit und namentlich in der Forderung nach konsequenter Durchsetzung des demokratischen Prinzips auf dem Gebiete der sozialen und der äussern Politik. Unter diesem Gesichtspunkte ist heute das Volksbegehren zu würdigen.

Eine bedingungslos ablehnende Haltung gegenüber der Forderung, dass gewisse Staatsverträge dem Volksentscheid unterworfen werden können, wäre nur dann geboten, wenn die Verwirklichung der Forderung schwere, gegenüber allen ändern Rücksichten überwiegende Gefahren erwarten liesse. Die blosse Möglichkeit, dass in einem spätem Zeitpunkt der im Volksbegehren ausgesprochene Grundsatz in einer den Landesinteressen schädlichen Weise ausgedehnt werden könnte, rechtfertigt es jedoch nicht, einer an sich begründeten Forderung der Demokratie entgegenzutreten.

Bei der Würdigung der dem Volksbegehren entgegengehaltenen Bedenken ist vor allem zu berücksichtigen, dass bei der Beschränkung des Referendums auf Verträge, die für mohr als 15 Jahre die Eidgenossenschaft binden, nur eine beschränkte Zahl von Abkommen in Betracht kommen werden. In dem Vertragsverzeichnis, das der Botschaft vom 29. Mai 1914 beigegeben ist, sind, weil die Initiative von ,,unbefristeten" Verträgen spricht, eine ganze Anzahl von Abkommen als unter das Referendum fallend bezeichnet worden, welche zwar nicht für eine bestimmte Zeit abgeschlossen, aber jederzeit oder jedenfalls vor 15 Jahren kündbar sind. Solche Abkommen können jedoch dem Initiativvorschlag nicht unterliegen, da das niassgebende Kriterium die Mindestdauer von 15 Jahren ist, während welcher die Eidgenossenschaft einem fremden Staate gegenüber gebunden bleibt.

Obwohl bei der Annahme dieses zeitlichen Kriteriums unter Umständen sehr wichtige Verträge nicht vor das Volk gebracht werden können, während unwichtige Grenzregulierungen, Ab-

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kommen über Eiseubahnanschlüsse u. dgl. unter die neue Verfassungsbestimmung fallen würden, so hat doch die Initiative das Richtige getroffen, wenn sie auf die Dauer der rechtlichen Bindung abstellt. Nicht nur ist dies ein leicht und klar bestimmbares Merkmal, sondern es ist.auch politisch wesentlich, ob der Staat nach einer verhältnismässig kurzen Zeit wieder seine Handlungsfreiheit gegenüber dem Ausland zurückerhält oder aber, ob er für viele Jahre, vielleicht für immer gebunden ist. Von allen internen Satzungen kann sich das Volk durch seine verfassungsmässigen Organe jederzeit selber wieder freimachen, an einen Staatsvorfcrag ist aber auch der Verfassungsgesetzgeber unbedingt gebunden. Durch Verträge können die Räte, die doch nur die Beauftragten des Volkes sind, dieses selber indirekt' in seiner gesetzgeberischen Entschliessungsfreiheit beschränken. Es ist deshalb eine sehr naheliegende demokratische Forderung, dass das Volk sich von seinen Beauftragten nicht auf unbegrenzte Zeit binden lassen, sondern sich mindestens die Möglichkeit eines Einspruches vorbehalten will.

Die sachliche Berechtigung des von der Initiative angenommenen Kriteriums der Dauer lässt gerade erwarten, dass es bei dieser Begrenzung im wesentlichen bleibe, und dass nicht schliesslich alle Verträge bedingungslos der Volksabstimmung unterworfen werden. Wäre das letztere der Fall, so würde in der Tat die Ordnung unserer vertraglichen Beziehungen · bedeutend erschwert und vielleicht auch nachteilig beeinflusst. Um von vornherein einem gegen die ausschliessliche Geltung des zeitlichen Kriteriums sich erhebenden Bedenken zu begegnen, will der Gegenvorschlag für den --- allerdings äusserst singulären -- Fall eines Bündnisses das Referendum schlechterdings zulassen. Bündnisse, .gleichviel ob auf kurze oder lange Zeit geschlossen, sind geeignet, den Staat in Verhältnisse zu verwickeln, deren Folgen unabsehbar sind und nicht wieder beseitigt werden können. Jeder andere Vertrag, mag er wirtschaftlich noch so wichtig sein, wird während einer Gültigkeit von nicht mehr als 15 Jahren kaum imstande sein, dauernd die Geschicke des Landes zu beeinflussen. Sollte solches doch zu erwarten sein, so gibt der Gegenvorschlag den Räten die Befugnis, jeden Vertrag dem Volk zu unterbreiten.

Da das Referendum, sowohl nach dem Volksbegehren wie nach
dem Gegenvorschlag nur gegen eine beschränkte Zahl von Verträgen angerufen werden kann, so ist nicht zu fürchten, dass die Verhandlungsfähigkeit des Landes durch diese Institution'erheblieh herabgesetzt werde. Aber selbst in den Fällen, in denen eine Volksabstimmung gefordert werden kann, wird die schweizerische Bundesblatt. 71. Jahrg. Bd. II.

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Regierung nicht oder nicht wesentlich gegenüber ändern Regierungen in ihrer Verhandlungsfähigkeit beeinträchtigt sein. Der Gesichtspunkt der Heimlichkeit kann überhaupt nicht in Betracht kommen ; heimliche Verträge sind schon nach dem heutigen schweizerischen Verfassungsrecht unmöglich, und sie sollen nach den Forderungen der neuen Zeit überall verschwinden. Aber auch das blosse Verschweigen von wesentlichen Motiven eines Vertragsschlusses, das unter Umständen durch internationale Rücksichten geboten sein möchte, ist bei der jetzigen parlamentarischen Beratung der Staatsverträge unmöglich ; die Behandlung eines Staatsvertrages in den Räten unter Ausschluss der Öffentlichkeit könnte nur das stärkste Misstrauen wachrufen. Das Referendum bringt somit in bezug auf Heimlichkeit oder Öffentlichkeit der Vertragsbehandlung nichts Neues, somit auch keine neue Schwierigkeiten.

Eine weitere Beeinträchtigung der Verhandlungsfähigkeit hat man wegen des Umstandes befürchtet, dass die Ratifikation eines von der Regierung unterzeichneten Vertrages um so unsicherer wird, je mehr Instanzen ihre Zustimmung zu geben haben und dass der Ausgang einer Volksabstimmung besonders, schwer vorauszusehen sei. Es lässt sich nicht bestreiten, dass die Möglichkeit eines Referendums den Zeitpunkt, in dem der Bundesrat ein Abkommen ratifizieren kann, um mindestens die Referendumsfrist, vielleicht aber um die Dauer einer ganzen Referendumskampagne hinausschiebt lyid dass auf die Zustimmung des Volkes vielleicht weniger sicher als auf diejenige der Räte gerechnet werden kann.

Indessen ist zu beachten, dass zwischen Unterzeichnung und Ratifikation eines Vertrages meist viele Monate, nicht selten selbst Jahre verstreichen, so dass die durch das Referendum bedingte Verzögerung nicht stark ins Gewicht fällt. Was die mit dem Referendum verknüpfte Unsicherheit des Vertragsabschlusses anbelangt, so dürfte sie kaum grösser, wohl eher kleiner sein, als z. B. in parlamentarisch regierten Staaten, wo eine Verschiebung in der Mehrheit des gesetzgebenden Körpers in der Regel eine Neuorientierung der Regierungspolitik zur Folge hat. Jeder Staatsformr und so auch der Demokratie, sind gewisse Schwierigkeiten eigentümlich, doch sind diese in der Frage des Vertragsschlusses nicht allzuhoch anzuschlagen. Jedenfalls erscheint es als das kleinere Übel,
wenn ausnahmsweise einmal die Regierung durch eine Volksabstimmung desavouiert wird, als wenn die innere und äussere Politik des Landes mit der Existenz eines langfristigen oder gar unkündbaren Vertrages belastet ist, gegen den eine Opposition besteht, die glaubt, die Mehrheit des Volkes zu vertreten und die

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mangels eines Referendums nicht unmittelbar hat zum Wort kommen können.

Die Nachteile, welche von dem Volksbegehren für unsere internationalen Beziehungen erwartet werden, scheinen deshalb entweder nicht so gross zu sein, dass sie die Abweisung einer grundsätzlichen Forderung der Demokratie zu rechtfertigen vermöchten, oder sie sind der geforderten Neuerung überhaupt nicht eigentümlich. Dies alles allerdings unter einem Vorbehalt: Es gibt Situationen in Zeiten von Krieg und Kriegsgefahr, in denen die mit dem Referendum verbundenen Fristen den Vertragsabschluss in nützlicher Frist unmöglich machen können. Zu diesem Zweck hat der Gegenvorschlag dringliche Beschlüsse vorbehalten, aber nur für Zeiten von Krieg und Kriegsgefahr.

III.

Der Gegenvorschlag des Bundesrates weicht gegenüber dem Volksbegebren in folgenden Punkten ab.

a. Aus dem Umstände, dass die Bundesverfassung in Art. S und 85, Ziffer 5 und 6, ,,Bündnisse" und ,,Staatsverträge" bzw.

,,Verträge mit dem Ausland" und ,,Friedensschlüsse" nebeneinander erwähnt, könnte gefolgert werden (vgl. Bericht vom 29. Mai 1914, S. 29), dass die Initiative, die nur von ,,Staatsverträgen" spricht, Bündnisse und Friedensschlüsse nicht einbeziehe. Diese Auslegung würde dem Sinn und Geist des Volksbegehrens widersprechen und wäre deshalb abzulehnen. Wenn der Gegenvorschlag die Bündnisse schlechterdings dem Referendum zugänglich macht, so kann in dieser Hinsicht ein Zweifel nicht mehr bestehen. Die Friedensschlüsse, die ihrer Natur nach unkündbare Verträge sind, aber auch Bestimmungen von beschränkter Geltungsdauer enthalten können, sollen ebenfalls in unzweideutiger Weise in dem Begriff ,,Staats v er träge" einbegriffen sein. Zu diesem Zwecke sagt der Gegenvorschlag ,, a l l e Staatsverträge".

b. Der Gegenvorschlag fügt nach ,,Staatsverträge" die Worte ,,der Eidgenossenschaft" ein, um deutlich zu machen, dass Verträge der Kantone mit dem Ausland, die nach Art. 85, Ziffer 5, infolge Einsprache vor die Bundesversammlung gelangen, für das , Referendum nicht in Betracht kommen.

e. Das Volksbegehren spricht von Verträgen ,,die unbefristet oder für eine Dauer von mehr als fünfzehn Jahren abgeschlossen sind". Demgegenüber gibt der Gegenvorschlag einer Fassung den Vorzug, die den gleichen Gedanken etwas deutlicher zum Ausdruck zu bringen versucht.

Bin unbefristeter Vertrag ist ein solcher, der keinen Zeitpunkt angibt, bei dessen Eintritt er entweder von selbst dahinfällt, oder einseitig von einer Partei aufgelöst werden kann. Solche Verträge sind ziemlich zahlreich ; sie sind aber ihrem Inhalte nach sehr verschieden und dementsprechend ist auch dio Bedeutung des Fehlens einer Geltungsfrist verschieden. Verträge, die, wie z. B. Grenzregulierungen, einen bleibenden Besitzstand begründen, sind ihrer Natur nach unkündbar und endigen auch nicht von selbst in einem bestimmten Zeitpunkt. Begründen sie dagegen für die Parteien fortgesetzte oder sich wiederholende Leistungen, so ist nicht anzunehmen, dass sich ein Staat auf unbegrenzte Zeit in solcher Weise hat binden wollen. Es ist eine Frage der Interpretation, ob der Wille der Parteien auf eine unbegrenzte oder eine kündbare .Bindung gerichtet war. Dies im einzelneu zu untersuchen, hat keinen Zweck, da das Referendum für bereits ratifizierte Verträge nicht in Betracht kommt.

In Zukunft sollte, wenn das Volksbegehren oder der Gegenvorschlag angenommen wird, darnach getrachtet werden, wie dies in der neueren Vertragspraxis übrigens der Fall ist, die Frage der Kündbarkeit in jedem Abkommen zu regeln, wenigstens da, wo die Unkündbarkeit nicht aus der Natur des Vertrags» Inhalts sich klar ergibt.

Wenn ein Vertrag von unbegrenzter Dauer ausdrücklich eine jederzeitige Kündigung z. B. auf ein Jahr zulässt, so scheint es klar, dass ein solches Abkommen nicht unter das Referendum fällt. Das trifft u. a. zu für eine Reihe von Ablieferungsverträgen, die, weil unbefristet im Verzeichnis, das dem Bericht von 1914 beigegeben ist, als dein Referendum unterliegend aufgeführt siud.

Der springende Punkt ist der, ob die Eidgenossenschaft spätestens nach 15 Jahren sich von einem Vertrage einseitig und ohne weitere vertragliche Bedingungen freimachen kann oder nicht.

Dabei ist es gleichgültig, ob die Lösung vom Vertrag von selbst durch Zeitablauf oder durch Kündigung erfolgt. Um diesen Gedanken auszudrücken, spricht der Gegenvorschlag von Verträgen ,,die auf unbegrenzte Zeit oder auf eine Dauer von mehr als 15 Jahren abgeschlossen sind und nicht auf einen frühem Zeitpunkt gekündigt werden können".

d. In Erweiterung des vom Volksbegehren vertretenen Gedankens will der Gegenvorschlag für Bündnisse, ohne Rücksicht
auf deren Geltungsdauer, das Referendum zulassen. Wie bereits bemerkt, rechtfertigt sich dies durch die überaus grosse politische Bedeutung dieser Verträge, die namentlich für einen Staat mit

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dauernder Neutralität etwas aussergewöhnliches sind und sich mit ändern Staatsverträgen nicht auf eine Linie stellen lassen.

Dem allgemeinen Begriff ^Bündnis" sind alle internationalen Verbindungen zu politischen Zwecken zu unterstellen. Zu diesen gehört auch ein Völkerbund, welcher die Aufgabe hat, die von ihm aufgestellte Friedensordnung durch gemeinschaftliche Massnahmen zu. sichern und, wenn sie verletzt wird, zu verteidigen und wieder herzustellen. Andere internationale Verträge zu politischen Zwecken als solche, die der Erhaltung des Friedens dienen und die allen interessierten Staaten grundsätzlich offenstehen, können für die Schweiz, die seit Jahrhunderten eine friedliche und neutrale Politik verfolgt, nicht in Betracht kommen. Vorbehalten bleibt selbstverständlich das Recht der Schweiz, gegebenenfalls Bündnisse abzusc'hliessen, um sich gegen Angriffe auf ihr Gebiet und ihre Unabhängigkeit zu verteidigen.

Bei Abschluss von Bündnissen könnte sich unter Umständen die Frage erheben, ob die Genehmigung des Vertragsabschlusses nicht auf dem Wege der Verfassungsabstimmung durch Volk und Stände zu . erfolgen habe. Dies wäre dann der- Fall,- wenn ein Bundesvertrag eine Änderung unserer eigenen Bundesverfassung oder der wesentlichen Voraussetzungen, auf denen diese beruht, bewirken würde. Darüber eine besondere Bestimmung in den Gegenentwurf aufzunehmen, erübrigt sich, da es selbverständlich ist, dass wo es sieh um eine wirkliehe Abweichung von der Verfassung handelt, der Weg der Verfassungsrevision gewählt werden soll. Dabei ist aber darauf hinzuweisen, dass es Verfassuugsbestimmungen gibt, die zunächst für die Rechtsverhältnisse im Lande selbst bestimmt sind und nicht ausschliessen, dass eine abweichende Ordnung in bezug auf das Verhältnis der Schweiz zum Ausland kraft internationalen Vertrags Platz greife. Derartige internationale Vertragsbestimmungen bedingen keine Verfassungsrevision.

c. Das Volksbegehren will bedingungslos das Referendum zulassen für die Verträge, welche in bezug auf ihre Dauer die bestimmten Voraussetzungen erfüllen. Da sich die Umstände, unter denen ein Vertragsabschluss erfolgen muss, nicht voraussehen lassen, so erscheint es nicht unbedenklich, sich auf alle Fälle an das durch das Referendum bedingte, einen raschen Abschluss unmöglich machende Verfahren zu binden. Der
Gegenvorschlag lässt deshalb die Möglichkeit zu, einen Staatsvertrag, d. h. den Bundesbeschluss betreffend dessen Genehmigung dadurch dem Referendum zu entziehen, dass er als dringlich erklärt wird. Diese Möglichkeit

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soll aber nur bestehen in Zeiten von Krieg und Kriegsgefahr.

Darüber, ob Dringlichkeit vorliegt und ob Kriegsgefahr gegeben ist, hätte die Bundesversammlung zu entscheiden.

Wenn die Bundesverfassung in Art. 89 für Bundesbeschlüsse die Dringlichkeitsklausel zulässt, weil diese nötig ist, so muss bei Staats vertragen ebenfalls die Möglichkeit bestehen, im Landesintevesse einen Vertrag, unter Ausschluss der Volksbefragung, mit sofortiger Rechtskraft auszustatten. Diese Einschränkung der Volksrechte darf aber bei Staatsverträgen nicht weitergehen, als es die Laadesintoresscn absolut erfordern, denn durch den Staatsvertrag wird eine Abhängigkeit von bestimmter Dauer geschaffen, während der dringlich erklärte Bundesbesöhluss jederzeit abgeändert werden kann und äusserstenfalls einem Volksbegehren zu weichen hat. Die Dringlichkeitsklausel soll deshalb nur in Zeiten von.

Krieg und Kriegsgefahr angewendet werden dürfen, denn nur für solche Zeiten besteht die Wahrscheinlichkeit, dass das Landesinteresse sofortige Vertragschlüsse erheischt. Alsdann aber kann die Möglichkeit, das Referendum auszuschliessen, eine gebieterische Forderung der nationalen Politik, ja der Selbsterhaltung sein. Kraft des Systems der Neutralität schliesst die Eidgenossenschaft im Frieden keine Bündnisse im engern Sinne, aber in Kriegszeiten kann sie, wenn sie angegriffen oder bedroht ist, gezwungen sein, solche einzugehen. Alsdann handelt es sich vielleicht um eine Entschliessung von Tagen, welche die von der Volksabstimmung untrennbaren Verzögerungen schlechterdings nicht erträgt. Aber auch andere Verträge als Bündnisse können in Kriegszeiten einen sofortigen Abschluss erfordern. Immerhin ist es nicht wahrscheinlich, dass in Kriegszeiten Verträge für eine Dauer von mehr als .15 Jahren abgeschlossen werden müssen. Aber es lassen die ausserordontlichen Situationen sich gerade am wenigsten voraussehen. Es wäre deshalb gefährlich, sich den Weg zu einem raschen Abschluss eines Vertrages irgendwelcher Art zu verschliessen.

Dringlichkeit bedeutet zeitliche Dringlichkeit, d. h. es müssen Umstände vorliegen, welche die Beobachtung der durch das Referendum gebotenen Fristen als unvereinbar mit wichtigen Interessen des Landes erscheinen lassen. Die blosse Wünschbarkeit, einen von den Räten als unbedingt notwendig erachteten Vertrag den
Risiken der Volksabstimmung zu entziehen, rechtfertigt einen Dringlichkeitsbeschluss nicht.

Man könnte auch daran denken, für die Staatsverträge die gleiche Unterscheidung wie für Bundesbeschlüsse zu machen und nur für die ,,allgemein verbindlichen'1 die Möglichkeit eines Re-

231 ferendums vorzusehen. Es kann aber nicht empfohlen werden, den äusserst schwankenden Begriff der Allgemeinverbindlichkeit auf Staatsverträge auszudehnen, wo seine Auslegung eine ebenso unsichere wie bei Bundesbeschlüssen sein würde. Was die Wichtigkeit eines Staatsvertrages ausmacht, ist in der Regel nicht seine Eigenschaft,' gleich einem Gesetz allgemein gültige Rechtssätze aufzustellen, sondern seine politische und wirtschaftliche Tragweite. Der Gotthardvertrag z. B. wäre nicht allgemein verbindlich im Sinne eines Bundesbeschlusses, aber er ist von allgemeiner Bedeutung durch die Dauer und den Umfang der in ihm enthaltenen Stipulationen.

Da die Bestimmung über die Dringlichkeit eine Ausnahme des verfassungsmässigen Grundsatzes darstellt, ist sie restriktiv zu interpretieren. Das hat namentlich zur Folge, dass unter der Dringlichkeitsklausel, wenn möglich, keine Verträge abgeschlossen werden sollen, die über die Dauer der besondern Verhältnisse, welche den Dringlichkeitsbeschluss gestatten, hinausreichen sollen.

Eine Vorschrift dieser Art ist jedoch nicht ratsam, weil unter Umständen dadurch der Abschluss eines notwendigen Vertrages unmöglich gemacht oder dessen Bedingungen wesentlich erschwert werden könnten.

Wir schliessen mit dem A nt r ag:

,,Die Bundesversammlung wolle in Anwendung von Art. 8 ff.

des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen 'betreffend Revision der Bundesverfassung beschliessen : 1. es sei das Volksbegehren um Ergänzung von Art. 89 der Bundesverfassung (fakultatives Referendum bei Staatsverträgen) abzulehnen und der Abstimmung des Volkes und der Stände mit dem Antrag auf Verwerfung zu unterbreiten ; 2. es sei gleichzeitig ein Gegen verschlag dei1 Bundesversammlung der Abstimmung des Volkes und der Stände mit dem Antrag auf Annahme zu unterbreiten. Der Gegenentwurf hat folgenden Wortlaut: Art. 89 der Bundesverfassung vom 29. .Mai 1874 erhält folgende Absätze 3 und 4 :

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,,Alle Staatsverträge der Eidgenossenschaft mit dem Auslande, welche auf unbegrenzte Zeit oder auf eine Dauer von mehr als 15 Jahren abgeschlossen sind und nicht auf einen frühem Zeitpunkt gekündigt werden können, sowie Bündnisse, ohne Rücksicht auf die Dauer ihrer Gültigkeit, sollen ebenfalls dem Volke zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt werden, wenn es von 30,000 stimmberechtigten Schweizerbürgern oder von acht Kimtonen verlangt wird.

,,In Zeiten von Krieg und Kriegsgefahr kann die Bundesversammlung den Beschluss betreffend Genehmigung eines Staatsvertrages dringlich erklären. In diesem Falle kann eine Volksabstimmung nicht verlangt werden.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 9. Mai 1919.

Im Namen des schweiz. Bundesrates.

D e r Bundespräsident Ador.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Steiger.

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Zweiter Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das Volksbegehren betreffend Unterstellung von Staatsverträgen unter das Referendum. (Vom 9. Mai 1919.)

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1919

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14.05.1919

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